Kitabı oku: «Der Liebesschwur»
1
1816
„Verflucht! Verdammter Idiot! Du verfluchter Narr — nimm deine plumpen Pfoten von mir! Raus! Hast du verstanden? Du bist entlassen - und ich will dein widerliches Gesicht nicht nochmal sehen!“
Der Kammerdiener verließ eilig den Raum, während aus dem Bett weiterhin wortreich die übelsten Flüche klangen. Sie schienen leicht über die Lippen des Bettlägerigen zu kommen.
Dann, als sich sein Zorn ein wenig zu legen schien, bemerkte er am Ende des Zimmers eine Bewegung. Und jetzt erst entdeckte er die Magd, die am Kamin stand und alles beobachtet hatte.
Einer der vier großen Bettpfosten hatte sie vor seinem Blick verborgen. Jetzt richtete er sich ein wenig auf, um sie besser sehen zu können.
„Wer bist du? Was tust du hier? Ich habe gar nicht bemerkt, daß jemand im Zimmer war!“
Sie drehte sich um, und er sah, daß sie außergewöhnlich zierlich war. Ihr Gesicht schien unnatürlich klein unter der großen Haube.
„Ich ... ich habe den ... Kamin poliert, Mylord.“
Zu seiner Überraschung klang ihre Stimme sehr weich, sie sprach sehr kultiviert. Der Graf starrte sie an, als sie sich umdrehte und mit einem schweren Messingeimer in der Hand auf die Tür zuging.
„Komm her!“ befahl er plötzlich.
Einen Augenblick zögerte sie. Dann, als zwänge sie der Klang seiner Stimme, ging sie langsam auf sein Bett zu. Sie sah noch jünger aus, als es zuerst den Anschein hatte.
An seinem Bett blieb sie stehen. Sie starrte auf sein Bein, das oberhalb des Knies unbedeckt war, und sah den blutverschmierten Verband, den der Kammerdiener vorher hatte entfernen wollen.
Der Graf wollte gerade etwas sagen, als sie mit ihrer weichen Stimme in wohlgewählten Worten sagte: „Würden... würden Sie mir gestatten, den Verband für sie zu erneuern? Ich habe einige Erfahrung in Krankenpflege.“
„Du kannst mir nicht mehr Schmerzen zufügen als dieser verdammte Narr, den ich soeben hinaus gejagt habe.“
Die Magd rückte ein wenig näher und stellte den schweren Eimer ab. Dann entfernte sie sehr sanft ein kleines Stück des Verbandes.
„Ich fürchte, Mylord, der Stoff, der die Wunde bedeckt, ist nicht fachgerecht angebracht worden. Es wird Sie vermutlich sehr schmerzen, wenn ich es entferne. Es sei denn, wir können es mit warmem Wasser loslösen.“
„Mach was du willst“, brummte der Graf mürrisch. „Ich werde versuchen, meine Zunge im Zaum zu halten.“
„Vergessen Sie, daß ich eine Frau bin, Mylord“, erwiderte sie. „Mein Vater pflegte zu sagen; ein Mann, der Schmerzen ertragen kann, ohne zu fluchen, ist entweder ein Heiliger oder ein Kohlkopf.“
Ein leichtes Lächeln huschte über des Grafen Gesicht. Er beobachtete sie, während sie an den Waschtisch ging.
Zuerst wusch sie sich die Hände in kaltem Wasser. Dann goß sie ein wenig von dem warmen Wasser in die Schüssel, das der Kammerdiener vorher gebracht hatte, um den Grafen damit zu rasieren.
Sie brachte die Schüssel an das Bett und begann, mit etwas feuchter Watte die Bandagen vorsichtig zu lösen, die an den zahlreichen Narben verklebt waren, die zurückgeblieben waren, nachdem der Sanitätsoffizier die Geschoßteile aus dem Bein des Grafen von Lyndhurst entfernt hatte.
Er war aus kurzer Entfernung direkt über dem Knie ins Bein getroffen worden. Und nur seinem ungeheuerlich starken Willen und seiner Autorität war es zu verdanken, daß man ihm das Bein nicht unmittelbar nach Beendigung der Schlacht bei Waterloo amputiert hatte.
„Es wird brandig werden, Mylord“, hatte der Arzt protestiert. „Und dann werden Eure Lordschaft nicht nur ein Bein, sondern Ihr Leben verlieren.“
„Ich gehe das Risiko ein“, hatte der Graf erwidert. „Lieber sterbe ich, als daß ich als einbeiniger Krüppel durchs Leben gehen soll, ohne jemals wieder ein Pferd reiten zu können.“
Nachdem er in London eine nach seiner Ansicht nutzlose Behandlung hatte über sich ergehen lassen, war er nach Cheltenham gekommen, da man ihm von Thomas Newell, dem Arzt in diesem Kurort, als von einem hervorragenden Fachmann berichtet hatte.
