Kitabı oku: «Nietzsche aus Frankreich», sayfa 4
Das Streben nach Wahrheit ist uns als Trieb gegeben und dieser Trieb mit der Funktion des Bewußtseins vermischt; zu fragen, inwieweit das Streben nach Wahrheit dem Pathos und seinen Irrtümern einverleibt werden kann, würde also heißen, daß das Pathos etwas erzeugt, was es sich noch einverleiben muß. Und tatsächlich – wenn das Bewußtsein nur diesem Streben als seinem eigenen Trieb folgt, so wirkt es, im Namen der Wahrheit, auf seinen eigenen Ruin hin: was ist es, das einem derartigen triebhaften Streben nachgeht, dies Ding oder dieser Zustand, den das Bewußtsein unter dem Namen der Wahrheit am hellichten Tage als sein Ziel aufstellt? Was ist dieser Name der Wahrheit andres als das verkehrte Bild dessen, wovon dieses Streben selber das Bedürfnis war? Und auf diese Weise diesen letzten Trieb, Streben nach Wahrheit genannt, seinerseits umzukehren – dieses Streben des in seiner Gesamtheit ergriffenen Pathos –, das Bild dieses Strebens umzukehren, heißt das zu formulieren, was Nietzsche im folgenden Satz ausspricht: Wahrheit ist die Art von Irrtum, ohne welche eine bestimmte Art von lebendigen Wesen nicht leben könnte. Der Wert für das Leben entscheidet zuletzt. Das im Leben zuletzt aufgetretene Streben – das gefährliche Streben nach Wahrheit, wäre also bloß die Umkehrung des gesamten Pathos unter der Form des Ziels.
Doch hier entdecken wir bei Nietzsche etwas Beunruhigendes: in welcher Absicht stellt er die Frage, inwieweit die Wahrheit ihre Einverleibung in die Lebensbedingungen verträgt, in welchem Sinn sagte er, daß dies triebhafte Streben nach Wahrheit wie die natürlichen Irrtümer lebenserhaltend geworden sei? Hat er die Frage nicht in den Begriffen des bewußten, aber herdenhaften Denkens gestellt, in den Begriffen des Bewußtseins, das sich notwendig ein Ziel setzt, und erfüllen sich nicht die Begriffe von Irrtum und Wahrheit, ihres Gehalts durch die herdenhafte Bedeutung schon beraubt, sogleich mit deren Gehalt?
Welche Form müßte diese Erfahrung für den Philosophen oder den Denker oder den Weisen im Sinne Nietzsches annehmen, um gelehrt werden zu können? Wie wäre der Wille dazu zu bringen, gegen den Strich der bewußten Zweckmäßigkeit zu wollen, daß dies Wollen sich demjenigen zuwende, was es selbst als sein Wesentlichstes hat, als sein am wenigsten Mitteilbares, daß es sich selbst als sein Objekt nehme, sich selbst als zu sich selbst zurückgekehrtes Wollen der zu sich selbst zurückgekehrten Existenz begreift? Wäre es nicht nötig, das bewußte Denken wachzurufen und folglich die Sprache der Herde (in diesem Fall die des Positivismus) zu verwenden und den Begriff des Nutzens und des Ziels gegen allen Nutzen und gegen jedes Ziel gekehrt wiederaufzunehmen?
