Kitabı oku: «Nur die Liebe zählt», sayfa 2
„Was hat denn sein Stolz damit zu tun?“
„Ich kann nur die Meinung meiner Pensionswirtin wiederholen. Der Marques Alvaro scheint zu denken, daß niemand gut genug für ihn ist. In der Stadt wird darüber geredet, daß er sich alle jungen Frauen von edler Herkunft angeschaut und keine gefunden hat, die seinen Ansprüchen genügt. Er fand sie alle zu unscheinbar und zu dumm, um in seinem Palace zu residieren.“
Felicita konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken.
„Ich verstehe seine Schwierigkeiten.“
Die Duchesse rief sich ins Gedächtnis zurück, wie Juan ihr beinahe entschuldigend mitgeteilt hatte, daß er heiraten würde.
„Ich bin mit der Tochter des Herzogs von Cumbria verlobt“, erklärte er. „Ihre Mutter war eine königliche Prinzessin. Sie und ich haben daher ähnliches Blut. Du mußt dir doch darüber klar gewesen sein, Ines, daß ich früher oder später einen Sohn brauche, der nach meinem Tode meinen Titel und mein Vermögen erbt.“
Ihr klang noch klar und deutlich seine Stimme in den Ohren:
„Sie und ich haben daher ähnliches Blut . .
Zum ersten Mal war ihr bewußt geworden, daß er sie zwar geliebt hatte, daß sie in seinen Augen aber immer ein zweitrangiges Geschöpf gewesen war. Ein Niemand, der weder seinen Namen tragen oder sein Kind gebären konnte.
Als sie Felicitas strahlendes Gesicht sah, kam sie auf eine Idee. Eine Idee, wie es ihr gelingen würde, sich für ihr gebrochenes Herz zu rächen.
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Die Duchesse saß ruhig da und dachte nach, ehe sie einen Entschluß faßte.
„Felicita, ich möchte, daß Sie jetzt in Ihr Quartier gehen und etwas essen“, verkündete sie dann. „Wie ich sehe, sind Sie dem Verhungern nahe, und das gefällt mir gar nicht.“
Felicita errötete.
„Es war alles sehr schwer für mich, Madame“, gestand sie leise.
„Das weiß ich. Von jetzt an wird das anders werden“, versprach die Duchesse. „Ich habe einen Plan, der Sie betrifft, aber davon erzähle ich Ihnen später. Tun Sie einstweilen, was ich sage.“
Sie öffnete ihre Handtasche, entnahm ihr eine ganze Anzahl von portugiesischen Escudos und füllte damit Felicitas Hände.
Das Mädchen starrte das Geld ungläubig an.
„Das ist zu viel, Madame“, protestierte es.
„Nehmen Sie es für die Handarbeiten und für andere Dinge, die Sie später für mich erledigen sollen.“
„Sie wissen, daß ich alles tun werde“, versicherte Felicita ernsthaft.
„So ist es recht. Das wollte ich von Ihnen hören“, erwiderte die Duchesse. „Sie sollen wieder Kraft gewinnen, sich wohl fühlen und sehr hübsch aussehen. Wenn Sie das tun wollen, worum ich Sie bitte, müssen Sie jetzt essen.“
Daß das nicht leicht sein würde, war ihr klar. Felicita hatte bereits geraume Zeit Hunger gelitten. Sie würde gar nicht imstande sein, viel zu essen.
„Bitten Sie die Frau, bei der Sie wohnen, Ihnen die besten Mahlzeiten vorzusetzen, die sie auftreiben kann“, sagte die Duchesse. „Und wenn ich Sie heute abend abhole, bringen Sie alle Kleider mit, die Sie besitzen.“
„Alle Kleider?“ wiederholte Felicita verwundert.
„Ich möchte Sie bei mir behalten, und ich denke, es wird Ihnen Freude machen. Sie werden allerdings hart arbeiten müssen.“
„O Madame, ist das wirklich wahr?“ fragte das Mädchen leise.
„Es ist wahr“, versicherte die Herzogin. „Ihr Leben wird in Zukunft ganz anders aussehen.“
„Es fällt mir schwer, daran zu glauben“, sagte Felicita. „Ich war sehr unglücklich und allein ohne Mama und Papa. Und ich hatte schreckliche Angst.“
Sie sprach mit kaum vernehmbarer Stimme, doch die Duchesse hatte sie verstanden.
