Kitabı oku: «Der Liebesschwur», sayfa 2

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Was konnte die Ursache dafür sein, daß ein Mädchen, das so offensichtlich aus gutem Hause kam — und ihre Ausdrucksweise und Benehmen waren ein Zeugnis davon - fast am Verhungern war? Und nicht nur sie, sondern auch ihre Mutter und ihr Bruder.

Wodurch waren sie so verarmt? Es schien ja nicht einmal Verwandte oder Freunde zu geben, die ihnen wenigstens ein Dach über dem Kopf hätten anbieten können.

Anstatt Giseldas Vorschlag, ein wenig zu schlafen, Folge zu leisten, lag der Graf wach in seinem Bett und dachte über das Mädchen nach.

,Ich wette, es wird sich als ganz gewöhnliche Geschichte herausstellen‘, dachte er bei sich. ,Karten, Frauen, Alkohol. Welchen Grund gibt es sonst, daß eine Familie nach dem Tode des Mannes in solche Armut versinkt?‘

Obwohl er über sein Interesse an dem Mädchen lachen mußte, konnte er doch nicht ableugnen, daß er außergewöhnlich neugierig war, mehr über sie zu erfahren. Er stellte fest, daß der Nachmittag entsetzlich langsam verging.

Er bemerkte sofort, daß sie sich umgezogen hatte. Sie trug jetzt ein Kleid, das zwar eleganter aber ebenso altmodisch war wie das erste.

In der einen Hand trug sie einen Korb, über den anderen Arm hatte sie einen Schal gehängt. Die kleine Mütze, die sie trug, paßte zu der Farbe ihrer Augen. Zum ersten Mal dachte der Graf, daß sie sehr hübsch sein müßte, wenn sie nicht gar so dünn wäre.

„Es tut mir leid, Mylord, daß ich so lange fort war. Aber ich habe die Zutaten für die Salbe erst kaufen müssen“, entschuldigte sie sich. „Aber ich habe sie jetzt bei mir. Ich bin sicher, Sie werden sich wohler fühlen, wenn wir das Bein damit behandelt haben.“

„Ich habe mich schon gefragt, wo du so lange bleibst.“

„Darf ich jetzt bitte Ihr Bein versorgen?“ fragte Giselda. „Wenn Sie dann nichts mehr für mich zu tun haben, könnte ich nach Hause gehen.“

„Ich erwarte, daß du mit mir zu Abend ißt!“

Einen Augenblick herrschte Stille, dann sagte Giselda leise: „Ist das wirklich nötig? Sie haben mich bereits zum Lunch eingeladen. Und da man mir in der Küche berichtet hat, daß Sie gewöhnlich nicht so viel während des Tages essen, nehme ich an, daß Sie mir einen Gefallen tun wollten.“

Obwohl sie ihm sehr dankbar war, bemerkte der Graf doch, daß sie seine Großzügigkeit ablehnte, einfach, weil sie ihren Stolz verletzte.

„Hungrig oder nicht“, sagte er, „du wirst mit mir essen. Ich bin es müde, immer allein zu speisen.“

„Darf ich Eure Lordschaft darauf hinweisen, daß Sie viele Freunde haben, die sich viel eher als passende Gesellschaft für Sie eignen?“

„Willst du schon wieder mit mir streiten?“ fragte der Graf.

„Ich fürchte, ja. Ich habe nicht angenommen, daß Eure Lordschaft meine Dienste noch zu so später Stunde benötigen.“

„Hast du eine andere Verabredung - vielleicht ein schöner junger Mann, der auf dich wartet?“

„Es ist nichts dergleichen.“

„Willst du mich wirklich glauben machen, daß du nur deshalb so eilig fortgehen willst, um zu deiner Mutter und deinem Bruder zu kommen?“

Als Giselda keine Antwort gab, sagte der Graf gereizt: „Ich habe dich etwas gefragt, ich erwarte eine Antwort!“

„Eure Lordschaft haben mich angestellt, um mich um Ihr Bein zu kümmern und Sie zu pflegen“, erwiderte Giselda nach einigen Augenblicken. „Ich bin immer noch eine Dienstmagd, Mylord.“

„Und als eine solche solltest du lernen, den Anordnungen Folge zu leisten“, war die Antwort des Grafen. „Wenn ich vielleicht so exzentrisch oder eigen bin - du magst es nennen, wie du willst - und den Wunsch habe, mit einem meiner Diener zu Abend zu essen, so sehe ich keinen Grund, warum sie sich einem solchen Befehl widersetzen sollten.“

„Ja, Mylord. Aber Sie müssen zugeben, daß dies sehr ungewöhnlich ist.“

„Woher willst du wissen, ob es für mich auch so ungewöhnlich ist“, erwiderte der Graf. „Du weißt nichts von mir, und ich weiß nichts von dir. Wir haben uns heute das erste Mal gesehen. Zweifellos wirst du vorher noch nie von mir gehört haben.“

„Selbstverständlich habe ...“ Giselda brach ganz plötzlich ab.

