Kitabı oku: «Dismatched: View und Brachvogel»
Bernd Boden
Dismatched: View und Brachvogel
Eine phantastische Dystopie
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Der Autor
Über dieses Buch
Personen
Glossar
Teil 1: Urb und Klave
System / ClockedCounter / Update_566 / Takt_15.563.200
Sommersaat; dritter Umlauf im fünfhundertachtundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_566 / Takt_15.592.006
Sommersaat; dritter Umlauf im fünfhundertachtundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_567 / Takt_17.856.730
System / ClockedCounter / Update_562 / Takt_29.054.327
Sommersaat; erster Umlauf im fünfhundertvierundfünfzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_567 / Takt_19.870.261
Aus dem Manual der Agency of SocialTechnology
System / ClockedCounter / Update_567 / Takt_23.673.891
Sommersaat; erster Umlauf im fünfhundertfünfundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_∞ / Takt_∞
Sommersaat; zweiter Umlauf im fünfhundertfünfundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_567 / Takt_25.891.329
System / ClockedCounter / Update_563 / Takt_21.349.284
Sommersaat; fünfter Umlauf im fünfhundertachtundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_567 / Takt_28.457.321
Sommersaat; zweiter Umlauf im fünfhundertneunundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_568 / Takt_6.346.781
Sommersaat; dritter Umlauf im fünfhundertneunundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_568 / Takt_8.580.359
System / ClockedCounter / Update_563 / Takt_17.856.730
Sommersaat; dritter Umlauf im fünfhundertneunundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_568 / Takt_11.491.793
System / ClockedCounter / Update_568 / Takt_13.841.462
System / ClockedCounter / Update_568 / Takt_16.458.361
Wintersaat; siebter Umlauf im fünfhundertneunundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_568 / Takt_21.789.243
Wintersaat; siebter Umlauf im fünfhundertneunundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_568 / Takt_24.892.439
Wintersaat; siebter Umlauf im fünfhundertneunundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_568 / Takt_26.698.351
Wintersaat; neunter Umlauf im fünfhundertneunundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_569 / Takt_28.398.987
Wintersaat; achter Umlauf im fünfhundertsiebzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
System / ClockedCounter / Update_570 / Takt_29.285.429
Teil 2: View und Brachvogel
System / ClockedCounter / Update_570 / Takt_31.286.348
Wintersaat; zwölfter Umlauf im fünfhundertsiebzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
Wintersaat; erster Umlauf im fünfhunderteinundsiebzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
Traumzeit
System / ClockedCounter / Update_571 / Takt_4.693.251
Traumzeit
System / ClockedCounter / Update_571 / Takt_8.905.361
Traumzeit
Sommersaat; vierter Umlauf im fünfhunderteinundsiebzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
Traumzeit
System / ClockedCounter / Update_571 / Takt_9.798.649
Traumzeit
System / ClockedCounter / Update_571 / Takt_11.406.978
Traumzeit
System / ClockedCounter / Update_571 / Takt_12.890.371
Traumzeit
System / ClockedCounter / Update_571 / Takt_15.890.381
Sommersaat; fünfter Umlauf im fünfhunderteinundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_571 / Takt_19.238.981
Wintersaat; siebter Umlauf im fünfhunderteinundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_572 / Takt_14.893.491
Wintersaat; elfter Umlauf im fünfhunderteinundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_572 / Takt_16.987.430
Wintersaat; zwölfter Umlauf im fünfhunderteinundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_572 / Takt_20.790.341
Wintersaat; zwölfter Umlauf im fünfhunderteinundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_572 / Takt_20.910.422
System / ClockedCounter / Update_572 / Takt_23.875.281
Wintersaat; erster Umlauf im fünfhundertzweiundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_572 / Takt_26.456.987
