Kitabı oku: «Geliebte Lady»

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Geliebte Lady

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2016

Copyright Cartland Promotions 1974

Gestaltung M-Y Books

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Geliebte Lady

Vera trat auf den Hafendamm. Die Erde schien sich immer noch unter ihren Füßen zu bewegen. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen und sah sich um.

Sie hatte sich Katona schön vorgestellt, wenn auch nicht so atemberaubend, wie es sich jetzt ihren Blicken darbot.

Der kleine Hafen mit den ziegelgedeckten Holzhäusern wirkte ausgesprochen malerisch. Dahinter erstreckten sich Olivenhaine, die von bewaldeten Hügeln abgelöst wurden. Am Horizont ragten die strahlend weißen, schneebedeckten Gipfel einer Bergkette in den blauen Himmel.

So weit das Auge reichte, sah sie Blumen. Sie blühten in den Kästen vor den Fenstern der winzigen Häuser, auf den Abhängen, an den Wegrändern und unter den Olivenbäumen. Die ganze Landschaft wirkte wie ein riesiger Garten.

„Dies ist also meine neue Heimat“, flüsterte sie beglückt.

Ihre blauen Augen in dem kleinen, herzförmigen Gesicht strahlten dem Mann in Maatsuniform entgegen, der über den Kai auf sie zukam.

Er salutierte höflich.

„Ich habe zehn Mann angeheuert, die Ihr Gepäck zum Gasthof bringen sollen, Mylady. Erlauben Sie, daß ich Sie begleite?“

„Nein, Mr. Barnes“, antwortete Vera. „Ich weiß, daß Ihr Kapitän Schwierigkeiten hat, das Schiff bei dem schweren Seegang ruhig zu halten. Er wird Sie so schnell wie möglich wieder an Bord haben wollen.“

„Mylady, ich verstehe das nicht. Jemand hätte zu Ihrem Empfang da sein müssen.“

„Vermutlich werde ich im Gasthof erwartet“, sagte Vera ruhig. „Schließlich stand weder der genaue Termin noch die genaue Zeit meiner Ankunft fest.“

„Das stimmt allerdings, Mylady. Die Leute hier können sich glücklich schätzen, daß wir überhaupt angekommen sind“, erwiderte der Maat lächelnd.

„Manchmal war die Reise wirklich recht aufregend“, stellte sie fest. „Trotzdem bin ich sicher angekommen und sehr dankbar dafür. Wollen Sie bitte so freundlich sein und der Mannschaft meinen besten Dank übermitteln?“

„Das will ich gern tun, Mylady. Es war uns eine Ehre und ein Vergnügen, Sie an Bord zu haben.“

„Ich danke Ihnen, Mr. Barnes.“

Vera streckte die Hand aus. Er schüttelte sie.

„Mylady, ich möchte Ihnen, auch im Namen der Mannschaft, für die Zukunft viel Glück wünschen.“

„Ich danke Ihnen, Mr. Barnes.“

Er legte die Hand an die Mütze und ging zu dem Boot zurück, das Lady Vera Cressington-Font und ihr Gepäck an Land gebracht hatte.

Es war mit acht britischen Seeleuten bemannt. Vera widerstand dem Impuls, ihnen zuzuwinken. Es erschien ihr doch zu familiär. Stattdessen wandte sie sich um und folgte den Männern, die ihr Gepäck auf dem Rücken trugen. Bestürzt stellte sie fest, daß einige der älteren unter der Last tief gebeugt gingen. Wie konnten die eleganten, teilweise spinnwebendünnen Gewänder, aus denen ihre Ausstattung bestand, so viel wiegen, überlegte Vera verwundert.

Doch dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit den Menschen zu, die vor ihren Häusern standen oder im Hafen arbeiteten. Sie wußte, daß bei ihnen ihre Zukunft lag.

Die dunkelhaarigen Männer waren untersetzt und hatten ausgeprägte Gesichtszüge, die Frauen üppig, vollbusig und ausgesprochen attraktiv. Ihre Haut war von der Sonne goldbraun getönt. Sie zeigten lächelnde Gesichter.

Die Kinder mit den strahlenden, neugierigen Augen trugen kleine, rote Kappen mit langen Quasten, ein Teil der Nationaltracht.

Ein herrliches Land mit schönen Menschen, dachte Vera.

Als ihr Vater zum ersten Mal von Katona gesprochen hatte, hatte sie ihn erstaunt angesehen.

„Weißt du überhaupt, wo das liegt?“ fragte der Herzog von Salfont.

Vera zögerte.

