Kitabı oku: «Тотеnтаnz / Пляска смерти. Книга для чтения на немецком языке», sayfa 8
Zweites Buch
I
Die große Rede, mit der Taubenhaus sich im Rathaussaal der Stadt vorstellte, war ohne Zweifel ein bedeutender Erfolg. Auf elf Uhr war die Ansprache angesetzt, aber bereits eine halbe Stunde vorher sah man Scharen von Geladenen die Treppe des Rathauses emporsteigen.
Fabian war schon früh auf den Beinen. Er brauchte fast eine Stunde, um sich für die Feier in Gala zu werfen60. Heute wollte er zum erstenmal seine neue Uniform vorführen, die Menschen sollten staunen. Die Breeches, die scharf wie Messer auf den Schenkeln abstanden, gaben ihm das verwegene und herausfordernde Aussehen eines Menschen, mit dem nicht zu spaßen ist. Außerordentlich gut kleidete ihn der Rock, der seine Schultern breiter und kräftiger erscheinen ließ. Dieser kleine weißhaarige März war wirklich ein Künstler in seinem Fach, man konnte sagen, was man wollte. Seine Ordensauszeichnungen putzte Fabian mit einem Läppchen, bevor er sie anlegte, das Eiserne Erster trug er links unten an der Brust, wie es sich gehörte. Geschniegelt und gebügelt, sah er wahrhaftig stattlich aus. Er war nicht mehr als ein schlichter Soldat der Partei und wollte auch gar nicht mehr sein, man sollte nur seinen guten Willen sehen, der Idee zu dienen, alles andere würde sich ja finden. Ehrgeizige Ambitionen lagen ihm fern, aber man konnte schließlich nicht von ihm verlangen, den Offizier zu verleugnen, der er nun einmal war. In seiner Uniform, mit seinen Orden und seiner soldatischen Haltung musste man ihn unbedingt für einen hohen Kommandeur halten.
Als er sich anschickte zu gehen, kam Clotilde auf den Korridor, im eleganten Mantel, einen Silberfuchs um die Schultern gelegt, den Hut auf dem Kopf. Dieser Hut war ein kunstvolles Gebäude von hellbraunen Samtschleifen, die beim Gehen lustig auf ihrem blonden Haarschopf wippten.
«Nimm mich mit, bitte! Es wird doch das beste sein, wenn ich gleich mit dir komm», rief sie, als sei es die alltäglichste Sache der Welt, dass sie ihn begleite. «Bitt», erwiderte er und öffnete ihr höflich die Tür. Clotilde befand sich in angeregter, vorzüglicher Laune. Das bevorstehende Ereignis regte sie auf wie eine Premiere im Theater. Befriedigt schritt sie an der Seite ihres Gatten einher und genoss die erstaunten und anerkennenden Blicke, die man ihm zuwarf. Also auch er ist bei der Partei! Es war zum ersten Mal seit vielen Wochen, dass man sie zusammen auf der Straße sah. Nun, etwas war in ihrer Ehe nicht in Ordnung, das wusste die ganze Stadt, aber schließlich war ja heute ein besonderer Tag. Clotilde hielt manchmal den Schritt an und musterte ihren Mann mit prüfenden Blicken. Ohne Tadel, wahrhaftig, ohne den geringsten Tadel! Mit solch einem Mann konnte man sich recht gut auf der Straße sehen lassen!
«Vorzüglich siehst du aus». sagte sie voll aufrichtiger Anerkennung. Es war seit langer Zeit das erste anerkennende Wort, das er von ihr hörte.
«Ja, März hat wirklich gut gearbeite», erwiderte er.
«Die ganze Stadt erwartet in großer Spannung die Rede von Taubenhau», fuhr Clotilde fort. «Alle Welt wundert sich, was er zu sagen haben wird».
Seht an, dachte Fabian, eine richtige Konversation will sie beginnen. Er aber hatte keineswegs die Bosheiten ihrer Scheidungsklage vergessen und zögerte zu antworten.
«Er wird sicher ganz interessant spreche», erwiderte er. «Er ist ja ein aufgeweckter Kopf. Natürlich hat man ihn in vielen Dingen informiert, er ist ja noch ganz neu».
Clotilde lächelte in sich hinein. Oh, sie wusste ganz genau, was Taubenhaus sagen würde. Die «Heldenbrück», der Springbrunnen auf dem Bahnhofsplatz, der Roland am Rathaus, nicht wahr? Seit drei Tagen lagen Durchschläge der Rede auf dem Schreibtisch ihres Mannes mit der blauen Anschrift «Streng vertraulich61».. Fabian wusste recht wohl, wie man Geheimnisse in der Stadt bekanntmachte, wenn es sein musste. Auch Fräulein Zimmermann würde aus lauter Wichtigtuerei den Mund nicht halten62.
