Kitabı oku: «Im Licht betrachtet», sayfa 2
Performance für alle
Es geschah mir im Flughafen Suvarnabhumi. In Bangkok. Dem internationalen, dem neuen Koloss. In einem der langen Gänge vom Gate zur Passkontrolle hastete er keuchend zwischen uns hindurch, überwand behände Familienzusammenballungen und unsicher sich aneinander drängende Touristen, legte sich in die Kurven, drehte dabei die rechte oder die linke Schulter nach vorn, schlängelte sich geschmeidig an allen vorbei, ohne jemanden ernsthaft zu touchieren. Er schien in solchen Slalomläufen trainiert, nahm das „Hey! Hey!“ und „Nono!“ hinter sich in Kauf. In der Schlange vor den Kabinen der Zollbeamten musste er sich eingliedern. Unruhig trat er von dem einen Bein auf das andere, blickte auf die Uhr, tat einen kleinen Ausfallschritt, um an der Reihe vorbei nach vorne zu blicken, schüttelte den Kopf. In der Hand hielt er den Pass, aufgeschlagen.
Fünf Minuten später sah ich ihn wieder – er war angekommen. Ein anderer geworden. Regungslos stand er da, nur die Rechte schob in kurzen Abständen eine Zigarette an den Mund. Dort ließ er etwas sich entwickeln, das dann als ein graues Weißes durch Mund und Nase hervorquoll. Liebevoll verfolgte er, wie es, sich sanft rundend und drehend, entschwebte. Dann richtete er den Blick auf eine unfassbare, unendliche Weite, entspannt dem Augenblick hingegeben. Das dauerte nicht lange. Er kehrte ins Hier und Jetzt zurück, er hob die rechte Hand zum Mund, schloss, um sich von nichts ablenken zu lassen, die Augen und nahm erneut einen tiefen Zug aus der Zigarette.
Ich bemerkte, dass er in einer Gruppe stand von Leuten, die in gleicher Weise kundtaten, dass sie ihr Glück gefunden hatten. Dicht gedrängt alle auf Tuchfühlung. Ansonsten kein Kontakt, kein Wort, kein Nicken, kein Blick.
Und alle, das war das Seltsamste, alle hinter Glas. Ein kleiner Raum, vielleicht 20 Quadratmeter, mit gläsernen Wänden. Sie reichten von den Füßen bis zum Hut. In der einen Ecke ein schmaler Zutritt. Weder Stuhl noch Sessel noch Sofa, nur Stehplätze. Aber das schien die da drinnen nicht zu stören. Sie strahlten eine tiefe, ungetrübte Zufriedenheit aus. Zwanzig oder dreißig mochten das sein, die den gläsernen Kasten bevölkerten. Nicht nur Männer, auch Frauen waren darunter, gar nicht so wenig, etwa zwanzig Prozent, eine Quote, die dem uns Gewohnten entspricht.
Diese Leute präsentierten sich als eine Mischung aus den verschiedensten Ländern, aus allen Kontinenten. Die Gesichter zeigten sich blass hellgrau, kernig braun, freundlich gelb oder bedrohlich dunkel, die Farbe der Haare reichte von nordeuropäischem Weiß oder Rot bis zum exotischen Schwarz. Ich sah Kleider und Kopfbedeckungen aus Arabien, aus Indien und aus unserem lieben Bayern, der Israeli stand neben dem Palästinenser, die ordenbeladene Brust des russischen Offiziers fügte sich neben das aufgeknöpfte Hemd des texanischen Farmers.
Sie blieben alle nicht länger als drei bis fünf Minuten. Aber durch die schmale Öffnung traten immer wieder neue hinein. Es war ein ständiges Kommen und Gehen in ungleichmäßiger Folge. Meistens kamen sie einzeln, aber hin und wieder zwei oder gar drei gemeinsam. Diese Fluktuation bewirkte, dass trotz leichter Schwankungen die Anzahl der Figuren annähernd die gleiche blieb.
Es war beeindruckend, mit welchem Eifer sie von allen Seiten her ihrem Auftritt zustrebten, behände, eilig, hastig, manche hektisch, immer ziel- und pflichtbewusst. Weder abzulenken noch aufzuhalten durch Caféstuben und Zeitungs- und Buchläden, Bars und Parfüms oder die Shops mit riesigen Batterien von Alkoholika aller Arten. Nicht einmal durch schöne Menschen beiderlei Geschlechts war ihr Tempo zu drosseln.
