Kitabı oku: «Die E-Zigarette», sayfa 2

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2.3 SCHADENSMINIMIERUNG

Nahezu alle Tätigkeiten unseres Lebens sind mit einem kleinen – manche auch mit einem größeren – Risiko verbunden. Das betrifft Autofahren und Sport ebenso wie viele Speisen und Getränke, die wir regelmäßig konsumieren. Nichts ist mit hundertprozentiger Gewissheit „harmlos“, und Unschädlichkeit lässt sich grundsätzlich nicht beweisen (mehr dazu in den Abschnitten 10.4 und 10.5). Anstatt mit einem gewissen Risiko verbundene Tätigkeiten zu verbieten und so hundertprozentige Sicherheit zu gewährleisten, versucht der Gesetzgeber das Risiko zu minimieren. Als illustratives Beispiel möchte ich das Autofahren heranziehen. Laut Statistik Austria waren im Jahr 2019 in Österreich 409 Verkehrstote zu beklagen, darunter 16 Kinder. Außerdem wurden bei 36.856 Unfällen 46.525 Personen verletzt, davon 7.631 schwer. Diese Schäden für Leib und Leben könnte man durch ein Generalverbot des Autofahrens oder flächendeckende Geschwindigkeitsbeschränkung auf 20 km/h mit 100-prozentiger Gewissheit verhindern. Aus naheliegenden Gründen sind das keine sinnvollen Optionen. Daher versucht man die schädlichen Folgen des Autofahrens durch gesetzliche Regelungen zu minimieren: Gurtenpflicht, ABS, Airbags, regelmäßige Fahrzeugüberprüfungen, streng kontrollierte Verkehrsregeln, Verbot von Smartphones ohne Freisprechanlage – und nicht zuletzt Abschreckung vor Zuwiderhandlungen durch Androhung strenger Strafen. Das Prinzip der Schadensminimierung ist in nahezu allen Bereichen unseres Lebens fest verankert. Auch in der Drogenprävention wurden die Vertreter einer strikten Abstinenzstrategie weitgehend überzeugt: Programme zum Nadelaustausch, kontrollierte Heroin-Substitution oder Verteilung von Kondomen zur HIV-Prophylaxe sind heute in den meisten Ländern etablierter Standard. Bei der Therapie der Alkoholabhängigkeit steht seit einigen Jahren die pharmakotherapeutische Reduktion des Alkoholkonsums mit Nalmefen (Handelsname: Selincro®) als Alternative zum Ziel vollständiger Abstinenz zur Verfügung.

Während also in den meisten Bereichen das Idealziel absoluter Abstinenz zugunsten der Minimierung des Schadens aufgegeben wurde, lehnt eine Mehrheit der Gesundheitsexperten in der Tabakkontrolle das Konzept der Schadensminimierung („tobacco harm reduction“) ab. Die WHO und mit ihr assoziierte Gesundheitsorganisationen bekämpfen etwa E-Zigaretten mit allen Mitteln (Abb. 1), und man beharrt auf der Maxime „Quit or Die“. Die zugrunde liegenden Ursachen sind vielfältig und werden gegen Ende dieses Buchs in Kapitel 11 diskutiert.

Abbildung 1: Der Kampf gegen E-Zigaretten. Mit freundlicher Genehmigung von Pauline Ullrich, Grafikerin, Kunsttherapeutin und Coach.