„Damit ist es jetzt vorbei. Sie haben nichts mehr zu befürchten“, versicherte sie. „Und jetzt tun Sie, was ich gesagt habe, Kind. Halten Sie sich heute abend bereit. Es kann aber ein paar Stunden dauern, bis ich Sie abholen komme.“
Felicita beugte sich vor und küßte ihr die Hand. Ihre Augen leuchteten trotz der Tränenspuren. Sie stieg aus und lief beschwingt die Treppe hinauf ins Haus.
Der Reitknecht erhielt Anweisungen, wohin die Duchesse fahren wollte. Er nahm seinen Platz neben dem Kutscher wieder ein, und die Pferde zogen an.
Die Kutsche fuhr durch schmale, belebte Straßen. Auf dem Bürgersteig drängten sich Hausierer, die Lotterielose an den Mann bringen wollten, schwarze Straßensänger mit Gitarren, Obstverkäufer mit gefüllten Körben und Leute, die ihre Waren auf dem Boden ausbreiteten und anboten.
Der Duft von frisch gebranntem Kaffee mischte sich mit der salzigen Meeresluft. Die Blumenhändler rund um die Springbrunnen machten gute Geschäfte.
An der Straße, die am Meer entlangführte, blühten Mimosen und Hibiskus. Die Schlingpflanzen, die sich an den Bäumen emporrankten, trugen Blüten in der Farbe des sonnengebleichten Himmels.
Ein paar Meilen hinter Estoril durchquerten sie ein einfaches Fischerdorf mit verfallenen Hütten und baufälligen Häusern. Von hier aus ging es bergauf. Auf der rechten Seite der Straße schlugen die Wellen, die vom Atlantik kamen, gegen die Klippen.
Ein Stück weiter begann offenes Land mit üppig grünen Wiesen. Inmitten einer Gruppe von Bäumen stand ein Haus.
Die Duchesse hatte das Gefühl, daß ihr Herz einen Schlag aussetzte. Es war also noch da. Irgendwie hatte sie geglaubt, es sei eine Ruine geworden, so wie Ihr Leben ruiniert war.
Da stand das Haus, das Juan ihr geschenkt hatte und in dem sie zusammen glücklich gewesen waren. Im Garten blühten die Blumen wie damals, als sie darin spazieren gegangen war und auf Juan gewartet hatte.
Sie erinnerte sich noch an den Tag, an dem er das Haus gekauft hatte.
„Ich werde so oft wie möglich bei dir sein, mein Liebling“, hatte er versprochen. „Wenn ich schnell reite, brauche ich nur zwanzig Minuten, um vom Palace in deine Arme zu gelangen.“
„Das sind zwanzig Minuten zu viel“, hatte sie erwidert.
Seine Küsse hatten sie zum Schweigen gebracht.
Kaum zu glauben, daß sich das Haus so wenig verändert hatte. Da war die Veranda, auf der sie so oft mit Juan gesessen und aufs Meer hinausgeblickt hatte.
Darüber lag ihr Schlafzimmer mit dem riesigen, kunstvoll geschnitzten Bett, das noch aus dem achtzehnten Jahrhundert stammte. Sie war sich darin immer wie eine Königin vorgekommen. Das hatte sie ja auch zu sein geglaubt, die Königin seines Herzens, so wie er der König des ihren war.
Da sie keine bestimmten Anweisungen erteilt hatte, lenkte der Kutscher die Pferde durch das offene Tor. Vor der Eingangstür brachte er sie zum Stehen.
Das hatte die Duchesse eigentlich nicht beabsichtigt. Nachdem sie jedoch schon so weit gekommen war, mochte sie nicht umkehren, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Der Reitknecht sprang vom Bock.
„Soll ich läuten, Madame?“ fragte er.
Die Duchesse zögerte sekundenlang, ehe sie zustimmte.
Der Mann zog an der Glockenschnur. Im Hintergrund des Hauses erklang ein Läuten.
Juan hatte es seinerzeit nicht nötig gehabt, seine Ankunft anzukündigen. Ines pflegte ihn auf der Veranda zu erwarten.
Bei schlechtem Wetter stand sie am Fenster und hielt nach ihm Ausschau.
Wenn sie dann seine Silhouette auftauchen sah, die sich dunkel gegen den Himmel und das Meer abhob, hatte sie das Gefühl, daß einer der Götter aus den Bergen zu ihr herabgestiegen war so wie an dem Tag, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.
Die Vordertür ging auf, und ein Mann offenkundig einer der Diener stand auf der Schwelle. Seinem Aufzug nach zu schließen er war in Hemdsärmeln und trug keine Krawatte hatte er keine Besucher erwartet. Er betrachtete sehr erstaunt die wartende Kutsche.
