Kitabı oku: «Verzeih mir Liebster»

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Verzieh mir Liebster

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2016

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1. ~ 1803

„Wie fühlst du dich, Papa?“

„Es geht schon“, keuchte Beau Bardsley, setzte sich an seinen Schminktisch und sah mit einem fast verzweifelten Ausdruck in den Spiegel.

Simona stand hinter ihm und wußte sich nicht zu helfen. Der Hustenanfall hatte ihren Vater wieder einmal sehr erschöpft.

Wortlos brachte Joe Hewitt, der Kostümier, ein Glas Cognac mit Wasser und stellte es neben die Schminktöpfe.

Beau Bardsley trank ein paar Schlucke.

„Du hättest nicht mit hierher kommen sollen“, sagte er danach zu seiner Tochter.

„Aber jetzt bin ich da, und jetzt bleibe ich“, sagte Simona. „Du weißt so gut wie ich, daß du heute nicht hättest auftreten sollen.“

Beau Bardsley entgegnete nichts, aber es war beiden klar: Er mußte arbeiten. Sie brauchten das Geld zum Leben. Außerdem sollte in einer Woche über eine Aufbesserung der Gage entschieden werden.

Beau Bardsley zog mit zitternder Hand die Uhr aus der Tasche.

„Sie haben noch genug Zeit, Mr. Bardsley“, sagte Joe Hewitt beruhigend.

Beau Bardsley stieß einen tiefen Seufzer aus.

Jeder wußte, was es ihn für eine Anstrengung kostete, sich in das Kostüm zu zwängen, das er als Hamlet trug. Zum Glück hatte er die Rolle schon so oft gespielt, daß er den Text im Schlaf kannte. Und wenn er dann erst einmal im Rampenlicht stand, würde er - wie immer -vom Applaus seiner Bewunderer angestachelt, sein Äußerstes geben.

Das Theatre Royal in der Drury Lane füllte sich währenddessen mit einem Publikum, das überzeugt davon war, daß Beau Bardsley einer der besten Schauspieler war, der je im Old Drury auf der Bühne stand. Obwohl das Theater im Moment schwer zu kämpfen hatte, kam man seinetwegen.

Mrs. Sarah Siddons, die hier einundzwanzig Jahre lang als die unangefochtene Königin regiert hatte, war aufs Land gefahren, um sich auszuruhen. Nach einer gewissen Zeit war sie nach London zurückgekommen, aber nicht in die Drury Lane. Sie hatte das Covent Garden vorgezogen.

Eine Schauspielerin zu finden, die sie hätte ersetzen können, war schier unmöglich. Solange jedoch Beau Bardsley noch im Theatre Royal spielte, war das Haus ausverkauft. Unglücklicherweise mußte er aber aus gesundheitlichen Gründen hin und wieder eine Vorstellung absagen.

Jetzt griff er nach dem Fettstift, und als er Simona im Spiegel sah, schüttelte er den Kopf. „Du hättest nicht mit hierher kommen sollen“, sagte er noch einmal. „Du kennst meine Einstellung. Ich möchte nicht, daß du im Theater gesehen wirst.“

„Aber Joe kann doch deine Besucher abwimmeln“, sagte Simona und lächelte. „Ganz abgesehen davon mußt du dich in den Pausen ausruhen und darfst nicht auch noch Leute empfangen.“

„Ich habe deiner Mutter in die Hand versprochen, daß du nichts mit dem Theater zu tun haben würdest“, sagte Beau Bardsley.

„Und wir werden uns immer an das Versprechen halten“, sagte Simona. „Aber daß ich dich allein lasse, wenn du dich nicht wohlfühlst, das würde sie bestimmt nicht wollen. Wäre es nicht klüger, die Vorstellung abzusagen, Papa?“

Simonas Besorgtheit war alles andere als unbegründet. Beau Bardsley war sehr blaß, seine Lippen waren blutleer, seine Lider schwer.

„Ich muß spielen“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. „Joe, bitte gib mir noch einen Schluck Cognac.“

Der Kostümier nahm das Glas und ging damit zu einem Tablett voll von Flaschen und Gläsern. Simona wußte nur zu gut, wieviel Geld es den Vater kostete, Herrschaften aus der Gesellschaft, die ihn umschwärmten, zu bewirten. Aber nicht nur ihnen gegenüber war er von einer Großzügigkeit, die schon fast an Dummheit grenzte. Auch Kollegen, die Aufmunterung oder ein Gläschen zum Ansporn brauchten, gaben sich bei ihm die Tür in die Hand.

