Kitabı oku: «Die Laternenwald-Expedition», sayfa 9

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»Wie haben die es so schnell zum Campus geschafft? Was machen wir jetzt bloß? Ich will nicht sterben!«, jammerte Tanja und sank weinend in sich zusammen.

Kelis Angst schwoll wieder an, diesmal um einiges mehr als zuvor. Sterben? Hier und jetzt? Das durfte nicht geschehen! Sie hatte doch gerade erst erkannt, was sie mit ihrer Zukunft anstellen wollte – war es schon an der Zeit, diese neu entdeckte, faszinierende Welt zu verlassen? Sie hatte doch noch nicht einmal Siebbier probiert …

Loyd schob sich durch das Gerangel und blickte mit scharfen Augen umher.

»Tanja, oder wie du heißt, würdest du bitte aufhören mit dem Geflenne?«, fuhr Loyd sie grob an. »Du machst den anderen Angst, und Angst ist genau das, was einen in so einer Situation ins Verderben reiten kann. Also hör auf damit

Tanja schob ihren Oberarm vor das Gesicht und schluchzte leise weiter. Naomi blickte Loyd vorwurfsvoll an, sagte aber nichts.

Ein Splittern erklang und feine Glasfragmente regneten auf die fünf Schutzsuchenden herab. Tanjas Wimmern wurde lauter.

»Anker, darf ich etwas vorschlagen?«, fragte Loyd ungehalten.

»Jo, nur zu. Ich bin im Moment etwas ratlos.«

»Ok. Hört mal alle her – du auch, Tanja.«

Naomi legte tröstend ihren Arm um Tanjas Schultern und zusammen stellten sie sich vor den hochgewachsenen Loyd.

»Ich kenne das Areal hier ziemlich gut. Eine der ersten Aufgaben überhaupt, die ich zu Beginn des Explorationsstudiums bewältigen musste, war, jeden Campus der HHF gründlich zu durchforsten. Ich weiß noch, dass es hinter dem Forschungszentrum, gleich da drüben, zwischen der Rückseite des Gebäudes und des Schutzzauns, einen engen Pfad gibt, wo der Müll deponiert wird. Schaut!« Loyd zeigte zuerst hinunter zum Treppenabsatz, dann wanderte sein Finger die Hausmauer entlang, wo hinter deren Ecke die Einmündung in den beschriebenen Durchgang zu sehen war.

»Dort können wir uns verstecken, bis wir uns was Besseres überlegt haben. Seid ihr einverstanden? Ich brauche euer Einverständnis, sonst klappt das nicht.«

Alle nickten halbherzig, auch Tanja, die angesichts der Tatsache, dass wenigstens einer einen Plan hatte, ein wenig Mut schöpfte.

»Na, dann los!«, ermutigte Loyd sie und schlich als Erster den letzten Abschnitt der Treppe hinab. Er spähte durch die Notfall-Tür des Erdgeschoßes. Als sich drinnen nichts rührte, winkte er die anderen herbei. Einer nach dem anderen zog geduckt an der Wand des Forschungszentrums entlang, an mehreren Fenstern vorbei und verschwand dann links hinter der Gebäudeecke. Loyd, der gewartet hatte, bis alle den Pfad sicher erreicht hatten, drehte sich noch einmal um und überprüfte die Umgebung auf Verfolger, dann schlüpfte er ebenfalls in die schattige Passage hinein, wo sich die Abfallsäcke türmten.

In der Gasse war es sehr eng und es stank nach verdorbenen Essensresten. Keli und Naomi konnten sogar beinahe nebeneinander passieren, jedoch galten für Anker generell andere Maßstäbe. Er musste seinen Bauch unangenehm einziehen, damit er in den Gang hineinpasste, und nicht einmal so war der Weg breit genug für ihn, um reibungslos hindurch zu kommen. Glücklicherweise war Anker als Erster eingebogen und arbeitete sich bis zum Ende der Passage voran, wo er verharrte. Keli, Naomi und Tanja blieben auf halbem Wege stehen und lehnten sich an die kühlen Stahlstäbe des Schutzzauns. Loyd übernahm den Überwachungsposten am Anfang des Durchgangs.

