Kitabı oku: «Chopin besucht Vivaldi und in der Bucht von Venedig schwimmen Delfine»

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Chopin besucht Vivaldi und

in der Bucht von Venedig schwimmen Delfine


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E-Pub-ISBN 978-3-906294-18-6

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Inhalt

Prolog

Lockdown

Epilog

Über die Autorin



»Tschüs, mein Schatz.« Meine Mutter küsst meine Tochter. Dann seufzt sie und setzt, so leise, dass nur ich es hören kann, mit dunkler Stimme noch etwas hinzu. »Wer weiß, wann wir uns wiedersehen.«

Noch eine Umarmung, Kinderärmchen um den Hals. Mama bemerkt nicht, dass ich die Augen verdrehe. Ich mache es heimlich, sage lieber nichts. Der Geburtstagsfrieden ist mir zu wichtig. Aber ich denke: Warum muss sie so übertreiben? Wozu dieser Pessimismus? »Wird schon nichts sein«, sage ich. »Wir sehen uns am Montag, stimmt’s?« Federnd gehe ich mit meiner Tochter am Arm ins Stiegenhaus, um den Großeltern, entschieden fröhlich, zum Abschied zu winken.

Es ist Donnerstag, der 12. März 2020. Meine Tochter Erika hat Geburtstag, sie wird heute drei. Am Vormittag, im Kindergarten, gab es Kuchen und Lieder. Danach, auf einem Spaziergang mit mir, eine Kugel Himbeereis, weil zum ersten Mal in diesem Jahr so richtig die Sonne schien und ich in Gönnerlaune war. Um vier ist unser Fest daheim: Erika, Omi, Opi, mein Mann, Erikas Taufpatin Elisabeth und ich versammeln uns um den Wohnzimmertisch. Es gibt Torte und jede Menge Päckchen: Sommerkleider, einen Dinosaurier wie den aus »Peppa Wutz«, ein sehr dickes Liederbuch und zwei Bilderbücher mit Soundeffekten, in denen man etwas über Komponisten erfährt. Das Liederbuch liegt offen auf dem Tisch, wir singen mehrstimmig. »Es klappert die Mühle am rauschenden Bach«. »Bruder Jakob«. »Happy birthday, liebe Erika, happy birthday to you«.

Eine Männerstimme fehlt: Christian, der Mann der Taufpatin und einer von Erikas liebsten erwachsenen Sing- und Spielgefährten, ist nicht gekommen. Er ist verkühlt und lässt ausrichten, dass er, gerade jetzt, niemanden gefährden will.

Während des Feierns sind alle Fenster geöffnet. Und wir achten akribisch darauf, dass niemand die Gabel eines anderen benutzt. Sicherheitshalber holen wir immer wieder eine neue, wenn etwas unklar ist.

Ja, wir wissen von Corona. Und wir wissen, dass es uns etwas anzugehen beginnt. Wir wissen, dass dieses Virus nicht mehr nur in China, auch nicht mehr nur in Italien und Spanien hockt. Seit drei Tagen beschäftigt sich die Presse mit Covid-Fällen in Österreich. Genauer: in Tirol. Gefühlt kommt das Virus näher. Gefühlt ist das Virus trotzdem noch weit weg. Was mein Gefühl angeht, so übertreiben alle, die behaupten, dass es schon bald zu Ausgangsbeschränkungen kommen könnte.

Ich bin grundsätzlich eine, die schlechte Nachrichten gerne ignoriert, so lange es geht. Wenn der Großteil der Nachrichten aus Gerüchten besteht, die mir einfach zu krass vorkommen, ignoriere ich noch konsequenter. Es gibt da einen Witz, den ich liebe: Ein Physiker, ein Chemiker und ein Informatiker fahren mit dem Auto. Plötzlich bleibt es stehen und springt nicht mehr an. Der Physiker sagt: »Bestimmt ist der Motor kaputt, ich höre schon die ganze Zeit Fehlzündungen.« Der Chemiker widerspricht: »Nein, es muss am Benzin liegen, das wir getankt haben. Wahrscheinlich war es verunreinigt.« Da sagt der Informatiker: »Ich habe keine Ahnung, was los ist. Aber ich schlage vor, dass wir alle Fenster schließen und einmal aus- und wieder einsteigen. Dann ist sicher wieder alles ok.«