In der Tat besuchten jährlich viele Hunderte diesen Kurort, lediglich seiner exzellenten Ärzte wegen.
Obwohl Thomas Newells Behandlung dem Grafen mehr Schmerzen bereitet hatte, als dieser jemals zuvor in seinem ganzen Leben erlitten hatte, sah er sich in seinem unerschütterlichen Glauben an den Arzt doch bestätigt, denn die Narben begannen zu verheilen und sein Bein war in einem gesunden Zustand.
Er fluchte nicht ein einziges Mal, während die Magd den Verband entfernte. Nur ein kleiner Schmerzensschrei entschlüpfte seinen Lippen einige Male.
„Auf der Kommode!“ sagte der Graf kurz, als er bemerkte, daß das Mädchen sich nach neuem Verbandszeug umsah.
„Was stimmt denn nicht?“ fragte er. Er hatte beobachtet, daß sie den Inhalt des Kästchens kritisch betrachtete.
„Es ist alles in Ordnung“, antwortete sie. „Es ist nur nichts vorhanden, was man auf die Wunden tun könnte, damit der Verband nicht wieder festklebt. Wenn Eure Lordschaft gestatten, werde ich Ihnen eine Salbe bringen, die meine Mutter selbst herstellt. Sie verhindert das Kleben des Verbandes an der Wunde.“
„Ich würde mich sehr darüber freuen“, erwiderte der Graf.
„Morgen werde ich es Ihnen bringen.“
Sorgfältig befestigte sie den Verband, indem sie Streifen aus Leinen um das Bein wickelte.
„Warum erst morgen?“ fragte der Graf.
„Ich darf nicht heimgehen, bevor ich meine Arbeit beendet habe.“
„Was arbeitest du denn hier?“
„Ich bin eine gewöhnliche Hausmagd.“
„Bist du schon lange hier?“
„Erst seit gestern.“
Der Graf warf einen Blick auf den schweren Messingeimer. Dann sagte er: „Ich nehme an, man hat dir die schwerste Arbeit hier im Haus zugeteilt. Du siehst nicht so aus, als könntest du so schwer tragen.“
„Ich komme schon zurecht.“
Der Klang ihrer Stimme ließ den Grafen vermuten, daß sie es bisher wahrhaftig nicht leicht hatte.
Während er beobachtete, wie sie den Verband an seinem Bein anlegte, bemerkte er, daß ihre Hände irgendeine Erinnerung in ihm hervorriefen. Er versuchte, einen Blick in ihr Gesicht zu werfen, das jedoch von der großen Haube völlig verdeckt wurde, während sie sich über ihn beugte.
Als sie sich jedoch nach einer neuen Binde umsah, bemerkte er, daß ihr Gesicht außergewöhnlich schmal war. Die Backenknochen kamen deutlich hervor, ihr Kinn war scharf.
Sie bemerkte, daß sie beobachtet wurde, und ihre Blicke trafen sich. Ihre Augen erschienen ihm viel zu groß in dem zarten Gesicht.
Es waren eigenartige Augen; sie hatten das Blau eines gefährlichen Sees und waren von langen Wimpern umrahmt.
Sie sah ihn fragend an, dann stieg eine zarte Röte in ihr Gesicht und sie fuhr fort, den Verband zu befestigen.
Während der Graf das Mädchen wieder beobachtete, fiel ihm plötzlich ein, wo er solche knochigen Hände schon gesehen hatte.
Es waren die Kinder in Portugal, die Kinder der Bauern, deren Ernten zerstört worden waren! Die Armeen hatten sie verhungernd zurückgelassen. Sie hatten das Land verlassen, besonders die Franzosen, ohne etwas für die Einheimischen zurückzulassen.
Hungertod!
Es hatte ihn immer sehr bedrückt, obwohl er wußte, daß dies eine der unvermeidbaren Folgen des Krieges war.
Aber er hatte zu viel davon gesehen, um sich jetzt irren zu können.
Während er über das Mädchen nachgedacht hatte, hatte diese ihre Arbeit beendet. Jetzt zog sie mit zarter Bewegung das Laken über ihn und ergriff ihren Eimer mit den Kohlen.
