Kitabı oku: «Besser fix als fertig», sayfa 3
CONTROLLER, BEWUSSTSEIN, VERSTAND, VERNUNFT UND SPRACHE
In der Evolution des Säugetiergehirns, also vom „Spitzmausgehirn“ zu dem des modernen Menschen, ist eine auffällige Entwicklung erkennbar: Großhirn und vor allem Großhirnrinde haben sich in den letzten rund 200 000. Jahren stark vergrößert. Nicht nur das Volumen, sondern vor allem die Oberfläche der nur einen Millimeter dünnen äußersten Schicht unseres Gehirns haben sich sprunghaft vergrößert und differenziert. Im Speziellen auffällig war und ist die starke Entwicklung des vordersten Teils des Großhirns: des Stirnlappens oder präfrontalen Cortex. Die Entwicklung dieser neuen Hardware bedingt, wie schon bei Frosch- und Spitzmausgehirn, ein neues Verhaltensrepertoire: eine neue Software, die zu drei zentralen und eng miteinander verknüpften Fähigkeiten führt, die – bis auf wenige bekannte analoge Entwicklungen bei Nicht-Primaten – nur wir Menschen besitzen: Bewusstsein, Verstand, Vernunft und Sprache. Nur wir Menschen sind in der Lage, darüber nachzudenken, dass wir gerade darüber nachdenken.
Bewusstsein
Wir erkennen uns – meistens – im Spiegel wieder und können darüber nachdenken, dass wir gerade darüber nachdenken. Wir erleben die Welt bewusst. Das Geniale und Auffällige an diesem Entwicklungsschritt der Großhirnrinde generell und des Bewusstseins im Speziellen ist das Entstehen eines besonderen Netzwerks. Dieses verarbeitet kaum direkten Input von den Sensoren – also Augen, Ohren, Nase usw. (auch wenn wir das subjektiv so empfinden mögen) –, sondern bekommt seine Information zu rund neunzig Prozent durch unser Frosch- und Spitzmausgehirn vorgefiltert. Daher finde ich den Begriff des „Controllers“ für die Rolle der Großhirnrinde, und im Speziellen der des Stirnlappens, naheliegend.
Unser Controller verarbeitet also die bereits modulierte Wahrnehmung der Welt von Frosch und Spitzmaus und konstruiert daraus die bewusste Wahrnehmung der außersubjektiven Wirklichkeit. Bewusstsein könnte man als Interpretation der Innenwelt beschreiben. Der komplizierte Vorgang des Radfahrens beispielsweise, mit allen unterbewussten Wahrnehmungen, die zur koordinierten und zielgerichteten Bewegung notwendig sind, wird in der bewusst gewordenen Realität lediglich als Wissen, dass wir gerade radeln, symbolisch repräsentiert. Nicht mehr die Einzelkomponenten des Vorgangs werden wahrgenommen, sondern nur mehr die bloße Tatsache, dass man gerade Rad fährt. Die Wahrnehmung wird dadurch abstrahiert und vereinfacht und redundante Information reduziert, um die bewusste Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Dinge konzentrieren zu können.
In der menschlichen Individualentwicklung dauert die Ausbildung dieser Fähigkeit rund eineinhalb bis zwei Jahre. Und damit meine ich nicht das Radfahren, sondern das Bewusstsein.
Verstand und Vernunft
Zu den beiden Fähigkeiten – Verstand und Vernunft – führt uns ein einfaches Beispiel: Wenn eine Spitzmaus hungrig ist, irgendwo an einem Flussufer entlangläuft, am gegenüberliegenden Ufer einen Busch sieht und den Befehl „ihres“ Frosches zum Fressen bekommt, wird sie handeln. Sie wird riskieren und springen, außer sie war schon in dieser Situation oder konnte irgendwann einen Artgenossen dabei beobachten, dem dieses Verhalten nicht gut bekommen ist. Wenn sie noch keinen roten oder grünen Ordner hat, also keine positive oder negative Erinnerung, die genau zu dieser Situation passt, wird sie das Risiko wagen und anwesende Artgenossen werden zusehen und lernen. Sie wird die Folgen ihrer Handlungen nicht vorhersagen können. Die Spitzmauslogik des „Beobachtenmüssens“, haben wir bereits an anderer Stelle erläutert. Diese Strategie funktioniert allerdings nur bei einer ausreichenden Anzahl an Nachkommen. Bei maximal fünfzehn bis zwanzig möglichen Kindern im Leben einer Frau ist das Prinzip des „Ausprobierens und Beobachtens der Konsequenzen“ langfristig nicht erfolgreich. Bei einer so geringen Anzahl an Nachkommen gilt es, das Leben jedes Einzelnen zu schützen.
