Kitabı oku: «Jawort unter fremden Sternen», sayfa 2
Sie seufzte leicht und fügte hinzu: „Das heißt, wenn ich es mir leisten kann.“
„Kann ich dann nicht woanders hingehen, Mama? Ich koste bestimmt nicht viel.“
„Die Antwort ist nein, Bertilla, und ich habe keine Lust, noch weiter darüber zu diskutieren. Es ist mir gelungen, genug Geld für deine Reise nach Sarawak aufzubringen. Dort wirst du bleiben!“
„Aber Mama!!“
„Geh jetzt und laß mich in Ruhe! Pack lieber zusammen, was du mitnehmen willst. Ich sorge dafür, daß Dawkins heute nachmittag mit dir einkaufen geht. Ich nehme doch an, du hast keine Sommerkleider. Es wird heiß sein in Sarawak, aber kaufe nicht das Teuerste.“
Bei diesen Worten klingelte sie, fast sofort erschien ihre Zofe, eine ältliche Frau.
„Miss Bertilla ist da, Dawkins. Sie ist am falschen Tag gekommen, was wir uns eigentlich hätten denken können. Aber so haben Sie wenigstens zwei Nachmittage, um alles Notwendige zu besorgen.“
„Ich werde mich bemühen, Mylady, aber es wird schwierig sein, um diese Jahreszeit Sommerkleider zu bekommen.“
„Tu, was du kannst, aber gebt nicht zu viel Geld aus.“
Lady Alvinstons Ton war entschlossen, und als sie nun ihre Briefe wieder aufnahm, wußte Bertilla, daß sie entlassen war.
Sie verließ das Zimmer und ging in den kleinen Raum, den sie früher bewohnt hatte. Aber sie fand ihn voll mit großen Kleiderschränken, die die Garderobe ihrer Mutter enthielten.
Unter einigen Schwierigkeiten fand sie heraus, daß sie ein Zimmer neben den Unterkünften der Dienerinnen bewohnen würde.
Als sie dort einsam und verlassen auf ihrem Bett saß, sagte sie sich, daß sie damit hätte rechnen können, ins Ungewisse geschickt zu werden. Ihre Mutter hatte sie noch nie geliebt, das wußte Bertilla. Sie hätte sehr dumm sein müssen, um nicht zu merken, daß sie seit dem Tod ihres Vaters nie mehr als eine Last gewesen war.
Sie hatte die Ferien bei ihrer Tante verbracht, und ihre Mutter hatte ihr nie in die Schule geschrieben. Nie waren ihr Kleider gekauft worden, außer wenn die Schulleiterin schrieb, daß bestimmte Dinge der Schuluniform erneuert werden mußten oder sie Schulbücher benötigte.
Ihre Mutter hätte keinen Ort finden können, der weiter entfernt gewesen war.
Sie erinnerte sich an ihre Tante Agatha als eine harte Frau, die ihr Vater nie gemocht hatte und die ganz offensichtlich ihre jüngere Schwester Margaret erschreckt hatte, als sie als Mädchen zusammen waren. Tante Margaret hatte Bertilla einmal erzählt, daß sie als junge Frau die Möglichkeit gehabt hätte zu heiraten, aber Tante Agatha hatte es verhindert.
„Sie dachte, ich sei zu leichtlebig, Bertilla“, hatte sie mit einem leisen Lachen gesagt. „Sie verabscheute weltliche Gedanken. Sie hat immer nur gebetet und wurde wütend, wenn ich tanzen wollte.“
Bertilla schauderte.
Welches Leben würde sie mit ihrer Tante führen?
Sie wußte, hatte sie Sarawak einmal erreicht, gab es für sie kein Entrinnen mehr!
2.
„Es hat keinen Zweck, Dawkins“, meinte Bertilla, als sie das fünfte Geschäft verließen, ohne brauchbare Kleidung gefunden zu haben.
„Ich habe Ihrer Ladyschaft gleich gesagt, um diese Jahreszeit würde man nichts finden“, erwiderte Dawkins scharf.
Sie wurde müde und ihr Verhalten den Verkäuferinnen gegenüber wurde von Geschäft zu Geschäft schlechter. Aber es war nicht der Fehler der Mädchen; sie taten ihr Bestes, aber es war in London im Dezember einfach nicht möglich, tropengeeignete Kleider zu finden.
Außerdem war Bertilla für die meisten Kleider ohnehin zu zierlich.