So tun, als wäre nichts und vom Besten ausgehen: Was mich und mein Leben angeht, klappt diese Strategie fast immer. Nicht nur bei Computerproblemen, sondern auch, wenn ich meine Geldbörse verlegt habe, wenn ich mich auf der Reise zu einem Seminar frage, ob ich den Herd abgedreht habe, wenn die Stirn meiner Tochter etwas heißer ist als normal oder wenn Google Maps eine Stauwarnung ausgibt. Der Stau wird sich auflösen, bis ich dort bin. Die Herdangst ist nur ein Hirngespinst. Und Fieber hat man, wenn der Arm heiß ist und nicht nur die Stirn. Meistens behält mein Optimismus recht.

Im März 2020 blickte ich einem ereignis- und arbeitsreichen Frühling entgegen. Ich freute mich auf Vorträge, die ich halten, Konzerte, die ich besuchen und Reisen, die ich erleben würde. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit hatte ich die Babysitter-Termine ausnahmsweise schon bis Ende Juni durchgeplant. Ich wollte uns allen einen verlässlichen Rahmen geben. Ich war sehr zufrieden mit der Aussicht auf Arbeit, Vergnügen und Freizeit mit der Familie – alles in jenem Maß, das sich für mich optimal anfühlt. Finanziell ging es mir gut, jedenfalls hatte ich keine Sorgen. Mein Konto war recht leer, denn Ende des vergangenen Jahres hatte mein Auto den Geist aufgegeben und ich hatte mir ein neues – bewusst ein neues, sogar ein teures – Auto geleistet. Aber die gut bezahlten Jobs im März, April und Mai würden meine Reserven wieder so weit auffüllen, dass ich sorglos in den Sommer blicken könnte.

Dass ich schon einen Tag nach Erikas Geburtstag im Supermarkt stehen und darüber nachdenken würde, ob ich von den letzten drei Dosen geschälte Tomaten, die noch da waren, eine für jemand anderen im Regal lassen oder mir doch alle drei schnappen sollte, dass ich am selben Tag vier Mails erhalten würde, in denen alle meine Vorträge für die kommenden Wochen abgesagt wurden, dass Erika Glück mit ihrem Fest im Kindergarten gehabt haben würde, weil es der vorletzte Tag vor der Schließung war, das alles hatte ich mir, während wir Eis schleckten, während wir »Bruder Jakob« sangen und auch während ich die Abschiedsworte meiner Mutter in mir nachklingen ließ, nicht vorstellen können.

Und falls doch? Ja, irgendwo in mir flüsterte diese Stimme seit ein, zwei Tagen. Ich beschwichtigte sie. Immerhin kannte ich mich mit Krisen und plötzlichen Veränderungen aus. Meine Vorträge handelten doch genau davon: Wie man mit Krisen umgeht. Was man gerade in schwierigen Zeiten über sich selbst und das Leben lernen kann. Und dass die Stunde null nicht ganz so schwarz, nicht ganz so schrecklich ist, wie es von außen scheint oder wie man sie sich vorgestellt hätte. Sie ist ganz anders. So anders, dass man kaum anders kann, als ihr zu vertrauen.

Die Stunde null von Corona. Meine Stunde null: Wann schlug sie genau?

Noch nicht, als ich nach dem Abschied von Omi, Opi und Elisabeth den Maileingang öffnete und die Nachricht des Kindergartens vorfand, in der man empfahl, die Kinder ab Montag erst einmal zu Hause zu lassen, jedoch einen Notbetrieb anbot und der Hoffnung Ausdruck verlieh, dass bald alles wieder regulär laufen würde. Sie schlug auch nicht, als ich die eine SMS von einem sehr vernetzten und gut informierten Freund bekam. »Wir haben aus einer verlässlichen Quelle mit Draht zum Innenministerium erfahren, dass Wien am Wochenende dichtgemacht wird.« Ich dachte nur: Quatsch. Und sagte zu meinem Mann: »Lass uns trotzdem morgen ein paar Dinge einkaufen.«

War es das »Poff« des zuschlagenden Kofferraumdeckels, das die entscheidende Stunde einläutete? Oder das Drehen des Schlüssels, als wir Samstagmittag die Tür zu unserem Landhaus aufsperrten, in dem wir, mein Mann, unsere Tochter und ich, erst einmal bleiben wollten, bis die Regierung alle Unklarheiten beseitigt hatte?

