Kitabı oku: «Jawort unter fremden Sternen»

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Jawort unter fremden Sternen

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2015

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1. 1885

„Ich höre, du verläßt uns, Theydon“, begann D’Arcy Charington. Er machte es sich in dem reservierten Abteil bequem und zündete eine Zigarre an.

„Der Premierminister hat mich gebeten, den Fernen Osten zu besuchen, zuerst Singapur“, antwortete Lord Saire. „Ich soll Bericht erstatten, wie der Handel im allgemeinen läuft und wie unsere weltberühmten Diplomaten mit ihrer Arbeit fertig werden.“

D’Arcy Charington lachte.

„Das klingt enorm, aber ich beneide dich ganz sicher nicht.“

„Es ist mal etwas anderes.“

„Das klingt, als würdest du dich freuen, von England fortzukommen. Ich habe das Gefühl, das Wochenende hat dir nicht gefallen.“

„Es war genauso abwechslungsreich wie immer“, bemerkte Lord Saire gelangweilt.

„Guter Gott, Theydon! Du bist schwer zufriedenzustellen. Ich glaube, es gab mehr schöne Frauen als sonst in der Welt und der Prinz schien sich hervorragend zu amüsieren.“

„Der Prinz amüsiert sich immer, wenn schöne Frauen in der Nähe sind.“

„So zynisch du auch sein magst, Theydon, aber du mußt zugeben, daß sie sehr schön sind.“

Auch Lord Saire steckte sich eine Zigarre an, dann erwiderte er langsam: „Ich dachte letzte Nacht, daß sie sich benehmen, als seien sie Göttinnen auf dem Olymp und wir nur arme Sterbliche zu ihren Füßen.“

Fragend sah D’Arcy Charington ihn an.

„Eines weiß ich sicher, Theydon, du lagst noch nie einer Frau zu Füßen, so schön sie auch gewesen sein mag.“

„Wirklich, D’Arcy, du sprichst wie in den Romanen, die wir in Paris zusammen gelesen und aus dem Fenster geworfen haben!“

„Aber wir hatten unseren Spaß, Theydon, oder nicht? Und du mußt zugeben: So verführerisch die Französinnen auch sind, an die Schönheit der Engländerinnen reichen sie nicht heran.“

„Nicht immer sind es die klassischen Züge und ein wohlgeformter Körper, die einen Mann anziehen“, meinte Lord Saire.

„Was dann?“

Als Lord Saire nicht antwortete, fuhr er fort: „Das ist das Problem mit dir, Theydon, dir geht es zu gut. Du bist zu reich, siehst zu gut aus, bist bei allem zu erfolgreich - und das hat dich verdorben! Du bist übersättigt - das ist das richtige Wort, Kamerad - übersättigt. Du weißt nicht, wie gut es dir geht!“

„Vielleicht würde ich mich einmal bemühen müssen und selber jagen.“

Charington lachte.

„Ich dachte mir schon, daß Gertrude dieses Wochenende zu sehr hinter dir her war. Sie war schon immer sehr besitzergreifend, und wenn sie einmal einen Mann in ihren Klauen hat, gibt sie ihn nicht so schnell wieder her.“

Als Saire auch diesmal nichts erwiderte, konnte er nicht widerstehen und fügte hinzu: „Vielleicht ist es gut zu gehen, solange du noch kannst. Es würde mir wirklich nicht gefallen, dich hinter Gertrudes Wagen gespannt zu sehen!“

„Das beabsichtige ich auch bestimmt nicht“, entgegnete Lord Saire entschlossen.

Sein Freund lächelte in sich hinein. Er wußte nun, warum in Lady Gertrude Lindleys schönen Augen zweifellos ein ärgerliches Funkeln zu sehen gewesen war, auf der Gesellschaft des Duke of Melchester am vergangenen Wochenende.

Die eingeladenen Damen waren alle mit Angehörigen des Hochadels verheiratet oder verwitwet.

Einige der Herren, wie Lord Saire und D’Arcy Charington, waren zwar unverheiratet, wurden aber von ihren Gastgeberinnen heimlich mit einigen der Schönen in Verbindung gebracht.

Oder aber sie wurden als „Füchse“ eingeladen, um von den Damen gejagt zu werden, die - wie D’Arcy Charington oft gesagt hatte - ihre Eroberungen präsentierten wie Indianer ihre Skalps.

Als er ihn jetzt betrachtete, mußte sich D’Arcy - wie schon so oft - eingestehen, daß Lord Saire zweifellos der bestaussehendste Mann war.

Es schien fast unfair, daß er darüber hinaus noch reich und äußerst intelligent war.