„Warte!“ sagte der Graf. „Ich habe dich etwas gefragt und bisher noch keine Antwort erhalten. Wer bist du?“
„Meine Name ist Giselda, Mylord ... Giselda ... Chart.“
Das kurze Zögern, bevor sie ihren letzten Namen nannte, war dem Grafen nicht entgangen.
„Du bist an solche Arbeit nicht gewöhnt, nicht wahr?“
„Nein, Mylord, aber ich bin dankbar, daß ich sie habe.“
„Ist deine Familie arm?“
„Sehr arm, Mylord.“
„Wieviele seid ihr?“
„Meine Mutter und mein kleiner Bruder.“
„Ist dein Vater tot?“
„Ja, Mylord.“
„Und wovon habt ihr gelebt, bevor du hierher gekommen bist?“
Er hatte das Gefühl, als würden seine Fragen Giselda verärgern. Jedoch war sie nicht in der Position, die Antwort hierauf zu verweigern.
Der Eimer in ihrer Hand war so schwer, daß er ihren Körper auf der einen Seite hinunterzog. Als sie so vor ihm stand, konnte der Graf die Vertiefungen an ihrem Halsansatz sehen.
Sie war unterernährt - dessen war er sich ganz sicher - und die Blässe ihrer Haut zeugte davon, daß sie an Anämie litt.
„Stell den Eimer hin, wenn ich mit dir rede!“ befahl der Graf scharf.
Sie gehorchte ihm, und ihre großen Augen sahen ihn angstvoll an, als fürchtete sie sich vor dem, was er ihr nun sagen würde.
„Du verschwendest deine Talente, Giselda“, begann er nach einem kurzen Augenblick, „indem du hier Kamine abstaubst und zweifelsohne wohl auch Böden schrubbst, während deine Hände Heilkräfte besitzen.“
Giselda blieb regungslos stehen, und der Graf fuhr fort: „Ich werde mit der Haushälterin sprechen und ihr vorschlagen, daß du in Zukunft nur noch für mich zur Verfügung stehen sollst.“
„Ich glaube nicht, daß sie das gestatten wird, Mylord“, entgegnete Giselda. „Sie haben unten Mangel an Arbeitskräften. Daher war es mir möglich, hier Arbeit zu bekommen.“
„Ich bin nicht von der Einwilligung der Haushälterin abhängig“, erwiderte der Graf ein wenig arrogant. „Wenn sie nicht damit einverstanden ist, werde ich dich in meine persönlichen Dienste nehmen.“
Er dachte einen Augenblick nach.
„Das wird wahrscheinlich sowieso das Beste sein“, fuhr er dann fort. „Du wirst zweimal am Tag mein Bein verbinden müssen. Und es gibt zweifellos noch eine Menge Dinge, die eine Frau besser erledigen kann als ein Mann.“
„Ich ... bin Ihnen sehr dankbar, Mylord ... aber ... ich möchte doch lieber ... ablehnen.“
„Ablehnen? Warum solltest du ablehnen wollen?“
„Weil ich es nicht riskieren kann, meine Arbeit hier zu verlieren, Mylord.“
„Riskieren? Welches Risiko besteht hier denn?“
„Ich möchte nicht eines Tages auf die gleiche Weise entlassen werden, wie vorher Ihr Kammerdiener.“
Der Graf lachte.
„Wenn du glaubst, ich hätte Batley entlassen, dann irrst du dich gewaltig. Selbst wenn ich dies beabsichtigt hätte, bezweifle ich, ob er wirklich gehen würde. Er ist seit fünfzehn Jahren bei mir und kennt meine rauhe Sprache. Aber ich werde mich dir gegenüber ein wenig zurückhalten.“
Giselda hakte ihre Finger ineinander und sah den Grafen noch ängstlicher als vorher an.
„Was bedrückt dich denn nun wieder?“ fragte er sie. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß du es angenehmer findest, hier die Fußböden zu schrubben als die Krankenpflege für mich zu übernehmen.“
„Das ist nicht der Grund, Mylord.“
„Was dann?“
„Ich ... bin mir nicht im Klaren, was Sie mir an Lohn zahlen wollen.“
„Was verdienst du jetzt?“
„Zehn Schilling in der Woche, Mylord. Es ist ein guter Lohn. Aber German Cottage ist bekannt dafür, daß man hier gut bezahlt. Ich würde anderswo kaum ebenso viel verdienen.“
„Zehn Schilling?“ sagte der Graf. „Gut, ich werde dir doppelt so viel zahlen.“
Der Graf bemerkte das kurze Aufleuchten in ihren dunklen Augen. Dann jedoch streckte Giselda ihr Kinn vor und sagte:
„Ich möchte keine Almosen annehmen, Mylord!“
„Obwohl du es bitter nötig hast“, erwiderte der Graf trocken.
