Kitabı oku: «In Liebe, Muschelkalk», sayfa 2

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Hans kann sich nur wundern: »Hast Du so wenig über Sexuales gelesen, gesehen, so wenig über diese geheimnisvollen Kräfte nachgedacht, die die Erde und die Gestirne um die Erde kreisen machen? Ja Du bist so jung noch – und immer wieder mag ich vergessen, wieviel Leben mehr ich Dir voraus habe.« Und er kann sich nicht vorstellen, dass sie immer diese »feindliche, von Abscheu und Ekel erfüllte Stellung« einnimmt, die sie sich – wie er meint – zu Unrecht einredet. Und weil sie geschrieben hatte: »Ein lüsternes Verliebtsein ist mir widerlich, daß ich oft schlagen möchte«, sieht er darin einen möglichen Ansatz zu der von ihm offenbar bevorzugten sexuellen Praxis und knüpft an ihre Worte an: »Könntest Du einen Mann schlagen? – Könntest Du mich mit einer Ruthe schlagen, wenn ich Dich, zwischen einem schönen Theaterstück und einer großen ernsten ›Weinstunde‹ (schöner wie neulich) darum bitten würde? – – Oder würdest Du leiden oder mögen, daß ich Dich gelegentlich einmal wie ein unartiges Kind schlüge? Oder wie eine Sklavin demütigte?« Aber dann kommen ihm doch Bedenken, ob sie mit seinen Worten etwas anfangen kann und er fragt: »… glaubst Du, meinen Brief von neulich ganz verstanden zu haben?«

Möglicherweise hat Lona sich inzwischen etwas kundig gemacht und ahnt nun, was es alles für sexuelle Praktiken gibt. »Ob ich Dich mit einer Ruthe schlagen könnte? Nein, Hans, niemals … Wenn so etwas … nur dazu dienen soll, eine Stimmung, Erregung zu produzieren, geht es mir wider die Natur … Mögen würde ich es nie, daß Du mich schlägst … nur aus Laune – – niemals. – – Wie eine Sklavin demütigen, wie weit faßt Du den Begriff? Ich könnte Dir mit gewisser Trauer, daß es nicht anders ist, doch treu in allem dienen, als Magd, bis auf den Dienst, den der Mann von der Frau verlangt. Da magst Du zu anderen gehen.«

Sie fragt sich, was er überhaupt von ihr will. Zieht ihn vielleicht nur ihre »niedliche Unschuld« an, die er genießen und zerstören möchte? Aber Hans erwidert, das sei keineswegs der Fall, eine erfahrene Partnerin wäre ihm viel lieber. Und den Begriff Triebe, meint er, solle sie positiv sehen. Das Wort bekäme einen schöneren Klang, wenn man an Knospen, Frühling denke, an Zugvögel oder ein saugendes Fohlen. »Du bist noch ganz verstrickt in die schmutzige Wolle, mit dem die kleinliche Bourgeoisie ihre Kinder umspinnt.« Mit dem Blick des sexuell aufgeklärten frühen 20. Jahrhunderts macht er ihr klar: Nicht die Triebe seien eine Schande, sondern deren Verleugnung. Und von ihrer Unschuld werde er keineswegs angezogen. Er empfiehlt ihr die Lektüre der Sittengeschichte von Eduard Fuchs und der Bücher von de Sade. Und damit ihr klar ist, dass es für Frauen nicht nur die »schlimmen« Männer gibt, fragt er provokant, was sie denn von der sinnlichen Liebe zwischen Frau und Frau halte? Und dann noch: ob sie einmal ein Kind bekommen möchte?

Sie erklärt ihm in ihrem nächsten Brief zunächst, ihr Widerwillen gegen Dinge wie Triebe, Lüste etc. komme daher, dass sie mit sechs Jahren von schlechten frühreifen Kindern aufgeklärt worden sei. Und weiter: Von lesbischer Liebe habe sie vor Kurzem erfahren. Die Dadaisten hätten wohl auch damit zu tun. Die von ihm genannten Autoren und ihre Bücher kenne sie nicht. Ein Kind wäre ihr schönster Traum, es brauche aber gar kein eigenes zu sein. In seiner Antwort nennt Hans sie »Naivica«, weil sie Lesben und Dada zusammenbringt.