Die Fähigkeit, zuerst darüber nachzudenken, ob uns eine bestimmte Sache auf eine bestimmte Weise gelingen könnte, ist die Fähigkeit, eine Theorie bereits in der Theorie sterben lassen zu können, ohne die Verhaltensweise tatsächlich auszuprobieren. Zusätzlich können wir uns eine alternative Lösung überlegen und auf unsere Erfahrungen zurückgreifen: rationales Planen und Denken. Es ist unsere Fähigkeit zum logischen Denken, unser Verstand, mit dem wir einen abgelegten Ordner öffnen und uns etwas bewusst in Erinnerung rufen und nutzen können. Wir sind dadurch in der Lage, unser Wissen neu zu kombinieren, um damit neue Lösungen für bestehende Probleme zu finden. Fluide Intelligenz nennen wir daher den Verstand in den Neurowissenschaften. Wir sind kreativ und können, wann immer wir wollen, weitere Optionen erfinden und durchdenken. Die Spitzmausmutter, die das unangenehme Erlebnis an einer bestimmten Waldlichtung mit dem Luchs hatte – Sie erinnern sich –, wird sich an dieses Ereignis nur beim Anblick dieser oder sehr ähnlicher Situationen erinnern. Sie würde sofort Angst bekommen und flüchten. Die Nutzbarkeit des Spitzmaus-Gedächtnisses ist kontextabhängig.
Durch Vernunft können wir unsere Erfahrungen auf eine weitere Weise nutzen: Wir können die Konsequenzen der Verhaltensvorschläge von Frosch und Spitzmaus reflektieren und eventuell zum Schluss kommen, dass der Impuls des Frosches langfristig nachteilig für uns wäre. Das gelingt dem Controller durch Verzögerung oder Unterdrückung der bereits unterbewusst vorbereiteten Handlungen. Kognitive Kontrolle nennen es Psychologen. Sich sprichwörtlich „im Griff zu haben“, war offensichtlich schon bei unseren Vorfahren kein Nachteil. Durch unsere Vernunft sind wir auch in der Lage, wesentlich länger ein Ziel motiviert zu verfolgen. Die Aufrechterhaltung unserer Motivation ist durch die Logik unseres Spitzmausgehirns davon abhängig, eine direkte Rückmeldung zum Fortschritt unserer Anstrengungen zu erkennen. Nun ermöglicht uns das bewusste Aufschieben der unterbewussten Handlungsimpulse, dass wir wesentlich länger zu motivieren sind und auch langfristige Ziele anstreben und erreichen können. Wir werden aber sehen, dass genau darin der evolutive Rückschritt in der digitalisierten und fragmentierten Arbeitswelt zu finden ist: Unsere Vernunft ist durch Stress, chronisches Multitasking, ständige Unterbrechungen und Ablenkungen stark beeinträchtigt. Die vernünftige Reflexion eines Problems ist so nur mehr eingeschränkt möglich. Wir werden quasi in die Entwicklungsstufe, in der ausschließlich die direkte emotionale Reaktion auf ein Ereignis folgte, zurückgeworfen.