Gut drei Viertel von Beau Bardsleys Wochengage, schätzte Simona, verschwanden in die Taschen von Leuten, die ihm geschickt etwas vorjammerten oder tatsächlich in Not waren. Viele aus der Schauspielerei wären ohne einen Beau Bardsley abgerutscht, verhungert oder im Gefängnis gelandet. Beau Bardsley brauchte nur einmal mit jemand auf der Bühne gestanden zu haben und fühlte sich auch schon verpflichtet, Schulden zu übernehmen oder sonstwie zu helfen.

Und die Folgen seiner Großzügigkeit hatten dann seine eigene Frau und seine Tochter zu spüren bekommen.

Trotz all der Jahre beim Theater hatte er keine Ersparnisse. Seine Gagen waren immer relativ hoch gewesen, aber jeder Penny war ausgegeben worden, nicht zuletzt für andere.

Aber Simona hätte ihren Vater nicht anders haben wollen. Selbst wenn es ihm nicht gut ging und er sogar Mühe hatte zu sprechen, hatte er eine Ausstrahlung, die jeden faszinierte. Sein Publikum war in seinen Bann gezogen. Seine tiefe Stimme drang bis in die Herzen aller vor.

Nach dem zweiten Cognac kam wieder etwas Farbe in Beau Bardsleys Gesicht. Er zog Jackett und Weste aus und machte sich daran, sich zu schminken.

Beau Bardsley war der Sohn eines Pfarrers. Er war in Bath Abbey aufgewachsen und mit sechzehn von zu Hause weggelaufen, um zur Bühne zu gehen. Das Theater war seine Leidenschaft gewesen. Nachdem er ein paar Jahre lang in London kleinere Rollen an verschiedenen Häusern gespielt hatte, war er in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Sein Vater war inzwischen in einen anderen Sprengel versetzt worden, und am Theater in Bath Abbey waren junge, enthusiastische Schauspieler, die später alle berühmt werden sollten.

Zu ihnen hatte Sarah Siddons gehört. Als äußerst intelligente Frau, die vor allem in tragischen Rollen stürmisch gefeiert wurde, hatte sie nach Schauspielern gesucht, mit deren Zusammenspiel sie ihre Fähigkeiten noch steigern konnte. Daß sie den selten gutaussehenden Beau Bardsley als Partner bevorzugte, hatte damals niemanden gewundert.

Sarah Siddons wurde die größte Schauspielerin Englands.

Als sie 1782 in das Theatre Royal in der Drury Lane ging, hatte sie den Vertrag nur unter einer Bedingung unterschrieben: Auch Beau Bardsley mußte engagiert werden.

Und jetzt waren es noch fünf Minuten bis zum Beginn der Vorstellung. Beau Bardsley kam hinter dem Paravent vor, und Simona sah den Vater ängstlich an. Wie schon so oft jedoch hatte die Theateratmosphäre Besitz von ihm ergriffen. Seine Haltung war aufrecht, er trug das Kinn höher, in seinen Augen lag das Glühen, das sein Publikum gefangen hielt.

Das Kostüm stand ihm fabelhaft. Sein schlanker Körperbau, der in normaler Kleidung manchmal fast kränklich wirkte, unterstrich die Jünglinghaftigkeit, die er in seiner Rolle personifizierte. Er ging zum Schminktisch, trug mit der Hasenpfote noch etwas Rouge auf und zog die Augenwinkel nach.

„Du siehst phantastisch aus, Papa!“ rief Simona.

Beau Bardsley lächelte.

„Solange ich auf der Bühne bin, bleibst du bitte hier“, sagte er und wandte sich an Joe Hewitt. „Es wird niemand hier hereingelassen, ist das klar?“

„Ich passe schon auf sie auf, Mr. Bardsley“, versprach der Kostümier.

Mit einem letzten Blick in den Spiegel ging Beau Bardsley zur Tür.

„Viel Glück, Papa“, sagte Simona.

Er lächelte die Tochter an, dann ging er, und Simona hörte ihn draußen mit Leuten sprechen.

Wie sehr sie sich gefreut hätte, wenn sie in der ersten Reihe hätte sitzen und ihn in einer seiner berühmten Rollen hätte sehen dürfen. Doch das ging nun einmal nicht, und so stand Simona auf und machte sich ganz automatisch daran, den Schminktisch aufzuräumen.

Ihr Blick fiel auf die kleine Miniatur, die ihr Vater immer bei sich hatte. Die Figur stellte ihre Mutter dar und war von unbeschreiblicher Ähnlichkeit.