Keli atmete tief durch, um ihrer Angst entgegenzuwirken. In was war sie da bloß hineingeraten? Sie starrte gedankenverloren auf die gigantische Mauer des Forschungszentrums vor sich. Ob sie alle diesen Schlamassel heil überstehen würden? Sie begann zu bezweifeln, dass sie ihre Eltern je wiedersehen würde. Wenn sie schon jetzt solche Mühe hatten, überhaupt aus der Stadt rauszukommen, wie sollten sie dann in Kael bestehen?

Unbewusst auf die Wand vor sich stierend, wurde Kelis Aufmerksamkeit plötzlich auf eine Unebenheit vor ihr gezogen. Ihr Blick schärfte sich und sie konnte wahrnehmen, wie ein gutes Viertel der Gemäuer links von ihr grob und steinig wirkte. Der große Rest weiter rechts, wo Anker verweilte, erschien hingegen glatt, sauber und modern. Erst jetzt fiel Keli auf, dass es auf der Rückwand des gesamten Forschungszentrums lediglich ein einziges, kleines Fensterchen gab. Die uralt aussehende Luke befand sich auf ihrer Höhe und in jenem Teil der Mauer, der alt und rau erschien. Anscheinend hatte Anker der Öffnung in der Wand beim Vorbeizwängen keine Beachtung geschenkt, doch jetzt, wo Keli sie bewusst wahrnahm, erkannte sie, dass von dort schwache Lichtstrahlen auf den schmalen Pfad fielen. Loyd war offenbar wieder in Lichtschatten gehüllt und nicht zu sehen, daher war es wohl am besten, wenn sie selbst die Sache kurz untersuchte, entschied Keli beherzt.

Sie schlich näher an die Luke heran, bis sie unmittelbar davorstand. Naomi, die sich um die zerknitterte Tanja kümmerte, bemerkte nicht, wie Keli sich näher an die Vertiefung in der Wand herantastete, während Anker und sein Bauch vorsichtig am Ende des Pfades um die Gebäudeecke lugten. Keli schob ihren Kopf sachte vor das Glas. Die Scheibe war ungewöhnlich dick und eine Dreckschicht trübte den Blick hinein. Mit angehaltenem Atem erkannte Keli ein in ihre Richtung geklapptes Stehpult, flankiert von zwei uniformierten Typen, deren Blicke auf eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes gerichtet waren. Keli zog ihren Kopf hastig wieder ein. Das mussten Schmelzfrontler sein, dachte sie ängstlich. Zum Glück standen sie mit dem Rücken zu ihr, sonst hätten sie sie wahrscheinlich entdeckt. Sie musste Anker unbedingt mitteilen, was sie eben gesehen hatte, doch wollte sie auf keinen Fall am Fensterchen vorbeigehen.

»Anker … Anker!«, hauchte Keli so leise sie konnte.

Anker, der sich nicht umdrehen konnte, kam rückwärts mit schürfendem Geräusch auf Keli zu.

»Keli, was ist los? Sind wir entdeckt worden?«, fragte er dumpf.

»Nein, aber da ist etwas, das du dir ansehen solltest. Komm bitte hierher. Ich habe eben durch die Luke da geguckt. Ich glaube, da sind Schmelzfrontler drinnen.«

Anker schob sich umständlich an der Vertiefung vorbei, um einen Blick in den Raum erhaschen zu können. Allmählich wurden auch die anderen der Gruppe auf das Geschehen aufmerksam. Loyd kam nun wieder sichtbar auf das Gedränge zugeschritten.

»Was macht ihr da?«, fragte er sofort, doch er erhielt keine Antwort.

Anker reckte seinen klobigen Kopf vor die trübe Glasscheibe; fast im selben Augenblick zog er ihn wieder ein. »Mist, ich befürchte, sie haben mich gesehen«, quiekte er mit seltsam hoher Stimme.