„Im Mittelmeerraum! Wie dumm von mir“, rief sie gleich darauf aus. „Natürlich weiß ich es. Es liegt zwischen Albanien und Griechenland und ist unabhängig vom Osmanischen Reich.“

„Du hast recht“, stimmte der Herzog zu. „Ich freue mich, daß du so gebildet bist.“

„Dabei muß ich zugeben, daß ich über das Land nur sehr wenig weiß. Ich glaube allerdings, daß es vom Krieg kaum etwas gespürt hat.“

„Das stimmt“, erwiderte der Herzog. „Napoleon hat Katona nicht erobert. So ist das Land den Verheerungen entgangen, die über Europa hereingebrochen sind. Es mußte seine männliche Bevölkerung nicht im Krieg opfern.“

Die Bitterkeit in seiner Stimme konnte Vera nicht entgehen. Jede Erwähnung des Krieges brachte ihm die quälende Erinnerung an seinen einzigen Sohn zurück, den er bei Waterloo verloren hatte.

Die Träger betraten den Hof einer kleinen Gastwirtschaft. Vera folgte ihnen. Der Wirt verbeugte sich tief vor ihr.

Jetzt kam der Augenblick, da sie zeigen konnte, wie geübt sie in der Landessprache war, die sie so intensiv während ihrer langen Reise studiert hatte.

„Sie haben mich erwartet?“ fragte sie höflich.

„Ja, Mylady.“

„Ist denn niemand zu meinem Empfang erschienen?“

Er schüttelte den Kopf und brach in einen Wortschwall aus, von dem sie kaum etwas mitbekam.

Eines war klar. Es war niemand da.

Vera stand vor einem Rätsel. Auch der Wirt schien ratlos zu sein. Ständig auf sie einredend, führte er Vera durch einen schmalen Gang in einen kleinen Salon.

Von einem Fenster aus blickte man auf den Hafen, vom anderen in einen blühenden Garten. Hier sah Vera auch ihren ersten Orangenbaum, vollbehangen mit goldenen Früchten.

Während sie sich noch im Salon umsah, trat eine große, untersetzte Frau, offensichtlich die Frau des Wirtes ein. Sie knickste respektvoll und führte Vera nach oben in eine Schlafkammer, damit sie sich umkleiden und waschen konnte. Doch diese legte nur ihren schweren Umhang ab, wusch sich die Hände und ging wieder hinunter in den Salon.

Draußen im Hafen lag der Schoner vor Anker, der sie von England hierhergebracht hatte. Gerade wurde das Beiboot an Bord gehievt. Vera wurde mit einem Mal das Herz schwer. Das letzte Glied, das sie noch mit ihrer Heimat verbunden hatte, war zerrissen.

Auf diesem Schiff befanden sich fünfzig Männer, die sie kannten und ihre Sprache sprachen. Jetzt fuhren sie fort und ließen sie in einem fremden Land zurück, in dem man es nicht für nötig hielt, sie gebührend zu empfangen. Vera verstand die Welt nicht mehr.

Seine Exzellenz Janos Sutez, der Premierminister von Katona, hatte ihr die geplante Ankunft in allen Einzelheiten geschildert.

„Sie werden Seine Königliche Hoheit noch nicht im Hafen treffen. Er erwartet Sie erst im Palast von Djilas. Baron Milovan wird Sie begrüßen. Dieser Edelmann besitzt auf halbem Wege zwischen Jeno, wo Sie an Land gehen, und der Hauptstadt Djilas ein herrliches Schloß.“

„Und wer wird den Baron begleiten?“ fragte Vera.

Sie wollte auf alles vorbereitet sein.

Der Premierminister hatte ihre Neugier richtig verstanden. Er zählte die Personen auf, die den ersten Kontakt zu ihrer neuen Heimat herstellen sollten.

„Der Baron kommt zusammen mit seiner Frau und zwei Ehrendamen. Eine große Anzahl von Höflingen, Edelleuten und Männern der Regierung begleiten Sie am nächsten Morgen in die Hauptstadt. Ihr erster Tag soll völlig unzeremoniell verlaufen“, fuhr der Minister fort. „Man nimmt an, daß Sie nach der langen Reise müde sind. Deshalb fahren Sie nur bis zum Schloß des Barons, wo Sie die Nacht verbringen. Am folgenden Tag erreichen Sie innerhalb von zwei Stunden Djilas. Dort nehmen Sie Ihr Mittagsmahl in einem Palast am Rande der Stadt ein, der einem Mitglied der Regierung gehört.“

Jetzt lächelte er.

