Kitabı oku: «Wettkampfkulturen», sayfa 10
1.3 waltant got: Hildebrands Transzendenzen
Hadubrands Strategie der Unterstellung hebt sich auch deshalb ab, weil Hildebrand strategisch anders kommuniziert und handelt. Doch greift er in andere Richtung aus. Während die Latenzstrategie des Sohnes dazu neigt, die Komplexität möglicher Vorgeschichten einzulagern, lagert der Vater jeglichen Begründungsbedarf aus – in berühmten, aber religionsgeschichtlich schwierig einzuschätzenden Transzendenzbezügen.1 Auch diese Transzendenzgesten haben zunächst epistemische Implikationen. Statt nämlich auf das Sagenwissen seines Sohnes mit nur einem Wort korrigierend einzugehen, bekräftigt Hildebrand lediglich seine Sippenzugehörigkeit durch einen Schwur zu Gott »oben im Himmel«:
»wettu irmingot«, quad Hiltibrant, »obana ab hevane,
dat du neo dana halt mit sus sippan man
dinc ni gileitos.«
(V. 30–32)
»Ich rufe als Zeugen«, sprach Hildebrand, »Gott oben im Himmel,
daß du doch niemals mit einem so nah Verwandten
einen Streit geführt hast.« (Übers. Haug)
Hadubrand indes locken solche Schwüre kaum aus der Reserve. Ganz im Gegenteil zieht er auch transzendente Zeugen in das latente Täuschungskalkül hinein: Bei Gott zu schwören, könnte nur ein neuer Zug der List sein. Ein zweites Mal, nur umgekehrt greifen die Strategien ineinander, als Hildebrand dann doch in eher kryptischer als signalhafter Anspielung an das Vorwissen des Sohnes anknüpft: Wohl kaum habe der Junge die Mühen der Verbannung ertragen müssen. Doch wieder wendet sich Hildebrand von solchen Aufdeckungsmöglichkeiten jäh ab (V. 49): »welaga nu, waltant got«, quad Hiltibrant, »wewurt skihit.[«] Auch über diesem Vers türmen sich Forschungskontroversen. Ausführlich hatte die ältere Forschung darüber debattiert, ob hier der christliche Gott über germanische Schicksalsauffassung hereinbreche.2 Hält man sich hingegen textnah an die Formen solcher Transzendenzbezüge, lässt sich erkennen, dass auch Hildebrand mit diesen Wendungen jegliche Unbestimmtheiten der Interaktion ausräumt – ist das Geschehen mit solchen Worten als wewurt gefügt, hat der Streitdialog keine Möglichkeiten mehr zu verhandeln, sondern bloß noch Wirklichkeit abzuwickeln, zu der es keine Alternativen gibt.3 Sogleich sind die Schwerter zur Hand. Während Hadubrand also komplexe Differenz auf Latenz herunterrechnet, rechnet sie Hildebrand zu Transzendenzen hoch. Beide Gesten bleiben auf die Figurenebene begrenzt und werden dadurch eigentümlich ausgestellt: Statt eines umfassenden Gottesurteils, das eben zur Zeit der Aufzeichnung des Textes in Fulda zur Diskussion stand, präsentiert das Hildebrandslied somit Bearbeitungsformen in der Rede von Streitfiguren, die auf Kontrast angelegt sind.