Wintersaat; zweiter Umlauf im fünfhundertzweiundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_572 / Takt_28.761.895
Sommersaat; dritter Umlauf im fünfhundertzweiundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_573 / Takt_604.876
Sommersaat; vierter Umlauf im fünfhundertzweiundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_573 / Takt_3.734.812
Sommersaat; sechster Umlauf im fünfhundertzweiundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_573 / Takt_4.509.643
System / ClockedCounter / Update_573 / Takt_4.596.043
Sommersaat; sechster Umlauf im fünfhundertzweiundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_573 / Takt_4.787.889
System / ClockedCounter / Update_573 / Takt_4.789.791
Sommersaat; erster Umlauf im fünfhundertdreiundsiebzigsten Umlaufzwölft
System / ClockedCounter / Update_∞ / Takt_∞
System / ClockedCounter / Update_573 / Takt_4.799.312
System / ClockedCounter / Update_573 / Takt_4.810.547
System / ClockedCounter / Update_zero / Takt_zero
Ende und Anfang
Epilog
Impressum neobooks
Der Autor
Bernd Boden
Dismatched: View und Brachvogel
Eine phantastische Dystopie
Impressum
Dismatched: View und Brachvogel – Eine phantastische Dystopie
ISBN: 978-3-7502-1009-7
Imprint: Independently published / Neobooks Self-Publishing
Copyright © 5/2019 by Bernd Boden, Am Buchenwald 6, 51515 Kürten
Coverdesign: Tabea Boden
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Das Urheberrecht liegt bei Bernd Boden. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Die Weiterverbreitung, elektronische oder sonstige Vervielfältigung sowie die öffentliche Wiedergabe sind ausdrücklich untersagt und können zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
Nach einem Studium der Philosophie, Germanistik und Soziologie, einer Zeit im Buchhandel und einem Intermezzo als Lehrer hat Bernd Boden in einem Fachbuchverlag lange die Bücher anderer lektoriert und jetzt endlich die Zeit gefunden, sein eigenes Buch zu schreiben, an dem er fünf Jahre gearbeitet hat.
Natürlich kein Fachbuch, sondern etwas, das er selbst gerne liest. Umfangreiche Bücher, deren Welt einen als solche schon gefangen nimmt; wenige, aber intensiv gezeichnete Charaktere; ein Plot, der sich langsam aufbaut und entfaltet und ein Thema, das über die Elemente hinaus, welche die Handlung vorantreiben, eine verallgemeinerbare Bedeutung hat.
Besonders faszinieren ihn Utopien und Dystopien, deren Szenarien nicht allzu weit von unserer eigenen Zeit angesiedelt sind und denkbare Entwicklungen in den Fokus nehmen und spiegeln.
In den Zeitläuften der Großen Mondin, die er in dem matriarchalischen Setting seines Buches beschreibt, würde Bernd Boden 63 Umlaufzwölfe zählen. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin im Bergischen Land bei Köln und arbeitet an weiteren Buchprojekten.
Über dieses Buch
Die emotionalen Höhen und Tiefen von Freiheit und Schicksal mit der Möglichkeit auf Glück oder Absehbarkeit, Berechenbarkeit und garantierte Sicherheit in tristem Mittelmaß?
Zwei Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten:
Die Urb: Nach dem Finalen Kataklysmus haben sich die Menschen bedingungslos dem Takt des Systems überantwortet und führen ein absolut gleichförmiges Leben in totaler Berechenbarkeit und Absicherung. Ein individuelles Schicksal ist weder erwünscht noch möglich.
Unter dem Diktat einer rationalen WirtschaftsSozialität sind die gemittelten Citizens Inputgeber für das autarke und verselbstständigte System. Jegliches Verhalten, das vom Mittelwert des SocialScore abweicht, wird sanktioniert und ausgemerzt, Träume werden unterdrückt, Bücher sind in Vergessenheit geraten.
Die Klave: Angesichts der Schrecken der Großen Verderbnis haben die Mütter gemäß der Weisung der Großen Mondin ein ÖkoMatriarchat errichtet und führen die Mannlinge, deren Ungestüm und geradliniges Denken die Welt an den Rand der Katastrophe gebracht haben, mit strenger Hand. Der Zeugungsträger Brachvogel will die engen Kreisläufe der Klave durchbrechen und den offenen Horizont gewinnen.