Der Premierminister und auch sein Vorgänger hatten Lord Saire Aufgaben übertragen, die nie zuvor einem Mann dieses Alters übertragen worden waren.

Offiziell gehörte er dem Außenministerium an, hatte aber inoffiziell Diplomatenstatus. So bereiste er die ganze Welt und legte anschließend mehr oder weniger private, persönliche Berichte vor. „Wann reist du ab?“ erkundigte sich D’Arcy nach einigen Minuten des Schweigens.“

„Übermorgen.“

„So bald schon! Hast du es Gertrude erzählt?“

„Ich finde es ratsam, nie jemanden von meiner Abreise zu informieren. Ich hasse Abschiedsszenen, und wenn ich zu schreiben verspreche, halte ich es nie.“

„Nun“, meinte D’Arcy, „du bist auf dem Weg zu neuen Weiden, und vielleicht bin ich auch neidisch. Hier wird es nicht viel Abwechslung geben, wenn die Jagd vorüber ist. Der Prinz spricht davon, nach Cannes zu fahren. London wird leer sein.“

„Du solltest dich vielleicht Seiner Königlichen Hoheit anschließen.“

„Das würde ich nicht ertragen! Wenn ich die Wahl hätte, käme ich lieber mit dir.“

Lord Saire lächelte.

„Nichts würde dir weniger gefallen. Es gibt nicht nur viel Katzbuckeln vor einheimischen Nabobs, es kann auch manchmal ausgesprochen unbequem sein. Du würdest dich wundern, wenn du wüßtest, wie ich manchmal gehaust habe!“

„Kann kaum schlimmer gewesen sein als in der Armee“, erwiderte sein Freund.

„Das ist wahr“, stimmte Lord Saire zu. „Ich hatte die Manöver und die geistlosen Unterhaltungen, die wir in der Messe führten, schon fast vergessen.“

„Es war nicht viel schlimmer als die Unterhaltung, die wir am Wochenende über uns ergehen lassen mußten.“

„Ich glaube fast, ich werde allmählich zu alt für das alles“, meinte Lord Saire.

„Mit 31 Jahren?“ rief D’Arcy aus. „Mein lieber Theydon, du mußt krank sein. Bist du etwa verliebt?“

„Die Antwort darauf ist ein entschiedenes Nein! Falls du mich noch nicht verstanden haben solltest: ich bin nicht verliebt. Ich habe auch nicht die Absicht, mich zu verlieben.“

„Wie schön für den Premierminister! Der alte Knabe hat immer Angst, er könnte dich verlieren. Neulich sagte er zu meinem Vater: ,Ich verliere mehr junge Männer durch Liebesaffären als auf dem Schlachtfeld.‘“

„Nun, da kann dein Vater ihn beruhigen! Liebe paßt nicht in meine Pläne, und darum wird sie auch nicht die des Premiers durchkreuzen.“

„Aber irgendwann mußt du mal heiraten.“

„Warum?“;

„Hauptsächlich, weil du einen Erben brauchst. Jemand muß diese ganzen Besitztümer doch übernehmen.“ Nachdenklich fügte er hinzu: „Ich habe schon oft gedacht, dass Saire House eine Herrin und ein halbes Dutzend Kinder fehlen, um es bewohnbar zu machen. So ist es zu perfekt, um ein Heim zu sein.“

„Mir gefällt es so. Und außerdem: Kannst du dir mich mit einer Ehefrau vorstellen?“

„Sehr gut sogar! Gertrude würde mit den Saire-Diamanten bezaubernd aussehen!“

„Ich könnte mir keine Frau vorstellen, die weniger geeignet wäre. Sie ist zu besitzergreifend, ich bezweifle, daß sie so etwas wie ein Hirn besitzt. - Sie ist sehr schön, zugegeben, aber damit ist auch alles gesagt.“

„Großer Gott, Theydon, was willst du denn noch mehr?“

„Eine ganze Menge, wie es scheint.“

„Erzähle!“

„Bestimmt nicht! Wenn ich es täte würdest du eine suchen, auf die diese Beschreibung paßt! Oh nein!“

D’Arcy Charington lachte.

