Kitabı oku: «Der Amok-Insasse: Die Psychothriller Parodie», sayfa 2
1.
Der Anfang
Mensch, hier ist es mal angenehm.
Dafür, dass Mariam gerade die Bruchbude eines Serienmörders betreten hatte, war der erste Eindruck mehr als positiv. Hier und da gab es kleine Fenster, durch die Licht nach innen fiel, die Möbel und das Dekor waren im Lagom-Stil gehalten, umso komischer, da das Haus von außen den Eindruck einer heruntergekommenen Jagdhütte erweckte, und alles war bis aufs letzte Detail geputzt, verziert und mit Liebe dorthin gesetzt, wo es sich befand. Eine rundum einladende Atmosphäre, wäre da nicht der Zweck ihrer Besichtigung: Das hier war ein Tatort, an dem sich grauenvolle Dinge zugetragen hatten.
Der Polizist lief voraus, die Kellertreppe hinunter. Dass sie vorausgehen sollte, hatte für Mariam überhaupt keinen Sinn ergeben, daher hatte sie den Polizisten gebeten, sich korrekt zu verhalten und diese illegale Tatortbesichtigung gefälligst mit einer Fremdenführung, wie es sich gehörte, voranzugehen. Man ging ja auch nicht auf Stadtrundfahrt und erklärte sich die Sehenswürdigkeiten selbst.
Der Keller war wesentlich weniger einladend. Der Geruch von verwesendem Fleisch und getrocknetem Blut stieg ihr in die Nase. Mariam kannte diesen Geruch nur zu gut.
Anfangs hatte sie sich noch gewundert, dass sich ein Beamter des deutschen Staates dazu hinreißen ließ, der Mutter eines Opfers einen noch blutigen Tatort zu zeigen. Aber was hatte er schon zu verlieren außer Beruf, Pension, seinen Ruf und seine Selbstachtung. Und was konnte Mariam schon zustoßen, abgesehen von einem seelischen Trauma, das sie für immer sozial und mental verkrüppelte? Oder wie es der Zufall wollte, dass sie dem Killer persönlich in die Hände lief. Man wusste nie bei der Kompetenz der Gendarmerie dieser Tage. Im Tatort fanden die Ermittler den Killer innerhalb von 90 Minuten. Im wahren Leben brauchte es dazu so viele Hinweise von außen, dass der Mörder längst an Altersschwäche verstorben war oder so dement, dass er keiner Anklage mehr standhielt.
Sie bemerkte, wie der Polizist kurz davor war, an ein Heizungsrohr zu stoßen. Doch sie sagte nichts.
„Aua“, rief der Mann, als er geräuschvoll mit seiner Birne gegen das Rohr prallte.
„Bin ich aber froh, dass Ihnen das passiert ist“, sagte Mariam. „Tut weh was?“
„Wieso froh?“, sagte der Polizist, blieb am Ende der Treppe stehen und drehte sich um.
„Na, Sie haben sich hier den Schädel angeschlagen. Das sagt mir, Sie waren auch noch nie hier. Als Sie mich gestern Abend angerufen haben und mir angeboten haben, mich zum Tatort zu bringen, war ich schon stutzig. Wer macht denn so was aus freien Stücken? Als Sie dann noch in dem Fiat Panda vorgefahren sind und das in einer derart abgetragenen Uniform, da habe ich mir gedacht: ‚Ne Mariam, der Mann will dir nichts Gutes.‘ Aber dass Sie sich hier die Birne anschlagen wie ein Idiot, der noch nie hier war, das sagt mir, Sie sind echt.“
„Na, da bin ich aber beruhigt“, grummelte der Polizist mit dem Namen Herbig und ging weiter.
Mariams Stimmung blieb ungetrübt. Sie hatte fünf Kinder und war insgeheim etwas enttäuscht, dass nur eines davon entführt worden waren. Aber immerhin das nervigste und jüngste, das Baby. Man musste es im Leben nehmen, wie es kam. Was hätte sie dafür gegeben, wenn jemand sich ihr fünfzehnjähriges Pubertätsmonster namens Tobias gegriffen hätte. Den ganzen Tag dröhnte Black Sabbath aus seinem Zimmer.