Als aufstrebende Scout der Agency of SocialTechnology recentert View Abweichler, Dismatchte, die aus dem Mittel gefallen sind. Die Konturen ihres perfekten Lebens sind quantifiziert und vermessen und erstrecken sich klar vor ihr wie das feste Band der AntiGrav, über das die Verkehrs- und Warenströme der Urb verlaufen. Doch als sie während ihrer nächtlichen Regenerationsphase die ersten Träume hat und ihr Bücher zugespielt werden, die ein gänzlich anderes Leben vorstellbar machen, beginnt sie, allmählich aus dem Takt zu fallen.
Aber als angepasste und verhaltensgemittelte Citizen völlig in den digitalen Kokon aus Komfort, Sicherheit und Absehbarkeit ihres Lebens eingesponnen, ist es für sie zunächst unmöglich, ihre Karriere aufzugeben und die Seiten zu wechseln.
Erst die Traumschiffer der Oneironauten, die Begegnung mit Diver, dem dichtenden cerebralen Cyborg und die Liebe zu Brachvogel, dem Mannling aus der Klave der Mütter, zwingen sie, eine Entscheidung zu treffen ...
Personen
In der Urb
Kibele2k5 genannt View: Scout der Agency of SocialTechnology, schwankt zwischen der Sicherheit der Mittelung und den Verheißungen der „Traumzeit“
Lalic4j8 alias Esther: Oneironautin und Views Traumschwester, sät Traumsporen
Libik14a5: SexMate aus dem LoveGym
Greve2m8: SecondMate aus der UniqueSchool; RhythmClimber
Alobo2#23 alias Diver: Cerebraler Cyborg und Views Mentor, spricht ausschließlich in Reimen
Goff2kl alias Phileas Fogg: Head of Scouts der Agency of SocialTechnology und mächtiger „BigData“, will die Urb der totalen Gleichschaltung zuführen
weitere „Datas“: Sappho, Shelly Floatgrave, Maggie Thatcher, Joker, Marquis de Sade
Kassandra: Leiterin des Refugiums der Traumschiffer der Oneironauten in den Katakomben der SubUrb, will die „Traumzeit“ in der gesamten Urb ausrufen
Teiresias: Uhrenmeister der „Nauten“
Savonarola: Prediger wider die Digitale Glätte
In der Klave
Brachvogel: Mannling und Zeugungsträger; will die engen Kreisläufe der Klave durchbrechen und den offenen Horizont gewinnen
Agror: Brachvogels Freund aus Milchkindstagen in der Stätte der Aufzucht
Ayiah: Archontin und Große Mutter, Anhängerin der Großen Luna, Kreisbewahrerin und Mannlingsversteherin
Leial: Häuptin der Wächterinnen, Ayiahs Erzfeindin und Mannlingsverächterin
Ferruma, die Eisenfrau: Großmeisterin der Schmieden und Brachvogels Mentorin
Sanguine: Hüterin der Blutlinien
Mysia: Schamanin und Hebamme
Sonor: Wortführer des Bundes der Freien Männer
Kurabel: Herr der schnellenden Bollen
Susurrus: Ebselflüsterer
Glossar
Begriffe und Institutionen der Urb
Finaler Kataklysmus: Katastrophe, nach der sich die Citizenship der Urb dem Takt des Systems überantwortet hat
Mittelung: Prozess der totalen Gleichschaltung aller Citizens der Urb
SocialScore: Grad der Übereinstimmung eines einzelnen Citizens mit der Mittelung der gesamten Citizenship
SocialUnit: Gruppe von Citizens, mit denen ein Citizen engere SocialRelations unterhält