Der Graf sah sie scharf an.

„Sprich diesen Satz zu Ende!“

Aber Giselda antwortete nicht.

„Du wolltest sagen, daß du selbstverständlich schon von mir gehört hast. Aber wie sollte das möglich sein?“

Wieder herrschte für einige Augenblicke Stille. Dann sagte Giselda, und es klang, als würden die Worte schwer über ihre Lippen kommen: „Sie ... sind sehr ... berühmt. Ich glaube, jedermann hat schon von Ihnen gehört. Genauso wie jeder schon ... vom Duke of Wellington gehört hat.“

Der Graf wußte wohl, daß dies keine ehrliche Antwort war, jedoch wollte er nicht weiter in sie dringen. Er sagte deshalb lediglich: „Nun gut, ich gebe zu, daß ich bekannt bin. Aber das ist doch kein Grund, daß du dich weigerst, mit mir zu Abend zu essen.“

Giselda stellte den Korb auf den Tisch.

„Was ich sagen will, Mylord, ist lediglich, daß ich es als Ihre Angestellte unpassend finde, eine besondere Stellung in Anspruch zu nehmen.“

„Und du glaubst, daß ich dir eine solche anbiete?“

„Nein, nicht direkt, Mylord,... aber ...“

„Ich möchte eines klarstellen“, sagte der Graf daraufhin. „Ich fühle mich nicht an allerhand Regeln der Konvention gebunden, die vielleicht in vielen Häusern gelten, aber bestimmt nicht in diesem. Wenn ich wünsche, mein Dinner in Gesellschaft eines der Küchenmädchen einzunehmen, sehe ich keinen Grund, warum diese sich weigern sollte heraufzukommen. Obwohl ich glaube, daß sie genauso wenig Vergnügen daran findet wie ich.“

Er sah Giselda ins Gesicht und fuhr fort: „Und was dich betrifft, so bist du eingestellt worden, um dich um mich zu kümmern. Sei es nun, daß mein Bein verbunden werden muß oder daß ich Gesellschaft benötige bei den unangenehmen Mahlzeiten, die ich unglücklicherweise im Bett zu mir nehmen muß.“ Seine Stimme klang hart und streng, als er fortfuhr: „Es ist einzig und allein meine eigene Entscheidung, was ich tun will oder was nicht. Und ich sehe keinen Grund, warum sich irgendeiner meiner Angestellten, ob Mann oder Frau, meinen Wünschen widersetzen sollte.“

Diese Art zu sprechen war bei denen, die schon länger in den Diensten des Grafen standen, wohl bekannt. Und Giselda kapitulierte genau wie diese es getan hätten.

Sie knickste.

„Sehr wohl, Mylord. Wenn Sie gestatten, werde ich meinen Hut ablegen und etwas heißes Wasser herrichten, damit ich mich Ihrem Bein widmen kann.“

„Je schneller, desto besser“, war die trockene Antwort.

Giselda verließ das Zimmer. Als er allein war, lächelte der Graf in sich hinein.

Er hatte die richtige Art gefunden, sie zu behandeln. Eine Art, der sie sich schwer widersetzen konnte. Mit einer gewissen Befriedigung sagte er sich, daß er zwar nicht Sieger in einer großen Schlacht war, jedoch ein kleines Scharmützel gewonnen hatte.

Giselda kam mit dem heißen Wasser zurück.

Zwar verspürte er wieder einige Schmerzen, als der Verband entfernt wurde. Aber Giseldas Hände waren zart, sie ging sehr vorsichtig vor. Auch hatte sie keinerlei Hemmungen, ihn als Mann zu behandeln. Gewöhnlich gab es keine weiblichen Krankenpfleger. Und schon oft hatte der Graf gedacht, daß die Verwundeten, die in die Kloster geschafft wurden, zu beneiden waren im Gegensatz zu denen, die von den rauhen Militär-Pflegern behandelt wurden.

„Wo hast du so viel Erfahrung gesammelt?“ fragte er das Mädchen.

„Ich habe viele Wunden verbinden müssen“, antwortete Giselda.