Eine so schöne, junge und glückliche Frau. Daß sie tot war und Simona sie nie wiedersehen würde, war unfaßbar. Es war dem Maler gelungen, selbst das Leuchten in den großen Augen wiederzugeben, dieses bewundernde Strahlen, das so typisch für sie gewesen war, wenn sie ihren Mann angesehen hatte.

Wie jedes Mal, wenn sie an die Mutter dachte, krampfte sich Simona das Herz zusammen. Wie hatte sie so plötzlich und so schnell sterben können? Es war ihnen noch kaum bewußt gewesen, daß sie krank war, und schon war sie von ihnen gegangen.

Wir haben uns immer nur um Papa gesorgt, dachte Simona jetzt. Erst als es bereits zu spät war, wurde uns klar, daß Mama umsorgt hätte werden müssen.

Sie legte die Miniatur in das mit Samt ausgeschlagene Etui zurück und betrachtete ihr Spiegelbild. Noch nie war ihr so bewußt, wie sehr sie der Mutter ähnlichsah.

Sie hatte dasselbe platinblonde Haar, dieselben großen Augen, dieselbe gewölbte Stirn und dieselben leicht geschwungenen Lippen.

Aber sie hatte auch etwas von ihrem Vater. Sein griechisches Profil schien ihm etwas Vergeistigtes zu verleihen, was ihn von anderen Schauspielern unterschied. Und eben dieses Profil war der Grund, daß Simona anders aussah, als die anderen jungen Mädchen ihres Alters.

Sie war lieblich, daran bestand kein Zweifel. Und irgendwie außergewöhnlich, was einer der Gründe war, warum Beau Bardsley sie von den Leuten fernhielt, die seine Garderobe bevölkerten und die er seine Freunde nannte, obwohl er sie nie zu sich nach Hause einlud.

Seit dem Skandal, von dem ganz Bath monatelang gesprochen hatte, hatte Beau Bardsley sein Privatleben streng von seinen beruflichen Verpflichtungen getrennt gehalten.

Während der letzten Rollen, die er als Partner von Sarah Siddons gespielt hatte, bevor er mit ihr zusammen nach London ans Theatre Royal gegangen war, war ihm ein Mädchen in einer der Proszeniumslogen aufgefallen, was nicht weiter verwunderlich gewesen war, denn es hatte sich jede Vorstellung angesehen, Nachmittag für Nachmittag und Abend für Abend. Am Nachmittag war das Mädchen in Begleitung einer Zofe oder eines Kammerdieners gewesen, am Abend in Begleitung seiner Eltern.

Annabel Winslow kannte in Bath jeder. Durch ihre Schönheit hatte sie die Herrschaften der Gesellschaft, die sich in den Pausen im Foyer ergingen, im Sturm für sich gewonnen. Jung und alt hatten ihr den Hof gemacht und ihr Benehmen so charmant gefunden wie ihr Äußeres.

Ganz Bath war entzückt gewesen, als ihre Verlobung mit Lord Powell bekanntgegeben worden war. Der Edelmann war nach Bath gekommen, weil er an Rheumatismus in den Beinen litt, aber kaum hatte er Annabel gesehen, war sein Leiden vergessen und sein Herz verloren gewesen.

Da der wohlhabende Lord Powell die beste Partie gewesen war, die sich Annabel bis dahin geboten hatte, hatte ihr Vater den Antrag auf der Stelle angenommen.

Aber niemand hatte auch nur ahnen können, daß nicht nur der Lord sein Herz verloren hatte, sondern auch Annabel.

Ihre Eltern hatten über ihre Leidenschaft für das Theater nicht weiter nachgedacht. Schließlich gehörte es zur Bildung und zum guten Ton, Shakespeares Stücke fast auswendig zu können, und in den Salons und Wandelhallen wurde von nichts anderem gesprochen, als von Sarah Siddons als Lady Macbeth und Desdemona.

Sir Harvey und Lady Winslow hatten sie auch in der damaligen Hamlet-Inszenierung ausgezeichnet gefunden und sich für den männlichen Hauptdarsteller nicht weiter interessiert.

Umso erstaunter waren sie gewesen, als ihre Tochter mit ihm, nämlich Beau Bardsley, weggelaufen war.

Sarah Siddons, Beau Bardsley und Annabel Winslow waren mit derselben Kutsche nach London gereist.

Sir Harvey war auf seine Güter nach Dorset zurückgekehrt und hatte den gebieterischen Wunsch geäußert, nie wieder auch nur ein Wort über seine Tochter hören zu wollen.

