Kitabı oku: «Das erste Buch Opa», sayfa 2

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5.

Diese eine Art von Frau

Wir sitzen an der Hauptstraße vor der Bäckerei und schauen den Leuten zu.

Eine Frau geht mit ihrem Hund Gassi und ist in ihr Smartphone vertieft. Sie bekommt gar nicht mit, wie das Tier abrupt stehen bleibt, damit sie nicht in ein parkendes Auto hineinläuft.

Von links kommt eine Jugendliche, vertieft in ihr Smartphone. Von rechts kommt ein junger Mann in hastigem Tempo. Auch er schaut nur auf das Display seines Telefons. Was jetzt kommt, ist unvermeidbar. Die beiden krachen ineinander. Jeder prallt vom anderen ab und geht zu Boden. Sofort fängt die junge Frau an zu heulen, was Opa und mich gleichermaßen verwundert. Wir tauschen einen Blick aus, beobachten dann wieder das Geschehen. Die junge Frau muss an die neunzehn Jahre alt sein, warum also das Geflenne.

Da der Verkehr um die beiden normal weiterfließt und auch die Frau mit dem Hund, ohne aufzusehen, über die beiden hinwegsteigt, stehen wir auf und machen, dass wir über die Straße kommen. Opa hilft dem jungen Mann, ich der Frau auf die Beine.

Er hat sich schnell entschuldigt und sich auf und davon gemacht.

Sie hingegen heult mit einer derartigen Hingabe, dass wir es schon fast bereuen, geholfen zu haben. Nach mehreren Minuten des Heulens und Schluchzens zieht Opa die ultimative Reißleine.

Er verpasst der jungen Frau eine Ohrfeige, dass ihr die Gesichtszüge entgleisen. Das Geheul verstummt abrupt.

„Das hat mein Vater in meiner Jugend immer so gemacht“, verteidigt er sich.

„Deswegen ist es noch lange nicht in Ordnung“, gebe ich zurück.

Die junge Dame zieht die Nase hoch und schaut uns mit verheulten Augen an.

„Mein Name ist Cathy. Ich kenne mich hier nicht aus und der Akku meines Smartphones ist mitten in der Google-Maps-Navigation leer gegangen.“

„Sie haben geheult, weil Ihr Handyakku leer ist?“, fragt Opa und will schon wieder die Hand heben, um ihr noch eine zu verpassen.

„Ja. Ich bin auf der Suche nach der Bäckerei.“

Wir drehen uns beide um und blicken auf die Bäckerei, vor der wir gerade gesessen haben. Es ist ein auffälliges Gebäude. Über dem in großen Buchstaben Bäckerei steht.

„Könnt ihr mir vielleicht helfen?“, sagt sie und lächelt. Es ist ein unschuldiges Lächeln, das sagt: Ich bin liebenswert, aber doof wie Brotkruste.

„Tja“, sagt Opa.

„Wisst ihr vielleicht, wo ich meinen Handyakku aufladen kann?“

„Da hätte ich eine Idee.“ Ich reiche Cathy die Hand. Sie greift zu und wir gehen gemeinsam über die Straße, nachdem wir nach links und rechts geschaut haben, zweimal versteht sich. Sie folgt mir in die Bäckerei. Aus Erfahrung weiß ich, dass direkt neben einem der runden Tische im Sitzbereich auch eine Steckdose ist. Die Bäckereifachverkäuferin kennen wir schon lange.

„Du Jule, die junge Frau hier braucht etwas Strom und wie es aussieht einen Kaffee.“

„Und ein Gehirn“, flüstert Opa hinter uns zwischen seinen Zähnen hindurch.

Ich schaue Cathy ins Gesicht, um zu sehen, ob sie ihn gehört hat. Sie scheint für negative Inhalte nicht empfänglich zu sein.

„Ich nehme aber lieber einen Kakao anstatt einem Kaffee, Frau Jule.“

„Kindchen, bist du ein wenig behindert?“, fragt Jule unverfroren ehrlich und wischt sich die Hände an ihrer Schürze ab.

„Nein. Ich bin nicht behindert. Ich bin Cathy.“

„Wir hätten sie auf der Straße stehen lassen sollen“, murmelt Opa.