2.4 E-ZIGARETTEN: ALTERNATIVE FÜR RAUCHER ZUR SCHADENSMINIMIERUNG

Trotz aller Bemühungen versagen in den meisten Fällen die von den medizinischen Fachgesellschaften empfohlenen und in den medizinischen Leitlinien verankerten Verfahren zur Raucherentwöhnung. Außerdem betrachten viele Raucherinnen und Raucher Zigaretten als Genussmittel und sehen Rauchen nicht als Krankheit sowie sich selbst nicht als behandlungsbedürftige Patienten. Sie lehnen medizinische „Behandlung“ ihres Verhaltens ab und bestehen auf ihrem Grundrecht der Entscheidungsfreiheit. Die ethisch vielschichtige Frage, ob gesundheitsschädigendes Verhalten der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen obliegt, kann und möchte ich hier nicht beantworten. Ich werde aber eine alternative Form des Nikotinkonsums vorstellen, die es erlaubt, das jahre- oft sogar jahrzehntelang konditionierte Rauchverhalten aufrecht zu erhalten, ohne gesundheitsschädlichen Tabakrauch zu inhalieren. Seit etwa 15 Jahren stehen uns Geräte zur Verfügung, die durch Erhitzung nikotinhaltiger Lösungen einen Nebel (umgangssprachlich Dampf) erzeugen, der mit Hilfe eines Mundstücks inhaliert wird. Man raucht also nicht, sondern dampft. Da diese Geräte als Ersatz für Tabakzigaretten dienen und mit Strom betrieben werden, wurden sie elektronische Zigaretten (E-Zigaretten) genannt. Diese Bezeichnung sorgt in der Bevölkerung gelegentlich für Verwirrung und hat vermutlich erheblich zur fälschlichen Gleichsetzung des Rauchens mit dem Dampfen durch Behörden und die Politik beigetragen [5]. Die Bezeichnung „E-Zigarette“ ist allerdings mittlerweile dermaßen gut etabliert, dass eine Änderung der Terminologie hoffnungslos erscheint. Dieser Tatsache Rechnung tragend werde ich den Terminus „E-Zigaretten“ beibehalten. Allerdings werde ich penibel auf die Unterscheidung zwischen „Dampfen“ (Inhalation von Nebel) und „Rauchen“ (Inhalation von Verbrennungsrauch) achten.

3. Nikotin

Als ich vor einigen Jahren beim Aufnahmegespräch vor einer ärztlichen Untersuchung meinen Kardiologen informiert hatte, dass ich früher starker Raucher war, hat er Ex-Nikotinabusus in die Anamnese geschrieben. Diese Gleichsetzung des Rauchens mit „Nikotinmissbrauch“ ist auch außerhalb der medizinischen Fachkreise in der Bevölkerung fest verankert. Über Jahrzehnte hinweg war das Zigarettenrauchen die bei weitem vorherrschende Form des Nikotinkonsums. Und noch immer sind viele Menschen der Überzeugung, dass die Schädlichkeit des Rauchens vorwiegend auf den Effekten von Nikotin beruht. Tatsächlich hat aber bereits in den 1970er Jahren der 2009 verstorbene Professor Michael Russell, den man als Vater von tobacco harm reduction bezeichnen könnte, diesen Mythos zu beseitigen versucht: „People smoke for the nicotine but they die from the tar“, erklärte er 1976 in der Einleitung einer Publikation im British Medical Journal [6]. Man raucht wegen des Nikotins, aber man stirbt am Teer. Dieses berühmte Zitat hat bis heute nichts an Aktualität und Bedeutung eingebüßt. Auf einer Informationsseite von Nicorette® wird Raucherinnen und Rauchern durch Hinweise auf die geringe Schädlichkeit von Nikotin die Sorge vor medizinischen Nikotinersatzprodukten genommen. Auch viele Gegner empfehlen diese Produkte, warnen aber im gleichen Atemzug vor der Gefährlichkeit von Nikotin in E-Zigaretten. Die Hintergründe der erstaunlichen Verwandlung einer vergleichsweise harmlosen Substanz in ein tödliches Sucht- und Nervengift, sobald sie nicht in Form eines registrierten Arzneimittels, sondern mittels E-Zigaretten konsumiert wird, werden wir später beleuchten.


(S)-Nikotin

(S)-(–)-1-Methyl-2-(3-pyridyl)pyrrolidin

3.1 BIOLOGISCHE EFFEKTE

Nikotin kommt in zwei spiegelbildlichen Konformationen vor. Die Blätter von Tabakpflanzen enthalten (S)-Nikotin (in der Strukturformel als dicker Pfeil dargestellt), das biologisch etwa 10-mal aktiver ist als die R-Konformation. Ohne aufwändige Isomerentrennung liefern chemische Syntheseverfahren eine Mischung der beiden Formen, die man als Racemat bezeichnet. Nahezu alle nikotinhaltigen Produkte, die derzeit am Markt sind – inklusive Arzneimittel und Liquids – enthalten aus Tabak isoliertes (S)-Nikotin. Die Substanz ist auch in den Blättern anderer Nachtschattengewächse enthalten, beispielsweise Tomaten, Kartoffeln, Paprikas und Auberginen (Abb. 2). Hersteller von Liquids in den USA überlegen, aus anderen Pflanzen gewonnenes Nikotin zu verwenden, um die FDA-Regulierung der Liquids als Tabakprodukte zu umgehen. Gelegentlich wird in den sozialen Medien mit dem Nikotingehalt dieser Lebensmittel argumentiert, das heißt, man würde auch durch das Essen von Kartoffeln Nikotin zu sich nehmen. Dabei wird aber nicht bedacht, dass wir nicht die Blätter, sondern die Früchte, genauer gesagt die Knollen dieser Pflanzen verzehren, also Bestandteile, deren Nikotingehalt vernachlässigbar ist. Gemäß einer publizierten Analyse enthalten 500 kg Kartoffeln 1 mg Nikotin [7], wovon bei Verzehr 0,2 mg ins Blut gelangen und systemisch wirksam würden (siehe 3.2.).

