Kitabı oku: «Ingeborg», sayfa 2

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Ich hatte kein Glück . . .

Da empfand ich, daß ich träumte, und ich erwachte! Es knatterte in der Ferne. Es klang, als würden Nüsse aus einem Sack auf die Erde geschüttet und zerschlagen.

Ich lag in meinem Zimmer. Was träumte ich doch! dachte ich.

Das Knattern aber verstärkte sich, und nun hörte ich, daß ein Wagen die Straße herauf kam. Die Pferde mußten scharf in den Boden einschlagen, da die Straße steil anstieg.

Ingeborg flog in einem Jagdwagen heran. Hinter ihr saß steif, die Arme verschränkt, ein Lakai.

Ingeborg hielt die Zügel und knallte mit der Peitsche.

Sie blickte an den Fenstern entlang und lächelte, als sie mich gewahrte. Die Peitsche knallte, so daß es klang wie feine Schüsse.

Ich verneigte mich und lächelte. Ich dachte an den sonderbaren Traum.

Aber am Abend blieb ich zu Hause. Ich hatte keine Lust, unter Menschen zu gehen. Dieser Abend war ein einziger, schöner Traum und ich schlief erst ein, als die Hähne krähten. Ich dachte an Liselotte.

Rothaarige Liselotte, geborene Weikersbach, was ist mit uns beiden? Wir sehen uns an, lächeln, haben verborgene dunkle Sünde in den Augen. Was wird wohl dein Ehegemahl sagen?

Ich ging hinunter in die Dorfkirche von Hohenficht und besah mir Liselottes Epitaphium. Ich las die wenigen Daten, las den Namen, Liselotte, geborene Weikersbach, und ward traurig und dunkel in der Seele.

Liselotte, dich würde ich lieben, wenn du lebtest! Ja, das weiß ich!

Wunderbare Abenteuer habe ich mit Liselotte erlebt.

Sie gäben ein dickes Buch, wollte ich sie aufschreiben. Ein Buch, über das man viel lachen müßte. Alle meine Abenteuer mit Liselotte sind heiterer Natur. — Habe ich giftige Beeren gegessen?

5

An einem regnerischen Nachmittage im Mai saß Liselotte in meinem Zimmer, als ich nach Hause kam. Ich war mit Pazzo im Walde gewesen.

Es war nicht Liselotte, es war Ingeborg, Ingeborg Giselher, die schöne Tochter des Holzfällers drinnen im schwarzen Hochwalde. Aber es war dämmerig in meinem Zimmer und auf den ersten Blick glaubte ich Liselotte, die Rothaarige, vor mir zu sehen. Und dann als ich längst wußte, daß es Ingeborg Giselher war, die Goldblonde, nahm mein Besuch immer wieder Liselottes Bild an, und alles schwankte vor meinen Augen.

Liselotte kam, um mit mir zu sprechen. Ja, nun saß sie da, wir kannten uns aus den Träumen, wir wußten viel von einander, wir zwei.

Es war Ingeborg, natürlich, sie hatten gar keine Ähnlichkeit, Liselotte und die Tochter des Holzfällers, und doch war es schwer für mich, Liselotte nicht zu sehen in Ingeborg, Liselotte nicht zu hören aus Ingeborgs Stimme.

Die süße Luft des Frühlings hatte mir den Sinn betäubt. Den ganzen Tag über hatte ich an Liselotte gedacht und mir zu erklären versucht, wie es kam, daß ich sie lieben mußte, obschon sie doch längst tot war. Ich war die Nacht vorher vor ihrem Bilde gesessen, bis mir die Augen zufielen.

Ingeborg kam, um mit mir zu sprechen. Sie schlug eine unangenehme Taste an. Gewiß, es war nicht angenehm, diese Dinge zu hören.

Zuerst sagte sie etwas von einer Jagd, und daß sie Grüße bringe, recht herzliche Grüße von Graf Flüggen.

„Sie müssen entschuldigen, daß ich Sie in diesen hohen Stiefeln und der alten Joppe begrüße, Fräulein Giselher,“ sagte ich, „ich komme von der Jagd.“

Bitte, bitte!

„Ich bringe recht herzliche Grüße von Papa. Er wollte Sie gerne einmal wieder bei sich sehen! Er wird Sie zur nächsten Jagd einladen.“

Dank und Gegengrüße.