Im Übrigen aber will Lona ihrem Hans das Heim bereiten, das er sich ersehnt. Denn er hatte doch auch geschrieben, im schwülstigen Stil der Zeit und ziemlich unliterarisch: »Wie schön wäre es, hätten wir gemeinsam eine kleine Wohnung, darin Du sorgtest und waltetest mit Deiner schönen Mütterlichkeit und wie würde es mich zu meinem Arbeiten anspornen und liebe Freunde kämen zu uns – und Kunst und Glauben und Redlichkeit wüchsen in unserem Tempel …« Das war eine Vorstellung des gemeinsamen Lebens, die ihr durchaus gefallen hat. Und Hans versichert, er liebe sie und könne mit ihr leben, ohne sie körperlich zu berühren. »Wir würden sein gleich zwei innigsten Freunden, die sich zuwinken und sehen und sprechen von Balkon zu Balkon.« Aber schließlich gibt er ihr auch in einfühlsamer Weise zu verstehen, dass er ihr die Augen für das öffnen möchte, was sie zu der Zeit noch ängstigt. Und sie lässt sich überzeugen, trotz aller Vorbehalte. Sie mag ihn sehr. Und die Zeit ist reif. Er hat gewonnen.

Nachdem diese grundsätzlichen Dinge jetzt zwischen den beiden geklärt sind, machen sie sich an die Realisierung des Zusammenlebens. Für diesen Zeitpunkt ist noch ganz wichtig zu erwähnen: Hans benutzt seit Dezember 1919 das Pseudonym Joachim Ringelnatz. Er startet jetzt entschlossen durch als Dichter. Nahezu alles, was er erlebt und sieht, verwertet er literarisch, macht er zum Gedicht oder zu Prosa.


Mein richtiges Herz. Das ist anderwärts,

Irgendwo

Im Muschelkalk.

Konkretisierungen

Seit Mitte Januar 1920 hat Ringelnatz im Verlag Scherl in Berlin einen Job für zehn Mark pro Tag. Doch die Demobilisierung verlangt, dass ehemalige Soldaten wieder dort wohnen, wo sie vor dem Krieg gelebt haben. Also darf Ringelnatz nicht in Berlin bleiben, er muss zurück nach München. Lona dagegen hat ab April eine Stelle als Fremdsprachenlehrerin in Godesberg bei Bonn am Rhein angenommen. Ringelnatz ist in Berlin bereits im Aufbruch. Ende April wird er nach München umziehen, wo er im »Simpl« nicht mehr nur einfacher Hausdichter ist, sondern ein richtiges Engagement für den Monat Mai hat. Die Chefin Kathi Kobus übernimmt seine Reisekosten und zahlt 1.200 Mark Gage. Schon will er von Lona wissen, welche Kündigungsfrist sie in der gerade angetretenen Stelle hat. Und sie soll sehen, dass sie die Papiere für die Hochzeit zusammenbekommt, sich also insbesondere ihre Geburtsurkunde und einen Staatsangehörigkeitsnachweis beschafft.

Aber zuvor ist noch das Unvermeidliche zu erledigen: Der Brief an Wilhelm Pieper in Rastenburg. Auch wenn Lona inzwischen volljährig ist, wollen sie doch nicht ohne den Segen des Vaters heiraten. Da wird die Herkunft der beiden aus bürgerlichen Elternhäusern deutlich. Ringelnatz entwirft ein entsprechendes Schreiben: »Hochverehrter Herr Bürgermeister«. Ziemlich geschickt stellt er darin seine bisherigen Tätigkeiten heraus, weist aber ehrlich auf seine minimalen finanziellen Mittel hin, nennt Zeitschriften, die Texte von ihm gebracht haben, sowie seine Buchveröffentlichungen. Er bespricht den Brief mit einer mütterlichen Berliner Freundin und schickt den Entwurf dann nach Godesberg, damit Lona dazu Stellung nehmen kann. Schließlich wird der Brief an Pieper abgeschickt. Sobald der Vater einverstanden ist, soll Lona in Godesberg kündigen.