Ich gebe ihm einen Stups in die Rippen.

„Schon gut, schon gut“, sagt er, hebt die Hände und geht zurück vor die Tür zu unserem Kaffee und Kuchen, den wir haben stehen lassen.

Ich setze Cathy an den Tisch mit der Steckdose und stöpsele ihr Ladegerät ein. Weil ich ein netter Kerl bin, hole ich ihr sogar noch den Kakao vom Tresen und stelle ihr ihn hin. „Lass es dir schmecken.“

„Danke“, sagt sie. „Geld habe ich aber keines“, kommt es aus ihrem Mund mit pink-rotem Lippenstift. Ihre Lippen sehen aus, als würden sie glitzern.

„Ach, das macht doch nichts“, sage ich und zücke meinen Geldbeutel. Ich will gerade bezahlen, da meldet sie sich wieder: „Könnte ich auch eine Butterbrezel haben?“

Ich gebe keine Antwort, sondern bestelle, indem ich Jule zunicke. Die schüttelt den Kopf. „So jung war ich auch mal“, kommentiert sie und gibt mir die Butterbrezel. Ich stelle den Teller vor Cathy hin.

„Danke“, sagt die und ist wieder in ihr frisch gestartetes Smartphone vertieft.

Ich stehe einen Augenblick vor ihr und starre sie an. Jung, hübsch und so unschuldig. Unschuldig doof. Ob sie überhaupt weiß, wo sie wohnt oder wie sie dorthin zurückkommt? Vielleicht sollte ich ihr Geld für ein Taxi geben.

„Ist noch was?“, fragt Cathy. Sie hat mich beim Starren ertappt.

„Oh nein, alles in Ordnung“, sage ich. „Lass es dir schmecken.“

„Mach ich“, sagt sie und wischt, ohne aufzusehen, auf ihrem Smartphone herum.

Ich gehe nach draußen und setze mich zu Opa.

„Sie ist gut versorgt.“

„Hmmhmm“, macht Opa.

„Hatte gar kein Geld dabei das arme Ding. Etwas simpel im Kopf.“

Opa nimmt einen Schluck Kaffee, lässt mich dabei aber nicht aus den Augen. „Flori, solche Weiber hatten schon zu meiner Jugend nie Geld dabei. Die brauchen kein Geld“, sagt er und zieht die Augenbrauen hoch.

Dann klickt es in meinem Kopf und ich verstehe, was er meint.

Sofort trauere ich meinen 6,80 € hinterher.

„Die hat mich über den Tisch gezogen!“, sage ich.

„Dich und wahrscheinlich hundert andere“, sagt Opa und grinst. „Naivität war schon immer die größte männliche Schwäche. Viele verwechseln Hilflosig- oder Freundlichkeit bei Frauen mit Zuneigung.“

Ich drehe mich um und schaue zu Cathy. Sie schaut tatsächlich auf und winkt mir zu. Dann wirft sie mir mit der Hand einen Kuss zu und bläst ihn in meine Richtung.

„Manch einer bemerkt ein Leben lang nicht, wie er sich selbst zum Narren macht“, sagt Opa.

Ich drehe mich um. Opa schaut auch zu Cathy, dann verengt er die Augen zu Schlitzen. Ich will sehen, ob sie ihm auch einen Kuss zuwirft. Doch sie starrt ihn nur mit ebenfalls zu Schlitzen verengten Augen an.

„Oh ja, man kennt sich untereinander“, sagt er. „Mich wirst du nicht an der Nase herumführen. Ich gebe dir keinen aus, du dämonische Höllenfotze“, sagt er und zeigt dem jungen Ding den alten Mittelfinger.

6.

Wie man Schlüssel mit Mondlicht und Magie wiederfindet

Wie panisch suche ich meine Hausschlüssel.

Nirgends wollen die Dinger sein. Nicht am Schlüsselbrett, wo sie verdammt noch mal zu sein haben, nicht in der Hose, die ich zuletzt anhatte, und dreimal nicht auf dem Beistelltisch im Flur. Was ist hier nur los? Sogar im Kühlschrank, bei der Tupperware und am unwahrscheinlichsten Ort von allen habe ich nachgeschaut: in der Schublade mit dem Tesafilm. Nichts.