„In deiner Familie?“

Sie antwortete nicht, sondern zog das Laken über sein Bein. Dann schüttelte sie die Kissen auf.

Sie lächelte ihn eigenartig an und sagte dann: „Ich glaube, Mylord, wir sollten über interessantere Dinge sprechen. Ist Ihnen bekannt, daß der Duke of Wellington herkommen wird, um die neuen Festsäle zu eröffnen?“

„Der Duke!“ rief der Graf aus. „Wer hat dir das erzählt?“

„Die ganze Stadt spricht davon. Er war selbstverständlich schon vorher hier, jedoch nicht seit Waterloo. Die ganze Stadt wird ihm zu Ehren erleuchtet sein, und auf der Hauptstraße wird ein großer Triumphbogen für ihn errichtet werden.“

„Ich habe schon viele Triumphbögen gesehen“, sagte der Graf. „Aber ich würde gerne den Duke sehen.“

„Er wird in Colonel Riddells Haus wohnen. Das ist nicht weit von hier.“

„Dann wird er sicher hier auftauchen, um mich zu sehen“, sagte der Graf erfreut. „Ich nehme an, daß du auch gerne einmal den großen Helden treffen möchtest.“

Giselda wandte sich ab.

„Nein“, antwortete sie. „Ich habe nicht den Wunsch ... den Duke zu sehen.“

Erstaunt sah der Graf sie an.

„Nicht den Wunsch, den Duke zu sehen!“ wiederholte er ihre Worte. „Ich habe immer geglaubt, daß jede Frau in England Nacht für Nacht auf den Knien beten würde, daß sie dem Held ihrer Träume eines Tages gegenüberstehen dürfe. Warum machst du eine Ausnahme?“

Giselda antwortete nicht.

„Ich bin sicher, daß du auf eine einfache Frage eine einfache Antwort geben kannst.“ Die Stimme des Grafen klang erregt. „Ich frage dich, Giselda, warum willst du den Duke nicht sehen?“

„Soll ich sagen... daß ich meine Gründe dafür habe?“ antwortete Giselda.

„Eine so verdammt alberne Antwort habe ich noch nie in meinem Leben gehört“, schnaubte der Graf wütend. „Darf ich dich darauf aufmerksam machen, Giselda, daß es meiner Gesundheit absolut abträglich ist, wie ein dummes Kind behandelt zu werden, das die Wahrheit nicht vertragen kann. Was ist die Wahrheit, Giselda?“

„Ich glaube, das Dinner wird in einigen Minuten serviert werden, Mylord. Ich möchte gerne in mein Zimmer gehen und mir die Hände waschen, nachdem ich Ihr Bein behandelt habe.“

Bevor der Graf antworten konnte, hatte Giselda das Zimmer verlassen.

Zuerst sah er ihr einige Minuten wütend nach, dann jedoch mußte er lachen.

„Was ist denn nur ihr Geheimnis?“ fragte er laut. Dann öffnete sich die Tür, sein Kammerdiener trat ein.

„Hast du Neuigkeiten für mich, Batley?“

„Ich fürchte nicht, Mylord“, antwortete dieser. „Ich hatte eine kleine Unterhaltung mit der Haushälterin. Aber wie sie Ihnen schon berichtet hat, hat sie die junge Dame ohne jede Referenz eingestellt.“

Es entging dem Grafen nicht, daß Batley, der für seine gute Menschenkenntnis bekannt war, von Giselda als einer Dame sprach. Er kannte den Unterschied in Batleys Stimme, wenn er von einer Person oder einen jungen Frau sprach.

Aber das bestätigte nur seinen eigenen Eindruck. Es war auch interessant, daß Batley nichts dagegen zu haben schien, daß Giselda jetzt einen Teil seiner Pflichten übernommen hatte. Gewöhnlich war Batley sehr eifersüchtig, wenn irgendjemand sich zwischen ihn und seinen Herrn zu drängen schien. Umso erstaunlicher war es, daß Giselda ohne Widerstand akzeptiert wurde.

„Du mußt versuchen, etwas über sie zu erfahren, Batley“, sagte der Graf zu ihm. Und mit einem Zwinkern in den Augen fügte er hinzu: „Es sieht uns gar nicht ähnlich, daß wir irgendetwas nicht herausfinden sollten, was uns interessiert.“

Er erinnerte den Diener an ihre gemeinsame Zeit in Portugal, wo sie durch Betören der Frauen erfahren hatten, wo die Kaufleute den Wein versteckt hatten. Aber der Diener winkte ab und meinte, dies sei nicht zu vergleichen mit der jetzigen Situation.