„Das einzige, was wir tun können, Dawkins“, meinte Bertilla mit ihrer sanften Stimme, „ist, Stoff zu kaufen. Dann nähe ich mir selbst ein paar Kleider während der Reise.“ Seufzend fügte sie hinzu: „Ich werde mehr als genug Zeit haben.“
Sie hatte die ganze Nacht über wach gelegen. Wie würde sie die lange Reise nach Sarawak allein bewältigen? Sie war einmal mit ihrem Vater im Ausland gewesen, war mit ihm nach Schottland gereist, aber nie hatte sie damit gerechnet, ganz allein eine Reise zu machen, die sie um die halbe Welt führen würde.
Unter gewöhnlichen Umständen wäre es ein aufregendes Abenteuer gewesen, dachte sie.
Aber das Wissen, daß am Ende dieser langen Fahrt ihre Tante Agatha auf sie wartete, machte diese Reise zu einem Alptraum.
Je mehr sie darüber nachdachte, wie ihr Leben aussehen würde, nur mit der Gesellschaft ihrer Tante Agatha, desto größer wurde der Wunsch, fortzulaufen.
Aber sie wußte, diese Idee war hoffnungslos. Zum einen hatte sie kein Geld und war nicht in der Lage, selbst ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Sie hatte die Ladenmädchen beobachtet und hatte festgestellt, wie dünn und blaß sie waren. Sicher eine Folge des ungesunden Lebens, das sie führten, sagte sie sich, und der Tatsache, daß sie unterbezahlt waren.
Ihr Vater war sehr daran interessiert gewesen, was in der Welt vor sich ging, und während der Schulzeit hatte sie sich bemüht, immer auf dem Laufenden zu bleiben. In dieser Beziehung unterschied sie sich beträchtlich vor ihren Klassenkameradinnen, die nur an eines dachten: sich zu verheiraten.
Sobald ihre Schulentlassung und die Einführung in die Gesellschaft in greifbare Nähe rückten, kannten sie nur noch ein Thema: Männer und wie man ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
Bertilla fand das äußerst langweilig. Sie nahm an, daß sie eines Tages heiraten würde, aber in der Zwischenzeit gab es so viel interessantere Dinge.
Sie war sich lange, ehe ihre Mutter es erwähnte, darüber im Klaren gewesen, daß diese sich wieder verheiraten wollte.
Fast noch vor Ablauf der Trauerzeit hatten die Diener über ihre Bewunderer geredet. Ihre Tante Margaret war unersättlich gewesen, wenn es um Gesellschaften ging, auf denen Lady Alvinston anwesend war.
„Deine Mutter ist so schön, meine Liebe“, hatte sie zu Bertilla gesagt, „man kann nicht erwarten, daß sie allein bleibt und nur in Erinnerung an deinen Vater lebt.“
„Nein, natürlich nicht“, hatte Bertilla geantwortet.
Aber gleichzeitig fühlte sie sich als Verräterin ihrem Vater gegenüber, da sie so leicht zustimmte, daß ihre Mutter einen neuen Ehemann haben sollte.
Aber sie hatte schon vor langer Zeit festgestellt, daß - wenn auch ihr Vater ihre Mutter verehrte und sehr stolz auf sie gewesen war - diese sehr viele andere Interessen hatte.
Nicht nur die Tatsache, daß Bertilla und ihr Vater auf dem Lande, ihre Mutter dagegen in London lebte, ließ sie erkennen, daß ihre Eltern getrennte Wege gingen. Auch die versteckten Hinweise, die viel Gäste in Alvinston Park ganz bewußt fallenließen.
„Ist Millicent noch in London?“ hatte man gefragt. „Natürlich, sie hat das Land noch nie gemocht. Du kannst froh sein, lieber George, daß der Duke dort ist und sich um sie kümmert.“
War es nicht der Duke, so waren es Lord Rowland, Lord Hampden oder sonst ein Name, der Bertilla nichts sagte, aber oft in den Hofnotizen erwähnt wurde.
Aber wenn Bertilla auch die Schar der Bewunderer akzeptierte, und annahm, daß ihre Mutter den geeignetsten heiraten würde, so hatte sie doch nicht erwartet, deshalb aus England fortgeschickt zu werden.
„Wie soll ich das nur ertragen?“ hatte sie sich in der Stille der Nacht gefragt.
Nun, als sie die Regent Street entlang gingen, betrachtete sie alles genau, damit sie sich später erinnern konnte.
„Vielen Dank für Ihre Hilfe, Dawkins“, sagte Bertilla mit ihrer sanften Stimme, als sie schließlich ihre Päckchen mit Musselin, billiger Seide und Baumwolle die Treppen in der Park Lane hinauftrugen.