„In Ordnung, Theydon, wie du willst. Aber ich warne dich - du wirst im Alter sehr einsam sein, wenn du allein auf Saire sitzt.“

„Ich werde zufrieden sein mit der Gesellschaft meiner alten Freunde und damit, Pate ihrer Kinder zu sein.“

„Und was tust du für deine Patenkinder?“

„Ich schenke ihnen eine Guinee zu Weihnachten und zehn Guineen zur Konfirmation. Und danach wasche ich meine Hände in Unschuld.“

„Alles schön und gut, aber ich würde dich lieber mit einem eigenen Sohn und vielleicht noch ein oder zwei hübschen Töchtern sehen.“

„Gott bewahre!“ entgegnete Lord Saire. „Ich bin darüberhinaus entschlossen, auch anderer Leute Töchter zu meiden!“

„Nun, ich werde darauf zurückkommen, wenn du aus dem Fernen Osten zurückkehrst. Natürlich kannst du in der Zwischenzeit dein Herz an eine bezaubernde, glutäugige Huri verlieren - wer weiß?“

„Ganz richtig - wer weiß?“ wiederholte Saire, ein schwaches Lächeln spielte um seine Lippen.

Der Zug lief im Bahnhof ein, und D’Arcy Charington drückte seine Zigarre aus und setzte den Hut auf.

„Du mußt mich entschuldigen, Theydon, aber ich habe noch eine wichtige Verabredung.“

„Männlich oder weiblich?“

„Männlich, leider - mein Bankmanager.“

„Der ist natürlich wichtiger als jeder andere“, meinte der Lord.

„In meinem Fall zweifellos. - Ich wage nicht, meinem Vater die Höhe meiner Schulden einzugestehen. Den Manager finde ich wesentlich sympathischer.“

„Na, dann viel Glück“, wünschte Saire. „Ich nehme an, ich sehe dich heute abend?“

„Ja, der Prinz hat mich eingeladen, es kann ganz amüsant werden.“

„Nun, wenn es zu langweilig ist, können wir ja noch woanders hingehen.“

Noch während sie sich unterhielten, erreichte der Zug den Bahnsteig. Sobald er zum Stehen gekommen war, nahm D’Arcy Charington seinen Spazierstock, öffnete die Tür und sprang hinaus.

„Auf Wiedersehen, Theydon“, rief er und verschwand in der Menge.

Lord Saire hatte es nicht eilig. Er faltete in Ruhe seine Zeitung zusammen, erhob sich und zog den pelzverbrämten Mantel an.

Als er seinen Hut aufsetzte, erschien sein Diener an der Tür.

„Ich hoffe, Eure Lordschaft hatten eine angenehme Reise.“

„Ja, danke. - Nimm die Zeitung mit, Higson. Ich habe sie noch nicht gelesen.“

„Sehr wohl, Mylord. Der Brougham wartet auf Sie. Ich bringe Ihr Gepäck im Landauer unter.“

„Danke, Higson. Ich fahre jetzt ins Oberhaus. Ich werde früh zurück sein, um mich umzukleiden. Ich diniere in Marlborough House.“

„Das hörte ich, Mylord.“

Lord Saire verließ den Zug und schritt durch die wogende Menge.

Der Zug war voll gewesen, auch eine Anzahl Schulmädchen war in Oxford zugestiegen, wie er beobachtet hatte. Sie fuhren wohl zu Weihnachten heim und sahen glücklich und aufgeregt aus.

Sie verabschiedeten sich von ihren Freundinnen, und wurden von Gouvernanten zu kleinen Gruppen zusammengetrieben.

Lord Saire hatte sich schon ein Stück vom Zug entfernt, als ihm einfiel, daß er etwas vergessen hatte, und so machte er kehrt.

Higson war noch mit seinen Gepäckstücken beschäftigt.

„Higson!“ rief Lord Saire vom Bahnsteig aus.

Sofort erschien sein Diener am Fenster.

„Ja, Mylord?“

„Fahr doch bitte auf dem Heimweg noch beim Gärtner vorbei und sende Lady Gertrude Lindley einen großen Strauß Lilien. Hier ist die Karte, die mitgeschickt werden soll.“

„Sehr wohl, Mylord“, entgegnete Higson und nahm die Karte an sich.

Als Saire sich wieder abwandte, sagte er sich, daß dieser Strauß der letzte sein würde, den er Lady Gertrude verehrte.

Was ist nur mit mir los? fragte er sich, als er den Bahnsteig entlang zum Ausgang ging. Warum langweilte ihn jede Frau schon nach kurzer Zeit? Er wußte, er konnte jede Frau haben, die er begehrte. Ja, sie fielen nur zu leicht in seine Arme.

„Gott sei Dank gehe ich fort“, sagte er zu sich. Er wußte, es würde nicht leicht sein, sich aus Gertrudes Armen zu befreien.

Es wäre unmöglich ihr zu erklären, warum sie ihn nicht länger interessierte, warum sich seine Gefühle für sie gewandelt hatten. Sie hatte keinen Fehler gemacht, hatte sich nicht anders verhalten als sonst - und dennoch!