1.4 Abgewiesene Gaben: Exposition von Kontingenz
Insgesamt profiliert der heldenepische Streitdialog damit eine doppelte Wettkampfform. Zweimal alternieren nach knapper Einleitung die Wechselreden zwischen Vater und Sohn; und zweimal prallen gegenläufige Strategien aufeinander, die Differenzen gegeneinander verschieben – in Richtung latenter Einlagerungen (Hadubrand) oder transzendenter Auslagerung (Hildebrand).1 Beide Richtungen prägen in der Formgeschichte von Wettkampfkommunikation nicht nur prominente Modelle von langer Dauer aus, an die auch viele spätere Texte des Mittelalters anknüpfen, die z.B. von ›Kämpfen mit dem Freund‹2 oder gottesgerichtlichen Zweikämpfen3 erzählen. Analytisch aufschlussreich könnte es ebenso sein, das komplementäre Verhältnis solcher Modelle zu berücksichtigen. Latenz heißt in funktionaler Hinsicht, Unterscheidungen derart zu unterstellen bzw. in einen Raum hineinzustellen, dass sie potentiell rekonstruierbar, aber aktual entzogen sind.4 Solche Einschlüsse zielen einerseits auf Sicherung von Komplexität durch Einschluss;5 andererseits sensibilisiert ihre potentielle Erhaltung im Gegenzug dafür, verborgene Differenzen auch in Kontexten zu entdecken, hervorzuholen und buchstäblich zu produzieren, die sich erklärtermaßen einfach geben. Wenn agonale Logik ihre Differenz grundsätzlich alternieren lässt,6 könnte man somit festhalten, dass Hadubrand die Grundform des Wettkampfs nach innen hin erweitert, um ihre Komplexität kurzerhand Hildebrand zu unterstellen. Transzendenz hingegen bedeutet, Außenverhältnisse zu markieren – sei es durch Ausrichtung auf Unverfügbares, das als Kontext herangezogen wird, oder durch Akte der Überschreitung, die in einen Kontext einbrechen. Im Sinne solcher transzendenter Grenzüberschreitungen erweitern Hildebrands Gottesbezüge die Wettkampfform nach außen, ohne sie dadurch bestimmen zu können, wie seine notorisch vagen, mehrdeutigen Formeln zeigen.
Vage bleibt dieser Ausgriff im Rahmen des gesamten Streitdialogs keineswegs. Denn Transzendenzgesten treten Latenzvorwürfen nicht einfach als unbestimmte Alternativen, sondern als komplementäre Formen gegenüber. Oder näher am Text formuliert: Der Streitdialog, in dem sich zwei asymmetrisch verkennen, bedient sich Formen der Differenzverarbeitung, die symmetrisch aufeinander abgestimmt sind. Dass Hildebrand und Hadubrand engstens aufeinander bezogen scheinen und doch aneinander vorbeireden können, hat hierin seinen formalen Grund. Dies verbindet sich auch mit anderen Dimensionen der formalen Abstimmung, die der Forschung länger bekannt sind: Nicht nur greifen die Redeanteile alternierend ineinander, sondern wachsen bzw. schrumpfen in chiastisch ausgeklügelter Abfolge.7 Auch die Schriftpoetik des Dialogs streicht also seine agonale Symmetrie heraus, während er von Asymmetrien erzählt.
So geordnet dieses Arrangement erscheint, es birgt eine unwahrscheinliche Konfiguration, die sich auf verschiedenen Ebenen leicht auflösen ließe. Um mit einer keineswegs abwegigen Handlungsalternative zu beginnen: Hildebrand und Hadubrand hätten einfach kurz bei ihren Heeren nachfragen können, wie etwa Chroniken von fränkischen Bruderkriegen zu berichten wissen; oft sind es die Gefolgsleute, die entscheidende Informationen zur Konfliktlösung liefern. Zweitens ließen sich dialogische Vertiefungen oder Bezugnahmen erwarten: Denn ebenso häufig wie Täuschungsvorwürfe die Darstellung von Zweikämpfen durchziehen, finden sich eingehendere Antworten als bloße Schwüre – von der Fredegar-Chronik bis zur Heldenepik des Spätmittelalters.8 Es betrifft drittens alternative Wirkungen der Dinge: Gaben können vor der Schlacht abgelehnt werden, aber auch symbolischen Ausgleich oder Unterwerfung herbeiführen und dadurch gemeinsame Ordnung (ganz gleich welcher Form) stiften. Zahlreiche Wege zur Vereinfachung wären also denkbar. Wodurch werden die Wettkampfprinzipien der Latenz und der Transzendenz dann aber voneinander unterschieden und miteinander in Geltung