Kitabı oku: «Gesprochenes Portugiesisch aus sprachpragmatischer Perspektive», sayfa 6
Eine andere von Coseriu vertretene Haltung, die als grundlegende Einsicht auch die im vorliegenden Buch aufgestellten Thesen prägt, betrifft das von Coseriu postulierte ,Primat des Gesprochenen‘. Damit meint er die Priorität des Sprechens aus genealogischer und methodischer Sicht sowie die vorrangige Bedeutung mündlicher Verständigung für sprachliche Entwicklungsprozesse. ‚Sprechen‘ bedeutet folglich für Coseriu einen Prozess, der – so paradox es zunächst auch scheinen mag – mündliche und schriftliche Kommunikation gleichermaßen umfasst (Coseriu 2007, 58 [1975]):
Das Sprechen ist nicht von der Sprache her zu erklären, sondern umgekehrt die Sprache nur vom Sprechen. Das deswegen, weil Sprache konkret nur Sprechen, Tätigkeit ist und weil das Sprechen weiter als die Sprache reicht. Denn während die Sprache ganz im Sprechen steckt, geht das Sprechen nicht ganz in der Sprache auf. Daher muss unsere Meinung nach Saussures bekannte Forderung umgekehrt werden: statt auf den Boden der Sprache‚ muss man sich von Anfang an auf den des Sprechens stellen und dieses zu Norm aller anderen sprachlichen Dinge nehmen.
Dieses Zitat und die Argumente Coserius liefern zusammen mit dem oben dargestellten Modell des Nähe- und Distanzsprechens hinreichende Gründe dafür, in den folgenden Kapiteln die Begriffe ‚Nähesprechen‘ bzw. ‚Nähekommunikation‘ zu gebrauchen, auch wenn vereinzelt damit kommunikative Praktiken gemeint sind, die medial auf einer schriftlichen Basis beruhen.
Zur Bestimmung zusätzlicher, nonverbaler Anteile der Kommunikation, von denen im weiteren Verlauf des Buches immer wieder die Rede sein wird: Unter Merkmalen der ‚Prosodie‘ verstehe ich die Gesamtheit lautlicher Strukturen, zu denen ‚Betonung‘ (Wort- und Satzakzent), ‚Rhythmus‘ (intendierter, regelmäßig-systematischer Wechsel zwischen betonten und unbetonten Silben), ‚Intonation‘ (Verlauf, Richtung und Modulation der Sprechmelodie innerhalb einer Sprechsequenz), ‚Intensität und Lautstärke‘, ‚Sprechgeschwindigkeit‘ sowie ‚Pausen‘ gehören14. Diese Merkmale besitzen die Charakteristika ‚suprasegmentaler‘ Elemente, weil sie nicht mit einzelnen Segmenten der Lautkette (Laute, Silben, Worten, Phrasen) zusammenfallen, sondern erst im Zusammenhang umfassender, segmentübergreifender Sprechsequenzen beschrieben und verstanden werden können. Von diesen suprasegmentalen Merkmalen der Prosodie, die in gewissen Kontexten sprachsystemische Relevanz besitzen – hinsichtlich der Kodierung der illokutiven Kraft eines Sprechakts und hinsichtlich der Informationsstruktur einer Äußerung –, lassen sich andere Elemente „parasprachlicher Kommunikation“ (cf. Lehmann 201315) unterscheiden, die sprachsystemisch irrelevant sind. Zu ihnen gehören lautliche Manifestationen wie ‚Räuspern‘, ‚Seufzen‘, ‚Grunzen‘, ‚Schluchzen‘ etc. (ibid.). Letztere sind m.E. aber durchaus in der Lage – und dieser Zusatz ist gerade aus der Sicht der hier vorliegenden Arbeit erwähnenswert –, kommunikative Aufgaben zu übernehmen, die aus pragmatischer Sicht von Bedeutung sein können: ein ‚Seufzen‘ als Ausdruck von Liebe, Kummer, Schmerz etc.
Zur „nichtsprachlichen Kommunikation“ zählen „Mimik“, „Gestik“, „Haltung“ und „Proxemik“. Unter letzteren Begriff, der allgemein weniger bekannt sein dürfte, versteht Lehmann ein „bedeutungsvolles Gestalten des Raums in einer Kommunikationssituation“ (ibid.).