Abbildung 2: Einige Nachtschattengewächse, die durch Nikotin in den Blättern vor Insekten und anderen Fressfeinden geschützt sind – v.l.n.r.: Nicotiana tabacum (Tabakpflanze), Solanum lycopersicum (Tomate), Solanum melongena (Aubergine) und Capsicum (Paprika).

Im menschlichen Körper imitiert Nikotin einen Teil der Wirkungen des Neurotransmitters Acetylcholin und bewirkt dadurch eine leichte Erhöhung von Herzfrequenz und Blutdruck. Diese Effekte sind harmlos und ähneln jenen von Koffein oder leichter körperlicher Betätigung. Klinische Studien, in denen man die langfristigen Konsequenzen von Nikotinersatzprodukten untersucht hat, erbrachten keinen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Erkrankungen des Herzkreislauf-Systems [8,9]. Dennoch sollten Personen mit schweren kardiovaskulären Erkrankungen wie etwa überstandenem Herzinfarkt, Schlaganfall oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit („Schaufensterkrankheit“) sicherheitshalber ihren Nikotinkonsum möglichst einschränken oder ganz darauf verzichten. Die Ergebnisse klinischer Studien sind nicht in Stein gemeißelt, und der Teufel schläft bekanntlich nicht.

Neben den typischen, gut untersuchten Wirkungen auf das Herzkreislauf-System wurden in der Fachliteratur vielfältige biologische Effekte von Nikotin beschrieben, deren Relevanz für unsere Gesundheit unklar ist. Herausgreifen möchte ich den möglichen Einfluss des Nikotinkonsums auf Krebserkrankungen. Nikotin ist nicht als krebserregend eingestuft, da es keinen belastbaren Hinweis auf krebserregende Wirkungen gibt. Allerdings fördert Nikotin die Neubildung von Blutgefäßen, die sogenannte Angiogenese [10]. Dieser Prozess ist wichtig für die Wundheilung, führt allerdings bei bestehenden Krebserkrankungen zu einer verbesserten Blutversorgung des Tumors und hat damit beschleunigtes Tumorwachstum zur Folge. Versuche mit Labortieren zeigten derartige Effekte von Nikotin und wiesen auch daraufhin, dass Nikotin die Wirksamkeit von Zytostatika, die in der Chemotherapie das Tumorwachstum bremsen sollen, beeinträchtigen könnten [11-13]. Im Bereich Tabak/Nikotin sind Ergebnisse aus Tierversuchen allerdings besonders schlecht oder gar nicht auf den Menschen übertragbar (siehe Kapitel 8), sodass es unklar ist, ob die Befunde zur Beschleunigung des Tumorwachstums in Labortieren für den Nikotinkonsum mittels E-Zigaretten relevant sind. Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen sollte man aber nicht hasardieren, und ich empfehle daher Personen mit Krebserkrankungen sicherheitshalber, wenn möglich, auf Nikotin zu verzichten.

Nikotin hat aber auch positive Wirkungen, die von der Tabakkontrolle unter den Teppich gekehrt werden, um die politisch erwünschte Denormalisierung des Rauchens nicht zu gefährden. Im Vordergrund steht dabei die entzündungshemmende Wirkung, auf der wahrscheinlich die Schutzwirkung gegen die Colitis ulcerosa, einer ausgesprochen unangenehmen entzündlichen Darmerkrankung, beruht. Raucherinnen und Raucher leiden wesentlich seltener an dieser Krankheit, und die Wirksamkeit der Therapie mit Nikotinpflastern ist in klinischen Studien dokumentiert [14,15]. Aus unbekannten Gründen schützt Nikotin aber nicht gegen Morbus Crohn, einer mit der Colitis ulcerosa verwandten Erkrankung. Auch bei Autoimmunerkrankungen [16] wie der Sarkoidose, einer auch in der Lunge auftretenden Bindegewebserkrankung, verbesserte Nikotin die Symptomatik [17]. Im Gehirn scheint die entzündungshemmende Wirkung von Nikotin zur geringeren Häufigkeit von Morbus Parkinson [18,19] und Morbus Alzheimer [20,21] unter Raucherinnen und Rauchern beizutragen.