Annabel war jedoch unendlich glücklich gewesen mit dem Mann ihrer Wahl und hatte sich, als Simona 1785 zur Welt gekommen war, für die gesegnetste Frau unter der Sonne gehalten.

Nach seiner Heirat mit Annabel hatte es um Beau Bardsley nicht mehr den Hauch eines Skandals gegeben. Daß er von Frauen verehrt und umschwärmt worden war, verstand sich von selbst. Während Beau Bardsley immer sehr galant und zuvorkommend gewesen war, hatten sie jedoch festeilen müssen, daß er außerhalb des Theaters für niemanden da war.

Sobald die Vorstellung zu Ende gewesen war, war er in das kleine Haus in Chelsea geeilt, in dem er mit Annabel und Simona gelebt hatte, und hatte sich nach keiner anderen Gesellschaft gesehnt.

Vielleicht war es die puritanische Ader in ihm, die er von seinem Vater geerbt hatte. Oder auch eine Art Schuldgefühl seinen Eltern gegenüber, auf alle Fälle war Beau Bardsley enorm streng mit seiner Tochter. Simona selbst hatte allerdings nie das Gefühl gehabt, anders zu leben als andere Kinder und mit der Mutter zusammen von der Außenwelt abgeschlossen zu sein.

Von dem Moment an, in dem Beau Bardsley das Haus verlassen hatte, hatte bis zu seiner Rückkehr ein fieberhaftes Treiben eingesetzt, um alles für ihn angenehm und gemütlich zu machen. Du mußt deinem Vater Freude bereiten, du darfst ihn nicht böse machen und darfst ihn nicht stören - das hatte sie von klein aufgehört, und ihr ganzer Lebensinhalt bestand daher darin, den Vater glücklich zu machen.

Simona liebte ihn und verehrte ihn wie einen Gott. Er war ihr ein und alles.

Trotz der ärmlichen Verhältnisse, in denen er aufgewachsen war, hatte er eine ausgezeichnete Erziehung genossen. Er hatte eine erstklassige Schule besucht und war durch sein Studium der englischen Sprache und der Literatur ein hochgebildeter Mann.

Obwohl Simona nie eine öffentliche Schule besucht hatte, war sie viel gebildeter als das Durchschnittsmädchen ihres Alters. Ihr Vater hatte ihr eine Erziehung angedeihen lassen, die zu der Zeit nur Jungen erhielten, während ihre Mutter ihr all das beigebracht hatte, was für ein junges Mädchen wichtig war.

Als ihre Mutter gestorben war, hatte eine nie gekannte Einsamkeit Simona befallen. Die Tage schleppten sich dahin, außer ihrer alten Kinderfrau hatte sie niemanden, mit dem sie sich hätte unterhalten können. Es blieb nicht viel zu tun, außer auf die Rückkehr ihres Vaters zu warten, der ihr dann erzählte, was sich in der Gesellschaft zutrug.

„Darf ich denn auch einmal auf einen Ball gehen?“ hatte sie eines Abends gefragt.

Beau Bardsley hatte seine Tochter angesehen, als sehe er sie zum ersten Mal. Sie hatte in dem duftigen Kleid aus Musselin so zauberhaft ausgesehen, daß er an seine Frau Annabel hatte denken müssen.

„Auf einen Ball, mein Kleines?“ hatte er gedankenverloren gefragt.

„Ja, Papa“, hatte Simona geantwortet. „Hast du vergessen, daß ich achtzehn bin? Mama hat mir von dem Ball erzählt, der extra für sie gegeben wurde, als sie in die Gesellschaft eingeführt werden sollte, und ich möchte auch schrecklich gern einmal auf einen Ball gehen.“

Beau Bardsley hatte sie lange angesehen.

„Das geht nicht“, hatte er schließlich gesagt.

„Aber warum denn nicht?“ hatte Simona gefragt.

Beau Bardsley hatte eine ganze Zeit überlegt und nach den richtigen Worten gesucht.

„Man kann der Wahrheit nicht aus dem Weg gehen“, hatte er endlich gesagt. „Ich werde eingeladen, weil ich ein bekannter Schauspieler bin. Man akzeptiert mich, weil ich es in meinem Beruf zu etwas gebracht habe und man über mich spricht. Die Damen der Gesellschaft machen da keine Ausnahme. Sie reißen sich sogar darum, mich bei ihren Empfängen dabei zu haben und sind jedes Mal wieder baff, wenn ich absage. Mich also akzeptiert man. Meine Frau und meine Tochter jedoch würde man nicht akzeptieren. Man würde die Nase rümpfen.“

„Aber wieso denn?“ hatte Simona gefragt.