Im rückblickenden Vorwort zur Fröhlichen Wissenschaft, das von 1886 datiert ist, lesen wir:
»Incipit tragoedia – heißt es am Schlusse dieses bedenklichunbedenklichen Buches: man sei auf der Hut! Irgend etwas ausbündig Schlimmes und Boshaftes kündigt sich an: incipit parodia, es ist kein Zweifel…«
Was bedeutet, heißt es im ersten Aphorismus der Fröhlichen Wissenschaft, was bedeutet das immer neue Erscheinen jener Stifter der Moralen und Religionen, jener Urheber des Kampfes um sittliche Schätzungen, jener Lehrer der Gewissensbisse und Religionskriege? Was bedeuten diese Helden auf dieser Bühne? … Es versteht sich von selber, daß auch diese Tragöden im Interesse der Art arbeiten, wenn sie auch glauben mögen, im Interesse Gottes und als Sendlinge Gottes zu arbeiten. Auch sie fördern das Leben der Gattung, indem sie den Glauben an das Leben fördern. »Es ist wert zu leben – so ruft ein jeder von ihnen –, es hat etwas auf sich mit diesem Leben, das Leben hat etwas hinter sich, unter sich, nehmt euch in acht!« Jener Trieb, welcher in den höchsten und gemeinsten Menschen gleichmäßig waltet, der Trieb der Arterhaltung, bricht von Zeit zu Zeit als Vernunft und Leidenschaft des Geistes hervor; er hat dann ein glänzendes Gefolge von Gründen um sich und will mit aller Gewalt vergessen machen, daß er im Grunde Trieb, Instinkt, Torheit, Grundlosigkeit ist. Das Leben soll geliebt werden, denn! Der Mensch soll sich und seinen Nächsten fördern, denn! Und wie alle diese Solls und Denns heißen und in Zukunft noch heißen mögen! Damit das, was notwendig und immer, von sich aus und ohne allen Zweck geschieht, von jetzt an auf einen Zweck hin getan erscheine und dem Menschen als Vernunft und letztes Gebot einleuchte – dazu tritt der ethische Lehrer auf, als der Lehrer vom Zweck des Daseins, dazu erfindet er ein zweites und anderes Dasein und hebt mittels seiner neuen Mechanik dieses alte gemeine Dasein aus seinen alten gemeinen Angeln…. Und Nietzsche schließt: nicht nur das Lachen und die fröhliche Weisheit, sondern auch das Tragische mit all seiner erhabenen Unvernunft gehört unter die Mittel und Notwendigkeiten der Arterhaltung! – Und folglich! Folglich! Folglich! Oh versteht ihr mich, meine Brüder? Versteht ihr dieses neue Gesetz der Ebbe und Flut? Auch wir haben unsere Zeit!
Wird nun Nietzsche seinerseits als ein neuer Lehrer vom Zwecke des Daseins die Szene betreten? Als ein neuer Lehrer der Moral? Sollte es nötig sein, die Überlegungen des bewußten zwecksetzenden Denkens für das zur Hilfe zu rufen, was wir als Wesentlichstes besitzen, wenn es darum geht, die Existenz ohne Zweck zu begreifen? Nietzsche bringt immer wieder eine Formel ins Spiel, die einen Imperativ zu implizieren scheint: den Willen zur Macht.
Es gibt eine große Schwierigkeit: welche ist Nietzsches wahre Sprache? Ist es die seiner Erfahrung, die der Inspiration, die der Offenbarung oder diejenige der aufgegebenen Erfahrung, also die des Experiments? Und gibt es nicht eine Interferenz beider Sprachen immer dann, wenn sich die Begierde geltend macht, die nicht mitteilbare Erfahrung der ewigen Wiederkehr durch einen Beweis zu legitimieren, den sie sich selber entweder auf dem Niveau des wissenschaftlich verifizierbaren Kosmos gibt oder auf der moralischen Ebene durch die Herausarbeitung eines Imperativs, der geeignet ist, dem Wollen durch die Beziehung auf den Willen zur Macht zu gebieten? Kommt es so zu den zweifelhaften Hinweisen auf die Naturwissenschaft, die Biologie, nachdem sich seine fundamentale Erfahrung bereits auf völlig andere Weise in der Gestalt des Zarathustra ausgesprochen hat? Möglicherweise finden wir darin einen der Begriffe der Alternative, einen Aspekt des Widerspruchs in Nietzsche: die Erfahrung der Ewigkeit des Ich im ekstatischen Augenblick der ewigen Wiederkehr aller Dinge kann ebensowenig Gegenstand eines Experiments wie einer rational konstruierten Erklärung sein; ebensowenig wie diese unerklärliche und also nicht mitteilbare Erfahrung sich als ethischer Imperativ aufstellen läßt, der aus dem Erlebten ein Gewolltes und Wiedergewolltes macht, da die universelle Bewegung der ewigen Wiederkehr den Willen unfehlbar dazu leiten soll, im gewollten Augenblick zu wollen: als eine Erfahrung und also vollständig einer Kontemplation einverleibt, in der sich der Wille gänzlich in der auf sich selbst bezogenen Existenz absorbiert. Und zwar so sehr, daß der Wille zur Macht bloß Attribut der Existenz ist, die sich selbst so will, wie sie ist. Daher auch der oft zweifelhafte Charakter all derjenigen Sätze in den Fragmenten zur Umwertung der Werte, in denen der Wille zur Macht unabhängig vom Gesetz der ewigenWiederkehr behandelt wird, unabhängig von dieser Offenbarung, von der er unablösbar ist. Auf der Ebene der Erfahrung bleibt Nietzsche hinter Zarathustra also zurück, ist bloß noch der Lehrer einer Gegenmoral, die sich offenkundig deutlich ausspricht und deren ganzes Ansehen sich dem wagemutigen Versuch verdankt, das bewußte Denken zugunsten dessen zu gebrauchen, was keinen Zweck hat. Lehrer vom Zwecke des Daseins, damit beschäftigt, seinen Rückzug in ein Gebiet zu decken, in das er sich tatsächlich schon zurückgezogen hat – in diese Unsterblichkeit, an der er, wie er mehr als einmal sagt, gestorben ist und aus der er einzig im Taumel des Wahnsinns wiederkehrt, um zu bekunden, was er unter zwei verschiedenen Namen ist: Dionysos und der Gekreuzigte.
