Kitabı oku: «Wettkampfkulturen», sayfa 4
3.3 Alternative Theorieangebote
Bekanntlich gibt es andere Theorietraditionen, die Streitparadoxien noch eingehender pflegen als mediävistische Literaturwissenschaft und Soziologie. Dazu gehören zum einen philosophische Stimmen von den Vorsokratikern bis zu Nietzsche, von Hegel bis zu Heidegger, die sowohl destruktive als auch produktive Aspekte des Streits beleuchten. Ebenso ließen sich poststrukturalistische Positionen ausführlicher bedenken, die auf die Dynamik unauflösbarer Konflikte als Quelle diskursiver Vielfalt verweisen.1 Mit Blick auf solche Ansätze wäre jedoch kritisch zu fragen, inwiefern sich philosophische Streitkonzepte der Antike oder Neuzeit in textanalytische Methoden übersetzen ließen, die mittelalterliche Streitformen angemessen erschließen und mit kulturtheoretischen Fragen vermitteln. Dass Widerstreit etwa Differenz wiederholt und variiert, ist grundsätzlich ernst zu nehmen, liefert jedoch kaum nähere Aspekte für die Analyse.2 Auch postmoderne Präferenzen für Unbestimmtheit sind an sich wenig erhellend. Denn viele der im Folgenden zu betrachtenden Wettkampferzählungen des Mittelalters halten so zum Beispiel an Konzepten der Einheit fest, indem sie Gegner im Zeichen von Freundschaft oder Verwandtschaft verbinden, indem sie Streit in starken Rahmen von Gerichtsprozessen, Ritualen oder anderweitigen Regelabläufen verorten. Was dabei ›vielfältiger‹ wird, erweist sich häufiger relationalen Spielräumen verpflichtet, als auf uneinholbare, inkommensurable Perspektivität zu dringen, wie sie der ›condition postmoderne‹ eignen mag.
Zum anderen ließe sich die Entfaltung von Wettkampfkultur auch im Rahmen von kulturgeschichtlichen Ansätzen erforschen, die von Jacob Burckhardt bis zu Aleida und Jan Assmann dem agonalen Streit eine integrative und kulturfördernde Wirkung zusprechen.3 Eine Kulturgeschichte des Wettkampfs könnte sich entlang großer Transformationsachsen bewegen, die vom sportlichen, religiösen und künstlerischen Agon der griechischen Antike über die römische Institution der Kampfspiele bis zu ihrer ambivalenten Aufnahme durch die christlichen Kirchenväter führen, die sich zwar kritisch von der weltlichen Wettkampfpraxis distanzieren, aber diese zugleich in Leitmetaphern christlicher Tugendlehre adaptieren. Kulturgeschichtlich könnte man nachzeichnen, wie das antike Erbe von Kampfspielen in verwandelter Gestalt militärischer Übungspraktiken durch das gesamte Mittelalter fortgetragen wird, im 12. Jahrhundert ritterliche Turniere als Bestandteil adliger Festkultur anregt4 und schließlich im Spätmittelalter zur Distinktionspraxis des Stadtbürgertums dient.5
Zweifellos bieten solche Etappen anschauliches Material für eine Geschichte des regulierten Kampfes zwischen Spätantike und früher Neuzeit. Doch drohen die großen Linien einer solchen Geschichte nur zu rasch die eigentlichen Spielräume kultureller Produktivität von Wettkämpfen zu überdecken. Ihre erstaunlichen, experimentellen und riskanten Lösungen zeichnen sich eher am Einzelfall ab. Zuletzt hegt auch die Kulturgeschichte ein ambivalentes Verhältnis zu Wettkampfphänomenen, die umso schärfere Abgrenzungen provozieren. »Der agonale Sieg ist der edle Sieg ohne Feindschaft der Sieg an sich«, erklärt schon Burckhardt;6 von »gutem (agonalem)« Streit als »Motor der Kultur« sei »böse[r] (aggressive[r]) Streit« zu unterscheiden, der »kulturzerstörend« wirke, so Aleida und Jan Assmann.7 Dass Wettkämpfe sowohl Vielfalt produzieren als auch zerstören, wird dann für jedes kulturgeschichtliche Lob des Agonalen zur unbehaglichen Zumutung.