«Sieh doch, die vielen Leute». rief Clotilde aus, als sie über den Rathausplatz gingen. Eine Menge Menschen stieg soeben hastig die Treppe empor. Unter ihnen befand sich Baurat Krieg, der eine zu enge Leutnantsuniform trug, die sich kaum über dem Bauch schließen ließ. Er war bei den Pionieren gewesen. Seine beiden Töchter, die Zwillinge, waren mit ihm. Es waren zwei hübsche Mädchen, Hermine und Helene, die einander so ähnlich sahen, dass es schwer war, sie zu unterscheiden. Beide hatten sie die gleichen roten Pausbacken und die gleichen reizenden Stupsnäschen. Sie lächelten auch das verwirrend gleiche Lächeln.
«Ein General! Nehmt Haltung an, Mädchen, ein wirklicher General». – scherzte Krieg und bestaunte Fabian. «Wahrhaftig, Sie verstehen es, Ihre Freunde zu überrasche», fügte er hinzu, und man konnte aus seinem Lachen nicht recht klug werden63.
«Du entschuldigst mic», sagte Fabian zu seiner Frau am Eingang des Saales, als er ihr höflich die breite Tür öffnete. «Ich muss noch zum Bürgermeister, er hat vielleicht noch Aufträge für mich».
Clotilde verabschiedete sich von ihm mit ihrem reizendsten Lächeln, die Töchter Kriegs standen neben ihr. Sie waren beide völlig gleich gekleidet und gebrauchten auch das nämliche Parfüm. Fabian will sich wohl bei Taubenhaus in der neuen Uniform zeigen? dachte Clotilde. Es war ja alles Berechnung bei ihm, sie kannte ihn ganz genau.
Uniformen, Menschen, Hüte, Flaggen und wieder Flaggen, es war ein Anblick, der Clotilde begeisterte. Der Saal war mit vielen Lorbeerbäumchen geschmückt und von Fahnen geradezu übersät. Nur wenige Fahnen zeigten die Farben der Stadt, die meisten trugen das Hakenkreuz. Auch die Rednertribüne war mit der Hakenkreuzfahne ausgeschlagen. Der Eindruck war förmlich berauschend, und Clotildes Herz jubelte, als sie sich den Weg durch die Menge bahnte. Natürlich behaupteten einige Nörgler, es sei eine Feier der Partei und nicht der Stadt, und Doktor Krüger sollte nicht einmal ein privates Telefongespräch erlaubt sein, da konnte man schon lachen.
Es wimmelte von Militärs, selbst die Offiziere der Reserve benutzten den Anlass, sich in ihren Uniformen sehen zu lassen. Man sah sogar eine richtige rote Husarenverschnürung, die man schon für ausgestorben hielt, und die drei breiten Ärmelstreifen der Marine. Nun, das Stadtoberhaupt hatte sie eingeladen, und sie hielten es für ihre Pflicht, alle in großer Gala zu erscheinen. Ganz auffallend aber waren die vielen Orden! Ja, war denn ein Ordensregen auf die Stadt niedergegangen? Man konnte glauben, sie alle seien in der mörderischen Schlacht von Verdun64 gewesen, obschon viele von ihnen nicht einmal den Geruch von Pulver kannten.
Ja, und du lieber Himmel, heute konnte man auch sehen, dass fast jedermann, der etwas auf sich hielt, Mitglied der Partei war! Gerichtspräsident Liborius, Museumsdirektor Graß, Direktor des Krankenhauses Sandkuhl, Justizrat Schwabach, natürlich, er spielte ja eine ganz große Rolle in der Partei, Rektor des Gymnasiums Pett, Medizinalrat Haverlag, die Professoren Koppenheide und Rhode, Direktor der Kunstschule Sanftleben, alle, einfach alle. Die Herren sahen sämtlich würdig, gut genährt und zufrieden aus, manche hatten sich im Laufe ihres Lebens Schmerbäuche erworben, und viele zeigten ihre glänzenden Glatzen, die man sonst überhaupt nicht sah, da sie Hüte trugen. Es war mit einem Wort die Creme des Bürgertums der Stadt.
Im Hintergrund des Saales hielten sich Scharen von meist jungen Leuten in brauner Uniform auf, die ohne jede Scheu plauderten und scherzten. Selbst einige Grauköpfe waren unter den braunen Soldaten, und in ihrer Mitte sah man die großen durchscheinenden Ohren des Schusters Habicht rot aufleuchten.