Als er den Zug verlassen hatte, war der Bahnsteig überfüllt gewesen, aber nun waren nur noch ein paar Gepäckträger zu sehen, die ihre Wagen vor sich herschoben.

Auch vor Lord Saire ging einer, dessen Wagen so hoch beladen war, daß man nicht darüber schauen konnte. Dann ertönte plötzlich ein Schrei.

Der Träger blieb so plötzlich stehen, daß Lord Saire fast in ihn hineingerannt wäre.

Da beide den Schrei einer Frau in Not gehört hatten, liefen sie um den Wagen herum und fanden ein Mädchen am Boden liegen.

Lord Saire beugte sich hinab, um ihr auf die Füße zu helfen.

„Sind Sie verletzt?“ erkundigte er sich.

„Es ist nicht schlimm“, antwortete sie. „Nur mein Fuß.“

Er sah aber, daß ihr Knöchel blutete und ihr Strumpf zerrissen war.

„Es tut mir wirklich leid, Miss“, meinte der Träger.

„Es war nicht Ihr Fehler“, erwiderte das Mädchen mit sanfter, freundlicher Stimme.

„Glauben Sie, Sie können aufstehen, wenn ich Ihnen helfe?“ fragte Lord Saire.

Sie lächelte zu ihm auf, und er sah nur zwei riesige Augen in einem blassen Gesichtchen. Vorsichtig stellte er sie auf die Füße.

Sie stieß einen leisen Schmerzensschrei aus, meinte dann aber tapfer: „Es geht schon - es tut mir leid, daß ich so eine Last bin.“

„Ich glaube, es ist nichts gebrochen, aber man weiß natürlich nie“, meinte der Lord.

„Es geht schon“, sagte sie entschlossen. „Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

„Glauben Sie, Sie können bis zum Eingang gehen? Vielleicht wartet dort ein Wagen auf Sie? Ich schlage vor, Sie nehmen meinen Arm. Es ist nicht weit, und ich glaube, es würde lange dauern, einen Rollstuhl für Sie zu finden.“

„Nein, natürlich kann ich gehen.“

Auf seinen Arm gestützt gelang es ihr, langsam zu gehen, wenn ihr Fuß auch offensichtlich schmerzte.

Wie Lord Saire gesagt hatte, war es nicht weit bis zum Eingang und dort wartete eine Reihe von Kutschen, darunter auch Lord Saires Brougham.

Das Mädchen sah sich um. Dann sagte sie seufzend: „Ich sehe nichts für mich. Vielleicht kann mir ein Träger einen Mietwagen rufen.“

„Ich werde Sie fahren.“

„Oh, bitte, ich möchte Ihnen nicht weiter zur Last fallen. Sie waren schon äußerst freundlich.“

„Es macht keine Umstände“, erwiderte Lord Saire und führte sie zu seinem Wagen, dessen Tür von einem Diener aufgehalten wurde.

Lord Saire half dem Mädchen hinein und stieg dann zu ihr.

„Wo wohnen Sie?“

„Park Lane 92.“

„Sie sind sehr freundlich“, sagte sein Passagier leise, als die Pferde anzogen. „Es war so dumm von mir, den Wagen nicht zu bemerken und mich umfahren zu lassen.“

„Ich habe das Gefühl, Sie sind neu in London.“

„Ich war ein paar Jahre nicht hier.“

„Was ist mit Ihrem Gepäck?“

„Die Schule wird es nach Hause schicken. Es ärgert Mama immer, wenn sie mich abholt und auf das Gepäck warten muß.“

„Wir sollten uns vielleicht miteinander bekannt machen“, schlug Lord Saire vor.

„Ich heiße Bertilla Alvinston.“

„Ich kenne Ihre Mutter!“ rief er überrascht aus.

„Jedermann scheint sie zu kennen. Sie ist sehr schön, nicht wahr?“

„Sehr!“ stimmte er zu.

Lady Alvinston war eine der Schönheiten gewesen, die er D’Arcy gegenüber als Göttinnen auf dem Olymp bezeichnet hatte.

Sie war dunkel, herrisch und wurde vom Prince of Wales zu all denen, die seinen Geschmack imitierten, sehr bewundert. Aber Lord Saire war überrascht zu hören, daß sie eine Tochter hatte.

Sir George Alvinston war, wie er wußte, vor einigen Jahren verstorben, und er hatte seine Frau mit einer Schar von Bewunderern zurückgelassen. Aber niemand hatte je auch nur flüstern gehört, daß aus dieser Ehe Kinder hervorgegangen waren.