Trotz aller Unterschiede im äußeren Erscheinungsbild demonstrierten sie mit dieser Art, ihre Bühne zu erobern, dass Wesensgleiches sie verband. Das trat im Bühnenraum noch eindringlicher hervor. Gerade die großen Kontraste im Äußeren ließen das ihnen Gemeinsame sich so eindrucksvoll entfalten. Denn was auch immer sie sonst tun, denken, fühlen mochten, wie kontrastreich sie sich kleideten oder frisierten, hier zeigten sie Einheit, Gleichheit, vielleicht gar Brüderlichkeit. Sie hielten mit angewinkeltem rechten Arm in der Hand zwischen Zeige- und Mittelfinger die Zigarette, führten sie in kurzen Abständen an die Lippen, nahmen Arm, Hand und Zigarette zurück in die Ausgangsstellung, und bald darauf ließen sie die ansehnliche Qualmwolke aus Mund oder Nase oder aus beiden zugleich hervorquellen. Sie starrten irgendwo hin, offenbar ohne etwas wahrzunehmen, und dann wiederholte sich die Sequenz und wiederholte sich. Bis das Requisit verraucht und verbraucht war. Der Akteur lockerte dann seine steife Haltung, nahm Notiz von seiner unmittelbaren Umgebung und schob sich zwischen den Mitspielern hindurch zum Ausgang und verließ zufrieden, gefestigt, gestärkt die Bühne.
Drinnen nahm das Spiel gleichmäßig seinen Fortgang. Und als ich einige weitere Minuten zugeschaut hatte, wurde mir klar, dass nicht nur die Reduzierung der dargebotenen Handlung auf die knappen, synchron geschalteten Bewegungen alle Unterscheidungsmerkmale der Darsteller verblassen ließ. Auch der dicke, zähe Qualm, der wabernd, in zögerndem Kreisen und Schwanken das ganze Kabinett gleichmäßig ausfüllte, dämpfte Farben und Konturen, verschleierte Unterscheidungsmerkmale.
Ich begriff den tieferen Sinn der Darbietung: Der modernen Verherrlichung des Ich, seiner Subjektivität, seinem liberalen Selbstverwirklichungswahn in der eigenen Profilierung, in der Missachtung des anderen, in selbstverliebtem Streben nach Unterscheidung und Absetzung vom Du und Ihr wurde eine klare Absage erteilt.
Eine Absage aber auch dem Aufgehen des Einzelnen im alles verschlingenden Wir ohne Ich und Du. Niemand ist allein, aber nicht jene, das Individuum missachtende, selbstvergessene Hingabe an den großen Chor in der Fußballarena, auf dem Kirchentag, im Popkonzert.
Vielmehr wurde mir vor Augen geführt das friedvolle Nebeneinander von Individuen, die alles genießen, was sie brauchen, aber nichts gewinnen auf Kosten des anderen. Die alles unterlassen, was den anderen verärgern oder beschämen, herabwürdigen oder ins Nachteil setzen könnte.
Und nicht nur diese Idee machte mich glücklich. Ich bewunderte die Mittel, mit denen sie lebendig gemacht wurde. Keine dramatischen Dialoge, keine ermüdenden Monologe, nicht ein einziges Wort. Ein Minimum an Requisiten. Verzicht auf Kostüme und Kulisse, auf spektakuläre Beleuchtungseffekte, auf Balletteinlagen und auf Musik. In symbolhafter Verdichtung eine Reduzierung auf das Wesentliche, das sich gerade darum so eindrucksvoll mitteilen konnte.
Das war ein schöner Tag.
Nur einige Wochen später hatte ich wieder ein beglückendes Erlebnis. Auf einem Bahnhof unserer Republik. Ich wartete geduldig wie die anderen am Gleis 7 auf das Ende der Verspätungszeit meines Zuges und sah weit hinten ein Element der Unruhe. Ein Mann kämpfte sich heran, mal beängstigend dicht an der Bahnsteigkante, mal im Zickzack zwischen den Reisenden und Kofferstapeln hindurch. Als er an mir vorbeikam, sah ich sein von großer Konzentration und Anstrengung verzerrtes Gesicht, mit der Linken schleppte er sein Gepäck, mit der Rechten eine Zigarette. Zwanzig Schritte weiter tauchte er ein in eine Gruppe, über deren Köpfen der Rauch eines kleinen Schwelbrandes waberte.