Besonders interessant sind die psychischen Effekte von Nikotin. Häufig beklagen sich Raucherinnen und Raucher über mangelnde Konzentrationsfähigkeit im Rahmen von Entwöhnungsversuchen. Und tatsächlich zeigen klinische Studien eine Verbesserung kognitiver Leistungen wie Lernen, Gedächtnis und Konzentration durch Nikotin [22,23], während Nikotinentzug im Zuge der Raucherentwöhnung kognitive Beeinträchtigungen zur Folge hat [24]. Der Neurowissenschaftler Paul Newhouse untersucht seit langem die therapeutische Wirksamkeit von Nikotinbehandlung bei Personen mit leichter geistiger Behinderung [25,26]. Die Therapie mit Nikotin wird aufgrund des angeblich hohen Suchtpotentials (siehe 3.4.) abgelehnt, aber analoge Substanzen, die bestimmte Nikotinrezeptoren im Gehirn stimulieren, werden zur Therapie diverser kognitiver Störungen und psychischer Erkrankungen in Betracht gezogen [27]. Kontrovers beurteilt werden die Effekte von Nikotin bei Erkrankungen wie der Schizophrenie [28,29] oder der Aufmerksamkeitsdefizit-Störung mit oder ohne Hyperaktivität, dem AD(H)S [30]. Bei beiden Erkrankungen ist die Raucherquote wesentlich höher als in der Normalbevölkerung, bei Schizophrenie beträgt sie bis zu 80 Prozent. Manche Fachleute gehen davon aus, dass sich die Patienten unbewusst selbst mit Nikotin behandeln und kritisieren die strikten Rauchverbote in psychiatrischen Kliniken. An Schizophrenie erkrankte Personen zeigen aber insgesamt verstärktes Suchtverhalten, sind also zum Beispiel auch eher alkoholabhängig als Gesunde. Somit könnte die hohe Raucherquote auch eine Ausprägung des Suchtverhaltens sein, was die Selbsttherapie-Hypothese des Rauchens bei Schizophrenie in Frage stellt [31].

Mit dem Effekt von Nikotin auf AD(H)S habe ich mich selbst näher beschäftigt. Eine kürzlich publizierte Studie zeigt, dass junge Erwachsene mit ADHS signifikant stärker zur Selbstverabreichung von Nikotin neigen als Kontrollgruppen [32], sodass die höheren Raucherquoten unter Betroffenen offenbar auf Neigung zum Nikotinkonsum zurückzuführen sind. Allerdings stellt sich auch hier die Henne-Ei Frage: Verursacht die kognitive Störung die Vorliebe für Nikotin oder verbessert Nikotin die Symptomatik? Die Fachliteratur dazu ist kontrovers, aber in persönlichen Mitteilungen haben mir Betroffene einhellig berichtet, dass sich ihre Symptome bei Nikotinkonsum, entweder durch Rauchen oder mittels E-Zigaretten, verbessern und nach Entzug wieder verschlechtern. Nachdem diese Erfahrungsberichte auch durch vereinzelte klinische Studien bestätigt wurden, wird die therapeutische Wirksamkeit von Nikotin zur Behandlung des AD(H)S auch von Fachleuten in Erwägung gezogen [27].