Der Reitknecht erkundigte sich anscheinend, ob der Eigentümer zu Hause war. Nachdem er mit dem Diener ein paar Worte gewechselt hatte, kehrte er zu der Kutsche zurück.
„Der Mann bedauert sehr, Madame, aber sein Herr befindet sich in Afrika“, berichtete er. „Es handelt sich um den Comte da Silva.“
„Ich möchte gern selbst mit dem Mann sprechen“, erwiderte die Duchesse.
Der Reitknecht bedeutete dem Diener, dem seine nachlässige äußere Erscheinung augenscheinlich peinlich war, näher zu treten.
„Wie ich höre, hält sich Ihr Herr zur Zeit in Afrika auf“, begann die Duchesse freundlich.
„Ja, Donna, er wird erst in drei Monaten zurückerwartet.“
„Das ist sehr schade“, erwiderte sie. „Ich wollte ihn bitten, mir dieses Haus für einen Monat zu vermieten. Vielleicht irre ich mich, aber ich dachte, er würde der Duchesse de Monreuil diesen Wunsch erfüllen.“
Seine verwunderte Miene veranlaßte sie zu einer Erklärung.
„Mein Arzt hat mir vollkommene Ruhe verordnet. Dies wäre ein idealer Erholungsort. Niemand würde mich hier stören.“
Die nächsten Worte sprach sie sehr langsam und betont, damit der Mann begriff, was sie meinte.
„Ich bin bereit, für meine Bequemlichkeit eine sehr hohe Miete zu zahlen. Sie hätten genügend Hilfe zur Verfügung. Es würde daher nicht zu anstrengend für Sie.“
Eine kleine Pause entstand. Ein Flackern in den Augen des Mannes zeigte, daß er sie richtig verstanden hatte. Vermutlich rechnete er im Geist bereits aus, welchen Nutzen ihm das viele Geld bringen würde.
„Ich bin bereit, eine sehr hohe Miete zu bezahlen“, wiederholte sie und nannte eine Summe in Escudos, die kein Mann in seiner Lage ohne weiteres ablehnen würde.
Zehn Minuten später hatte sie erreicht, was sie wollte. Sie händigte dem Mann Geld aus, um Lebensmittel zu kaufen und drei oder vier Extradiener anzuheuern.
„Möchten Sie sich nicht das Haus anschauen, Madame?“ fragte der Mann.
„Das Haus ist genau das, wonach ich gesucht habe“, versicherte die Duchesse. „Außerdem bin ich überzeugt, daß Ihr Herr über einen ausgezeichneten Geschmack verfügt.“
Auf der Heimfahrt fragte sie sich, ob es nicht heller Wahnsinn war, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. In jedem Raum würden Erinnerungen hochkommen, die noch genauso schmerzten wie am ersten Tag.
Da sie es sich jedoch in den Kopf gesetzt hatte, die Geister der Vergangenheit, die sie nicht in Ruhe ließen, zum Schweigen zu bringen, gedachte sie nicht beim ersten Hindernis aufzugeben.
Dazu kam, daß die Idee, auf die sie während ihres Gespräches mit Felicita gekommen war, in ihrem Kopf mehr und mehr Gestalt annahm.
Sie hatte das Gefühl, ihrem Impuls folgen zu müssen. Sie kam von dieser Zwangsvorstellung nicht los, die stärker war als alle Vorsicht.
Warum tue ich das nur? fragte sie sich.
Die Antwort war einfach genug. Sie wollte Juan verletzen, noch über seinen Tod hinaus.
Warum auch nicht? Er hatte sie in dem Haus, das sie gerade besucht hatte, zurückgelassen und war fortgeritten.
Sie war allein zurückgeblieben von dem einzigen Wunsch beseelt, zu sterben.
Als Juan ihr gestanden hatte, daß er bald heiraten würde, war sie wie betäubt gewesen. Es war, als ob er ihr einen Schlag auf den Kopf versetzt hätte. Ihr Gehirn hatte aufgehört zu funktionieren.
„Es ist meine Pflicht“, sagte er. „Auch du solltest verstehen, daß ich einen Erben für meinen Titel brauche.“
Da sie sich nicht rührte, fuhr er fort: „Wir waren immer offen und ehrlich zueinander, Ines. Ich kann dir daher auch sagen, daß das Mädchen, das meine Frau wird, mich an dich erinnert. Als ich sie sah, wußte ich, daß es mir nicht schwerfallen würde, mich in sie zu verlieben.“
Jedes Wort, das er sprach, bohrte sich wie ein Dolch in ihr Herz. In ihrem Kopf herrschte eine dumpfe Leere, die es ihr schwermachte zu erfassen, was er sagte.