Die Decke des Kellers war recht hoch, was das Rohr von gerade eben nur noch komischer wirken ließ. Mariam begutachtete den Polizisten. Er war größer als sie und auch stärker. Darüber hinaus wies er die für einen Mann üblichen Schwachstellen auf. Wie hatte ihre Oma immer gesagt? Ein Tritt in die Eier und ein Schlag in den Nacken hat noch jeden Mann unterworfen, der seinen Platz nicht kennt: zu ihren Füßen kauernd.
Mariam trug immer ein Rohr in ihrer Handtasche bei sich. Das Metall war effizienter, wenn es zur Konfrontation mit Weichteilen und Nacken kam. Benutzt hatte sie es auch schon ein paarmal. Seit Ewigkeiten wollte sie sich ein neues, längeres holen, das besser in der Hand lag.
Mariam wusste, dass Kinder generell beliebt waren wie Schnitzel oder lange Wochenenden, und wer etwas Schlechtes über sie sagte, gerne mal krumm angeschaut wurde. Gesellschaftlich gesehen war ein Kind immer was Gutes. Selten fielen Sprüche wie: „Du schwanger? Beantragt das Kind dann auch gleich Hartz IV, wenn es geboren ist?“ oder „Dem Fachkräftemangel werdet ihr zwei Idioten mit eurem Sprössling nicht gerade entgegenwirken.“ Man beglückwünschte Leute zu ihrem Segen, dessen Kehrseite ja bekanntlich ein Fluch war. Mariam jedoch wusste, dass nicht alle Kinder gleich viel wert waren. Eine Meinung, die sie aber, seit sie sich in ihrem Kopf geformt hatte, für sich behielt.
In diesem Keller hatte sich ein perfider Kranker einen wahren Zwinger seiner Psychose eingerichtet. Der Killer, wie sie wusste, liebte Kinder. Hier sah es aus wie in einem nicht sonderlich geräumigen Kindergarten. Der Boden war ein Buchstabenteppich, bei dem man die Buchstaben herausnehmen konnte. In der Mitte ein Tisch mit Brettspielen. Mariam spürte, wie ihr die Galle hochkam. Sogar eine Leseecke und eine Kiste mit Bauklötzen waren vorhanden. Überall waren Leichen von Kindern verstreut, welche in Position gesetzt wurden wie ausgestopfte Jagdtrophäen. Ein Kind, das Bauklötze auftürmte, ein anderes, welches ein Buch verkehrt herum versuchte zu lesen. Die Haut der Kinder erinnerte an Wachs.
„Wieso sind denn die Leichen noch da, Herr Herbig?“, fragte Mariam.
„Ähm das ist so, die Spurensicherung …“, begann er, sich ein Lügenlabyrinth zurecht zu bauen, „die brauchen recht lange, da sie neu sind. Genau. Und die kommen später wieder, denn … Arbeit ist Arbeit, aber Gewerkschaft ist Gewerkschaft und … äh. Die sind Mittagessen?“, sagte er fragend und hob die Hände in einer fragwürdigen Geste. „Mein Punkt ist, Sie dürfen hier eigentlich gar nicht rein und ich tue Ihnen einen riesigen Gefallen.“
„Indem Sie mir die Leiche meines Kindes vor Augen führen?“
„Genau“, sagte er, schnipste mit dem Finger und lächelte.
„Und Sie glauben, dass ich Ihnen glaube, dass Sie glauben, dass ich hier im guten Glauben bin, dass Sie sind, wer Sie vorgeben zu sein?“, sagte Mariam und umklammerte ihre Handtasche.
Polizist Herbig war irritiert. Sein mickriges Hirn schien die Option noch hin und her zu wälzen, ob das Gesagte für ihn positive oder negative Konsequenzen haben könnte.
„Also, wo ist das Baby?“, fragte Mariam und zog den Rotz hoch wie jemand, der heute auch noch anderes vorhatte. Und das hatte sie.
Herbig löste ein Absperrband mit der Aufschrift: „VORSICHT GLAS“ von einem Brutkasten, der auf einem Wickeltisch stand. „Das andere war gerade aus. Wir haben aber bereits VORSICHT POLIZEI nachbestellt“, sagte er, während er das Absperrband „VORSICHT GLAS“ abwickelte.
„Sicher doch“, sagte Mariam und schaute sich im Raum um. Da war die Uniform eines Bademeisters, die eines Postboten und auch die eines Müllmanns. Der Mörder schien sich gerne zu verkleiden. Welche Kinder er allerdings als Müllmann abfischen konnte, war ihr ein Rätsel.