»Was zur Hölle? Wer hat uns entdeckt? Wie?«, keuchte Loyd fassungslos, doch Anker machte der Truppe bereits Beine: »Rennt! Die werden gleich hier sein!«

Anker zwängte sich, so schnell er konnte, wieder vorwärts durch die schmale Gasse, Keli, Naomi und Tanja dicht dahinter. Loyd begriff erst jetzt, als die anderen vor ihm am Fensterchen vorbeigezogen waren, dass darin Licht brannte. Er begab sich vor das trübe Glas und blinzelte hinein. Eine böse Fratze lachte ihm entgegen. Der Mann hinter der Scheibe machte mit der Hand eine halsabschneidende Geste, die Loyd allerdings unbeeindruckt an sich vorbeiziehen ließ. Loyd strich erneut Stein über Hand und verschmolz augenblicklich wieder mit der Umgebung. Das Lachen auf dem Gesicht des Mannes erlosch unweigerlich.

Kaum war Anker am Ende der Passage angelangt, kamen schon die ersten Schmelzfrontler mit erhobenen Holzschwertern in die Einmündung des Durchgangs hinter ihnen gestürmt.

»Da vorne sind sie – zack-zack!«

Mit Gebrüll preschten die Angreifer den Frauen am Ende des Weges hinterher – weit kamen sie allerdings nicht. Kaum waren die ersten der uniformierten Schwertträger an der kleinen Luke in der Wand vorbei, fielen sie auch schon kopfüber auf einen Haufen, der immer grösser wurde. Loyd hatte vorgesorgt und einen transparenten Faden auf Knöchelhöhe quer durch die Gasse gespannt – eine Methode, Fallen zu stellen, die er im Explorationsunterricht gelernt hatte und auch schon zwei, drei Mal in freier Wildbahn angewandt hatte. Holzschwerter wirbelten durch die Gegend und Filzhüte purzelten den Weg entlang. Keiner wusste so recht, was ihm geschehen war. Doch rafften sich die Leidtragenden rasch wieder auf und trabten ein wenig umsichtiger weiter, bis das nächste Hindernis sich ihnen in den Weg stellte. Eines der abhandengekommenen Holzschwerter hatte sich selbstständig gemacht und sauste nun lebensgefährlich vor den Angreifern hin und her.

An von selbst schwingende Waffen waren sie zwar nicht gewöhnt, dennoch waren sie eine starke, weltberüchtigte Truppe, die ob dieser seltsamen Begegnung nicht einfach den Rückzug antrat. Als die verwunschene Klinge nichts weiter zu tun schien, als unbekömmlich herumzufuchteln, erwogen die Mutigsten der Meute, es mit der Teufelei aufzunehmen.

Ein besonders hünenhafter Kerl mit blutunterlaufenen Augen und verfilztem Bart trat vor und begann, auf die hölzerne Klinge einzudreschen. Doch schon bevor er das Schwert auch nur berührt hatte, fiel es rasselnd zu Boden und machte keinen Mucks mehr. Der Riese drehte sich zu seinen Kumpanen um und meinte mit verschlagener Miene: »Ich habe es besiegt. Habt ihr das gesehen? Meine Fresse, ich habe ein fliegendes Schwert bezwungen …«

Die Herde wieherte laut, klatschte anerkennend und begann dann allmählich, wieder vorzurücken.

Loyd hatte es nicht riskieren wollen, von einem wild um sich schmetternden Troll abgemurkst zu werden und hatte Reißaus genommen. Er hoffte, dass sich die anderen unterdessen irgendwo in Sicherheit gebracht hatten. Als er um die Ecke des Forschungszentrums am Ende der Wand stob, wurde seine Zuversicht jedoch zunichte gemacht. Keli, Anker und Naomi waren alle um Tanja versammelt, die auf dem Boden saß und ihr Bein umklammert hielt.

»Verdammt noch mal. Wieso seid ihr noch nicht weiter? Schnell weg hier. Die Schmelzköpfe kommen jeden Augenblick durch die Gasse!«

»Sie hat sich vorhin beim Fall von der Treppe den Fuß verletzt und wir können uns nicht ausreichend konzentrieren, um Licht zu bündeln. Kannst du sie tragen?«, sagte Naomi mit atemlos bebender Stimme.