„Wissen Sie was, Miss Bertilla? Ich werde ein paar Accessoires Ihrer Ladyschaft für Sie heraussuchen. Gürtel, Spitzen, Bänder. Es wäre sicher nützlich für Sie.“
„Das ist sehr freundlich, Dawkins.“
Bertillas Mutter war ausgegangen, und so begab sie sich in den Salon, nachdem sie Mantel und Hut abgelegt hatte.
Ein Porträt ihres Vaters hing dort über dem Kaminsims, und Bertilla starrte in sein freundliches, intelligentes Gesicht. Wie schon so oft wünschte sie, er würde noch leben.
„Was soll ich tun, Papa? Wie soll ich mit Tante Agatha leben? Sarawak ist so weit fort!“
Sie wartete, als könne er ihr noch antworten. Dann sagte sie sich, daß er nur eines von ihr erwarten würde: Tapferkeit.
„Ich werde es versuchen, Papa“, flüsterte sie nach einer Weile und seufzte. „Aber es wird schwer sein - sehr schwer!“
Sie trat an den Bücherschrank, um sich etwas für die Reise herauszuholen, aber außer einer Biographie von Sir Stafford Raffles, dem Erbauer Singapurs, fand sie nichts.
„Vielleicht gibt es Bücher an Bord“, tröstete sie sich.
Sie fühlte sich verzweifelt bei dem Gedanken, eine lange Reise anzutreten, ohne jemanden, den sie kannte und der ihr helfen konnte. Es ist außergewöhnlich, daß ihre Mutter sie ohne Anstandsdame reisen ließ, sagte sie sich. Aber wahrscheinlich nahm sie an, daß Missionare eine Klasse für sich bildeten und unbeschützt überallhin reisen konnten, ohne in Schwierigkeiten zu geraten.
Gerade nahm sie noch einige Bücher aus dem Regal, als Lady Alvinston den Raum betrat.
Lächelnd wandte sich Bertilla um, um ihre Mutter zu begrüßen, doch ein Blick in deren Gesicht ließ sie vorsichtig und sehr aufmerksam werden.
In einer pelzverbrämten Jacke, mit Diamanten an den Ohren und einem federgeschmückten Hut sah Lady Alvinston bezaubernd aus.
Aber eine Falte stand zwischen ihren sanften Brauen, ihre Augen waren dunkel vor Wut, als sie jetzt auf ihre Tochter blickte.
„Wie kannst du es wagen!“
Ihre Stimme schrillte durch das Zimmer.
„Wie kannst du es wagen, Lord Saire dein Alter zu verraten!“
Bertilla zuckte zusammen, jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht.
„Er hat mich gefragt“, stammelte sie.
„Und du warst dumm genug, ihm die Wahrheit zu erzählen!“
Sie zog die langen Handschuhe aus und fügte in boshaftem Ton hinzu: „Ich hätte wissen müssen, daß du nur Ärger machst, selbst wenn es nur für ein oder zwei Nächte ist. Je eher du aus dem Land bist, desto besser!“
„Es tut mir leid, Mama!“
„Das kann es auch! Kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, als Lord Saire mich fragte, wie es dir ginge und ob ich dich im nächsten Frühjahr debütieren ließe? Glücklicherweise bin ich, im Gegensatz zu dir, nicht auf den Kopf gefallen. ,Bertilla vorstellen?’ sagte ich. ,Wie kommen Sie denn auf die Idee? Sie ist viel zu jung!’Fragend sah er mich an, als vermute er, daß ich nicht die Wahrheit sagte. ,Sie erzählte mir, sie sei bald neunzehn und habe gerade die Schule verlassen’, meinte er. Es gelang mir zu lachen, wenn ich dich auch am liebsten erwürgt hätte.