Opa kommt in die Küche, als ich unter der Spüle alles ausräume. Ich bin verzweifelt.

„Könntest du mir eine Gemüsezwiebel geben, wenn du gerade da unten bist?“

Ich reiche die Zwiebel heraus.

„Danke.“

Ich höre, wie er die ausdauernd krautige Pflanze klein schneidet. Unerhört. Er hat nicht mal gefragt, was ich hier mache.

„Interessiert dich mein Leid denn gar nicht?“, protestiere ich und strecke den Kopf unter der Spüle hervor.

„Nein“, sagt Opa und streut die Zwiebel auf sein Mettbrötchen.

„Ich habe meine Hausschlüssel verlegt.“

„Hmmhmm“, macht er kauend.

„Na danke schön“, sage ich und richte mich auf. Ich klopfe mir den Dreck von der Hose. Wir staubsaugen leider viel zu selten. „Wenn du mal etwas suchst wie deine Blutverdünner oder deine Autoschlüssel, dann kannst du aber vergessen, dass ich dir helfe.“

„Die Tabletten …“, sagt Opa kauend, „sind im Medizinschränkchen im Bad. Und der Schlüssel“, sagt er und beißt noch mal ab, „hängt im Schlüsselkästchen.“

„Schön für dich. Aber was ist mit mir? Nicht jeder weiß immer so genau, was er wann wo tut.“

„Was machst du dir denn für einen Stress? Du bist im Haus. Wenn du dich ausgesperrt hast, könnte ich dich ja verstehen.“

„Ich brauche die Schlüssel, klar? Ich wollte zum Penny und kurz Milch kaufen. Davon hättest du gar nichts mitbekommen sollen. Und jetzt stehe ich hier.“

„Hast du schon wieder die letzte Milch aufgebraucht?“

„Grrrr …“, mache ich und balle die Hände zu Fäusten. Ich laufe aus der Küche.

Opa kommt mir hinterher.

„Himmel, Söhnchen. Die Welt wird nicht untergehen, nur weil uns das Eutersekret ausgegangen ist. Ich hätte dich auch reingelassen, wenn du geklingelt hättest.“

„Wirklich?“

„Sicher doch.“

„Weil du … mich lieb hast?“

„Nein, weil der Klingelton sehr penetrant in den Ohren liegt und du schon immer Sturm geklingelt hast.“

Ich setzte mich auf das Sofa und lasse den Kopf in den Nacken fallen.

„Hoffentlich habe ich das Ding nicht verloren.“

„Ach, der taucht wieder auf. Das Haus verliert nichts.“

„HA!“, sage ich und springe auf. Schnell ist das Rathaus abtelefoniert, welches bei uns in Plüderhausen als Fundbüro fungiert. Nichts. Niemand hat einen Schlüssel mit einem Plüschkrokodil abgegeben.

„Jetzt kann ich nie wieder das Haus verlassen, ohne auf dich angewiesen zu sein.“

„Bist mir ausgeliefert, was?“

Ich spüre Opas Blick, der sich in mich bohrt. Ich weiß, was in ihm vorgeht. Er überlegt sich, ob er mit mir Mitleid haben soll oder direkt das zweite Mettbrötchen aus der Küche holt und wieder in seinen Schuppen im Garten verschwindet.

„Ich weiß, wie wir deinen Schlüssel finden.“

„Echt?“

„Triff mich hier um 21 Uhr. Pack einen Rucksack mit Kaffee, zwei belegten Broten, zwei Kekse und einer Flasche Wasser. Und ein Sitzkissen! Ach und zieh dich entsprechend an, wir müssen auf einen Berg.“

Ich klimpere mit den Wimpern.

Opa geht, ohne sich weiter zu erklären.

Gut. Was bleibt mir groß. Ich suche noch eine Weile nach dem Schlüssel. Vergebens. Um 20.55 Uhr stehe ich gepackt mit Rucksack samt Proviant, Bergsteigerschuhe und dickem Kittel da und warte.