Sie erinnerte sich, dass ihr Baby verschwunden war, nachdem sie mit ihrer Kindermannschaft beim Baden gewesen war. Irgendwelche Pakete waren auch gekommen und der Müll am Morgen abgeholt worden. Es konnte jeder und alle gewesen sein. Vielleicht hätte sie den Säugling nicht den Müll heraustragen lassen sollen. Aber schon ihre Oma hatte gesagt, wer krabbeln und schreien kann, kann auch arbeiten. Normalerweise dauerte es ewig, bis das Baby die vier Treppenetagen runtergekullert war, der Müllsack, den sie ihm dabei mit einer Schnur an den Körper band, half bei der Beschleunigung und beim Bremsen des Aufpralls. Es war eine durchdachte Sache, immerhin war sie kein Scheusal.
Was sie an diesem Verschwinden fuchste, war das Ungewisse. Sie plagte die Angst, dass das verschwundene Balg zu jeder Tageszeit wieder auftauchen konnte und sofort wieder, wie es alle Kinder taten, Forderungen stellte. Hunger, langweilig und Will-haben schien das Mantra jedes Menschen in ihrem Haushalt, der noch mit Heranwachsen beschäftigt war.
Polizist Herbig ging vor dem Brutkasten in Position.
„Sind Sie sicher, dass Sie das sehen wollen?“, fragte der Polizist. Er hatte die Hände schon an dem Tuch, das den Blick auf den Brutkasten versperrte (jedoch den Brutkasten erahnen ließ). „Ich nehme mir hier karrieregefährdende Freiheiten, wissen Sie? Noch nicht mal die Bildzeitung durfte bisher hier rein.“
„Wissen Sie was?“, sagte Mariam und ging wieder Richtung Treppe, „warum sich unnötig den Schlaf rauben.“ Sie ging. Diesen Anblick konnte sie sich ersparen.
Da hatte der Polizist einen sinnvollen Einwand hervorgebracht.
„Hey Moment!“, rief der Polizist und kam ihr hinterher. „Wollen Sie denn nicht wissen, ob es Ihr Kind ist, das da tot in dem Kasten liegt?“
„Woher wissen Sie überhaupt, dass da ein totes Kind drin liegt?“
„Weil ich schon mal hier war.“
Er war also doch schon mal hier. Was für ein kausaler Depp, dachte sich Mariam.
„Leute wie Sie werden zur Erstbesichtigung eines Tatorts gerufen? Streifenpolizisten?“
„Na ja, äh …“
„Na gut“, sagte Mariam und kam die Treppe wieder runter. „Jetzt haben wir den Sprit verfahren, jetzt schauen wir uns das Elend auch an. Uff!“, rief sie und gestikulierte dem Polizisten, sich zu beeilen.
Herbig begann zu erklären: „Der Täter hat viele Jahre in einem Kinderkrankenhaus gearbeitet, konnte aber kein Blut sehen und hat in den Kindergarten gewechselt. Bis er auf eine private Kindertagesstätte umgesattelt hatte und Pflegekinder betreute, für nicht mal schlecht Geld, will ich anmerken. Zahlt alles der Staat.“
„Hab ich aus Versehen eine Frage gestellt, an die ich mich nicht erinnern kann?“, sagte Mariam schnippisch. „Versuchen Sie nicht, mit irgendwelchen diffusen Alltagstatsachen Abscheu zu erzeugen. Auch ein Mörder muss für sein Geld arbeiten, er ist ja kein Dieb. Weg mit dem Tuch, du Zeitverschwender.“
„Wollt ja nur sagen …“
„Genug haste gesagt. Weg damit.“
Der Polizist nickte und hob das Tuch an.
In dem Brutkasten lag der steife Körper eines toten Kindes. Eingebettet in Katzenstreu. Maden krochen dem toten Säugling aus dem Mund.
Mariam trat näher und kniff die Augen zusammen.
„Dieses Kind“, sagte sie und zeigte auf den Kadaver, „ist von dunkler Hautfarbe. Sehe ich vielleicht aus wie eine Afrikanerin?“
Mariam war käsebleich, als hätte sie ihr Lebtag die Sonne nur auf Bildern gesehen.
„Oh“, sagte der Polizist.