Tatsächlich hätte wohl niemand vermutet, daß Lady Alvinston alt genug war, eine Tochter wie Bertilla zu haben.

„Sie kommen aus der Schule heim?“

„Ich habe sie verlassen.“

„Und gefällt Ihnen das?“

„Nun, es war langweilig, so lange dort zu bleiben. Ich war viel älter als die anderen Mädchen.“

„Wie viel?“ erkundigte er sich neugierig.

Sie wandte sich ab, als schäme sie sich.

„Ich bin fast neunzehn.“

Lord Saire runzelte die Stirn. Er wußte sehr wohl, daß die Mädchen der Gesellschaft normalerweise kurz nach ihrem siebzehnten Geburtstag debütierten.

„Ich nehme an, Ihre Mutter weiß, daß Sie kommen?“

„Ich habe ihr geschrieben. Aber manchmal ist Mama so beschäftigt, daß sie meine Briefe nicht öffnet.“

In ihrer Stimme lag etwas Rührendes und Verlorenes, was Lord Saire viel über die Beziehung zwischen der schönen Lady Alvinston und ihrer Tochter verriet.

„Sie kommen für gewöhnlich nicht nach London, in den Ferien?“

„Nein, ich habe sie sonst meist bei meiner Tante in Bath verbracht. Aber sie ist vor drei Monaten gestorben.“

„London wird Ihnen bestimmt gefallen, selbst wenn über Weihnachten viele Leute fortfahren.“

„Vielleicht fahren wir auch aufs Land“, meinte Bertilla, mit einem plötzlichen Trällern in der Stimme. „Es war immer sehr lustig, als Papa noch lebte. Ich konnte reiten, im Winter hat er mich mit auf die Jagd genommen. - Aber Mama zieht es vor, in London zu leben.“

„Sie können im Park reiten.“

„Ich hoffe es, aber das ist nicht so schön, als wenn man über Felder galoppieren kann.“

Etwas lag in ihrer Stimme, das Lord Saire näher hinschauen ließ.

Er erkannte, daß Bertilla, im Gegensatz zu der auffallenden Schönheit ihrer Mutter, eine stille Lieblichkeit besaß, die ganz anders war. Sie war klein, während es modern war, groß und füllig zu sein. Tatsächlich war ihre zierliche Gestalt noch unausgereift und ihr Gesicht hatte etwas Kindliches. Ihre Augen waren grau und ungewöhnlich groß in einem Gesicht, das Lord Saire, als „Frauenkenner“, als herzförmig bezeichnete. Ihr Haar schien sehr hell und natürlich gelockt zu sein, soweit es unter ihrer Kappe hervorsah. Überraschenderweise waren ihre Wimpern dunkel, und als sie zu ihm aufsah, dachte er, wie jung und zutraulich der Ausdruck dieser Augen war.

Er mußte daran denken, daß jede andere Frau, allein mit ihm in seinem Wagen, wohl längst mit ihm geflirtet hätte. Nicht nur mit Worten, sondern mit den Augen, mit jeder Bewegung. Aber Bertilla blieb völlig natürlich und behandelte ihn, als käme es ihr gar nicht in den Sinn, daß er ein Mann war.

„Sie tragen keine Schuluniform.“

Zu seiner Überraschung errötete sie.

„Ich bin vor einem Jahr herausgewachsen. Und Mama meinte, es sei nicht nötig, dafür noch mehr Geld auszugeben. Und so haben meine Tante und ich das ausgesucht, was ich jetzt trage.“

Ihr Kleid und die Jacke, aus einem ordentlichen blauen Wollstoff, waren genau das, was eine ältliche Tante aussuchen mußte.

Da sie nichts taten, um Bertillas Erscheinung zu verschönern, wirkte sie rührend. Vielleicht lag das aber auch an ihren großen Augen in dem immer noch blassen Gesicht.

„Tut Ihr Fuß weh?“

„Nein, es ist schon viel besser, danke. Es ist so nett von Ihnen, mich in Ihrem Wagen nach Hause zu bringen. Sie haben wundervolle Pferde.“

„Ich bin auch sehr stolz darauf.“

„Reiten Sie im Park?“ erkundigte sie sich.

„Fast jeden Morgen, wenn ich in London bin“, erwiderte er, „aber ich muß Sie enttäuschen, wir werden uns wohl kaum treffen, da ich London verlasse.“

„Oh, das meinte ich auch nicht“, sagte Bertilla hastig. „Ich habe mich nur gefragt, ob Sie vielleicht wissen, in welchem Teil des Parks man keine Reiter der Gesellschaft trifft und vielleicht galoppieren kann.“

Lord Saire, der einen Augenblick vermutet hatte, Bertilla wolle ihn wiedersehen, amüsierte sich bei dem Gedanken, daß ihr eine solche Idee scheinbar nie gekommen war.