In den folgenden Ausführungen des Buches verwende ich vereinfachend die Ausdrücke ‚suprasegmentale Merkmale der Prosodie‘ und ‚nichtverbale Anteile der Kommunikation‘, wobei ich implizit die obigen Bestimmungen meine.
5. Beschreibung im Parameter ‚Rolle‘
„Der Rollenparameter beschreibt die Möglichkeiten, die sich aus der P-R-Rollendynamik, d.h. dem ständigen Wechseln der Rollen der Kommunikationsteilnehmer als Produzent (P) oder Rezipient (R) ergeben“, so definieren Ágel / Hennig (2007, 193) ihren Beschreibungsparameter ‚Rolle‘. Im selben Aufsatz bestimmen sie ‚Interaktion‘ in Abgrenzung von der „Interaktionalen Linguistik“, die diesen Begriff in einem weiter gefassten Sinn als Form sozialen Miteinander-Handelns begreift1, ihrerseits in einer eingeschränkten Bedeutung als sprachliche Kooperation bei der Gestaltung von Redeeinheiten. Sie verstehen mithin ‚Interaktion‘ als ein „gemeinsames Agieren der Kommunikationsteilnehmer bei der sprachlichen Gestaltung des Kommunikationsprozesses“ (Ágel / Hennig 2007, 194).
Bei ‚Rolle‘ handelt es sich um einen Beschreibungsparameter, dem in ihrem Modell des Nähe- und Distanzsprechens ausschließlich Ausdrücke und Strukturen von kommunikativen Praktiken zugeordnet werden, die im Zusammenhang mit dialogischen Diskursabläufen vorkommen. Zu dieser Gruppe zählen sowohl kommunikative Praktiken aus dem prototypischen Bereich des Nähesprechens – d.h. alle möglichen Formen von Alltagsdialogen – aber mit Einschränkungen und in graduellen Abstufungen auch Formen des peripheren Nähesprechens der ‚keyboard-to-screen communication‘, wie Twitter, SMS, Einträge in Weblogs und Internetforen sowie die verschiedenen Varianten des Chattens. Die dialogähnlichen Strukturen dieser kommunikativen Praktiken sind Folge von Mechanismen zur Herausbildung virtueller Verständigungsnetze, die als integrale Bestandteile das Funktionieren der entsprechenden Internetplattformen steuern. Beim Twittern z.B. gehören zu diesen Mechanismen die Funktionen ‚reply‘ sowie das Posten von ‚retweets‘ und ‚zitierten tweets‘ 2.
Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen möchte ich in Anlehnung an Ágel / Hennig dem Beschreibungsparameter ‚Rolle‘ in paraphrasierter und vereinfachter Form (cf. Kapitel 4) folgende universale Diskursverfahren‘ zuordnen:
(a) ‚Kontaktherstellung zwischen dem Produzenten und Rezipienten einer Äußerung‘: Wie jede andere Sprache verfügt auch das Portugiesische über spezifische Anrede- und Verabschiedungsformeln, Anredenominative, etc., die im Dienste dieses Verfahrens der Diskursgestaltung gebraucht werden.
(b) ‚Sequenzierung der Rede‘: Dieses Verfahren betrifft den Umstand, dass bei spontanen Dialogen nicht vorab geplant wird, wer wann die Rolle des Sprechers bzw. die des Hörers einnimmt. Die entsprechende Organisation des Rederechts müssen Sprecher während des Gesprächsablaufs permanent mit ihren Dialogpartnern abstimmen. Diese Anstrengung geschieht parallel zum übrigen Austausch von Informationen. Zu ihnen zählen insbesondere ‚suprasegmentale Merkmale der Prosodie‘ und ‚nichtverbale Anteile der Kommunikation‘ (cf. die ausführliche Erläuterung dieser Kommunikationsanteile in ‚Kapitel 4‘).