Wir sahen uns an, und ich ging ans Fenster, um mich mit den Vorhängen zu beschäftigen. Ingeborg war geschmückt wie eine Prinzessin, sie sah aus wie eine Erscheinung aus den Bildern Botticellis.

Sie trug einen weißen breitrandigen Strohhut und ihre sorgfältig gelockten Haare hingen wie goldene Quasten über die Wangen herab.

Sie sah sich in meinem Zimmer um, das so groß war wie ein Saal, voll von Schränkchen, Vasen, Büchern. Es war etwas in Unordnung.

„Sie wohnen wie ein Dichter!“ sagte sie lächelnd.

„Ich bin noch bei keinem Dichter gewesen, aber ich glaube, so wohnen sie, die Dichter.“

Ich hörte ihr zu. Liselotte? dachte ich. Liselottes Bild an der Wand begann zu lächeln.

Wer diese Frau an der Wand dort sei?

„Liselotte, eine geborene Weikersbach,“ antwortete ich und mußte lächeln. „Eine schöne und lebenslustige Dame, nicht?“

Ja.

Dann blickte mich Ingeborg an und sagte: „Ich habe Ihnen noch andere Grüße zu bringen. Von Claire Davison. Sie ist gestorben, das wissen Sie?“

„Gewiß“, sagte ich. „Von Claire Davison?“ Ich war sehr überrascht.

„Sie ist sehr unglücklich gewesen. Wissen Sie, wie sie gestorben ist, Claire?“

Ingeborg sah mich an. Aber ich hatte mir nichts vorzuwerfen, ich konnte ganz ruhig bleiben.

„Sie hat mir sehr leid getan“, sagte ich. „Ich habe alles gehört, es ist traurig. Sie war so schön und stolz.“

„Das war sie, ja.“

Sie habe ihr einige Wochen vor ihrem Tode geschrieben, daß sie mich grüßen solle, träfe sie mich irgendwo einmal. Vor einem Jahre etwa war das. Vor zwei Jahren sei Claire bei Graf Flüggen zu Besuch gewesen, drei Monate, sie seien einigemal hier vorbeigefahren. Ob ich sie nicht gesehen hätte?

„Nein.“ Ich sagte die Wahrheit. „Ich danke Ihnen für die Grüße, Fräulein Giselher.“

Damit war das unangenehme Gespräch beendet. Wir plauderten noch einiges. Vielleicht habe sie gehört, ob der Geiger Harry Usedom nun Rote Buche gekauft habe oder nicht?

Doch, Herr Usedom habe Rote Buche gekauft.

„Der alte Herr Usedom, wo lebt er gegenwärtig?“

Gegenwärtig lebe er auf Rote Buche bei seinem Sohne.

Es wurde dunkel. Ingeborg erhob sich. Ich erbot mich, sie ein Stückchen zu begleiten, da es dunkel und stürmisch sei.

Bis zur Höhe nähme sie die Begleitung mit Freuden an, aber nur bis zur Höhe.

Ich verstand, weshalb ich nur bis zur Höhe mitgehen sollte.

Ein hastiger feuchter Wind blies aus dem Tale herauf und die Wälder schüttelten sich. Zwischen den Bäumen war es dunkel und der Wald roch nach Regen und Nacht. Wir sahen nahezu den Weg nicht. Pazzos weißes Fell leuchtete, er schien abenteuerlich hohe Sprünge zu machen und jeden Augenblick seine Gestalt zu verändern.

Ingeborg hielt mit beiden Händen den Hut, und der Wind wehte ihr den Saum des Kleides um die Füße, so daß sie kaum vorwärts kam.

„Haha,“ lachte sie. „Welch ein Wind!“ Eine richtige Unterhaltung war nicht möglich und unsere Worte flogen vereinzelt und zerfetzt hin und her.

„Harry Usedom ist ein ganz außerordentlicher Geiger!“ schrie ich in den Wind hinein.

„Gewiß ist er das,“ schrie Ingeborg zur Antwort.

„Er ist ein schöner Mensch!“

„Ja.“

Der Wind hielt inne, es wurde auffallend warm. Wir atmeten auf.