»Ich tue, was ich kann. Bringt euch in Sicherheit, schnell! Versucht es doch mit den Tresorräumen.«

Loyd scheuchte sie mit einer wilden Handbewegung weiter, trat eilends vor Tanja hin und kniete mit dem Rücken zu ihr nieder. Von Loyds Worten angetrieben wetzten Anker, Keli und Naomi um den Block herum, unter den gläsernen Übergängen, die das Gebäude mit der Bibliothek verbanden, hindurch, in Richtung Zentrumseingang.

Tanja wollte gerade nach Loyds Nacken greifen, als die ersten Schmelzfrontler um die Ecke gehastet kamen. Für einen Moment erwog sie, auf Loyds Rücken zu steigen und umklammerte bereits seinen Hals – dann lockerte sie ihren Griff.

»Tanja, nicht! Was machst du denn? Halt dich an mir fest!«

Doch Tanja hörte nicht auf Loyd. Er bemerkte, wie sie begann, das Licht aus ihrem Körper in einem Stein in ihrer Hand zu bündeln, woraufhin ihre geschlossene Faust glutrot zu glimmen begann.

»Loyd, bitte geh! Pass auf dich auf und sag Anker … sag ihm, dass es mir leidtut.«

Eine einzelne Träne rann über Tanjas Wange, dann stand sie abrupt auf. Ihr Gesicht von Entschlossenheit geprägt, humpelte sie unerschrocken auf das sich nähernde, laut johlende Heer von Schmelzfrontlern zu. Loyd wollte gerade gegen ihren Entscheid protestieren, als er von der Kraft des Lichts, das vom Stein in Tanjas Hand ausging, zurückgeworfen wurde. Die Atmosphäre war derart von aufwallender Energie geladen, dass Tanjas Äußeres kaum noch zu erkennen war.

Als die Angreifer Tanja erblickten, die entschlossen auf sie zutrat, lachten diese sie zuerst aus und machten abfällige Bemerkungen über sie.

»Schaut euch diesen Glühwurm an. Dich machen wir fertig!«, grölte die Schar.

Tanja schleppte sich unbeirrt weiter an die dichter werdende Angriffslinie der Schmelzfrontsoldaten heran, die unterdessen einen obszönen Schlachtgesang angestimmt hatten. Dann hoben die törichtesten der Gangster ihre Holzschwerter und stürzten sich lauthals auf sie.

»TANJA – TU DAS NIIICHT!«

Loyd konnte nichts mehr ausrichten. Etwa fünf der Angreifer prallten zugleich mit Tanja zusammen. Es gab einen grellen Lichtblitz und einen gewaltigen Donnerschlag. Tanjas gebündeltes Licht und die negative Schwärzung des Holzes reagierten Knochenmark erschütternd miteinander. Die Wucht der Schockwelle riss Loyd vom Boden und ließ ihn mehrere Meter durch die Luft fliegen. Er landete auf der grasigen Fläche unter den Luftbrücken zur Bibliothek, wo die Wiese und Loyds Rucksack seinen Aufprall abdämpften. Aufgrund seiner antrainierten Reflexe in Gefechtssituationen – Kampfsport war Teil der Explorationsausbildung – versuchte Loyd augenblicklich, wieder auf die Beine zu kommen.

In kniender Haltung musste er einen Moment lang ausharren, damit sich seine Augen wieder einigermaßen an die Umgebung gewöhnen konnten. Außerdem dröhnte ihm furchtbar der Kopf. Einen Moment lang wusste er nicht, was mit ihm geschehen war und er fühlte sich, als müsste er sich übergeben.

Er blickte dorthin, wo das Unglück eben stattgefunden hatte. Niemand stand mehr dort. Ein feiner roter Nebel, der das Schlachtfeld in einen unheimlichen Schatten tauchte, hing in der Luft. Bei der Detonation war ein beträchtliches Stück der Gebäudeecke abgesprengt worden.

Loyd richtete sich langsam auf. Sein Gehör schien nicht richtig zu funktionieren. Allerdings konnte er aus der Mündung der Gasse bereits wieder Umrisse von Personen erkennen, die sich ihm näherten. Gebückt torkelnd bewegte er sich Richtung Eingangsbereich des Forschungszentrums fort. Ihm war inzwischen speiübel. Seitlich des Eingangs versuchte er, sich in Lichtschatten zu hüllen, doch seine psychische Verfassung ließ es nicht zu. Außerdem hatte er heute schon einiges Licht an die Umgebung abgegeben und war durch die Schwärzung geschwächt.