Dazu noch eine wichtige Betrachtung zum Zusammenhang von unterbewusster Emotion, bewusstem Gefühl und unseren körperlichen Reaktionen: Unsere Grundbedürfnisse haben wir als jahrmillionenalte Frosch- und Spitzmausprogramme kennengelernt: Nahrungs- und Sexualtrieb, Aggression, Bindungs-, Sicherheits- und Neugiertrieb. In der Kombination dieser grundlegenden Programme ergeben sich im Alltag zumindest sieben unterschiedliche Gefühlszustände oder Affekte, die unsere Entscheidungen leiten und die man uns sprichwörtlich ansehen kann: Fröhlichkeit, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung. Es sind emotionale Ausdrucksformen, die übrigens kulturübergreifend bei allen Menschen auf gleiche Weise ausgedrückt und verstanden werden. Sie sind genetisch vererbt und nicht sozial oder kulturell erlernt und gehören damit zu unserer Grundausstattung. Unsere Gefühlszustände haben neben dem Gesichtsausdruck auch eine direkte körperliche Auswirkung: Das Herz rast, der Magen schmerzt, die Verdauung spielt verrückt, der Kopf wird rot und die Hände zittern. Es sind Vorbereitungsreaktionen auf Angriff oder Flucht. Unser Controller kann diese Reaktionen nur sehr schwer kontrollieren, auch wenn es vor einem möglichen Kampf Sinn machen würde, dem Gegner nicht gleich die eigene Angst zu zeigen. In so einer Situation mittels Selbstkontrolle so zu tun, als ob man cool und entspannt wäre, ist eine häufig zu beobachtende Verhaltensweise bei Rudelkämpfen oder schwierigen Verhandlungen. Oder beim Pokern.
Durch Angst und akuten Stress reduziert sich unser Speichelfluss, der Mund wird trocken. Einem Kontrahenten einfach vor die Füße zu spucken, könnte daher „beeindruckend“ wirken, auch wenn das Herz rast. Damit wird signalisiert, dass man noch genügend Speichel zur Verfügung hat und einen die Situation daher überhaupt nicht stresst. Es ist eines unserer uralten Verhaltensprogramme. Das gilt selbstverständlich nur für den archaischen Rivalenkampf in der Savanne und für Teenager. Bitte probieren Sie es nicht im nächsten Mitarbeitergespräch aus! Es könnte im Büro, bedingt durch unsere sozialen Normen und Ritualisierungen, leicht falsch verstanden werden. Je stärker der Affekt, desto stärker die körperliche Reaktion und die damit verbundene subjektive Stresswahrnehmung. Und auch umgekehrt: Je geringer die körperliche Reaktion, desto schwächer ist die subjektive Wahrnehmung! Jeder, der durch körperliche Aktivität die Nebenwirkungen seiner Wut erfolgreich bekämpft hat, kennt den Zusammenhang: Werden Stresshormone durch Bewegung abgebaut, beruhigen sich Körper und Geist. Froschgehirn, Spitzmausgehirn und Körper bilden eine Einheit und sind in ihrer Funktionsweise untrennbar miteinander verbunden.
Wir haben bereits festgestellt: Den aktuellen Gefühlszustand aller anderen Herdenmitglieder „lesen“ und damit mögliche Konsequenzen vorhersagen zu können, war eine wesentliche Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben in hierarchisch strukturierten Gemeinschaften.