Wann hat Corona für mich begonnen? Wann begriff ich, dass das Seufzen meiner Mutter berechtigt gewesen war? Wann ließ ich zum ersten Mal die Tatsache an mich heran, dass das alles kein Spiel, keine kurze Ausnahme, kein verlängertes Wochenende, sondern eine neue Lebensphase von unbekannter Dauer und mit nachhaltiger Wirkung war?

Die ehrliche Antwort lautet: Ich kann es nicht sagen. Ich weiß nicht, wann. Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt irgendwann begriffen habe, dass es um etwas anderes als um Durchtauchen geht. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendetwas sackte. Dass irgendetwas in mir schluckte. Dass irgendein Satz in den Abendnachrichten der eine war, der mich etwas kapieren ließ, das ich bisher verdrängt oder geleugnet hatte.

Bis heute lebe ich in diesem eigenartigen Zustand zwischen Durchhalten, Bangen, Hoffen, Kopfschütteln, Stirnrunzeln, Nachdenken, Hinschauen, Wegschauen und Staunen. Bis heute habe ich keine Ahnung, ob »das alles« bald vorbei ist oder überhaupt erst begonnen hat. Ja, ich wage nicht einmal darüber zu spekulieren, was »das alles« eigentlich ist.

Trotzdem gibt es ein paar Dinge, die ich weiß und über die ich klar Auskunft geben kann. Zum Beispiel weiß ich noch, wann ich zum ersten Mal in der Coronazeit weinte. Ich weiß, dass es innerhalb von fünf Wochen so warm sein kann, dass man nur kurze Ärmel braucht und so kalt, dass es schneit. Ich weiß jetzt, wie man einen Einkaufsplan für zwei Wochen erstellt. Und wie man einem Kind Grenzen setzt, wenn man einfach nicht mehr kann.

Ich weiß das, weil ich es erlebt habe. Und ich werde es nicht vergessen, weil es mein Tagebuch gibt. Sie halten es in Händen.

Eine Woche nach Erikas Geburtstag habe ich zu schreiben begonnen. Es war schon wieder an einem Geburtstag, an dem meiner Mutter. Wie schon einmal in meinem Leben griff ich zu Papier und Stift, um der Angst vor dem Verstummen etwas entgegenzuhalten und um wenigstens irgendetwas zu tun.

Gegen Corona, gegen die Maßnahmen, gegen die unfreiwillige, unerwünschte Lebensveränderung konnte ich nichts machen. Das Einzige, was ich tun konnte, um nicht im Gefühl der Ohnmacht zu versinken, war: zu schreiben.

Ich nahm mir nicht viel vor. Nur kleine Häppchen wollte ich notieren, wann immer mir danach war. »Drabbles«, so nennt man Geschichten, die aus genau 100 Wörtern bestehen. Diese Form war mein Gerüst, an das ich mich anfangs akribisch und sportlich hielt, das ich aber bald nur noch als Richtwert benutzte.

Ich schrieb, um mich meiner selbst zu vergewissern. Ich schrieb, um später, irgendwann einmal, über all das Absurde, das Anstrengende, das Verrückte, in dem ich mich wähnte, lachen zu können. Ich schrieb, um meiner Tochter für später ein Zeugnis aus diesen vielleicht prägendsten Wochen ihrer frühen Kindheit zu hinterlassen. Ich schrieb nicht zuletzt, um mich nicht so allein zu fühlen: Schon am zweiten Tag meines Schreibens beschloss ich, meine Kurztexte in Form eines Blogs mit meinen Facebook-Freunden zu teilen. Die Resonanz war überwältigend und schenkte mir Kraft. Weitermachen, das schaffte ich an manchen Tagen nur, weil es bedeutete: weiterschreiben zu können.