3.2 TOXIZITÄT

Häufig liest man Nikotin sei ein tödliches Nervengift. Das ist grundsätzlich richtig, aber nur die halbe Wahrheit. Um das zu verstehen müssen wir zunächst klären, welche Stoffe als Gifte zu bezeichnen sind. In der Bevölkerung besteht vermutlich Einigkeit, dass die aus Kriminalromanen gut bekannten Stoffe Arsenik oder Kaliumcyanid („Blausäure“) Gifte sind, wohingegen Kochsalz oder Arzneimittel gemeinhin als nützlich erachtet werden. Diese Unterscheidung ist wissenschaftlich allerdings nicht haltbar. Bereits vor 500 Jahren hat Paracelsus erkannt, dass der Begriff „Gift“ oder „giftig“ immer auf eine Dosis Bezug nehmen muss. Oder wie das in einem Standard-Lehrbuch der Toxikologie formuliert ist: Es mag ein Dosisbereich existieren, in dem ein bestimmtes Agens eine giftige Wirkung entfaltet. Es gibt immer auch Expositionsbereiche eines Agens, die keine unerwünschten Wirkungen auslösen. [33] Um beim Beispiel Blausäure zu bleiben: Bittermandeln, Aprikosenkerne und andere pflanzliche Nahrungsmittel enthalten Bestandteile (Glykoside), die im Körper Blausäure freisetzen. Dennoch ist der Verzehr geringer Mengen unbedenklich. Unter Berücksichtigung der Dosisabhängigkeit biologischer Wirkungen werden von den Behörden deshalb Grenzwerte für die Aufnahme potentiell schädlicher Substanzen definiert. Im Fall von Cyanid beträgt der tägliche Grenzwert 20 mg pro Kilogramm Körpergewicht. Für einen 60 kg schweren Menschen ist demnach die über den Tag verteilte Aufnahme von bis zu 1,2 Gramm Cyanid nicht „giftig“. Umgekehrt kann der Verzehr von an sich als „ungiftig“ angesehenen Lebensmitteln durchaus fatal enden: 150 Gramm Kochsalz können tödlich sein. In hoher Dosierung wirkt also ein Stoff, den jeder von uns im Küchenschrank aufbewahrt und täglich benutzt, als tödliches Gift. Für das gut verträgliche, auch für Kleinkinder und schwangere Frauen zugelassene Schmerzmittel Paracetamol (zum Beispiel Mexalen®) beträgt die empfohlene Einzeldosis 0,5 Gramm, die tägliche Maximaldosis 2 Gramm. Aber bereits ab einer Dosis von etwa 8 Gramm führt Paracetamol zu schweren, lebensbedrohlichen Leber- und Nierenschäden. In Abhängigkeit von der Dosis ist diese Substanz entweder ein hilfreiches Schmerzmittel für Babys oder tödliches Gift.

Aber nun zum Nikotin. Die Wirkungen von Nikotin beruhen auf der Stimulierung von bestimmten Rezeptoren auf Nervenzellen, die durch den Neurotransmitter Acetylcholin aktiviert werden. Nikotin imitiert also ein körpereigenes Wirkprinzip. In dem beim Rauchen oder Dampfen erzielten Konzentrationsbereich regt Nikotin die Zellen zur Aktivität an, hat also einen stimulierenden Effekt. In mehr als 100-fach höherer Konzentration kehrt sich dieser Effekt jedoch um, sodass die Funktion der Nervenzellen blockiert wird und Nikotin seine neurotoxische Wirkung als Nervengift entfaltet.

Die Wirkumkehr beruht dabei auf der Dauerstimulierung der Acetylcholin-Rezeptoren, die zu einer Aktivitäts-Blockade der Nervenzellen führen. Auf einem ähnlichen biochemischen Effekt beruht auch die relaxierende Wirkung von Suxamethonium (Succinylcholin), einem Mittel, das bei chirurgischen Eingriffen zur Entspannung der Skelettmuskulatur verwendet wird. Eine Wirkung, die im übrigen auch Curare-Derivate entfalten, die als muskellähmende Pfeilgifte südamerikanischer Indianer bekannt sind.

Nunmehr stellt sich die wesentliche Frage, unter welchen Umständen die Nikotinkonzentration im Blut so hoch werden kann, dass die neurotoxische Wirkung von Nikotin zum Tragen kommt. Nikotin wird im Körper rasch abgebaut und verteilt sich in zahlreichen Geweben, sodass bei kontinuierlicher Zufuhr kleiner Mengen, wie das beim Rauchen oder Dampfen der Fall ist, gefährliche Blutspiegel niemals erreicht werden. Es stellt sich ein Fließgleichgewicht (steady state) ein, das den Anstieg der Nikotinkonzentration im Blut limitiert. Außerdem löst Nikotin bereits bei leichter Überdosierung unangenehme Wirkungen wie Schwindel, Kopfschmerzen und – in Extremfällen – Erbrechen aus, die uns zur Unterbrechung der Aufnahme veranlassen: man legt eine Rauch- oder Dampfpause ein. Somit stellt man durch Anpassung des Rauchverhaltens unbewusst optimale Nikotinspiegel ein, man „titriert“ die erforderlichen Blutspiegel an Nikotin, ohne sich dessen bewusst zu sein. Diese Selbsttitration mit Nikotin ist für das Rauchen seit langem dokumentiert, und aktuelle Studien zeigten das auch für das Dampfen [34]. Das von Frau Dr. Martina Pötschke-Langer bei einer Anhörung im deutschen Bundestag gezeichnete Schreckensbild von Dampferinnen und Dampfern, die bis zur Bewusstlosigkeit an ihren E-Zigaretten ziehen [35], ist daher realitätsfern und als Science Fiction zur Bekämpfung von E-Zigaretten einzustufen.