Der Graf wußte, daß er sich auf Batley jederzeit verlassen konnte. Er hatte ihn schon immer gut beraten, wenn es galt, Menschen richtig einzuschätzen. Deshalb fragte er jetzt: „Was hältst du von unserer neuen Errungenschaft, Batley?“

„Wenn Sie von Miss Chart sprechen, Mylord“, erwiderte der Diener, „dann muß ich sagen, daß sie eine Lady ist. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Aber da ist irgendetwas, was sie verbirgt, Mylord, und das macht ihr große Sorgen. Ich verstehe jedoch nicht, warum.“

„Und gerade das müssen wir in Erfahrung bringen, Batley“, erwiderte der Graf.

Während er dies sagte, dachte er gleichzeitig, daß er sich auf das Essen mit Giselda freute, so sehr diese auch ihre Ablehnung gezeigt hatte.

2

„Wohin gehst du?“

Giselda drehte sich um. Sie trug einen großen Stapel Bücher unter dem Arm und hatte gerade einige Briefe vom Schreibtisch des Grafen genommen.

„Ich gehe zum Postamt und werde versuchen, den Postmeister davon zu überzeugen, daß Ihre Briefe außerordentlich dringend sind. Jeder in der Stadt beschwert sich über die Faulheit des Mannes. Ich bin mir noch nicht im Klaren, ob ich versuchen soll, ihn mit Schmeicheleien zu überzeugen oder ob es besser ist, ein ernstes Wort mit ihm zu reden.“

Der Graf lächelte.

„Ich kann mir vorstellen, daß Schmeicheleien in deinem Fall wirksamer sind.“

„Bei dieser Art von Männern weiß man das nie so genau“, entgegnete Giselda.

Der Graf sah auf den Stapel Bücher in ihrem Arm und fragte: „Und die Bücher bringst du in die Bücherei zurück?“

„Ja, Mylord. Ich werde versuchen, einige Bücher zu finden, die Ihre Lordschaft ein wenig aufmuntern. Sie sind sehr kritisch, Mylord, und obwohl Williams Bücherei die beste im ganzen Land ist, kann ich nur sehr wenig finden, das auch Ihnen gefällt.“

Der Graf gab keine Antwort, denn er liebte es in der Tat, die Literatur zu kritisieren, die Giselda ihm vorlas. Jedoch aus dem Grunde, weil er gerne ihre Meinung über die verschiedenen Themen hörte, über die sie dann diskutierten.

Immer wieder erstaunte es ihn, wie fundiert Giseldas Ansichten waren, und wie gut sie sie durch Zitate aus anderen Büchern, die sie gelesen hatte, belegen konnte.

Nachts, wenn der Graf allein in seinem Bett lag, pflegte er über diese oft heftigen Diskussionen nachzudenken. Erstaunt hatte er feststellen müssen, daß Giselda oftmals besser informiert war als er selbst.

Als er sie jetzt betrachtete, stellte er fest, daß sie nicht mehr ganz so dünn war, wie er sie kennengelernt hatte. Die zwei kräftigen Mahlzeiten, die sie jetzt täglich mit ihm zusammen einnahm, hatten ihre Wirkung nicht verfehlt.

Er hatte eigentlich vorgehabt, mehr als nötig aufzutischen, damit Giselda die Reste mit nach Hause nehmen konnte und dadurch die ganze Familie ernähren konnte. Aber er war auch hier an ihrem ‚verdammten Stolz‘, wie er es nannte, gescheitert.

Sie hatte seine Absicht sofort durchschaut, als er wie beiläufig sagte: „Du solltest die übrigen Speisen einpacken und mitnehmen.“

Giselda hatte das Hähnchen angeschaut und erwidert: „Ich habe den Verdacht, daß Eure Lordschaft mehr bestellt haben, als notwendig war. Und die Speisen, die nicht angerührt worden sind, können durchaus noch verwertet werden.“

„Willst du damit sagen, daß du nicht einmal das Essen für deine Familie annehmen willst, das diese bitter benötigt?“

„Mylord, wir mögen zwar arm sein, aber wir haben unseren Stolz.“

„Die Armen können es sich aber nicht leisten, stolz zu sein“, hatte der Graf beißend erwidert.

„Würde man auf dieser Stufe anlangen“, hatte Giselda gekontert, „hieße das, daß man seinen Charakter und seine Persönlichkeit verloren hat und sich nicht mehr viel von den Tieren unterscheiden würde.“

Nach einer kleinen Pause fügte sie ein wenig trotzig hinzu: „Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie an mich denken, Mylord, aber ich werde Ihre Almosen nicht annehmen.“

Der Graf stieß einen ungeduldigen Seufzer aus, um dann dem Huhn ein Bein auszureißen.