„Dort bekommen Sie Gelegenheit, sich in Ihr schönstes Gewand zu hüllen, mit dem Sie das Volk bezaubern können, das zweifellos die Straßen säumt, um Sie hochleben zu lassen.“

„Und der Prinz?“ fragte Vera.

„Seine Königliche Hoheit erwartet Sie auf den Stufen des Königspalastes. Natürlich ist ihm der genaue Zeitpunkt Ihrer Ankunft bekannt. Sobald die Kutsche eintrifft, kommt er Ihnen auf halbem Wege entgegen.“ Lächelnd fügte er hinzu: „Wenn ich dort sein könnte, würde mir die Ehre zuteil, Sie vorzustellen. Baron Milovan wird diese Formalität übernehmen.“

Vera holte tief Atem. Vor diesem Augenblick hatte sie während der ganzen Reise Angst gehabt.

Ungeduldig ging sie in dem kleinen Salon auf und ab. Was war geschehen? Warum war niemand zu ihrem Empfang erschienen?

Der Premierminister hatte sich unmißverständlich ausgedrückt. Sie sollte in Jeno an Land gehen. Es gab zwar einen größeren Hafen weiter unten an der Küste, aber Jeno lag der Hauptstadt näher.

Im Ganzen waren es nicht mehr als fünfzig Stunden. Trotzdem sollte sie ihre Reise im Schloß des Barons unterbrechen.

Vermutlich hat irgendjemand das Datum meiner Reise verwechselt, versuchte sich Vera zu beruhigen. Andererseits wußte sie genau, daß der Minister gesagt hatte, sie würden Jeno zwischen dem 25. Mai und dem 1. Juni erreichen. Heute war der 26. Mai, sie war also keineswegs zu früh angekommen. Wie lange wollte man sie in diesem Gasthof warten lassen? Wie wütend wäre wohl erst der Premierminister geworden, wenn man ihn so nachlässig behandelt hätte?

Gerade trat der Wirt geschäftig in den Salon. Soweit Vera ihn verstehen konnte, fragte er, ob man ihr etwas zu essen bringen solle.

„Danke sehr“, sagte sie. „Das würde ich sehr begrüßen.“

Es war zwar noch nicht Mittag, trotzdem verspürte sie einen gesunden Appetit.

Vor dem Fenster, das auf den Garten hinausging, deckte man einen Tisch. Ein junges Mädchen mit goldfarbenem Teint und langen, schwarzen Flechten brachte ein vollbeladenes Tablett herein.

Die aufgetragene Mahlzeit duftete köstlich. Vera setzte sich zu Tisch. Sie entdeckte, daß man ihr das Gericht aus frischem Fisch, bedeckt von einer Sauce aus Eiern, Öl und Zitronensaft vorgesetzt hatte, von dem ihr der Adjutant des Premierministers so sehr vorgeschwärmt hatte.

Dieser hatte sich auf der langen Reise als ihr Lehrer betätigt. Die Sprache studierte sie mit dem Minister. Der Adjutant erzählte ihr von den Sitten und Gebräuchen des Landes sowie vom Leben und den Vergnügungen seiner Menschen.

„Sie wissen sicher“, berichtete er, „daß unser Volk aus einer Mischung von Griechen, Albanern und Ungarn besteht, wobei die letzteren gesellschaftlich dominieren. Daher haben wir den Geschmack und die Charakteristika von allen drei Nationen übernommen.“ Lächelnd fuhr der Adjutant fort: „Was das Essen anbelangt, so haben wahrscheinlich die Griechen den stärksten Einfluß gehabt. Durch unsere ausgedehnte Küste ist unsere Küche reich an Gerichten aus Meerestieren. Jede Frau zaubert die hervorragendsten Fischmahlzeiten auf den Tisch.“

Soweit sich das auf das vor ihr stehende Essen bezog, konnte Vera dies nur bestätigen. Es schmeckte vorzüglich.

Darauf folgte ein Gang aus zartem, am Spieß gebratenem Lamm mit Tomaten und einem grünen Gemüse, das Vera nicht zu identifizieren vermochte, das aber wie grüne Paprika schmeckte.

Das Lamm war mit vielen Kräutern gewürzt. Sie nahm sich vor, mehr über die Vegetation des Landes zu lernen, sobald sie sich ein wenig eingelebt hatte.

Der Wirt brachte ihr einen leichten Weißwein. Obwohl sie um Wasser gebeten hatte, versuchte sie ihn und fand ihn sehr angenehm.