Ich war alarmiert, machte mir mit einer Rücksichtslosigkeit, die ich an mir noch nicht kennengelernt hatte, den Weg frei zu jenem Ort. Tatsächlich, es war genauso wie auf Suvarnabhumi, die Performance auch hier. Nun ja, genauso war es nicht, denn auf die gläserne Ummantelung hatte man verzichtet und statt ihrer ein Rechteck hergestellt aus breiten gelben Streifen. Vielleicht um eine eigene Note zu bringen, vielleicht weil diese Lösung preiswerter war – die Bahn muss ja sparen. Aber das schränkte die Übereinstimmung nicht ein. Auch hier das geschäftige Kommen und entspannte Gehen, das Nebeneinander von ölbeflecktem Blaumann und grauem Nadelstreifen, von Student und Rentner, hier Bild, da FAZ unter den Arm geklemmt. Schulter an Schulter ein Einsinken in ein tiefes Glücksgefühl. Die Versöhnung des Pariser Parfüms einer sichtlich Begüterten mit dem Makrelenduft einer bescheidenen Fischverkäuferin, vermischt zu einer Kreation, die nur hier zu genießen war. Alles äußerlich zusammengehalten durch die gelbe Einfriedigung, innerlich verbunden durch die hingebungsvolle Darstellung eines Beisammenseins der Gleichgesinnten.
Nur Kinder, die durften offenbar nicht mittun. Zumindest noch nicht. Aber was soll’s. Der Andrang der Protagonisten war so groß, dass schon jetzt die Bühne fast zu klein war. Außerdem wären Kinder vielleicht nicht mit dem Ernst bei der Sache, den die Erwachsenen hier an den Tag legten.
Beifall auf offener Szene liegt mir nicht, dennoch ging es diesmal mit mir durch. Ich setzte meinen Koffer ab und klatschte kräftig. Die Umstehenden sahen mich verwundert an, mehrere aus dem Karrée starrten befremdet zu mir herüber, und einer überschritt die gelbe Linie und kam mit großen, energischen Schritten und brennender Zigarette stracks auf mich zu, nahm eine drohende Haltung ein und fragte gereizt, was mir einfalle, ob ich Streit suche. Er sprang heraus aus seiner kontemplativen Rolle und schrie mich an, ob ich eine Tracht Prügel wolle. Ich hob besänftigend die Hände und bat, meine Störung der Veranstaltung zu entschuldigen. Ein uniformierter Bahnbeamter tauchte auf, mein Gegenüber merkte, dass er das brennende Requisit noch in der Hand hielt, und kopfschüttelnd ging er in die Einfriedigung zurück.
Ich schämte mich, dass ich unbeherrscht wie ein arger Kunstbanause dazwischengefahren war. Dann wurde mir an der Reaktion des Mannes bewusst, mit welchem Ernst er sein Spiel betrieben und wie sehr ihm meine Störung zugesetzt hatte. Chapeau, dachte ich erfreut und nickte anerkennend hinüber.
Was für Menschen waren das, die da so einsatzfreudig und gewissenhaft am Werk waren. Welcher kreative und kunstsinnige Kopf hatte dieses Oeuvre ersonnen, wer hatte es in Szene gesetzt. Weltweit! Und völlig uneigennützig. Eintritt frei, keine Blechdose, kein Hut.
Als ich im anfahrenden Zug langsam an ihnen vorbeifuhr, hob keiner von ihnen den Blick zu mir hinauf, so versunken waren sie in ihrem Spiel. Und du, sagte ich mir, du bist nicht dabei, weder hier noch in Bangkok. Ich fasste spontan den Entschluss: Ich habe noch nie geraucht, aber jetzt fange ich an, und dann überschreite ich die gelbe Grenze und trete ein in das Glashaus, und schon bin auch ich ein Lebenskünstler!
Die Letzten können die Ersten sein
Ich helfe gern. Auch im Haushalt. Ja, selbst da. Natürlich bei der einen Arbeit lieber als bei der anderen. Zur letzteren Art gehört das Einkaufen. Dabei bietet diese Beschäftigung durchaus mehrere Annehmlichkeiten. Sie schmutzt nicht, ich befinde mich immer im Trocknen oder im Schatten, einfühlsame Musik umschmeichelt mich, und manchmal treffe ich Bekannte. Und ich muss keinen Kittel tragen. Zudem bewege ich mich zwischen den Regalen sehr routiniert, gehöre nicht der Gruppe jener Männer an, die, den Einkaufszettel am angewinkelten Arm 40 cm vor der Brust, mit irrem Blick auf verzweifelter Suche nach einem Produkt durch die Gänge hasten, wobei sie ihren Einkaufswagen als Rammbock vor sich herstoßen und die Grundregel Rechtsvorlinks missachten. Nein, ich habe im Sektor Einkaufen schon so oft geholfen, dass ich weiß, wo Bunter Zuckerstreusel und Geriebener Emmentaler, Basmatireis und Papiertaschentücher ihren Platz haben.