Nach dem Satz: Die Wahrheit ist ein notwendiger Irrtum, finden wir diesen anderen Satz: Die Kunst ist ein der Wahrheit übergeordneter Wert, der die Schlußfolgerung derjenigen enthält, in denen ausgesprochen ist, daß die Kunst uns davor bewahrt, uns in den Abgrund der Wahrheit zu stürzen oder die Kunst uns vor der Wahrheit schützt; all diese Sätze haben den selben pragmatischen Charakter wie der voraufgehende Satz, daß die Wahrheit ein notwendiger Irrtum ist; in ihnen wird alles unter der Perspektive der Zweckdienlichkeit betrachtet.
Sofern indessen der Irrtum formenschaffend ist, muß die Kunst selbstverständlich dasjenige Reich sein, in dem der gewollte Irrtum eine Spielregel begründet: ebenso wie es widersprüchlich wäre, eine praktische Anwendung der Wahrheit als Irrtum zu versuchen, ebenso klar ist es, daß im Reich des Spiels par excellence, das die Kunst bewohnt, die Verstellung eine legitime Aktivität darstellt. Doch der Begriff der Kunst hat einen sehr weitgespannten Sinn und bei Nietzsche umfaßt ihre Kategorie ebenso die Institutionen wie die Werke einer zweckfreien Schöpfung. Zum Beispiel – und daran sehen wir sogleich, worauf das hinausläuft – zum Beispiel – als was hat Nietzsche die Kirche angesehen? Die Kirche besteht für ihn grosso modo aus einer Kaste frommer Falschmünzer: den Priestern. Sie ist das Hauptwerk geistiger Herrschaft und es bedurfte dieses unmöglichen Plebejers von Mönch, der Luther in seinen Augen ist, um glauben zu können, daß dieses Hauptwerk, das letzte Gebäude römischer Zivilisation unter uns, zerstört werden könnte. Die ganze Bewunderung, die Nietzsche der Kirche und dem Papsttum zugewandt hat, ruht auf dieser Annahme, daß die Wahrheit ein Irrtum und die Kunst, dieser gewollte Irrtum, der Wahrheit überlegen sei: deshalb auch betont Zarathustra seine Verwandtschaft mit dem Priester und deshalb ist im vierten Teil bei dieser außerordentlichen Versammlung der verschiedenen Höheren Menschen in Zarathustras Höhle der Papst, der letzte Papst, unter den Ehrengästen des Propheten. Dies, meine ich, verrät noch einmal die Versuchung Nietzsches, eine herrschende Kaste der großen Metapsychologen vorzusehen, welche die Geschicke der künftigen Menschheit in die Hand nehmen könnten, weil sie die verschiedenen Strebungen und die verschiedenen Mittel, sie zu befriedigen, vollkommen durchschauten. Doch was uns interessiert, ist ein bestimmtes Problem, das nie aufgehört hat, Nietzsche zu beschäftigen, das des Schauspielers. Im Aphorismus 361 der Fröhlichen Wissenschaft lesen wir: Die Falschheit mit gutem Gewissen; die Lust an der Verstellung mit Macht herausbrechend, den so genannten »Charakter« beiseite schiebend, überflutend, mitunter auslöschend; das innere Verlangen in eine Rolle und Maske, in einen Schein hinein; ein Überschuß von Anpassungs-Fähigkeiten aller Art, welche sich nicht mehr im Dienste des nächsten engsten Nutzens zu befriedigen wissen: alles das ist vielleicht nicht nur der Schauspieler an sich? …
Halten wir fest, was Nietzsche hier hervorhebt: die Lust an der Verstellung mit Macht herausbrechend, den sogenannten »Charakter« beiseite schiebend, überflutend, mitunter auslöschend – in der Tat erkennen wir darin mit einem Schlag, was Nietzsche selber bedroht: zuerst die Verstellung, die mit Macht und als Macht herausbricht und den sogenannten »Charakter« überflutet, ihn mitunter auslöscht: was hier hervorsticht, ist der Gedanke, daß die Verstellung nicht nur Mittel, sondern selbst eine Macht ist, daß es also einen Einbruch von etwas mit dem Charakter Inkompatiblen gibt und deshalb eine Infragestellung dessen, was man ist, in einer Situation, die durch das Unbestimmbare selber bestimmt ist; gewiß schreibt Nietzsche ein Überschuß von Anpassungsfähigkeiten, doch ein Überschuß, so bemerkt er, welcher sich nicht mehr im Dienste des nächsten engsten Nutzens zu befriedigen weiß: insofern also ist das, was sich im Überschuß von Anpassungs-Fähigkeiten übersetzt, nichts andres als das Dasein selbst. Existenz ohne Zweck, Existenz, die sich selber genügt. Doch kehren wir noch einmal zur ersten Formulierung zurück: die Falschheit mit gutem Gewissen. Auch hierin der Begriff des gewollten Irrtums. Der gewollte Irrtum legt, nach Maßgabe des Scheins, Rechenschaft von der Existenz ab, deren Wesen die sich entziehende Wahrheit, die sich versagende Wahrheit ist.