Sie hätte gern gefragt, ob er hierzulande wuchs. Doch leider reichten dazu ihre Sprachkenntnisse nicht aus. Den Wirt konnte sie nur sehr schwer verstehen, da er einen ganz anderen Dialekt als der Minister und sein Adjutant sprach.

Vera stand am Fenster und sah hinaus.

Was soll ich nur machen, wenn niemand kommt? fragte sie sich. Wenn man sie nun vergessen hatte und sie hier Tag für Tag, Monat für Monat herumsitzen mußte? Was geschah, wenn ihr das Geld ausging und sie nicht mehr ihr Essen bezahlen konnte?

Vielleicht mußte sie sich dann ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Was aber konnte sie tun? Im Geist sah sie sich schon im Olivenhain arbeiten oder im Gasthaus Teller waschen.

Sie schüttelte diese Gedanken ab. Ihre Mutter hatte sie oft genug wegen ihrer blühenden Phantasie gescholten.

„Du träumst zuviel, Vera“, pflegte sie zu sagen. „Du mußt lernen, praktischer zu denken und mit den Füßen fest auf dem Boden der Tatsachen zu stehen. Man kann nicht ständig in einem Traumland leben.“

Vera wußte selbst, daß dies ihr größter Fehler war. Und doch fand sie es schwer, sich von einer Gewohnheit zu trennen, die für sie eine geradezu magische Anziehungskraft besaß.

Vor zwei, drei Jahren hatte sie eines Tages ihre Eltern belauscht.

„Ich mache mir Sorgen um Vera“, sagte die Herzogin.

„Warum?“ wollte der Herzog wissen.

„Sie ist ganz anders als andere Mädchen. Sie lebt in ihrer eigenen Welt. Meist bemerkt sie gar nicht, was um sie herum vorgeht.“

„Das könnte durchaus ein Vorteil sein“, meinte der Herzog lächelnd.

„Es ist nichts dergleichen“, erwiderte die Herzogin heftig. „Vera erwartet von den Menschen zuviel. Sie glaubt ständig, sie müßten ihren Idealen entsprechen.“

„Dann wird sie noch so manche Enttäuschung erleben“, prophezeite der Herzog.

„Man wird ihr weh tun, und sie wird unglücklich werden“, sagte seine Gemahlin und seufzte. „Vera ist einfach zu sensibel und versponnen.“

„Das wird sich geben, wenn sie älter wird“, sagte der Herzog abschließend.

Vera wußte, daß dem nicht so war. Wenn das überhaupt möglich war, hatte sich ihre Einbildungskraft höchstens noch verstärkt.

Als sie England verließ, nahm sie sich vor, vernünftig zu sein und sich durch nichts überraschen zu lassen, wie fremdartig und ungewohnt es ihr auch erscheinen mochte.

Ich darf einfach nicht mehr soviel von den Menschen erwarten, redete sie sich ein. Dabei wußte sie genau, daß sie in diesem Fall nur eine einzige Person im Auge hatte.

Unruhig und ein bißchen verängstigt durchquerte sie das Zimmer. Sollte sie einen Spaziergang am Hafen machen oder hier warten, ob nicht doch endlich jemand käme? Sie zwang sich dazu, sich ruhig in einem Sessel niederzulassen.

In diesem Augenblick hörte sie draußen jemand laut reden. Eine Person gab mit kultivierter Stimme irgendwelche Anweisungen.

Wenn sie auch nichts verstehen konnte, so hoffte sie doch, daß endlich jemand gekommen war, um sie willkommen zu heißen. Instinktiv setzte sie sich aufrechter hin.

Die Herzogin hatte ihr einen guten Rat mit auf den Weg gegeben.

„Vergiß niemals, Würde zu zeigen. Du hast jeden Grund, auf deine Herkunft und die Stellung deines Vaters stolz zu sein. Außerdem bist du Engländerin. Trage stets den Kopf hoch. Was immer auch geschieht, zeige ein unbewegtes Gesicht.“

„Ich will es versuchen, Mama“, sagte Vera demütig.

Jetzt wollte sie diesen Ratschlag befolgen.

Die Tür flog auf und ein Mann betrat das Zimmer. Seine Züge waren scharf geschnitten. Die hoch angesetzte Nase stand zwischen zwei dunklen Augen, die sie so durchdringend musterten, daß sie unwillkürlich die Lider senkte.

Was für ein unverschämtes Benehmen, dachte sie voller Empörung.