Opa kommt um Punkt 21:00 Uhr zu mir in den Flur. Er trägt seine übliche abgetragene Lederjacke, Bluejeans sowie schwarze Schuhe und Schiebermütze.

„Wie?“, frage ich. „Warum bist du nicht ausgerüstet.“

Mein Großvater nimmt seinen Auto- und Haustürschlüssel aus dem Schlüsselkästchen und winkt mir, ihm zu folgen. Draußen steigen wir in seinen Mercedes 500 SEC. Ich behalte den Rucksack auf dem Schoß.

„Wo fahren wir hin?“

„Zur Lösung deiner Probleme. Du hast Glück, heute ist Vollmond.“

Ich schaue aus dem Fenster, wie Opa rückwärts aus der Auffahrt ausparkt. Der Mond erhellt die Straßen. Ein volles Käserad steht am Himmel.

Wir fahren in Richtung Wald oberhalb der Plüderhausener Hochzeitskapelle. Hinter dem Ort erstrecken sich kilometerweite Wälder, in denen man problemlos die Orientierung verlieren kann.

In diesen Wäldern ist alles zu finden. Skelette in Ritterrüstungen, Flugzeugwracks mit Hakenkreuzen und mit Sicherheit auch irgendwo das ein oder andere hinterhältige Eichhörnchen. Echte Wälder.

Es soll hier draußen sogar wieder Wölfe geben.

Es wundert mich ein wenig, dass Opa den guten Mercedes so anstandslos in den dreckigen Wald steuert. Er scheint es ernst zu meinen.

Als die Scheinwerfer ausgehen, finden wir uns im vom Mondlicht getränkten Wald wieder. Meine Augen brauchen einen Moment, um sich an das Dunkle zu gewöhnen.

Opa steigt aus.

„Und jetzt?“, frage ich und schultere den Rucksack.

„Kommen Sie“, sagt er und winkt mich hinter sich her. Er läuft schnurstracks in den Wald hinein.

„Sollten wir nicht auf dem Weg bleiben?“

„Wer den Weg nie verlässt, wird nur das finden, was andere für ihn bereitgelegt haben.“

Ich spare mir den dummen Kommentar und folge ihm. Es geht knappe fünfhundert Meter in den Wald. Opa leuchtet den Weg mit einer Taschenlampe. Ich nehme mein Smartphone zur Hand.

Abseits des Weges bringt auch das Mondlicht nichts mehr. Nach einer Weile wird der Wald steiler. Er hatte recht, wir besteigen einen Berg. Kein Berg in den Alpen, aber es geht ganz schön hoch. Nach zehn Minuten hält Opa inne. Er atmete schnell. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn.

„Sind wir da?“

„Nein“, sagt er.

„Warum halten wir dann an?“

„Weil ich 79 Jahre alt bin und kein junges Flöckchen mehr wie du. Ich muss mich kurz setzen. Das Sitzkissen bitte.“

Ich krame das Ding, welches ich bei unseren Gartenstühlen geklaut habe, aus dem Wanderrucksack.

„Danke“, sagt er und setzt sich. „Puh.“ Er wischt sich den Schweiß von der Stirn.

Was mich immer wundert, ist, dass er die Schiebermütze nicht abnimmt. Nicht mal, wenn ihm warm ist. Er lässt das Ding immer auf, als würde ihm sonst das Hirn wegfliegen. Alte Leute sind manchmal schon komisch.

„Willst du etwas trinken?“, frage ich.

„Gerne“, sagt Opa. „Was hast du anzubieten?“

„Ähm … Kaffee oder Wasser?“

„Ein heißer Kaffee wäre genau das Richtige.“

Ich gieße ihm eine Tasse in den Verschlussbecher der Thermoskanne. „Zucker? Kaffeesahne?“

„Zwei Stück und einen Spritzer Kaffeesahne bitte.“

Ich bereite zu, richte an und reiche rüber.

„Dem Herrn sei’s gedankt“, sagt Opa.

„Dem Herrn sei’s gegönnt“, gebe ich zurück.

Ich gönne mir einen Schluck Wasser und frage mich, wie all das mir helfen wird, meine Schlüssel wiederzubekommen.

„Sind wir hier richtig?“, umschreibe ich meine Verwunderung.