3.4 Zwischenbilanz
Trotz umfangreicher und differenzierter Forschungstraditionen zu Widerstreit und Wettkampf sind somit grundlegende Fragen ungeklärt, die Wettkampf als heuristisches Konzept betreffen. Methodisch ungeklärt bleibt in der Regel, ob Wettkampf als Dynamik von Divergenz und Konvergenz auf Gegenstandsebene angesiedelt ist und / oder eine Zuschreibungsform zweiter Ordnung darstellt – ob also, mit Simmels Worten gesprochen, das »Gegeneinander« und »Füreinander« des Kampfs nur »begrifflich« oder »tatsächlich« als »Einheit« angesetzt sind (S. 284f.). Noch weniger ausgelotet sind zudem die Funktionen von Paradoxien, die Wettkämpfen ihre formale Dynamik verleihen. Wettkämpfe werden zwar häufig als Spannungen z.B. von Kooperation und Destruktion, von Proliferation und Begrenzung oder von Integration und Desintegration beschrieben, doch werden die Leistungen solcher Verschränkung vergleichsweise selten ausgeleuchtet. In der Regel gelten Wettkämpfe daher als ambivalente Konstellationen, deren positive oder negative Grenzwerte analytisch gegenübergestellt werden (guter Wettkampf, schlechter Streit), selten jedoch nach ihrer paradoxen Einheit befragt werden.
Für die Rekonstruktion von Wettkämpfen als kulturellen Beobachtungsformen kann man genau an diesen Stellen ansetzen, die einfache theoretische Ordnungswünsche in Probleme verwickeln. Wettkampferzählungen wären dann jedoch nicht als ›Probleme‹ zwischen Einfachheit und Vielfalt zu untersuchen. Sie wären vielmehr als Experimente zu betrachten, die Differenz vervielfältigen und gleichzeitig begrenzen. Die Frage ist dann: Von welchem Zuschnitt und welcher Dynamik sind diese seltsamen Spielräume?
4 Aufgabenfeld (II): Vielfalt ohne ›diversity‹?
Die Frage nach historischen Formen von Kulturalität führt zweitens zur Frage nach der Komplexitätsstruktur von Differenzmodellen des Wettkampfs. Auch hier eröffnet es neue Chancen, wenn man sich für verschiedene Formate von Vielfalt sensibilisiert. Versteht man Vielfalt als allgemeines Maß für irreduzible Differenz, so hält man sich zunächst offen, welche Ansprüche an formaler Kontextuierung damit verbunden sind – oder anders gesagt: ob solche Differenzen z.B. in mehr oder weniger engen Bezügen zusammengestellt, relationiert und ›verwoben‹ sind (im etymologischen Wortsinne von com-plexio und com-plicatio) oder eben aus solchen Bezügen entbunden sind. Versteht man den Begriff der Vielfalt also als Verhältnisse von Differenz und Kontext, lassen sich eine Vielzahl möglicher Spielarten profilieren. Als Diversität kann man so beispielsweise jene Fälle akzentuieren, in denen Differenzen nicht (oder zumindest weniger) unter den Zwang gestellt sind, in einem Zusammenhang miteinander verwoben, relationiert und dadurch von einer Form umfasst zu sein. Diversität ist damit ein Leitkonzept, das Vielfalt als »bloß[e] Verschiedenheit« auffasst: »ohne semantisch-axiologische […] Trennschärfe« und von normativen Zwängen eines Vergleichskontextes entlastet, aber dafür aus gemeinsamen Zusammenhängen gelöst.1 Mehr noch: Wo Vielfalt den Status von Differenz offen lässt, darf man im Namen von Diversität sogar davon absehen, ihren Kontext bestimmen zu müssen.2