Seine Kleidung war staubbedeckt. Vom ursprünglichen Glanz seiner Stiefel war nichts mehr zu bemerken. Statt ein Halstuch um den Nacken zu tragen, stand sein Hemd offen und ließ seine sonnengebräunte Brust sehen.

„Ich höre soeben, daß Sie allein eingetroffen sind“, sagte er. „Wo ist der Premierminister?“

In seiner Art zu sprechen lag so viel Autorität, daß Vera sich aufrichtete.

Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Katona war sie wirklich wütend. Zuvor hatte sie das Fehlen eines gebührenden Empfanges lediglich befremdet zur Kenntnis genommen. Die Art und Weise, wie dieser Fremde in ihr Zimmer stürzte und sie anredete, war jedoch mehr als unangemessen.

„Da Sie offensichtlich über meine Identität informiert sind, Sir“, begann sie langsam, wobei sie ihre Worte sorgfältig wählte, „wäre es wohl nicht mehr als recht und billig, wenn Sie sich vorstellten, bevor Sie irgendwelche Fragen an mich richten.“

Er sah sie einen Augenblick überrascht an. Dann schloß er die Tür hinter sich. Als sich seine schwarzen Augen mit Veras blauen maßen, stellte sie innerlich fest: Er gleicht einem Adler.

Der Fremde verbeugte sich leicht. „Mein Name ist Czako, Graf Miklos Czako. Ich habe eine wichtige Botschaft für den Premierminister.“

Sein Englisch war ausgezeichnet. Nur ein leichter Akzent verriet, daß es sich nicht um seine Muttersprache handelte.

„Sie haben einen weiten Weg vor sich, wenn Sie sie Seiner Exzellenz persönlich übermitteln wollen“, sagte Vera.

„Was zum Teufel meinen Sie damit?“ rief der Graf unbeherrscht. Doch als er ihren schockierten Gesichtsausdruck sah, fügte er schnell hinzu: „Entschuldigen Sie, Mylady. Das hätte ich nicht sagen dürfen. Aber ich habe eilige Anweisungen vom Prinzen für den Minister.“

„Sie kommen von Seiner Königlichen Hoheit?“

„Jawohl.“

Die Antwort hätte nicht knapper ausfallen können.

„Vermutlich hat sich jemand geirrt oder den Tag meiner Ankunft verwechselt“, sagte Vera ruhig. „Seine Exzellenz, der Premierminister, hatte mich davon unterrichtet, daß Baron Milovan zu meinem Empfang bereitstünde.“

„Wo ist der Premierminister?“ fragte der Graf noch einmal.

Offensichtlich irritierte ihn die Tatsache, daß sie seine erste Frage nicht beantwortet hatte.

„Seine Exzellenz befindet sich im Krankenhaus in Neapel.“

„Im Krankenhaus?“

„Wir hatten eine außergewöhnlich stürmische Fahrt durch die Biskaya“, erklärte Vera. „Und doch war das nichts gegen den Orkan, mit dem uns das Mittelmeer empfing. Mehr als einmal hielt selbst der Kapitän das Schiff für verloren.“

„Wurde der Minister dabei verletzt?“

„Er stürzte und brach sich ein Bein. Der Bruch war so kompliziert, daß ihm die Ärzte im Krankenhaus von Neapel mindestens für vierzehn Tage jede Bewegung verboten. Seine Exzellenz selbst bestand darauf, daß ich die Reise fortsetzen sollte.“

„Allein?“ fragte der Graf. „Wo ist Ihre übrige Begleitung?“

Vera lächelte, wobei sich zwei Grübchen neben ihren Mundwinkeln zeigten. Sie wußte, daß sie den vor ihr stehenden Mann mit ihrer Erzählung reichlich aus der Fassung brachte. Das bereitete ihr nach der Art, wie er sich eingeführt hatte, ein gewisses Vergnügen.

„Wir hatten Neapel verlassen und sahen schon dem Zeitpunkt unserer Landung entgegen, als mehrere Mitglieder der Besatzung erkrankten. Dies geschah am zwölften Tage auf See. Einer nach dem anderen wurde von einem schmerzhaften Ausschlag befallen, den wir zuerst für die Pocken hielten.“

„Die Pocken?“ rief der Graf entsetzt.

„Glücklicherweise erwiesen sich unsere Befürchtungen als unbegründet“, fuhr Vera fort. „Es handelte sich lediglich um eine sehr unangenehme Art von Windpocken.“

„Und Ihre Begleitung?“

„Meine Gesellschafterin sowie der Adjutant Seiner Exzellenz erkrankten gestern ebenfalls“, erklärte Vera. „Heute hatten beide hohes Fieber. Sie konnten unmöglich aufstehen und an Land gehen.“

„Guter Gott!“

Der Mann in dem staubigen Reitanzug war offensichtlich von Veras Schilderung tief betroffen. Ihre blauen Augen zwinkerten vor Belustigung über seinen Schreck. Vor dem Hintergrund des dunklen Lehnsessels wirkte ihr goldblondes Haar wie ein Heiligenschein.