Opa nickt. „Du wirst denken, ich spinne, aber dann wieder, das hier ist ein eigentlich einmaliges Erlebnis.“

„Das will ich hoffen“, sage ich und lausche den Geräuschen im Wald. In der Ferne streift irgendetwas durchs Unterholz. Vielleicht ein Wildschwein mit seinen Jungen. Von denen gibt es hier zu Genüge.

Mir steigt die Waldluft in die Nase. Nur gut, dass ich die warme Jacke anhabe. Mir wird schnell kalt.

Opa steht auf und läuft weiter. Wie ein braver Bediensteter packe ich das Sitzkissen und die Kaffeetasse ein.

Es geht weiter den Berg hinauf.

Oben ankommen sind wir beide außer Puste.

Das Mondlicht erhellt ein Plateau aus Stein. Eindrucksvoll.

In der Mitte liegt etwas, das aussieht wie riesige Knochen. Darunter ein gigantischer Schädel mit zwei langen bedrohlichen Stoßzähnen. Der hintere Teil des Skeletts ist von einem grauen, buschigen Fell bedeckt.

„Ist das etwa?“, frage ich.

„Ganz recht. Ein Mammut“, bestätigt Opa. „Pass auf, Jungspund.“

Er tritt vor das Skelett, breitet beide Hände aus und erhebt die Stimme. „ICH RUFE DICH, WÄCHTER DER VERLORENEN DINGE. ERWACHE ZUM LEBEN, DER, DER DU TAUSENDE VON JAHREN GERUHT HAST, UND HILF UNS, DAS ZU FINDEN, WAS VON UNS GENOMMEN WORDEN IST.“

Ich starrte auf Opa. Hat er den Verstand verloren?

Nichts passiert.

Wir stehen auf dem Steinplateau, die Knochen mit Fell und Stoßzähnen liegen leblos da.

„Ein Museum würde sich bestimmt freuen“, sage ich, da hebt Opa den Finger, dass ich gefälligst die Klappe halten soll.

Großvater breitet die Hände wieder aus und schreit: „BITTE.“

Der Boden unter unseren Füßen beginnt zu wackeln. Kieselsteine tanzen auf dem Plateau umeinander.

Ein Erdbeben, hier? In Plüderhausen?

Ich muss aufpassen, dass ich nicht hinfalle. Auch Opa gerät ins Schwanken. Als ich aufsehe, bemerke ich, dass sich der große Schädel des Mammuts in die Luft erhoben hat.

Jetzt hat sich der gesamte Knochenhaufen erhoben.

Jeder Knochen fliegt an seinen Platz, bis ein knöchernes Mammut vor uns steht. Es knackt und klappert. Das Fell legt sich wie ein Mantel über das imposante Skelett.

Das Mondlicht fokussiert sich wie ein Scheinwerfer auf das Mammut. Es wird immer heller, bis wir uns die Hand vor die Augen halten müssen.

Ein goldener Ball aus Licht schießt vom Himmel und landet in den Mammutknochen.

Ich halte mir die Augen zu. Das helle Licht bereitet mir Schmerzen.

Die Erde hört auf zu vibrieren. Als ich die Hand von den Augen nehme, kann ich es nicht glauben.

Ein heißer Atem fährt über mein Gesicht.

Keine zwei Meter vor uns steht ein waschechtes und sehr lebendiges Mammut. Mit dicken schwarzen buschigen Augenbrauen. Er sieht uns an und schmatzt mit den Lippen.

„Schnell“, sagt Opa, „die Sandwiches.“

Ich stehe da wie festgefroren. Opa verpasst mir einen Stups mit dem Ellenbogen. Ich nehme den Rucksack ab und suche nach den Sandwiches. Gefunden.

„Was soll ich damit machen?“

„Na gib sie dem Mammut.“

„Was?“, sage ich und verziehe das Gesicht zu einer Fratze. „Was passiert hier?“

Angst kommt in mir auf. Das Tier ist gewaltig. Ich war noch nie in meinem Leben etwas derart Großem, Lebendigem so nah.

Der Rüssel des Tiers greift nach den Sandwiches und reißt sie mir aus den Händen. Das erste Sandwich ist schnell im Maul des Mammuts verschwunden. Dann das zweite.