„Wenn man schon nicht adelig ist, muß man wenigstens berühmt sein“, hatte Beau Bardsley mit einem schwachen Lächeln gesagt. „Ich bin berühmt - wenigstens in England. Meine Frau und meine Tochter nicht.“

Simona hatte ihn mit großen Augen angesehen.

„Ein Mann bürgerlicher Herkunft kann doch auch ein Gentleman sein, Papa. Dein Vater war Geistlicher ...“

„Und hat sich meiner geschämt“, hatte Beau Bardsley sie unterbrochen. „Er wollte mich auf ein Priesterseminar schicken und in den Dienst Gottes stellen.“

„Aber die Winslows werden doch sehr respektiert in Dorset“, hatte Simona gesagt.

„Und wie oft bist du schon aufgefordert worden, deinen Großvater und deine Großmutter zu besuchen?“ hatte Beau Bardsley gefragt.

Es war langes Schweigen entstanden.

„Ich glaube, ich habe es jetzt verstanden“, hatte Simona schließlich gesagt.

„Wenn ich dafür bestraft werden soll, daß ich mit deiner Mutter weggelaufen bin und der glücklichste Mann auf Erden war, dann ist jetzt der Moment gekommen, denn es tut mir in der Seele weh, daß ich dir nicht das bieten kann, was ich dir gern bieten würde.“

Simona war in seine Arme gelaufen.

„Aber Papa, mach dir doch deshalb keine Gedanken. Ich bin glücklich, überglücklich sogar, daß ich bei dir bin. Kein Ball könnte die Freude übertreffen, die ich empfinde, wenn ich dich auf der Bühne sehe oder, wenn wir abends zusammen zu Hause sind.“

Beau Bardsley hatte die Tochter auf den Nacken geküßt.

Simona hatte nie wieder erwähnt, wie sehr sie sich von Zeit zu Zeit danach sehnte, auch einmal dabei zu sein. Sie hatte sich damit begnügt, dem Vater umso intensiver zuzuhören, wenn er ihr am Abend erzählte, wer ihn in seiner Garderobe besucht hatte.

Und so kannte sie die Herrschaften, die zur Gesellschaft gehörten, wenn auch nur dem Namen nach. Wenn sie eine Theatervorstellung besuchen durfte, schweifte ihr Blick über die Herren und Damen, die in den Logen und in den ersten Reihen saßen, und sie überlegte, wer wohl wer war.

Und jetzt, während sie in der Garderobe wartete, hörte sie draußen den Applaus anschwellen. Sie ging zur Tür und machte sie einen Spalt auf. Wie fernes Donnern drang es aus dem Zuschauerraum zu ihr her.

Kurz darauf kam ihr Vater zurück. Sein Gesicht war gerötet. In seinen Augen lag das typische Leuchten: Die Vorstellung war ein Erfolg.

„Sie beten dich an, Papa“, sagte Simona stolz.

„Es ist gut gegangen“, sagte Beau Bardsley bescheiden.

Er hatte sich kaum vor den Schminktisch gesetzt, als er wieder von einem Hustenanfall befallen wurde. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, sein ganzer Körper wurde geschüttelt. Wieder mußte Joe ein Glas Cognac mit Wasser bringen.

Es kostete Beau Bardsley seine ganze Kraft, sich für den nächsten Akt umzuziehen. Joe ging mit ihm bis zu den Kulissen, kam diesmal aber wieder in die Garderobe zurück.

„Es geht ihm wirklich nicht gut, Miss Simona“, sagte er.

„Ich weiß, Joe, aber er bleibt ja nicht zu Hause. Ich habe ihn heute so gebeten, die Vorstellung abzusagen, aber es war nichts zu machen.“

„Er bringt sich noch um, Miss Simona. Denken Sie an meine Worte.“

Simona schüttelte verzweifelt den Kopf.

„Das sagt der Arzt auch, aber Papa will nichts davon hören. Er muß arbeiten.“

„Ich weiß schon, Miss.“

„Sie sind seit vielen Jahren bei ihm, Joe. Sie wissen so gut wie ich, daß er keinen Penny zur Seite gelegt hat.“

„Ja, ich weiß. Und wenn er die nächste Gage bekommt, dann sind sie wieder alle wie die Aasgeier. Für sich persönlich gibt er ja so gut wie nichts aus.“

„Er soll ja bald mehr bekommen“, sagte Simona.

