Kitabı oku: «Frau ohne Welt. Teil 3: Der Krieg gegen die Zukunft»

Yazı tipi:

FRAU OHNE WELT

Trilogie zur Rettung der Liebe von Bernhard Lassahn

TEIL III – DER KRIEG GEGEN DIE ZUKUNFT


INHALT

Willkommen im Vorgarten

Schlaflose Nächte und Schreie in der Nacht

Die Schrecken der Flut und die Schrecken der Ebbe

Hände hoch! Keine falsche Bewegung!

Männer machen nicht mehr mit

Rotes Licht für die Liebe. Grünes Licht für Sex

Die nackte Lüge

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose

Die geheimen Träume der Halbweltfrauen

Der böse Blick einer Frau mit Augenklappe

The Winner Takes It All

Bielefeld gibt es. Die Welt dagegen gibt es nicht

Keine Empathie für niemand

Etikettenschwindel, wenn es ans Eingemachte geht

Das Argument der großen Axt

Die Freiheit zu tun, was einem gesagt wird

Das dunkle Geheimnis des Frauenkalenders

Mach mit! Es gibt Geld und ein gutes Gewissen

Der Vergewaltiger im Sammeltaxi

Die Waffe der Ölweiber

Die Empfindlichkeit der Schneeflocken in Zeiten der Erderwärmung

Von »Yeah, Yeah, Yeah!« zu »Nein heißt Nein!«

Die Revolution hat keine Kinder, die sie fressen könnte

Der Blick durch die Tuba

Schuld und Schulden der Vergangenheit

Die Schrift an der Wand

Von der Apo zur Apokalypse zur Fempokalypse

Der Weltuntergang als Kleinkunstprogramm

Kaputte Retourkutschen

Von nichts kommt nicht nichts

Das unfassbare Risiko der Hausfrau und Mutter

Auf der Suche nach dem guten Menschen

Return to Paradise – zurück im Garten

Impressum

Willkommen im Vorgarten

Kommen Sie getrost näher, Sie sind immer noch im Vorgarten. Sie können mir nicht mit der Tür ins Haus fallen, und ich kann nicht ausfällig werden und Sie nicht überrumpeln. Ich kann nicht plötzlich mit der Tür aus dem Haus herausfallen, wie ein Ritter, der einen Ausfall aus seiner Burg wagt und dabei die Tür wie ein Schild vor sich herträgt.

Dafür ist der Vorgarten gut. Er schafft eine gewisse Pufferzone für Unentschlossene. Man lernt sich schon ein wenig kennen, ohne sich allzu dicht auf die Pelle zu rücken.

Vorgarten? Wer redet so? Erich Kästner. Der hat geschrieben, der Vorgarten zu einem Haus sei so etwas wie das Vorwort zu einem Buch. Man ist schon fast da. Man bildet sich ein erstes Urteil, eh man weitersieht. Wie sieht der Garten aus? Gibt es Rosen? Gartenzwerge? Einen Fahrradständer? Liegt irgendwo Kinderspielzeug herum? Ist auch ausreichend Unkraut vorhanden? Bekanntlich sollte man einem Garten misstrauen, in dem es kein Unkraut gibt.

Im Vorgarten blühen die Vorurteile. Wer wohnt hier? Ein Mann. Ein alter. Ein weißer. Aha. Also vermutlich ein Feind. Jedenfalls ein Feind in den Augen der hüpfenden Jugend, die jeden Freitag klagt, dass die Alten ihr die Zukunft gestohlen hätten und ein Feind in den Augen der Feministen mit dem bösen Blick.

Hier ist auch die Schwelle, an der wir zurückblicken auf das, was bisher geschah: Es gibt schon zwei Bücher zur Frau ohne Welt, mit den Untertiteln Der Krieg gegen Mann und Der Krieg gegen das Kind – was erstaunlich martialisch klingt für jemanden wie mich, der sich in seiner Jugend gerne als Pazifisten gesehen hat und immer noch das Ende des überflüssigen Geschlechterkrieges herbeisehnt, bei dem es nur Verlierer gibt. Deshalb gibt es den Untertitel: Trilogie zur Rettung der Liebe.

Der Krieg ist nicht vorbei, »the war is not over«, sagt jemand, der in dieser Frage – und neuerdings auch in Umweltfragen – Zuständigkeit und weltweites Gehör beansprucht. Wer tut das? Emma Watson, die wir in der Rolle der Hermine in den Harry Potter-Filmen liebgewonnen haben und die später als UN-Sonderbotschafterin für Frauen- und Mädchenrechte die HeForShe-Kampagne entwickelt hat, die viel gelobt wurde – doch nicht von allen. Kritik kam von den PoC, den people of colour, von Schwarzen, die ihr den Vorwurf machten, eine privilegierte Weiße zu sein. Es scheint also noch mehr Kriegsschauplätze zu geben, nicht nur zwischen Männern und Frauen.

Im ersten Band hatte ich Leonard Cohen zitiert, der singt, dass es einen Krieg zwischen Männern und Frauen gibt und einen zwischen Weißen und Schwarzen, »a war between the black and white, a war between the man and the women«, außerdem einen zwischen Armen und Reichen und zwischen Linken und Rechten. Das reicht nicht. Wir müssen noch einen Krieg berücksichtigen, den Cohen nicht besungen hat: den Krieg zwischen den Generationen, zwischen Alten und Jungen.