Dismatchter: Citizen, der signifikant vom Mittel seiner SocialUnit abweicht
MatchingLoop: Befragungsschleife, mittels derer SocialUnits sozialen Druck ausüben, um Dismatchte wieder zu mitteln
Agency of SocialTechnology: Setzt die Anträge des Systems zur Mittelung um und sorgt so durch Absehbarkeit und Berechenbarkeit des SocialBehaviour für Sicherheit
Scout der Agency: Spürt Dismatchte auf und mittelt, recentert sie
MatchingEye: Drittes Auge, das über den Köpfen der Citizens schwebend deren LifeScript aufzeichnet
Morpheustron: Einheit des MatchingEyes, die verhindert, dass sich die Citizens an ihre Träume erinnern können
Board of PredictiveProfiling: Prognostiziert auf Basis sämtlicher Daten mit hoher Wahrscheinlichkeit die Zukunft
Authority of PoliticalIndoctrination: Entwickelt und steuert die Messages der InfluenceBoards im Sinne der Mittelung
BadPastLessons: Zeigt den Citizens am Beispiel der Schrecken der praekataklystischen Zeiten eindringlich, dass die Mittelung in die beste aller Welten führt
RhythmClimbing: Flächendeckend gehyptes Event zur emotionalen Aufladung der Mittelung
BuyingGuidance: Sorgt durch eine stringente Einkaufsbiografie für ein optimiertes Psychogramm der Citizens
Oneironuten: Widerstandsgruppe der Traumschiffer, die die Mittelung unterwandert, indem sie Morpheustrone stört und Bücher verteilt
Einheiten des Systemtakts
Sekunde: MicroTakt
Minute: MinorTakt
Stunde: MacroTakt
Tag: MegaTakt
Woche: GigaTakt
Monat: TeraTakt
Jahr: MajorTakt
Teil 1: Urb und Klave
System / ClockedCounter / Update_566 / Takt_15.563.200
„Sicherheit ermöglicht Freiheit. – Mittelung schafft Sicherheit.
Ohne Mittelung keine Freiheit. – Abweichung erfordert Intervention .“
Agency of SocialTechnology
Der erste bewusste Eindruck, an den View sich erinnern konnte, war das sanfte Pulsieren der Statusanzeige ihres MatchingEyes über ihrer GrowUpUnit. Das kaum wahrnehmbare Surren des fliegenden Auges wiegte sie in den Schlaf. Die Linsen der Kameras folgten jeder ihrer Bewegungen. Und im Gegensatz zu den Gesichtern, die sich über sie beugten und wieder verschwanden, den bewegten Bildern, die von Zeit zu Zeit über ihrem Kopf erschienen und den mechanischen Gebilden, die sich ab und an über ihren Händen drehten, war das MatchingEye ihr nimmermüder und allgegenwärtiger Begleiter, der von Anbeginn unablässig über ihr schwebte. Seit Views Konzeption in den Genbanken der UterusLabs war über ihr MatchingEye ihr gesamtes Leben in einem kontinuierlichen LifeStream aufgezeichnet und als LifeScript abgespeichert worden.
An diesem Abend wurden anlässlich ihrer Initiation als gemittelte AveragedCitizen der Community die KeyVisuals vorgestellt, die das System als maßgebend für Views Werdegang ermittelt hatte. Neben ihrem MatchingAdvisor, ihren CustomBuddys und etlichen Vertretern der Agency of SocialTechnology und der MatchingAdministration hatten sich auch alle ihre Mates 1st-step, etliche 2nd- und 3rd-step und sogar jemand 4th-step im MatchingCube ihres Habitats versammelt.