Nach kurzem Zögern sagte der Graf mit rauher Stimme: „Da der Premierminister nicht anwesend ist, muß ich wohl Ihnen die Sachlage erklären. Man hat Sie deshalb nicht in Katona willkommen geheißen, Lady Vera, weil eine Revolution ausgebrochen ist.“

Jetzt war es ah ihr, überrascht zu sein.

„Es begann vor ungefähr einer Woche. Deshalb hält es der Prinz für besser, wenn Sie sofort nach England zurückkehren. Das ist die Botschaft, die ich dem Minister überbringen wollte.“

Vera schwieg einen Augenblick.

Dann sagte sie gelassen: „Schlagen Sie mir ernstlich vor, nach Hause zu fahren?“

„Das wäre für alle Beteiligten das Beste.“

„Nachdem ich gerade einen so weiten Weg zurückgelegt habe? Die Reise war ziemlich anstrengend, wie Sie sich vermutlich denken können.“

„Dessen bin ich mir wohl bewußt“, sagte der Graf. „Aber eine Revolution kann gefährliche Formen annehmen, und man weiß nie, wie sie ausgeht.“

„Glauben Sie, daß man den Prinzen zum Abdanken zwingen will?“

„Die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen.“

„Bis jetzt ist das aber noch nicht geschehen?“

„Nein, das nicht.“

Wieder schwieg Vera einen Moment.

Dann sagte sie: „Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Mein Schiff befindet sich bereits auf dem Weg nach Athen. Dort dürften sich vermutlich meine Gesellschaftsdame und der Adjutant wieder wohl genug befinden, um entweder per Schiff oder über Land nach Katona zurückzukehren.“

„Es muß doch noch andere Schiffe geben“, meinte der Graf und sah aus dem Fenster, als erwarte er, eines im Hafen zu sehen.

„Selbst, wenn dem so wäre“, sagte Vera beherrscht, „habe ich nicht die Absicht, an Bord zu gehen.“

„Das ist ein geradezu lächerliches Benehmen“, fuhr der Graf sie an. „Sie wissen so gut wie nichts über dieses Land. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Sie über Revolutionen Bescheid wissen. Schließlich haben Sie in England noch nie eine gehabt. Denken Sie an Ihre Sicherheit.“

„Ich habe mich entschieden, nach Katona zu kommen“, erwiderte Vera. „Was immer auch geschieht, ich halte es für meine Pflicht, zu bleiben.“

„Guter Gott, Madam, es steht Ihnen nicht zu, eine so folgenschwere Entscheidung zu treffen.“

Der Graf hatte sich in Rage geredet. Mit blitzenden Augen erhob sich Vera aus ihrem Sessel.

„Ich kann mir nicht vorstellen, daß wegen einer Revolution die Männer um Seine Königliche Hoheit jeden Sinn für gutes Benehmen verloren haben. Sie werden sich für Ihren Ton bei mir entschuldigen.“

Ihre Blicke maßen sich.

Einen Augenblick glaubte Vera, der Graf würde hart bleiben, doch dann lenkte er ein: „Ich bitte um Vergebung. Tatsache ist, daß ich zutiefst besorgt um Ihre Sicherheit bin.“

„Ich ziehe es vor, meine Angelegenheiten selbst zu entscheiden“, sagte Vera. „Und jetzt werden Sie mir bitte eine Frage beantworten. Befindet sich Seine Königliche Hoheit in Gefahr?“

Der Graf überlegte.

„Möglicherweise ja, ich weiß es nicht.“

„In diesem Fall sollte ich ihm zur Seite stehen.“

„Das ist unmöglich“, wehrte der Graf ab. „Ich habe alle Vollmachten des Prinzen, Sie zur Heimreise zu bewegen. Wenn die Dinge in Katona einigermaßen zur Ruhe gekommen sind, kann ein Abgesandter nach England reisen, um die Angelegenheit Ihrer Eheschließung wieder aufzunehmen.“

Er zögerte, sprach aber dann weiter.