„Da wird es aber auch langsam Zeit“, sagte Joe. „Das Theater ist doch nur dann ausverkauft, wenn Ihr Vater auf der Bühne steht. Ich denke manchmal, daß sie ihn mit der Erhöhung noch hinhalten, weil sie fürchten, daß er dann einmal Urlaub machen könnte.“

„Und Urlaub bräuchte er dringend“, entgegnete Simona. „Der Arzt hat gestern erst gesagt, daß Papa den Winter in einem wärmeren Klima verbringen sollte. Der November steht vor der Tür, und die kalten, feuchten Winde und der Nebel werden Papa noch umbringen.“

Joe nickte.

„Ich glaube, ich stelle mich am besten mit einem Glas Cognac in die Kulissen. Das ist das einzige, was noch hilft, wenn wieder ein Anfall kommt.“

Joe ging und Simona setzte sich auf das Sofa. Die Zukunft sah nicht sehr rosig aus. Sie fragte sich, was ihre Mutter an ihrer Stelle getan hätte. Die Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie wischte sie tapfer weg. Ihr Vater durfte nicht merken, daß sie sich derartige Sorgen machte.

Sie mußte daran denken, wie verzweifelt er nach dem Tod ihrer Mutter gewesen war. Zeitweilig hatte sie gedacht, daß er den Verstand verlieren würde. Simona war ihm mit all ihrer Kraft zur Seite gestanden und hatte es sich selbst nicht gestattet, vor ihm zu weinen.

Und so gestattete sie es sich auch jetzt nicht.

Das Warten wurde ihr lang. Doch endlich kam der Applaus, die Vorstellung war zu Ende.

Ich muß versuchen, ihn wenigstens so schnell wie möglich hier weg zu bekommen, dachte sie. Joe muß uns eine Kutsche holen, und zu Hause wartet dann schon das Essen. Anschließend muß sich Papa sofort ins Bett legen.

Am liebsten wäre es Simona gewesen, wenn sich ihr Vater gar nicht erst umgezogen, sondern im Kostüm heimgefahren wäre.

Im Zuschauerraum begann das Stimmengemurmel. Die Menschen gingen offensichtlich zu den Ausgängen. Nur noch ein paar Unermüdliche klatschten. Und dann die Stimmen von Schauspielern auf dem Weg in ihre Garderoben.

„Wenn Euer Gnaden einen Moment warten“, hörte Simona ihren Vater sagen. „Ich will bloß schnell nachsehen, ob in meiner Garderobe aufgeräumt ist.“

„Aber mein lieber Bardsley“, kam die Antwort. „Als ob mir das etwas ausmachen würde.“

Simona wußte sofort Bescheid: Ihr Vater hatte ihr zu verstehen geben wollen, daß er jemanden mitbrachte. Sie stand schnell auf und verschwand hinter dem Paravent.

Die Tür ging auf.

„Genau, wie ich es mir gedacht hatte“, hörte Simona eine belustigte Stimme sagen. „Alles sauber und ordentlich, nirgends eine Spur von kompromittierenden Petticoats oder dergleichen.“

„Natürlich nicht, Euer Gnaden“, entgegnete der Künstler in einem Ton, als würden ihm derlei Anspielungen nicht passen.

„Ich weiß. Sie wollen nach Hause gehen, Bardsley“, fuhr der Besucher fort. „Daß Sie nach der Vorstellung nicht gern noch lang hier bleiben, ist hinlänglich bekannt. Aber ich muß Sie sprechen. Ich brauche Ihre Hilfe.“

Beau Bardsley lachte.

„Meine Hilfe? Wie kann es denn angehen, daß der Herzog von Ravenstone meine Hilfe braucht?“

Simona wußte, daß ihr Vater ihr mit der Bemerkung mitteilen wollte, wer der Besucher war. Und gleichzeitig wollte er sie bitten, keinesfalls ihr Versteck zu verlassen.

„Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Euer Gnaden?“ fragte Beau Bardsley.

„Nein, tausend Dank.“

Der Herzog hatte sich auf das Sofa gesetzt.

„Um gleich zur Sache zu kommen“, sagte er, „ich brauche eine Schauspielerin.“

„Dann sind Sie zu dem Falschen gekommen, Euer Gnaden“, sagte Beau Bardsley reichlich scharf. „Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß ich es ablehne, Bekanntschaften dieser Art zu vermitteln.“

Der Herzog lachte.