Es musste in Wahrheit auffallen, wie wenige der Anwesenden nicht der Partei angehörten. Vielleicht waren viele nicht eingeladen worden? Fabian hatte eine Liste von achthundert Personen aufgestellt, die letzte Sichtung aber hatte sich Taubenhaus vorbehalten. Zu den Parteilosen, die auf den ersten Blick auffielen, zählte Wolfgang Fabian, der mit fröhlicher Miene durch den Saal blickte, bald aber seine Unbefangenheit verlor, da er einer gewissen Zurückhaltung begegnete. In seiner Nachbarschaft saß Lehrer Gleichen, der mit düsteren Augen abseits Platz genommen hatte und mit niemand ein Wort wechselte. Seine Menschenscheu war bekannt, man erinnerte sich auch, dass er an die Dorfschule von Amselwies straf versetzt worden war, weil er, wie man sagte, die Hakenkreuzfahne nicht gegrüßt hätte.
II
Frau von Thünens kleines Hütchen mit den stahlblauen Federchen bewegte sich erregt hin und her. Die Baronin sprach und lachte fast ohne Pause. Durch den ganzen Saal hörte man ihre begeisterte Stimme und ihr helles Lachen. Sie hatte dieser Tage einen führenden Posten in der Frauenschaft übernommen und fühlte sich ganz in ihrem Element.
Oberst von Thünen tänzelte in seiner Oberstenuniform zwischen den Damen wie ein jugendlicher Kavallerist, seine Brust war mit Reihervon hohen Orden übersät und glitzerte förmlich. Er klappte mit den Absätzen, grüßte mit hochgestreckter Hand, lachte, scherzte. Kurz, er schien sich tatsächlich verjüngt zu haben mit seinem grauen Scheitel, der wie immer peinlich frisiert war. «Frau Fabian». rief er, als er Clotilde gewahrte, die sich ihren Weg durch die Menge suchte. Er eilte ihr entgegen, stand vor ihr in militärischer Haltung, als sei sie ein General, und verbeugte sich übermäßig tief. Clotilde errötete, beglückt über diese Auszeichnung vor allen Leuten.
«Kommen Sie zu uns, Clotild», schrie die Baronin.
Der junge Oberleutnant Wolf von Thünen hielt sich hochmütig lächelnd etwas abseits von den Damen, die seine Mutter umgaben, da ihn, wie er sagte, Frauen über vierzig nicht interessierten. Er bewahrte noch ganz die alten gesellschaftlichen Formen, verbeugte sich gemessen und küsste Clotilde aufmerksam die Hand.
Fabian ging als letzter möglichst unauffällig durch den Saal und durchforschte im Vorbeigehen die Sitzreihen.
Er hätte es gern gesehen, dass Christa und Frau Beate Lerche-Schellhammer erschienen wären. Er hatte ihre Namen auf die Liste gesetzt, obschon er wusste, dass sie in diesen Tagen einen kleinen Ausflug nach Baden-Baden planten. Trotzdem er unter den Damen eifrig Umschau hielt, konnte er sie nirgends entdecken.
Schade, Christa ist nicht da, dachte er und begab sich zu den letzten Stuhlreihen, wo die einfachen Soldaten der Partei in ihren braunen Uniformen saßen. Sie rückten bereitwillig zur Seite, und man gewann den Eindruck, als sei soeben ihr Kommandeur zu ihnen getreten. «Er sieht prächtig au», raunte die Baronin in Clotildes Ohr. «Herrlich, dass er sich endlich positiv erklärte».
«Wenn man etwas tut, so soll man es ganz tun». antwortete Clotilde. «Als begeisterter Soldat musste er sich natürlich einer militärischen Formation anschließen».
«Das erwartete man selbstverständlich von ih», fuhr die Baronin fort, «dass er es aber tat, ohne vorher die Bedingung eines militärischen Ranges zu stellen, das wird man ihm hoch anrechnen». Ja, nun konnte der Bürgermeister kommen. Aber er kam noch nicht. Etwas schien noch zu fehlen. Man deutete auf die drei Sitze, die unbesetzt waren. Für wen mochten diese drei Stühle reserviert sein? Wurden hohe Gäste erwartet? Da wurde nochmals die Haupttür geöffnet, und drei Herren in braunen und schwarzen Uniformen der Partei erschienen, um sich rasch zu den reservierten Stühlen zu begeben.