„Wissen Sie, daß jene Liselotte, deren Bild Sie in meinem Zimmer sahen, im Schlosse umgeht? Man sagt es. Nachdem sie gestorben war, hat sie jede Nacht ihren Gemahl besucht. Er wurde immer bleicher und bleicher, war guter Dinge allezeit und starb acht Wochen nach Liselottes Tod.“ Erzählte ich. Das sei sehr merkwürdig, sagte Ingeborg und blickte mich an und lächelte unmerklich. Sie lächelte genau wie Liselotte im Traume mich anlächelte, und ein leises Grauen rieselte über meinen Rücken.

„Sagen Sie,“ begann sie, „man hat mir viele Dinge von Ihnen erzählt. Ist es wahr, daß Sie buchstäblich das Geld auf die Straße warfen? Sie öffneten das Fenster des Hotels und warfen das Geld auf die Straße.“

„Ja, es war ein kleiner Scherz, es war auch nicht viel eigentlich.“

Ingeborg lächelte und schüttelte den Kopf.

Ich lachte, weil ich an die Balgerei vor meinem Fenster dachte und an meine lustigen Streiche.

Der Wind setzte wieder ein und trieb uns den Berg hinauf, über die Höhe fiel blasser Lichtschein. Der Mond kam herauf, in Wolken eingehüllt, wie ein blindes Auge sah er aus. Alle Dinge warfen plötzlich blasse und wässerige Schatten, die Bäume, wir beide, Pazzo. Ingeborgs Lockenbüschel flatterten und ihre Kleider.

„Das ist die Höhe“, sagte Ingeborg. Wir blieben stehen. Pazzo wartete abseits und begriff die Störung nicht. Sein Schatten sah aus wie die Silhouette eines hochbeinigen Fabelwesens.

Ich nahm den Hut ab.

„Ich danke Ihnen!“ sagte Ingeborg. Ein eigentümliches demütiges Lächeln schimmerte in ihren Augen.

„Dank für den Besuch,“ sagte ich, den Hut in der Hand haltend, „vielleicht führt Sie der Weg wieder einmal an meinem Hause vorüber, Fräulein Giselher?“

Ingeborg lachte.

„Ja, es kann sein, daß ich wieder einmal vorbeikomme“, rief sie und blickte in den Mond, der hinter glänzenden Wolken zog. Bläuliches Licht huschte über ihr Gesicht, ihre Zähne und ihre Augen glänzten wie Email.

Ingeborg blickte in den Mond, dann wandte sie mir den Blick zu und sie sagte unvermutet: „Abscheulich müssen Sie gegen Claire gewesen sein, Fürst! Ja, abscheulich!“ Sie sprach sehr schnell. Sie schüttelte den Kopf und fuhr leise fort:

„Ich begreife Sie gar nicht! Nein! Ich bringe Ihnen Grüße von ihr, von Claire, wir sprechen von ihrem Tode, und Sie verändern keine Miene und sagen, daß Claire Ihnen sehr leid getan habe. Was ist das? Sehr leid hat sie Ihnen getan! Und Sie haben sie doch ermordet, ja, das haben Sie getan.“

Sie sah mir dicht in die Augen, aber ihr Blick war schüchtern und demütig. Ihre Haare wehten.

„Wissen Sie, was mir Claire alles von Ihnen erzählt hat? Nein, sie hat nicht oft von Ihnen gesprochen, das ist wahr. Sie sagte, Sie seien edel und gütig. Sie sagte, sie hätte nicht mehr als hundert Worte mit Ihnen gewechselt. Sie haben es wohl gewußt, Sie haben alles gewußt, aber Sie waren doch abscheulich! Was hätte Claire für ein Wort von Ihnen gegeben? Wir fuhren zweimal an Ihrem Hause vorüber, Claire wurde so weiß wie Kreide. Nein, ich weiß nicht, was zwischen Claire und Ihnen war, aber Sie waren nicht edel gegen sie. Sie hätten bei Papa einen Besuch machen können, um Claire eine Freude zu bereiten, — nichts taten Sie, gar nichts!“

Ich sah sie an und konnte nichts erwidern. Ich dachte an diese sonderbaren Menschen, an alles dachte ich und an nichts.

Ingeborgs Antlitz war bleich, ihre Augen füllten sich mit dem Lichte des Mondes und wurden bleich. Auch ihre Stimme klang bleich.