Hans macht seiner Lona im Übrigen klar, dass er eine ganz bestimmte Frau braucht und haben will: »Was ich thue, wenn Muschelkalk in meinen Händen nicht wird, was ich erhoffe? – – Dann knete ich Muschelkalk mal härter mal weicher, mal sanft und mal hitzig und Muschelkalk wird, was ich erhoffe, denn ich pflege meine großen Ziele nicht leicht aufzugeben. Aber freilich muß Muschelkalk auch wollen und eiserne Energie dort haben, wo es von ihr erwartet wird. Muschelkälkchen wird anfangs manchmal traurig zu sich selber sprechen: ›Ach ich bin doch so dumm gewesen und werd ich wohl erreichen, was er meint und was er mir zeigt.‹ Aber wenn Muschelkalk tapfer aushält und auch schiefe Zeiten hindurch treulich bleibt – dann – – (I wo, ich werd mich hüten zu versprechen, was dann lohnen soll). Und dein dichtender ewiger Seemann wird so gern so gern Dich als liebes sorgendes Hausgeistchen wissen, und er wird ruhig werden, da er jemanden weiß, der sein Haus bestellt und ihn bei Mißerfolgen tröstet oder bei einem Stückchen Ruhm sich als Mithelfer freut.« Lona weiß also, was sie erwartet, und sie geht diese Verbindung bewusst ein.

Der künftige Wohnort

Schon jetzt aber, so drängt Ringelnatz, sollten sie die Frage klären, wo sie sich niederlassen. Seit dem 30. April hält er sich in München auf und sucht hier nach einer Wohnung, was nach dem Krieg äußerst schwierig ist. Der Wohnungsmarkt wird wegen Raummangels in München – wie in anderen deutschen Städten auch – bewirtschaftet, es werden Wohnungen also nach bestimmten Kriterien von städtischen Behörden vergeben. Selbst wenn die erforderlichen Papiere vorliegen, ist wohl vor Ablauf eines Jahres mit der Zuteilung einer Wohnung nicht zu rechnen.


Doch Lona kann sich durchaus auch vorstellen, mit Ringelnatz in Rastenburg zu leben. Es fällt ihr offensichtlich schwer, sich vom Vater und den Geschwistern zu trennen. Nachdem ihr Vater zum dritten Mal geheiratet hat, ist vor allem die jetzt zehnjährige Schwester Lisabeth eigentlich gut versorgt, und es besteht keine Notwendigkeit mehr für sie, in Rastenburg zu bleiben. Aber ganz wichtig ist für sie, was ihr Vater dazu sagt, dass sie einen Mann heiraten will, der beruflich mit Mitte dreißig keineswegs den Vorstellungen der bürgerlichen Kreise entspricht, aus denen sie stammt. Für eventuelle Konflikte in dieser Richtung rät Ringelnatz ihr: »Aber wenn es sein müßte, daß Du einmal Dich gegen den Willen Deines Vaters in Deiner eigenen Überzeugung oder aus Treue zu mir behaupten müßtest – Muschelkalk, ich hoffe, nein ich baue fest darauf, daß Du dann Dich bewährst«. Ein weiterer Grund für Lonas zögerliche Haltung ist aber sicher auch, dass sie manchmal leichte Beklemmungen beschleichen, denkt sie an das ganz neue Leben, das sie jetzt erwartet, wenn sie mit einem Mann in eine ihr unbekannte süddeutsche Großstadt zieht. Ringelnatz bemüht sich, sie mit vielen Worten von München zu überzeugen. Er macht ihr klar: München sei »so viel viel schöner, froher als Rastenburg«, er habe dort mehr Anregungen und Verbindungen, und sie wäre dort in einer ganz neuen Umgebung; zur Not könne man auch erst nach Rastenburg ziehen und dann nach München, aber das wäre doch sehr umständlich und sehr teuer! Trotzdem tendiert Lona immer noch nach Rastenburg. Aber Ringelnatz will das nicht. Eine Kleinstadt, wo er nichts ist, kommt für ihn nicht in Betracht. Auch bringt er noch das Argument, dass es nach seiner Ansicht nicht gut sei, wenn ein junges Paar in der Nähe der Eltern wohnt. Ganz klar: Er will aus München nicht mehr weg.

Aber Lona mahnt zur Geduld. Zudem schreibt sie von Zahnproblemen. Diese mag sie auch etwas übertrieben schildern, um seiner drängenden Frage, an welchem Ort sie denn nun wohnen will, zu entgehen. Letztlich aber hat sie München nichts entgegenzusetzen. Dann ist als Hochzeitstermin der 1. September im Gespräch. Den empfindet Ringelnatz aber als sehr spät. Er hat wohl schon länger den 7. August, seinen Geburtstag, im Auge. Sie warten immer noch auf die Antwort ihres Vaters. Und es gibt weitere praktische Probleme zu lösen. Ringelnatz spricht davon, er habe bei Dunsky in Berlin seine Möbel untergestellt. Der Innenarchitekt hat ihm vermutlich Möbel aus seinem Sortiment überlassen und sie zunächst einmal in seinem Lager untergebracht. Vielleicht handelt es sich auch um in Zahlung genommene Stücke seiner Kunden. Diese Möbel müssen möglichst schnell nach München transportiert werden, sonst knöpfe ihm Dunsky noch das eine oder andere Stück wieder ab, schreibt er an Muschelkalk. Schließlich handelt es sich um Sachen, die sie dringend für ihre gemeinsame Wohnung brauchen: Bett, Diwan, Schreibtisch, Buffet, Schrank, Waschtisch, Truhe, Tisch, Spiegel und zwei Regale.