Auf den ersten Blick sind dies feine Nuancen. Obgleich sich moderne Kulturbegriffe ausdrücklich auf Perspektiven der Diversität berufen, wird jedoch selten zwischen allgemeinen und besonderen Formansprüchen, zwischen verschiedenen Typen von Vielfalt und Diversität abgestuft. Wie selbstverständlich bevorzugt man Kulturvergleiche im Zeichen von Diversität, wenn man nach den Differenzen einer »heterarchisch geordneten Welt« jenseits von Einheitserwartungen fragt.3 Und nicht selten richtet sich das moderne Interesse an kultureller Diversität auch an Autoren des Mittelalters.4 Untersucht wurden Adaptationsprozesse romanischer und deutscher Hofkulturen,5 Konflikte von heroischen und höfischen Kulturmustern oder Hybridisierungen von religiöser und ritterlicher Kultur in Heiligenlegenden. Wo man nach Differenzlinien zwischen ›Geistlichem‹ und ›Weltlichem‹, ›religiöser‹ und ›säkularer‹ Kommunikation suchte, zeigen sich Differenzen konstitutiv verschränkt; an spätmittelalterlicher Literaturproduktion lässt sich die »Diversifikation städtischen Lebens« studieren.6 Ansätze dieser Art haben den Blick für Heterogenitäten und Eigenentwicklungen literarischer Diskurse des Mittelalters in hohem Maße geschärft. Doch verdeckt die Vielstimmigkeit theoretischer Konzepte kulturwissenschaftlicher Mediävistik mitunter Formate von Differenz, die auf Vervielfältigung, nicht aber auf Diversität zielen. Ausgeblendet werden dadurch beispielsweise Phänomene interner Vervielfältigung, die aus Formen der Selbst-Entgegensetzung hervorgehen.
Die mediävistische Forschung hat sie zumeist als Sonderfälle herausragender Gattungen oder Texte thematisiert, die in besonderer Weise Selbstreflexion forcieren, soziale Spielregeln dekonstruieren oder in Parodien zur Diskussion stellen. Gemeinsam ist solchen Fällen, dass sie die Vervielfältigung sozialer Kontexte und Kommunikationsformen nicht mittels negativer Ausgrenzungslogiken,7 sondern als internen Widerstreit organisieren. Die nachfolgenden Studien untersuchen solche Formen interner Komplexitätsbildung, mit der sich mittelalterliche Literatur ›in‹ ihren Welten »aus der Welt eines einsinnigen Sinns befreit«.8 Zu solchen Formen gehören nicht zuletzt auch Wettkämpfe, die diesseits von Diversitäts- oder Kontingenzperspektiven gleichwohl nach Darstellungsmöglichkeiten für Vielfalt suchen. Solche Möglichkeiten eröffnen nicht bloß Texte, die als besonders reflexiv, dekonstruktiv oder parodistisch gelten. Schwer sind jedoch die allgemeineren Formen solcher Vervielfältigung zu beschreiben, die gleichsam ›unterhalb‹ des Radars von expliziten Pluralismuskonzepten laufen, solange man modernen Diversitätserwartungen verpflichtet bleibt.