Meine Frau hat alles auf einen Zettel geschrieben, so wie es ihr eingefallen ist, teils der plötzlichen Eingebung, teils dem Zwang einer konkreten Mangelsituation folgend. Sie legt fest, ich führe aus.
Wenn die Stunde des Aufbruchs für mich gekommen ist, nehme ich diesen kreuz und quer und in Blau, Schwarz und Rot schwungvoll beschriebenen sowie küchenmäßig angeschmuddelten Zettel und begebe mich in die Ruhezone meines Schreibtisches und ergreife einen makellosen weißen, glatten Bogen und schreibe alles noch einmal ab. Nicht weil mich der Fettfleck stören würde, nein, nein, ein Spießer bin ich nicht. Ich schaffe vielmehr Folgendes: Die ungeordnete Sammlung bringe ich in eine Ordnung. In ein sinnvolles, praktisches System. Einen Führer durch den Irrgarten des Konsums. Ein Navigationssystem für Konsumenten. D. h.: Ich schreibe Butter, Zucker, Milch und Mehl in der Reihenfolgeuntereinander, wie sie in meinem Supermarkt angeordnet sind, vom Eingang durch das rechtwinklige Labyrinth bis zu den Kassen. So etwas spart Zeit, schützt vor jenem lächerlichen hechelnden Herumhasten. Gibt Übersicht und Selbstbewusstsein. Ich bin abgesichert.
So macht der Einkauf Freude. Ich arbeite das Programm ab, nicht überhastet, aber zügig, konzentriere mich auf die Vorgaben meines Zettels und bin stolz, auf diese Weise gegen alle Verführungen gewappnet zu sein, hier noch eine Tafel Edelbitter, dort zusätzlich eine mit Zimt verfeinerte Pflaumenmarmelade aufzuladen.
Dann aber kommen Ort und Augenblick, die zu beherrschen mir nicht gegeben ist (zumindest noch bin ich nicht so weit): das Gelände vor den fünf Kassen. Wenn an jeder eine junge Dame ihr Werk verrichtet, ist alles gut. Und wenn ich dabei manchmal an einen jungen Mann gerate, der meine Einkäufe gezielt über den Scanner schiebt, enttäuscht mich das nicht, ich bin ja zum Arbeiten hier. Aber heute muss ich beim Einkurven in den Aufmarschplatz einmal wieder zur Kenntnis nehmen, dass die Lage an diesem kritischen Punkt just in diesen Minuten nicht unproblematisch ist, vielmehr sich krisenhaft zugespitzt hat. Nur die Kassen Nr. zwei und Nr. vier sind bestückt mit je einer Kassiererin. Also zwei Schlangen, lange Schlangen. Zu lang. Einen Rückzug in die Warteschleifen der bergenden Schluchten aus gestapelten Waschmitteln oder Feingebäck verbietet die Selbstachtung. Und dann ist es soweit. Die Kassiererin hinter Kasse zwei beugt sich vor, schätzt die Schlangenlänge und kommt zum gleichen Ergebnis wie ich: zu lang.