(c) ‚Engführung der Orientierung‘: Von zentraler Bedeutung für das Funktionieren nähesprachlicher Kommunikation ist es zudem, dass sowohl Sprecher als auch Hörer über Signale, Wörter und Wortformeln verfügen, die es ihnen ermöglichen, sich ständig zu vergewissern, dass man verstanden wird und dieses Verständnis auch mittels entsprechender sprachlicher Mittel absichert (Sprecher); bzw. man zeigt, dass man den Ausführungen seines Gegenübers zu folgen in der Lage ist (Hörer)3.
(d) ‚Aggregative Rezeptionssteuerung‘: Im Dienste dieses Diskursverfahrens können Sprecher auf verschiedene Mittel zurückgreifen, die es ihnen erlauben, parallel zur eigentlichen Informationsübermittlung zusätzlich noch Einfluss darauf zu nehmen, wie ihre Gesprächspartner ihre Äußerungen dekodieren. Dieses ‚wie‘ betrifft die Gewichtung der Informationsanteile der Propositionen in einer Aussage und die Abstufung des illokutiven Gehaltes, den man einer Aussage zumisst. Mit anderen Worten, Sprecher verfügen über Mittel, um z.B. auszudrücken, wie ernst sie ein Versprechen meinen, wie sie selber den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage einschätzen oder wie weit ihre möglichen Sanktionen reichen würden, um einer geäußerten Drohung Nachdruck zu verleihen.
(e) ‚Produzent (P) mit Bezug auf Rezipient (R) Illokutionsnuancierung‘: Meinem Dafürhalten folgend ist dieses Diskursverfahren bereits im vorher erläuterten Verfahren einer ‚aggregativen Rezeptionssteuerung‘ enthalten. Die Zusammenlegung dieser beiden Verfahren scheint insbesondere für das Portugiesische möglich, weil es im Unterschied zur deutschen Sprache relative wenige Modalpartikeln gibt, die eine graduelle Abstufung der illokutiven Wirkung von Äußerungen auf den Gesprächspartner übernehmen könnten4. Im Portugiesischen treten Operatoren in ‚O-SK-ST‘ an die Stelle von Modalpartikeln, um die Aufgabe einer Illokutionsnuancierung zu übernehmen. Als weiteres Argument für eine Zusammenlegung beider Diskursverfahren lässt sich anführen, dass es sich auch bei ‚P-mit-Bezug auf R-Illokutionsnuancierung‘ um eine Strategie handelt, die ebenfalls darauf abzielt, den Hörer bei seiner Informationsdekodierung zu beeinflussen, und es sich somit letztlich auch um ein Verfahren der Rezeptionssteuerung handelt.
(f) ‚Bei einem direkten physischen und psychischen Kontakt zwischen Produzenten und Rezipienten Tendenz zu einer gefühlsbetonten Sprechweise‘: Dieses universale Diskursverfahren erlaubt ebenfalls eine Bestimmung innerhalb des Beschreibungsparameters ‚Rolle‘5: Aus dem gemeinsamen Agieren der Gesprächspartner in unmittelbarer psychischer und physischer Nähe ergibt sich eine spezifische Konstellation, die Gesprächsteilnehmer schneller zu einem emphatisch aufgeladenen Sprachduktus veranlasst. Dieser legt den Gebrauch von sprachlichen Mitteln des Gefühlsausdrucks und der Übertreibung nahe. Weil entsprechende sprachliche Ausdrücke wie Interjektionen und hyperbolische Ausdrücke – bei der Computer vermittelten Kommunikation kommen noch graphostilistische Ausdrucksmittel wie Smileys, Emoticons etc. hinzu – sich aber häufig in einem semiotischen Grenzbereich zwischen verbalem und nicht verbalem Code befinden, möchte ich diese Zeichen im Rahmen des Beschreibungsparameters ‚Code‘ (siehe Kapitel 8.1.1) thematisieren.
Im Rahmen der vorliegenden Studie ist es mir nicht möglich, die universalen Diskursverfahren in ihrer Gesamtheit zu erörtern, die sich aus dem Parameter ‚Rolle‘ ableiten lassen. Darum beschränke ich mich auf die Verfahren ‚Sequenzierung der Rede‘, ‚Engführung der Orientierung‘ und ‚Aggregative Rezeptionssteuerung‘ sowie die sprachlichen Mittel und Strukturen, in denen sich diese Verfahren manifestieren (cf. Tabelle in ‚Kapitel 4‘).