„Ist es so annehmbar?“ fragte er.

Es dauerte eine Weile, bevor Giselda antwortete: „Da ich weiß, daß der Küchenchef es entweder wegwerfen oder es den Hunden geben wird, werde ich es mitnehmen. Aber das nächste Mal, Mylord, bin ich gezwungen, es abzulehnen.“

„Du bist die dümmste, idiotischste Frau, die mir je begegnet ist, du gehst mir auf die Nerven!“ rief der Graf erzürnt aus.

Ohne ihm darauf zu antworten, packte sie das Hähnchen in ihren Korb.

Mit der Zeit hatte der Graf gelernt, daß Giselda sehr vorsichtig zu behandeln war. Ihr Stolz war so ausgeprägt, daß auch er ihn nicht überwinden konnte.

Aber viel mehr ärgerte es ihn, daß es ihm bisher nicht möglich gewesen war, mehr über sie zu erfahren.

Eines jedoch war nicht abzuleugnen. Unter ihrer Pflege war sein Bein schneller und besser geheilt, als selbst Mr. Newell, der Chirurg, es zu hoffen gewagt hatte.

Als Giselda ihn jetzt bat, während ihrer Abwesenheit zu ruhen, murrte er: „Ich habe es satt, mich von dir und diesem Doktor herumkommandieren zu lassen.“

Gleichzeitig wußte er jedoch, daß der Arzt Recht hatte, als er ihm sagte: „Euer Lordschaft können sehr dankbar dafür sein, daß alles so gut verlaufen ist. Ich möchte offen zu Ihnen sein. Als ich feststellen mußte, wie viel Splitter man in dem Bein gelassen hatte und wie entzündet es war, habe ich befürchtet, daß Sie Ihr Bein verlieren werden. Aber es geschehen noch immer Wunder, dies bewahrheitet sich in Ihrem Fall!“

Auf seine Frage, wann er denn aufstehen dürfte, hatte der Chirurg geantwortet: „Auf keinen Fall vor einer Woche. Das Gewicht Ihres Körpers könnte dazu führen, daß die Wunden wieder aufplatzen und sich entzünden. Ein wenig Geduld ist schon noch notwendig.“

„Eine Tugend, die ich leider noch nie besessen habe“, hatte der Graf bemerkt.

„Dann werden Eure Lordschaft sie erlernen müssen“, war die Antwort.

Dann hatte er sich an Giselda gewandt.

„Sollten Sie jemals Arbeit suchen, Miss Chart, bei mir warten über hundert Patienten auf Sie.“

„Das klingt, als seien sie sehr beschäftigt“, sagte der Graf.

Nicht ohne Stolz bemerkte Thomas Newell: „Ich habe bereits Voranmeldungen bis Ende nächster Woche. Und es handelt sich nicht etwa ausschließlich um Kriegsveteranen, wie Eure Lordschaft. Es gibt Leute, die sogar von Schottland, ja sogar vom Festland herkommen. Ich frage mich manchmal, wie ich es schaffen soll, sie alle zu behandeln.“

„So hat halt jede Sache auch ihre unangenehme Seite“, sagte der Graf lächelnd. „Selbst ein guter Ruf.“

„Das haben Eure Lordschaft sicher auch schon selbst festgestellt“, war die Antwort von Thomas Newell, bevor er den Raum verließ.

Giselda ermahnte den Grafen nochmals, sich nicht zu viel zu bewegen. Dann sagte sie: „Meine Mutter hat noch etwas neue Salbe angerührt. Ich sollte auf dem Rückweg vorbeigehen und sie mitbringen.“

„Ich schulde dir noch das Geld für das letzte Mal“, fiel dem Grafen ein. „Wie viel macht es denn aus?“

„Ein Schilling und dreieinhalb Penny“, erwiderte Giselda.

„Ich nehme an, du weigerst dich, ein Vierpenny-Stück anzunehmen. Aber leider habe ich es nicht kleiner.“

„Ich kann Ihnen herausgeben“, konterte Giselda mit einem Zwinkern in den Augen.

Sie wußte sehr wohl, daß er sie neckte, halb spaßhaft, halb ernst, da sie sich strikt weigerte, Geld von ihm anzunehmen.

„Du bringst mich auf die Palme!“ sagte er, als sie zur Tür ging.