„Es ist ja nicht so, als ob ich noch nie etwas mit einem schwarzen Mann gehabt hätte, aber ein Balg ist daraus noch nie hervorgegangen. Man wird doch zumindest ab und an, selbst in einer missratenen Ehe, Spaß haben dürfen, ohne morgens die Konsequenzen aus dem Bett treiben zu müssen, oder?“
„Mein Fehler“, sagte Herbig. Er öffnete die Tür, hastig auf der Suche nach der richtigen Leiche. Hinter der ersten lag ein toter Mann mit einem Pfeil in der Brust.
„Mist“, murmelte Herbig. Er machte eine Tür daneben auf. Darin lag das VFB-Maskottchen, Fritzchen. Ermordet. An seiner Brust heftete ein Zettel „Es grüßt der Fanblock“. Der Kopf des Maskottchens war mit Gewalt entfernt worden und lag in dessen Schoß.1 Sofort riss Herbig noch eine Tür auf. „Habs gleich, ehrlich.“ Darin stand ebenfalls ein Brutkasten. Er riss das Tuch zurück. Drunter lag ein totes weißes Baby. Erleichtert gab er den Weg frei und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Bitte sehr“, sagte er, als hätte er die letzte Brezel im Regal gefunden.
„Sie sind mir einer“, sagte Mariam und kam näher. Wieder ein Kadaver in Katzenstreu. Auch hier hatten die Maden schon ihr Camp Zero aufgeschlagen und arbeiteten sich durch den Körper. Mariam holte tief und schmerzhaft Luft. Kein Zweifel. „Das ist meine Klara“, sagte sie mit zitternder Stimme, „tot … Warum das Katzenstreu?“, fragte sie irritiert.
„Es saugt die Flüssigkeit auf, die der Kadaver absondert.“
„Und dann?“
„Wie meinen Sie das und dann?“
„Na, um sie zu konservieren, reicht das wohl nicht aus“, sagte die Frau sachlich und ernst, „und los wird man sie so auch nicht. Was ist denn das für eine Art? Dass mein jüngstes Kind von einem derartigen Schlamper umgebracht wird“, sagte sie und schluchzte, „des geht mir jetzt schon nahe.“
Sie zog langsam den Rotz hoch, um ihrer tiefen Betroffenheit Ausdruck zu verleihen. Tränen liefen ihr die Wangen runter.
„Ich bin mir sicher, der Mann hat sich sehr viel Mühe gegeben“, sagte der Polizist und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„Ach Mühe, Mühe“, sagte sie und schüttelte seine Hand ab. „Nichts dergleichen hat er! Da hätte er ihren kleinen Körper mal in Rohrreinigungsmittel aufgelöst, das geht viel besser als Salzsäure, wissen Sie?“
„Tatsächlich?“
„Wollen Sie etwa hier neben meinem toten Kind meine Worte infrage stellen?“, schluchzte Mariam mit einem Anfall von Hysterie in der Stimme. Noch eine Träne lief ihr die Wange herunter.
„Aber nein“, sagte der Polizist. Irgendwas übermannte ihn. Er wischte ihr die Tränen mit dem Zeigefinger von der Wange und begann, daran zu lutschen.
„Haben Sie einen an der Klatsche?“, fragte Mariam angeekelt.
Schnell zog der Polizist den Finger aus dem Mund.
„Es gibt keinen Grund zur Sorge“, beteuerte er.
„Denn Sie sind ja da, oder wie?“
„Korrekt.“
„Haben Sie das VFB-Maskottchen ermordet? Wie kommt das überhaupt hier nach Berlin?“
„Ich bin gebürtiger Schwabe.“
„Aha! Sie gestehen.“
„Natürlich.“
„Wie viele Leute haben Sie schon ermordet?“
Der Mann dachte nach: „Zwölf … nein dreizehn. Na, es ist ja auch egal“, sagte er und grinste wie jemand, der bald alle Preise im Baumarkt um einen Cent anheben würde. „Die Zahl steigt sowieso ständig. Gleich wird sie wieder steigen“, sagte er und sein Grinsen nahm infernale Züge an.
Er griff unter den Brutkasten und zog eine Axt hervor.
Das dauerte etwas, denn die Axt war zu gut festgeklebt.
Mariams Blick fiel auf die scharfe Klinge, welche im einfallenden Licht reflektierte.