In dem weiten, dämmerigen Raum flackerten auf holografischen Säulen Schlüsselszenen aus Views bisherigem Leben: View als Embryo im NucleusTank zusammengekauert, zum ersten Mal den Daumen in den Mund führend. View zwischen den Labien des BirthSimulators heraus ins Leben gepresst. View mit gespitzten Lippen in seliger Selbstvergessenheit an der LactoCare saugend. View erstmals ihr MatchingEye fixierend und mit den Augen verfolgend. View ihre ersten Labiallaute bildend. View, der sich ein erstes Lächeln ins Gesicht stiehlt. View die ersten taumelnden Schritte wagend. View bei ihrer ersten selbstständigen Defäkation auf dem AquaCleanAbsorber. View mit vor Konzentration zusammengepressten Lippen ihren ersten Kopffüßler malend. View mit leuchtenden Augen während ihres ersten SozioEmpathischen Trainings im CorporateGrowthCenter mit ihren Peers. View bei ihren ersten Schritten in den digitalen Weiten des OmniNets. View in verschiedenen Unterrichtssituationen während ihrer Zeit auf der UniqueSchool of Averaging. View mit glänzenden Augen und vor Erregung geröteten Brüsten während ihres ersten SexDatings im LoveGym mit Hatrico7C7. View in ihrer allabendlichen MatchingSession beim Screenen ihres DayStreams die Erlebnisse ihres Tages kategorisierend.
View fand es aufregend, so buchstäblich im Blickpunkt zu stehen. Sie schlenderte von Grüppchen zu Grüppchen, begrüßte hier jemand, den sie lange nicht outNet gesehen hatte, wechselte dort ein paar Worte und versuchte im Allgemeinen, einen guten Eindruck zu machen, denn während solcher Initiationsfeiern waren in der Regel Recruiter von Firmen und Organisationen anwesend, die einem spannende Jobangebote machten. Sie rechnete mit hoher Wahrscheinlichkeit damit, von einem Recruiter der Agency of SocialTechnology angesprochen zu werden.
Trotzdem konnte sie ihren Blick nicht von den Szenen ihres LifeScripts abwenden. Bislang war ihr immer nur der Stream ihrer jeweils aktuellen Entwicklungsperiode zugänglich gewesen und nun rauschte ihr Leben erstmals im Gesamtzusammenhang an ihr vorbei. Manches war schon so lange her, dass sie sich kaum noch daran erinnern konnte oder es völlig aus ihrem Bewusstsein verschwunden war. Neben vielen verschwommenen Eindrücken und Empfindungen, die die Szenen aus ihrer frühen Kindheit in ihr auslösten, stieg plötzlich ganz unmittelbar und eindringlich das Gefühl von Sicherheit und Angekommensein in ihr hoch, das sie nach ihrem ersten SozioEmpathischen Training erfüllt hatte.
Sie musste etwa 5 gewesen sein, als ihr Betreuer einen beim ProductMemory ausgebrochenen Streit zum Anlass nahm, alle 8 Kinder des Samples der GenKohorte327XK4, mit denen View im CorporateGrowthCenter täglich zusammen war, zur Unterweisung zu schicken:
„Ihr seid jetzt alt genug, um zu begreifen, warum es immer wieder zu solchen Zankereien kommt und morgen werden wir lernen, was wir machen können, damit dies in Zukunft nicht mehr so ist.“
Am nächsten Tag war dann ihr MatchingAdvisor gekommen und die Kinder hatten sich mit ihm in einen Kreis gesetzt und er hatte sie gefragt:
„Wenn ihr euch aussuchen könntet, eine Frucht zu sein, welche würdet ihr dann sein wollen? Wenn ihr gewählt habt, bekommt ihr jeweils einen Sticker mit dieser Frucht auf euer Shirt.“
Die bekanntesten Lieblingsfrüchte waren schnell gefunden und in denjenigen Fällen, wo mehrere Kinder etwa einen Apfel oder eine Birne wollten, wurden die Sticker einfach nummeriert, um eine eindeutige Identifikation mit ihrem Träger zu ermöglichen. View meinte sich zu erinnern, nach langem Zögern eine Kiwi gewählt zu haben, weil sie mit dieser Frucht bestimmt keinem anderen Kind in die Quere kommen würde. Sie war stets auf Sicherheit bedacht, wollte sich keine Blöße geben, da sie die Reaktionen ihrer Peers nie abschätzen konnte. Sie war in der Gruppe die Außenseiterin, schwamm immer nur ganz am Rande mit, ängstlich darauf bedacht, weder völlig abzudriften noch in den Strudel der Aktivitäten gezogen zu werden, in dem sie fürchtete unterzugehen. Sie fühlte sich immer fremd und war in der Gruppe niemals völlig entspannt.