„Man galoppiert im Park nicht“, antwortete er. „Es gilt als gesellschaftlicher Fauxpas. Aber wenn Sie über die Brücke bei der Serpentine reiten, wird Sie niemand sehen.“

„Danke, daß Sie mir das gesagt haben. Genau das wollte ich wissen. - Aber vielleicht läßt Mama mich gar nicht reiten.“

Lord Saire erkannte, daß ein solches Verbot eine herbe Enttäuschung wäre, und tröstete: „Das wird sie sicher. Wenn ich mich recht entsinne, macht Lady Alvinston zu Pferd eine sehr gute Figur.“

„Mama macht immer eine gute Figur, ganz gleich, was sie tut“, stimmte Bertilla in bewunderndem Ton zu. „Aber manchmal findet sie das Reiten langweilig. Ich bin viel mit Papa ausgeritten.“

Lord Saire hatte das unbestimmte Gefühl, daß diese Ritte wesentlich lustiger gewesen waren, freundlich fragte er:

„Sie vermissen Ihren Vater?“

„Er hat sich immer gefreut, mich zu sehen, und wünschte sich, daß ich bei ihm war.“

Lord Saire fragte sich, was er darauf erwidern sollte, als er sah, daß der Wagen vor dem Haus Park Lane 92 hielt.

„Ich habe Sie heimgebracht und hoffe, Ihre Mutter wird sich freuen, Sie zu sehen.“

„Das hoffe ich auch. - Vielen Dank, daß Sie so freundlich zu mir waren.“

Als der Diener die Tür öffnete, fügte sie hinzu: „Ich habe Ihnen meinen Namen genannt, aber Ihren habe ich nicht erfahren. Ich möchte Ihnen gerne schreiben und mich bedanken.“

„Das ist nicht nötig, aber mein Name ist Saire - Theydon Saire.“

Bei diesen Worten stieg er aus und half auch Bertilla aus dem Wagen. Es war etwas schwierig, weil ihr Fuß schmerzte, als sie darauf stand. Als sich die Haustür öffnete, hielt sie ihm die Hand hin.

„Nochmals vielen Dank“, sagte sie. „Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar.“

„Es war mir ein Vergnügen“, erwiderte Lord Saire und zog den Hut.

Er beobachtete Bertilla, als sie das Haus betrat und kehrte dann in seinen Wagen zurück.

Er fragte sich, wie wohl der Empfang für das Mädchen aussehen würde?

Er hatte das Gefühl, da sie nicht vom Bahnhof abgeholt worden war, daß es für sie in der Park Lane kein Willkommenen geben würde.

In der Halle lächelte Bertilla den alten Butler an, den sie seit ihrer Kindheit kannte.

„Wie geht es, Maidstone?“

„Ich freue mich, Sie zu sehen, Miss Bertilla, aber Sie werden nicht erwartet.“

„Nicht erwartet?“ rief sie. „Dann hat Mama meinen Brief nicht erhalten. Sie muß doch wissen, daß die Schulen jetzt Weihnachtsferien haben, und ich konnte natürlich nicht mehr zu Tante Margaret gehen.“

„Nein, natürlich nicht, Miss. Ich nehme an, daß Ihre Ladyschaft Ihren Brief nicht bekommen hat. Sie hat - jedenfalls uns gegenüber - nichts davon erwähnt.“

„Oh je! Dann gehe ich wohl besser zu ihr hinauf. - Ist sie wach?“

Bertilla wußte, daß ihre Mutter selten vor dem Mittagessen aufstand, es war gerade erst zwölf Uhr.

„Ihre Ladyschaft hatte vor einer Stunde bereits Besuch, Miss Bertilla. Aber sie wird überrascht sein, Sie zu sehen.“

Maidstones Stimme klang warnend. Bertilla stieg langsam die Treppe hinauf.

Das Haus war stark verändert worden, seit sie zu Lebzeiten ihres Vaters zum letzten Mal dort gewesen war. Der Teppich war neu, die Wände neu tapeziert, große Vasen mit Gewächshauspflanzen standen in der Halle und auf dem Treppenabsatz, eine Extravaganz, die ihr Vater abgelehnt hätte.

Als sie langsam in den zweiten Stock hinaufstieg, schienen Bertillas Schritte immer langsamer zu werden und ihr Fuß immer mehr zu schmerzen. Auch schlug ihr Herz schneller, sie sagte sich, daß es dumm sei, solche Angst vor ihrer Mutter zu haben; aber schließlich war es schon immer so gewesen.