Er betrat den aus blauem Granit geschaffenen Eingangsbereich des Zentrums, wo einige dunkel angelaufene Wesen regungslos auf dem Boden lagen. Ziemlich sicher hatten sie einen Schlag mit einem geschwärzten Schwert abgekriegt, jedoch sah Loyd nicht genauer hin, denn er befürchtete, seine Knie würden bei dem Anblick nachgeben.

Dank seiner Erforschungstouren wusste er genau, wo sich die Tresoranlage befand und er schlich geduckt in den mit Plakaten geschmückten Korridor, der ihn vor die mehrfach gesicherte Stahltür der Tresorräume führte. Von Keli und den anderen fehlte allerdings jede Spur. Loyd hoffte, dass sie es in die Hochsicherheitsabteilung geschafft hatten. Als er vor dem massiven Portal ankam, erkannte er, dass die Pforte ins Innere der eigentlich abgesicherten Einrichtung einen Spalt breit offenstand. Er hielt vor der Stahltür inne und lauschte. Gedämpft konnte er höhnende Stimmen hören, die in einem fremden Dialekt sprachen. Die Stimmen näherten sich und Loyd war gezwungen, in den Gang rechts neben der Stahltür auszuweichen. Er schritt den langen Korridor entlang, der zuerst der eben durchquerten Passage ähnelte – weiß und makellos –, dann wurden die Wände dunkler und rauer Stein begann, sich an den Mauern entlang zu zeigen. Auch die Türen hier machten einen uralten Eindruck. In diesem Bereich des Zentrums waren sie aus antikem, dunklem Holz, mit ausgearbeiteten Schnitzmustern verziert und mit großen, elegant geschwungenen Türklinken bestückt. Hier war Loyd noch nie gewesen, nicht einmal auf seinen Uni-Streifzügen. Bald kam er am Ende des Ganges an. Es war eine Sackgasse. Hinter ihm konnte er aufgeregte Stimmen vernehmen. Loyd schaute sich um und entdeckte eine Tür; die letzte auf der linken Seite des Korridors. Er schob sie am Griff vorsichtig auf und war bereit, sich, wenn nötig zu verteidigen – zu seiner Überraschung jedoch fand er Anker, Keli und Naomi um eine breite, rundliche Öffnung im Fußboden versammelt, die sich ungefähr in der Mitte des Zimmers befand.

»Loyd, meine Güte, hast du mich erschreckt!«, stieß Naomi hervor, beide Handflächen abwehrend auf Loyd gerichtet, als er den Raum betrat. »Wo ist Tanja?«

Loyd ließ sich einen Moment Zeit und holte tief Luft, ehe er antwortete. »Sie hat ihr Licht gebündelt und ist in die Bibliothek zurückgekehrt«, log Loyd mit düsterer, ausgezehrter Miene.

»Und was war das für eine Explosion? Das ganze Gebäude hat gebebt«, erkundigte sich Anker noch immer mit etwas höherer Stimme als sonst.

»Keine Ahnung. Die Schmelzköpfe werden wieder irgendetwas in die Luft gejagt haben. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Wo sind wir, und was ist das für ein Ort?«, fragte Loyd, ohne weiter auf die Fragen seiner Gefährten einzugehen, wobei er auf das nach vorne geklappte Rednerpult, welches zuvor offensichtlich die Öffnung im Boden verdeckt hatte, zeigte.

»Wir waren gerade dabei, das herauszufinden. Das ist der Raum, den wir von draußen durch die Luke sehen konnten. Wir befinden uns im Mondstein Sanktuarium, dem ältesten Teil dieses Campus. Dies war einst lediglich ein kleiner Unterrichtsraum, wo Lailac, der Gründer der Hochschule von Herbstfeld, die ersten Gastvorlesungen hielt. Um dieses Gebäude herum wurde dann der Lichterloh-Campus der Hochschule von Herbstfeld errichtet und weiter ausgebaut. Das Sanktuarium steht heute unter Denkmalschutz und ist eigentlich nicht öffentlich zugänglich. Um hier hereinzukommen, bräuchte man einen Schlüssel, den der Rektor, Professor Lohenhertz, höchstpersönlich aufbewahrt«, klärte Anker auf und hob vorsichtig den Kopf über das Loch, in das eine schlichte Metallleiter eingearbeitet war, die sich im finsteren Abgrund verlor.