„Wenn ich mit Ihnen fertig bin“, sagte der Mann und ging auf Mariam zu.
Sie wich zurück.
„Kommen Sie hinter Tür Nummer vier.“ Der mordlustige Polizist blieb stehen. „Ich bin übrigens gar kein Polizist“, sagte er.
„Na, was für eine Überraschung“, sagte Mariam und rollte mit den Augen, „das war mir spätestens dann klar, als ich in Ihrem Fiat Panda die Rechnung des Kostümverleihs im Handschuhfach gefunden habe. Hätten Sie mal nicht an der Tanke gehalten, um zu pinkeln. Aber ich hab mir halt gedacht: Ne Mariam, das schauste dir jetzt mal an und ganz wehrlos bist du ja auch nicht.“
„Was soll ich sagen? Ich brauche ein ordentliches Klosett, um meine Notdurft zu verrichten. Und Ihnen werde ich die Axt zwischen die Augen hauen.“
„Wollen Sie mir nicht davor noch ein Bild malen?“
„Ahhh“, schrie Herbig und schleuderte die Axt in Mariams Richtung.
Das Beil krachte in das Holz der Treppe und blieb darin stecken.
„Daneben. Aber machen Sie sich nichts draus. Sie konnten bestimmt noch nie gut werfen. Und das auf weniger als zwei Meter Entfernung. Seien Sie mal stolz auf alles, was Sie bisher erreicht haben. Denn jetzt ist Schluss.“
Mariam griff hinter sich und zog mit einem Ruck die Axt aus dem Treppengeländer. Die vom Schock geschwächte Mutter war schlagartig verschwunden. An deren Stelle trat eine Amazone. Die Muskeln ihres dünnen Körpers spannten sich an. Sie war ihm vielleicht körperlich unterlegen, aber geistig hatte Mariam die Oberhand.
Sie schleuderte das Beil zurück zum Absender. In der Schule war sie immer die Beste im Speerwurf gewesen.
Knirschend bohrte sich das Metall in Herbigs Oberkörper. Direkt in die Brust. Die halbe Klinge war in seinem Brustkasten verschwunden.
„Na, wie gefällt es Ihnen, einfach so ermordet zu werden?“
Blut rann Herbig aus dem Mund und über die Brust.
Mariam ging um ihn herum, zog das Rohr aus ihrer Handtasche und schlug ihm mit Schwung ins Genick. Er ging hart zu Boden und landete dabei auf dem Beil, das sich tiefer in seinen Brustkasten bohrte.
Blut breitete sich über dem Buchstaben-Teppich aus.
„Irgendwelche letzten Worte?“, fragte sie und setzte einen Fuß auf seinen Rücken, um ihm den Rest zu geben.
„Das hab ich mir … irgendwie anders …“
Mariam trat zu. Das Beil bohrt sich durch Herbigs Brustkasten hindurch und trat auf der anderen Seite wieder hervor. An der blutigen Klinge hing ein Fleischfetzen.
„So mein Freund“, sagte Mariam und klatschte abschließend in die Hände. „Verarschen lass ich mich nämlich nicht. Irrglauben soll ja schon tödlich gewesen sein.“
Herbig röchelte.
Mariam beugte sich zu ihm herunter und riss ihm den Kopf an den kurzen Haaren in den Nacken. Seine Augen rollten zur Seite, als er versuchte, sie anzusehen. Noch war er nicht tot. „Du bist übrigens meine Nummer zwanzig. Glückwunsch Herbig, du bist eine runde Zahl.“
Sie ließ seinen Kopf los, der zu Boden ging. Direkt auf den Buchstaben H.
Mariam blickte sich im Raum um.
Das Kind, welches gerade noch leblos sein Buch gelesen hatte, drehte langsam seinen Kopf in ihre Richtung. Die wächserne Haut knackte und knarzte, und das bis eben noch totgeglaubte Kind fing an zu pfeifen. Ein nettes Liedchen, und nach und nach stimmten alle mit ein. Sogar das tote Fritzchen im Schrank wackelte im Takt mit dem Schwanz.
Mariam traute ihren Augen nicht.
Was wurde hier gespielt?
1 Wenn Sie ein großer VFB-Fan sind, ist es halt Uli Hoeneß vom FC Bayern oder sonst irgendeine Fußballgaleonsfigur. Stellen Sie sich nicht so an!
2.