Sprache
Fähigkeit Nummer drei gibt es in dieser differenzierten Form nur beim Menschen als hoch differenzierte Lautmodulation: die Sprache. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob das Wort „hoch differenziert“ wirklich auf alle Zeitgenossen zutreffen mag, so ist die menschliche Sprache im Vergleich zu unseren nächsten Verwandten ungleich komplexer. Erst im alkoholisierten Zustand feucht-fröhlicher Erregung, also kurz vor dem Verlust der Muttersprache, nähern wir uns dem Niveau der Schimpansen und Bonobos. Durch unsere komplexe Sprache sind wir Menschen schneller und differenzierter, weil wir nicht nur vom zeitintensiven Vorleben und Beobachtetwerden abhängig sind. Ich kann es aussprechen und werde auch verstanden: „Geh nicht zur Waldlichtung XY, da wohnt eine Luchsfamilie; ich wäre dort fast gefressen worden!“
Die Ausbildung der menschlichen Sprache bedeutet nicht, dass wir die „Spitzmauskommunikation“ verloren hätten. Auch wenn wir sie nicht immer bewusst wahrnehmen können, ist sie nach wie vor vorhanden. Das hat bekannte Konsequenzen: Unsere Worte entsprechen nicht unbedingt immer unserem Verhalten. Psychologen haben in diesem Zusammenhang festgestellt, dass Menschen dazu neigen, besonders häufig Verhaltensweisen zu besprechen und bei anderen einzufordern, die sie von sich selbst erwarten, gerade dann, wenn sie diese selbst nicht umsetzen. Eine Führungskraft oder ein Elternteil, der häufig Fleiß, Konsequenz und Genauigkeit einfordert und selbst durch gegenteiliges Verhalten auffällt, wird als unglaubwürdig erlebt. Das verleitet mich zu einer weiteren Formel:
Taten: Worte = Glaubwürdigkeit
Das bedeutet, je mehr Worte wir verlieren, desto schwieriger wird es, durch entsprechendes Verhalten ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit zu erzeugen. Umgekehrt bedeutet es aber auch, dass wir mit vielen sichtbaren Taten deutlich weniger Worte für unsere Glaubwürdigkeit benötigen. Die Konsequenzen sind naheliegend: Fordern Sie nur die Dinge von anderen ein und sprechen Sie nur über jene Dinge, bei denen Sie sicher sind, dass Sie sie auch selbst seit geraumer Zeit tun. In diesem Zusammenhang möchte ich zwei „Klassiker“ schildern:
Beispiel 1: Der Chef kommt hoch motiviert aus einem Führungskräfteseminar, mit neuem Wissen, Tipps und Tools bewaffnet, und versucht am nächsten Tag, sofort einiges davon umzusetzen. Seine Mitarbeiter kennen aber die Situation aus der Vergangenheit und denken: „Der Chef kommt wieder von einem Seminar, redet schon wieder so verdächtig motiviert, hat aber bestimmt nach zwei Wochen alles vergessen.“ Und genauso ist es meistens auch. Viele Worte und Erklärungen können nur dann als glaubwürdig empfunden werden, wenn der Sender selbst auch gleichzeitig das entsprechende Verhalten in der nahen Vergangenheit gezeigt hat.
Beispiel 2: Der Chef kommt regelmäßig zu spät und schlecht vorbereitet zu Besprechungen. Er liefert immer gute Erklärungen dafür, verlangt aber von den Mitarbeitern Pünktlichkeit und genaue Vorbereitung. Glaubwürdigkeit wird so nicht entstehen. Wenn wir uns noch vergegenwärtigen, dass wir durch die „Spitzmauslogik“ des unterbewussten Beobachtens dazu neigen, häufige Verhaltensweisen wichtiger Bezugspersonen unreflektiert zu kopieren, wird klar, warum wir es heute signifikant oft mit einer Besprechungskultur dieser Prägung zu tun haben.
UNTERDIMENSIONIERTER ARBEITSSPEICHER
Wir haben in dem vereinfachenden Bild unseres Gehirns drei Bereiche: den Frosch, die Spitzmaus und den Controller, mit unterschiedlicher Vergangenheit und entsprechend unterschiedlicher Wahrnehmung und Sichtweise, kennengelernt. Es stellt sich nun die logische Frage, wie diese Bereiche miteinander kommunizieren, um zu einer verhaltensauslösenden Entscheidung zu kommen.