Wer ich war, als Corona über mich und uns alle hereinbrach, davon habe ich Ihnen schon ein paar Dinge erzählt. Hier noch ein paar konkretere Details, damit Sie wissen, in welchem Zustand ich meine ersten Einträge schrieb: In der Woche vor dem 12. März hatte ich mich nicht besonders gut gefühlt. Eine Lesung am 3. März hatte ich zwei Mal wegen eines Hustenanfalls unterbrechen müssen. Den Vormittag des 5. März verbrachte ich im Bett, so lange, bis das Grippemittel wirkte und ich mich ins Auto setzen konnte, um zu einem Vortrag in der Steiermark zu fahren. »Wird schon kein Corona sein«, scherzte ich mit der Veranstalterin, »und auf der Bühne bin ich eh weit weg von allen.« Wir gaben uns zur Sicherheit lieber nicht die Hand. Bücher signierte ich nach der Veranstaltung trotzdem.

Heute, ein halbes Jahr später, kommt mir das alles ganz schön verantwortungslos vor. Aber »damals«, vor Corona, habe ich es als Ehrensache betrachtet, trotz Erkältung zur Arbeit zu erscheinen.

Am folgenden Wochenende ging es mir besser, ich hatte kein Fieber bekommen, nur meine Stimme war angekratzt. Ich hielt ein Theorieseminar über die Techniken des literarisch-biographischen Schreibens. Am Samstag lief alles wunderbar, am Sonntag wachte ich ohne Stimme auf. Kurzerhand erfand ich eine neue Unterrichtsmethode: Ich tippte alles, was ich sagen wollte, in Echtzeit in meinen PC, ein Beamer projizierte alles an die Wand. Eine Teilnehmerin kam zu spät und fand erst zu Mittag, als sie mir wegen dieser tollen, konzentrationsfördernden Methode gratulieren wollte, heraus, dass ich tatsächlich nicht sprechen konnte.

An den folgenden Tagen versuchte ich, mich zu schonen. Das gelang auch ganz gut. Ich rechnete damit, dass sich der nervige Husten bald geben würde. Ich war etwas schwach, aber gut gelaunt. Dass mein Zustand etwas mit Corona zu tun haben könnte, dachte ich nicht. Warum ich bis heute nicht weiß, ob ich das Virus hatte oder nicht, erfahren Sie auf den kommenden Seiten.

Was sollten Sie noch wissen, um im Bilde zu sein? Das Haus, in das wir kurzerhand zogen, liegt auf einer Alm im Voralpenland. Es wird normalerweise als Seminar- und Ferienhaus vermietet.

Meine Tochter Erika ist, wie Sie schon wissen, drei Jahre alt. Sie liebt Musik, plaudert unentwegt, hat einen ausgeprägten Willen, schläft wenig und liebt Rollenspiele. Wir verfügen über ein gutes Netz an Babysittern, was mir normalerweise ermöglicht, meinem Beruf als Autorin, Vortragende und Seminarleiterin nachzugehen und trotzdem glückliche Mutter zu sein.

Am Sonntag, den 16. März fuhren wir aufs Land, ohne zu wissen, wie lange der »Lockdown«, der am Vormittag per Pressekonferenz verkündet worden war, dauern würde. Wir sind es nicht gewohnt, als Familie zusammengesperrt zu sein. Mein Mann und ich haben zwei Wohnungen im selben Haus, wir brauchen das für unser Freiheitsgefühl. Wir waren fest entschlossen, dieses Abenteuer miteinander zu bewältigen.

In unserem Gepäck: Alles Spielzeug, das wir haben, Kleidung für jede Wetterlage, jede Menge Grundnahrungsmittel, ein paar Bücher, mein Laptop. Und keinen Plan B.

Die ersten Tage verbrachten wir so, als ob das Ganze nur ein Wochenende auf dem Land wäre, wie wir es ungefähr einmal im Monat verbringen. Am vierten Tag begann der erste Blues. Das war der Tag, an dem ich zu schreiben begann.

Was Sie hier lesen, sind meine Tagebucheinträge aus unserer Zeit am Land, vom vierten bis zum vorletzten Tag des Lockdowns. Es sind Momentaufnahmen, die von äußeren Ereignissen handeln, von lustigen und traurigen Begebenheiten, von Sorgen und Glück. Was sich als roter Faden durch das Text-Mosaik zieht, ist mein Versuch, mich selbst zu erkunden und zu erkennen, was tragfähige Säulen meines Lebens sind, die mich auch in der Krise stützen.

Dreieinhalb Wochen. Vierundzwanzig Tage. Mehr war es nicht. Heute, im Rückblick, fühlt es sich so an, als hätten wir viele Monate am Land verbracht. Unglaublich, was man in dreieinhalb Wochen, in denen der Alltag und nichts anderes die Hauptrolle spielt, alles erleben kann.