Das Dasein sucht ein Gesicht, um sich zu offenbaren; der Schauspieler ist sein Dolmetscher. Was offenbart das Dasein? Die Möglichkeit eines Gesichts: vielleicht das eines Gottes.
In einer anderen seltsamen Passage der Fröhlichen Wissenschaft (Aphorismus 356) mit dem Titel Inwiefern es in Europa immer »künstlerischer« zugehn wird weist Nietzsche darauf hin, daß die Lebens-Fürsorge fast allen männlichen Europäern eine bestimmte Rolle, ihren sogenannten Beruf, aufzwingt; einigen bleibt dabei die Freiheit, diese Rolle selbst zu wählen, den meisten wird sie gewählt. Das Ergebnis ist seltsam genug: fast alle verwechseln sich mit ihrer Rolle – sie selbst haben vergessen, wie sehr Zufall, Laune, Willkür damals über sie verfügt haben, als sich ihr »Beruf« entschied – und wie viele andre Rollen sie vielleicht hätten spielen können: denn es ist nunmehr zu spät! Tiefer angesehn, ist aus der Rolle wirklich Charakter geworden, aus der Kunst Natur. Der Abschnitt behandelt weiterhin den Niedergang der Gesellschaft, aber was ich hier festhalten will, ist dies: was hier als gesellschaftliches Phänomen beschrieben wird, erscheint in der Tat als Bild des Schicksals selbst und insbesondere von Nietzsches Schicksal. Man glaubt das, was man ist, frei zu wählen, aber tatsächlich wird man gezwungen, eine Rolle zu spielen und ist der nicht, der man ist; man ist gezwungen, die Rolle dessen zu spielen, der man außer sich ist. Man ist nie da, wo man ist, sondern immer nur da, wo man der Schauspieler jenes Andren ist, der man ist. Die Rolle stellt dabei den Zufall in der Notwendigkeit des Schicksals dar. Man kann nicht anders, als sich selber zu wollen, aber man kann nie etwas andres als eine Rolle wollen. Dies wissend, spielt man mit gutem Gewissen. So gut wie möglich spielen, heißt sich verstellen. Und so ist Baseler Philologie-Professor oder aber Autor des Zarathustra zu sein, bloß eine Rolle. Was man dahinter verbirgt ist, daß man bloß Dasein ist, und was man sich selber verbirgt ist, daß die Rolle, die man spielt, sich auf diejenige bezieht, welche das Dasein selber ist.
Dies Problem des Schauspielers bei Nietzsche und des Einbruchs einer Macht in den sogenannten »Charakter«, den sie beiseite schiebt, überflutet und mitunter auslöscht –, dies Problem, sage ich, betrifft unmittelbar Nietzsches eigene Identität, bedeutet die Infragestellung dieser Identität als einer zufällig angenommenen und folglich vielleicht als Rolle gespielten – sofern nämlich, unter anderen möglichen ausgewählt, diese Rolle ebensogut zugunsten einer von den anderen tausend Masken der Geschichte hätte verworfen werden können. Diese Konzeption ist aus der Einschätzung des gewollten Irrtums, der Verstellung als Schein hervorgegangen und es bleibt nun zu bestimmen, in welchem Maße der Schein, wenn er denn ein Begreifen des Daseins ist, eine Offenbarung des Seins im Daseienden darstellt – eine Offenbarung des Seins im zufälligen Daseienden.