„Du begreifst sicherlich, daß ich mir keinen Skandal leisten kann“, redete er weiter. „Es wäre daher ein Fehler, wenn wir uns weiterhin treffen wie in den vergangenen Jahren.“
Nach einer kleinen Pause sagte er weich: „Es waren Jahre voller Glück, Ines, soweit es mich betraf. Doch jetzt muß ich auf meine zukünftige Frau Rücksicht nehmen. Wir müssen unsere Beziehung beenden.“
Ines hatte das Gefühl, daß der Himmel über ihr einstürzte.
„Finanziell brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, fuhr Juan fort. „Ich habe bei der Bank von Lissabon eine beträchtliche Summe auf deinen Namen deponiert. Zuerst dachte ich daran, dir die Schenkungsurkunde für dieses Haus zu übergeben. Inzwischen habe ich es mir anders überlegt.“
Er zögerte kurz, ehe er weitersprach.
„Ich bitte dich, mich nicht für hartherzig zu halten, aber ich bin sicher, daß du an einem anderen Ort glücklicher wirst. Zum Beispiel in Paris, wo es dir gut gefallen hat. Dort gibt es bestimmt viele Männer, die bereit sind, für dich zu sorgen, wie ich es getan habe.“
Ines schloß die Augen. Sie begriff nicht, daß er einen solchen Vorschlag machen konnte.
War das noch der Juan, den sie mit aller Kraft ihres Herzens geliebt hatte? Der ihr Leben so erfüllt hatte, daß kein anderer Mann ihn ersetzen konnte?
Ines besann sich mühsam auf ihren Stolz. Sie stammte aus guter Familie, auch wenn sie nicht gut genug für Juan war.
Ihr Vater war, was die Engländer einen Gentleman nennen, und ihre Mutter war eine Lady.
Ihr Stolz hinderte sie daran, zu toben und zu schreien oder, schlimmer noch, zu seinen Füßen zu knien und ihn anzuflehen, ihr seine Liebe nicht zu entziehen.
Sie wäre bereit gewesen, jedes Verbrechen zu begehen, jede Demütigung zu ertragen, wenn sie ihn hätte behalten können. Leider wußte sie, daß keine Hoffnung bestand.
Wenn ihre Liebe ihn nicht halten konnte, waren Worte verschwendete Mühe.
Ines stand ruhig da und hörte ihm zu.
„Es fällt mir schwer, dir das alles zu sagen, aber es muß sein. Ich kann nur wiederholen, daß ich dir für die wundervollen Jahre, die wir zusammen erlebt haben, zutiefst dankbar bin und daß ich aufrichtig hoffe und bete, du mögest in Zukunft ein neues Glück finden.“
Es klingt wie eine eingeübte Rede, dachte sie. Er mußte sie sich unterwegs ausgedacht haben.
Juan wirkte ziemlich verlegen, als er zur Tür ging.
„Paß auf dich auf und vergiß nicht, daß ich dir helfen werde, falls du in Schwierigkeiten bist“, sagte er noch, als er den Raum verließ.
Sie hörte das Schließen der Tür und seine Schritte, die sich draußen entfernten.
Es drängte sie danach, zumindest den Versuch zu machen, ihn zurückzuhalten. Dann würde das geschehen, wovor er Angst gehabt hatte. Ines kannte ihn lange genug, um seine Gedanken zu lesen. Als er auf seinem Hengst weg ritt, war er froh, daß ihm eine Szene erspart geblieben war.
Sie blieb geraume Zeit regungslos auf der Stelle stehen. Es fiel ihr schwer, ihre Lage zu begreifen und einer Zukunft ohne Juan ins Auge zu sehen.
Plötzlich wußte sie, daß sie unmöglich ohne ihn leben konnte, weil ein Leben ohne ihn für sie keinen Sinn hatte.
Er hatte sie aus dem Kreis ihrer Eltern und Freunde herausgerissen. Ines stand mit leeren Händen da.
Natürlich kannte sie den Grund für seinen Vorschlag, sie solle nach Paris übersiedeln. Er wollte sie nicht in Lissabon wissen, während er mit seiner Frau im Palace da Azul lebte.
Alles war ein bißchen vage, was mit Paris zusammenhing. Woran sie sich genau erinnern konnte, war das Haus an den Champs Elysees, in dem sie und Juan sich geliebt hatten.