Die Röte stieg Giselda in ihre dünnen Wangen, und der Graf fuhr fort: „Ist dein Verdienst das einzige Geld, das in euer Haus kommt?“
„J ... Ja, Mylord.“
„Wovon habt ihr denn gelebt, bevor du hierher gekommen bist?“
„Meine Mutter... sie kann sehr kunstvoll sticken ... aber unglücklicherweise sind ihre Finger in der letzten Zeit sehr steif geworden. Daher kann sie im Augenblick nicht arbeiten.“
„Dann wirst du also ein Pfund in der Woche von mir annehmen.“
Er bemerkte das kurze Zögern, bevor Giselda antwortete: „Vielen Dank ... Mylord.“
„Du erhältst jetzt einen Wochenlohn“, erklärte der Graf. „In der oberen rechten Schublade liegt Geld. Und dann wirst du dich umziehen und mit mir den Lunch einnehmen. Bring gleich auch die Salbe mit, von der du mir erzählt hast.“
„Lunch mit Ihnen ... Mylord?“
„Genau, das habe ich gesagt.“
„Aber ... das ist nicht... recht, Mylord.“
„Warum nicht?“
„Ich ... bin eine... Dienstmagd, Mylord.“
„Großer Gott! Willst du mich die Etikette lehren?“ rief der Graf aus. „Eine Kinderfrau ißt mit den ihr anvertrauten Kindern. Ein Tutor kann mit seinen Schülern essen. Und wenn ich die Frau, die mich pflegt, bitte, an meinem Bett mit mir zu essen, so erwarte ich, daß sie meiner Bitte nachkommt.“
„Ja, Mylord.“
„Und jetzt folgst du meinen Anweisungen. Schick mir zuerst die Haushälterin. Aber vorher will ich noch mit Batley sprechen. Du wirst ihn draußen finden.“
Giselda hob nun den Messingeimer auf und ging zur Tür, ohne sich noch einmal nach dem Grafen umzusehen. Leise schloß sie die Tür hinter sich.
Der Graf lehnte sich in die Kissen zurück. Irgendetwas Geheimnisvolles lag in der Luft. Und er liebte Geheimnisse.
Einen Augenblick später trat Batley ein.
„Ich habe diese junge Frau als meine Krankenschwester engagiert, Batley“, sagte der Graf.
„Ich hoffe, Sie werden mit ihr zufrieden sein, Mylord“, erwiderte Batley leise. Seine Stimme hatte einen beleidigten Ton, den er jedes Mal annahm, wenn der Graf ihn beschimpft hatte. Aber beide wußten, daß dies mehr oder weniger eine Spielerei war.
„Sie ist keine gewöhnliche Dienstmagd, Batley“, fuhr der Graf fort.
„Nein, Mylord, das habe ich gestern auch festgestellt, als ich ihr das erste Mal begegnete.“
„Woher kommt sie eigentlich?“
„Ich werde versuchen, das herauszufinden, Mylord. Aber ich glaube, man weiß hier wenig über sie. Außerdem haben sie alle sehr viel zu tun, da nicht genügend Personal vorhanden ist. Und wie Eure Lordschaft wissen, legt der Colonel großen Wert darauf, daß jederzeit genügend Personal in seinem Hause zur Verfügung steht.“
Der Graf wußte, daß dies so war.
Colonel Berkeley, der sein Gastgeber war und dem German Cottage gehörte, war bekannt für seine Vorliebe für Perfektion. Alles mußte wie am Schnürchen klappen, ansonsten pflegte der Colonel sehr wütend zu werden.
William Fitzhardinge Berkeley, der ungekrönte König von Cheltenham, war der älteste Sohn des fünften Grafen. Er hatte seinerzeit, kurz nach dem Tod seines Vaters, den Titel ,Graf‘ abgelehnt, als man ihm mitgeteilt hatte, daß seine Eltern erst nach der Geburt des dritten Sohnes geheiratet hatten.
Er wurde jedoch als Haupt der Familie anerkannt und galt als der Herrscher von Berkeley Castle.
Fitz, so wurde er von seiner Familie und seinen Freunden genannt, war ein großer, gut aussehender Mann, aber er galt als ein Pedant und Autokrat, ja sogar als Tyrann, was Cheltenham betraf.