Dann kommt endlich Post von Vater Pieper. Er äußert, wie zu erwarten war, einige Bedenken, aber die kann Ringelnatz in einem weiteren Brief an ihn ausräumen. Hat er doch gerade in dieser Zeit eine Arbeit in der Postüberwachungsstelle München, wo Briefe von und nach Österreich und in die Schweiz auf Geldverschiebungen hin zu überprüfen und eventuelle Geldscheine zu beschlagnahmen sind. Er verdiene 500 bis 600 Mark monatlich, schreibt er. Außerdem kämen im Mai durch Vorträge (mit diesem stets von Ringelnatz gebrauchten Begriff sind seine kabarettistischen Auftritte gemeint) Einkünfte von 1.300 Mark dazu. Und Pieper hat wohl auch die Frage nach Kindern gestellt, worauf Ringelnatz ihm klarmacht, daran dächten sie in den ersten Jahren noch nicht. Und der Vater ist schließlich mit der Heirat einverstanden. Also, wann kommt sie denn nun endlich nach München?

Ringelnatz wird mit Muschelkalk immer ungeduldiger. Schließlich hat er die Stelle bei der Post, den »Simpl« und die Wohnungssuche am Hals. Wäre sie doch endlich da und könnte mithelfen! Ihre Stelle in Godesberg sei das »übelste Hindernis«. Zum Dichten kommt er in diesen Wochen überhaupt nicht. Immerhin hat Kathi Kobus den Vertrag im »Simpl« für den Monat Juni verlängert. Dann geht es um die Ausgestaltung der Hochzeitsfeier. Darüber habe sie noch gar nicht nachgedacht, schreibt Lona. Aber er »denke von früh bis spät daran!«, schreibt Ringelnatz. Sie müsse nun aber wirklich kommen. Als dann der Hochzeitstermin auf den 7. August festgesetzt ist und sie erst am 3. August in München eintreffen will, ist Ringelnatz ziemlich verzweifelt.

Im »Simpl« sind seine Freunde schon sehr gespannt auf die Frau, die er heiraten will. Hier trägt er allabendlich seine Ballade Seemannstreue vor. Die handelt von einer gestorbenen Matrosenbraut namens Alwine, die der Matrose nach der Beerdigung immer wieder aus- und eingräbt, wobei die fortschreitenden Stadien der Verwesung anschaulich geschildert werden. Das Gedicht wollen die Gäste immer wieder hören, ist es doch so schön eklig und morbide. Aber dann kündigt er eine echte, lebendige Braut an. Und die kommt dann endlich auch. Marietta di Monaco, eine Münchner Kabarettistin, die ebenfalls im »Simpl« auftritt, berichtet: »Wir waren gespannt und warteten. Eines Abends führte er sie uns vor. Eine Weile betrachteten wir sie stumm. Nach einigen zögernden Redewendungen stellten wir fest, daß sie uns gefiele – und flüsterten einander zu: ›Das ist Muschelkalk!‹– Dann bestätigten wir es laut, wie aus einer Kehle, und alle waren damit einverstanden.«

Die Hochzeitsfeier

Am 7. August 1920 findet die Hochzeitsfeier bei Margot Fichtner statt, einem schwindsüchtigen Wesen, das gut kochen und offenbar Räumlichkeiten für private Feiern zur Verfügung stellen kann.