Der vorderste war ein gedrungener, breitschultriger Mann, der hurtig dahinschritt. Er hatte ein breites, gutmütiges Gesicht mit vollen Lippen und rostrotes, gescheiteltes Haar. Dazu trug er einen kurzgehaltenen, schmalen Backenbart. Auffallend war, dass er keinerlei Ordensauszeichnungen besaß, nur ein unansehnliches Band zeigte sich in seinem Knopfloch. Die zwei Herren seiner Begleitung schienen seine Adjutanten zu sein, die waren um vieles jünger und sahen in ihrer straffen, militärischen Haltung vorzüglich aus.
Im Saal entstand einige Aufregung und Unruhe, Neugierige erhoben sich, und die braunen Parteisoldaten warfen die Hand in die Höhe und schrien: «Heil».
Der gedrungene, breitschultrige Mann aber hob nur kurz die Hand und winkte ab. Sofort war der Saal völlig still. «Es ist Gauleiter Rump», flüsterte die Baronin voller Erregung Clotilde ins Ohr. «Sagte ich Ihnen nicht, dass er zum Vortrag hierherkommen wird». «Der Gauleiter». Clotilde war enttäuscht. Sie hatte sich unter einem Gauleiter stets eine Art Fürst in königlicher Haltung und mit prunkvollem Gefolge vorgestellt.
Die Baronin aber war so erregt, dass sie zitterte. «Haben Sie das Band in seinem Knopfloch beachtet». fragte sie Clotilde und grub ihr vor Erregung die Nägel in die Hand. «Es ist der Blutorden, die höchste Auszeichnung, die unser Führer verleihen kann! Der lange blonde Offizier ist Adjutant Vogelsberger, der dunkle mit dem verschlossenen Gesicht ist Adjutant Graf Dosse. Gott, was für ein unvergesslicher Tag, Clotilde».
In diesem Augenblick öffnete sich eine schmale Tür hinter dem mit Hakenkreuzflaggen ausgeschlagenen Podium, und Taubenhaus im schwarzen Gehrock erschien.
III
Langsamen und gemessenen Schrittes trat Taubenhaus an das Rednerpult. Er schien etwas befangen zu sein, erwies sich aber bald als ein gewandter Redner.
Sein langes, hageres Gesicht sah im halben Licht des Saales fahler als gewöhnlich aus, stumpf und gelblich, die schwarze Haarbürste darüber erschien glanzlos und matt, ebenso die dunklen Bürsten unter seinen Nasenlöchern. Er hatte heute seine Orden in Originalgröße angelegt, und die Kenner sahen sofort, dass nichts Besonderes unter ihnen war. Nicht einmal das Eiserne Erster besaß er. Niemand sah ihm das «Störchennes». in den Argonnen an. Dazu klapperten die Orden, als er sich verneigte.
Fabian lächelte, als Taubenhaus begann. Natürlich fing er mit den Gänsen und Ziegen an, die über den Marktplatz der pommerschen Stadt liefen, aus der er kam. Die Zuhörer hatten Gefallen an dieser Schlichtheit und waren aufs äußerste erstaunt, zu hören, dass über den Marktplatz ihrer Stadt ebenfalls Gänse und Ziegen liefen, aber Gänse und Ziegen ganz anderer Art, einer wenig erfreulichen, ja beschämenden Art. Sie lachten belustigt und klatschten Beifall.
Eine feine Röte stieg in das leblose und steife Gesicht, und von diesem Augenblick an schien Taubenhaus zum Leben zu erwachen. «Ich bin hierhergekomme», rief er mit lauter Stimme, und seine goldene Brille funkelte, «um die geistigen Motoren dieser Stadt anzuwerfen und die seelischen Kraftquellen zu erschließen».
Er brüllte es so laut, dass die Zuhörer erschraken.
Ja, diese Stadt, einstmals «die Stadt der goldenen Türm». genannt, sollte wieder in ihrem alten Glanz erstrahlen. Sie sollte in wenigen Jahren die schönste und gepriesenste aller Städte des Landes werden, beneidet und bewundert wegen ihrer Schönheit, ihres Reichtums und ihrer Gastfreundschaft. Beifall rauschte auf. Er wollte ein völlig neues Theater für Oper und Schauspiel errichten, das heutige sollte wie ein Gänsestall dagegen erscheinen, eine Kunsthalle, eine Musikakademie, die schönsten Sportplätze und Schwimmhallen der Welt. Die Augen der Bürger glänzten. Die ganze Stadt sollte mit spiegelglattem Asphalt überzogen werden, auf dem rasche Autobusse in schneller Folge dahinrollten.