Der Kurort war sein Hobby, und er verschwendete seine Zeit und auch sein Vermögen hier, wo sein ausschweifendes Leben und auch alle seine Äußerungen, die er von sich gab, eine ständige Quelle des Tratsches waren, an dem sich sowohl die Einheimischen als auch die Kurgäste ergötzten.
Er kümmerte sich nicht um das Geschwätz. Er genoß seine Stellung in der Gesellschaft. Man bemühte sich um ihn und arrangierte Feste und Versammlungen, um ihm zu gefallen. Es gab keine Theatervorstellung und keine Party, die ohne seine Gegenwart zum Erfolg wurde.
Da er noch Junggeselle war, wurde er natürlich auch von all den vielen Müttern hofiert, die für ihre heiratsfähigen Töchter auf der Suche nach einer guten Partie waren. Jedoch hatte er noch keinerlei Bedürfnis, seine Freiheit zu opfern.
Aus diesem Grunde hatte German Cottage, wo der Graf sich zur Zeit als Gast auf hielt, bisher schon viele wunderschöne und attraktive Besucherinnen beherbergt, von denen man wußte, daß sie eine sehr intime Beziehung zum Grafen hatten. Den Ring des Colonels hatte bisher jedoch noch keine von ihnen getragen.
Der Graf hatte den Colonel während einer Jagd kennengelernt. Da beide großes Interesse am Sport hatten, wurde aus der Bekanntschaft schnell eine Freundschaft.
Der Colonel hatte eine gut ausgebildete Jagdmannschaft, und er war bekannt dafür, daß er großzügig für jeden Schaden aufkam, der durch seine Jäger auf den Feldern angerichtet wurde.
Im Augenblick war der Colonel noch im Schloß, jedoch würde er in spätestens zwanzig Minuten hier sein.
Der Graf genoß den Luxus, den man ihm hier in German Cottage bot. Selbst das erste Hotel im Ort hätte ihm einen solchen Service nicht bieten können. Trotzdem verspürte er keinerlei Gewissensbisse bei dem Gedanken, daß er dem Colonel jetzt einen Dienstboten ausspannen wollte.
Er berichtete der Haushälterin von seinen Plänen. Da sie selbstverständlich daran gewöhnt war, die Anordnungen ihres Herrn und auch der Gäste widerspruchslos hinzunehmen, sagte sie nichts, sondern knickste nur und murmelte etwas davon, daß es zwar schwierig sein würde, Ersatz für Giselda zu finden, aber sie wolle ihr Möglichstes tun.
„Warum schwierig?“ fragte der Graf.
„Die Mädchen sind durchaus nicht alle gewillt, in German Cottage zu arbeiten oder auf dem Schloß“, erwiderte Mrs. Kingdom.
Der Graf erinnerte sich, daß man ihm eines Tages von den vielen unehelichen Kindern des Colonels berichtet hatte. Im Umkreis von zehn Meilen sollen es nach den Berichten mehr als dreißig sein.
Er nahm an, daß Giselda von dem Ruf ihres Arbeitgebers bisher wohl noch nichts gehört hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, daß sie ansonsten hier Arbeit angenommen hätte.
„Was wissen Sie von dem Mädchen?“ fragte der Graf sie.
„Nicht viel, Mylord. Sie machte aber einen guten Eindruck. Und ich glaube, sie hat etwas mehr Niveau als die übrigen Mädchen hier.“
„Auf jeden Fall sieht sie nicht so aus, als wäre sie an solch schwere Arbeit gewöhnt, mit der Sie sie beauftragt haben.“
In wenigen Worten gab die Haushälterin dem Grafen zu verstehen, daß eine Hausmagd entweder in der Lage sein muß, alle Arbeiten zu verrichten, oder aber man kündigt ihr am besten gleich wieder. Der Graf jedoch bemerkte lediglich: „Giselda wird in meine Dienste eintreten, und ich werde sie auch bezahlen. Da sie nicht im Hause schläft, wird sie einen Raum benötigen, in dem sie sich umkleiden kann, sofern sie es wünscht.“
„Ich werde dafür sorgen“, sagte Mrs. Kingdom und knickste höflich, bevor sie das Zimmer verließ.
„Das Essen, Batley!“ rief der Graf. „Wo bleibt das verdammte Essen, das ich bestellt habe!“
„Sehr wohl, Mylord, es wird in einigen Minuten serviert werden. Es ist sehr ungewöhnlich, daß Ihre Lordschaft so zeitig speisen wollen“, erwiderte Batley.