„Im Augenblick ist es für Sie das Beste, heimzukehren. Ich muß nur noch ein geeignetes Schiff für Sie finden.“

„Wie ich Ihnen bereits mitteilte, Graf“, unterbrach ihn Vera so ruhig, als spräche sie zu einem ungezogenen Kind, „habe ich nicht die geringste Absicht, Katona zu verlassen. Es hat gar keinen Sinn, weiter mit mir darüber zu diskutieren. Ich muß Sie bitten, wenn nötig Ihnen sogar befehlen, mich zu meinem Gatten zu bringen.“

Der Graf schwieg.

Dann sagte er mit einer Stimme, der man deutlich die Überraschung anhörte: „Haben Sie den Prinzen soeben Ihren Gatten genannt?“

„Ich bin dem Prinzen in England vor meiner Abreise in Vertretung vermählt worden“, erklärte Vera. „Der Premierminister führt die entsprechenden Unterlagen mit sich.“

„Davon ist dem Prinzen nichts bekannt. Das ist das Werk des Premierministers. Dieser alte Fuchs!“

„Wenn ich ihn richtig verstanden habe, so führte Seine Exzellenz die Wünsche des Prinzen aus, als er um meine Hand anhielt. Es war mein Vater, der auf einer Heirat bestand. Er wollte mich nicht einfach ins Ungewisse reisen lassen.“

Da der Graf zu verwirrt schien, um etwas zu sagen, sprach sie in ironischem Ton weiter.

„Wie recht er hatte! Wenn er auch kaum geahnt haben kann, daß man mich gleich nach meiner Ankunft zur Abreise auffordern würde.“

„Wenn dies den Tatsachen entspricht“, sagte der Graf nach kurzer Überlegung, „muß man die Eheschließung eben rückgängig machen. Das ist lediglich eine Formalität. Der Prinz als Oberhaupt von Katona kann diese Ehe für ungültig erklären lassen.“

Vera holte tief Atem.

„Diese Angelegenheit kann höchstens zwischen dem Prinzen und mir diskutiert werden, keinesfalls von einem Außenseiter.“

Ihre Stimme klang eisig. Der Graf, der die ganze Zeit aus dem Fenster gesehen hatte, wandte sich ihr wieder zu.

„Wie Sie wünschen, Madam. Ich werde Ihren Befehlen gehorchen und Sie zu Seiner Königlichen Hoheit bringen. Eines möchte ich noch erwähnen. Falls Sie irgendwann auf dem Weg nach Djilas Ihre Meinung ändern sollten, bin ich jederzeit bereit, Sie zurückzubringen oder in einem anderen Hafen ein Schiff zu suchen.“

„Ich bin Ihnen für Ihre Rücksichtnahme äußerst dankbar“, sagte Vera mit einem Anflug von Spott in der Stimme. „Teilen Sie mir freundlicherweise mit, wann Ihnen unsere Abreise genehm ist.“

„Auf der Stelle“, antwortete er. „Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, daß der Grund meiner Eile darin zu suchen ist, daß sich Ihr Leben in Gefahr befindet. Es gibt gewisse Leute, die Sie hier in Katona nicht gern sehen.“

Vera sah ihn verwirrt an.

„Meinen Sie damit, daß mich jemand umbringen will?“

„Vermutlich hätte man Sie lediglich gezwungen, auf Ihr Schiff zurückzukehren. Da dieses aber in der Zwischenzeit abgefahren ist, würde ich Ihnen keine allzu großen Überlebenschancen einräumen.“

„Ich nehme an, Sie meinen die Revolutionäre?“ fragte Vera.

Er nickte.

„Bringt Sie das endlich zur Vernunft? Gehen Sie wieder nach England, Lady Vera. Kehren Sie in ein Land ohne Revolutionen zurück, wo man Sie kennt und liebt. Zu Ihrer Familie, wo Sie in Sicherheit sind.“

Seine Stimme klang fast flehend.

„Sie wirken sehr überzeugend, Graf“, bemerkte Vera. „Darf ich Sie aber trotzdem daran erinnern, daß ich mit Ihrem regierenden Prinzen vermählt bin. Ich denke doch, daß mir das einige Autorität verleiht, und befehle Ihnen daher, mich so schnell wie möglich zu Seiner Königlichen Hoheit zu bringen.“

Sie hatte ruhig gesprochen, wenn auch ihre Augen zornig blitzten.

Der Graf wußte, wann er geschlagen war. Eine solche Auflehnung hatte er nicht erwartet. Seine Ähnlichkeit mit einem Adler wurde immer deutlicher. Er wirkte herrschsüchtig und rücksichtslos.

Plötzlich und unerwartet kapitulierte er.