Ihre Hand zitterte, als sie klopfte. Sie wünschte sich sehnlichst in die Schule zurück.

„Herein!“ Lady Alvinstons Stimme war scharf.

Langsam öffnete Bertilla die Tür. Wie sie erwartet hatte, saß ihre Mutter in einem Berg von Kissen im Bett und las ihre Post. Eine Hermelindecke hielt sie warm, sie war in rosa Chiffon und Spitzen gehüllt, die zu ihrem dunklen Haar und der weißen Haut einen starken Kontrast bildeten. Sie las den Brief zu Ende, ehe sie zu Bertilla aufsah.

„Oh, du bist es? Ich dachte, du kämest erst morgen.“

„Nein, heute, Mama. Ich habe es dir auch geschrieben.“

„Ich muß es verwechselt haben. Ich bin so beschäftigt.“

„Ja, natürlich, Mama.“

Bertilla trat näher an das Bett, und Lady Alvinston erkundigte sich: „Warum hinkst du?“

„Ich bin auf dem Bahnsteig angefahren worden. Es war dumm von mir, ich habe den Träger nicht bemerkt.“

„Das ist typisch für dich! Ich hoffe, du hast keinen Wirbel veranstaltet?“

„Nein, natürlich nicht, Mama. Ein sehr freundlicher Herr half mir auf und brachte mich in seinem Wagen hierher.“

„Ein Herr?“ Lady Alvinstons Stimme klang schrill.

„Ja, Mama.“

„Wer war das?“

„Er sagte sein Name sei Saire - Theydon Saire.“

„Lord Saire! Guter Gott!“

Der Ärger in Lady Alvinstons Augen war nicht zu übersehen, und Bertilla sagte hastig: „Es tut mir leid, Mama. Du hattest ja keinen Wagen geschickt.“

„Ich habe dir doch gesagt, ich erwartete dich erst morgen! Es ist äußerst unglücklich, daß du gerade Lord Saire getroffen hast.“

„Warum?“

Lady Alvinston wandte sich ihrer Tochter zu, ihr Blick ruhte auf deren kindlichem Gesicht.

„Hast du ihm gesagt, wer du bist?“

„Er fragte nach meinem Namen und sagte, er würde dich kennen.“

„Verdammt!“

Bertillas Augen weiteten sich vor Erstaunen.

„Mama!“ rief sie unwillkürlich aus.

„Das genügt, um jemanden zum Fluchen zu bringen“, gab ihre Mutter zurück. „Hast du denn nicht gemerkt, du Dummkopf, daß ich nicht wollte, daß irgendwer, und schon gar nicht Lord Saire, erfährt, daß ich eine Tochter habe? Er wird es Gertrude Lindley erzählen, sie wird entzückt sein, es verbreiten zu dürfen. Sie ist schon immer eifersüchtig auf mich gewesen.“

„Es tut mir leid, Mama. Ich wußte nicht, daß du mich nicht haben willst.“

„Du lieber Himmel! Du mußt doch so viel Verstand haben, daß du einsiehst, daß ich nicht zugeben kann, Mutter einer achtzehnjährigen Tochter zu sein. Ich gelte als dreißig und will auch nicht älter sein!“

„Es tut mir leid, Mama“, wiederholte Bertilla.

„Ich hätte mir denken können, daß du alles kaputt machst.“

„Wenn du mir nur erzählt hättest, was du von mir erwartest“, sagte Bertilla unglücklich.

„Offen gesagt, ich habe nicht damit gerechnet, daß du einen meiner Freunde treffen würdest. Und übrigens, was hast du dir eigentlich dabei gedacht, allein mit Lord Saire in einem Wagen zu fahren? Du hättest einen Mietwagen rufen sollen.“

„Das wollte ich auch, aber er sagte, er würde mich heimbringen. Er war so freundlich gewesen, nachdem ich meinen Fuß verletzt hatte.“

„Das hätte er sicher nicht angeboten, wenn er dich für eine Erwachsene gehalten hätte“, meinte Lady Alvinston, als spräche sie zu sich selbst. „Er muß dich für ein Kind angesehen haben. Du siehst nicht wie achtzehn aus.“

Bertilla hatte ein ungutes Gefühl bei der Erinnerung, daß er nach ihrem Alter gefragt hatte. Aber aus Angst vor ihrer Mutter schwieg sie. Sie hätte aber nicht gelogen, wenn ihre Mutter sie gefragt hätte. Nur hatte sie schon als Kind gelernt, daß es unklug war, freiwillig Informationen zu geben.