Was nützten denn diese elektrischen Bahnen, auf die man volle fünfzehn Minuten warten musste? Mit der Uhr in der Hand hatte er die Minuten gezählt!
«Die Stadt schläft, ja, bei Gott, sie schläft noch ihren mittelalterlichen Schlaf! Wie ein Donner will ich sie wecken». Hier brüllte er lauter noch als das erstemal. Neue Brücken wollte er schaffen, und er verweilte längere Zeit bei der «Heldenbrück», auf der Friedrich der Große auf stolzem Rosse dahinritt, inmitten von Bannerträgern und Trommlern, von Landsknechten mit Hellebarden und Morgensternen, gefolgt von Germanen mit Streitäxten und knorrigen Keulen. Neues Siedlungsland für Tausende und aber Tausende wollte er erschließen, denn die Stadt würde in zehn Jahren doppelt soviel Einwohner zählen wie heute. Neue Plätze wollte er anlegen, neue Strassen und Durchbrüche schaffen, was alt war und im Wege stand, das musste weichen. Weg damit! Schwere Lastautos müßten mit ihrer Last ungehindert durch die Stadt rollen können. Fort mit dem alten Gerumpel! Er wollte auch dafür sorgen, dass die Stadt einen modernen Bahnhof bekam und einen würdigen Flugplatz. Wie jämmerlich sah heute der Bahnhofsplatz aus! Es war eine glatte Schande! Ein Rausch von Blüten sollte den Reisenden in Zukunft empfangen, dazu das heitere Geplätscher von zwei gigantischen Springbrunnen!
Zwei? Fabian horchte auf. Taubenhaus hatte seinen Entwurf fast wörtlich verwendet. Er hatte darüber hinaus fast alle jene Vorschläge, deren Verwirklichung Fabian für spätere Jahre empfahl, in sein Programm von heute aufgenommen und teilweise ins Phantastische gesteigert. Fabian sprach von einem Umbau des Theaters, bei Taubenhaus wurde es ein völliger Neubau, eine Modernisierung des Bahnhofs wurde bei Taubenhaus ein ganz neues Bahnhofsgebäude. Es war der neue Geist, der stets bis an die Grenzen des Möglichen strebte, ja bis dahin, wo sie ans Unmögliche streiften. «Wer ein Schloss bauen will, darf nicht mit einer Hundehütte beginne», zitierte Taubenhaus wörtlich aus Fabians Entwurf.
Die Leute lauschten und staunten über die verlockende Phantasie des Redners.
Nun schüttete Taubenhaus ein wahres Füllhorn von Reichtümern über die Stadt aus. Neue Industrien, neue Gewerbe wollte er einbürgern, das Handwerk sollte neu erstehen und vervollkommnet werden. Die Bürger saßen mit trunkenen Augen. Ja, das war ein anderer Kopf als dieser ängstliche und vorsichtige Krüger, der war bei Gott ein schöpferischer Kopf! Von den Reichtümern, die über die Stadt dahinströmten, musste auch ein Teil in ihre Taschen fließen, nicht wahr? Ob man Häuser besaß oder nicht, ob man Fabrikant war oder nicht, wenn das Baugewerbe blühte, blühte alles, der Grundbesitz stieg, Bauunternehmer, Tischler, Glaser, Maler, Schlosser, jeder musste reich werden. Die Zuhörer wurden lautlos still und regten sich nicht mehr. Verdienen, verdienen! Reich werden! Die Begierde, Reichtümer zu erraffen, las man in allen Augen. Reich werden, heute, morgen, dann hatte das Leben wieder einen Sinn.
Halt! Etwas hatte Taubenhaus noch vergessen, nein, nicht vergessen, er vergaß nie etwas, ein Mann wie er, er hatte es bis zum Schluss aufgehoben: das Gemeinschaftshaus!
Das Gemeinschaftshaus? Auch das war ein Gedanke Fabians, aber er hatte das Gemeindehaus für die Zukunft als eine Art größeres Klubhaus vorgeschlagen. Taubenhaus aber wollte ein Haus von gigantischen Ausmaßen errichten! Es sollte der Gemeinschaft gehören, den Klubs, den Parteien, dem Sport. Parteien? Gab es denn etwas anderes als die Partei? Einen großen Konzertsaal würde es enthalten, Versammlungssäle, Beratungs- und Kongresssäle, zwölf Stockwerke hoch sollte es emporragen, höher als der Dom, Wahrzeichen der Stadt, der Provinz, Wahrzeichen unserer herrlichen, großen Zeit!