Damit man mich richtig versteht: Nicht weil ich die mit der Ordnung auf meinem Zettel herausgeschlagenen sechs Minuten wieder verliere, ist sie mir zu lang. Das nähme ich gern in kauf, bliebe mir erspart, was nun zwangsläufig seinen Lauf nimmt von elektrisierender Unruhe bis zum explodierenden Chaos. Die Kassiererin nämlich ergreift noch im Zurücklehnen ihr Mikro, zieht es zu sich heran und spricht die bedeutungsschweren Worte „Kasse bitte!“. Alle sind mit einem Schlag hellwach. Wann kommt die dritte Kollegin? Aus welchem Gang kommt sie? An welche Kasse geht sie? Kundinnen und auch Kunden mit Einfallsreichtum und Routine dirigieren ihren Wagen in zentimeterkurzem Vor- und Zurückschieben um ein Stückchen zur einen Seite hinaus, und selbst stellen sie sich schräg neben das Gefährt auf die andere, sodass Hinterfrau und Hintermann nicht ohne Umweg schnurstracks an ihnen vorbeischießen können. Ein anderes bewährtes Mittel ist das Ausfahren der Ellenbogen durch Abstützen der Arme auf den Hüften. Wer noch jung oder einfach nur physisch stabil ist, verlässt sich auf sein Reaktionsvermögen, seine Schnelligkeit und Stoßkraft. Die Neue könnte ohne Umwege und -schweife einen der leeren Kassenplätze ansteuern und dort Platz nehmen. Sie bremst aber plötzlich ab und macht eine Kehrtwendung, um noch ein Wort zu wechseln mit einer ihrer beiden Kolleginnen. Unter uns hat der unübersichtliche Bewegungsablauf der jungen Frau mehrere zu Fehlstarts verleitet mit daraus resultierendem Rückstau, der zu kleineren Verwerfungen führt mit ersten Bodychecks. Aber da die im Rahmen des Unvermeidlichen bleiben, nimmt keiner übel, verteilt und erwartet niemand über beiläufig Gemurmeltes hinaus ernst gemeinte Entschuldigungen., Zumal der Blick alleweil nach vorn gerichtet bleibt. Bleiben muss. Konzentriert auf den Augenblick, da die da vorn sich setzt. Sie tut es. Das ist der Startschuss: In Drängen und Schieben, Stoßen und Stürmen explodiert die angestaute Energie im entschlossenen Kampf um einen der vorderen Plätze der neuen Reihe. Fast lautlos wird gekämpft, schweigend, aber verbissen. Auch du hast eine Chance, also los, nutze sie, sage ich mir. Aber ich bleibe mal wieder eher passiv, lasse mich unentschlossen stoßen, drängen, schieben, hierhin und dorthin. Autoscooterei. Nicht einmal auf dem Jahrmarkt mag ich das. Alten Mitbürgern und Kindern bleibt nichts, als den Kopf zwischen die Schultern zu ziehen, die Füße in den Steinfußboden zu bohren und den Griff des Einkaufswagens zu umklammern. Der zurückhaltende Mensch aus der Querstraße, mit dem ich in der vergangenen Woche so nett über Farbe und Duft der neuen Rosenzüchtung geplaudert habe, zieht mit dynamischem Antritt an mir vorbei. Auf der rechten Spur!
Dieses Erdbeben dauert nicht länger als zwanzig Sekunden. Dann ist die Harmonie einer neuen Menschenkette nebst fahrbaren Vorsätzen aus entfesselten Urkräften geboren, die wir längst gebändigt wähnten. Den ersten da vorn im neuen Glied sehe ich auch von hinten die Freude darüber an, dass sie mit eigener Kraft das Wort umzusetzen vermochten, die Letzten würden die Ersten sein. Derweil pendelt ganz hinten das Nachbeben in gesittetem Aufrücken und friedlichem Ausgleich unterschiedlicher Längen der drei Stränge harmlos aus.
Die Ordnung in meinem Wagen ist etwas derangiert, gewisse Verschiebungen zwischen Gemüse und Backwaren und das Türmchen aus Joghurtbechern ist eingestürzt, aber das kriege ich beim Aufsetzen auf das Laufband wieder hin.
Ich trete ins Freie, die Sonne scheint in meinen gefüllten, übersichtlich gepackten Wagen, ich habe den Tumult ohne nennenswerten Schaden überstanden. Es ist schön, eine Aufgabe zur eigenen Zufriedenheit gelöst zu haben. Im Schutz des aufgeklappten Kofferraumdeckels reibe ich unauffällig in zart massierendem Auf und Ab die Stoßstelle am Steiß, es ist nicht arg. Voriges Mal der Schlag gegen den Hüftknochen war schlimmer, sogar ein kleiner Bluterguss. Oder im März die Abschürfung an der rechten Achillessehne nebst Loch im Socken.
Statistisch gesehen, habe ich nun 4,7 Einkäufe ohne Turbulenzen vor mir. Und dazugerechnet werden kann, dass meine Frau so ungefähr jeden fünften Einkauf tätigt.
Doch, ich helfe gern.
Back to the roots
Freund Herbert hatte es so erfasst: „Das Archaische kommt wieder heraus. Der Homo Heidelbergensis in Dir wird erweckt. Wird hellwach sein. Renaissance des Animalischen. Verstehst Du?“ Er sprang auf und stellte sich breitbeinig vor mich, hob beschwörend die Hände. „Verstehst Du mich? Du wächst empor zum das Feuer zügelnden, die Flammen zähmenden Prometheus. Das Urelement sich zu Diensten zwingen – Junge, das ist es, das ist Leben!“ Sein Unterkiefer schob sich nach vorn, die Lippen entblößten die Zahnreihen, eine dicke Haarsträhne glitt vor die Stirn, die Augen glühten, mir wurde Angst.