,Sie können sie nicht richtig angesehen haben, wenn Sie das glauben, mein lieber Lord Saire‘, entgegnete ich. ‘Mädchen lieben es nun einmal, für älter gehalten zu werden. In Wirklichkeit ist Bertilla erst vierzehn, und wenn sie Ihnen die Wahrheit gesagt hätte, wüßten Sie, daß man sie wegen schlechten Betragens aus der Schule geworfen hat’.“
„Oh, Mama, wie konntest du so etwas erzählen!“
„Ich mußte irgendetwas sagen, um ihm die Vorstellung zu nehmen, daß du achtzehn bist. Achtzehn! Das macht mich älter als 36, und jeder hier hält mich für wesentlich jünger!“
Bertilla wußte, daß ihre Mutter bereits 38 war, sagte aber nichts. Nach einer Weile fuhr Lady Alvinston in ruhigem Ton fort: „Ich nehme an, ich habe ihn überzeugt! Schließlich bist du sehr klein, und dieses dumme, kindliche Gesicht, das deinen noch dümmeren Geist widerspiegelt, wirkt auf jeden Fall unreif. Je eher du mir aus den Augen kommst, desto besser! Falls heute abend irgendjemand kommt, bleibe in deinem Zimmer und laß dich nicht sehen! Du hast schon genug Unheil angerichtet!“
„Das wollte ich doch nicht, Mama. Ich wußte ja nicht, daß du mich nicht als deine Tochter anerkennen willst.“
„Nun, jetzt weißt du es!“ meinte Lady Alvinston und rauschte aus dem Zimmer.
Tränen schossen Bertilla in die Augen. Seit dem Tod ihres Vaters hatte sie immer gefühlt, daß sie unerwünscht war, aber sie hatte nicht geahnt, daß ihre Mutter sie verabscheute!
„Du wirst sehr hübsch, wenn du einmal erwachsen bist“, hatte ihr Vater eines Tages zu ihr gesagt. „Gott sei Dank bist du ein ganz anderer Typ als deine Mutter. So wird es keine Rivalität zwischen euch geben.“
Damals war Bertilla erstaunt gewesen, daß er so etwas überhaupt in Erwägung gezogen hatte.
Nun wußte sie instinktiv, daß es nicht nur ihr Alter war, was ihre Mutter beunruhigte, sondern auch ihre Schönheit.
Aber nicht einmal die Tatsache, daß ihre Mutter ihr nie in die Schule geschrieben hatte, hatte sie darauf vorbereitet, daß sie von allem, was von ihrer Familie übrig geblieben war, getrennt werden sollte.
„Außer von Tante Agatha“, flüsterte Bertilla, und ein Schaudern durchlief ihren zarten Körper.
Es regnete, der Himmel war dunkel und bedrückend, der Kai feucht und das Meer aufgewühlt, als Bertilla an Bord des P&Q-Dampfers ging, der sie aus England fortbringen sollte.
Mit seinen hohen Aufbauten, der Aussichtsplattform auf der Brücke und den roten Insignien, die am Bug flatterten, war es ein eindrucksvolles, ja riesiges Schiff.
Die meisten Schiffe, die jährlich etwa 200 000 Passagiere beförderten, waren kleiner als 8000 Tonnen. Aber die großen Schiffahrtslinien, die alle mit dem Handel innerhalb des britischen Empire ein Vermögen machten, ließen immer größere Schiffe bauen, um im Wettkampf untereinander zu bestehen. Sie waren sehr stolz auf ihre Schiffe und schmückten sie immer extravaganter aus. Die Coromandel war ein Dampfer, der wie ein Segelschiff ausgestattet war, mit vier Großmasten und komplizierter Takelage.
Aber Bertilla, die sich klein und verloren vorkam, deprimiert noch dazu durch den Regen, konzentrierte sich nur darauf, ihre Kabine zu finden. Während der ganzen langen Fahrt im Zug hatte sie gedacht, daß sie auf dem Schiff wenigstens lesen und nähen könnte, und sollte sich niemand finden, mit dem sie sich unterhalten könnte, so müßte sie sich eben an ihre eigene Gesellschaft gewöhnen.
Sie versuchte, tapfer zu sein, aber es war hart gewesen, nicht in Tränen auszubrechen, als der alte Maidstone ihr „Gott sei mit Ihnen“ gewünscht hatte.
Und selbst Dawkins war ihr wie eine alte liebe Freundin erschienen, die eine tiefe Kluft hinterlassen würde, weil sie sie nie wiedersehen könnte.
Sie war nicht überrascht gewesen, daß sie sich nicht von ihrer Mutter verabschieden sollte. Sie mußte das Haus um 8.30 Uhr verlassen, und Lady Alvinston hatte strikte Anweisung gegeben, daß sie nicht gestört werden wollte.
„Ihre Ladyschaft ist letzte Nacht erst um zwei Uhr nach Hause gekommen“, hatte Dawkins berichtet. Und wie um ihre verletzten Gefühle zu beruhigen, hatte sie hinzugefügt: „Sie war todmüde und alles andere als erfreut, weil ihr ein Herr beim Tanzen das Kleid zerrissen hatte. Aber ich habe ja schon immer gesagt, Tanzen wurde nur erfunden, um einer überarbeiteten Zofe noch mehr Arbeit zu machen.“
Bertilla hatte versucht zu lächeln, aber es war ihr nicht gelungen.