Plötzlich spuckt das riesige Tier aus.

„Pfui Teufel“, sagt es mit tiefer brummender Stimme. „Mayonnaise.“

„Igitt“, sagt Opa. „Was zum Teufel, Flori?“

„Ja Flori“, wiederholt das Mammut, „was zum Teufel?“

„Äh“, sage ich und weiß nicht, ob der Wahnsinn mich geholt hat oder ob ich gerade verarscht werde. Ich mache wagemutig zwei Schritte nach vorne und fasse den Rüssel des Mammuts an. Er ist warm und rau.

„Oh mein Gott“, sage ich.

„Es reicht, wenn du mich Ignazius nennst“, erklärt das Mammut.

„O. k.?“

„Kurt?“, fragt das Mammut und schiebt mich mit dem Rüssel zur Seite. „Der kleine Kurt Bimmel?“

„Guten Abend Ignazius“, sagt Opa und grüßt mit der Hand.

„Dass ich dich noch mal sehe. Das hast du aber clever eingefädelt“, sagt das Mammut und klopft Opa mit dem Rüssel auf den Kopf.

„WAS PASSIERT HIER?“, schreie ich panisch.

Mammut und Opa schauen mich an, als wäre ich hier das untote Mammut, das gerade zum Leben erwacht ist.

„Was hat der denn?“, fragt Ignazius.

„Ach, der ist immer so. Er sucht seine Hausschlüssel. Dachte, ich helf dem Jungen und bring ihn zu dir.“

Das Mammut rollt mit dem Kopf und stößt einen Tröter aus. „Meine Güte, ihr kleingeistigen Dorfleute. Ich bin ein allwissendes Mammut und seit jeher kommt ihr nur hier rauf, um mich nach Dingen zu fragen, die ihr verloren habt. Eure Hausschlüssel. Den Ehering. Was war es damals bei dir, Kurt, dein Fahrrad?“

„Richtig“, sagt Opa. „Julian hatte es tatsächlich. Sein Vater hatte es im Geräteschuppen untergestellt.“

„Das musst du mir nicht sagen“, brummt das Mammut, „ich habe es dir ja verraten. Ich bin ein allwissendes Mammut auf einem Bergplateau. Tausende von Jahren an Weisheit sammeln sich in diesem kleinen Köpfchen“, sagt er und tippt sich mit dem Rüssel gegen den großen Kopf. „Enttäuscht bin ich trotzdem. Ihr Menschlein könntet mich alles fragen, was ihr nur wollt: Gibt es ein Leben nach dem Tod? Wie viel Hundert Jahre dauert es, bis der VFB Deutscher Meister wird? Warum ist eine Banane krumm? Aber nein. Immer nur diese Trivialitäten.“

„Dann weißt du, wo mein Hausschlüssel ist?“, frage ich verdutzt.

„Natürlich“, sagt das Mammut, „ich habe mit meinem Tod absolute Weisheit erlangt. Ich könnte euch erklären, wie genau Leben auf diesem Planeten entstanden ist oder aber wann genau ihr von Außerirdischen erobert und ausgelöscht werdet. Man nennt mich auch Ignazius der Weise.“

„Dein Fell ist aber grau“, merke ich an.

„Ach das ist eine Marketingsache. Dein Schlüssel ist übrigens in deinem Nachttisch.“

„Was? Wieso das denn?“

„Du hast ihn gestern, als du von der Arbeit kamst, mitsamt deinem Portemonnaie dort hineingeworfen.“

„Tz“, sage ich und ärgere mich über mich selbst. „Danke.“

„Keine Ursache. Ihr Menschen seid schon ein komisches Volk. Jeder von euch darf mich zu Lebzeiten nur eine Sache fragen, mich praktisch nur ein einziges Mal im Leben sehen und dann so was.“

„Ich hab dich schon zum zweiten Mal gesehen“, sagt Opa.

„Tatsächlich“, sagt das Mammut und hebt andächtig den Kopf. „Hast du auf dein Fahrrad gut aufgepasst?“

„Das ist schon lange kaputt und entsorgt“, sagt Opa mit einer abweisenden Handbewegung.