Wo aber sollte das Gemeindehaus stehen? Er hatte sich wochenlang mit seinen Freunden beraten, und endlich hatten sie den geeigneten Platz gefunden. Im Hofgarten, auf der Höhe, wo sich heute der Friedenstempel erhob! Es war eine Anhöhe, die Stadt und Land beherrschte, der zierliche Friedenstempel, den die Stadt nach den Freiheitskriegen errichtete, hatte seine Aufgabe erfüllt und mochte eine andere Stelle des Hofgartens zieren.
Dies war also sein Programm.
Halt! Noch eines! Taubenhaus brauchte Geld, Geld, Geld! Opfer, Opfer, Opfer! Der bekannte Gemeinsinn der Bürgerschaft müsste sich in neuem Glanze bewähren. In seinem Vorzimmer liege eine Liste aus, niemand sollte sich schämen zu zeichnen, ganz wie er sich nicht schämen würde, nachzusehen, was jeder gezeichnet hatte! «Nein, ich werde mich nicht schämen, auf das genaueste nachzusehen». schrie er. Damit verbeugte er sich. Er war zu Ende, und minutenlanger, tosender Beifall, vermischt mit stürmischen Heilrufen, belohnte seine Rede.
Der Gauleiter erhob sich, schritt rasch zum Rednerpult und schüttelte Taubenhaus minutenlang die Hand.
IV
«Taubenhaus wirft die geistigen Motoren der Stadt an». schrieben die Zeitungen. «Taubenhaus erschließt die seelischen Kraftquellen der Stadt».
Die Rede erschien in vollem Wortlaut und bildete tagelang das Gespräch der Stadt. Die Wirtschaften und Weinstuben waren bis lange nach Mitternacht geöffnet, über jeden einzelnen Punkt der Ansprache wurde erregt debattiert. Müdigkeit, Unlust und Mutlosigkeit schienen wie auf einen Schlag überwunden. Pläne wurden entworfen, Gründungen vollzogen, man kaufte, verkaufte, der Unternehmungsgeist erwachte wieder, in vielen Strassen wurden Gerüste aufgebaut. Es ging aufwärts. Maurer und Zimmerleute hatten alle Hände voll zu tun. Wenn Taubenhaus auch nur Versprechungen gemacht hatte und dazu noch Opfer forderte, so lag doch schon der Geruch von Geld in der Luft, eine Ahnung künftiger Reichtümer.
«Ein perikleisches Zeitalter65 steigt herauf». prophezeite Justizrat Schwabach am Stammtisch in der «Kuge». begeistert. Er wiederholte das Wort «perikleisc». jeden Abend, wenn er seinen Schoppen Wein trank.
«Wenn Taubenhaus auch nur ein Zehntel seines Programms ausführt, so muss man ihm ein Denkmal setzen». «Taubenhaus ist ein Genie».
Die Tür zum Vorzimmer des Bürgermeisters stand offen, und die Leute kamen, um ihre Zeichnungen einzutragen, die täglich mit voller Namensnennung in den Zeitungen veröffentlicht wurden. «Ich bin mit den Zeichnungen zufriede», sagte Taubenhaus zu einem Pressemann, «die erste Million ist erreicht. Ich kenne aber noch viele, die bis heute nicht einen Heller gezeichnet haben, ich warte auf sie. Ich bin unersättlich».
Ein Kaufmann stiftete einen herrlichen Barockschrank für das Städtische Museum. Der Schrank war eine ganze Woche lang im Juweliergeschäft von Nicolai ausgestellt mit einer zierlichen Tafel davor: Stiftung von Kaufmann Modersohn, Flußhafen 18. Der Verschönerungsverein hielt eine Vorstandssitzung in der «Kuge». ab, die bis zum frühen Morgen dauerte. Der Historische Verein veranstaltete einen Tagesausflug nach Amselwies, wo der weißhaarige Professor Hall auf einem mit Unkraut bewachsenen Schutthaufen einen Vortrag über germanische Gräber hielt.
Die Stadt bewegte sich. Schien es nicht, als ob Taubenhaus’ mächtiger Atem wie ein Sturmwind in verlöschende Glut geblasen hätte?
In allen Kreisen der Stadt, besonders in den Damengesellschaften, wurde häufig der Name Fabians in Verbindung mit der aufsehenerregenden Rede genannt. Nun ja, man wusste ja so manches! «Dieser Hübsche, Sie wissen doch, der eine Pracht heiratete und ein Anwaltsbüro unterhält. Wenn Sie etwas brauchen, gehen Sie zu ihm. Der hellste Kopf der Stadt». An einem der ersten Tage erschien auch Frau von Thünen bei Fabian, um ihn zu dem großen Erfolg zu beglückwünschen. «Ja, bei Gott, welch ein überraschender, aber durch und durch gerechtfertigter Erfolg! Wir sind stolz auf Sie, mein Freund, besonders aber Clotilde! Sie wird nicht müde, Ihr Lied zu singen». Fabian wies den Glückwunsch in aller Bescheidenheit zurück.