„So sei es denn, Madam, ich gehorche. Aber machen Sie mich nicht für etwaige Folgen verantwortlich.“

„Das werde ich keineswegs.“

„Dann sollten Sie sich jetzt schnell umziehen“, schlug er vor. „Welchen Koffer aus diesem Gepäckberg möchten Sie nach oben gebracht haben?“

„Ich nehme an, wir reiten?“ fragte Vera.

„Wir reiten“, bestätigte er. „Sie können also nur mitnehmen, was in der Satteltasche Platz hat, und auch das sollte besser nicht viel wiegen. Nehmen Sie einen warmen Umhang mit. Nachts kann es hierzulande ziemlich kalt werden.“

Vera verlor keine Zeit. Wenige Minuten später stand sie vor dem Gepäck, das fast die ganze kleine Empfangshalle des Gasthauses füllte. Glücklicherweise hatte die Herzogin darauf bestanden, daß sie sich mit dem Inhalt jedes einzelnen Koffers vertraut machte.

Der Graf wartete ungeduldig. Einen Moment lang erfaßte Vera eine gewisse Panik, da sie sich nicht gleich erinnern konnte, wo sich ihr Sommerreitkostüm befand. Dann deutete sie auf einen Lederkoffer mit rundem Deckel.

In der Schlafkammer mit der niederen Decke blieb Vera einen Augenblick ruhig stehen. Der Kampf mit dem Grafen war nicht leicht gewesen, doch sie hatte dabei besser abgeschnitten als erwartet.

Er war fest entschlossen, sie nach England zurückzuschicken. Dabei hatte er sie fast eigenhändig aus dem Lande geworfen, als ob ihm schon der Gedanke an ihre Gegenwart nicht paßte.

„Ich hasse ihn“, sagte sie vor sich hin. „Und wie ich ihn hasse.“

Es war das erste Mal in ihrem Leben, daß sie gegen jemanden eine so starke Abneigung empfand. Tatsache jedoch war, daß nie zuvor ein Mann sie so völlig aus der Fassung gebracht hatte.

„Ich hasse ihn“, flüsterte sie noch einmal.

Und doch blieb ihr nichts anderes übrig, als sich ihm anzuvertrauen. Sie kannte ja niemanden, an den sie sich um Rat oder Hilfe wenden konnte. Und wenn der Graf recht hatte, gab es hier irgendwo Feinde, die ihr nach dem Leben trachteten.

Das war kein erfreulicher Gedanke. Vera versuchte sich einzureden, daß der Graf wahrscheinlich die Lage übertrieb und deshalb die Tatsache besonders hervorhob, daß bestimmte Leute ihre Hochzeit mit dem Prinzen zu verhindern suchten. Doch sie war vernünftig genug anzunehmen, daß zumindest ein Korn Wahrheit dahinterstecken mußte. Schließlich ließ sich nicht verleugnen, daß niemand sie bei ihrer Ankunft empfangen hatte. Anscheinend war der Graf wie ein Verrückter geritten, um dem Premierminister die Botschaft des Prinzen zu übergeben.

Außer ihrem Bruder hatte sie noch niemals einen Herrn ohne Halstuch um den Nacken gesehen. Und kein Gentleman hatte je so mit ihr gesprochen wie der Graf.

Inzwischen hatte Vera den Koffer geöffnet. Zu ihrer Erleichterung war ihre Reitausrüstung leicht zu finden.

Sie entledigte sich des hübschen Musselinkleides. Bei einem Blick auf das grüne Reitkostüm wurde ihr klar, daß es sich zwar für einen Ausritt im Hydepark eignete, aber kaum für eine wilde Jagd nach Djilas.

Andererseits hatte sie nichts anderes zur Verfügung. Und der Gedanke, daß der weite Rock und die weißabgesetzte Jacke mit den großen Perlenknöpfen ihr gut standen, hatte etwas Tröstliches. Das Kostüm brachte ihre schlanke Taille außerordentlich gut zur Geltung.

Mehrere Blusen paßten dazu und Vera entschloß sich für eine aus weißem Musselin mit Spitzenbesatz. Dann klingelte sie nach dem Mädchen, das ihren Hutkoffer bringen sollte.

„Achte immer auf deinen Teint“, hatte die Herzogin zum Abschied gesagt. „Die Sonne dort ist viel heißer als in England. Zweifellos wird sich deine rosigweiße Haut neben der dunklen der dortigen Einwohner vorteilhaft ausnehmen. Also ist es wichtig, daß du dich nicht von der Sonne verbrennen läßt.“

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