5.1 Sequenzierung der Rede
In den Ausführungen des vorangehenden ‚Abschnitts 5‘ ‚Rolle‘ wurde bereits erwähnt, dass bei spontanen Dialogen nicht vorab geplant werden kann, wer wann und wie die Rolle des Sprechers bzw. die des Hörers einnimmt. In einem offenen, dynamischen und nicht geplanten Gesprächsablauf muss darum die Regelung des Rederechts ständig von neuem und unter Beteiligung aller Gesprächsteilnehmer organisiert werden.
Nichtmuttersprachler, die in einer ihnen fremden Sprachkultur leben, stellt dieser Umstand gerade in der ersten Phase ihrer sprachlichen Integration vor große Herausforderungen. Auch wenn sie bereits in der Lage sind, den syntaktischen Regeln der Zielsprache gemäß korrekte Sätze zu bilden, über ein entsprechend großes Vokabular verfügen und die Aussprache dieser Sprache annähernd beherrschen, bedeutet das noch nicht, dass es ihnen gelingt, sich in einem Kreis von Muttersprachlern angemessen an einem spontanen Alltagsgespräch zu beteiligen. Auch meine eigenen Erfahrungen als Nichtmuttersprachler in Portugal zeigen, dass die größten Barrieren in solchen Situationen darin bestehen, im richtigen Moment und relativ schnell den richtigen Ausdruck zu finden, der es einem erlaubt, in ein Gespräch normengerecht ‚einzusteigen‘. Und wenn das einmal geschafft ist, wird man merken, dass weitere sprachliche Mittel zur Verfügungen stehen sollten, die es ermöglichen, einen einmal begonnenen Sprechbeitrag ohne Unterbrechung durch die anderen beteiligten Gesprächspartner weiterzuführen und bei Bedarf auch normgerecht abzuschließen. Erst wer in der Lage ist, diese kritischen Momente eines Alltagsdialogs unter Anwendung der entsprechenden sprachlichen Mittel zu meistern, verhält sich wie ein kompetenter Sprecher, wird auch als ein solcher akzeptiert und gewinnt das notwendige Selbstvertrauen zur Bewältigung künftiger Situationen des Nähesprechens.
Zu den Mitteln, die es ermöglichen, als kompetenter Sprecher an Alltagsgesprächen teilnehmen zu können, gehören der Argumentation oben folgend die Rederechtsmittel. Für die weitere Erläuterung und Gliederung dieser sprachlichen Ausdrücke im Portugiesischen1 berücksichtige ich sowohl ihre Funktionen als auch die Positionen, die sie typischerweise in einer Sprechsequenz einnehmen: (a) ‚Anfangssignale‘ (marcadores conversacionais iniciais) gebraucht ein Sprecher zu Beginn seines Sprechbeitrags und gibt so den Gesprächsteilnehmern zu erkennen, dass er seinen ‚turn‘ beginnen möchte. Genauer betrachtet besteht die Funktion entsprechender Marker oft darin, seinen Gesprächspartner zu unterbrechen und ihm den ‚turn‘ wegzunehmen, um so den eigenen Sprecherbeitrag einleiten zu können. In diesem Fall kann man auch von (b) ‚Signalen zur Übernahme des Rederechts‘ sprechen. Ob nun Rederechtsmittel als Anfangssignale oder Signale zur Übernahme des Rederechts bestimmt werden können, entscheidet der jeweilige Kontext ihres Vorkommens. (c) ‚Fortführungssignale‘ (marcadores conversacionais mediais) sind hingegen Ausdrücke, auf die Gesprächsteilnehmer zurückgreifen, während sie bereits sprechen. Sie stehen also oft eingebettet in der Mittel einer Sprechsequenz und machen deutlich, dass man beabsichtig weiterzusprechen. Sprecher gebrauchen sie auch dann, wenn sie die Turnübernahme durch einen Gesprächspartner verhindern möchten. (d) Schließlich verfügen kompetente Gesprächsteilnehmer zur Organisation des Rederechts noch über eine Reihe von ‚Beendigungssignalen‘ (marcadores conversacionais finais), die sie am Ende ihrer Sprechsequenzen einsetzen, bzw. durch die sie das Ende ihrer Äußerungen einleiten. Andere Rederechtsmittel, die Sprecher oft in Form „usueller Wortverbindungen“2 wie diga-me bereits zu Beginn ihrer Sequenz formulieren, fordern den Gesprächspartner explizit dazu auf, das Wort erst etwas später nach Beendigung des eigenen Beitrags zu ergreifen. Der Gebrauch solcher Ausdrücke wie z.B. diga-me uma coisa oder responde-me3 muss allerdings nicht immer bedeuten, dass ein Sprecher tatsächlich die Intention verfolgt, seinen ‚turn‘ unmittelbar nach Aussprechen dieser Formel dem Gesprächspartner zu überlassen. In vielen Fällen handelt es sich vielmehr um eine Markierung zur Einleitung einer eigenen, längeren Sprechsequenz. (e) Trotzdem scheint es gerechtfertigt, zur Bezeichnung entsprechender Ausdrücke den Terminus ‚Redeaufforderungssignale‘ zu benutzen.