„Hat Mama eine Nachricht für mich hinterlassen?“ hatte sie sich dann erkundigt.
„Ich weiß, Ihre Ladyschaft möchte, daß Sie auf sich achtgeben und sich amüsieren, Miss Bertilla“, hatte die Zofe erwidert. Aber das war nicht die Antwort gewesen, die Bertilla hatte hören wollen.
Maidstone hatte ihr dann ihre Fahrkarte, ihren Paß und etwas Geld gegeben.
Erst als sie ihre Karte in Händen gehalten hatte, sah sie, daß sie nicht Erster Klasse reisen sollte, wie sie es erwartet hatte.
Das hatte sie doch überrascht, denn sie wußte, weder ihr Vater noch ihre Mutter waren jemals Zweiter Klasse gereist. Sie wußte, daß ihre Mutter es haßte, für sie Geld auszugeben, und daß sie froh sein durfte, nicht im Zwischendeck fahren zu müssen.
Da, abgesehen vom Regen, ein starker Wind herrschte, eilte Bertilla, so schnell sie konnte, die Gangway hinauf auf die Coromandel, wo sie mit einer Reihe anderer Passagiere darauf wartete, daß die Kabinen zugeteilt wurden.
Die Passagiere der Zweiten Klasse wurden eine Gangway hinaufgetrieben, während es für die auserwählten Reisenden der Ersten Klasse eine andere gab. Bertilla bemerkte, daß die meisten anderen Passagiere der Zweiten Klasse Ausländer waren, und sie versuchte zu erraten, woher sie kamen. Es gab eine Anzahl von Chinesen, die - wie Bertilla vermutete - nach Singapur zurückkehrten, wo es eine große Siedlung gab. Dann gab es einige sonnenverbrannte Europäer, die wohl Pflanzer sein mußten.
Sie hatte sich schon immer für andere Rassen interessiert, und als sie sich jetzt umsah, dachte sie, daß es, wenn schon nichts anderes, so doch eine Menge Leute an Bord gab, und vielleicht konnte sie einiges über ihre Geschichte und Sitten erfahren.
Sie betrachtete gerade eine Inderin in einem wunderschönen scharlachroten Sari, als sie einen Mann bemerkte, der sie unentwegt anstarrte. Sein Ausdruck verwirrte sie. Er hatte goldbraune Haut und schwarzes Haar; für einen Augenblick wußte sie nicht, wo sie ihn unterbringen sollte. Dann dachte sie, daß er holländische und javanische Züge aufwies. Sie hatte gehört, daß holländische Pflanzer oft Javanerinnen heirateten. Mit einem Gefühl des Triumphes sagte sie sich, daß sie richtig geraten hatte, selbst in diesem speziellen Fall, aber es würde schwer sein, dieses nachzuprüfen.
Da er sie noch immer anstarrte, stieg ihr das Blut in die Wangen, und sie wandte sich ab, froh, daß in diesem Augenblick der Zahlmeister ihren Namen aufrief.
„Miss Bertilla Alvinston? Sie sind in Kabine 37, einer Einzelkabine. Ein Steward wird Sie hinbringen.“
Ein Steward ergriff Bertillas kleinen Koffer und trug ihn ihr voran durch einen langen, niedrigen Gang.
„Ich habe noch mehr Gepäck im Zug.“
„Es wird alles an Bord gebracht werden, Miss.“
Der Steward öffnete eine Tür.
„Hier ist Ihre Kabine, Miss, ich hoffe, Sie haben alles, was Sie brauchen.“
Die Kabine schien Bertilla kaum größer als ein sehr kleiner Schrank. Aber sie war zu froh, daß sie ihre Kabine nicht mit einer fremden Frau teilen mußte, um noch zu kritisieren.
Es war gerade genug Raum für ein Bett und eine eingebaute Kommode, ein Vorhang trennte eine Ecke ab, in der sie ihre Kleider aufhängen und sich daneben waschen konnte.
Ganz sicher entsprach das nicht dem Luxus, den sie an Bord der Coromandel erwartet hatte, nachdem sie eine Broschüre im Zug gelesen hatte.
Aber sie nahm an, daß die Bilder den Speisesaal, die gemütliche Halle, die Bildergalerie und das Schreibzimmer Erster Klasse zeigten.