5 Aufgabenfeld (III): Diesseits der Kulturen?
5.1 Zur Historisierung des Kulturkonzepts
Besitzt das Mittelalter Kulturperspektiven? Eine solche Frage klingt entweder banal oder riskant. Banal, weil die Mediävistik ihre Gegenstände selbstverständlich als kulturelle Zeugnisse oder Artefakte beschreibt; riskant, weil in der Regel unausgesprochen bleibt, welcher spezifische Kulturbegriff jeweils in Anschlag gebracht wird und worauf dieser auf Objektebene genau gründet, wenn viele moderne Aspekte des Kulturbegriffs dem Mittelalter fremd sind.1 Dazu gehören nicht zuletzt Konzepte des kulturellen Pluralismus, die geradezu eine implizite Leitprämisse kulturwissenschaftlicher Forschung darstellen. »Die Beobachtung, dass die Lebensformen und Weltsichten der eigenen Gruppe nicht unbedingt auch diejenigen anderer Kollektive sind«, resümiert etwa Jürgen Osterhammel, »[…] steht am Beginn jeder möglichen Vorgeschichte der neuzeitlichen Kulturwissenschaften.«2 In einem wegbereitenden Essay hatte auch Uwe Steiner darauf hingewiesen, dass selbst begriffsgeschichtliche Lücken und Verschiebungen des Kulturkonzepts diesen pluralistischen Untersuchungsrahmen unberührt lassen:
Als Kultur noch nicht ›Kultur‹ genannt wurde, galt sie als das Ensemble der Formen, Techniken, Sitten, Gebräuche, Ideen, Werte, Konventionen usw., der natürlichen Entropie, den Annihilationskräften der natürlichen Zeit entgegenzuwirken und Stabilität zu erzeugen.3
So unscheinbar und geläufig die Metapher des Ensembles im Diskurs der jüngeren Kulturwissenschaften ist, so elegant übergeht sie die Frage, was Differenzwahrnehmungen von Ordnungen ›diesseits‹ von Kulturen organisierte. Frühe Ansätze vergleichender Kulturtheorie wie die Scienza nuova Giambattista Vicos beschäftigte hingegen ausdrücklich, wie die historisch unterschiedlichen Spielräume und Entwicklungen dieser Ensembles aufeinander zu beziehen seien. Noch Steiner hielt daher fest, dass Kultur ein Reflexionskonzept »historisch bedingter Kontingenz« benennt.4 Dieses Bewusstsein für historische Bedingungen und Formate von Kontingenz ist aus aktuellen Selbstbeschreibungen der Kulturwissenschaften nahezu verschwunden, die Kulturen »als immer schon pluralisiert«5 betrachten. Es ist schwer wiederzugewinnen, wenn man, getragen von politischen Motiven, kulturelle Sinnsysteme und Formen als immer schon vervielfältigt oder heterogen beschreibt.6 Dass es »›Kultur‹ nicht gibt, sondern nur ›Kulturen‹«, bildet so den Ausgangspunkt fast jeder kulturwissenschaftlichen Studie.7
5.2 Pluralisierung als Prämisse
Wie Andreas Reckwitz aufgearbeitet hat, ist diese Sicht zwar erst im 20. Jahrhundert gewachsen,1 hat sich jedoch über Disziplinengrenzen hinaus als allgemeiner Konsens verfestigt. Selten geht man noch hinter jene »kopernikanische Wende« zurück, die seit dem 18. Jahrhundert (namentlich verbunden etwa mit der Position Herders) nicht länger nach Einheitsrahmen oder nach normativen Maßstäben für Vergleiche sucht, sondern vornehmlich auf Differenz abstellt.2 Kultur bezeichnet seitdem die Kreativität, potentiell »alles mit allem [zu] verknüpfen«3 und durch Vergleiche fortwährend zu vervielfältigen.4 Wenn die »Anerkennung kultureller Diversität« einerseits den Raum von Beobachtungsmöglichkeiten erweitert und anreichert, geht damit andererseits die »Möglichkeit einer verbindlichen Weltrepräsentation« unwiederbringlich verloren.5 Kulturgewinne bedeuten in gewissem Sinn also Weltverluste.6 Und wenn moderne Theorien davon ausgehen, »daß Kulturen nur als Pluralität vorkommen«,7 scheinen Brücken diesseits der Pluralisierung für die Kulturwissenschaften weitgehend abgerissen.