»Oder die Tür wurde von innen geöffnet«, argwöhnte Naomi und deutete auf einen Hebel unter der Türklinke, der es offenbar erlaubte, die Türe von innen ohne Schlüssel auf- und zuzuschließen.

Loyd kniete nun vor der dunklen Grube nieder und versuchte, etwas darin zu erkennen. Geisterhafte Nebelschwaden, die Loyd die Nackenhaare zu Berge stehen ließen, stiegen aus dem Schacht empor. Weiter unten nahm er eine schwache Lichtquelle wahr, doch ansonsten war weder etwas zu erkennen, noch zu erlauschen.

»Könnte es sein, dass die Schmelzfrontler einen unterirdischen Tunnel gegraben haben und hier nach oben gekommen sind?«, meldete sich Keli vorsichtig.

»Durchaus denkbar«, antwortete Loyd trocken.

»Unmöglich!«, entfuhr es Anker, wobei er mit den Knöcheln das dreibeinige Ende des detailliert ausgearbeiteten, hölzernen Katheders abklopfte. »Dieses Pult ist zig hundert Jahre alt. Somit werden die ganze Vorrichtung und das Loch hier ebenso alt sein. Schaut, wie der Sockel des Pultschafts sauber in den Boden eingearbeitet ist. Den Tunnel da unten muss es schon zu Zeiten Lailacs gegeben haben, wenn ich mich nicht sehr täusche. Das ist eine fabelhafte Entdeckung.«

»Das heißt aber nicht, dass die Schmelzfrontler die Vorrichtung nicht zumindest benutzt haben«, bemerkte Naomi mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen.

»Genau. Ich habe gesehen, wie zwei der Terroristen neben diesem Loch standen, als ich vor ein paar Minuten durch die Scheibe guckte. Es sah so aus, als würden sie es bewachen, und sie haben dabei unablässig auf die Tür gestarrt«, erklärte Keli den anderen, wobei alle gleichzeitig auf den Einlass im Boden und anschließend zum Zimmereingang hinüberblickten.

In diesem Moment gab es einen lauten Knall, dem ein Splittern folgte, dann johlendes Gebrüll: »Kommt raus, ihr Würmer! Wo seid ihr? Wir werden euch finden und in Stücke reißen!« Gelächter und randalierende Geräusche drangen durch die geschlossene Zimmertür herein.

»Verflucht. Die sprengen jede Tür auf, bis sie uns gefunden haben. Was sollen wir bloß tun?«, fragte Naomi angespannt. »Sollen wir uns ergeben?«

»Das werden wir nicht tun«, sagten Anker und Loyd wie aus einem Munde.

Ankers Stimme wurde nun sehr ernst. »Wir werden diese Mission nicht abbrechen, ehe wir damit überhaupt begonnen haben. Ich werde es nicht zulassen, dass Lichterloh zugrunde geht, nur weil wir uns von einer solchen Affenbande aufhalten ließen. Wir steigen jetzt da runter. Mal sehen, wo der Tunnel uns hinführt«, sagte Anker bestimmt. »Los, Naomi, du gehst zuerst, gefolgt von Keli und mir. Zuletzt Loyd, der die Tür bewacht«, gebot Anker und setzte seinen Rucksack ab.

Sie schmissen alle Gepäckstücke die Leiter hinunter, da sie sonst nicht hindurchkommen würden. Die Artenfibel trug Naomi dennoch auf dem Rücken, während sie, so schnell es die spröden Sprossen zuließen, eine nach der anderen nahm und in dem tiefschwarzen Abgrund verschwand. Keli folgte ihr schaudernd in den kühlen Schacht hinein. Eine weitere Explosion war zu hören, diesmal schon deutlich näher. Wahrscheinlich hatten sie die Zimmertür von nebenan weggesprengt. Offenbar waren die Schmelzfrontler der Auffassung, sie alle würden sich überall sonst, nur nicht in diesem Raum aufhalten, da hier eigentlich Wachen postiert sein sollten.