Donnerstag, 19.3.

8: 30

Heute feiert meine Mutter ihren 79. Geburtstag. Feiert? Nein: Feiern können wir ihn eben nicht. Warum? Weil seit vier Tagen Ausgangsbeschränkungen herrschen. Meine Tochter singt »Happy birthday, liebe Omi« durchs Telefon. Nicht nur die Omi weint. Mein Mann reicht mir ein Taschentuch. Erika versteht nicht, warum sie nicht zur Omi darf, nicht jetzt, nicht morgen, nicht nächste Woche. »Du bist blöd«, sagt sie zu mir.

8: 40

Was ist jetzt wichtig? Die Zeit mit meiner Tochter, klar. Ich merke aber, dass ich nur dann für sie da sein kann, wenn ich auch für mich sorge. Zeit dafür ist Mangelware. Nach drei Tagen Stress und Depression beginne ich heute, am 19. März, zu schreiben. Ich schreibe Kurztexte. »Drabbles«, das sind Texte mit genau (na gut: in meinem Fall ungefähr) 100 Wörtern. So viel geht gerade zwischendurch, so viel muss gehen. Ich will Momentaufnahmen schreiben, ich schreibe mich durch Hoch und Tief, durch Dick und Dünn. Irgendwann werde ich das alles lesen und mir sagen: Es gab auch gute Tage. Hey, es gab sogar ganz schön viele gute Tage. Irgendwann werde ich diese Texte meiner Tochter zeigen. »Damals warst Du gerade drei Jahre alt.« Ich hoffe, dass sie antworten wird: »Das war also die Zeit, in der die Welt gesund geworden ist.« Und dass ich dazu nicken kann.

9: 30

Erika spielt mit ihren Playmobilfiguren. »Ich geb den Figuren die Namen von den Kindergartenkindern.« Die Wutanfälle von heute Früh (»Ich will zur Omi. Jetzt!«, »Immer nur Mama und Papa ist soo langweilig!«, »Corona ist blöd, du bist blöd!«) sind für den Moment vergessen. Ich habe gerade Brotteig aufgestellt, er rastet im Dunkeln, heute Abend gibt es einmal Brotjause, um die Fleisch- und Gemüsevorräte im Kühlschrank nicht zu schnell zu verbrauchen. Alles im Lot, im Moment. Sogar mein Husten ist ruhig und still, das erste Mal seit sechs Tagen habe ich mehr als eine Minute Hustenpause. Dankbar für die kleine Lichtinsel.

16: 30

Wovon soll mein Moment-Text jetzt handeln? Von der seligen Vormittagsstunde, in der ich mit Erika die Veilchen im Garten begrüßte, Ulrich uns »Das Veilchen« von Mozart vorsang, während er Unkraut zupfte und wir dann auf einem Baumstumpf (unserem Baumstumpf, virenfrei und nicht tabu) ein Apfelkuchen-Mandarinen-Picknick verschmausten? Oder von meinem Stress-Schub danach: »Passt du auf Erika auf, während ich koche?« »Klar.« »Mamaaaa, ich will mit dir kommen!« Fleisch im heißen Öl, Kind am Rockzipfel, Adrenalinfeuerwerk. Lieber schreibe ich über das, wofür ich dankbar bin: Ich habe es geschafft, uns nicht zu verbrühen. Mein Mann dankt mir dafür, wie gut ich uns versorge. Erika isst Brokkoli und Erbsen.

17: 00

Worüber ich noch schreiben muss: über Schlaf. Vieles dreht sich bei uns gerade um ihn. Wird Erika mittags schlafen? Dann wird es ein guter Tag ohne Nachmittagsdramen. Heute ist ein guter Tag. Sogar ein besonders guter, ich konnte nicht nur mitruhen, sondern sogar aufstehen und schreiben, während sie noch weiterschlief. Auf vielen Mama-Kind-Seiten lese ich derzeit von Müttern, die Nachtschichten einlegen, um ihre Arbeit zu machen. Das macht mir Angst. Ich schaffe keine Nachtschicht, keinen einzigen Tag. Wenn die Fähigkeit zur Nachtarbeit sich als das wirtschaftliche Überlebenskriterium während und nach Corona entpuppt, kann ich mich gleich bei der Armenküche anmelden.