Ringelnatz hat einen kleinen Kreis von Leuten eingeladen. Muschelkalk lernt seine Schwester Ottilie kennen und Fräulein Friedl, wohl die Tochter seiner Vermieterin. Der sympathische Arzt Ernst Levin mit seiner netten rumänischen Frau Annikuzza ist da und Erich Winter, ein Leutnant der Reserve. Gast ist auch Willy Seidel mit Frau, Schriftsteller und viel in der Welt herumgekommen. Er kann ferne Länder packend schildern, was Ringelnatz natürlich gefällt. Ebenso ist der Autor Reinhard Koester gekommen, der ebenfalls seine Frau mitgebracht hat. Er hat im Jahr zuvor einen Roman und zwei Stücke veröffentlicht, die dem literarischen Expressionismus nahestehen. Außerdem ist er Übersetzer von Molière-Komödien und hat sich bestimmt mit Muschelkalk auch auf Französisch unterhalten. Koester hält die Hochzeitsrede und wird ein lebenslanger Freund der beiden. Schließlich ist noch Carl Georg von Maassen da, bibliophil, gebildet, wohlhabend, Edles liebend und die meiste Zeit seines Lebens mit der anerkannten aber unvollendet gebliebenen Herausgabe des Werkes von E. T. A. Hoffmann beschäftigt. Sein Hochzeitsgeschenk ist eine Kaffeemühle, und dazu liefert er auch gleich ein zotiges Gedicht mit. Das mag Muschelkalk bei ihrer problematischen Einstellung zu sexuellen Dingen zu dieser Zeit unangenehm berührt haben, an diesem Abend aber doch nur ganz kurz, denn es strömen so viele neue Eindrücke auf sie ein. Spät kommt noch Kathi Kobus, die Wirtin des »Simpl«, zur Hochzeitsgesellschaft, die weiß, was sie an Ringelnatz hat und sich deswegen bei seiner Feier sehen lassen muss.

Als Festessen gibt es Suppe, Braten, Fisch, Reis, Schokoladencreme, als Getränke Burgunder, Rheinwein und Schnaps. Von Maassen schreibt leicht überheblich in sein Tagebuch über das Essen, es sei zwar reichlich gewesen, aber wenig gastrophil, so sei zum Beispiel der Fisch zerkocht gewesen. Das hat aber die übrigen Gäste sicher nicht gestört. Man bleibt bis tief in die Nacht zusammen.

Einen Tag später wird bei Kathi Kobus im »Simpl« gefeiert. Und am 17. August 1920 findet – wegen noch fehlender Papiere verzögert – endlich die standesamtliche Trauung statt, und sie sind jetzt auch offiziell Mann und Frau. Nach dem Standesamt sitzen Lona und Ringelnatz im Wein-Restaurant »Alt-Wien« in der Barer Straße. Dort trägt er ihr das Gedicht vor mit dem langen Titel Ansprache eines Fremden an eine Geschminkte vor dem Wilberforcemonument. Es ist eine Liebeserklärung an seine Frau und endet:

Das ist nun kein richtiger Scherz.

Ich bin auch nicht richtig froh.

Ich habe auch kein richtiges Herz.

Ich bin nur ein kleiner, unanständiger Schalk.

Mein richtiges Herz. Das ist anderwärts, irgendwo

Im Muschelkalk.

So leben wir, so leben wir

An der Isar

München

Wohnen

Muschelkalk findet sich in einer völlig neuen Umgebung wieder. Rastenburg ist vergessen, Eisenach auch, die kurze Zeit in Godesberg erst recht. Zum Glück sind die politischen Unruhen der ersten Nachkriegszeit weitgehend abgeebbt, als die fast 22-Jährige im Sommer 1920 in München eintrifft. Sie wird in den nächsten Jahren weitere politische Unruhen erleben, aber auch die Bohème jener Zeit. Neben manchem Möchtegern-Künstler sind viele ernsthafte, die Trends bestimmende und wichtige Personen darunter. Später wird sie sagen: »Es war schon eine turbulente Zeit, diese Jahre nach dem ersten Weltkrieg, die Kokainzeit … nun, mir hat das alles nichts geschadet, obwohl ich die jüngste in unserem Kreis war.«

Bisher hat es mit der Wohnung noch nicht geklappt. Deshalb wohnen Herr und Frau Ringelnatz zunächst in seinem kleinen möblierten Zimmer in Schwabing in der Arcisstraße 46, im zweiten Stock, bei der Zimmerwirtin Kleber. Muschelkalk lebt zum ersten Mal mit einem Mann auf engstem Raum zusammen. Nun lernt sie Ringelnatz, den sie zuvor kaum erlebt und mit dem sie weitgehend nur Briefe gewechselt hat, aus nächster Nähe kennen. Ihre Ängste vor körperlicher Begegnung, von denen sie ihm vor einigen Monaten so ausführlich geschrieben hat, kann er ihr wohl größtenteils nehmen, dafür sorgt der erfahrene Mann, unterstützt von der betont libertären Atmosphäre in den Münchner Künstlerkreisen. Seine Vorliebe für bestimmte sexuelle Praktiken aber teilt sie nicht. Doch sie bemüht sich. Ringelnatz schreibt im Februar 1921 lobend: »Und wenn, es ist wichtig! und doch nebensächlich, Du mich (wie es mir scheint) auch sexuell mehr und mehr verstehst, in meiner phantastischen Perversität, oh Du Goldblatt, dann haben wir doch ein Paradies. Du weißt schon, dass ich das Rohe, Brutale, Demütigende u. in einer absurden Form (Kuhmagd-Kuh) und das Schmutzige liebe. Aber Du weißt auch, dass ich das nur als Spiel liebe …«.