Ist das Dasein noch eines Gottes fähig, fragt Heidegger. Und diese Frage stellt sich ebenso im biographischen Kontext dessen, der zum ersten Mal den Satz: Gott ist tot als eine Botschaft verkündet hat, die sich im Kontext der Ereignisse und des Denkens der gegenwärtigen Epoche ergibt.
Am Vorabend seines Zusammenbruchs in Turin erwacht Nietzsche mit dem Gefühl, zugleich Dionysos und Christus zu sein, und er signiert mit dem einen oder dem anderen Namen verschiedene Briefe, die er an Strindberg, an Burckhardt und andere sendet.
Bis zu diesem Augenblick war nur von einem Gegensatz zwischen Dionysos und dem Gekreuzigten die Rede: – Hat man mich verstanden? – Dionysos gegen den Gekreuzigten… Und nun, da Professor Nietzsche untergegangen ist, oder besser, da er endlich alle Grenzen zwischen Außen und Innen niedergerissen hat, wird von ihm erklärt, daß zwei Götter in ihm wohnen. Setzen wir alle pathologischen Erklärungsversuche beiseite und nehmen wir diese Signaturen als ein gültiges Urteil über das, was den ihm eigenen Begriff des Daseins ausmacht. Die Substitution von Nietzsches Namen durch die zweier Götter rührt unmittelbar an das Problem der Identität der Person in Beziehung auf einen einzigen Gott, der die Wahrheit ist, und auf mehrere Götter, sofern sie einerseits eine Auslegung des Seins, andrerseits ein Ausdruck der Pluralität in einem und dem selben Individuum sind.
Er hält also am Bild Christi fest – oder, wie er selbst schreibt, an dem des Gekreuzigten, dem erhabenen Symbol, das für ihn das unverzichtbare Gegenbild des Dionysos bleibt; die zwei Namen des Gekreuzigten und des Dionysos halten dabei durch ihren Widerstreit das Gleichgewicht.
Wir kommen hier, wie man sieht, auf das Problem des nicht mitteilbaren Authentischen zurück und auch Karl Löwith stellt in diesem Zusammenhang in seinem bedeutenden Werk über die ewige Wiederkehr die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Nietzsches Lehre: im Falle er nicht Dionysos ist, bricht sein gesamtes Gebäude zusammen. Ich halte dagegen, daß Löwith nicht gesehen hat, in welchem Sinn das Gleichnisbild Rechenschaft vom Authentischen ablegen kann und in welchem nicht.
Wenn Nietzsche verkündet Gott ist tot, so bedeutet dies, daß mit Notwendigkeit Nietzsche seine eigene Identität verlieren muß. Denn was hier als ontologische Katastrophe dargestellt wird, entspricht exakt der Resorption der wahren und scheinbaren Welt durch die Fabel: in der Fabel gibt es nur noch eine Pluralität von Normen oder vielmehr überhaupt keine Norm im eigentlichen Sinn dieses Wortes, denn das Prinzip verantwortlicher Identität selbst ist darin völlig unbekannt, sofern das Dasein sich nicht in der Gestalt eines einzigen Gottes auslegt oder offenbart, der als Richter eines verantwortlichen Ich das Individuum einer mächtigen Pluralität entreißt.
Gott ist tot bedeutet nicht, daß die Gottheit aufhört, eine Auslegung des Daseins zu sein, vielmehr daß der absolute Garant der Identität des verantwortlichen Ich im Horizont von Nietzsches Bewußtsein verschwindet, von Nietzsche, der seinerseits sich mit diesem Verschwinden vermischt.
Wenn sich der Begriff der Identität verflüchtigt, bleibt vorerst, was auf das Bewußtsein zukommt, nur der Zufall. Bislang konnte es das Zufällige aufgrund seiner anscheinend notwendigen Identität anerkennen, nach deren Maß es alle Dinge in seinem Umkreis als notwendig oder zufällig beurteilen konnte.
Doch nachdem sich ihm das Zufällige als notwendige Wirkung eines universellen Gesetzes offenbart hat, des Glücksrads, kann es dazu kommen, daß es selbst sich als zufällig ansieht. Es bleibt ihm nur, zu erklären, daß seine Identität selbst ein Zufall sei, willkürlich für notwendig gehalten, frei, sich selbst als das universelle Glücksrad anzusehen, frei, die Totalität der Fälle, das Zufällige selbst in seiner notwendigen Totalität, wenn es kann, zu umfassen.