„Fürst,“ flüsterte sie, „wer sind Sie doch? Sie wissen nicht wer Sie sind, nein.“ Sie hielt inne. Sie lächelte und schüttelte ganz unmerklich den Kopf. „Nein, Sie wissen nicht, wer Sie sind!“ wiederholte sie noch leiser. Dann lachte sie, ganz kurz. Sie sah mich mit schwärmerischen Augen an und sagte:

„Ich liebe Sie nicht, nein, aber ich muß immerfort an Sie denken. Weshalb kamen Sie am Sonntag nicht? Ich schrieb noch eine Zeile unter die Einladung, ich dachte, Sie müßten nun kommen. Aber dann bekam ich Angst und ich fuhr auf Umwegen an Edelhof vorüber. Aber doch kamen Sie nicht. Ich habe gewartet und gewartet, ich saß auf der Treppe und der Wind blies. Herr Usedom war da, auch Harry Usedom, alle waren sie da. Ich sprach kein Wort. Was werden sie sich von mir denken? Das ist mir ganz gleichgültig. Harry Usedom sagte zu mir: Was haben Sie doch? Nichts, sagte ich. Ich sagte es sehr unhöflich. Ich wartete auf Sie, auf Sie ganz allein! Es ist mir gleichgiltig, daß ich unhöflich gegen Harry Usedom war — — haha — — alles hat sich vor meinen Augen gedreht, dann lief ich bis zur Höhe, bis hieher und wartete. Sie kamen aber nicht!“

Ich wollte sprechen, aber Ingeborg ließ es nicht zu.

„Es hilft nichts, daß ich immer singe“, fuhr sie fort, und das eigentümliche demütige Lächeln auf ihrem Antlitze irrte hin und her. „Es hilft nichts mehr. Den ganzen Winter über habe ich an etwas gedacht und wußte nicht woran. Aber als es Frühling wurde, da fiel es mir ein. Ich bin zu Ihnen gegangen, was hat es mich gekostet? Das mit Claire ist ja gar nicht wahr, ach, es ist ja gar nicht wahr! Sie hat mir keine Grüße aufgetragen. Ich habe eine schwere Schuld auf mich geladen. Du könntest ihm Grüße bringen, schrieb Claire, aber dann sofort, ich dachte nur so, es war Scherz. Bringe ihm keine Grüße, nein, nein. Claire wollte es nicht, sie schrieb ausdrücklich, daß sie es nicht wollte, ich sage es Ihnen ganz der Wahrheit gemäß, aber ich habe es doch getan. Ich mußte doch einen Vorwand haben.“

Ich wollte sie unterbrechen.

„Nein, nein,“ sagte sie, „Sie haben mich freundlich empfangen. Sie taten nicht erstaunt. Sie lächelten auch nicht. Sie sagten, daß ich entschuldigen solle — ja wegen der alten Joppe und der Stiefel — das war so gütig von Ihnen! Sie sind gütig, ich weiß es, auch Claire sagte es, selbst sie. Ihre zwei Schlösser und sechs Dörfer haben Sie weggegeben für Almosen — ich weiß alles von Ihnen.“

Ich lächelte. „Ich habe gespielt,“ sagte ich.

„Hahaha,“ lachte Ingeborg, „jajaja — —“ sie sah mich an, lachte, dann senkte sie den Kopf.

„Fürst, Fürst,“ flüsterte sie und schwieg. Ihre Haare wehten. Was sollte ich tun? Ich fand kein Wort, das gepaßt hätte. Ich hätte ihr ja gerne ein sanftes Wort gesagt, aber es fiel mir nichts ein.

Was wollte sie doch von mir? Zuerst machte sie mir Vorwürfe wegen Claire und dann . . .

Plötzlich stieg ein Lächeln in mein Gesicht. All das kam mir lächerlich vor. Diese Worte, diese vielen wirren Worte.