gehalten? Wodurch ermöglicht und provoziert das Hildebrandslied diese doppelte Formbildung? Die wenigen überlieferten Verse diskutieren diesen Punkt nicht explizit. Doch kann man ihn mit jenem heuristischen Argument rekonstruieren, das Jan-Dirk Müller als ›Spielregel‹ von Texten beschrieb, die widersprüchliche oder unwahrscheinliche Ordnungen miteinander konfrontieren, ohne sie in stimmiger Handlungsführung oder einheitlichen Darstellungsnormen aufzulösen.9 Fragt man also danach, was das Hildebrandslied ausschließen muss, um seine Konfrontation derart abzustimmen, lassen sich zwei Regeln entziffern, die das Geben und Nehmen regulieren. Erstens: Gemäß heroischem Komment gibt der Ältere nie zuerst seinen Namen preis.10 Zweitens: Vom Gegner nimmt man keine Geschenke an.11 Während die erste Beschränkung verhindert, dass Hildebrand sich bereits zu früherem Zeitpunkt und unabhängig von schillernden hunnischen Armreifen als Sippenmitglied ausweist, unterdrückt die zweite Beschränkung eine friedliche Aussöhnung im Medium der Gabe. Gedächtnis und Gaben, die doch so aufdringlich hervortreten, müssen also auf Figurenebene geradezu ostentativ zurückgehalten und begrenzt werden. Das Lied erweckt dadurch den Eindruck, Hildebrand und Hadubrand verkennten einander gezielt, indem sie Identifizierungsangebote eröffnen und verweigern.12
Auch das hat formale Aspekte. Das betrifft zum einen Latenzen, die sich prinzipiell aufdecken lassen.13 Doch auffälligerweise hält Hildebrand die Möglichkeit ausgeschlossen, latentes Sippenwissen aufzudecken, über das er durchaus detaillierter verfügt, wie er unterstreicht. Hadubrand möge ihm nur einen Namen nennen, so wisse er alle anderen zu nennen, denn er kenne jedermann:
ibu du mi ęnan sages, ik mi de odre uuet,
chind, in chunincriche: chud ist mir al irmindeot.
(V. 12f.)
Wenn du mir einen nennst, kenn ich die andern;
in diesem Königreich, junger Mann, sind mir alle Großen bekannt.
(Übers. Haug)
Genau dies aber tut der Vater nicht: Das Versprechen vollkommenen Erkennens bleibt uneingelöst.14 Statt mit Auskünften zum ausgedehnten Sippennetz antwortet Hildebrand mit einem kompakten Geschenk, das seine huldi (V. 35) vor Gott bezeugen soll. Angedeutet und abgewiesen wird damit die Alternative, sich mit genealogischem Vorwissen zu akkreditieren.15 Auch Hildebrands zweite Apostrophe wiederholt dies: Zwar erinnert ihn die Rüstung seines Sohnes kurz an seine eigene Vasallengeschichte, doch bricht Hildebrand erneut ab. Angedeutet wird ein zweites Mal die Möglichkeit, latentes Wissen aufzudecken und direkt zu beantworten, was ein zweites Mal auf Transzendenz ausgelegt wird.
Umgekehrt verwehrt der junge Hadubrand Transzendenz – im strukturellen Sinne also alles, was unerwartet auf ihn hereinbricht. Gaben soll man mit dem Speer empfangen, Spitze gegen Spitze, wie er »verblendet« in V. 37f. entgegenhält.16 Weder die Transzendenz der Gabe lässt dies kommen,17 noch gewährt es irgendeine Atempause, in der sich die mehrschichtige Verknüpfung von Schenkendem und Empfangendem überhaupt näher verhandeln ließe, die da auf ihn hereinbricht.18
Einen derart profilierten Kontrast von angedeuteten Alternativen und Ausschluss wird man zwar als planvoll, aber kaum mehr als tragisch auffassen können.19 Anders als vergleichbare indoeuropäische Wandersagen vom Vater-Sohn-Kampf aus Unwissen stellt das Hildebrandslied somit überdeutlich die Kontingenz der Streitkommunikation heraus,20 in der das eigenartige Verkennen der Figuren nur durch selektive Beschränkungen gewonnen wird,21 die für heldenepische Konfrontationen keineswegs üblich sind. Formal betrachtet kann man die Wettkampfbedingungen des Hildebrandsliedes also vielleicht noch prägnanter fassen: Latenz und Transzendenz dürfen im Streit zwar nebeneinander treten, nicht aber ineinander greifen, um das labile Strukturgleichgewicht nicht aufzulösen. Während der Vater nichts aufdecken darf, kann der Sohn nichts annehmen. Das Hildebrandslied unternimmt alles, um solche Kurzschlüsse zu verhindern.