Was übrig bleibt, ist also das Sein und das Wort ›sein‹, das nie sich auf das Sein selbst, sondern auf das Zufällige bezieht. In Nietzsches Erklärung: Ich bin Chambige, ich bin Badinguet, ich bin Prado – jeder Name der Geschichte bin im Grunde ich –, wir sehen in dieser Erklärung das Bewußtsein verschiedene Möglichkeiten des Seins wie ebenso viele Lose aufzählen, die sämtlich das Sein wären, und sich dabei des augenblicklichen Gewinns bedienen, der Nietzsche heißt, der aber als Gewinn eben zugunsten einer generöseren Bezeugung des Seins abgedankt hat: zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ich habe es nicht gewagt, meinen Privat-Egoismus so weit zu treiben, um seinetwegen die Schaffung der Welt zu unterlassen…, man muß Opfer bringen, wie und wo man lebt.
Das Dasein als ewige Wiederkehr aller Dinge erzeugt sich in den Gestalten so vieler Götter wie es Auslegungsmöglichkeiten in der Seele der Menschen hat. Wenn der Wille dieser dauernden Bewegung der Welt angehört, so ist es zuerst der Kreis der Götter, den er betrachtet. So heißt es im Zarathustra:
Die Welt ist als ewiges Sich-Fliehn und -Wiedersuchen vieler Götter, als das selige Sich-Widersprechen, Sich-Wieder-Hören, Sich-Wieder-Zugehören vieler Götter…
Ohne Zweifel ist die nietzscheanische Version des Polytheismus notwendigerweise von der antiken Frömmigkeit ebensoweit entfernt wie deren Begriff des göttlichen Zeugungstriebs der vielen Götter vom christlichen Begriff der Gottheit. Wovon aber diese »Version« Zeugnis ablegt, ist die Weigerung, einer atheistischen Moral zu gehorchen, die für Nietzsche nicht weniger unerträglich war als die monotheistische Moral und er konnte in der atheistischen und humanistischen Moral nichts anderes sehen als die Fortsetzung dessen, was er als die Tyrannei der einen und einzigen Wahrheit denunziert hatte – welches auch immer ihr Name war und ob sie sich nun als kategorischer Imperativ oder in der Gestalt eines ausschließlichen persönlichen Gottes darstellte. Und in der Tat erweist sich der Unglaube gegen einen einzigen und gesetzgebenden Gott, einen Gott, der die Wahrheit ist, als wahrhaft göttlich inspirierte Gottlosigkeit und verbietet jeden Rückzug der Vernunft hinter bloß menschliche Grenzen. Nietzsches Gottlosigkeit diskreditiert nicht bloß den vernünftigen Menschen, sondern macht sich noch zum Komplizen all der Phantasmen, welche als Reflexe dessen die Seele bevölkern, was der Mensch hat ausstoßen müssen, um zu einer rationalen Definition seiner Natur zu gelangen; nicht daß diese Gottlosigkeit auf die simple Entfesselung blinder Mächte aus wäre, wie man in der Nietzsche-Interpretation zu behaupten allgemein übereingekommen ist, denn er hat nichts gemein mit einem Vitalismus, der mit allen von der Kultur erarbeiteten Formen tabula rasa macht; Nietzsche ist der Antipode eines jeden Naturismus; und Nietzsches Gottlosigkeit erklärt sich selber für diese Kultur tributpflichtig; deshalb kann man in der Beschwörung des Zarathustra einen Appell zum Aufstand der Bilder vernehmen, derjenigen Bilder, die die menschliche Seele in ihren Phantasmen, im Kontakt der dunklen Kräfte in ihr, zu formen fähig ist; Phantasmen, die die für die Seele als Fähigkeit unerschöpflichen Metamorphosen zeugen, als ein universell ungestilltes Bedürfnis nach Gestaltung, worin die verschiedenen außermenschlichen Formen des Daseins sich der Seele als ebenso viele Möglichkeiten des Seins darbieten: Stein, Pflanze, Tier, Stern, sofern sie jeweils Möglichkeiten des Lebens der Seele selbst sind; dieselbe Fähigkeit zur Metamorphose, die unter der Herrschaft des ausschließlich normativen Prinzips die große Versuchung darstellt, gegen die der Mensch jahrtausendelang hat kämpfen müssen, um sich selbst zu definieren; nicht daß in diesem Kampf um die Selbstdefinition die Fähigkeit zur Metamorphose nicht selber zum Ausscheidungsprozeß, der im Menschen als seinem letzten Produkt gipfeln