Ernsthafte Vergiftungserscheinungen bis hin zum Tod treten nur auf, wenn größere Mengen an Nikotin als Bolus („auf einen Sitz“) aufgenommen werden. Bei oraler Aufnahme (Verschlucken) von Nikotin in Form von Tabak oder nikotinhaltigen Flüssigkeiten wird nur etwa ein Fünftel der verschluckten Menge im Körper wirksam, der Rest wird in der Leber abgebaut und ausgeschieden. Fachleute nennen den Anteil eines Wirkstoffs, der ins Blut gelangt und systemisch wirksam werden kann Bioverfügbarkeit. Definitionsgemäß beträgt die Bioverfügbarkeit eines Stoffes bei intravenöser Verabreichung 100 Prozent, da in dem Fall die gesamte Menge direkt in das Blut injiziert wird und dort wirksam werden kann. Je nachdem, wie man einen Wirkstoff zuführt (appliziert), kann die Bioverfügbarkeit aber varriieren. Wie ist das bei Nikotin? Bei Verschlucken ist sie, siehe oben, gering. Beim „Lungenzug“ ist sie hoch. Bei inhalativer Applikation oder „bukkal“ über die Mundschleimhaut, wird Nikotin nahezu vollständig aufgenommen. [36].

Neben der Bioverfügbarkeit ist auch die Geschwindigkeit der Aufnahme von Stoffen zu berücksichtigen. Wenn man Nikotin verschluckt, muss die Substanz zunächst in den Dünndarm und gelangt über die Pfortader und die Leber ins Blut. Das dauert je nach Füllung des Magen-Darmtrakts 30 bis 60 Minuten. Auch über die Haut wird Nikotin aufgrund der Barrierefunktion der Epidermis nur sehr langsam aufgenommen [37,38]. So geben die sogenannten Pflaster (transdermale therapeutische Systeme, TTS) das enthaltene Nikotin nur langsam über einen Zeitraum von 12 bis 24 Stunden ab. Deshalb ist auch die Gefahr von Nikotinvergiftung bei versehentlicher Kontamination der Haut vernachlässigbar. Selbst hochkonzentrierte Nikotinlösungen verursachen keinen merkbaren Effekt, wenn man sich nach einem allfälligen Missgeschick die Hände wäscht.

Bei Aufnahme über die Mundschleimhaut (Lutschtabletten, Sprays) wird Nikotin wesentlich schneller aufgenommen, da der Umweg über den Magen-Darmtrakt und die Leber entfällt. Besonders schnelle Aufnahme beobachtet man bei Inhalation von Tabakrauch, da Nikotin im Rauch an feste Partikel gebunden ist, die aufgrund ihres geringen Durchmessers tief in die Lunge eindringen können und das Nikotin von den Lungenbläschen direkt ins Blut abgegeben wird. Häufig wird kolportiert, inhaliertes Nikotin würde im Gehirn binnen weniger Sekunden seine Wirkung entfalten. Das wurde aber durch eine elegante Studie widerlegt, in der die Aufnahme beim Rauchen mit einem bildgebenden Verfahren untersucht wurde. Es vergingen mehrere Minuten bis im Gehirn maximal wirksame Spiegel an Nikotin erreicht wurden [39].

Bei Inhalation nikotinhaltiger Aerosole aus E-Zigaretten scheint die Geschwindigkeit der Aufnahme etwas langsamer zu sein als beim Rauchen, wobei die in Studien gemessenen Werte allerdings stark variieren [40-43]. Die Geschwindigkeit ist wahrscheinlich nicht nur von der Nikotinkonzentration des Liquids und der eingestellten Leistung, sondern auch von der Zugtechnik abhängig (siehe Kapitel 4). So ist es denkbar, dass bei konventioneller Inhalation („Mund-zu-Lunge“) ein erheblicher Anteil des Nikotins bereits in der Mundschleimhaut und in den oberen Atemwegen aufgenommen wird und daher im Vergleich zur Inhalation „Direkt-auf-Lunge“ verzögert ins Blut gelangt. Dazu liegen aber bisher keine Untersuchungen vor. Unabhängig vom zeitlichen Verlauf sind die maximalen Nikotinkonzentrationen im Blut beim Dampfen ähnlich wie beim Rauchen.

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26 mayıs 2021
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