Dazu ist es nötig, andere Regeln der Heldenepik außer Kraft zu setzen. Um es lapidar zu sagen: Helden erkennen einander sofort, spätestens im Kampf – verglichen mit Täuschungs- und Verkleidungshandlungen höfischer Erzählungen verlangen Heldenepen jedenfalls weitaus anspruchslosere Schritte der Identifizierung.22 Verkennen wird dann zur unwahrscheinlicheren, künstlicheren Gattungsoption, die rasch zusammenfallen kann. Die Hildebrand-Figur ist für solche Markierung von Künstlichkeit und ihrer Auflösung ein besonders beliebter Kandidat der Heldenepik, wie das Epos von Alpharts Tod in einer ähnlichen Situation illustriert. Auch hier begegnen sich unerkannt Verwandte im Zweikampf. Ähnliche Vorzeichen – Ausweglosigkeit auf der einen Seite, Täuschungsvorwürfe auf der anderen Seite – finden jedoch rasche Auflösung:
»Du salt mych laßen leben! Ich bins, din ohem Hilbrant.«
[…]
»Solt ich den hye finden? Das yst nit war und yst gelogen.
Du wylt dich da myt frysten, drutgeselle myn,
dych hylffet nit din lyste, ys muß dyn ende sin,
der großen ungenoden«, sprach der rytter gut[.]
[…]
»Neyn ich, uff myn truwe«, sprach Hyldebrant,
»es must dych umber ruwen, slug mych din hant.
Bynt myr den helm von den augen so zuhant
und syech myr under dye augen, so werde ich dyr bekant!« 23
Genau dieser Aufforderung kommt der Junge nach: Er sach im under die augen, er wart im schyer bekant (V. 533.). Weder insistiert der Jüngere auf Verdacht und Täuschungsvorwürfen, noch hält der Ältere am heroischen Komment fest – in nur einem Vers schaltet das Heldenepos des 13. Jahrhunderts auf heroisches Erkennen. Auch das jüngere Hildebrandslied bevorzugt im 15. Jahrhundert einen Kurzschluss zum ›happy ending‹ der Anerkennung. Im literaturgeschichtlichen Rückblick wird an solchen Beispielen sichtbar, wie das frühmittelalterliche Heldenliedfragment solche Lösungen gerade zu vermeiden sucht.
Das ältere Hildebrandslied bevorzugt andere Möglichkeiten, um die Differenz von Latenz und Transzendenz aufrechtzuerhalten. Nicht der Horizont von Figuren – etwa ihr Wissen: was ahnen bzw. verdrängen beide voneinander? – ist dafür entscheidend.24 Ihre Einheit verdichtet sich vielmehr dingsymbolisch in Gestalt goldener Armreifen, die Hildebrand dem Sohn bietet, ohne dass sie die Seiten wechseln, sondern auf der Grenze bleiben. Auch formal fungieren sie als Grenzobjekt mit gegenläufigen Verweisungsrichtungen: Als Hunnenschmuck halten sie für Hadubrand latent eine fehlende Geschichte bereit; als Freundschaftsgabe oder Unterwerfungsaufforderung25 begleitet sie Hildebrand mit einem transzendenzorientierten Schwur. Aber weder die Gaben dürfen die Seite wechseln, noch die Formen, in denen der Wettkampf die Gegner gegenüberstellt. Zwischen den Heeren und zwischen den Speerspitzen bleiben die Armreifen somit im wahrsten Sinne des Wortes ›Zwischen-Dinge‹, die den Raum der Differenz in zwei Richtungen offenhalten.26 Die abgewiesenen Alternativen der Konfliktauflösung finden in den abgewiesenen Gaben ihr Pendant. Beide akzentuieren Kontingenz als Möglichkeitsüberschuss, der zwischen den Heeren entsteht, ohne ineinanderzufallen, harmonisiert oder aufgelöst zu werden, so flüchtig auch von ihnen nur die Rede ist.