Phill Jerkoff
Die alte Dame verreckte langsam und qualvoll, und dafür schien sich der kleine fette Mann überhaupt nicht zu interessieren.
Phill war gerade falsch herum mit dem Rettungswagen in eine Einbahnstraße gefahren, weil er so im vertrackten Verkehrssystem von Berlin schneller ans Ziel kam. Blöd nur, wenn ein kleiner fetter Mann mit einer Frau neben sich, die wirklich nur eine Prostituierte sein konnte, einem entgegengefahren kam und so den Weg versperrte. Die Frau hatte türkisfarbenen Lidschatten, rote Bäckchen, viel zu große Brüste in einen Push-up-BH gezwängt und trug eine rote Lederjacke. Die allseits bekannte Uniform der Berliner Prostituierten. Wie alle ihrer Art war auch auf ihrer Lederjacke eine Nummer eingraviert, damit ihr Zuhälter sie per Drohne einfacher überwachen konnte.
Phill hielt sich das Telefon ans Ohr, um mit der sterbenden Dame zu reden, die vor wenigen Minuten den Notruf verständigt hatte. „Können Sie mich noch hören?“, fragte er die Frau.
„AUS DEM WEG, DU QUERULANT!“, schrie das Dickerchen hinter der Frontscheibe seines alten rostigen Golfs dazwischen. „DIE STVO GILT AUCH, WENN JEMAND GERADE DABEI IST, ZU STERBEN.“
Phill war fassungslos.
„Jaaaa“, krächzte die Dame.
„Wie geht es Ihnen?“
„Meine Brust tut so schrecklich weh“, krächzte sie, klang dabei aber, wie er fand, normal für jemanden, der gleich fällig war. Wie Phills Oma, die er letzten Monat ins Altersheim abgeschoben hatte, weil der Platz dort billiger war, als ihr weiterhin Essen auf Rädern vom Roten Kreuz kommen zu lassen. Die Annonce in der Zeitung, wodurch er auf den Heimplatz aufmerksam geworden war, war unter Sonstiges und hatte verkündet: „WIR BEHÜTEN RENTNER JEDEN BAUJAHRS. KEIN EXPORT.“ Bisher schien es ihr dort zu gefallen. Nicht dass er je danach gefragt hätte. Und was das Essen anging? Schmecken konnte sie eh schon lang nichts mehr, geschweige denn, sich an etwas erinnern, das länger als sechzig Sekunden zurücklag.
Er sprach wieder zu der Sterbenden am Telefon: „Versuchen Sie, langsam und gleichmäßig zu atmen. Bleiben Sie wach, Sie dürfen die Augen nicht schließen, sonst sind Sie so gut wie tot.“
Stille am anderen Ende der Leitung. Da war er wohl etwas zu ehrlich.
„Liegen Sie auf dem Boden?“, fragte er und versuchte, den Neueinstieg ins Gespräch.
„Nein, ich sitze im Sessel meines Mannes. Der ist vor drei Jahren verstorben, wissen Sie. Er hat bei Künzers gearbeitet und dort die Gewinde gedreht, in die später bei den Bohrmaschinen der Bohrer gespannt wurde. Ach, er war ein guter, mein Heinrich. Ich habe hier ein Foto“, sagte sie.
„Äh“, sagte Phill und hielt sich das Handy vom Ohr weg, als hätte ihm die alte Dame über ihr Wählscheibentelefon ein Bild gefaxt.
„Wie geht es ihr?“, fragte Phills Schichtkollege Amra.
Vor ihnen begann der kleine fette Mann, in seinem Golf zu hupen. Hinter dem Golf stauten sich weitere Autos. Es war auch ein Irrglaube, anzunehmen, dass, wenn man in Berlin falsch herum in eine Einbahnstraße fuhr, nur ein einziges Fahrzeug dadurch behindert wurde.
Phill arbeitete die Leute der beliebigen Reihenfolge nach ab.
„Sie scheint soweit in Ordnung, schwafelt irgendeinen Mist. Wahrscheinlich nur ein Schlaganfall.“
„Hey!“, sagte die Frau und beschwerte sich, „das habe ich gehört.“
„Machen Sie sich keine Sorgen, wir sind bald bei Ihnen.“
„Freut mich, dass Sie es so eilig haben, dass Sie mich sogar während der Anfahrt zuquatschen. Müssen Sie nicht fahren?“
„Mein Kollege fährt.“
„Komm, Phill, ich schnapp mir das Nötigste und renne zu ihr“, schlug Amra vor. „Ihre Wohnung ist am Ende der Straße, ich kann das Haus praktisch sehen.“
Phill nickte. Sein Kollege sprintete davon.