„Laß sehen ... wenn ich bei deiner Geburt siebzehn war, dann wärest du jetzt vierzehn ..., wenn ich einunddreißig bin.“

Kritisch betrachtete sie ihre Tochter.

„Du gehst leicht für vierzehn durch. Du bist so klein und unauffällig“, meinte sie befriedigt. „Das werde ich erzählen, wenn mich jemand fragt.“

Sie nahm einen Brief auf, der auf dem Bett lag.

„Damit ist das geregelt. Außerdem wirst du ja nicht lange bleiben.“

„Ich gehe fort, Mama?“

„Ja, übermorgen. Du wirst zu deiner Tante Agatha reisen.“

„Tante Agatha? “ Bertilla sah überrascht aus. „Ich dachte, sie sei…“

„Agatha ist Missionarin, wie du wohl weißt. Ich habe beschlossen, daß du dich derselben Sache widmen sollst.“

„Soll das heißen, du willst, daß ich Missionarin werde?“ fragte Bertilla mit zitternder Stimme.

„Warum nicht? Es ist eine sehr schöne Laufbahn für jedes Mädchen, und wie du weißt, lebt Tante Agatha in Sarawak.“

Aus Bertillas Mund kam ein ersticktes Schluchzen, aber ihre Mutter fuhr fort: „Ich habe Agatha nach Margarets Tod geschrieben, daß du nach der Schule zu ihr kommen würdest, um bei ihr zu leben.“

„Und sie will mich haben?“

„Es war nicht genug Zeit für eine Antwort, aber ich bin sicher, sie wird sich freuen.“

„Wie kannst du so sicher sein, Mama?“

Als Lady Alvinston nicht antwortete, fragte sie weiter: „Wann hast du das letzte Mal von Tante Agatha gehört?“

„Kann man von mir nicht erwarten, daß ich mich an jeden Brief erinnere, den ich bekomme?“ erwiderte Lady Alvinston ärgerlich. „Agatha hat deinem Vater immer zu Weihnachten geschrieben.“

„Aber Papa ist seit drei Jahren tot!“

Lady Alvinston sah in das ängstliche Gesicht, die besorgten Augen ihrer Tochter, und ihr Ausdruck wurde hart.

„Hör auf, Schwierigkeiten zu machen!“

„Aber ... Mama ...“

„Ich will keine Diskussionen! Es gibt sonst nirgends, wo du hingehen könntest, nachdem deine Tante Margaret gestorben ist.“ Nach einer Pause fügte sie hinzu: „Die meisten Mädchen wären froh, die Welt zu sehen. Du wirst es sehr interessant finden, es heißt doch, Reisen bildet.“

„Soll ich für immer in Sarawak bleiben, Mama?“

„Es wird bestimmt nicht genug Geld für deine Rückreise vorhanden sein“, erklärte ihre Mutter. „Es ist ausgesprochen teuer, dich so weit reisen zu lassen. Ich nehme an, daß du ein paar neue Kleider haben willst, wenn auch nicht viele. Keiner wird erwarten, daß du da modisch gekleidet bist.“

„Bitte, Mama, ich möchte nicht bei Tante Agatha leben. Ich habe schon als Mädchen Angst vor ihr gehabt, und Papa hat immer gesagt, sie sei fanatisch.“

„Dein Vater hat eine Menge dummer Dinge gesagt, auf die du besser nicht gehörst hättest“, gab Lady Alvinston zurück. „Du wirst zu deiner Tante reisen, Bertilla, ob es dir paßt oder nicht. Ich will dich hier nicht haben.“

„Sicher könnte ich bei einer von Papas Cousinen leben“, schlug Bertilla verzweifelt vor.

„Ich habe doch gerade gesagt, ich will dich nicht in London haben! Begreife endlich: Ich will nicht, daß mir eine erwachsene Tochter im Weg steht!“

Dabei wandte sie sich ihrem Spiegel zu. Befriedigt betrachtete sie ihr dunkles Haar und die weiße Haut. Dann meinte sie: „Du bist alt genug, um zu verstehen, daß ich noch einmal heiraten will; aber nichts schreckt einen Mann mehr ab, Bertilla, als Kinder aus einer früheren Ehe.“

„Das verstehe ich, Mama. Aber bitte, schick mich nicht aus England fort. Kann ich nicht aufs Land gehen? Niemand erführe von meiner Existenz, die alten Diener könnten sich um mich kümmern.“ „Das wäre alles andere als praktisch. Ich beabsichtige, Alvinston Park im Sommer zu öffnen. Jedermann gibt Wochenendgesellschaften auf dem Lande, und es gibt ein paar Freunde, die ich gern einladen möchte.“

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