1.5 Die doppelte Form des Wettkampfs
Welche kulturtheoretischen Einsichten lassen sich daraus gewinnen? Die Frage verführt zum begriffsgeschichtlichen Sprung. Etwas als kulturell zu begreifen, heißt spätestens seit dem 18. Jahrhundert explizit, stets mehr als nur eine Perspektive, mehr als nur einen Wertungsmaßstab, mehr als nur eine Ordnung in Rechnung zu stellen, sobald es zu vergleichen gilt.1 Kulturbegriffe verweisen so gesehen auf Beschreibungspraktiken der ›Verdopplung‹,2 deren Komplexität rasant wächst, seitdem der Buchdruck die Speichermedien für Vergleiche revolutionär erweitert.3 Wettkampf ist für diese Vergleichspraxis besonders produktiv, weil widerstreitende Formen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich konkurrierende Perspektiven, Wertungen und Ordnungen in ihrer Verschiedenheit entdecken: »Der Widerstreit macht Beobachter beobachtbar«, wie Dirk Baecker systemtheoretisch zuspitzt,4 woraus moderne Kulturtheorien den Schluss ziehen, die »Kontingenz«5 von Lebensformen und symbolischen Ordnungen in den Mittelpunkt zu stellen.
Freilich: Erst die Neuzeit bringt dies auf solche Begriffe. Doch lassen sich Kulturperspektiven der Kontingenz bereits in frühesten Fällen volkssprachlicher Verschriftung im Mittelalter greifen, die neue, besonders irritationsfreudige Stufen für Vergleiche eröffnen.6 Das Hildebrandslied exponiert solche Kontingenz, indem es innerhalb weniger Verse Alternativen aufwirft, die sich nicht herunterkürzen lassen – selbst dann nicht, wenn man weiß, wer Recht oder welche Vorgeschichten hat, welche Kampfentscheidung stoffverwandte Texte favorisieren.7 Diese Wirkung wird zum einen von der Form des Dialogs getragen, der sich eben nicht normativ auf Einheit des Verstehens oder das Kommunikationsziel der Verständigung reduzieren lässt.8 Das verstärkt das Hildebrandslied zum anderen, indem beide Reden gezielt inkommensurabel werden. So hat etwa Hartmut Bleumer gezeigt, dass Ordnungskonkurrenz bis in die unterschiedlichen Erzählweisen und Auffassungen über Zeichen hineinstrahlt, die Hildebrand und Hadubrand trennen.9 Uta Störmer-Caysa hat ergänzt, dass auch in zeitlicher Hinsicht keinesfalls von einem »Kontinuum«, sondern allenfalls von »unterschiedliche[n] Blickpunkte[n]« zu sprechen ist, deren Wissenshorizonte bis zuletzt unverbunden bleiben.10 Höfische Zweikämpfe bahnen hier konvergentere Lösungen, die Figuren und Handlungswelten verbinden, wie Harald Haferland und Udo Friedrich in grundlegenden Studien unterstrichen haben:11 Für Zweikämpfer des Artusromans wäre es eine gâbe grôz zu wissen, wer der ander wære, so wird Hartmann programmatisch im Iwein formulieren.12 Das Hildebrandslied aber verzichtet auf solche Konvergenz. Statt eines Waffengangs oder heroischer Aristien kostet das Fragment aus, wie ein Dialog zwei Anordnungsmöglichkeiten des Kampfes – Täuschungskalküle und Kampf vor Gott – miteinander konfrontiert und für einen Moment in der Schwebe hält. Kulturperspektiven eröffnet das Hildebrandslied also nicht dadurch, dass zwei Figuren nach heroischen Regeln planvoll aneinander vorbeireden, sondern indem davon in doppelter Weise erzählt wird. Infrage gestellt wird damit zwar keineswegs die grundsätzliche Lösbarkeit des Konflikts, wohl aber die einfache Rahmbarkeit von Differenz.