„Mein lieber Bardsley!“ rief er. „Sie bellen am falschen Baum hinauf. Wenn ich die Bekanntschaft einer Schauspielerin machen wollte, hätte ich diesbezüglich wohl kaum Schwierigkeiten. Einen Vermittler bräuchte ich dazu ganz bestimmt nicht.“

„Wie kann ich Ihnen dann behilflich sein?“ fragte Beau Bardsley.

„Das ist eine lange Geschichte, aber ich werde mich kurz fassen“, entgegnete der Herzog. „Meine Schwester hat einen Schotten namens McCraig geheiratet. Dieser McCraig ist mittlerweile tot, aber mein Neffe Alister McCraig ist umso lebendiger. Er hat vor einem guten Jahr Kitty Warden geehelicht. Erinnern Sie sich an Kitty?“

„Allerdings!“ sagte Beau Bardsley. „Ich hatte keine Ahnung, daß McCraig Ihr Neffe ist.“

„Ich gebe mich im Allgemeinen nicht mit Verwandten ab“, sagte der Herzog. „Sie langweilen mich. Kitty kenne ich noch aus ihrer Zeit auf der Bühne. Aber wer hat sie damals nicht gekannt.“

„Eben“, entgegnete der Mann. „Wer hat sie damals nicht gekannt.“

„Erstaunlicherweise hat sie meinen Neffen sehr glücklich gemacht, aber Kitty ist trotzdem Kitty. Sie tritt zwar nicht mehr auf, aber sie sieht immer noch aus wie zu Zeiten, in denen sie mit ihren unzüchtigen Liedern Furore machte.“

„Ich erinnere mich“, sagte der Schauspieler trocken.

„Dann können Sie sich wahrscheinlich vorstellen, daß sie mit ihren feuerroten Haaren und dem recht beeindruckenden Busen, der in den letzten zwei Jahren noch beeindruckender geworden sein soll, daß der Großonkel ihres Mannes der McCraig of McCraig nicht begeistert sein wird.“

„Ich glaube, schon von ihm gehört zu haben“, bemerkte Beau Bardsley.

„Er wird der ungekrönte König von Schottland genannt, was auf seinen eigenen Clan sicherlich zutrifft, denn er ist ein extrem reicher Mann. Es tut mir leid, Bardsley, daß ich Sie mit dem Kram behelligen muß. Die Situation ist simpel: Meine Schwester hat seit Jahren versucht, das Interesse des alten McCraig für ihren Sohn Alister zu wecken, was noch lange nicht heißt, daß dieser sein Geld vermachen wird, wem er will.“

„Und?“ fragte Beau Bardsley.

„Und nun hat der alte McCraig aus heiterem Himmel seinen Besuch in London angekündigt. Er will mit dem Premierminister über irgendwelche Probleme, die Schottland betreffen, verhandeln und hat meinen Neffen wissen lassen, daß er dessen Frau kennenlernen will. Es besteht kein Zweifel daran, daß er Alister zu seinem Erben machen wird - wenn er mit dessen Wahl einverstanden ist.“

„Offen gesagt, ist es kaum anzunehmen, Euer Gnaden, daß das der Fall sein wird“, bemerkte Beau Bardsley nach einem Moment.

„Eben“, sagte der Herzog. „Und das ist nicht nur Ihnen und mir klar, sondern auch meinem Neffen Alister. Sie sind der einzige, Bardsley, der hier behilflich sein kann.“

„Aber wie denn?“

„Indem Sie eine Schauspielerin finden, die für zwei Tage die Rolle der Frau meines Neffen übernimmt. Sie soll einen alten, spröden Schotten davon überzeugen, daß sie die richtige Gemahlin für seinen Erben ist.“

„Ist das Ihr Ernst?“ fragte Beau Bardsley.

„Mein voller Ernst“, antwortete der Herzog. „Ich habe hin und her überlegt und bin zu dem Schluß gekommen, daß das die einzige Möglichkeit ist, wenn man dem Schicksal nachhelfen und Alister finanziell absichern will. Nur so kann er jetzt schon zu einer gewissen Summe kommen und eine gute Million erben, wenn der alte McCraig stirbt.“

„Eine gute Million?“ fragte Beau Bardsley.

„Wenn nicht noch mehr“, antwortete der Herzog. „Und Sie glauben, dieser Großonkel fällt auf das Spiel herein?“ fragte Beau Bardsley.

„Warum sollte er nicht darauf hereinfallen?“ fragte der Herzog zurück. „Das wesentliche Ihres Berufs ist es, eine Illusion zu schaffen und die Menschen das glauben zu machen, was Sie wollen. Die Hälfte aller Frauen im Zuschauerraum hat heute Abend geweint, als Sie starben.“

„Im Rampenlicht ist das alles anders“, erklärte Beau Bardsley.