„Was mögt ihr denn an euren Früchten besonders und was eher nicht? Wie sollten sie sein und wie eher nicht?“, verfolgte der Advisor seine Strategie weiter und entwickelte mit den Kindern die Gegenpole von süß und sauer, weich und hart, knackig und laff, fruchtig und herb, reif und unreif etc. Für jeweils eine dieser Dichotomien mussten die Kinder sich dann entscheiden, um die tendenziell positive oder negative Befindlichkeit ihrer Frucht zu charakterisieren. Und auch hier gab es dann die entsprechenden Sticker: Zuckerwürfel und Zitrone für süß und sauer, Kissen und Stein für weich und hart, ein prall-grünes und ein runzlig-gelbes Salatblatt für knackig und laff etc. Auch diese Sticker brachten die Kinder an ihrem Shirt an, das jeweils eher negativ besetzte Attribut aus Sicht des Betrachters links und das eher positiv Besetzte rechts neben ihrer Frucht.
„Ich möchte, dass ihr diese Sticker in Zukunft immer tragt und euch morgens immer fragt, wie ihr euch als eure Frucht fühlt, wie ihr riecht, wie ihr schmeckt, wie ihr ausseht“, entließ sie ihr Advisor. „Gut oder schlecht, knackig oder laff, süß oder sauer? Und wenn ihr eure Wahl getroffen habt, macht ihr die Smileys und Grumpies, die ich euch jetzt austeile, rechts oder links an eure Frucht. Einen Smiley rechts, wenn ihr euch eher gut fühlt und mit den anderen etwas machen wollt und einen Grumpie links, wenn ihr euch eher schlecht fühlt und wollt, dass die anderen euch vorsichtig behandeln. Wenn ihr euch nicht entscheiden könnt, ist das nicht schlimm, dann lasst sie einfach weg. Aber dann können die anderen nicht wissen, wie ihr euch fühlt, und behandeln euch vielleicht falsch.“
View gehörte zu denen, die morgens immer ihren Smiley oder Grumpie setzten und sie hasste es, wenn andere sich nicht entscheiden konnten. Endlich war sie mit ihren Gefühlen nicht mehr völlig auf sich zurückgeworfen, war aus dem Sumpf ihrer Innerlichkeit gezogen, der sie von den anderen isoliert hatte. Sie musste nicht länger befürchten, nicht verstanden zu werden oder unangemessen zu reagieren. Sie legte ihre Befindlichkeit und ihre Gefühle offen und im Gegenzug offenbarten sich die anderen ihr. So konnte es weniger zu Missverständnissen und Animositäten kommen. Und das Setzen der Smileys oder Grumpies geschah nicht etwa nur nach Lust und Laune der Kinder, sondern war vom MatchingAdvisor und den anderen großen Citizens ausdrücklich erwünscht und verbindlich gemacht worden, so dass die Kinder überzeugt davon waren, das Richtige zu tun. Falls Views Befindlichkeit sich tagsüber einmal nicht so entwickelte, wie sie es morgens angezeigt hatte ‒ und das war eigentlich oft der Fall ‒ bemühte sie sich trotzdem, sich so zu fühlen oder zumindest so zu geben, um den Erwartungshaltungen ihrer Peers zu entsprechen und sie nicht ins Leere laufen zu lassen. Damit lagen die sonst so komplizierten zwischenmenschlichen Dinge nun zum Greifen offen. View hatte endlich Verhaltenssicherheit erlangt und binnen weniger Wochen dümpelte sie nicht mehr im Brackwasser am Rande ihrer Gruppe, sondern stand in deren Zentrum.