„Mach dir nichts daraus“, tröstete sie sich, „immerhin kann ich hier allein sein.“
Aber sie wurde das Gefühl nicht los, daß ihre Kabine der Zelle eines Gefangenen ähnelte, der in einen anderen Teil der Welt gebracht wurde, ob er es wollte oder nicht.
Da diese Vorstellung sie so deprimierte, beschloß sie, an Deck zu gehen und der Abfahrt des Schiffes zuzusehen.
Man hatte ihr immer erzählt, daß das ein lustiger und ermutigender Vorgang sei, mit einer Kapelle, mit Winken und Zurufen der Zuschauer.
Aber als sie nun an Deck kam, sah sie nur wenige Menschen, die bereit waren, dem stürmischen Wetter zu trotzen und ihnen zum Abschied zuzuwinken.
Die Menschen am Kai waren größtenteils Träger, die noch immer Gepäck an Bord brachten.
Einige verspätete Passagiere stiegen noch die Gangway zur Ersten Klasse hinauf. Ganz offensichtlich hatten sie abgewartet, bis der Ansturm vorüber war.
Es gab einige Damen, die genauso elegant gekleidet und würdevoll erschienen wie Bertillas Mutter, wenn sie eine Reise antrat.
Auch einige Kinder in der Obhut von Kindermädchen konnte sie entdecken.
Dann, gerade als die Gangway eingeholt werden sollte, sah Bertilla jemanden mit bemerkenswerter Würde den Kai entlang schlendern, den sie kannte.
Ihr Herz machte einen Satz. Es gab keinen Zweifel: Diese breiten Schultern, die schönen Züge gehörten dem Mann, den sie am Bahnhof kennengelernt hatte und der sie in seinem Wagen heimgebracht hatte!
Es ist Lord Saire! Er wird an Bord der Coromandel sein, dachte sie aufgeregt.
Sie sah ihn die Gangway hinaufkommen und dann auf dem Erster-Klasse-Deck verschwinden.
Ich werde ihn nie treffen, ihn nicht einmal sehen, durchzuckte es sie.
Gleichzeitig war sie erleichtert, daß zumindest ein Mensch an Bord war, den sie schon einmal gesehen hatte und dessen Namen sie kannte und der aus der Welt kam, zu der sie gehörte.
Die Tatsache, daß Lord Saire da war, schien den Druck zu vermindern, der auf ihrer Brust lastete. Das Gefühl der Leere, das sie empfunden hatte, seit der Zug sie aus London fortgebracht hatte, war nicht länger so intensiv.
Die Gangways wurden eingeholt, nun konnte sie - ganz schwach, denn sie spielte unter einem Dach - die Kapelle hören.
Nur wenige Leute standen noch am Kai, sanft und ohne großen Abschied legte die Coromandel ab.
Der Wind, der vom Meer herüberblies, war kalt, es regnete in Strömen, Bertilla schauderte.
Aber dennoch war sie nicht so verzweifelt, wie sie erwartet hatte.
Wenn es auch absurd schien, aber es lag daran, daß Lord Saire auf dem Schiff war. Er war sehr freundlich zu ihr gewesen, als sie Probleme hatte.
Um diese Zeit war Lord Saire damit beschäftigt, seine Kabine und den angrenzenden privaten Salon zu begutachten. Er seufzte erleichtert.
Er hatte London verlassen, ohne daß Lady Gertrude es wußte. Er hatte auf diese Weise jede Szene vermieden.
Wie schon so oft sagte er sich, daß die Sache viel zu ernst geworden war. Dies passierte ihm wieder und wieder und ließ ihn immer zynischer werden.
„Ich liebe dich, Theydon! Ich liebe dich wahnsinnig! Sag mir, daß du mich auch immer lieben wirst, daß wir immer so glücklich sein werden!“
Jede Frau sagte ihm das, wenn er einige Zeit ihr Liebhaber gewesen war. Für ihn war es wie ein Alarmsignal, denn er wußte genau, was das bedeutete.
Sie wollten ihn anbinden, wollten sicher sein, daß er ihnen gehörte und nicht mehr entfliehen konnte.
Die meisten wollten, wenn es - wie bei Gertrude Lindley - möglich war, daß er sie heiratete.
„Verdammt sollen sie sein!“ hatte Lord Saire mehr als einmal zu sich gesagt, „es muß doch möglich sein, Liebhaber einer Frau zu sein, ohne daß es gleich ‘lebenslänglich’ wird.“
Aber in seinem Fall schien das nicht zu umgehen zu sein, selbst wenn die Frauen bereits verheiratet waren.