„Ich kann essen, wann ich will“, erklärte der Graf scharf. „Und ich will eine gute Flasche Bordeaux dazu.“
„Sehr wohl, Mylord!“
Der Graf beobachtete, wie die Diener den Tisch hereinbrachten, ihn neben das Bett stellten und dann die Platten mit dem kalten Fleisch hinstellten. Der Anblick würde jedem Feinschmecker das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen.
Der Graf hatte sich bei der Auswahl der Speisen große Mühe gegeben. Er hatte festgestellt, daß er mit Spannung darauf wartete, Giselda diese Delikatessen essen zu sehen.
Wie oft hatte er sich in Portugal gewünscht, Speisen unter die hungernden Kinder und Frauen zu verteilen.
Aber da selbst die Truppen oft hungern mußten, war nichts übrig, um es zu verschenken.
Niemals hatte er geglaubt, auch in England dem Hunger zu begegnen. Im Vergleich zu anderen Ländern war England ein Land, in dem Milch und Honig flossen.
Giselda hatte sich sehr verändert, als sie zurückkam. Sie trug ein einfaches blaues Kleid. Dem Grafen fiel auf, daß es ein sehr altmodisches Modell war. Aber keinesfalls war es ein Kleid, das gewöhnliche Dienstboten sonst trugen.
Ein kleiner weißer Kragen umrahmte Giseldas Gesicht. Der Kragen wurde durch blaue Samtbänder zusammengehalten und verdeckte so ihre hervorstehenden Knochen. Ihre eingefallenen Wangen und die scharfen Kinnknochen jedoch konnte nichts verbergen.
Sie trug jetzt keine Haube mehr, und der Graf konnte ihr blondes Haar sehen, das sie von der Stirn aus nach hinten gekämmt hatte. Sie hatte eine schöne ovale Stirn. Jedoch schien ihr Haar ohne Spannkraft zu sein. Der Graf nahm an, daß dies der mangelhaften Ernährung zuzuschreiben war.
Sie hatte nur einen kurzen Blick auf den reich gedeckten Tisch geworfen. Jetzt stand sie in der Tür und sah den Grafen an.
„Ich warte darauf, daß du dich zu mir setzt“, sagte er. „Und ich glaube, daß es unter den gegebenen Umständen das Beste ist, wenn sich jeder selbst bedient. Oder aber du kümmerst dich auch um mich.“
„Ja, Mylord.“
„Ich hätte gern ein Glas Rotwein. Ich hoffe, du leistest mir Gesellschaft dabei.“
Giselda nahm die Karaffe und füllte das Glas des Grafen. Dann sah sie das zweite Glas an und zögerte.
„Es wird dir guttun“, meinte der Graf.
„Ich glaube, es ... wäre unklug, Mylord.“
„Warum?“
Kaum hatte er diese Frage geäußert, wurde ihm gleichzeitig bewußt, wie dumm sie war. Schnell fügte er darum hinzu: „Wann hast du das letzte Mal gegessen?“
„Bevor ich gestern abend hier fortgegangen bin.“
„Hast du reichlich gegessen?“
„Ich dachte zuerst, daß ich großen Hunger hätte. Dann aber war es, als könnte ich nicht schlucken.“
Der Graf wußte, daß dies ein typisches Zeichen von mangelnder Ernährung war.
„Ich nehme an, daß du die Reste mitgenommen hast?“
„Das ... konnte ich nicht.“
„Hat man es dir nicht erlaubt?“
„Ich habe den Küchenchef gebeten, mir das halbe Huhn mitzugeben, das von Ihrem Abendessen übrig war. Er wollte es gerade in die Mülltonne werfen.“ Sie unterbrach sich einen Augenblick, um dann fortzufahren. „Er hat mir gar keine Antwort gegeben. Die Reste von dem Huhn hat er den Hunden hingeworfen. Die waren aber schon so sattgegessen, daß sie es gar nicht anrührten.“
Ihre Stimme verriet keinerlei Gefühle, während sie die Geschichte erzählte.
„Setz dich!“ befahl der Graf ihr. „Ich möchte sehen, wie es dir schmeckt. Und bevor wir beginnen, möchte ich klarstellen, daß du alles mitnehmen kannst, was übrig bleibt.“
Er sah, wie Giselda sich versteifte. Dann sagte sie: „Sie beschämen mich, Mylord. Ich hatte nicht betteln wollen, als ich Ihnen diese Geschichte erzählte.“
„Ich hatte schon daran gedacht, bevor du mir alles erzählt hast“, beschwichtigte sie der Graf. „Und nun, mein Kind, iß und hör endlich auf, dich um jede Kleinigkeit mit mir zu streiten. Es gibt nichts, was mich mehr aufregt, als wenn jemand über jeden Vorschlag, den ich mache, argumentieren muß.“
Als Giselda sich setzte, huschte ein ganz kleines Lächeln über ihre Lippen.