Vergaußt und gemittelt, waren diese Zeiten schon lange vorbei, lächelte View in sich hinein. Anstelle der Unsicherheit und des Gefühls des Verlorenseins, die ihre ersten Lebensjahre geprägt hatten, waren Sicherheit und Berechenbarkeit getreten und heute bereiteten ihr ihre SocialRelations keinerlei Probleme mehr. Das System hatte ihr auf der Basis von identischen oder kompatiblen MatchingPoints jede Menge Mates zugewiesen, mit denen sie eine Grundgesamtheit bildete, deren Mitglieder mit ihren übereinstimmende Features und Merkmalsausprägungen aufwiesen oder solche, die sich sinnvoll ergänzten. Ihr gesamtes gesellschaftliches Leben spielte sich innerhalb dieser SocialUnit ab und sie genoss es, rund um den Takt eine Gruppe von Peers zu haben, mit denen sie ihre Interessen, Ideen, Wünsche und Vorlieben passgenau teilen und auch weiterentwickeln konnte. Jede Minute ihrer Zeit war getaktet und verplant. Sie war es gewohnt, ständig aktiv zu sein, Dinge zu machen und Spaß zu haben. Wie alle anderen Citizens auch genoss sie jederzeit schnelle und konkrete Verwirklichung im Hier und Jetzt. Alles war berechenbar und umgeben von Services und Produkten, die ganz unmittelbar Nutzen und Vergnügen stifteten, waren die Menschen in ein absehbares und verlässliches Gefüge von Abläufen und Aktivitäten eingebettet.
Wie View im Geschichtsunterricht an der UniqueSchool of Averaging gelernt hatte, war das Leben nicht immer so erfüllt und so sicher gewesen. In den Zeiten vor dem Finalen Kataklysmus, als die Community sich dem Takt des Systems noch nicht überantwortet hatte, konnte man nie wissen, was auf einen zukam und wälzte folglich ständig Probleme, hegte weitreichende Vorstellungen und wartete geduldig auf irgendetwas Erhabenes oder Beglückendes, das ebenso groß wie unbestimmt war und ohnedies niemals eintrat.
Jetzt hatte View die School mit einem Score von fast 100 Prozent abgeschlossen und ihr vom System erstelltes Profil im OmniNet würde das Interesse vieler spannender Organisationen wecken, so dass sie aus etlichen Jobalternativen frei würde wählen können. Sie war sich noch nicht restlich darüber im Klaren, welche Richtung sie exakt einschlagen sollte. Aber die Ergebnisse der noch ausstehenden Tests und Auswertungen würden auch ihre letzten Zweifel und Unsicherheiten ausschließen, so dass sie sich hundertprozentig sicher sein konnte, zur richtigen Entscheidung geführt worden zu sein. Die Konturen ihres zukünftigen Lebens waren abgesteckt und vermessen und erstreckten sich klar vor ihr wie das feste Band der AntiGrav, über die die Verkehrs- und Warenströme der Urb verliefen.
„Na, alles im Mittel?“, zog Siema27#X, eine von Views FirstMates, sie auf die Seite. „Wie findest du mich?“ fragte sie mit einem triumphierenden Grinsen, reckte den rechten Arm in die Höhe, winkelte die Hand ab und deutete mit dem Zeigefinger von oben auf ihren Kopf, während sie sich um die eigene Achse drehte.
Siema surfte immer auf dem Kamm der höchsten Welle dessen, was gerade gauß war. Aktuell waren das die CoatingColours. Siema schillerte in allen 7 Farben des Regenbogens, dessen Streifen sich ohne Unterbrechung gleichermaßen über ihre Kleidung, die textilfreien Hautpartien an Händen, Armen und Ausschnitt, ihr Gesicht und ihre Kopfhaut zogen.
„Wie hast du das denn hinbekommen?“ erwiderte View anerkennend.