Nun war Anker an der Reihe. Mit letztem, bangem Blick zur Tür, wo Loyd gerade am Schlüsselloch lauschte, zwängte er sich in den Schacht – den er auch mühelos auszufüllen vermochte.

»Loyd!«, quakte Anker mit unheilschwangerer hoher Stimme. »Bei allen Riesengurken auf Erden – ich stecke fest!«

Loyd schritt sofort auf Anker zu, wusste aber nicht recht, wie er helfen sollte. Vielleicht würde es etwas bringen, wenn er ihn an den Schultern hinunterstieß? Ehe Loyd ihn jedoch überhaupt berührt hatte, rutschte Anker ruckartig in das Loch hinein, als ob ihn jemand hinuntergezogen hätte.

»Herrje, herrje, wenn wir hier je heil wieder rauskommen, werde ich mir definitiv ein Fitness-Abo in einer Wesenspa einlösen«, meinte Anker heiser, während seine letzten Haarbüschel in der Finsternis versanken.

»Danke euch fürs Ziehen, ihr beiden«, war Ankers erleichterte Stimme aus dem Schacht zu vernehmen.

Als sein Kopf verschwunden war, begab Loyd sich auf die ersten Stufen der rostigen Leiter und versuchte, das Loch mit dem Fußstück des Katheders über sich zu schließen, so dass die Angreifer ihnen nicht sofort folgen konnten – doch es bewegte sich keinen Zentimeter.

»Loyd, was machst du da oben so lange – komm endlich runter!«, zischte Naomi die Sprossen hinauf.

Loyd antwortete nicht, stattdessen hüpfte er behände wieder aus dem Schacht an die Oberfläche. Er würde versuchen, die Vorrichtung mit sich in die Tiefe zu ziehen. Er hatte den Schaft des Pults gerade berührt, als im selben Augenblick die Zimmertür aufkrachte und mehrere Schmelzfrontler hereingestürmt kamen.

Loyd, vom plötzlichen Überfall überrascht, strich Stein über Hand und streckte den Angreifenden flink seine neun Finger entgegen. Im selben Moment wurde es im Zimmer stockdunkel. Während unter den Schmelzfrontlern im Raum allgemeine Verwirrung herrschte, machte Loyd einen blinden Hüpfer dorthin, wo er die Öffnung im Boden vor seinem geistigen Auge sah. Er schlüpfte gerade noch rechtzeitig hindurch und arbeitete sich blindlings die kalten Sprossen hinunter.

»Macht das Licht aus«, fauchte Loyd den anderen entgegen, die am Fuß der Leiter auf ihn warteten. »Ich habe oben eine Schattenwand erzeugt und das restliche Licht der Umgebung vorübergehend entzogen. Wenn sie das Licht hier unten entdecken, dann …«

Naomi ließ die Lichtkugel auf ihren Handflächen erlöschen. Von oben drang höhnendes Gebrüll zu ihnen herab: »Ihr elenden Studentenschweine, wir werden euch erwischen! Mit so einem billigen Trick entkommt ihr uns nicht, hört ihr?«, grölten sie in Rage.

Loyd, Keli, Naomi und Anker erstarrten und spähten wie versteinert die unsichtbare Leiter empor.

Einige Augenblicke verstrichen, bis Keli hörbar verängstigt wimmerte: »Lasst uns gehen. Ich denke, wir sollten dem Licht da drüben folgen.«

Im selben Moment, in dem sie diese Worte aussprach, fiel ihr wieder ein, was ihr die Hängekirsche auf dem Dach in Herbstfeld mitgeteilt hatte: »Folge nur dem Licht.«

Gestärkt durch ihre Erinnerung begann sie mit ausgebreiteten Armen, den zu Tode geängstigten Rest der Gruppe in Bewegung zu setzen.

»Ja … ich denke, das wird wohl das Beste sein«, raunte Anker mit einem Kloß im Hals und ließ sich wie Loyd und Naomi von Kelis Geste in Richtung Licht steuern.

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