„Verstehe. Bald droht dir dasselbe, Kurt Bimmel. Mein drittes Auge sagt mir, dass du dem Tod näher bist als dem Leben.“

„… sagte das magische Mammut, das spätestens in einer halben Stunde wieder verpufft“, kontert Opa.

„Oho“, macht das Mammut. „Vorsicht Florian“, sagt es und tritt von einem Bein auf das andere, „hier wird scharf geschossen, was?“

„Darf man dir wirklich nur eine einzige Frage im ganzen Leben stellen?“, frage ich.

„So ist es“, sagt Ignazius stolz. „Wobei ein bisschen Geplänkel schon erlaubt ist. Nur die tiefgründigen Sachen, da gibt es ein Ein-Fragen-Maximum.“

„Mist“, sagt Florian. „Da wären mir jetzt bessere Dinge eingefallen.“

„Im Nachhinein ist man oft klüger“, sagt das Mammut.

„Es gibt also ein großes, untotes, aber vom Licht des Vollmondes lebendig werdendes Mammut auf einem Berg im Wald hinter Plüderhausen“, murmele ich vor mich hin.

„Wenn man die richtigen Worte spricht“, korrigiert Opa.

„Und nett bittet“, sagt das Mammut. „Ohne ein Bitte komme ich nicht mehr. Etwas manierlich muss man schon miteinander umspringen. Ich bin ja keine Zwerggiraffe, die man mal kurz herbeiruft.“

„Wie bist du denn gestorben, Ignazius?“, wage ich die Frage.

„Das ist aber sehr persönlich“, sagt das Mammut und wendet sich von uns ab. „Aber gut, wenn ihr es wissen wollt. Ich bin aus Einsamkeit gestorben.“

„Oh“, mache ich.

Opa scharrt mit den Füßen.

„Das ist aber traurig.“

„Ja, das ist es. All die anderen Mammuts waren nicht mehr da, und ich war das letzte. Tja und dann kam eines Tages ein helles goldenes Licht vorbei und fragte, ob ich nicht in den Himmel kommen möchte, zu all den anderen Mammuts. Was mich gefreut hat, endlich hab ich meine Eltern und Freunde wiedergesehen. Und natürlich mein Weibchen“, sagt Ignazius und wackelt mit den schwarzen Augenbrauen.

„Und ab und an darfst du zurückkommen, um mit uns Menschen zu sprechen?“, frage ich.

„Nicht nur mit euch. Die Geschöpfe des Waldes haben auch ihre Fragen. Wusstet ihr, dass es hier wieder Wölfe gibt? Sogar ein Bär hat letztens mit mir gesprochen.“

„Was wollte der Bär denn wissen?“, fragt Opa.

„Das ist privat. Aber so viel sei gesagt, er wusste ganz genau, wo er sein Fahrrad abgestellt hatte, Kurt Bimmel.“

„Klugscheißer …“, brummelt Opa.

Das Mammut schießt einen Stoß warme Rüsselluft in Opas Richtung.

„Wisst ihr, was mich seit Jahrhunderten ärgert?“, merkt Ignazius an. „Die wenigsten fragen etwas, das ihnen irgendeinen Vorteil verschaffen würde. Ich kenne zum Beispiel die Lottozahlen – 12, 8, 16, 27, 89 und 55.“

Hastig tasten wir uns beide nach Papier und Stift ab.

„OPA!“, sage ich panisch.

„Nichts …“, sagt Opa, der sich komplett abgetastet hat.

Dann fällt es mir ein! Mein Smartphone! Eilig hole ich es hervor und schreibe die Zahlen auf.

„Soll ich sie noch mal sagen?“, fragt Ignazius.

„Das wäre fantastisch“, sage ich.

„12, 8, 16, 27, 89 – 55 Hast du es?“

„55 …“, murmele ich und tippe alles ein.

„Ich kann es nicht glauben“, sagt Opa. „Ein steuerfreier Geldgewinn.“

Ignazius hat ein breites Grinsen im Mammutgesicht.

„Stimmen diese Zahlen?“, frage ich skeptisch.

„Sicher“, sagt Ignazius.