«Man weiß ja Bescheid, Verehrteste», versicherte die Baronin lachend und zwinkerte mit ihren kleinen listigen Augen. «Es war natürlich Ihre Pflicht und Schuldigkeit, Taubenhaus etwas zu inspirieren, ich weiß es. Er kann ja die Stadt noch gar nicht ordentlich kennen, nicht wahr? Dieses Gemeinschaftshaus, um nur eines zu nennen, welch eine geniale Idee».
Fabian lächelte. Er erklärte, von dem zwölfstöckigen Gemeinschaftshaus in dieser Form erst bei der Rede gehört zu haben.
Die Baronin lachte ihn aus. «Sie sind allzu bescheiden, mein Lieber». rief sie aus. «Ach, wenn nur alle Menschen solche Idealisten wären, wie wunderbar wäre das, welch ein Segen für unser Vaterland! Der Gedanke, einer gemeinschaftlichen großen Sache zu dienen, ist Ihnen schon Lohn genug. Möge Ihnen der große Erfolg Ansporn zu neuem Schaffen für unser geliebtes Vaterland sein! Leben Sie wohl, ich muss eilen. Meine Stellung bei der Frauenschaft macht mir viele Scherereien und Mühe, aber ich bin glücklich».
Tag für Tag erwartete Fabian, etwas von Taubenhaus zu hören. Aber Taubenhaus schwieg, er hatte vorläufig noch keine Zeit. Der Gauleiter war noch in der Stadt, und man sah ihn täglich im Auto durch die Strassen fahren. Vor dem «Ster». standen noch immer die Kübel mit den Lorbeerbäumchen und das Hotel war die ganze Nacht bis zum frühen Morgen hell erleuchtet. Der Gauleiter liebte Diners, Festessen, Bankette, und es war bekannt, dass er fast ohne jeden Schlaf auskam.
Schließlich wurde Fabian unruhig. Er erschien häufiger in seinem Büro und fragte, ob es etwas von Bedeutung gäbe. Aber es gab nichts von Bedeutung.
Mit besonderem Eifer betrieb er seine laufenden Geschäfte. Er hatte wiederholt Konferenzen mit den Brüdern Schellhammer und war in langen Besprechungen bemüht, die hohe Rente durchzusetzen, die Frau Beate forderte. Er hatte häufig auch Rücksprachen mit Frau Beate selbst, denn solch heikle Dinge ließen sich ja telefonisch schlecht erledigen. In Wahrheit aber kam er nur so oft, um Christa wiederzusehen. Sie war unverändert freundlich zu ihm, plauderte frisch und kameradschaftlich und begrüßte ihn mit ihrem innigen Lächeln, das ihn stets stundenlang verfolgte. Sie errötete jetzt häufig, wenn er kam.
Von ihrer kürzlichen Plauderstunde im «Residenzcaf». wurde mit keiner Silbe mehr gesprochen, weder von Christas Schilderung der Christmesse in Palma de Mallorca, die Fabian bis heute nicht vergessen hatte, noch von seinem Blumengruß. Oft überkam ihn das Verlangen, wieder einmal einige Stunden mit ihr zu plaudern, aber er fühlte sich in diesen Tagen zu rastlos dazu.
Einmal schüttelte Christa den Kopf, während sie ihn prüfend betrachtete, und sagte: «Sie scheinen mir reichlich nervös zu sein in letzter Zeit, mein Freund».
Fabian lachte. «Ich weiß e», entgegnete er. «Die letzten Tage waren etwas anstrengend für mich. Aber ich bekomme jetzt bald eine tüchtige Arbeitskraft für mein Büro, die mich entlasten wird. Dann wird es wieder besser werden».
«Hoffentlich kommt die Hilfskraft bald». sagte Christa lächelnd.
Der warme Ton ihrer Stimme erfreute sein Herz.
Er fand sogar die Muße, nach Amselwies hinauszufahren, um mit Sanitätsrat Fahle eine Stunde lang zu plaudern. «Es bahnen sich neue Verbindungen a», sagte er, bemüht, den alten Mann zu trösten, aber er errötete und brach ab, da er in Fahle keine irrigen Hoffnungen erwecken wollte. «Ich bin neuerdings mit Taubenhaus in engere Beziehungen getrete», fuhr er fort, «und hoffe, auf diesem Wege Ihre Sache fördern zu können. Geduld und Mut, das ist alles, worum ich Sie bitte».