Der Sequenzierung der Rede – Organisation der Aufteilung in Sprecher- und Hörerrolle – dienen neben den Rederechtsmitteln auch verschiedene Varianten der Adjazenz4, die man in die folgenden Gruppen untergliedern kann: (a) Bei einer ‚adjazenten Fortführung‘ führt ein Sprecher die Sprechsequenz seines Gesprächspartners fort, wobei er Teile dieser Sequenz für seine eigene Äußerung übernimmt. (b) In speziellen Fällen, auf die der Terminus ‚adjazente Paarformeln‘ zutrifft, geschieht diese Kooperation zwischen Sprecher und Hörer in Form von sich einander ergänzenden Wortformeln. Das sind sich paarig ergänzende Teile von Dialogsequenzen, die sich im Laufe der Sprachgeschichte als Konventionen oder „Normen“ im Sinne Coserius (2007, 52sqq.) entwickelt haben. Eine solche paarige Wortformel gebraucht z.B. ein Kunde beim Einkaufen, wenn er auf die Frage des Verkäufers mais uma coisa seinerseits mit dem Ausdruck é tudo reagiert, oder wenn am Fahrkartenschalter der Kunde beim Kauf seiner Fahrkarte auf die Frage des Bahnangestellten ida e volta antwortet só ida. (c) ‚Turn-taking‘ durch Adjazenz kann aber auch dadurch erfolgen, dass ein Sprecher ein einzelnes Wort, einen Teil, eine vollständige syntaktische Sequenz oder sogar eine komplette Äußerung des Gesprächspartners aufgreift und sie dazu benutzt, seinen folgenden eigenen Sprechbeitrag einzuleiten. Für die Bezeichnung dieser Ausprägung von Adjazenz wird im Folgenden der Terminus ‚adjazente Wiederaufnahme‘ benutzt.
Schema zur Veranschaulichung der Funktionen, Formen und Positionen von Rederechtsmitteln im Portugiesischen
Funktion und Form | Position in der Sprechsequenz |
Einnahme oder Eroberung der Sprecherrolle → Anfangs- oder Redeübernahmesignale → Formen adjazenter Fortführung und Wiederaufnahme | Beginn einer Sprechsequenz |
Abwehr der Redeübernahme → Fortführungssignale | In der Mitte einer Sprechsequenz |
Abbruch des eigenen Beitrags als Sprecher → Beendigungssignale | Am Ende der Sprechsequenz |
Explizite Übergabe des Rederechts an den Gesprächspartner → Redeaufforderungssignale, oft in Form ‚usueller Wortverbindungen‘ oder ‚verbos declarativos‘ wie dizer, falar, responder, perguntar etc. | Am Anfang oder Ende des ‚turns‘ |
5.1.1 Rederechtssignale
Das folgende Korpus umfasst acht Beispiele zur Organisation des Rederechts mit Hilfe von sprachlichen Ausdrücken, über die portugiesische Sprecher eigens für diesen Zweck verfügen sowie acht weiterer Beispiele, in denen diese Aufgabe durch adjazente Strukturen übernommen werden. Die entsprechenden Interpretationen werden nach diesen beiden Gruppen untergliedert vorgenommen.