„Schon, aber es gehört zu den Hauptaufgaben eines Schauspielers, die Illusion echt erscheinen zu lassen. Ganz gleich, was Sie sagen oder tun, das Publikum hält es für Wirklichkeit. Ich brauche eine Frau, die einen alten Mann von achtzig Jahren davon überzeugen kann, daß sie eine anständige, von allen respektierte Person ist. Das dürfte doch nicht allzu schwer sein.“

„Trotzdem fällt mir niemand ein, der die Rolle übernehmen könnte,“ erwiderte der Schauspieler.

„Ich kann mir vorstellen, daß es nicht ganz leicht ist, eine passende Schauspielerin zu finden, aber sie muß doch existieren. Ich wende mich an Sie, Bardsley, weil Sie ein Gentleman sind.“

„Wie gesagt, es fällt mir spontan niemand ein, Euer Gnaden. Judith Page spielt zwar fast ausschließlich höher gestellte Damen, aber sie ist zu alt. Und Sylvia Werity...“

„Um Gottes willen, bloß nicht die!“ rief der Herzog entsetzt. „Ein Drink und die Vergoldung blättert ab, dann drückt sie sich wie ein Marktweib aus.“

„Ich weiß“, seufzte Mr. Bardsley.

„Es muß doch jemanden geben, vielleicht eine Anfängerin. Sie muß ja nicht viel tun. Schön sittsam den Mund halten, das ist das Wichtigste. Und die wenigen wichtigen Sätze bringe ich ihr schon bei.“

Beau Bardsley mußte den Herzog seltsam angesehen haben, denn er sprach schnell weiter.

„Nicht, was Sie denken, Bardsley!“ sagte er. „Ich verspreche es Ihnen. Das ist eine rein geschäftliche Angelegenheit. Wenn das Mädchen noch unberührt ist, wird es mein Haus so unberührt verlassen, wie es gekommen ist. Ich verspreche es Ihnen in die Hand.“

„Ihr Haus?“ fragte Beau Bardsley.

„Mein Neffe wohnt zur Zeit bei mir im Ravenstone House am Berkeley Square“, erklärte der Herzog. „Ich habe den alten McCraig aufgefordert, für die zwei Tage mein Gast zu sein. Ich werde persönlich dafür Sorge tragen, daß die betreffende Dame nicht einen Moment mit ihm allein ist. Entweder mein Neffe oder ich selbst werden anwesend sein, um jeden peinlichen Augenblick zu überbrücken und eventuell schwierige Fragen beantworten zu können.“

Beau Bardsley schwieg, also fuhr der Herzog fort.

„Vielleicht sollte ich längst erwähnt haben“, sagte er, „daß ich bereit bin fünfhundert Pfund für das reichlich außergewöhnliche Engagement zu bezahlen.“ Er lachte. „Sie machen ein erstauntes Gesicht, Bardsley.“

„Fünfhundert Pfund das ist eine Menge Geld, Euer Gnaden“, meinte Beau Bardsley.

„Ich investiere die Summe gern, wenn es sein muß auch noch mehr. Hauptsache, mein Neffe wird als Erbe eingesetzt. Für eine Million kann man schon etwas tun.“

„Vielleicht läßt sich jemand finden, der passend wäre“, räumte Beau Bardsley ein. „Sie wissen so gut wie ich, daß es Tausende gibt, die sich auf so ein Angebot stürzen würden. Aber woher wollen Sie wissen, daß man Ihnen nicht in den Rücken fällt. Ich finde, es ist das Risiko nicht wert.“

„Ich wußte doch, daß Sie der einzige sind, Bardsley, der mein Problem versteht“, sagte der Herzog. „Ich wäre sonst nie so aufdringlich gewesen.“

„Aber ich bitte Sie!“ sagte Beau Bardsley. „Es war unhöflich von mir, so abweisend zu sein.“

„Ganz und gar nicht. Jeder weiß, daß Sie nach der Vorstellung möglichst schnell nach Hause zu Ihrer Familie wollen, die von Leuten wie meinesgleichen nicht belästigt werden soll.“ Der Herzog lachte wohlwollend. „Ihre Sucht nach ungestörtem Privatleben mag für manchen unverständlich sein, Bardsley, aber ich verstehe Sie voll und ganz. Mehr noch, ich bewundere es, wie Sie sich abkapseln und von all dem Gesellschaftsgehabe fernhalten können.“

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