Meine Frau versuchte, Ehrgeiz und Ehre anzusprechen. „Alle machen es“, sagte sie. „Nur wir nicht“, sagte ich und straffte meine Haltung. „Das ist es ja“, setzte sie nach. „Das ist es ja. Willst du zum Außenseiter werden? Zum verspotteten Sonderling?“ In diesem Falle dachte ich „Ja“ und sagte: „Nein, das natürlich nicht. Aber diesen Rückfall in primitive Urzeiten mache ich nicht mit!“ Und ich sah das Bild, wie ich als kleiner Junge eine kleine Kuhle ins Feld buddelte, Steine ringsherum legte, mühsam zwischen ihnen einen Haufen aus Holzabfall, Papier und Lumpen entzündete und dann mit tränenden Augen die aufgespießten Kartoffeln darüber hielt. Und als ich nach Haus kam, schimpfte meine Mutter: „Wie kann man sich nur so einsauen!“ Meine Frau war sichtlich empört: „Primitiv? Primitive Urzeiten? Ein Grill, das ist heutzutage ein bis ins letzte ausgeklügeltes technisches System. Also morgen kaufen wir einen Grill!“ Ich stampfte mit dem Fuß auf und setzte den Schlusspunkt: „Morgen nicht und nie!“
Am späten Nachmittag des folgenden Tages fuhren wir also zum Fachhändler. Auf dem Parkplatz machte ich noch einen Versuch. „Wenn es alle machen“, sagte ich, „dann kannst du es ja übernehmen.“ „Hast du schon eine Frau beim Grillen gesehen“, empörte sie sich, „für den Mann ist das die Rückkehr zu den Wurzeln, die Rückbesinnung auf …“ „Also doch der Rückfall ins Archaische?“, nahm ich reaktionsschnell den Pass auf. „Du suchst Streit“, sagte sie und stieg aus.
„American outdoor living“ prangte über dem Eingang, darunter „Grillen war gestern“ – was mich einen kaum unterdrückten Jubelschrei entfahren ließ, dem aber der folgende Satz den Boden entzog: „ … heute ist Barbecue!“ Was genau damit gemeint war, wusste ich nicht, aber es verhieß nichts Gutes, und ich dachte, es wäre vielleicht besser gewesen, wenn wir schon gestern gekommen wären. Ein Herr in grünen Hosen, die ihm knapp über die Knie reichten, und mit einer grünen Schürze vor dem Bauch führte uns in einen weitläufigen Raum, der gefüllt war mit einer Fülle unterschiedlicher blitzender Gerätschaften nebst etlichen künstlichen Palmen. Der Beschürzte hatte schnell erfasst, dass er mit uns Anfänger zu behandeln hatte. „Dann fangen wir mal ganz von vorne an“, sagte er und rieb sich die Hände, froh offenbar, eine richtige Aufgabe vor sich zu haben. Er holte Luft und begann gestenreich die Einführung in sein Reich.
Ich hatte nach wenigen Minuten Übersicht und Zusammenhang verloren, und er wandte sich zunehmend mehr und schließlich nur noch meiner Frau zu. Die machte sich auf ihrem Schreibblock Notizen, und er dozierte über Grill und Smoker, Iron Cooking und Grilling Topp, über Grill Baskits und Tools und Togs. „Unser Smoky Joe Silver“, schwärmte er und legte liebevoll die flache Hand auf ein glänzendes, futuristisches Gebilde, das so aussah, wie ich mir ein Raumschiff aus fernen Galaxien vorstellte. „Mit der seitlichen Feuerbox bieten sich Ihnen die verschiedensten Grillmethoden für eine genussreiche Zubereitung ihres Grillguts“, pries er, und ich dachte, das ist ein großes Versprechen, befürchtete aber, dass er sich versprochen und nicht die Zubereitung, sondern das Zubereitete als genussreich deklariert habe. „Grillen Sie mühelos für bis zu 18 Personen“, stellte er das nächste Objekt vor, und bei „mühelos“ horchte ich wieder auf.