mußte, beigetragen hätte: der beste Beweis dafür ist die Aufhebung der Schranke zwischen Göttlichem und Menschlichem und die wunderbare Kompensation, durch die in dem Maße, wie der Mensch seiner Animalität, Vegetabilität, Mineralität entsagte, in dem Maße auch, wie er seine Begierden und Passionen nach immer variablen Kriterien hierarchisierte, eine analoge Hierarchie sich ihm in den über- oder unterweltlichen Bereichen erschloß; das Universum bevölkerte sich mit Gottheiten, aber mit Gottheiten des einen und des andern Geschlechts, mit Gottheiten also, die fähig waren, einander zu folgen, sich zu fliehen, sich zu vereinigen; so sah für einen Augenblick das erstaunliche Gleichgewicht der im Mythos erblühten Welt aus, in der dank der nach Geschlecht1 und Gattung vielfältig unterschiedenen Götterbilder weder »Bewußtsein« noch »Unbewußtsein«, weder »Außen« noch »Innen«, weder »dunkle Mächte« noch »Phantasmen« den Geist beschäftigten, da die Seele sich ganz und gar darin genügte, Bilder in einen Raum zu setzen, der sich von der Seele nicht unterschied. Wenn in dieser Beziehung der moralische Monotheismus die Herrschaft des Menschen über sich selber vollendet und die Natur dem Menschen dienstbar gemacht hat, indem er das anthropologische Phänomen der Wissenschaft erlaubte, so hat er doch, Nietzsche zufolge, ein tiefes Ungleichgewicht verursacht, das am Ende von zwei Jahrtausenden in nihilistischer Zerrüttung endet; daher auch die Entfremdung des Universums durch den Menschen, die Nietzsche in seiner Erforschung durch die Wissenschaft begründet sieht und mithin der Verlust dessen, was das der Metamorphose fähige Heimweh der Seele ausdrückt: Eros, der, so sagt Nietzsche, aus dem Menschen ein Tier macht, das anbetet. Der »Tod Gottes« erreicht nun den Eros der Seele und trifft den Trieb zur Verehrung an seiner Wurzel, diesen Trieb, der die Götter erzeugt, der für Nietzsche zugleich schöpferischer Wille und Wille zur Ewigkeit ist. Der »Tod Gottes« bedeutet in dieser Beziehung einen Bruch im Eros, der ihn seither in zwei gegensätzliche Strebungen spaltet: den Willen, sich selbst zu erschaffen, der immer mit Zerstörung einhergeht, und den Willen zur Verehrung, der nie ohne den Willen zur Ewigkeit auskommt.
Und sofern der Wille zur Macht nur ein andrer Begriff für die Gesamtheit dieser Strebungen ist und die universelle Fähigkeit zur Metamorphose begründet, findet er etwas wie seine Kompensation, wie seine Genesung in der Identifizierung mit Dionysos, diesem alten Gott des Polytheismus, der, bei Nietzsche, alle toten und wiederauferstandenen Götter darstellt und in sich vereinigt.
Zarathustra trägt der Dissoziation dieses zweierlei Wollens, dem des Schaffens und dem des Verehrens, Rechnung, wenn er die Schöpfung neuer Werte fordert; neuer Wahrheiten also, an die der Mensch nie zu glauben, denen er nie zu gehorchen vermöchte, sofern sie vom Siegel des Notstands und der Destruktion gezeichnet sind. Was ausschließt, daß der Wille zur Schöpfung neuer Werte das Bedürfnis nach Verehrung je befriedigen könnte, ist dies, daß dieses Bedürfnis dem Willen zur Ewigkeit des Selbst innewohnt. Ist der Mensch ein Tier, das anbetet, so vermag er doch allein das anzubeten, was ihm aus der Notwendigkeit zu sein zukommt – ihretwegen kann er nicht nicht sein wollen. Und so vermöchte er den Werten, die er selber frei erzeugt, weder zu glauben, noch zu gehorchen, wenn es sich in ihnen nicht um die Bilder seines Bedürfnisses nach Ewigkeit handelte. Daher bei Zarathustra der Wechsel zwischen dem Schaffenwollen in der Abwesenheit der Götter und der Anschauung des Tanzes der Götter, der das Universum auslegt. Erst als er verkündet, daß alle Götter tot sind, fordert Zarathustra, daß von nun an der Übermensch lebe, das heißt die Menschheit, die sich selbst zu überwinden versteht. Wie nun überwindet sie sich? Indem sie von allen Dingen, die schon gewesen sind, noch einmal will, daß sie, und zwar durch ihr