„Es tut mir leid... Mylord... ich bin Ihnen sehr dankbar.“ „Dann zeig es auch, indem du endlich etwas von den Speisen in dich hineinstopfst.“
Sie mußte wieder lächeln.
Sie nahm sich ein Stück von der Zunge und wartete dann, daß der Graf sich mit den verschiedenen Saucen bediente.
Wenn der Graf sich darauf gefreut hatte, zu beobachten, wie ein hungriger Mensch sich für Wochen der Entbehrung entschädigen würde und mit großem Appetit große Mengen verschlingen würde, so wurde er jetzt stark enttäuscht.
Giselda aß sehr langsam und wählte alles sehr sorgfältig aus. Lange bevor der Graf gesättigt war, konnte sie schon nichts mehr essen.
Der Graf überredete sie zu einem Gläschen Rotwein, von dem sie jedoch nur einige wenige Schlucke zu sich nahm.
„Ich bin es aber nicht gewohnt, Wein zu trinken“, sagte sie entschuldigend. „Aber jetzt, mit dem vielen Geld, das ich verdienen werde, wird es uns sicher sehr viel besser gehen.“
„Nun, sehr weit wird es auch nicht reichen“, erwiderte der Graf. „Man hat mir erzählt, daß die Preise doch erheblich gestiegen sind.“
„Das ist wahr, aber wir werden schon ... auskommen.“
„Hast du schon immer in Cheltenham gelebt?“
„Nein.“
„Wo hast du denn vorher gelebt?“
„In einer kleinen Ortschaft in ... Worcestershire.“
„Und warum seid ihr hier hergekommen?“
Einen Augenblick lang herrschte Stille. Dann sagte Giselda: „Wenn Eure Lordschaft mich entschuldigen wollen, würde ich jetzt gerne nach Hause gehen, um die Salbe für Ihr Bein zu holen. Ich bin nicht sicher, ob meine Mutter genügend vorrätig hat. Sie müßte sonst noch neue anrühren, und das kostet Zeit. Ich möchte nicht, daß Sie heute Nacht ohne sind.“
Der Graf sah sie an.
„In anderen Worten, du willst meine Frage nicht beantworten.“
„Nein ... Mylord.“
„Warum nicht?“
„Ich möchte nicht, daß Eure Lordschaft mich für unverschämt halten. Aber ich betrachte mein Zuhause als meine Privatangelegenheit.“
„Warum?“
„Aus Gründen... über die ich nicht sprechen kann, Mylord.“
Als ihre Blicke sich trafen, schien es, als würde ein Kampf zwischen beider Willen stattfinden. Dann sagte der Graf in gereiztem Tonfall: „Warum zum Teufel mußt du so geheimnisvoll und rätselhaft sein? Ich interessiere mich für dich. Und der Himmel weiß, daß es nicht viel gibt, wofür ich mich im Augenblick interessieren kann, außer ständig an mein krankes Bein zu denken.“
„Es... tut mir leid, wenn ich... Eure Lordschaft ... enttäuscht habe.“
„Aber du hast trotzdem nicht die Absicht, meine Neugierde zu befriedigen?“
„Nein ... Mylord.“
Der Graf war, ob er wollte oder nicht, amüsiert. Es war fast unvorstellbar, daß diese kleine, knochige und hohlwangige Person sich ihm widersetzte, obwohl sie wissen mußte, daß er es sich in den Kopf gesetzt hatte, ihr Wohltäter zu sein.
Im Augenblick hatte er keine Lust, weiter mit ihr zu argumentieren. Daher sagte er nur: „Nun gut, wie du willst. Jetzt pack alles ein, was du willst. Und komm nicht so spät wieder, sonst muß ich annehmen, daß du mit meinem Geld über alle Berge bist.“
„Mylord sollten wissen, daß es ein Fehler ist, im Voraus zu bezahlen.“
Obwohl ihn ihre Antwort sehr überraschte, mußte er doch lächeln.
Sie packte das kalte Fleisch sorgfältig in Papier ein und nahm das Paket in beide Hände.
„Ich danke Ihnen, Mylord“, sagte sie mit weicher Stimme.