Aber wie er schon seinem Freund D’Arcy Charington erzählt hatte: Lord Saire hatte nicht die Absicht, sich zu verheiraten.
Er genoß die Freiheit, die er als Junggeselle besaß und würde sie nicht kampflos aufgeben. Aber Gertrude Lindley war ausgesprochen hartnäckig gewesen. Selbst den Prinzen hatte sie in ihre Verschwörung eingespannt, damit er Lord Saire die Hochzeit mit ihr vorschlagen sollte.
Und da der Prinz immer gerne bereit war, schönen Frauen seine Hilfe zu gewähren, hatte er schließlich mit Lord Saire gesprochen.
„Ich glaube Sie sind ziemlich grausam dieser hübschen Dame gegenüber“, hatte er nach einem Abendessen in Marlborough House gemeint.
„Welcher, Sire?“ hatte er sich erkundigt.
Der Prinz hatte gelacht.
„Das ist genau die Antwort, die ich selbst auch gerne geben würde! Sie wissen genauso gut wie ich, daß ich von Lady Gertrude spreche.“
„Sie versichert mir immer wieder, daß ich sie sehr glücklich mache, Sire!“
„Das sollten Sie auch! Nach allem, was ich höre, sind Sie ein verdammt guter Liebhaber!“
Der Prinz hatte einen kleinen Schluck Brandy getrunken und dann gemeint: „Im Vertrauen, Saire, was haben Sie mit ihr vor?“
„Nichts, Sire, was ich nicht bereits getan hätte.“
Für einen Augenblick wirkte der Prinz sehr verblüfft. Lord Saire war sich sehr wohl im klaren darüber, daß der Prinz sich gerne als königlichen Heiratsvermittler gesehen hätte, aber er hatte seinen guten Ruf als Diplomat nicht umsonst erlangt. Er wußte, wie er mit dem Prinzen umzugehen hatte.
Er beugte sich vor und sagte so leise, daß die anderen Herren am Tisch es nicht hören konnten: „Ich würde gerne privat und vertraulich mit Ihnen sprechen, Sire. Ich brauche in verschiedenen anderen Angelegenheiten Ihre Hilfe, über die ich im Augenblick nicht sprechen kann.“
Die Augen des Prinzen hatten aufgeblitzt. Er war so lange von seiner Mutter aus allen politischen Angelegenheiten herausgehalten worden, daß er gierig nach jeder Information griff.
Er wollte auf dem Laufenden gehalten werden und war vollkommen unglücklich, von den Geheimnissen des Außenministeriums ferngehalten zu werden.
Die bloße Tatsache, daß Lord Saire ihm anbot, ihn in Geheimnisse einzuweihen, die er offiziell nicht wissen durfte, war für ihn so verlockend wie Wasser für einen Verdurstenden.
„Ich werde dafür sorgen, daß wir uns bei der ersten Gelegenheit unterhalten können, Saire.“ Damit hatte Lord Saire gewußt, daß, zumindest für den Augenblick, Lady Gertrudes Problem vergessen war.
Wenn er dem Prinzen auch genug erzählt hatte, um ihn zufriedenzustellen, so wußte er doch, daß es gut gewesen war, ohne Abschied ins Ausland zu reisen.
Der Prinz konnte ein scharfer Gegner sein, und Lord Saire war froh, daß, zumindest, was Gertrude anbelangte, er nicht dazu gezwungen worden war, offen zu sagen, daß er sie nicht zu heiraten beabsichtigte, und auf diese Weise den Hof zu verärgern.
„Ich bin entkommen“, sagte er sich.
Dann setzte er sich bequem in einen der tiefen Armsessel.. Er hörte, wie sein Diener die Koffer auspackte, nahm die Times zur Hand und vertiefte sich in den Parlamentsbericht.
Etwas später brachte ihm sein Diener Cosnet die Passagierliste.
„Das Schiff ist vollkommen ausgebucht, M’Lord“, erklärte er und legte sie auf den Tisch. „Aber ich nehme an, einige Passagiere werden in Alexandria und Malta aussteigen.“
„Ich fürchtete schon, es könnte überfüllt sein“, bemerkte Lord Saire. „Irgend jemand an Bord, den wir kennen?“
Er wußte, sein Diener kannte seine zahlreichen Bekannten ebenso gut wie er selbst.