Es könnte sein, dass der Frosch in Ihnen gerade sagt: „Leg das Buch weg, geh zum Kühlschrank und friss, was du siehst.“ Dann könnte sich Ihre Spitzmaus einmischen und sagen: „Es gibt gerade ein bisschen Dopamin. Das fühlt sich gut an und motiviert zum Weiterlesen.“ Es ist auch anstrengend und der Controller behauptet gerade: „Es ist neu und interessant! Wir bleiben jetzt sitzen.“ Er könnte noch hinzufügen: „Mitten im Kapitel das Buch wegzulegen, bedeutet, dass ich beim nächsten Mal wieder von vorne beginnen muss, weil ich den Faden verliere und dem Gedankengang nicht mehr folgen kann. Das habe ich schon öfter erlebt und es ist frustrierend. Lies bitte zuerst das Kapitel fertig, höre nicht auf den Frosch, verhungern muss ich noch nicht und abnehmen will ich ohnehin.“
Der Hirnbereich, an dem die primären Impulse des Frosches und die emotionalen Vorschläge der Spitzmaus kontrolliert werden, ist jener Bereich des Controllers, der, evolutiv betrachtet, nach wie vor am stärksten wächst: der Stirnlappen oder präfrontale Cortex. Wir können diesen Bereich vereinfachend unseren modernen Arbeitsspeicher nennen. In diesem Bereich, findet unsere Aufmerksamkeits- und Impulskontrolle statt; hier wird situationsabhängig entschieden, welcher Verhaltensvorschlag zum Zug kommt. Hier wird auch bestimmt, welches Verhalten aufgrund unserer momentanen Bedürfnisse, Motive und Erfahrungen am lohnendsten erscheint. Wir entscheiden grundsätzlich nach einer einfachen Logik: Der Controller versucht jene Vorschläge, die von ihm als momentan unpassend bewertet werden, zu unterdrücken.
Je stärker aber die Impulse von Frosch und Spitzmaus sind, desto schwieriger wird deren Unterdrückung. In lebensbedrohlichen Situationen, in denen das „Froschprogramm“ mit seinem Aggressionsmuster die Steuerung übernimmt, kommt zur Impulsstärke der Angstreaktion noch dazu, dass die Reaktionszeiten der drei Bereiche auf äußere Reize ganz unterschiedlich sind: Der Frosch reagiert bereits nach rund 100 Millisekunden, die Spitzmaus 50 Millisekunden später und der Controller erst 300 Millisekunden nach dem Reizkontakt. Der Grund liegt an der „Kabellänge“: Der Frosch bekommt als Erster Input von den Sensoren, was gleichbedeutend mit dem kürzesten „Kabel“ ist. Unsere erste Reaktion ist also immer froschgesteuert (Nahrung, Sexualität und Aggression) und kann, unter bestimmten Voraussetzungen, durch den Controller unterdrückt werden.
Um zu verstehen, wann der Controller seiner Aufgabe nachkommen kann, ist es notwendig, die Leistungsfähigkeit des Controllers – unseres bewussten Arbeitsspeichers – der Leistungsfähigkeit des unterbewussten Frosch- und Spitzmaushirns gegenüberzustellen. Dabei stellen wir eine signifikant unterschiedliche Verarbeitungskapazität fest: Rund 11.000.000 Bit pro Sekunde werden im parallel und unterbewusst arbeitenden Frosch- und Spitzmausgehirn verarbeitet – darunter alle nicht bewusst wahrgenommenen Eindrücke wie Gerüche, Geräusche, Bewegungen, Gegenstände und Gesichtsausdrücke von außen sowie verschiedene Körperempfindungen von innen wie Körperposition, Schmerzen und Ähnliches.
Demgegenüber stehen fast lächerlich wirkende 40 Bit pro Sekunde, die, im ausschließlich seriell arbeitenden bewussten Arbeitsspeicher, zur Verfügung sind. Dieser Arbeitsspeicher ist mit unserer Aufmerksamkeit gleichzusetzen. Sind Sie konzentriert und fokussiert – wie gerade jetzt beim Lesen des Buchs –, verwenden Sie die gesamten 40 Bit ausschließlich für diese eine Tätigkeit. Sie lesen sehr aufmerksam. Schaffen Sie es nicht, konzentriert zu bleiben, wechseln Sie ständig den Fokus Ihrer Aufmerksamkeit und „springen“ von einem Gedanken zum nächsten. Sie bemerken vielleicht erst nach Minuten, dass Sie kein Wort des Kapitels verstanden haben, weil Ihr Controller anderweitig beschäftigt war. Sie waren eben unkonzentriert. Sie können sich unsere Aufmerksamkeit wie den Lichtkegel einer Taschenlampe vorstellen, die in das Dunkel unserer unbewussten Wahrnehmungen leuchtet. Wohin der Spot gerade fällt, dorthin richtet sich unser Bewusstsein. Der Spot der Taschenlampe ist demnach nichts anderes als der kleine Ausschnitt aller Wahrnehmungen, den wir bewusst wahrnehmen und benennen können.