Und er zeigte farbig angepasste Seitenteile aus Aluminiumguss und feststellbare Lenkrollen an stabilem Untergestell aus Rundrohr mit grifffesten Kunststoffrädern sowie Grill-out-Grifflicht und fixierbare Lenkrollen – ich war beeindruckt, mit dergleichen kann mein Auto nicht aufwarten. Und der Schürzenmann steigerte sich in einen Rausch aus höhenverstellbarem Feuerrost mit variabler Luftzufuhr, aus doppelwandigen Deckeln von Edelstahl mit Zierleiste und glasfaserverstärktem Duroplastgriff, aus justierbaren Lüftungsscheiben und einem in die Grillhaube mittig integrierten Thermometer.
Meine Frau nickte beeindruckt und anerkennend, fast ehrfurchtsvoll. Dann wandte er sich noch einmal mir zu und runzelte die Stirn, schien einen Augenblick zu überlegen, welcher Information es noch bedürfe, mich gleichfalls zu gewinnen, und plötzlich schien ihm einzufallen, welche Taktik mir angemessen sein dürfte, denn sein Gesicht strahlte. Er kam einen Schritt auf mich zu, legte seine Rechte auf meine Schulter und ballte die andere zur Faust.„Das ist unser Revier“, raunte er, und mit einem Seitenblick auf meine Frau: „Nur unseres. Da ist der Mann noch Mann.“ Er lockerte die Faust und wies mit weit ausholender Bewegung über das Raffinement seiner Apparaturen, wobei er schwärmte: „Da kann die Tür zum unverfälscht Ursprünglichen viel tausendjähriger Lebensweise noch geöffnet werden.“
An die Mauer war ein großes Plakat geklebt, „Grillmeisterschaft 2015 – teilnahmeberechtigt am Wettbewerb des Deutschen Grillverbandes sind volljährige Personen mit Wohnsitz in Deutschland. Die Vorentscheidungen …“ „Kann man sich hier bei Ihnen anmelden?“, fragte ich artig, um überhaupt auch etwas zu sagen. „Das ist in diesem Jahr für Dich noch zu früh“, fuhr meine Frau dazwischen. „Aber Du wirst sehen, schon im nächsten Jahr bist Du bestimmt so weit.“ Er klopfte mir anerkennend auf die Schulter.
Während meine Frau die Entscheidung traf und zahlte, schweifte mein Blick noch einmal über das Barbecueparadies, und mir wurde klar: „So also haben die damals in Heidelberg gelebt.“
Am Abend nahm ich die Gebrauchsanweisung mit ins Bett, fand auf dem Kopfkissen in mit einer Schleife anmutig umwickeltem Geschenkpapier das Büchlein „Der kleine Grillmeister“ und las abwechselnd in beiden bis in die späte Nacht hinein. Am Nachmittag des nächsten Tages gelang es mir unter dem Vorwand quälender Zahnschmerzen, das Büro früher zu verlassen. Ich kaufte zwei Würstchen und einen Maiskolben für meine Generalprobe, wurde aber durch ein heftiges Gewitter auf die theoretischen Studien zurückverwiesen.
Vom dann folgenden Ernstfall ist nichts Ruhmreiches zu berichten. Das Raffinement meiner Ausrüstung überforderte mich, statt mir zu helfen. Schon bei der Aufgabe, das Monstrum zusammenzusetzen, war ich über das Befreien der Einzelteile von Papp-, Kunststoff- und Plastikummantelungen nicht hinausgekommen – unserem Nachbarn sei an dieser Stelle noch einmal von ganzem Herzen gedankt. Man hätte noch einen freien Vorbereitungstag haben sollen, um etwas Distanz und Ruhe zu gewinnen, einen freien Tag für Sammlung, Konzentration und Rekapitulation, aber es ist immer wieder derselbe Fehler: Man lernt für die Prüfung bis zum letzten Augenblick.