„Dann haben Euer Lordschaft etwas, worüber Sie nachdenken können, solange ich fort bin“, antwortete Giselda. „Batley ist in der Nähe. Sie brauchen nur zu läuten, wenn Sie irgendetwas benötigen, Mylord.“

Dann war sie fort. Der Graf lehnte sich in die Kissen zurück und dachte zum hundertsten Mal darüber nach, wer sie wohl sein möge und woher sie wohl käme.

Noch nie zuvor war er einer Frau begegnet, die fast noch ein Kind war - Giselda hatte ihm neulich verraten, daß sie gerade neunzehn geworden war - und trotzdem schon ein solches Selbstbewußtsein hatte. Gleichzeitig jedoch war sie schüchtern und zurückhaltend.

Niemals drängte sie sich ihm auf. Wenn er nicht mit ihr sprach, saß sie ruhig in der Ecke und las, ohne jemals zu versuchen, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Er war an Frauen gewöhnt, die mit allen weiblichen Mitteln versuchten, ihn für sich zu interessieren. Sie sahen ihn mit einladenden Blicken herausfordernd an und waren lediglich daran interessiert, ihn zu verführen.

Ganz anders Giselda. Ihr Benehmen ihm gegenüber war frei- wie das einer Schwester zu ihrem Bruder oder ihrem Vater - dieser Gedanke erschien ihm jedoch nicht sehr angenehm.

„Ich werde schon noch herausfinden, was ihr Geheimnis ist. Und wenn es das letzte ist, was ich tun werde!“ schwor der Graf sich.

„Bist du wach?“ ertönte eine tiefe Stimme von der Tür her.

Der Graf drehte sich zu dem Eindringling um: „Fitz!“ rief er. „Komm herein! Wie schön, dich zu sehen!“

„Na, das hoffe ich“, sagte Colonel Berkeley, während er näher kam.

Er war ein großer, kräftiger Mann, und der Graf, der vom Bett zu ihm hinaufschauen mußte, rief aus: „Du siehst verdammt gut und gesund aus, Fitz! Was machen deine Pferde?“

Der Colonel berichtete ihm von seinen neuen Errungenschaften im Gestüt. Dann erkundigte er sich nach dem Befinden seines Gastes.

„Ja, es geht mir schon viel besser“, erwiderte dieser. „Thomas Newell ist wirklich ein guter Mann.“

„Das habe ich dir ja gesagt.“

„Du hattest vollkommen recht, und ich bin dir dankbar für den Rat, nach Cheltenham zu kommen.“

„Das wollte ich von dir hören“, lächelte der Colonel. „Habe ich dir nicht gesagt, daß Cheltenham eine einzigartige Stadt ist?“

Der Stolz in seiner Stimme war nicht zu überhören, und der Graf mußte lächeln.

„Wann wirst du es in ,Berkeleyville‘ umbenennen?“ fragte er. „Eigentlich wäre das der richtige Name für diese Stadt.“

„Ich habe wirklich auch schon daran gedacht. Aber da Cheltenham angelsächsischen Ursprungs ist, wäre es vielleicht nicht angebracht, den Namen zu ändern“, erwiderte der Colonel.

Dann berichtete er dem Grafen von den Vorbereitungen für den Besuch des Duke of Wellington, mit denen die ganze Stadt beschäftigt war. Und er berichtete ihm von seiner neuen Eroberung.

„Ich habe die faszinierendste Frau gefunden, die mir jemals zuvor begegnet ist“, schwärmte er, während er sich auf den Bettrand setzte.

„Schon wieder eine neue?“ fragte der Graf. „Wer ist es denn diesmal?“

„Sie heißt Maria Foote“, antwortete der Colonel. „Sie ist Schauspielerin. Ich habe sie im letzten Jahr kennengelernt, als ich in einem Stück mit ihr zusammenspielte. Zuerst erschien es schwierig, sie zu erobern. Aber jetzt wohnt sie in einem meiner Häuser am Rande der Stadt.“

Als er das Erstaunen des Grafen bemerkte, fügte er hinzu: „Maria und ich sind sehr glücklich. Sie ist wunderbar, Talbot, und wunderschön. Du mußt sie unbedingt kennenlernen.“

Der Colonel erzählte dem Grafen von einem neuen Theaterstück, in dem er selbst mitspielte: „Du wirst dich bestimmt amüsieren. Ein junger Autor hat es geschrieben. Er ist sehr talentiert, und ich bin überzeugt davon, daß er eine große Zukunft vor sich hat.“

Der Graf wußte, daß der Colonel es liebte, neben vielen anderen Dingen auch Theater zu spielen. Er hatte eine eigene Amateurgruppe, mit der er jeden Monat ein Stück im Royal Theater aufführte. Das Publikum, das immer zahlreich erschien, kam jedoch nicht nur aus Interesse an dem Drama. Sie alle kamen, um den Colonel zu sehen, dessen wilder und lasterhafter Lebenswandel sie faszinierte.