Den Controller, unsere Vernunft, zu aktivieren, kostet viel Energie und dauert vergleichsweise lange. Seine Aufgabe ist es, die Verhaltensvorschläge von Frosch und Spitzmaus einer weiteren Bewertung zu unterziehen und bei Bedarf aufzuschieben oder ganz zu unterdrücken. Dies gelingt durch einen Vergleich mit den Inhalten der bereits abgespeicherten Ordner, unseren bewussten Erinnerungen. Durch die Komplexität dieses Prozesses ist es nicht verwunderlich, dass der Controller nur dann in der Lage ist, seine Aufgabe zu erledigen, wenn er seine maximale Leistungskapazität zur Verfügung hat. Wir können es auch so formulieren: Wenn wir unkonzentriert und abgelenkt sind, nicht 40 Bit pro Sekunde für eine Aufgabe verwenden, also wie wild mit unserer Taschenlampe umher leuchten, wird die Unterdrückung der Froschvorschläge nicht gelingen.
So werden wir also „froschgemäß“ aggressiver, lauter, zynischer oder abwehrender; unsere soziale Verhaltenskontrolle wird schwächer: Wir reagieren „unvernünftig“. Wer hat noch nicht erlebt, dass man im ersten Ärger Sätze formuliert, die einem später leidtun. Dem Partner, den Kindern, den Kollegen und den Mitarbeitern gegenüber treten wir in stressigen Phasen intoleranter, abwehrender und aggressiver gegenüber. „Impulskontrolle“ oder „Belohnungsaufschub“ nennen Psychologen die trainierbare Fähigkeit, nicht sofort zu reagieren, sondern kurz abzuwarten und bei einer Entscheidung den oft energieaufwendigeren, aber langfristig lohnenderen Weg zu gehen. Was in diesem Zusammenhang trainiert werden sollte, ist also die Konzentrationsfähigkeit: die Fähigkeit, unsere 40 Bit pro Sekunde möglichst lange für eine Tätigkeit zu nützen. Wir sollten lernen, den Spot unserer Taschenlampe zu kontrollieren. Man ahnt an dieser Stelle die konkrete Problemstellung im Büroalltag: Ständige Ablenkungen und Arbeitsunterbrechungen bei permanenter Erreichbarkeit sind ein effizientes Trainingslager für einen möglichst schnellen Wechsel des Spots. Man optimiert so nur die Ablenkbarkeit, nicht aber die Fokussierung. Es ist legitim, zu behaupten, dass wir aus Sicht der Anforderungen in der modernen Arbeitswelt Erben eines völlig unterdimensionierten Arbeitsspeichers sind. Unser Spot ist einfach zu klein. Wir werden aber auch sehen, dass wir in bestimmten Situationen den Spot „unscharf“ stellen und damit defokussiert weiter aufmerksam sein können.
Ein sehr treffendes Beispiel ist aus der Glücksforschung bekannt: Eine bestimmte Fließbandarbeiterin zeichnet sich im Vergleich zu ihren Kolleginnen dadurch aus, dass sie die monotone Arbeit deutlich motivierter hinter sich bringen kann. Die Arbeitszeit vergeht für sie schneller und am nächsten Tag muss sie sich nur selten zur Arbeit zwingen. Manchmal kann sie sogar Vorfreude empfinden.
Mit unserem Wissen können wir die Suche nach einer Erklärung auf die Frage eingrenzen, warum diese spezielle Fließbandarbeiterin mehr Dopamin produziert als ihre Kolleginnen, die am selben Fließband arbeiten. Wir erinnern uns an die Logik der Spitzmaus: Dopamin produzieren wir nachhaltig nur, wenn wir uns anstrengen müssen und zeitnah sehen, ob sich die Anstrengung, im Sinne des erkennbaren Fortschritts, lohnt. Daraus entstehen Vorfreude und Motivation, die Bereitschaft zur weiteren Energieinvestition und letztlich der Glaube an das Erreichen des gesetzten Ziels.