„Da ist der Perser, M’Lord, den wir vor drei Jahren kennenlernten, als wir in Teheran waren.“
„Oh, gut! Ich freue mich, ihn einmal wiederzusehen.“
„Und dann sind da Lord und Lady Sandford, die ehrenwerte Mrs. Murray und Lady Ellenton, die Ihre Lordschaft wohl kennen.“
„Ja, natürlich“, murmelte Lord Saire.
Alle waren sehr langweilig, mit Ausnahme von Mrs. Murray, der Frau des Diplomaten, die er bei verschiedenen Anlässen getroffen hatte und für sehr attraktiv hielt.
Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich wieder seiner Zeitung zuwandte.
Vielleicht würde die Reise doch nicht so langweilig werden, wie er befürchtet hatte. Auf jeden Fall ähnelte Mrs. Murray mit ihrem roten Haar und den schmalen, grünen Augen Gertrude nicht im Geringsten!
Das Abendessen am ersten Abend in der Zweiten Klasse war eine Überraschung für Bertilla.
Sie hatte gedacht, einen Tisch für sich zu haben, fand sich dann aber mit allen anderen an langen Tischen sitzend. Leuchter hingen von der Decke herab.
Die Speisenden saßen sehr dicht nebeneinander, man war gezwungen, sich mit den Personen zur Rechten und Linken zu unterhalten.
Bertilla saß neben einem Pflanzer, der auf Heimaturlaub in England gewesen war und sich nun darauf freute, nach Malaysia zu seiner Frau und drei Kindern zurückzukehren, wie er lang und breit erzählte.
Auf ihrer anderen Seite saß ein ältlicher Schotte, europäischer Einkäufer für einen reichen chinesischen Geschäftsmann in Singapur.
An ihrem Tisch saßen alle weißen Europäer zusammen, aber sie entdeckte auf der anderen Seite, glücklicherweise ein ganzes Stück weit fort, den Java-Holländer, der sie bei ihrer Ankunft so angestarrt hatte.
Es fiel ihr auf, daß er sie auch jetzt beobachtete. Sie fürchtete, er wollte mit ihr sprechen, sobald das Abendessen beendet war.
So wich sie ihm aus, indem sie sich schneller als die übrigen Passagiere entfernte und umgehend in ihre Kabine zurückkehrte.
Sie hatte ausgepackt und nun, nachdem ihre persönlichen Dinge überall verstreut waren, schien die Kabine fast heimatlich.
Da sie inzwischen den Kanal erreicht hatten und die See rauh war, zog Bertilla sich aus, wählte ein Buch aus und legte sich in ihre Koje.
Es war ganz bequem, und sie dachte, daß es ihr, wenn sie sich erst einmal an das Schiff und die fremden Leute darauf gewöhnt hatte, vielleicht sogar gelingen würde, Freundschaften zu schließen.
Sie lächelte bei der Vorstellung, wie entsetzt ihre Mutter wäre, daß sie mit Leuten wie denen hier in der Zweiten Klasse sprechen, ja, freundschaftlich verkehren würde.
Aber sie war sich der Tatsache bewußt, daß es ihr unmöglich war, Kontakt zu den Passagieren der Ersten Klasse aufzunehmen, selbst wenn sie es wollte. Darum mußte sie das Beste aus ihrer Situation machen.
Das Mahl war essbar, wenn nicht aufregend gewesen, und sie war sicher, daß sie zumindest aus erster Hand eine Menge über die Menschen lernen würde, die in dem Teil der Welt lebten, in den man nun auch sie schickte.
Bisher hatte sie Chinesen, Inder, zwei Männer aus Bali und natürlich den Javaner entdeckt.
„Er kann reichlich anstrengend werden“, meinte sie und beschloß, alles zu versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen.
Aber es war eine Sache, nachts eine Entscheidung zu treffen, und eine andere, sie am folgenden Tag in die Tat umzusetzen.
Die See war rauh, und als Bertilla am nächsten Tag, in ihren wärmsten Mantel gehüllt, an Deck kam, waren nur wenige Menschen zu sehen.
Sie hatte vorgehabt, auf Deck auf und ab zu spazieren, aber das Wogen des Schiffes machte es unmöglich.
Nachdem sie eine Weile an der Reling gelehnt und den Wellen zugeschaut hatte, wollte sie gerade in ihre Kabine zurückkehren, als eine Stimme mit deutlich holländischem Akzent meinte:
„Guten Morgen, Miss Alvinston!“
Es war der Javaner, und sie erwiderte, so kühl sie konnte: „Guten Morgen.“
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.