Nach einigen Wochen haben sie bei ihrer Wohnungssuche Glück. Denn natürlich werden Wohnungen auch unter der Hand vergeben. Personen, die eine solche Wohnung beziehen, werden als »Schwarzmieter« bezeichnet. Das Ehepaar Ringelnatz bekommt auf diese Weise eine Zweizimmerwohnung mit Küche und Toilette in der von der Arcisstraße nicht weit entfernten Hohenzollernstraße 31 a, Gartenhaus, erster Stock links. Da die Sache ungesetzlich ist, ist es umso wichtiger, sich mit den Leuten, die das wissen (oder ahnen), gut zu stellen, in diesem Fall mit der Portiersfrau Mayer. Trotzdem haben sie in den folgenden Jahren immer wieder Angst, diese Wohnung zu verlieren. Ringelnatz dichtet in seiner sprachlich mitunter ungehemmten Art:

Angstgebet in Wohnungsnot

Ach, lieber Gott, gib, daß sie nicht

Uns aus der Wohnung jagen.

Was soll ich ihr denn noch sagen –

Meiner Frau – in ihr verheultes Gesicht!?

Ich ringe meine Hände.

Weil ich keinen Ausweg fände,

Wenn’s eines Tags so wirklich wär:

Bett, Kleider, Bücher, mein Sekretär, –

Daß das auf der Straße stände.

Sollt ich’s versetzen, verkaufen?

Ist alles doch nötigstes Gerät.

Wir würden, einmal, die Not versaufen,

Und dann: Wer weiß, was ich tät.

Ich hänge so an dem Bilde,

Das noch von meiner Großmama stammt.

Gott, gieße doch etwas Milde

Über das steinerne Wohnungsamt.

Wie meine Frau die Nacht durchweint,

Das barmt durch all meine Träume.

Gott, laß uns die lieben zwei Räume

Mit der Sonne, die vormittags hinein scheint.

Das Gedicht wird im Simplicissimus veröffentlicht. Ringelnatz hofft, dass es ihnen vielleicht auch ein wenig Verständnis beim Wohnungsamt einbringen wird. Ob das so ist oder nicht, jedenfalls können sie bis zum Umzug nach Berlin Anfang 1930 in dieser Wohnung bleiben, in der in kalten Wintern das Wasser einfriert. Allerdings haben sie später zeitweise wohl eine Untermieterin, die eins der beiden Zimmer bewohnt. Und das, obwohl Muschelkalk sich aus eigener Überlegung vom Verlag Wolff, in dem Ringelnatz zu der Zeit veröffentlicht, einen Brief besorgt hat, der ihnen bestätigt, dass sie zwei Zimmer brauchen – eins für ihn zum Dichten und eins für sie zum Sprachstunden-Geben.

In der Wohnung machen sich Dunskys Möbel gut, die – wohl sukzessive – aus Berlin geliefert werden, ebenso ein Schachspiel und die von Ringelnatz gesammelten, oft kuriosen Gegenstände aus aller Welt. Dazu gehört auch »Fritzchen«, das Gerippe eines kindlichen Embryos unter einem Glassturz. Im Lauf der Zeit kommen einige Tierplastiken der Berliner Bildhauerin und Grafikerin Renée Sintenis dazu und auch ihre Büste von Ringelnatz’ Kopf. Die Wände hängen voller Bilder, denn Ringelnatz kennt viele Maler und Zeichner, die er in den Münchner Kneipen trifft, und die ihm das eine oder andere Blatt schenken, teilweise vermutlich im Tausch gegen ein Gedichtbändchen oder einen spontan gedichteten Vers. Die beiden haben dafür sogar eine extra »Bilderrahmenkasse«. Auch kommt allmählich eine kleine Bibliothek zusammen. Ringelnatz, ohnehin sehr ordentlich, hat die Katalogisierung von Buchbeständen während seiner Tätigkeiten in den beiden Bibliotheken in Klein-Oels und in Lauenstein gelernt und wendet sie jetzt auch bei sich selbst an: Er kennzeichnet die Bücher mit farbigen Zettelchen, zum Beispiel zitronengelb für Kochbücher, dunkelrot für Moritaten und so weiter. Programme und Plakate seiner Auftritte werden an die Wände der Toilette geklebt, wegen des langen schmalen Raumes »Kegelbahn« genannt. Im Lauf der Zeit kommen immer mehr hinzu.