1.6 Vereinfachung
Wie in einer Art Miniaturszenario experimentiert das Hildebrandslied mit grundlegenden Optionen, die für die Erzählgeschichte des Wettkampfs im Mittelalter leitend werden: Latenzen und Transzendenzen, Ein- und Auslagerungsstrategien, aber auch semantische Konzepte von List und Fügung prägen maßgeblich die Versuche, Differenz mit narrativen Mitteln zu vervielfältigen. Was das Heldenlied des 9. Jahrhunderts gleichsam als Vorspiel aufscheinen lässt, etabliert sich in Erzähltexten des Hochmittelalters zu stabileren und umfangreicheren Typen.
Im älteren Hildebrandslied jedoch ist dieser Moment flüchtig, denn rasch löst sich die Konstellation in eine weitaus einfachere Form auf. Während der Verkennensdialog die Komplexität der Anerkennung steigert, bringt sie Hildebrands Reizrede (ab V. 50) auf das ungleich simplere Muster eines Rechtskampfes zwischen Alt und Jung.1 Dem sekundiert schließlich auch die Erzählinstanz, indem sie Akteure und Vorgänge im Kollektivplural verschmelzen lässt (V. 63–68): Lanzen und Schwerter fliegen, Schilde bersten. Der verwickelte Streitdialog weicht einer schematischen Handlungssequenz, die nichts mehr kontingent lässt: Unbestimmte Differenzen von Kalkülen und Kontexten werden gelöscht, Figuren kondensiert. Solcher Kampf experimentiert nicht länger mit Vielfalt, sondern kriecht in die formularische Poetik traditioneller Heldenepik zurück,2 welche die Grundform des Wettkampfs auf den gemeinsamen Rhythmus von Angriff und Verteidigung beschränkt.3 Hier, am Nullpunkt der Vereinfachung, bricht das Fragment denn auch ab. Offen bleibt zwar der Ausgang des Waffengangs, aber seine Möglichkeiten sind einfach strukturiert, wenn nicht sogar von Sagenerwartungen eindeutig bestimmt: Das ›sowohl – als auch‹ zwischen den Heeren wird zum ›entweder – oder‹ der Entscheidung.4 Die Erzählliteratur des hohen Mittelalters wird ihre Kampferzählungen zu längeren Formen ausbauen, in denen solche Zwischenräume wachsen, bevor Reduktionen greifen oder Entscheidungen fallen.
2 Seelenkämpfe
Vervielfältigung prägt nicht bloß äußere Konfrontationen oder Verhältnisse zur Außenwelt. Auch Innensphären und Selbstverhältnisse nutzt die volkssprachliche Erzählliteratur zur »Ich-Vervielfältigung«,1 als Bearbeitungsfeld pluraler Ordnungsmöglichkeiten von Selbstbezügen. Unbestimmtheit fungiert dabei nicht nur als Herausforderung für stabile Abgrenzungen oder als Gefährdung von eindeutiger Zugehörigkeit, sondern oftmals als produktive Konstitutionsbedingung von Identität. Im Rahmen seiner allgemeinen Netzwerktheorie beschreibt Harrison White diesen Zusammenhang als Turbulenz: »Identities emerge from turbulence seeking control from within social footings that can mitigate uncertainty.«2 Im Hinblick auf Wettkampferzählungen erweisen sich agonale Selbstverhältnisse als besonders turbulent, wenn mittelalterliche Texte dafür die Seele des Menschen aufs Spiel setzen.