„Ich bin dieser Worte nicht würdig,“ sagte ich. „Ich lächle. Ja, sogar eitel machen mich diese Worte.“

Ingeborg zuckte zusammen und blickte mich erschrocken an. Ihre Lippen lächelten verzerrt und sie sagte ganz tonlos: „Man hat mir viel von Ihnen erzählt, Fürst, dann dachte ich — ich habe dann oft an Sie gedacht. Ich würde Sie um etwas Liebe bitten, wenn es Wert hätte, selbst das würde ich tun. Ich habe keinen Stolz vor Ihnen. Aber ich glaube, Sie haben kein Herz.“

Ich erwiderte: „Ich lebe für mich, ich bin müde, ich kann Ihnen nicht sagen wie es kam.“

Das bleiche Mädchengesicht nickte traurig.

„Sie können also nicht mehr lieben?“ sagte sie.

Wie lächerlich klang das.

„Nein,“ entgegnete ich, „ich weiß nicht wie es kommt.“

Ingeborg wandte sich ab und ging mit zögernden Schritten davon. Alles flatterte an ihr.

„Fräulein Giselher,“ sagte ich, „ich wollte Sie mit keinem Worte verletzen. Ich gab mir Mühe aufrichtig zu sein. Ich habe mich gefreut, daß Sie heute zu mir kamen.“

Ingeborg ging. Ihre weiße Gestalt glitt still in die Dämmerung hinein, sie wurde düster, grau, dann sah ich sie nicht mehr.

Ich rief dem Hunde und stieg die Straße hinab.

6

Ich stieg den Berg hinab. Sobald der Wind aussetzte, steckte ich meine Pfeife in Brand. Ich schüttelte den Kopf und lachte. Gott verzeihe mir, daß ich lachte, aber das Erlebnis da droben auf der Höhe stimmte mich heiter.

Wie das Lächeln auf ihrem Antlitze hin und her irrte, wie ihre Worte flackerten! Und das alles meinetwegen, war es möglich? Freude und Stolz schwellten mir die Brust.

Ich stieg den Berg hinab und watete in den Wind hinein. Pazzo zerschnitt den Wind mit seiner spitzigen Brust. Über den schwarzen Himmel zogen Herden von Lämmerwölkchen, die sich alle zum Monde begaben, Licht zu trinken. Sie schimmerten vergnügt, sie schienen sich zu tummeln und aneinander zu reiben. Der Wald wogte. Der Wind suchte sich seine Bäume aus und schüttelte sie, daß sie mit den Spitzen den Boden berührten.

Die Funken stoben aus meiner Pfeife, und jedesmal schien es mir, als sähe ich mein fröhliches Gesicht.

Ingeborgs Worte, diese hastigen wirren Worte, zogen hin und her in meinem Kopfe. Sie stand vor mir, ihre Haare wehten, ihr Gesicht war bleich und voller Demut. Schön, rührend sah sie aus, und wie ihre Augen strahlten! Bei Gott, ich sah jetzt noch ihren Schein!

Ich schüttelte den Kopf. So sonderbar ist der Mensch, daß er sich vor einem Fremden zu Boden wirft und sich demütigt, wenn seine Zeit gekommen ist.

Ich dachte an das junge Mädchen und seine weichen zitternden Worte und war ergriffen. Es war der Frühling, ja, sie konnte nichts dagegen machen.

Nun war es Gottes Wille, daß sie sich an mich wendete, der gerade seine wunschlosen Tage hatte, der müde war, zu müde für die Liebe, die ihren ganzen Mann erfordert, viel zu müde.

Es hat Zeiten gegeben, da der Blick eines Dienstmädchens wie Feuer in meinen Adern lief, und ich lange Nächte an diesen armseligen heißen Blick denken mußte — nun aber waren die wunschlosen Tage des träumenden Blutes gekommen.

Ich blieb stehen, blickte in die ziehenden Wölkchen empor, und Mitleid für die gedemütigte Seele erfaßte mich.

Ich wollte ihr nacheilen und mit ihr sprechen. Dank, Dank, wollte ich sagen. Ich kann Sie nicht lieben, Fräulein Ingeborg, ich habe meine wunschlosen Tage, aber Dank für Ihre Liebe. Wenn Sie wollen, kommen Sie zu mir, Tage und Nächte will ich mit Ihnen plaudern, ich will Ihr Freund sein, ich schäme mich ja, ich bin arm in diesen Tagen, egoistisch, weil ich glücklich mit mir allein bin.

Aber ich eilte ihr nicht nach. Ich ging weiter.