Freitag, 20.3.

6: 00

Normalerweise würde ich jetzt zum Arzt gehen. Ich bin seit siebzehn Tagen krank. Kein Fieber, aber eine Bronchitis, die mich die Redewendung »sich die Seele aus dem Leib husten« physisch begreifen lässt. Seit gestern rinnt auch noch meine Nase und die Augen tränen so, dass ich kaum ein Pixi-Buch fertiglesen kann. Normalerweise würde ich mich zwei Tage lang ins Bett legen. Und eben meinen Hausarzt bitten, mich abzuhorchen und die Symptome zu lindern. Aber heute mit Husten in eine Arztpraxis? Ich trau mich nicht. Und mag niemanden in Angst versetzen. Kein alter Mensch, keine Sprechstundenhilfe soll sich vor mir erschrecken.

8: 30

»Ich geh jetzt duschen.«

»Ich komm mit!!«

»Erika, du bleibst doch immer beim Papi, wenn ich dusche.«

»Ich komm aber mit!!!«

»Ok, komm.«

Die Dusche am Morgen ist mir heilig. Das ist meine Viertelstunde, in der die Tür zu ist, in der ich ganz für mich sein kann und gezielt jede Faser entspanne. Ich brauche diese Viertelstunde allein, ohne sie geht wirklich gar nichts. So dachte ich bis heute. Heute nehme ich Erika mit ins Bad. Warum? Weil dieses »Ich brauche unbedingt …«, dieses »Ich kann nicht ohne …« gerade an allen Ecken abbröckelt. Wundersam: Ich habe die Entspannung trotzdem gefunden.

13: 00

Als ich vor drei Tagen meinen ersten leisen Hilferuf in einer Facebook-Gruppe gepostet habe (»Wer hat noch ein Rockzipfelkind daheim? Wer möchte noch heulen, wenn er Corona-Tipps wie ›Lesen Sie gute Bücher, machen Sie Yoga‹ liest?«), da habe ich nicht nur Zuspruch, sondern auch viele gute Tipps bekommen. Gute Tipps, das hätte ich vorgestern noch mit Anführungszeichen geschrieben. Ich konnte nicht glauben, dass es sich einpendeln wird. Dass auch mein Kind einmal nach 30 Minuten Mamazeit gerne mal alleine spielen wird. Dass Pläne helfen. Heute ist es so weit: Kind spielt – seit zwei Stunden! Guter Rat verdient mitunter eine zweite Chance.

13: 20

Eben hat mich auf Facebook eine Nachricht erreicht. Eine Frau, die angeblich mit Seelen in Kontakt treten kann, hat mir eine Botschaft meiner beiden Kinder im Himmel übermittelt: »Liebe Mama, bleib ganz ruhig ruhig ruhig, mach dir keine Sorgen, bleib ruhig ruhig ruhig, du bist umsorgt, bleib ruhig ruhig ruhig. Schau deine Hausapotheke durch, bleib ruhig ruhig ruhig, nimm, was ansteht, Hustensaft usw. Versuch, trotzt Chaos in die Ruhe zu kommen, bleib ruhig ruhig ruhig, du bist umsorgt, schreib dir von deiner Seele, deine Jetztkinder sind pures Leben, wir freuen uns, dass sie dich wachrütteln, obwohl es im Moment nicht zu verstehen ist, hat alles auch einen Sinn, bleib ruhig ruhig ruhig und sei glücklich, dass die Kinder dich wachrütteln, lebe lebe, lebe bewusst.« Ich weiß nicht, was ich von solchen Nachrichten halte. Aber die Worte tun mir gut.

16: 00

Heute Früh habe ich geschrieben, dass ich nicht zum Arzt will, weil ich niemandem Angst zuhusten möchte. »Wegen anderen nicht zum Arzt? Entschuldige, aber das ist krank!«, hat eine Facebook-Freundin kommentiert. Natürlich finde ich nicht, dass sie (das) Recht hat (mich so abzukanzeln). Aber ich habe nachgedacht. Und fand tatsächlich etwas in mir, das »krank« (im Sinne eines Denk- und Fühlfehlers) war. Einen seltsam vorauseilenden Krisen-Gehorsam. Kranksein, krankbleiben passt zur herrschenden Gefahrenstimmung. Kann ich mich da einfach heilen lassen? Ist Leiden nicht angemessener? Jetzt trinke ich Thymiantee. Wickle mich in Öl. Und habe begriffen: Krise ist, wo Krise ist, eh nicht zu vermeiden. Drumherum darf es mir gut, sogar richtig gut gehen.