Muschelkalk, die zum ersten Mal eine eigene Wohnung hat, muss sich um den Haushalt kümmern, aber eine »richtige« Hausfrau wird sie ihr Leben lang nicht. Sie ist dafür verantwortlich, die kleine Wohnung in Schuss zu halten. Kochen hat sie nicht gelernt, sie eignet es sich aber in Maßen an. Ringelnatz, der sich in seinem bisherigen Leben oft allein ernähren musste, kocht gern und gut. Er bringt ihr einiges bei. Auch das Wäschewaschen und Bügeln muss sie lernen. Im Haus in München befindet sich, wie es früher üblich war, eine Waschküche im Keller. In dem großen Waschkessel muss die Wäsche unter Rühren gekocht werden, dann wird sie mit frischem Wasser gespült, ausgewrungen, hinterm Haus auf der Leine getrocknet und schließlich gebügelt. Mit der großen Wäsche hat sie, die bei ihrer Arbeit Holzpantinen und eine immer nasse Schürze trägt, den ganzen Tag zu tun. Wenn sie Glück hat, kommt Ringelnatz zwischendurch einmal in die Waschküche, mit heißen Würstchen, Butterbroten und Bier, und Muschelkalk macht eine Pause. Sie setzen sich an den langen Holztisch und essen und erzählen. Oder er kommt am Ende des Tages freudig in die Waschküche und hat Karten zum Ball im Deutschen Theater in der Hand. Und Muschelkalk macht endlich das Feuer unterm Waschkessel aus, zieht sich um, und sie gehen aus.

Als sich im April 1922 die Gefahr einer Inflation abzeichnet, kommt noch einmal der Gedanke auf, ein Haus zu kaufen. Das würde etwa 50.000 Mark kosten. Rund 30.000 Mark haben sie gespart. Die Idee, die sie sehr eilig hätten umsetzen müssen, wird aber nicht realisiert. So schmelzen im Laufe der schnell fortschreitenden Inflation die Ersparnisse dahin.

Getrenntsein

Natürlich möchte Muschelkalk ihren Mann am liebsten ganz für sich und immer um sich haben. Aber die Jahre werden geprägt von häufigen Abschieden und vom Sich-Freuen auf das Wiedersehen. Zwar tritt Ringelnatz auch immer wieder im »Simpl« auf, meistens aber auf den Kabarettbühnen in anderen Städten. Dort trägt er seine Gedichte und Balladen vor, und damit verdient er den Lebensunterhalt für sie beide.

Neben seinem Pseudonym hat er in dieser Zeit die Figur des angetrunkenen Seemanns Kuttel Daddeldu erschaffen, in den er sich bei seinen Auftritten verwandelt. Er hat diese Rolle aufgrund seiner eigenen Erlebnisse gewählt und trifft damit genau den Zeitgeist, den Hang zur Marine, den Wilhelm II. mit seinem energisch vorangetriebenen Flottenbau angeheizt hatte. Der Matrose ist auch in der Weimarer Republik trotz oder wegen des Matrosenaufstands von 1918 eine durch und durch positive Gestalt. Ringelnatz’ Kostüm ist deshalb ein Matrosenanzug mit weiten Hosen und offenem Halskragen. Üblicherweise trägt er zuerst einige seiner Turngedichte vor, die eine Parodie darstellen auf die Turnbewegung nach 1918 und deren übertriebenen Nationalismus in Verbindung mit der strengen Disziplinierung des Körpers. Dann folgen Balladen über Kuttel Daddeldu, den etwas tollpatschigen Matrosen, dessen Abenteuer an Land beschrieben werden. Je nach Zeit und Publikum folgen oft noch weitere Gedichte. Seine schauspielerischen Fähigkeiten werden immer besser. Um seiner Auftritte spannender zu machen, mimt er den betrunkenen Matrosen. Aber um Anfangshemmungen zu überwinden, braucht er vor den Auftritten stets etwas Whisky, Cognac oder ähnliches.