eigenes Tun, wiederkehren: dies Tun definiert sich als Wille zur Schöpfung und Zarathustra erklärt Wenn es Götter gäbe, was gäbe es dann noch zu schaffen? Doch was treibt den Menschen zur Schöpfung, wenn es nicht das Gesetz der ewigen Wiederkehr ist, dem anzuhängen er sich entschieden hat? Wem hängt er an, wenn nicht einem Leben, das er vergessen hat und das die Offenbarung der ewigen Wiederkehr als Gesetz ihn antreibt noch einmal zu wollen? Und was will er noch einmal, wenn nicht das, was zu wollen er eben jetzt nicht vermeinte: heißt das, daß die Abwesenheit der Götter ihn zur Schöpfung neuer Götter antreibt? Oder will er die Wiederkehr der Zeiten verhindern, in denen er die Götter verehrte? Indem er die Götter noch einmal will, will er den Übergang der Menschen zu einem höheren Leben? Doch wie könnte von nun an ein Leben anders höher sein als dadurch, daß es sich dem zuwendet, was schon einmal war? Wie anders als dadurch, daß es sich zu einem Zustand zurückwendet, in dem es die Götter nicht schaffen, sondern verehren wollte? Und so wird noch einmal deutlich, daß die Lehre von der ewigen Wiederkehr als der bloße Schein und das Bild einer Lehre zu verstehen ist, deren parodistischer Charakter von der Heiterkeit als einem Attribut des sich selbst genügenden Daseins zeugt; denn sei’s, daß die Wahrheit im Lachen der Götter explodiert, sei’s, daß die Götter selber in irrem Gelächter sterben – im Grund der Ganzen Wahrheit erschallt das Gelächter:
Sie haben sich selber einmal zu Tode – gelacht!
Das geschah, als das gottloseste Wort von einem Gotte selber ausging – das Wort: »Es ist ein Gott! Du sollst keinen andern Gott haben neben mir!«
Und alle Götter lachten damals und wackelten auf ihren Stühlen und riefen: »Ist das nicht eben Göttlichkeit, daß es Götter, aber keinen Gott gibt?«
Das Lachen ist hier wie das höchste Bild, die höchste Darstellung des Göttlichen, die die ausgesprochenen Götter wieder verzehrt und sie in einem neuen Gelächter wieder ausspricht; denn wenn sich die Götter totlachen, so werden doch aus diesem Gelächter, das vom Grunde der Wahrheit erschallt, die Götter auch wiedergeboren.
Man muß Zarathustras Abenteuer bis zu seinem Ende folgen, um den Widerruf des Bedürfnisses einer Neuschöpfung gegen die Notwendigkeit zu gewahren, die Denunziation der Solidarität zwischen den drei Kräften der Ewigkeit, der Verehrung und der Schöpfung, den drei Kardinaltugenden bei Nietzsche, und zu sehen, daß der Tod Gottes und der Notstand des gründenden Eros, der Notstand des Verehrungsbedürfnisses identisch sind; ein Notstand, den der Schöpfungswille als sein eigenes Scheitern der Lächerlichkeit preisgibt. Denn wenn es die Niederlage ein und desselben Triebs ist, so ist die Lächerlichkeit, die sie wettmacht, auch der Notwendigkeit der ewigen Wiederkehr einbeschrieben: wie er die ewige Wiederkehr aller Dinge gewollt, so hat Zarathustra sich vorab auch für die Lächerlichkeit seiner eigenen Lehre entschieden, als wäre das Lachen, dieser gründlichste Totschläger, nicht bloß der beste Anstifter, sondern der beste Verächter dieser Lehre; so will die ewige Wiederkehr aller Dinge auch die Wiederkehr der Götter. Welchen anderen Sinn könnte die außerordentliche Parodie des Abendmahls haben, bei dem der Mörder Gottes seinen Kelch dem Esel reicht – der Gestalt der Lästerung des christlichen Gottes zur Zeit der heidnischen Reaktion, aber mehr noch dem heiligen Tier der antiken Mysterien, dem goldenen Esel der Initiation in den Isis-Kult, dem durch sein unermüdliches I-A2 – sein unermüdliches JA zur Wiederkehr aller Dinge – der Darstellung göttlicher Langmut würdigen Tiers, würdig also auch, eine antike Gottheit, Dionysos, den Gott des Weins, zu inkarnieren, wiederauferstanden in allgemeiner Trunkenheit. Und in der Tat, wie der Wanderer und Schatten vor Zarathustra erklärt: Tod ist bei Göttern immer nur ein Vorurteil.
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