„Aber?“, fragt Opa unsicher mit den Händen in der Lederjacke.

„Die Zahlen sind von letzter Woche.“

Wir stöhnen.

„Wie gesagt, es ist nur eine Frage pro Mensch auf Lebenszeit erlaubt. So sind die Regeln.“

„Argh“, sagt Opa und rauft sich die Haare.

Ignazius streckt uns die Zunge raus und wackelt mit den Ohren.

„Es spricht ja für euch, dass es euch nicht darum geht, euch zu bereichern. Das Leben ist voller Reichtümer, die mancher Mensch nie wirklich sieht, auch wenn er sie immer bei sich trägt.“

„Zum Beispiel?“, fragt Opa mürrisch.

„Ihr habt einander.“

Opa schaut mich an, als wäre ich ein voller Müllsack.

„Na danke“, sagt er genervt.

„Wisst ihr, ich bin hier oben noch immer sehr einsam“, sagt das Mammut und schaut auf uns herab. „Die meisten stellen ihre Frage und verschwinden. Ich sitze dann noch ein paar Stunden hier, bis ich wieder zurückgerufen werde.“

„Und was machst du dann?“, frage ich.

„Ich beobachte die Sterne“, sagt Ignazius. „Schaut mal dort drüben“, sagt er und zeigt auf eine Sternkonstellation. „Das ist die große Erdnuss. Und da drüben ein Ball. Und das hier ist mein absoluter Liebling. Da, der große Teddybär“, sagt Ignazius und fährt die Sternenkonstellation mit dem Rüssel nach.

Wir schauen den Himmel an. Ein Firmament voller Sterne. Ein schöner Anblick, der einen auf eigentümliche Weise beruhigt.

„Können wir dir noch etwas Gutes tun?“, frage ich.

„Tja“, sagt das Mammut und lässt nervös das Bein kreisen. „Wisst ihr, eine Vorliebe, die ich mit den Menschen teile, fehlt mir dort oben im Mammuthimmel. Auch wenn sich mein Weibchen meiner ab und an erbarmt.“

„Was denn?“, frage ich.

„Würdet ihr“, sagt Ignazius, „eine Runde Mammut Ärgere dich nicht mit mir spielen?“ Er schiebt eine kleine Kiste nach vorne.

Ich kann sehen, dass darin lauter Brettspiele liegen.

„Es ist eine Spezialversion von Mensch ärgere dich nicht, die mir ein freundlicher Mensch gebracht hat. Ein Spielzeugmacher. Also der hatte wirklich eine Frage, huijuijui“, sagt Ignazius und pfeift mit seinem Rüssel im Maul. „Da haben mir die Ohren aber geschlackert. Der hat was ganz anderes gesucht als Fahrräder und Hausschlüssel.“

„Wir haben es ja verstanden. Wir zwei sind nur einfaches Volk“, sagt Opa.

„Also“, sagt Ignazius freudig. „Spielen wir?“

„Ich bin rot“, sage ich und setze mich auf den Boden.

Ignazius plumpst auf den Hintern.

RUMS.

„Das darf doch nicht wahr sein“, knirscht Opa zwischen den Zähnen hervor.

„Du kriegst wieder Grün“, sagt das Mammut und stellt die Figuren auf.

„Was hast du denn?“, frage ich Opa.

„Ach, er hat schon vor 63 Jahren verloren und ich glaube, heute Abend sieht es nicht viel besser aus, was Kurt?“ Ignazius stellt die Figuren auf. Alle in Form kleiner Mammuts.

„Pass bloß auf, du prähistorischer Dinosaurier.“

„Ohohoh“, gluckst Ignazius und klopft Opa mit dem Rüssel auf den Kopf. „Wollen wir uns mal nicht aufregen. Sonst werden aus deinen verbleibenden 2145 Tagen schnell 87.“

„Deine Weisheit kann einem wirklich auf die Nerven gehen“, sagt Opa.

Wir würfeln.

Es wird eine gemütliche Nacht. Wie oft kommt man schon dazu, mit einem magischen Mammut, das einem geholfen hat, die Hausschlüssel wiederzufinden, auf einem Bergplateau eine Runde Mammut ärgere dich nicht zu spielen?

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