Ich war noch hektisch mit dem Aufstellen und Zurechtrücken der Utensilien beschäftigt, da hörte ich das Klingeln an der Haustür, und dann versammelten sich die männlichen Gäste, Fachleute der eine wie der andere, in engem Kreis um mich und meine Arbeitsgeräte und mein Grillgut. Eine Phalanx strenger Prüfer. Mein kleines bisschen Mut verrieselte im Rasen. Sie aber ließen mich hochleben als einen der ihren, der Spätentwickler nun endlich doch in ihrer Mitte, und sie banden mir ihre Gabe, eine alberne Schürze, um den Körper, bunt und mit Insignien des Grillhandwerks bedruckt. Und die Gaben der guten Ratschläge dieser langjährigen Profis fielen auf mich herab, ich erhaschte „Marinade doch nicht vor dem Grillen“, „vergolden statt verbrennen“, „Benspyren“, „Holzkohlengrill und Kugelgrill“, „Fleisch nur nicht in die Flamme.“ „Komm“, sagte einer zu mir, legte das Jackett über den Liegestuhl, streifte die Ärmel unter die Achselhöhlen, „Komm Junge, da packen wir alle an!“ Er rieb sich die Hände, ein anderer entwand mir die Zange. Zwei stürzten sich auf die Schüsseln mit den Schweinenackensteaks in Paprika und Knoblauch und mit den Rib-Eye-Steaks, einer auf die Rostbratwürstchen, ein vierter auf die Spareribs, ich wollte schon bescheiden zurücktreten, da schritt energisch meine Frau ein, rief mit ausgebreiteten Armen „Zurück, zurück, das Spiel mit dem Feuer lässt er sich nicht aus der Hand nehmen!“, und murrend kapitulierten sie. Sie aber flüsterte mir aufmunternd ins Ohr: „Und wenn du das dann gut gemacht hast – wir wollen mal sehen, was dem Weihnachtsmann dazu noch so alles einfällt“, und sie stieß mich mit einem mittelschweren Knuff zwischen die Schulterblätter in den Ring.
Was sich dann an meinem Arbeitsplatz abspielte, stand in krassem Widerspruch zu der Barbecueverheißung im chromblitzenden Saal vor zwei Tagen – fettige Ascheflocken auf Kleidung und Haar, beißender Rauch in den Augen und in der Nase ein penetranter Geruch von Schweiß und verbranntem Fleisch, zu dem auch die gefährdeten Bereiche meiner Hände gehörten. Hustenanfall. Das also war der verheißene Salto rückwärts zu den Heidelbergern im Neandertal. Und die neue Grillschürze wies schon nach kurzer Zeit ein Brandmal auf. Der Kampf mit Auflegen, Wenden, Würzen, Bestreichen, Abnehmen, Gluthüten gehört zum Aufregendsten des vergangenen Jahres. Wenn ich die Steaks bestrich und bestreute, ermahnte meine Frau mich, die Höhenverstellbarkeit des Feuerrosts nicht zu vergessen, und wenn ich die stufenlos verstellbare Luftzufuhr regulierte, wies sie mich an, endlich das Bier über die Koteletts zu träufeln. Mal fiel was auf den Boden, mal vergaß ich das Curry, mal qualmte ein Stück verkohlt an einem Ende und glänzte blutig am anderen, und die in Folie verpackten Kartoffeln vergaß ich allesamt. Je länger es dauerte – und es dauerte lange – umso flächendeckender überzogen Rußpartikel und Tropfen und Spritzer in einer ekelhaften Kombination aus Fetten und Marinaden, Öl, Schweiß und Rotwein meine Kleidung, meine Hände, mein Gesicht. Dass ein gewisser Prometheus sich aufmüpfig erkühnt hatte, dieses menschenfeindliche Element gegen den Willen der Oberen von oben herunterzuholen und uns als großes Geschenk zu übergeben, brachte ihm, völlig zu Recht, die qualvolle Bestrafung durch die beleidigten Götter ein, aber diese, so sinnierte ich, war noch viel zu milde, ich hätte ihn zu lebenslanger Sklavenarbeit am Grill verdammt. Als der Kampf beendet war, raunte meine Frau mir ins Ohr: „Wie kann man sich nur so einsauen?“
Die Nacht gewährte mir nur einen aus Erschöpfung und nervöser Überreizung gemischten unerquicklichen Schlaf, durchsetzt mit überflüssigen Träumen. Ich erspähte unter den Zweigen des Weihnachtsbaums den Wälzer „Grillen für Fortgeschrittene“. Ich hockte als kleiner Junge vor zwei Steinen, zwischen denen auf artiger Glut drei Kartoffeln zischten, ohne gierige Zuschauer vom Fach und ohne Grill-out-Grifflicht und Lüftungsscheiben. Und ohne meine Frau. Dann wieder lümmelte ich mich gemütlich, ein Glas Rotwein in der Hand, auf einem Küchenstuhl vor dem Herd, der die leckersten Gerüche eines brutzelnden Bratens entweichen ließ.
Im frühen Morgenlicht las ich in der Küche auf dem Kalenderblatt die Weisheit für den Sonntag: „Wer spricht von Siegen – Überstehn ist alles. Rainer Maria Rilke.“ Gut der Mann.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.