Dann, als würde sie sich ihrer Pflichten besinnen, fügte sie hinzu: „Sie sollten heute Nachmittag ruhen. Wenn möglich, sollten Sie ein wenig schlafen.“
„Ist das ein Befehl?“
„Selbstverständlich! Sie haben mich zu Ihrer Krankenpflegerin gemacht. Und in dieser Position ist es meine Pflicht, Eurer Lordschaft zu sagen, was gut für Sie ist. Auch wenn Sie es ablehnen sollten.“
„Glaubst du denn, daß ich das tun würde?“
„Ich bin der Überzeugung, daß es unmöglich ist, Sie zu zwingen, etwas zu tun, was Sie nicht wollen. Daher appelliere ich an die Vernunft Eurer Lordschaft.“
„Das ist sehr vernünftig, Giselda“, sagte der Graf. „Aber du weißt so gut wie ich, daß die Mäuse auf dem Tisch tanzen, wenn die Katze nicht daheim ist. Wenn du also wirklich um mich besorgt bist, solltest du mich nicht zu lange warten lassen.“
„Ich werde kommen, sowie ich die Salbe habe, Mylord.“
Giselda knickste graziös und verließ dann den Raum. Während der Graf ihr nachsah, leerte er sein Glas, ohne es recht zu bemerken. Er war tief in Gedanken.
Es war das erste Mal in seinem Leben, daß ihn ein anderer Mensch interessierte.
Er, ein aktiver Mann, der in den letzten zehn Jahren entweder auf dem Schlachtfeld oder auf dem Gebiet des Sportes tätig gewesen war, empfand seine Krankheit, die ihn zum Nichtstun verurteilte, als unerträglich. Er kämpfte mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft dagegen an.
Es gab keinen Grund für ihn, allein zu sein. In Cheltenham wimmelte es von Menschen, die sich seiner Stellung in der Gesellschaft bewußt waren und die ihn gerne besucht hätten oder ihn in ihren Häusern bewirten würden.
Aber es lag nicht nur am körperlichen Zustand des Grafen. Er war auch in ausgesprochen schlechter Stimmung. Sein Leben lang war er ein gesunder Mensch gewesen. Jetzt litt er stark darunter, als Invalide im Bett zu liegen.
Er hatte sich eingeredet, daß Gesellschaft ihn langweilen würde. Ganz speziell eine Gesellschaft, in der er zur Zeit nicht einmal die Freuden genießen konnte, die schöne Frauen ihm sonst bereitet hatten.
Genau wie der Duke of Wellington genoß auch er gerne die Gesellschaft attraktiver und kluger Frauen, besonders solcher, mit denen man offen und frei sprechen konnte, so wie es in der Beau Monde nicht möglich war.
Seine Liebesaffären reichten von den Sängerinnen der Drury Lane bis hin zu den Schönheiten von St. James. Es fiel den Frauen schwer, ihm irgendeinen Wunsch abzuschlagen. Er war nicht nur von sehr nobler Geburt und auch außergewöhnlich reich, er besaß auch eine undefinierbare Ausstrahlung, die auf Frauen unwiderstehlich wirkte.
Sie alle verloren nicht nur ihren Kopf sondern auch ihr Herz. Er jedoch behandelte sie mit eigenartiger Gleichgültigkeit. Wahrscheinlich lag es daran, daß der Graf ganz einfach Frauen nicht ernst nahm.
Erst vor kurzer Zeit hatte ihm eine dieser Frauen vorgeworfen: „Du behandelst mich wie ein Spielzeug. Als sei ich einzig und allein dazu da, dir Vergnügen zu bereiten.“
Sie hatte nicht ganz Unrecht damit gehabt.
Ganz anders verhielt er sich seinen Soldaten gegenüber. Die Männer verehrten ihn. Obwohl er von ihnen absoluten Gehorsam verlangte, hatte er jedoch immer Zeit, sich ihre Probleme anzuhören.
Aber Frauen langweilten ihn, es sei denn, er mußte um ihre Zuneigung kämpfen und konnte mit ihnen flirten.
Es war also seine eigene Entscheidung, daß er auf die Unterhaltungen mit Batley angewiesen war und auf den Austausch von Höflichkeiten mit Mr. Knightley, dem Aufseher des Colonel.
Und nun war, völlig unerwartet, eine Frau aufgetaucht, die das Interesse des Grafen wachgerüttelt hatte. Und ohne es zu wollen, hätte Giselda ihm keinen größeren Gefallen tun können als durch ihre geheimnisvolle und rätselhafte Ausstrahlung.
Der Graf war an Frauen gewöhnt, die ihm von sich erzählten, lange bevor er sie darum gebeten hatte. Und gerade deshalb war es nicht nur Mitleid, was er mit Giselda wegen ihrer Unterernährung empfand. Sie interessierte ihn als Mensch.
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