Ich dachte: vielleicht bin ich nur so reich und glücklich, weil sie mich liebt? Sie beschenkt mich mit ihren Gedanken, ihrer Liebe, aus der Ferne, ich werde heiter und froh, und sie wird arm und unglücklich. Sie wirft sich auf den Boden und weint, und im gleichen Momente durchzuckt mich die Freude, eine unerklärliche tiefe Freude, und ich atme tief und lächle. Niemand kann es sagen.

Ich ging immer weiter und weiter die dunkle Waldgasse hinab und bei jedem Schritte dachte ich, daß ich umkehren sollte, um mit ihr zu sprechen.

Nun wanderte sie durch den sausenden Wald, langsam, beschämt und dachte an den Mann mit dem müden Herzen. Der Wind blies und sie hustete. Dann kam sie nach Hause, sie legte das Kleid ab, das schöne helle Frühlingsgewand und warf es unter das Bett. Sie wollte es nicht mehr sehen. Im Spiegel haftete noch ihr Bild von heute Mittag. Ich werde ihm gefallen? lächelte der Mund. Und die Augen sagten: Ja, ja, wirst ihm gefallen . . . . . . . . Sie drückte die Lider zu . . . . . . . .

Immer weiter stieg ich die Bergstraße hinab und wollte doch eigentlich umkehren. Die wunderlichen Worte klangen durch meinen Kopf.

Ja, ich mußte umkehren und ihr sagen, daß sie doch Geduld haben sollte mit mir, Geduld! Sie sei schön, ja herrlich sei sie, ergreifend sei sie.

Ich ging und ging. Mein Sinn verdunkelte sich.

Da sprang mein Herz auf.

Wie eine Knospe sprang es auf, ich spürte es. Es durchzuckte mich, es war wie ein Schrei der Freude in meinem Blute.

Ich kehrte um und stieg den Berg hinauf, zuerst zögernd, dann mit schnellen Schritten. Der Wind trieb mich, es war ein gewaltiges Brausen im Walde, das mich bis in die tiefste Seele erschütterte.

Ich ging und ging. Ich holte Ingeborg nicht mehr ein. Ich ging durch den schwarzen Wald, immer zu. Plötzlich lag ein Schloß mit vielen erleuchteten Fenstern im Walde.

Es erschien mir wie eine Festung, ich blieb stehen.

7

Wollte ich in das Schloß mit den vielen erleuchteten Fenstern hineingehen und durch den Diener sagen lassen: es steht einer im Korridore, einer, den Hut in der Hand?

Es war gegen Morgen, der Tag blaute. Ich blickte aus meinem Fenster, das auf den Park hinausging, und lauschte auf den Gesang eines Vogels. Er sang in der weiten Stille des Morgens, da alles schlief.

Die ganze Nacht hindurch sang er, bis die Sonne aufging, der Frühling ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Oft hatte ich mich schon an seinem Gesange gelabt, aber heute verstand ich den kleinen Vogel und mein Herz bebte. Ich wußte wohl was das bedeutete. Nur die Unglücklichen und die Glücklichen zittern beim Gesang eines Vogels. Mein Herz zuckte bei jedem Tone, und wenn er leise zwitscherte, daß man ihn kaum noch hörte, so erschrak ich, ich öffnete die Lippen und mein Atem stockte.

Meine Zeit war gekommen!

Ich preßte die Hände vors Gesicht und lächelte und drückte einen Kuß in meine Hände.

Meine Zeit war gekommen! — — —

Mein Sinn ist dunkel, dunkelgolden ist mein Sinn, es kreist etwas in meinem Hirn. Ich habe ein lautes Herz in der Brust.

Ich gehe umher, berühre die Schränke, Tische, als ob sie von Fleisch wären, ich gehe umher und spreche mit mir selbst. Ich ziehe die Vorhänge des Zimmers zu, so daß es ganz golden um mich wird. In einem goldenen Zimmer sitze ich und lächle vor mich hin. Ich nehme den Stock und wandere. Mit großen Schritten, in weiten Kreisen muß ich gehen. Mein Schritt hallt durch schlafende Dörfer, die Hunde kläffen, ich wandere, in weiten Kreisen muß ich wandern. Ich lächle. Die Sterne lächeln. —

Ich ließ anspannen und fuhr nach Graf Flüggens Schloß.