Nur die Orte, die sie zusammen besucht hatten, waren ihr im Gedächtnis geblieben: Der Bois de Boulogne, von ihren morgendlichen Ausritten her, das Ufer der Seine, an dem sie gestanden und dem ruhig dahinfließenden Wasser zugeschaut hatten, die Restaurants, der Place Vendôme, die Madeleine . . .
Es waren nur Namen und verschwommene Flecken. Alles, was sie wirklich sah und hörte, waren sein Gesicht und seine Stimme.
Er hatte auf der Bank Geld für sie deponiert? Wofür? Als Bezahlung für ihre Liebe oder als Entschädigung, damit sie gehen und ihn in Ruhe lassen sollte?
In diesem Augenblick wußte sie, was sie zu tun hatte. Sie würde ihn verlassen, und zwar so, daß er sich ihretwegen niemals wieder Sorgen machen mußte. Sie wollte nicht länger die Schmerzen spüren, die allmählich ihren ganzen Körper erfaßten. Sie war sich wohl bewußt, daß ihre Leiden bald so unerträglich sein würden, daß sie nicht mehr damit leben konnte.
Als sie ihren Entschluß gefaßt hatte, verließ sie ohne Hast das Haus. Sie ging durch den Garten und schlug den steinigen Weg ein, der zum oberen Rand der Klippen führte.
Da sie Juan zum Dinner erwartet hatte, trug sie ihr schönstes und kostbarstes Abendkleid. Um ihren Hals lag eine Brillantkette. An ihren Ohren, Fingern und Handgelenken funkelten die gleichen Steine. Die einzelnen Teile gehörten zu einem Schmuck, den Juan ihr als passenden Rahmen für ihre Schönheit geschenkt hatte.
Ihre Schuhe mit den hohen Absätzen waren für den holperigen Boden wirklich nicht geeignet. Ines stolperte über Steine oder blieb im Sand stecken.
Schließlich erreichte sie aber doch den oberen Klippenrand. Ein schmaler, gewundener Weg führte seitlich davon zum Strand hinunter. Die Wogen des Atlantiks schlugen gegen die Felsen und ließen den Schaum hoch aufspritzen.
Juan und sie hatten oft hier gesessen und zugeschaut, wie die Brandungswellen in ununterbrochener Folge heranrollten.
Er hatte den Arm um sie gelegt. Sie schmiegte sich an ihn, so eng sie nur konnte. Seine Lippen glitten über ihr dunkles Haar.
„Dein Haar ist wie Seide“, hatte er oft gesagt, wenn sie im Bett lagen. Dann hatte er sich aufgerichtet, ihr die Haare ins Gesicht gezogen und sie durch die seidige Fülle hindurch geküßt.
Nicht vergeblich saß Ines jeden Morgen geduldig vor dem Frisiertisch und ließ sich die Haare hundertmal bürsten. Die darin befindliche Elektrizität bewirkte, daß sie sich bewegten, als ob sie ein Eigenleben hätten.
Die Sonne stand inzwischen tief am Himmel. Sobald sie hinter dem Horizont verschwunden war, würde die Dämmerung hereinbrechen.
Dies ist der richtige Zeitpunkt, um meinen Körper den Wellen zu übergeben, die ihn in die Ewigkeit davontragen, dachte Ines. Damit ist jede Erinnerung ausgelöscht. Leiden und Tränen sind vorbei.
Sie trat einen Schritt näher zum Klippenrand.
In diesem Augenblick drang eine Männerstimme an ihr Ohr.
„Ich finde es nicht gut, was Sie da tun wollen.“
Ines wurde so jäh aus ihren Gedanken gerissen, daß sie vor Überraschung einen kleinen Schrei ausstieß. Sie wich instinktiv ein Stück zurück.
An einer von Klippen überragten Stelle, die ihr den freien Blick verwehrt hatten, saß ein alter Mann mit weißen Haaren und einem faltigen Gesicht, der eine unmißverständliche Autorität ausstrahlte.
Ines brachte kein Wort heraus. Sie war innerlich zu aufgewühlt, um sprechen zu können.
Der alte Mann schien zu verstehen, was in ihr vorging.
„Was ist mit Ihnen?“ fragte er ruhig. „Welchen Grund kann eine so junge und schöne Frau haben, ihr Leben wegwerfen zu wollen?“
„Mir bleibt nichts anderes übrig“, erwiderte sie mit stockender Stimme.
Sie wunderte sich, daß sie plötzlich wieder reden konnte. Als Juan sich verabschiedet hatte, war sie dazu nicht imstande gewesen.