Ihre Anordnungen sind keineswegs voraussetzungslos. Schon die stoische Ethik und die (neu)platonische Anthropologie betrachten den Menschen vom Widerstreit zwischen Körper und Psyche geprägt, in permanentem Kampf gegen Vorurteile und affektive Verstrickungen. Schon die Antike favorisiert einen Habitus besonnener Selbstkontrolle, der sich auf dem Wege agonistischer Übungen »zwischen sich und sich« gewinnen und festigen lasse.3 Unter christlichen Vorzeichen schließt das lateinische Mittelalter an diese Vorgaben an und interpretiert das Leben als umfassenden Wettkampf (1 Cor 9, 24–27; ebenso einflussreich auch 2 Tim 2,5).4 Einflussreich für die Sünden- und Bußordnungen beschreibt etwa Gregor der Große in seinem Hiob-Kommentar das Herz des Menschen belagert von Lastern, die sich sogleich vervielfältigten (multitudinem proferunt), indem sie – einmal hineingelangt – weitere ›Heere‹ (exercitus) hineinließen.5 Militärische Metaphern des Kampfes und der Belagerung dienen Gregor dazu, eine Sündenordnung zu arrangieren, deren geordnete Reihe zu Wucherung und Vervielfältigung neigt. Das ganze Leben verwandele sich in einen geistigen Ringkampf vor den Richteraugen Gottes, wie Hrabanus Maurus in seiner Allegorese der Wettkampfpraxis der Antike festhält.6
Volkssprachliche Literaturen knüpfen an solche Modelle und ihre agonalen Leitmetaphern nicht nur an,7 sondern entwickeln deren Streitordnungen experimentell weiter.8 Diese Experimente werden besonders greifbar, wenn Kämpfe um bzw. in der Seele mit narrativen, imaginativen und dialogischen Mitteln verstärkt werden. Wie die Forschung bislang aufgewiesen hat, zeigen volkssprachliche Texte jedoch insgesamt wenig Interesse, das Begriffsfeld lateinischer Seelenlehre systematisch zu übernehmen oder anthropologische Probleme stringent auszudiskutieren. Wo mittelhochdeutsche Texte vom Kampf in der Seele erzählen, kommen zwar Figuren mit »komplexe[m] und vielgestaltige[m] Innenleben« in den Blick, doch mit »ambivalente[m] Ergebnis«. So nachdrücklich sie den Diskurs über innere Ordnung vertiefen, so schwach scheint die Ordnungsleistung ihrer Begriffe: »Warum bildet die mittelhochdeutsche Literatur eine ganze Fülle von Begriffen zur Bezeichnung innerer Vorgänge und Sachverhalte aus, die in ihrer Verwendung aber kaum differenziert und oft sogar gegeneinander austauschbar sind?«9
Wenn man dies nicht bloß als Begriffsschwäche volkssprachlicher Literatur ankreidet, welche positiven Angebote lassen sich in Seelenkampftexten greifen, die Formen des Selbstbezugs organisieren? Welche erzählerische Arbeit setzt dort an, wo begriffliche Systematisierungen des Selbst enden? Ausgehend von diesen Fragen setzt sich das folgende Kapitel zum Ziel, zwei Transformationen herauszuarbeiten, die für die Vervielfältigung von Selbstverhältnissen entscheidende neue Wege eröffnen. Von Anthropologien der Spätantike, die Selbstverhältnisse strikt an externe Ordnungen rückbinden, entkoppeln sich im Mittelalter Latenzmodelle innerer Kämpfe, die auf paradoxe Weise als unzugänglich, intransparent und in bemerkenswertem Maße unbestimmt erscheinen, während sie gleichzeitig kommunikativ vermittelt, intensiviert und in Dialogformen verhandelt werden, die unter extremen Bestimmungsszwängen stehen. Formen »der Nicht-Identität, der Differenz, des Widerspruchs« lockern dabei Rückkopplungen an religiöse oder soziale Zurechnung, ohne sich deshalb außerhalb dieser Rahmen zu stellen.10 Dies eröffnet neue Möglichkeiten, um Binnenkomplexität zu verstetigen: Indem innere Kämpfe fortlaufend Widerspruchsordnungen reproduzieren, machen sie das Ich zum Medium unabschließbarer Selbstkulturierung. Was vor dem Hintergrund theologischer Seelenlehren als »unsystematisch«11 erscheint und begriffliche »Widersprüche«12 aufwirft, so lautet die These, verweist auf ein desto größeres Interesse an Dynamiken, die aus paradoxen, unscharfen und widersprüchlichen Unterscheidungen komplexe Relationen gewinnen.