20: 00

Dankbar. Kaum ein Wort lese ich derzeit so oft wie dieses. Kaum ein Gefühl erfüllt mich – wenn ich nicht gerade wegen Rippenschmerzen stöhne – derzeit so häufig wie der Dank für Kleines und Großes. Und doch … fühlt es sich für mich seltsam unverschämt an: dankbar zu sein. Für etwas, das mir vergönnt ist – und vielen anderen nicht! Ein Garten, gesunde Eltern, (noch) Geld am Konto. Manchmal kommt mir meine Dankbarkeit vor wie Prahlerei. Ich brauche eine andere Wendung. Diese klingt mir bescheidener: Ich schätze mich glücklich. Ich darf mich glücklich schätzen. Zum Beispiel heute, jetzt. Mein Mann schläft beim Mäderl und ich habe frei.

22: 00

Es ist spät. Nachtstunde, die Schatten melden sich zu Wort. Da rührt sich dieser Tage eine Mulmigkeit in mir. So ein »Achtung«, so ein Zögern. Da sitzt ein Stachel im Fuß, ich will ihn benennen, um ihn loszuwerden. Man spricht dieser Tage viel von Solidarität. Davon, wie hilfsbereit und zugewandt alle sind. Darf ich es aussprechen? Ich habe Angst, dass es gerade der erzwungene Abstand ist, der uns so solidarisch sein lässt. Wir helfen von hinter dem Bildschirm. Von daheim, aus der Ferne. Werden wir es schaffen, das Helfen, das Da-Sein auf die Zeit danach zu übertragen? Werden wir kommen, zupacken und die Müden entlasten? Werden wir bereit sein, die Staffel zu übernehmen von jenen, die jetzt gerade da sein und anpacken müssen, bei der Pflege, im Handel, an der Front?


Samstag, 21.3.

7: 00

Als Kind habe ich diese Bildrätsel geliebt, bei denen man fünf »Fehler« finden musste, also Unterschiede zwischen einem Bild und seinem fast identen Zwilling. Heute wandle ich das Spiel ab und vergleiche den heutigen Morgen mit dem von gestern. Was ist anders? Zum Beispiel: Mein Kind schläft noch, weil es nicht vom hellen Morgenlicht geweckt wurde. Ich habe noch kein einziges Mal gehustet. Die 478 Mails, die sich in den letzten Tagen angesammelt haben, sind eingeordnet. Der Tag, der vor mir liegt, fühlt sich nicht wie eine unbezwingbare Bergetappe an, sondern wie ein Wanderweg über Stock und Stein und Gras.

10: 00

Bis gestern meinte ich noch, dass die derzeit so viel gepriesene »Entschleunigung« nur den anderen gehört. Jenen, die sich jetzt Zeit nehmen können für Zeitung und ausgiebige Rituale. Was war ich neidisch auf diese entschleunigten Menschen! Wie sicher war ich, dass Entschleunigung für mich erst wieder möglich ist (und dringend nötig sein wird!), wenn die Kinderbetreuungsstätten wieder geöffnet haben. Und dann, heute Vormittag: Ich bitte Erika, mir ein Gummiringerl zu bringen. Sie holt es, steckt ihre kleinen Kinderfinger durch den Ring, fädelt die Finger hochkonzentriert wieder aus, überreicht mir den Ring schließlich wie eine Kostbarkeit. Ich schaue ihr zu, bei jeder Bewegung. Registriere ihr Mienenspiel. Freue mich ehrlich, dass sie nicht nur ein, sondern sieben Gummiringerl gebracht hat. Noch sechs Mal dasselbe Spiel. Entschleunigung muss nicht heißen, kaum etwas zu tun. Ich kann das, was ich tue, langsamer tun. Vielleicht merkt man es von außen nicht einmal, dass etwas anders ist. Aber innen, da drinnen in mir, fühlt es sich ganz anders an.