Er hatte es nicht weit. Die Frau musste am Anfang der Einbahnstraße leben, die sie zugegebenermaßen inzwischen schneller erreicht hätten, wenn sie um den Block gefahren wären. Phill ärgerte sich. Manchmal war eine Abkürzung eben doch nur die dumme Idee eines Klugscheißers, der glaubte, alles besser zu wissen.
Alleine im Wagen krabbelte er auf den Fahrersitz. In diesem Moment stieg der kleine fette Mann aus seinem silbernen, verbeulten und verrosteten Golf (aber mit Automatik) und riss sich das Hemd mit einem RATSCH vom Leibe.
„KOMM DA RAUS AUS DEINER SCHEIßKARRE. ICH REIß DICH IN ZWEI TEILE UND FAHR DEN MISTKARREN SELBER WEG.“
Phill stieg aus und ging auf den kleinen fetten Mann zu. Der stellte schnell fest, wo das Problem lag, wenn jemand mit einem Meter sechzig Körpergröße jemandem mit 1,88 m versuchte, in die Augen zu blicken. Der Nacken fing fast sofort an zu schmerzen.
„Tja äh also“, sagte der kleine fette Mann.
Phill beherrschte sich: „Wenn Sie bitte zurücksetzen würden.“
Hinter dem Golf setzte ein wildes Gehupe ein. Es war Feierabendverkehr und die Autos stauten sich zu Massen. Er sah Amra an den Autos vorbeirennen und an einer Haustür haltmachen. Der Rettungssanitäter klingelte wie wild überall, schrie Post und wurde prompt eingelassen.
„Hmmm“, machte Phill.
„Komm schon, Mann“, sagte der kleine fette Mann. „Die Julia, die bei mir im Auto sitzt, ist echt teuer. Wir wollten zum Chinesen ans Büfett und dann einen Film schauen.“
„Ist das nicht eine Prostituierte?“, fragte Phill verdutzt.
Der kleine fette Mann zuckte mit dem Kopf und verfiel in einen schnippischen Ton: „Na Klebeband kann man ja auch vielseitig einsetzen. Und beim McDonalds gibt es auch Salat. Seien Sie doch nicht so eindimensional.“
Phill warf einen Blick auf die Frau. Ihr Ranzen war beachtlich.
„Die sieht aber aus, als könnte sie ordentlich was wegfressen“, sagte er leise.
„Eben“, flüsterte der kleine fette Mann.
„Schon verstanden. Passen Sie auf. Sie helfen mir mit Ihrem Golf, diesen ekligen kleinen Fiat 500 vom Gehsteig direkt gegen die Hauswand zu schieben. Dann kann ich da parken und der Weg ist frei. Dann können Sie weiter und ich auch. Fall Sie sich aber Sorgen um Ihr Fahrzeug machen, muss ich sagen: Ihr Auto ist weniger wert als Ihre weibliche Begleitung da.“
Der kleine fette Mann musterte Phill von Kopf bis Fuß. „Ist das Ihre Art? Wildfremde Leute zu beleidigen, welche sich mit ihrer käuflichen Dame einen schönen Abend machen möchten? Nicht mal bitte gesagt haben Sie.“
„Bitte bitte, mit Zucker obendrauf“, sagte Phil.
In diesem Moment schlängelte sich ein Motorrad an ihnen vorbei, welches prompt eine Fehlzündung hatte. Der Knall war Mark und Bein erschütternd laut. Die Scheiben des Rettungswagens vibrierten. Die Plastikplane, die dem Golf als Rückfenster diente, flatterte.
Phill schnappte sich den kleinen fetten Mann und sprang zur Seite: „DECKUNG!“, rief er.
Und schon liefen in seinem Kopf die Bilder ab. Er war zurück im Irak mit seiner Einheit der Bundeswehr. Damals hatte er sich von seinen Kameraden entfernt, weil er pinkeln wollte. Phill hatte nur kurz an eine Tür geklopft, um die Benutzung der Bedürfnisanstalt zu erfragen. Und wer hatte geöffnet? Ein Terrorist! Er hatte ihn sofort erkannt. Ein Typ mit langem Bart, einer AK47 in der Hand und einem T-Shirt mit dem Symbol des IS.