(1) C-ORAL-ROM ‚pfamdl17.txt‘ – Erfahrungen an der Universität
R/ de antigos alunos // que se realizou uma vez / hum / na / no Parque das Nações // <não sei>
N [<] <ah> //
R / bem // um ano ou dois depois do curso // já não me recordo bem // e / eu fiquei na mesa dele // precisamente // […]
(2) C-ORAL-ROM ‚pfamdl04.txt‘ – Brasilienreise
J olhe / a / a / <a sua viagem>
R [<] <hhh>
J / ao Brasil / como é que correu?
(3) C-ORAL-ROM ‚pfamdl04.txt‘ – Brasilienreise
R / por assim dizer // ah / há de haver / eh / o / nós / não estamos a olhar para aquilo a que se assemelham / mas sim para <aquilo em> /
J [<] <hum hum> //
R / em que / <em que divergem> //
J [<] <e diga-me uma> coisa // as pessoas / ah / as opiniões sobre os brasileiros / divergem muito // há os que acham que os brasileiros / que não têm piada <nenhuma> // [nach kurzer Unterbrechung durch das Engführungssignal hum hum seines Gesprächspartners setzt R seine Äußerung fort] há os que acham que / os brasileiros são o máximo // com que opinião é que ficou ?
(4) C-ORAL-ROM ‚pfamcv12.txt‘ – bekannte Persönlichkeiten
L / [<] <e nós assim> //
F já agora diz lá o que é que respondeste //
L <eu disse que sim> /
(5) C-ORAL-ROM ‚pfamdl09.txt‘ – Studentische Abschlussreise in die Dominikanische Republik
O / ah / mas isto vinha a propósito ah / eu ia-te contar // eu acho que nunca tinha visto ninguém com um sono tão pesado como ele //
N <então> ?
O / [<] <houve uma> /houve uma tarde / que nós estávamos na praia // depois
(6) C-ORAL-ROM ‚pfamdl17.txt‘ – Erfahrungen an der Universität
R / e pensa // que estupidez // que ar / mesmo de ursa / que eu fiz aqui / <hhh> //
N [<] <hhh>
R / tipo / só para dizer // em frente // vira à direita // sai uma coisa completamente idiota // misturada com inglês / e espanhol / <italiano / se for preciso> //
N [<] <hhh>
R / mas pronto //
(7) C-ORAL-ROM ‚pfamcv05.txt‘ – Musik, Besuch von Livekonzerten
P / foi um bocado <decepcionante> //
A [<] <muito intimista //
S [<] <hhh>
P [<] <muito intimista // exactamente> // mas / mas enfim //
(8) C-ORAL-ROM ‚pfamcv08.txt‘ – Gespräche über Erziehung)
S / e que as prendas / ah / enfim / ah / seria uma / das facetas // mas não é a principal // não é // portanto / seria muito mais / outro tipo de situação // e eles / compreenderam // acharam bem // é claro que sim // sim senhora // que compreendem que / se / se dá uma prenda / de cinco contos a / a que / a que nos dá / a que nos deem uma prenda de trezentos / tome / leva uma de duzentos // <pronto> //
In den ‚Beispielsätzen 1 und 2‘ sind es die charakteristischen Anfangssignale bem und olhe, die portugiesische Sprecher zu Beginn ihrer Äußerung gebrauchen, wenn sie vorhaben, eine eigene Äußerung einzuleiten, die auch in eine längere Sprechsequenz münden kann. Je nach Kontext können beide Ausdrücke allerdings auch als Signale zur Übernahme des Rederechts eingesetzt werden, wenn sie darauf abzielen, eine noch im Ablauf begriffene und nicht abgeschlossene Sprechsequenz des Gesprächspartners zu unterbrechen.