Die konkrete Aufgabenstellung einer Fließbandarbeiterin besteht beispielsweise darin, Bleistifte in einen Karton zu schlichten. Sie kann zeitnah erkennen und nachvollziehen, dass sie während ihrer Schicht Bleistifte in Kartons geschlichtet hat. Sie sieht also ihren Erfolg und hat ihr Ziel erreicht, wenn um 17 Uhr die Glocke läutet, um den Schichtwechsel anzuzeigen. Diese Rahmenbedingungen gelten auch für alle anderen und dennoch unterscheidet sich unsere Arbeiterin von den anderen. Betrachten wir diese Tätigkeit genauer, fällt das Fehlen der notwendigen Anstrengung auf, die, im Sinne einer Herausforderung, notwendig ist, um Dopamin zu produzieren. Doch wie ist die Herausforderung einer Tätigkeit definiert? Als herausfordernd empfinden wir Tätigkeiten, wenn wir nicht über- und nicht unterfordert sind. Es darf uns also nicht zu leicht, aber auch nicht zu schwer fallen. Im Falle der Fließbandarbeit bedeutet das, dass die Tätigkeit, die ja bereits nach wenigen Arbeitstagen durch Kompetenz und Routine unterfordernd sein wird, „künstlich“ schwieriger gemacht werden muss.
Warum, ist leicht nachzuvollziehen: Für monotone Tätigkeiten benötigen wir nicht unsere maximale Aufmerksamkeit, unsere 40 Bit pro Sekunde. In solchen Situationen passiert etwas, das wir an sehr stressigen Tagen auch beim Einschlafen erleben können: Sobald es in unserem Kopf ruhig ist, fallen uns plötzlich all die angstbesetzten Dinge ein, die uns gerade beschäftigen. Soziale Konflikte, finanzielle Sorgen und unerledigte Aufgaben stehen ganz oben in der Hitparade der quälenden Gedanken. Angstauslöser lassen uns folglich immer dann über offene Probleme unseres Lebens nachdenken, wenn wir nicht konzentriert bei einer Tätigkeit sind und 40 Bit für diesen einen Prozess verwenden. Um das Bild der Taschenlampe noch einmal zu bemühen: Wenn wir den Fokus des Spots nicht scharf auf eine Sache richten, ist beim üblichen Alltagsstress die Wahrscheinlichkeit groß, dass uns unangenehme Gedanken und Sorgen zu quälen beginnen. Da bei unterfordernder Tätigkeit ebenso wenig die gesamten 40 Bit für eine Tätigkeit verbraucht werden, neigen Fließbandarbeiterinnen dazu, während des Schlichtens der Bleistifte gleichzeitig an etwas anderes zu denken. Sie arbeiten also unkonzentriert und „verschleiern“ damit auch noch die Sichtbarkeit des Ergebnisses ihrer Anstrengungen.
Unkonzentriert zu sein, bedeutet nicht zwingend, dass man immer negative Gedanken auslöst – dafür muss es selbstverständlich einen Grund geben. Sind wir generell entspannt und beschäftigen uns gerade nicht mit einer konkreten Aufgabe, so schaltet unser Gehirn gewissermaßen in einen „Offlinemodus“, in dem jene Teile des Controllers abgeschaltet werden, die auf die Lösung von Aufgaben von außen spezialisiert sind. Das Gehirn beginnt sich also quasi mit sich selbst zu beschäftigen und aktiviert Gehirnteile, die Erholung und Entspannung ermöglichen. Mehr dazu schildere ich im zweiten Kapitel. Nicht konzentriert, aber monoton zu arbeiten, bedeutet aber in jedem Fall, dass weniger Dopamin ausgeschüttet wird und die Zeit langsamer zu vergehen scheint.