Wie die folgenden Analysen zu exemplarischen Seelenkampftexten der Spätantike, des Frühmittelalters bis an die Schwelle zum 14. Jahrhundert unterstreichen wollen, verlaufen diese Entwicklungen keineswegs einsträngig oder kommunikationsgeschichtlich linear. Einerseits lassen sich zwischen lateinischen und volkssprachlichen Texten robuste Kontinuitäten ausmachen, die sich gleichermaßen im textübergreifenden Modellcharakter der Psychomachia des Prudentius greifen lassen wie in Übersetzungen einflussreicher Einzelfälle wie der Visio Philiberti,13 die ins Französische, Englische, Italienische, Niederländische und Deutsche führen. Andererseits spiegeln solche Reihen auch markante Umbesetzungen von Wettkampfinstanzen und Wettkampfkonfigurationen sowie Überlagerungen unterschiedlicher Formen, die weit über den Kreis christlicher Anthropologie hinaus greifen. Im Licht beider Perspektiven zeichnet sich damit eine Arbeit am agonalen Erzählen ab, die Kampfformen des Selbst sowohl vervielfältigt als auch mit Leitmodellen und Texttraditionen verbindet. Mit den verschiedenen Beispielen werden zugleich auch unterschiedliche Stoßrichtungen greifbar: Dient Wettkampf zunächst dazu, Ordnung gewaltsam herzustellen und durchzusetzen, so experimentieren Texte des Hochmittelalters umgekehrt damit, mittels Wettkampf gezielt Unordnung zu produzieren und zu sichern. In dieser Spannbreite entwickelt die Erzählliteratur des Mittelalters damit symbolische Ressourcen der Anthropologie und Ethik, die menschliches Handeln in komplexen Spannungslagen zwischen Ordnung und Zerstörung verorten.
Auch diese Spannung wird maßgeblich von antiken Autoren thematisiert. Platon zufolge liegen Psyche und Körper in fortwährendem Kampf. Auch die stoische Ethik betrachtet das menschliche Leben als bios polemos; Marc Aurel etwa empfiehlt, sich durch Gedanken an unverschämte, missgünstige Gegenspieler mental zu trainieren.14 Für die Kulturgeschichte des Widerstreits sind dies aufschlussreiche Belege, insofern antike Seelenkämpfe zumeist Aufstiegsbewegungen anregen, die das Selbst wie auch interpersonale Beziehungen transzendieren und sozusagen auf überindividuelle Außenseiten zielen.15 Allerdings sind diese Außenseiten keineswegs unbestimmt: Statt in Kontingenzräume führen agonale Konzepte und Techniken des Selbst vielmehr zu übergreifender Ordnung – zur Sphäre von Ideen oder in Richtung des kosmischen nous. Wettkampf und Widerstreit sind dafür vor allem als Formen der Rückversicherung relevant, die umgreifende Kontexte und Umwelten erschließen; Streit im Menschen verweist zugleich auf Streitordnungen um den Menschen.
Mit der Psychomachia des Prudentius soll diese Erzählform zuerst an einem Text vorgestellt werden, der eine wirkungsmächtige Brückenposition zwischen Anthropologien der Spätantike und des Mittelalters begründet.16 Noch im 12. Jahrhundert – so ist am Fall der Vorauer Sündenklage zu zeigen – dient Wettkampf einem Transformationsprozess, um problematische Selbstverhältnisse auf externe Konflikte rückzuübersetzen. Genau diese Bearbeitungsrichtung kehren Texte um, die Widerstreit gezielt nach innen lenken. Selbstverhältnisse werden damit nicht nur zum Gegenstand verstärkter räumlicher Differenzierung (wie in der Klage Hartmanns von Aue), sondern auch in ihrer Zeitdimension variabel ausgearbeitet, von temporären Spielräumen der Selbstgegenübersetzung (wie in der Visio Philiberti) bis zur dauerhaften Verstetigung eines Wettkampf-Ich (wie im Welschen Gast des Thomasin von Zerclære).