Der alte Mann streckte die Hand nach ihr aus.
„Kommen Sie her zu mir!“
Vom Schock wie betäubt, fühlte sie sich so schwach, daß sie gehorchte.
Er nahm ihre Hand und zog sie neben sich auf die flache Felsplatte. Sie bildete eine Art Bank, die hoch über ihren Köpfen von den Klippen überragt wurde.
„Und jetzt erzählen Sie mir, was Ihnen auf der Seele liegt“, bat er freundlich.
Erst einige Zeit später merkte Ines, daß er sie auf Französisch angeredet und sie in der gleichen Sprache geantwortet hatte.
Sie verfügte über eine gute Schulbildung, die sie ihrem Vater zu verdanken hatte. Drei Sprachen beherrschte sie perfekt: Portugiesisch, Französisch und Englisch.
Der alte Mann machte ihr ein Kompliment, das auf Französisch besser klang als in ihrer Muttersprache.
„Sie sind so schön und so bezaubernd, daß es ein Verbrechen gegen den Schöpfer im Himmel wäre, etwas so Vollkommenes wie Ihren Körper zu zerstören.“
„Mein . . . Körper . . .ist unwichtig“, wehrte sie ab. „Es geht um mein Herz, das gebrochen ist.“
In diesem Augenblick kamen die Tränen. Zuerst rannen sie einzeln über ihre Wangen, dann wurde eine wahre Flut daraus.
Ines merkte gar nicht, daß der alte Mann den Arm um sie legte und daß sie ihren Kopf gegen seine Schulter preßte und hemmungslos schluchzte. Sie weinte, bis ihre Tränen aus purer Erschöpfung versiegten.
„Erzählen Sie mir, weshalb Sie so unglücklich sind. Wer hat Sie so verletzt, daß Sie sterben wollen?“
Nachdem der Damm einmal gebrochen war, sprudelte die ganze traurige Geschichte aus ihr heraus. Sie berichtete ihm, dem völlig Fremden, von ihrer Liebe zu Juan. Daß er sie geliebt hatte, jetzt nichts mehr von ihr wissen wollte und daß ihr einziger Ausweg aus diesem Elend der Tod sei.
„Wie kann ich weiterleben, wenn es nichts mehr gibt, wofür es sich zu leben lohnt?“ rief sie leidenschaftlich. „Wie soll ich essen und schlafen, lachen und reden, wenn er nicht mehr bei mir ist?“
Sie machte eine Pause, um Luft zu holen, ehe sie kläglich hinzufügte: „Ich bin bereits tot. Alles, was ich mir jetzt noch wünsche, ist, mich in die Fluten zu stürzen.“
„Das wäre ein Verbrechen“, protestierte der alte Mann. „Ich habe einen anderen Vorschlag. Bitte hören Sie mir zu.“
Seine ruhig und überlegene Art bewirkte, daß Ines tatsächlich lauschte. Es sah so aus, als ob der Himmel ihr einen Engel geschickt hatte, um ihr zu helfen.
„Ich begreife, daß Sie nicht in dem Haus, bleiben können, in dem Sie so glücklich waren“, begann der alte Mann, der über eine erstaunlich kräftige Stimme verfügte. „Sie würden aber bestimmt einen Fehler begehen, wenn Sie allein nach Paris fahren. Ich schlage daher vor, daß Sie Selbstmord begehen und mich begleiten.“
Ines blickte mit tränenfeuchten Augen verständnislos zu ihm hoch.
„Das sollte folgendermaßen vonstattengehen“, erklärte er. „Für alle, die Sie kennen, und besonders für diesen Juan, wer immer das auch sein mag, werden Sie als tot gelten.“
„Ich wünsche mir nichts sehnlicher“, warf Ines ein.
„Wir werden dafür sorgen, daß die Leute glauben, Sie seien ertrunken.“
Ines schaute ihn mit großen Augen an.
„Sie lassen Ihre Kleidung und Ihren Schmuck hier liegen. Wenn die Sachen gefunden werden, wird man denken, daß Sie Ihre Absicht ausgeführt haben und ins Wasser gegangen sind.“
Mit weicher Stimme fuhr er fort: „Einer so schönen Frau darf nichts Böses geschehen. Ich nehme Sie mit mir. Sie müssen ein neues Leben beginnen mit anderen Menschen, in deren Gegenwart Sie die Erinnerungen an die Vergangenheit nicht so quälend empfinden.“
Später konnte sich Ines des Gefühls nicht erwehren, daß der alte Mann sie hypnotisiert hatte. Von ihrem Tränenausbruch geschwächt, war sie keines klaren Gedankens fähig gewesen.