Schauspieler wurden seit jeher als ein lasterhaftes Völkchen betrachtet. Die Tatsache, daß der Colonel sich in ihrer Gesellschaft befand, verstärkte diesen Ruf jedoch nur.

„Ich werde sehr gerne kommen, sobald ich wieder laufen kann“, versprach der Graf. „Wie heißt das Stück?“

„ ‚Der demaskierte Schurke‘“, erzählte der Colonel. „Klingt das dramatisch genug für dich?“

„Und du bist der Held?“

„Selbstverständlich nicht. Ich bin der Schurke. Welche andere Rolle könnte ich denn in einem Stück spielen, in dem es darum geht, ein unschuldiges Mädchen zu verführen!“

Der Graf mußte lauthals lachen.

„Fitz! Du bist unverbesserlich! Als ob die Leute nicht schon genug über dich klatschen.“

„Ich hab es gern, wenn man über mich redet“, sagte Colonel Berkeley. „Deshalb kommen sie ja nach Cheltenham und lassen ihr Geld hier. Die Stadt wird langsam viel zu klein. Ich bin sowieso der Meinung, daß wir neue Häuser, öffentliche Gebäude und größere Straßen bauen sollten.“

Bauen war ein weiteres Hobby des Colonel. Er erzählte dem Grafen von seinen Plänen, Cheltenham zur ‚Königin der Kurorte‘ zu machen.

Dann jedoch, wie unvermeidlich, dachte der Graf, kam der Colonel wieder auf das Thema Frauen zu sprechen. Plötzlich sagte er: „Gerade als ich ankam, hat ein sehr attraktives Mädchen das Haus verlassen. Ich habe mich beim Butler nach ihr erkundigt und wurde informiert, daß sie deine Krankenschwester sei.“

Der Graf antwortete nicht, und der Colonel drang mit unverhohlenem Interesse in ihn: „Na komm schon, Talbot, du alter Fuchs! Seit wann hast du eine weibliche Pflegerin? Oder ist das nur die höfliche Bezeichnung dafür?“

„Nein, es entspricht durchaus den Tatsachen“, erwiderte der Graf. „Batley hat sich sicher große Mühe gegeben, aber er hat so ungeschickte Hände. Giselda hat große Erfahrungen im Verbinden. Sogar Mr. Newell hat sie gelobt.“

„Und wofür ist sie noch gut?“

Der Graf schüttelte den Kopf.

„Nichts, woran du denkst. Sie ist eine Dame, obwohl ich weiß, daß ihre Familie nicht gerade in einer rosigen Situation ist. Es geht ihnen im Gegenteil sehr schlecht.“

„Ich hatte den Eindruck, daß sie sehr attraktiv ist, obwohl ich nur einen flüchtigen Blick auf sie werfen konnte.“

„Hände weg von ihr, Fitz!“ sagte der Graf bestimmt.

„Natürlich - sie gehört ja dir“, beruhigte der Colonel ihn. „Aber ich muß zugeben, daß ich sehr überrascht bin. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, daß du mir eines Tages sagtest, einer deiner Grundsätze wäre, dich niemals mit deinen Angestellten zu vergnügen.“

„Das trifft auch immer noch zu“, erwiderte der Graf. „Und ich empfehle dir nicht, dich mit meinen Dienstboten zu amüsieren.“

„Ist das eine Herausforderung?“

„Du kannst es ja versuchen“, antwortete der Graf. „Ich werde dich zum Krüppel schlagen. Aber du weißt ja ebenso wie ich, Fitz, daß wir es beide miteinander aufnehmen können ...“

Er unterbrach sich und mußte lachen.

„Jetzt werden wir aber wirklich zu ernsthaft, was dieses Thema betrifft. Aber bitte, laß Giselda in Ruhe. Sie hat noch niemals jemanden wie dich kennengelernt. Ich möchte nicht, daß sie verdorben wird.“

Er wußte sehr wohl, wie schwer es dem Colonel fiel, an einem schönen Gesicht vorüberzugehen, egal wo es ihm begegnete.

Aber er wußte auch, daß Giselda solange in Sicherheit war, wie sie unter seinem Schutz stand, da der Colonel und er langjährige gute Freunde waren.