„Neue Produktlinie von EpidermaSoft und SecondSkin. Du ziehst ein spezialbeschichtetes weißes Suit an, gewissermaßen als Grundierung ‒ und da gibt es einiges an Auswahl ‒, gehst dann zu einem ColourPoint, schlüpfst in die Kabine, wählst ein Motiv, machst die Augen zu und bekommst es dann nahtlos auf die Klamotten und dein Astralkörperchen appliziert. Funktioniert ungefähr so wie eine Rundumdusche, in der du das Ganze dann übrigens abends auch wieder abspülen kannst.“
„Das ist auch gut so, sonst würdest du morgens wahrscheinlich aussehen wie ein zerlaufenes Ganzkörpermakeup“, lachte View.
„Hab dir und den Mates den Lead zu den Produktsites schon geschickt“, informierte Siema und verschwand wieder zwischen den Leuten, um sich bewundern zu lassen.
View ließ ihren Blick über die bunte Vielfalt im Saal schweifen. Siema war eindeutig der Paradiesvogel und würde wahrscheinlich wie schon so oft wieder einmal Trendsetterin sein.
Da waren etwas abgehoben wirkende Gestalten in grauen Overalls mit dem Emblem der MaAd auf der Brust; zwei senkrecht aufgestellte Handflächen, die zu einem HighFive ansetzten und durch eine Spiegelung in einer langen Kette von HighFives ins Unendliche zu laufen schienen. View hatte dieses Emblem der MatchingAdministration immer als etwas unpassend empfunden. Die „Matchies“, wie sie genannt wurden, waren als kühle Techniker und akribische Verwalter eher nicht für ihre Temperamentsausbrüche bekannt. Wahrscheinlich versuchte man durch das Symbol der HighFive die Akzeptanz und Attraktivität der Administration in der Öffentlichkeit zu erhöhen.
In der MatchingAdministration liefen sämtliche Datenströme der Urb zusammen. Diese LegionBytes an Daten wurden auf der Basis von auf molekularer Ebene codierter und dann synthetisierter DNA in gigantischen Datenbanken gespeichert und für den Zugriff der verschiedensten Stellen und Dienste aggregiert. Wer hier arbeitete, nahm zum Frühstück wahrscheinlich codierte DNA-Sequenzen zu sich, um die darin gespeicherten Informationen im Falle eines Systemausfalls jederzeit abrufbereit zu haben. Das war nicht Views Ding, denn das System hatte ihr stark ausgeprägte Empathiefähigkeiten und einen hohen Wert in emotionaler Intelligenz ausgewiesen und daher wollte sie nicht mit Daten, sondern mit realen Menschen arbeiten. Das Betätigungsfeld der Matchies betraf dagegen immer nur den digitalen Abdruck der Realität, auch wenn View natürlich klar war, dass der in der Administration geschärfte Abdruck dann wiederum der Realität seinen Stempel aufdrückte.
Völlig anders dagegen lagen die Dinge bei der Agency of SocialTechnology, die stets von der Aura des Geheimnisvollen umgeben war. View war zwar bekannt, dass hier die LifeScripts aller Citizens, ihre sämtlichen Ratings und Rankings sowie die der Mates ihrer jeweiligen SocialUnits ausgewertet und daraus dann Psychogramme und die entsprechenden MatchingPoints abgeleitet wurden, aber wie das im Detail ablief und was hier noch so alles abging, konnte sie nur vermuten. Ganz offensichtlich an der Arbeit der Agency war nur, dass von Zeit zu Zeit deren Scouts auftauchten, viele Fragen stellten oder als stille Beobachter aus einer Ecke heraus das Geschehen mit Argusaugen verfolgten, um dann wieder zu verschwinden. So konnte View auch jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit ausmachen, wer von den Citizens im Raum ein Scout der Agency war. Nicht an der Kleidung, denn die Agents passten ihr Outfit in der Regel dem des Umfelds an, in dem sie gerade tätig waren, wohl aber an ihrem Verhalten: Diejenigen, die sich intensiv mit anderen unterhielten, dabei aber oft die Gesprächsgruppen wechselten, um möglichst viele Eindrücke zu gewinnen, mochten Scouts der Agency sein.