Seine auswärtigen Engagements hat er – meist monatsweise – in den beliebten Kabaretts der 1920er Jahre: in Berlin, Breslau, Dresden, Hamburg, Halle, Königsberg, Leipzig, Kassel, Mannheim, Frankfurt am Main, Köln, Wien und Zürich. Er tritt in anspruchsvollen literarischen Kabaretts wie »Schall und Rauch« oder der »Wilden Bühne« der Trude Hesterberg auf, beide in Berlin. Schon wenige Wochen nach der Hochzeit hat Ringelnatz für den ganzen September 1920 ein Engagement im Kabarett »Schall und Rauch«. Der Inhaber, Hans von Wolzogen, hat ihn in München im »Simpl« gesehen und für 5.000 Mark nach Berlin verpflichtet. Und der Vertrag wird noch für den Oktober verlängert. Hier lernt Ringelnatz 1921 auch die Dänin Asta Nielsen kennen, den weltbekannten Stummfilmstar. Sie sitzt im Zuschauerraum und ist sehr angetan von seiner Darbietung. Es beginnt eine lebenslange Freundschaft zwischen ihr, Ringelnatz und Muschelkalk.

Andererseits existieren aber auch viele »Tingeltangels«, deren Besitzer unkünstlerische Kaufleute oder simple Gastwirte sind, und die nur Geld machen wollen mit möglichst einfacher Unterhaltung. Hier muss Ringelnatz neben Tanzgirls und primitiven Komikern auftreten. Aber um Geld zu verdienen, darf er nicht zu wählerisch sein. Im Übrigen dienen auch diese Auftritte der Verbreitung seines Namens und seiner Gedichte. Und er verkauft auch immer seine Bücher nebenbei und verdient sich damit etwas dazu.

Hin und wieder tritt Ringelnatz in den Privaträumen des Hamburger Juweliers Carl Wilkens, genannt Muckelmann, auf. Dieser ist Mitinhaber einer großen Bremer Silberwarenfabrik und leitet die Filiale am Jungfernstieg. Als massig und rosig beschreibt ihn der Schriftsteller Hans Leip, dabei herzlich und keineswegs hanseatisch dünkelhaft. Wilkens genießt den Kontakt zu Künstlern, tritt als Mäzen auf und freut sich über die Erfolge der von ihm Unterstützten. Sein Haus in 1a-Lage, in dem sich im Erdgeschoss das Ladengeschäft befindet, lässt er nach dem Krieg umbauen und mit teuersten Materialien ausstatten. In den Inflationsjahren macht er nicht zuletzt mit dem Ankauf von Altgold viel Geld. Er schätzt Ringelnatz sehr, und so steht in der Mitte einer geschnitzten Tür aus massivem Holz eine geschnitzte Figur des Kuttel Daddeldu. In einem der Räume befindet sich eine Bühne, auf der auch Ringelnatz auftritt. Dahinter ist die Hausbar eingerichtet, in der der Hausherr sich selbst als Mixer betätigt. Wilkens hat gern Gäste, neben vielen anderen auch Emil Jannings, Josephine Baker und Erika Mann. Ist Ringelnatz zu Besuch, übernachtet er üblicherweise in der Gästekammer unter dem Dach des Hauses, und auch Muschelkalk schläft einige Male dort, als sie ihren Mann in Hamburg besucht. Später widmet er die Gedichte dreier Jahre »seinem bewährten Hamburger Freunde Muckelmann«.

Muschelkalk und Ringelnatz sind also schon ziemlich bald nach ihrer Hochzeit immer wieder für eine längere Zeit getrennt und können nur Briefe wechseln. Die Briefzustellung funktioniert zuverlässig und erfolgt in Großstädten dreimal täglich. Und dann passiert es schon einmal, dass sie sich über einen dicken Brief von ihm freut, sich einen Kaffee kocht und weinen muss, weil er doch so weit weg ist – und wenn sie zu lesen beginnt, ist der Kaffee kalt. Muschelkalk schreibt lange Briefe, nur so kann sie ihre Sehnsucht und – trotz Freundeskreis und abwechslungsreichem München – die Einsamkeit kompensieren. Und Ringelnatz schreibt ausführlich zurück und beklagt sich schon, dass er gar nicht mehr zum Dichten komme. Denn sie schreiben sich fast täglich. Und sie benutzen auch Geheimwörter, so »Schipplick« für Vorsicht und »Färber« für einen unsympathischen Menschen.

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