Ich hatte mich sorgfältig rasiert und eine weiße Binde umgebunden. Ingeborg war nicht zu sehen.

Graf Flüggen erschöpfte sich in Liebenswürdigkeiten. Er war ein gebückter Greis mit langem Barte, wie ein Zwerg kam er mir vor. Ich zog das Gespräch in die Länge, erzählte von fernen Ländern und ihrer Sonne, Ingeborg war nicht zu sehen.

Wagen liefen durch den Abend, vorüber an meinem Hause. Ich sah nicht wer darinnen saß. Über Rote Buche stiegen bunte Leuchtkugeln in die dunkele Nacht. Ein Fest! dachte ich. Mitten in der Nacht rollten die Wagen wieder die Bergstraße herauf. Ingeborg saß im vordersten Wagen, ich erkannte sie an ihrem Hute, ich erkannte sie an dem Wirbeln meines Herzens.

Harry Usedom ging zweimal im Laufe einer Woche an Edelhof vorüber, er ging schnell den Berg hinauf, langsam und schwebend den Berg hinunter. Es gingen Dinge vor sich.

Wie ein Knabe durch ein Astloch in eine Schaubude späht, so spähte ich in diese Dinge. Sie huschten und zuckten an meinen Augen vorüber.

Ein leises trauriges Lied klang eines Abends durch meine Seele.

Mich fröstelte . . . . .

Eines Abends, als der Wald rot leuchtete in der untergehenden Sonne, begegnete ich Ingeborg und Harry Usedom droben auf der Höhe. Sie kamen des Weges daher, trugen große Sträuße von Maiglöckchen in der Hand und lachten. Ich sah es, ich hörte es. Lächelnd kamen sie beide heran, in Ingeborgs Augen schimmerte nicht die leiseste Erinnerung an jenen Abend.

Harry Usedoms Augen strahlten. Nie hatte ich solche Augen gesehen, sie hingen wie Lampen in seinem Gesichte und sein Gesicht, das immer weiß und krankhaft erschien, war von einer feinen Röte des Glückes überzogen.

„Die Herren kennen sich? Natürlich — — natürlich —“ sagte Ingeborg und lächelte. Dann sprach sie mit Pazzo, und ich wechselte einige Worte mit Harry Usedom. Ob es ihm auf Rote Buche gefalle. Sehr schöne Wälder, nicht wahr? Prachtvolle Wälder! Und den See habe er auch noch!

Es gefalle ihm sehr gut auf Rote Buche! Seine Augen strahlten, sie waren wie dunkle Höhlen voller Geschmeide. Ich mußte immerfort diese strahlenden Augen ansehen.

Er schreibe gegenwärtig eine Oper. Die Konzertreisen wolle er aufgeben.

Harry Usedoms Lippen waren breit, in den Mundwinkeln gekräuselt. Sie erinnerten an Orangenschnitten. Sie waren rot.

Die Herren zogen den Hut, Ingeborg nickte und verneigte sich leicht, wir trennten uns.

Ich bog in den nächsten Seitenweg ein und zündete mir die Pfeife an. Viele Dinge wirbelten im Rauch der Pfeife vor meinen Augen herum.

Pazzo sah mich an. Er kannte mich genau, und als ich ihn ansprach, sprang er an mir empor, um mich zu liebkosen. Ich streichelte ihm den Rücken mit sanfter Hand — immer auf und ab.

Einige Tage darauf. Ich ging mit Ingeborg oben auf der Höhe, am Waldesrande entlang. Die Sonne stand schräg und schon etwas rot über dem Walde und warf einen schattigen, dunkelen Spitzenkragen über den Hügel. Auf diesem Spitzenkragen schritten wir dahin, hoch über dem Tale und seinen kleinen Dörfern und blitzenden Bächen. Sonnenflecken zuckten über Ingeborgs Kleid und Gesicht, wir sprachen nichts. Pazzo schritt neben uns her, er tauchte mit Behagen die schlanken Füße in das hohe, saftige Gras.

Ingeborgs Gesicht erschien grün im Widerschein des Grases und des Waldes, zuweilen kam die Sonne, dann glühte es für einen Augenblick.

Ingeborgs Stirn war voller Gedanken.