Beim komplexen Ausdruck e diga-me uma coisa handelt es sich im Gegensatz zu den Wörtern bem und olhe um einen vollständigen Satz. Diese Wörter sowie aus mehreren Elementen bestehende „usuelle Wortverbindungen“1 – oft in Form vollständiger Sätze unter Einbeziehung von ‚verba dicendi‘ – haben sich im Laufe der Zeit in einer Sprachgemeinschaft herausgebildet und werden von Sprechern in Dialogen zur Organisation des Rederechts benutzt. Im vorliegenden Kontext kann man diga-me uma coisa entweder als Angangs- Redeaufforderungs- oder Beendigungssignal auffassen, je nachdem welche Perspektive man zur Interpretation seiner Funktion anlegt. ‚Sprecher J‘ benutzt ihn zur Einleitung seines Sprecherbeitrags, fordert gleichzeitig aber auch seinen ‚Gesprächspartner R‘ auf, zu einem späteren Zeitpunkt zu antworten, d.h. selber seine eigenen Redebeitrag zu starten und leitet somit bereits auch das Ende seines eben begonnenen Beitrags ein.
Der Kontext des ‚Beispiels 4‘, genauer gesagt die Kürze des Redebeitrags von ‚Sprecher F‘, weist den Ausdruck diz lá als Redeaufforderungssignal aus, während derselbe Sprecher grade vorher seinen ‚turn‘ noch mittels des Ausdrucks já agora eingeleitet hatte.
Durch das Fortführungssignal então in ‚Beispiel 5‘ gibt ‚Sprecher N‘ direkt nach dem Sprecherwechsel zu verstehen, dass er möchte, dass ‚Sprecher O‘ seine vorher begonnene Äußerung weiterführt. Gleichzeitig erreicht ‚N‘ durch das Aussprechen von então – zusammen mit der für eine Frage charakteristischen Intonation –, dass ‚Sprecher O‘ der Eindruck vermittelt wird, dass ‚N‘ zuhört und versteht. Man könnte es auch so ausdrücken, dass ‚Sprecher N‘ zu erkennen gibt, dass er sich ‚online‘ befindet. Diese Interpretation würde então in diesem Kontext zusätzlich als Engführungssignal charakterisieren, eine Zuordnung, die der latent vorhandenen Polyfunktionalität und Flexibilität von Diskursmarkern wie então, pois, agora, portanto etc. entspricht.
In den ‚Beispielen 6 und 7‘ kann man die Ausdrücke mas pronto und enfim am Ende der jeweiligen Sprechsequenz eindeutig als Rederechtsmittel zur Beendigung eines Sprechbeitrags bestimmen. Durch sie verweisen ‚Sprecher R‘ und ‚Sprecher P‘ darauf, dass sie ihre Sprechbeiträge mittels dieser Ausrücke unmittelbar zu beenden beabsichtigen. In ‚Beispiel 8‘ gebraucht der Sprecher in der ersten Zeile auch den Diskursmarker enfim. Doch nutzt er ihn in diesem Kontext zwischen zwei Zögerungssignalen m.E. als weiteres Zögerungssignal zur Überbrückung einer Denkpause und nicht als Rederechtsmittel. Eine ähnliche Interpretation legt der Ausdruck portanto in der zweiten Zeile dieser Äußerung nahe. Für diese Sichtweise spricht auch die durch die Doppelbalken // markierte vorausgehende längere Pause sowie der Ausdruck não é. Man kann sich vorstellen, dass ‚Sprecher S‘ bereits durch ihn seinen ‚turn‘ bei gleichzeitiger Wahrung des Diskursverfahrens ‚Engführung‘ abschließen wollte, sich aber dann in einer folgenden Phase seiner Planung entschloss, seine Sprechsequenz mittels des überbrückenden Ausdrucks portanto fortzusetzen.