12: 30

Es kann aber auch alles schnell kippen. Von acht bis zwölf war ich heute glücklich im Spiel mit meinem Kind versunken. Chopin besucht Vivaldi (derzeit Erikas Lieblingsspiel), Enrico besucht Bernadette (wer kennt »Am Dam Des«? Vermutlich nur wir Österreicher), Kindergartenfreundin Charlotte besucht Erika (sie vermisst ihre Freunde wirklich). Und dann, plötzlich, alles zugleich. Kind wird grantig, Kind will Bratkartoffeln (es sind keine gekocht). Mama ruft am Handy meines Mannes an (meines war ausgeschaltet), sie macht sich Sorgen um uns, weil wir seit einer Stunde nicht erreichbar sind. Sie erzählt etwas, das ich nicht hören kann, ich kriege nur mit: Irgendjemand hat das Virus. Wer? Ich will fragen. Das Kind will aber raus. Seit Stunden, seit dem Aufstehen. Jetzt ganz dringend. Kind haut auf mich ein. Kartoffeln am Herd, Mann mit Mama am Telefon, besorgte Stimmen. Erika und ich diskutieren, warum man heute Schal und Haube braucht. Als wir fertig zum Rausgehen sind, sagt Erika: »Da kitzelt was im Schuh.« Ich schmeiße die Nerven weg. »Das ist echt egal, Erika! Und wenn du es nicht aushältst, gehen wir jetzt eben sofort ins Bett!« Das fällt eindeutig in die Kategorie »Sätze, die ich niemals sagen würde«. Mist.

13: 30

Wer nach 14 Tagen Fieber und Atemnot intubiert auf der Intensivstation liegt, ist mein (geliebter, angeheirateter) Onkel (in neuer, nicht verwandter Beziehung). Was genau passiert ist, kann ich nicht sagen, ich habe keinen Kontakt zu seiner neuen Partnerin und kann sie nicht schnell mal eben anrufen. Ich weiß nur, dass er mehrfach versucht hat, sich auf Corona testen zu lassen. Mehr nicht. Was ich allerdings erzählen kann, ist meine eigene Erfahrung mit Gesundheitsnummer 1450. Ich hatte zu meinem Husten vor ein paar Tagen Fieber und habe die Hotline angerufen. Durchgekommen bin ich schnell. Tester haben sie keinen geschickt. »Ich habe Atemnot und mein Kindermädchen hustet, war in Italien und hatte Besuch aus Schweden.« »Waren sie selbst in Italien oder Tirol?« »Nein.« »Ist jemand, den Sie kennen, positiv auf Corona getestet?« »Nein.« »Dann sind Sie kein Verdachtsfall.« »Aber es gibt doch sicher viele, die angesteckt sind und sich noch nicht haben testen lassen?« »Wir gehen nur Fällen nach, die in Risikogebieten waren oder eng mit jemandem in Kontakt waren, der positiv getestet wurde.« Ich fürchte, die Dunkelziffer ist enorm.

16: 30

Es schneit. Durch die Terrassentür des Landhauses, in dem wir diese Tage und Wochen verbringen, sieht man Flocken zu Boden fallen. Erika hat heuer noch keinen Schnee gesehen, und ob sie sich an den einen Schneeausflug vor einem Jahr erinnern kann, weiß ich nicht. Sie ist nicht aufzuhalten. »Ich will raus.« Das sagt sie nicht als Befehl, nicht in quengelndem Ton, sondern ganz ruhig, als Feststellung. Mehr Gewissheit als Wunsch. Niemand, auf den noch irgendwie Verlass ist, könnte auf die Idee kommen, zu widersprechen. Wir gehen raus. Es ist kalt, nein: eiskalt. Wir haben keine Handschuhe mit. Schnell schustere ich einen Mini-Schneemann zusammen und sage dann: »Komm, wir gehen uns aufwärmen.« »Nein.« Wieder diese Ruhe. Nach zehn Minuten bin ich ein einziger Schüttelfrost. Erika hat rote Backen – und tiefrote Finger. Ulrich ist sehr besorgt, immerhin husten wir alle. Ich finde die Lösung: Eine große Plastikwanne, eine Schaufel, das Schneegestöber wird ins Vorzimmer verlegt. Dreißig Minuten Glückseligkeit, dann kommt die Wanne raus, der Schnee wird bis morgen halten.

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