Auch Wolfgang ließ nichts mehr von sich hören. Wenn man ihn anrief, war er am Telefon kurz angebunden und fast schroff. «Ich plage mich mit diesem verfluchten „Kettensprenger“». schrie er in den Apparat und hängte ab. Endlich gelang es Fabian, ihn zu einem Karpfenessen in die «Kuge». einzuladen. Aber er war am ganzen Abend wortkarg und schlechter Laune, obwohl der Karpfen vorzüglich war.
«Du trinkst ja heute gar nicht, Wolfgang». beklagte sich Fabian. Wolfgang warf ihm von unten einen raschen, grimmigen Blick zu, einen förmlichen Hieb von Blick. «Beruhige dich nu», knurrte er. «Ich werde mich heute betrinken! Schon aus Wut darüber, dass mein Bruder diese Komödie mitmacht».
Es war heraus. Fabian schoss das Blut in den Kopf.
«Ich muss dir offen gestehen, Wolfgan», begann er, «dass ich dich nur deshalb so hartnäckig anrief, weil ich diese Aussprache herbeisehnte, die mir notwendig schien».
«Und ich». rief Wolfgang, und seine Augen funkelten. «Ich bin überhaupt nur aus dem Grunde hierhergekommen, um eine Erklärung deines Gesinnungswechsels zu erhalten».
«Gesinnungswechsels». Fabian lächelte. «Ich habe meine Gesinnung nicht im geringsten geändert, ich bin noch ganz der alte. Es handelt sich lediglich um eine Formsache».
«Formsache». Wolfgangs Augen waren glühend auf Fabian gerichtet.
«Ja, um nichts anderes». Wolfgang dürfe nicht vergessen, dass er eine Frau und zwei Jungen zu ernähren habe. Bei der Stadt habe man ihn kaltgestellt, als Anwalt habe man ihn boykottiert. Er musste der Partei beitreten, oder sein wirtschaftlicher Untergang war besiegelt. Da er Offizier war, forderte man von ihm, sich einer militärischen Organisation anzuschließen. «Vergiss all das nicht, bevor du urteilst, Wolfgan», schloss Fabian. «Es war die höchste Zeit für mich, zu einem Entschluss zu kommen. In drei Wochen hätte man mir das Büro geschlossen».
Der Bildhauer knüllte seine Serviette zusammen und warf sie auf den Tisch. Er war dunkelrot vor Zorn geworden, und die Purpruröte blieb lange Zeit in seinem Gesicht stehen. «Gewiss, es sind Erpresse», knirschte er, «aber trotz alledem». Auch in der Kunstschule habe man einen neuen Direktor eingesetzt, einen gewissen Sanftleben, einen talentlosen Bilderschmierer, fuhr er fort, und seine Stimme war in der Erregung kaum zu verstehen, und der Neue habe ihm schon häufig deutliche Anspielungen gemacht. Aber er überhörte sie ganz einfach! Sollten sie ihn entlassen, schön. Ihm war es höchst gleichgültig. Dann gehe er für dreihundert Mark in eine Porzellanfabrik, und die Welt ginge trotzdem nicht unter.
Fabian atmete auf, das Schlimmste war vorüber.
«In deinem Beruf gibt es glücklicherweise Porzellanfabriken, und dazu hast du weder für Frau noch für Kinder zu sorge», entgegnete er. «Deine Lage scheint also günstiger».
Der Bildhauer zündete sich eine Virginia an. «Fran», sagte er versöhnlich, während er hastig paffte, da die Zigarre schlecht brannte. «Frank, ich möchte unter keinen Umständen wegen politischer Meinungsverschiedenheiten meinen einzigen Bruder verlieren, verstehe mich recht! Dazu kenne ich dich zur genüge und weiß, dass du nie etwas Unrechtes tun oder billigen wirst. Einmal wolltest du Priester werden und warst durch nichts in der Welt davon abzubringen. Aber als du zur Einsicht kamst, kehrtest du von selbst um. Heute sage ich mir wieder, lass ihn nur, einmal wird er zur Einsicht kommen und umkehren, gerade wie damals».
Fabian streckte dem Bruder die Hand hin. «Darauf kannst du dich verlassen». rief er aus. «Aber wir wollen in diesem Fall ein paar Jahre warten, Wolfgang. Vielleicht, wer weiß es, wirst du einmal die Dinge anders sehen? Vielleicht wirst du es diesmal sein, der sich bekehrt».
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