Nüchtern lässt sich festhalten, dass damit ein blinder Fleck wächst, dem sich die Karriere der Kulturwissenschaften verdankt. Zum einen erlaubt er in historischer wie systematischer Hinsicht überraschende Vergleiche zu sehen, wo sich auf den ersten Blick keine Verbindungen zeigen. 8 Zum anderen aber wird gerade damit verdeckt, dass diese Vergleichsanstrengungen die Einheits- oder Differenzziehungen neu überformen, die entweder in den Objekten angelegt waren oder in historischen Perspektiven gezogen wurden. Dass kulturelle Beschreibungen auf Diskrepanzwahrnehmungen beruhen, tritt als ethnographisches Problem tendenziell in den Hintergrund. Wo aktuelle Forschungen im historischen Rückblick auf derartige Diskrepanzen stoßen, wachsen nicht immer die Reflexionsanstrengungen,9 sondern häufig auch Unsicherheiten. Steht etwa die »[c]ultural heterogeneity« und »hybridity« mittelalterlicher Literatur zur Debatte, verzichtet man entweder darauf, leitende Konzepte von Kultur zu historisieren,10 oder man appliziert kurzerhand moderne Konzepte kultureller Vielfalt auf Texte der Vormoderne.11
Vereinfacht könnte der Verdacht daher lauten: Wer von vormodernen Kulturen im Plural spricht, neigt zu der retrohistorischen Unterstellung, mittelalterliche Gesellschaften und ihre Literaturen kennten ebenfalls die Diversität von Ordnung. Wie aber lassen sich Kulturen beschreiben, »die weit entfernt davon waren, sich selbst als Kulturen zu verstehen«?12
In ihrer Zuspitzung mag eine solche Formulierung provozieren. Doch schärfer als bisher könnte sie dafür ein Problem konturieren, das in der mediävistischen Forschungspraxis weitgehend diffus mitläuft und allenfalls am Rande artikuliert wird. In diesem Sinne attestiert etwa Tobias Bulang der Sangspruchforschung einen »blinden Fleck«, wenn diese in jüngerer Zeit vor allem die »Redevielfalt« und »Pluralität verfügbarer Rollen und Typen« in den Vordergrund stelle:
»Passen« solche Interpretationen nicht wiederum nahtlos in eine Gegenwart, die sich als pluralistisch erfährt und in ihren soziologischen Selbstbeschreibungen (mit denen Philologen oft gut vertraut sind) diese Pluralität bis in die Fassung des Individuums selbst hineinverlagert?13
Bulangs vorsichtige Frage trifft ein Kernproblem der Historisierung, das weit über die Sangspruchdichtung hinaus von Bedeutung ist, insofern die Neigung zu pluralistischen Objekten eine tiefliegende, aber selten ausgesprochene praxeologische Prämisse darstellt. Vielfalt wird zum besonderen Problem, sofern damit nicht bloß ein kulturwissenschaftlicher Forschungsrahmen eröffnet wird, sondern sich zugleich kulturtheoretische Erkenntnisinteressen daran knüpfen. Auch mediävistische Studien äußern sich in solchen Fällen oftmals schillernd mehrstimmig. Im selben Atemzug werden einheits- bzw. differenzorientierte Konzepte nebeneinander aufgerufen, wenn von Kultur als Rahmen für »verschiedene Erzählgemeinschaften« von »Adelskultur« und »klerikale[r] Kultur« die Rede ist, aber auch vom »europäisch-christlichen Kulturraum« insgesamt.14 Debatten zu den Grenzverläufen religiöser und säkularer Ordnungen im Mittelalter werden von Unbestimmtheit begleitet,15 ob von Kultur (eher) im Singular oder im Plural zu sprechen sei, welche Beobachtungsposition für Differenz jeweils einzunehmen ist, wenn von der »geistlich-weltlichen Mischkultur des Mittelalters«16 oder von Kontaktphänomenen »innerhalb der mittelalterlichen Kultur(en)«17 gesprochen wird. Handbücher zur »Medieval Culture« suchen gleichermaßen umfassende Rahmen abzustecken (»fundamental aspects and conditions of the European Middle Ages«), wie sie umgekehrt die kulturelle Vielfalt von Sport, Medizin oder Papsttum vorstellen.18 Wieviel Pluralismus die Forschungsaufgaben der Mediävistik verlangen oder ertragen, ist demnach eine heikle, aber eher latente Frage.