Was unsere motivierte Fließbandarbeiterin schaffen muss, ist einleuchtend: Sie muss ihre gesamten 40 Bit pro Sekunde Prozessorleistung zum Schlichten der Stifte verwenden, ihr Gehirn also gleichsam dazu zwingen, bei einer Tätigkeit zu bleiben. Das kann ihr gelingen, wenn sie zum Beispiel Stifte und Kartons zählt und sich darauf konzentriert, immer wieder ihren eigenen Rekord zu brechen. Sie richtet, bedingt durch (intrinsische) innere Motivation, den Spot Ihrer Taschenlampe kontrolliert auf die Stifte.
Genau diese Strategie ist aus unzähligen Beispielen bekannt und zeigt uns die einfache Logik unseres „Problemlösungsapparats“. Sehen wir kein Problem, das wir zeitnah lösen könnten, so beginnen wir, über Sinn und Unsinn nachzudenken. Als eine negative „Nebenwirkung“ der Fähigkeiten des Controllers fallen wir im schlimmsten Fall (wie auch Beispiele von Einzelhäftlingen zeigen) in schwere Depressionen und entwickeln Suizidgedanken.
An dieser Stelle treffen sich zwei Beispiele: das der demotivierten Fließbandarbeiterinnen und das eines Projektmanagers, der – zerrieben zwischen Projekt- und Linienverantwortung, ständiger Erreichbarkeit, Ablenkung und permanenter Unterbrechung – versucht, seinen Projektabschluss zu erreichen. Die Situation des Projektmanagers ist überfordernd und er kann keine zeitnahen Teilerfolge, keine Meilensteine, erkennen. Das unterscheidet die beiden. Das Gemeinsame zwischen ihnen zeigt sich in der identen Reaktion ihrer Arbeitsspeicher auf Über- und Unterforderung: In beiden Fällen werden nicht 40 Bit Prozessorleistung für eine Tätigkeit verwendet. Einmal, weil die Tätigkeit zu leicht fällt und keine Konzentration mehr erfordert, das andere Mal, weil Überforderung den Arbeitsspeicher zum Multitasking zwingt.
Unterschwellige Angst bedeutet biologisch ein erhöhtes Erregungsniveau. Das wiederum ist gleichbedeutend mit leichterer Ablenkbarkeit. Durch permanentes Aufsuchen unserer „Baustellen“ erzeugen wir in uns ein kurzfristiges Gefühl der Sicherheit. Wir neigen in diesem „Betriebsmodus“ sehr deutlich dazu, ständig zwischen unseren einzelnen Aufgaben zu wechseln. Sehr häufig auch ohne äußere Störfaktoren.
Es geht mir in den folgenden Kapiteln darum, ein zentrales Problem unserer modernen Arbeitswelt zu identifizieren und kausal verständlich zu machen. Stark vereinfacht würde ich bereits an dieser Stelle zu formulieren wagen: Wir sehen nicht mehr zeitnah, wofür wir uns anstrengen, produzieren dadurch weniger Dopamin, verlieren unsere Motivation, empfinden Arbeit damit als wesentlich anstrengender, glauben nicht mehr an das Erreichen gesteckter Ziele und fühlen uns fremdbestimmt und häufig als Opfer. Gleichzeitig verlieren wir die Fähigkeit, uns länger zu konzentrieren und zuzuhören. Ungeduld und schlimmstenfalls Aufmerksamkeitsstörungen, nicht nur bei Kindern, scheinen sich als globales Problem der digitalisierten Welt abzuzeichnen.
Wir werden uns in den folgenden Kapiteln Gedanken darüber machen, wie wir „hirngerecht“ mit den neuen Anforderungen umgehen müssen, um der Logik unseres Erbes gerecht zu werden. Wir brauchen uns aber grundsätzlich keine Sorgen zu machen: Unser Gehirn passt sich an jede Rahmenbedingung an. Die Frage nach den Konsequenzen für unsere Gesundheit, unsere Motivation und unsere Arbeitsleistung gilt es aber zu beachten.
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