Bis zu diesem Augenblick hatte der Graf in Giselda niemals die begehrenswerte Frau gesehen. Nie war ihm der Gedanke gekommen, sie in die Kategorie von Frauen einzuordnen, denen der Colonel nachzujagen pflegte.

Doch er mußte sich eingestehen, daß Giselda eine sehr attraktive Figur besaß, obwohl sie noch immer recht dünn war. Sie bewegte sich mit außerordentlicher Grazie. Und ihre großen blauen Augen in dem schmalen, blassen Gesicht waren von eigenartiger Schönheit.

Sie war so grundverschieden von all den Frauen, die er bisher gekannt hatte, daß er niemals derartige Gedanken ihr gegenüber hatte.

Jedoch mußte er zugeben, daß die Bemerkung des Colonel verursacht hatte, daß er Giselda jetzt mit anderen Augen sah.

Es war das erste Mal, daß er sich Gedanken darüber machte, ob es wohl recht war, sie alleine durch die Stadt laufen zu lassen.

Obwohl man sich in Cheltenham im allgemeinen sehr frei benahm und auf Konventionen wenig Wert legte, war er eigentlich doch der Meinung, daß ein Mädchen in Giseldas Alter nicht ohne Begleitung sein sollte.

Dann jedoch sagte er sich, daß dies unsinnig sei.

Schließlich war Giselda immer noch nur eine Dienstbotin. Er bezahlte sie, wie er alle seine Bediensteten in Lynd Park, seinem Landsitz in Oxfordshire, bezahlte.

Er fragte sich, ob Giselda wohl mit ihm gehen würde, wenn er wieder gesund war. Aber er war sich so gut wie sicher, daß sie ein solches Angebot ablehnen würde.

Wieder wurde er unwillig bei dem Gedanken, wie wenig er über sie wußte. Wie kam es, daß ihre Familie so arm war? Und warum weigerte sie sich so beharrlich, über ihre Mutter und ihren Bruder zu sprechen?

„Es ist so unnatürlich“, sagte er sich und nahm sich zum wiederholten Mal vor, sie zum Sprechen zu bringen.

Nach einer Stunde kehrte Giselda wieder zurück. Der Graf mußte sich eingestehen, daß er wider seinen Willen ständig auf die Uhr gesehen hatte.

„Du bist entsetzlich lange fort gewesen“, grollte er, als sie ins Zimmer kam.

„Alle Geschäfte, besonders die Bücherei, waren entsetzlich voll“, entgegnete sie.

Dann stieß sie ein Lachen aus.

„Sie hätten die lange Schlange von Menschen sehen sollen, die alle die neue Waage ausprobieren wollten!“

„Die neue Waage?“ fragte der Graf.

„Ja, alle, die nach Cheltenham kommen, wollen sie ausprobieren. Die einen glauben, daß sie Gewicht verlieren, wenn sie nur genügend Heilwasser trinken. Und die anderen hoffen, daß sie zunehmen werden.“

„Hast du dich auch gewogen?“

„Ich werde mich hüten, Geld für einen solchen Unsinn hinauszuwerfen!“

„Ich bin aber sicher, daß du festgestellt hättest, daß sich in der letzten Woche dein Gewicht ganz beträchtlich verändert hat.“

Giselda lächelte ihn an.

„Ich muß zugeben, daß ich einige meiner Kleider bereits weiter machen mußte“, erwiderte sie. „Da Sie fortwährend davon sprechen, weiß ich, daß Sie mich nur für ein Bündel Knochen halten. Und Sie hassen dünne Frauen.“

,Sie mag zwar dünn sein‘, dachte der Graf im Stillen, ,aber ihre Figur ist exquisit, wie die einer jungen Göttin.‘

Dann jedoch schimpfte er sich einen poetischen Narren.

Fitz Berkeley hatte solche Gedanken in seinen Kopf gelegt. Aber er hatte ganz recht gehabt, als er bemerkte, daß der Graf sich niemals mit seinen Dienstboten einließ. Und so sollte es in Zukunft auch bleiben.

„Hier sind Ihre Bücher, Mylord“, sagte Giselda und legte sie neben ihn auf das Bett. „Ich hoffe, daß sie Ihnen gefallen. Um ehrlich zu sein, habe ich solche ausgesucht, die ich selbst auch gerne lesen möchte.“

„Wohin gehst du?“ fragte der Graf, als sie sich zur Tür wandte.

„Ich möchte meinen Hut ablegen und mir die Hände waschen“, erwiderte Giselda. „Und wenn ich zurückkomme, werde ich Ihnen aus der Zeitung vorlesen, falls Eure Lordschaft zu faul sein sollten, selbst zu lesen.“

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