Es sei betont: Wenn der kulturwissenschaftliche Blick aus Differenzwahrnehmungen menschlicher Ordnungen entspringt, welche die Einheit des Menschen gleichzeitig unterstellen und in Frage stellen,19 gibt es zu dieser Spannung keine einfache Alternative. Doch vielleicht lassen sich die Unsicherheiten offener angehen, die von Gesellschaften diesseits moderner Kulturperspektiven ausgehen. Freilich sind die Pluralitätserfahrungen historischer Lebens- und Kommunikationswirklichkeiten als solche unzugänglich. Oder in den Worten Peter Strohschneiders: Informationen über mittelalterliche Kultur findet die Mediävistik in der »Beobachtung der Selbstbeobachtungen mittelalterlicher Texte«,20 ohne dass sie dafür auf die historischen Prozesse solcher Beobachtung selbst zugreifen könnte. Als Objekte greifbar sind nur jene textuellen Arrangements, die ermöglichten, Unterscheidungen auf neue Weise zu treffen, die aber ebenso schriftlich überliefert worden sein mögen, ohne dass diese Angebote nachweisbar angenommen wurden oder gar über ihre Kontexte hinaus die mittelalterliche Gesellschaft zu prägen vermochten.21
Weder um eine Ideen- noch eine Sozialgeschichte der Vielfalt geht es den nachfolgenden literaturwissenschaftlichen Untersuchungen, sondern darum, einen kulturellen Möglichkeitsraum literarischer Texte zu vermessen, der von Diskontinuitäten, unterschiedlichsten Selektionsinteressen und ungleichartigen Überlieferungsbedingungen geprägt ist. Kein Weg führt zur Vergangenheit des Mittelalters zurück, der nicht über mehrfache Schichtungen und Verschiebungen von Pluralisierungswahrnehmungen führte; und nichts gibt dabei Anlass, Wettkampf als Idealmodell vormoderner Kultur zu romantisieren.22 Insofern gehören die folgenden mediävistischen Textanalysen – wie jede historisch orientierte Kulturwissenschaft – zum Kreis von Gegenwartswissenschaften, deren Interesse und Problem sie teilt, wie fremdartige Kulturformen zu relationieren sind.
Genau dafür sind Wettkämpfe von systematischem Gewicht. Denn damit geht es nicht bloß um die oft wiederholte Einsicht, dass Erzählmuster der kulturellen Selbstbeobachtung dienen können.23 Vielmehr halten Wettkämpfe in ihren ausgeprägt formalen Zügen24 etwas von jenen Selbstbeobachtungsmöglichkeiten diesseits der Kulturen fest. Indem sie Ordnung und Abweichung dynamisch aufeinander beziehen und Beobachter anziehen, werden sie als Formen der Vervielfältigung lesbar, die nicht auf ein spezifisches Maß oder explizite Begriffe von Pluralität fixiert sind. In dieser Hinsicht sind Wettkämpfe nicht nur als kulturelle Elemente,25 sondern mehr noch als kulturelle Formen von Bedeutung.
Schon im Mittelalter schien es attraktiv, Aushandlungen gesellschaftlicher Ordnung immer wieder auf »agonale Bühnen« zu bringen, um Differenzen sichtbar zu machen.26 Soziologische Ansätze von Georg Simmel bis zu Niklas Luhmann betrachten daher Streit als Vorläufer jener Vergleichspraxis, die in der Neuzeit schließlich das Kulturkonzept übernimmt.27 Dies macht Wettkämpfe für kulturwissenschaftliche Fragestellungen besonders einschlägig, die sich für Spielräume von Kontingenzpraktiken interessieren, die auch ohne begriffliche Zuspitzungen auskommen.