Er sagte ihr, was sie tun sollte, und sie gehorchte, weil das einfacher war, als Widerstand zu leisten.
Sie zog das kostbare Pariser Modellkleid aus und legte es in die Nähe des Klippenrandes. Dann fügte sie den Schmuck Brillantkette, Ohrringe und Armreifen hinzu, als ob sie ihn achtlos hingeworfen hätte.
Als sie nackt war, hüllte der alte Mann sie in den leichten Mantel, den er getragen hatte. Das Kleidungsstück bedeckte ihren Körper vom Hals bis zu den bloßen Füßen.
Anschließend führte er sie den gewundenen Pfad entlang, der zum Strand hinunterführte.
An der Stelle, an der der Pfad endete, schlugen die Wellen nicht so heftig gegen die Felsen. Das Wasser war verhältnismäßig ruhig. Hier wartete ein Boot, das mit zwei Ruderern bemannt war.
Der alte Mann befahl ihnen, Ines ins Boot zu helfen. Sie setzte sich auf die Bank im Heck, er nahm neben ihr Platz. Sie merkte kaum, was mit ihr geschah.
Die Männer, die das Boot vom Ufer wegruderten, vermieden geschickt die Brandung. Nach kurzer Zeit erreichten sie eine große Jacht, die im Hafen von Estoril ankerte.
An Bord der Jacht hörte Ines, wie der alte Mann Befehl zum Segeln gab. Seine Stimme schien aus weiter Ferne zu ihr zu dringen. Plötzlich wurde es um sie her dunkel. Sie sank auf dem Deck bewußtlos in sich zusammen.
Ines erwachte in der Kabine eines Schiffes in einem bequemen Bett. Das Meer war ganz ruhig. Nur das leichte Beben des Motors war zu spüren.
Weshalb bin ich hier? Was ist geschehen? wollte sie fragen.
Sie schaffte nur eine hilflose Handbewegung. Jemand trat neben das Bett. Eine Hand hob ihren Kopf, die andere hielt ihr ein Glas an die Lippen. Obwohl sie nicht durstig war, trank sie ein paar Schlucke. Sie fühlte sich zu schwach, um abzuwehren.
Wer immer ihren Kopf gehoben hatte, ließ ihn wieder auf das Kissen sinken. Ines schloß die Augen. Sie wollte nicht denken oder bei Bewußtsein sein, sie wollte sterben. Gleich darauf war sie wieder eingeschlafen.
Als sie das nächste Mal aufwachte, war es heller Morgen. Was man ihr eingeflößt hatte, war offenbar ein Beruhigungsmittel gewesen.
Ihre Kehle war wie ausgetrocknet, vermutlich als Nachwirkung eines Kräutertranks. Sie hatte manchmal etwas Ähnliches eingenommen, wenn sie unter Schlaflosigkeit litt, weil Juan fern von ihr war.
Die Sonnenstrahlen drangen durch die Spalten der Vorhänge, die die Bullaugen verhüllten. Der leichten Bewegung nach schien das Schiff, auf dem sie sich befand, Fahrt aufgenommen zu haben.
Als Ines vollends die Augen öffnete, bemerkte sie, daß sie unter der Decke nackt war.
Plötzlich erinnerte sie sich wieder an den alten Mann, der auf der Felsplatte unterhalb der Klippen gesessen hatte. Er hatte sie dazu überredet, für ihre bisherige Umwelt zu sterben und ein neues Leben zu beginnen.
Der Mann ist verrückt, und ich bin es auch, weil ich auf ihn gehört habe, dachte sie. Was habe ich auf diesem Schiff verloren? Ich will wieder zurück.
Das warf eine Frage auf, die sie nicht beantworten konnte. Zurück wohin? Zurück zu wem?
Bestimmt nicht zu Juan, der sie nicht mehr haben wollte, weil er im Begriff war, eine andere Frau zu heiraten.
Auch nicht zu ihren Eltern, die sie zwar bemitleiden, ihr jedoch gleichzeitig vorwerfen würden, das Ganze sei allein ihre Schuld.
Nicht ohne Grund hatte ihre Mutter sie angefleht, nicht verwerflich zu handeln und sich mit Juan einzulassen. Ihr Vater hatte sie davor gewarnt, daß sie diesen Schritt später im Leben bedauern würde. Und er hatte recht behalten.
Wie sollte sie es ertragen, diesen Menschen unter die Augen zu treten und sich bedauern zu lassen?