Ein Massaker brach los.
Das Haus war voll gewesen von Terroristen und Phill tötete jeden einzelnen von ihnen. Zwischendurch machte er nur kurz halt, um zu urinieren. Schloss natürlich dabei die Tür ab, damit niemand ihn störte oder etwas wegguckte. Die letzten drei bösen Terroristen musste er mit seinem Messer erledigen, da die wunderbare Waffe, welche ihm zur Verfügung gestellt worden war, keine Kugeln mehr hatte.
Er selbst sah sich als Held, wie er auf dem Dach stand in Blut und Gedärmen getöteter IS-Terroristen. Clint Eastwood würde einen Film über ihn drehen. Man würde ihm einen Orden verleihen und eine Backware nach ihm benennen.
Doch die oberste Heeresleitung der Bundeswehr sah das etwas anders. Und wie sich später herausstellte, waren auch nicht alle im Haus Terroristen gewesen, aber egal.
Er wurde strafversetzt.
Von der Bundeswehr ins Forstamt von Berlin. Der einzige Wald der Welt, in dem mehr Betrunkene und Junkies unterwegs waren als Hirsche und Wildschweine. Man entriss ihm seinen Revolver und sein Maschinengewehr, zwang ihn, seine Uniform abzugeben, und verfrachtete ihn in ein Jankerl mit Sauer XT. Einem Jagdgewehr. Nur eine blöde Patrone konnte das Ding verschießen, dann musste er an irgendeinem Hebel ziehen.
An den Dackel hatte er sich bis heute nicht gewöhnt.
In seiner Freizeit arbeitete er als Rettungssanitäter. Der Grund war tiefgründig: Phill hatte schon immer wissen wollen, wie es sich anfühlte, wenn jemand starb, für dessen Tod man nicht persönlich verantwortlich war.
„HALLO?“, schrie es aus seiner Hosentasche.
Der kleine fette Mann krabbelte von ihm herunter, um sich ein frisches Hemd aus seinem Kofferraum zu holen.
„Werden Sie mir helfen?“, fragte Phill.
„Jaja, geht schon klar“, sagte der kleine fette Mann.
Gemeinsam schoben sie den Fiat 500 gegen die Wand und zerquetschten ihn, so gut es ging. Phill parkte ein und die wartende Karawane wütender Berliner (ein wirklich geduldiges Volk) zog Kohl und Bierdosen werfend an dem Rettungswagen vorbei. Der Letzte verewigte sich sogar mit einem Graffiti auf der Seite des Rettungswagens, das lautete: EIN-BAHN-STRA-ßE! Auch Silben trennen konnten sie, die Berliner. Ein Volk so vielschichtig wie ein Marmorkuchen.
Phill war froh, dass die Sache zumindest einmal unblutig ausgegangen war, und schlenderte Richtung Haus der Patientin.
Ach und neben der alten Frau lag übrigens auch noch ein Baby im Sterben, das lustigerweise der alten Frau gehörte. Das diente zwar nur dazu, Ihnen vorzugaukeln, es gäbe noch groß was herauszufinden, was ja auch so ist, aber lesen Sie bitte trotzdem noch ein Kapitel, anstatt ins Bett zu gehen oder endlich mit dem Hund rauszugehen, dem das Pippi schon zu den Augen rauskommt. Auch Ihre Kinder und deren Essen kann noch warten (sind doch eh zu dick, oder?). Es ist gerade so schön spannend. Oder etwa nicht? Sollte ich erwähnen, dass der Atem des besagten Babys rasselte wie eine kaputte Heizung? Es möchte eines Tages Tierarzt werden, hatte pfirsichweiche zarte Haut und würde nie und nimmer seine eigene Mutter töten, sobald es alt genug war, um ein Messer zu halten. Oder etwa doch?
Würde Amra das Baby ohne Phill retten können? Schaffte es Phill mit seiner gemütlichen Gangart noch ins Haus, damit die alte Frau ihm ein Sahnebonbon anbieten konnte, bevor sie starb? Bereuen Sie jetzt schon, dieses Buch gekauft zu haben?
Bleiben Sie dran.
Gleich geht es weiter!