Wie man in dieser etwas längeren monologischen Sprechsequenz von ‚Beispiel 8‘ erkennt, ist es schwierig zu unterscheiden, welche Funktion enfim und portanto2 letztendlich bei der Organisierung der Sprechsequenz übernehmen. Weil wir nicht in die Köpfe der Gesprächsteilnehmer hineinblicken können, ist es ausgeschlossen, mit absoluter Sicherheit festzulegen, ob es sich um Signale handelt, mittels derer ‚Sprecher S‘ dem Gesprächspartner anzuzeigen gedenkt, dass er weitersprechen möchte, ob es Ausdrücke sind, die er lediglich dazu einsetzt, Zeit zu gewinnen (Zögerungssignale), oder ob diese Diskursmarker beide Aufgaben simultan übernehmen. Der Kontext sowie der polyfunktionale Charakter von Diskursmarken lässt die Annahme zu, dass sie beide Funktionen zu übernehmen in der Lage sind. Der Ausdruck pronto am Schluss der Sprechsequenz lässt sich hingegen relativ eindeutig als Beendigungsmerkmal identifizieren.
Auch in Praktiken der ‚keyboard-to-screen communication‘ werden vereinzelt Ausdrücke gebraucht, die scheinbar dem Inventar der Rederechtsmittel zugeordnet werden können. So findet man in den Tweets des ‚Hannover-Korpus‘ (Sieberg 2013b) Beispiele wie (1) @meehehe (acrescentando uns ehehehehs…), atão cave-mene, tá tudo?, (2) bem foi so uma reflexao antes de me deitar, senti necessidade de o dizer oder (3) tão vá, às férias3.
Doch halte ich es nicht für angemessen, den hier gebrauchten Diskurmarkern então und bem die Funktion von Rederechtsmitteln zuzuordnen. Das Kommunizieren auf der Internetplattform ‚Twitter‘ erfordert es nämlich nicht, eine Gesprächsübernahme mittels eines Rederechtssignals einzuleiten. Genauso sind Rederechtssignale in der Funktion von Fortführungssignalen obsolet. Wahrscheinlicher scheint eine Interpretation, die davon ausgeht, dass ‚User‘ ihr Kommunizieren per Twitter subjektiv mit dialogischem Sprechen assoziieren und folglich Sprachmittel gebrauchen, die sie auch bei prototypischen Formen des Nähesprechens (Alltagsdialoge) einsetzen würden.
Etwas anders liegt der Fall bei der dritten Äußerung tão vá, às férias. Durch den Ausdruck (en)tão vá deutet der ‚User‘ in der Tat an, dass er seine virtuelle Kommunikation abzubrechen gedenkt. Zusammen mit às ferias kann man den Gesamtausdruck allerdings auch als Verabschiedungsformel interpretieren. Trotzdem scheint es mir in diesem Fall gerechtfertigt, eine Parallele zur Funktion (Beendigungssignal) des gleichlautenden Rederechtsmittels então vá zu ziehen, wie Sprecher sie im Kontext von prototypischen kommunikativen Praktiken des Nähesprechens – hinsichtlich dieses Diskursmarkers speziell beim Telefonieren – gebrauchen würden4.
Als vorläufiges Inventar von Ausdrücken zur Organisation des Rederechts lassen sich folgende drei Gruppen zusammenstellen:
(a) Anfangssignale bzw. Signale zur Übernahme des Rederechts (marcadores conversacionais iniciais): acabou?, (e) agora, anda lá, bem (mas), bom (mas), depois, desculpe (mas), diga-me (uma coisa), é assim, e depois, (e)então, enfim, já agora, oiça, olha, olhe, ora, ora bem, ora então, ouve (lá), mas, mas oiça, para começar5, pois, pois é, por acaso, portanto, quer dizer, se me dão licença, se me permite, vamos lá ver (uma coisa) etc.
(b) Fortführungssignale bzw. Signale zur Abwehr der Redeübernahme (marcadores conversacionais mediais): agora, bem (mas), bom (mas), deixa-me acabar, depois, e, (e)depois, deixa-me acabar, (e)então, enfim, espera (aí), já agora, momento só, pois, portanto etc.
(c) Beendigungssignale bzw. Signale zur Aufforderung bzw. Fortführung der Turnübernahme an den Gesprächspartner (marcadores conversacionais finais): acabei, ainda não acabei (acabei), acabou, acabou-se, diga, diga-lá, diga-me uma coisa, diz lá, (e) é assim, e então, então vá (oft am Telefon), enfim, não é, fala-lá, (e) mais nada, não é assim, não é, não foi, não é verdade, pergunto-te, (e) pronto, sim senhora etc.
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