Wir kamen an eine Bank und Ingeborg sagte: „Wollen wir uns ein wenig niederlassen?“ Sie blickte mich kurz an, während sie die Frage stellte. Ich war ihr dankbar für den Blick und für die nichtssagenden Worte. Sie fühlte es, denn sie blickte mich nochmals an und prüfte meine Mienen. Ich merkte es sehr gut. Ich stellte das Gewehr an einen Baum, Pazzo bewachte es.

Hinter der Bank sang ein Vogel. Ich lauschte, was für ein Vogel war es doch? Es war ein Vogel, den ich noch nicht gehört hatte. Vielleicht hatte er sich verflogen.

Es hatte sich manches geändert, das sah ich wohl ein. Ich saß neben Ingeborg und mein Herz klopfte. Ingeborg saß mit gleichgültigem, verschlossenem Gesicht da, das Kinn in die Hand gestützt und interessierte sich für die jungen Heupferdchen, die im Grase herumschnellten.

Eine feine Falte zog zwischen Ingeborgs Brauen, ich wagte es nicht, zu sprechen. Wenn sie bei schlechter Laune war, weshalb ging sie dann nicht?

Sie saß so nahe, daß ich meine Hand nicht neben mich legen konnte, ohne sie zu berühren, und plötzlich stieg mir das Blut in den Kopf, so nahe saß sie. Ich fühlte ihre Wärme.

Ich saß still, ich regte mich nicht, ich dachte an die feine Falte zwischen Ingeborgs Brauen. Sie konnte über mich befehlen, ja, das konnte sie. Ein Wink und ich verschwand, und ich trat ihr nie wieder unter die Augen. Ich verließ die Gegend, wenn sie es verlangte, meine Gegenwart sollte ihr nicht die Laune verderben.

Schön lag das Tal zu unsern Füßen, und bis auf die kleine Falte Ingeborgs wäre alles herrlich gewesen. Ein Bauer mähte mit einer blitzenden Sense tief unten, er war nicht größer als eine Ameise. Über dem Tale flimmerte es in einer grünen Wiese wie von einem Edelsteine, aber es war nur ein Stück Glas, eine zerbrochene Flasche, die dort blitzte. Drüben lagen zerstreute Häuschen, still, sie schienen unbewohnt zu sein.

Da tauchte plötzlich aus dem nahen Kornfelde ein Spaten auf, dann ein Hut, ein Kopf, der Kopf hüpfte auf und ab und verschwand wieder im Korn und auch der Spaten tauchte unter.

Dieser hüpfende Kopf scheuchte mich aus meiner Versunkenheit auf. Ein wahnsinnig kühner Gedanke schoß durch meinen Kopf. Wie, wenn ich einfach meinen Arm um Ingeborg legte und sagte: Nun —? Es ist schön hier neben Ihnen zu sitzen und das Tal zu betrachten. Stundenlang könnte ich hier neben Ihnen sitzen, wenn Sie auch nichts sprechen.

Ich bewegte die Lippen, feuchtete sie an, dann sagte ich: „Es ist schön hier zu sitzen und das Tal zu betrachten.“

Ingeborg nickte. „Ja,“ sagte sie.

Im Tal ging der Mann mit dem Spaten, klein, blau. Mein Herz krampfte sich zusammen. Die Glasscherbe drüben im Felde hörte auf zu blitzen, die Schatten stiegen. Ich heftete die Augen auf die Häuschen uns gegenüber. Sie waren bewohnt, vorhin war eine Tür offen gestanden, jetzt hatte man sie geschlossen. Aus dem Walde, der den Hügel oberhalb der Häuschen bedeckte, kam etwas hervorgekrochen. Es sah aus wie ein Kärrchen, das von weißen Mäusen gezogen wurde. Etwas Weißes ging nebenher, etwas Weißes lag auf dem Kärrchen. Er war ein Müller, der Säcke auf einem Karren fuhr, den zwei Schimmel zogen. Die Beine der Schimmel verschwanden im Getreide. Das Kärrchen fuhr bis zu den kleinen Bauernhäuschen. Dort machte es Halt, und einige Leute kamen aus den Türen. Eine Magd schlug auf die Säcke und Mehl stieb heraus, ein rundes Wölkchen, als habe sie geschossen.

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