„Ich bin tot ... ich bin tot.“
Wiederholt sprach Ines diese Worte vor sich hin. Im Geist sah sie ihr Kleid auf den Klippen liegen. Daneben ihre Schuhe und ihren Schmuck, der in der Sonne glitzerte.
Sie schloß die Augen und überlegte, wie sie es anstellen sollte, sich jetzt noch das Leben zu nehmen. Ihr fiel nur die Möglichkeit ein, ins Meer zu springen. Daran würde niemand sie hindern können.
Das war die Lösung sie würde sich ertränken. Vermutlich war das von der Jacht aus sogar einfacher als von den Klippen.
Ines hatte sich im Grunde ihres Herzens vor den Schmerzen gefürchtet, die sie beim Sturz in die Tiefe oder beim Aufprall gegen die Felsen spüren würde. Schon bei dem Gedanken zitterte sie vor Angst.
Jetzt wird es leichter sein, dachte sie zuversichtlich. Sie zuckte zusammen, als die Kabinentür aufging.
Wenn sie sich Jahre später diese Zeit ins Gedächtnis zurückrief, mußte sie lachen. Der alte Mann hatte sich die größte Mühe gegeben, ihr das Leben lebenswert zu machen, während ihr einziges Bestreben gewesen war, es wegzuwerfen.
In jener Nacht hatte sich die Jacht nicht weit von Estoril entfernt. Tatsächlich war sie nur nach Lissabon gesegelt.
Am nächsten Morgen wurde, noch ehe Ines erwachte, eine völlig neue Garderobe für sie an Bord geliefert. Beim Anprobieren des ersten Kleides stellte sie fest, daß es paßte, als ob es nach ihren Maßen gearbeitet worden wäre. Sie war kaum angekleidet, als der Steward, ein älterer Mann mit Familie, meldete, daß der Herr sie im Salon erwartete.
Ines hätte ihn gern nach dem Namen des Herrn gefragt, beschloß aber dann, sich diese Blöße lieber nicht zu geben. Statt dessen ging sie die Treppe hinauf in einen elegant eingerichteten Salon.
Der alte Mann, der sie zum Leben überredet hatte, saß in einem Lehnsessel. Ines ging beklommen auf ihn zu.
Er erhob sich mit einer für seine weißen Haare überraschenden Energie.
„Sie sind noch schöner, als ich Sie in Erinnerung hatte“, stellte er fest und küßte ihr die Hand.
„Zuerst sollte ich Sie wohl nach Ihrem Namen fragen“, erwiderte Ines. „Es kommt mir seltsam vor, daß ich Ihr Gast bin, ohne zu wissen, wer Sie sind.“
„Ich schätze mich sehr glücklich, Sie an Bord zu haben. Darf ich mich vorstellen? Ich bin der Duc de Monreuil.“
„Und ich . . .“, begann Ines.
Er hob abwehrend die Hand.
„Nein, sagen Sie mir das nicht. Sie existieren nicht mehr. Vergessen Sie nicht, daß Sie tot sind. Die schöne junge Dame mir gegenüber hat keine Vergangenheit, dafür aber wie ich hoffe eine erfolgreiche Zukunft.“
Sie mußte unwillkürlich lachen. Alles, was mit ihr geschah, kam ihr völlig unwirklich vor.
„Gestern abend bei unserem Gespräch erfuhr ich, daß Sie Ines heißen“, setzte er hinzu. „Ich finde, wir sollten diesen wohlklingenden Namen beibehalten. Von jetzt ab sind Sie für mich Ines Vental.“
Mit einem Lachen setzte er hinzu: „Ich habe Sie getauft. Damit werden wir beginnen.“
„Ich kann das alles noch gar nicht glauben“, gestand Ines.
„Und ich kann es nicht glauben, daß ein Geschöpf aus Fleisch und Blut so liebreizend sein kann“, erwiderte der Duc. „Ich bin ein großer Bewunderer alles Schönen“, fuhr er fort. „Ich werde Ihnen mein Schloß in Frankreich und mein Haus in Paris zeigen. Außerdem besitze ich eine Villa in Monte Carlo, die Ihnen bestimmt gefallen wird. Sie wären keine Frau, wenn die grünen Spieltische des Casinos keine Anziehungskraft auf Sie ausübten.“
Ines konnte sich erneut des Gefühls nicht erwehren, daß er sie mit seiner Stimme hypnotisierte.
„Ich wollte sterben“, erwiderte sie. „Sie haben mir ein neues Leben geschenkt, das mich ängstigt.“
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