Es kämpft jedoch nicht jeder gegen jeden, wie es sich Thomas Hobbes in seinem berühmten Albtraum über ein höllisches Zusammenleben vorgestellt hat, in dem der Mensch dem anderen Menschen gegenüber zum Wolf wird – homo homini lupus – vielmehr stellt sich eine Gruppe gegen die nächste, ein Rudel gegen ein anderes. Es kämpfen Gruppen, die sich selbst gebildet haben, gegen Gruppen, in die andere einsortiert wurden, ob sie wollten oder nicht. So entstand die so genannte Identitätspolitik, eine politische Orientierung, bei der die Zughörigkeit zur Gruppe zum ausschlaggebenden Kriterium aufgestiegen und zur Trumpfkarte bei jeder Diskussion geworden ist.

Der Einzelne zählt nicht mehr, es kommt lediglich auf die Gruppenzugehörigkeit an, auf das richtige Rudel. Es gibt auch keine Einzelmeinungen mehr, nur noch Konsens. So sind Vorurteile entstanden und haben sich zu Verallgemeinerungen verfestigt, die für den Kampf gegen das feindliche Rudel unerlässlich sind. Sie gewährleisten den Gruppenzusammenhalt, der ohne ein starkes Feindbild nicht vorhanden wäre.

Tribalismus wirkt wie ein Turbo: Der Graben zwischen »wir« und »denen« – us and them – wird tiefer, der Ton lauter, die Stimmung feindlicher. Gruppen sind gnadenlos, ein Rudel gibt kein Pardon, ein Rudel kennt keine Dankbarkeit. Die Gruppenzugehörigkeit wirkt als Durchlauferhitzer für Aggressionen und wühlt Instinkte auf, die bisher unter Kontrolle waren.

Wir haben Zustände wie vor einem Bürgerkrieg – einem Krieg, den wir so noch nicht kannten; einem Geschlechterkrieg, in dem künstliche Gruppen ohne wirklichen Zusammenhalt, die aus wenigen Kriegstreibern und vielen ahnungslosen Mitläufern bestehen, an zwei Fronten gleichzeitig gegeneinander antreten, in einem sinnlosen Krieg zwischen Mann und Frau und zwischen Eltern und Kindern – damit gegen die Zukunft.

Davon handelt das Buch. Ich versuche, einen Lagebericht zu geben und will an Einzelbeispielen, in denen ich Muster erkenne, aufzuzeigen, was der vierzigjährige Krieg angerichtet hat. Ein Kultur-Krieg, der aufs Ganze geht.

Er hat seltsame Zwischenwesen geschaffen: Männer, die nicht männlich sein dürfen, weil Männlichkeit verdammt ist und als toxic masculinity angesehen wird, und Frauen, die diese verdammten Rollen übernehmen, die dann – wie durch ein Wunder – nicht mehr als toxisch gelten. Die idealen Zwischenwesen von heute sind neutral, sie sind geschlechtslos, sie sind inter oder trans und sehen in dem Gender-Sternchen ihren neuen Stern am Horizont aufsteigen, dem sie bedingungslos folgen. Frauen wollen heute keine Mütter mehr sein, sie fürchten ein Morgen und geben sich jünger, als sie sind. Männer wiederum leiden unter dem Peter-Pan-Syndrom und weigern sich erwachsen zu werden.

Die neuen Zwischenwesen haben sich zwischen den Fronten eingerichtet, sie sind weder männlich noch weiblich, weder alt noch jung. Die Angleichungsbewegungen gehen von beiden Seiten aus: Kinder werden wie Staatsmänner behandelt, Staatsmänner verhalten sich wie Kindsköpfe. Ein Mädchen, das aussieht, als wäre es acht Jahre alt, spricht vor der UN, im Bundestag singt Andrea Nahles das Pippi-Langstrumpf-Lied. Wir sind auf dem Weg zu einem Menschen ohne Eigenschaften, zu einem Einheitswesen, das weder das eine, noch das andere ist, das nichts falsch, aber auch nichts richtig macht.

Das erste Opfer in einem Krieg ist die Wahrheit. Die geht verloren, sobald die Gespräche verstummen. Niemand verfügt exklusiv darüber, wir können uns nur auf eine gemeinsame Suche nach der Wahrheit begeben. Wo sollen wir suchen? Im Internet wird Wahrheit angeboten, als wäre es heiß begehrte Ware, wir brauchen nur den Suchbefehl »the truth about …« eingeben, schon werden wir bedient. Architekten, die an der offiziellen Interpretation der Ereignisse von 9/11 zweifeln, nennen sich Truther. Die Wahrheit scheint zum Greifen nah und bleibt uns doch fremd.

Die beiden politischen Magazine, die sich an den gegenüberliegenden Seiten des tiefen Meinungsgrabens befinden, haben sich beide die »Wahrheit« auf die Fahne geschrieben: Das Compact-Magazin wirbt mit dem Slogan »Mut zur Wahrheit«, der Spiegel mit »Keine Angst vor der Wahrheit«. Wer kennt denn nun die Wahrheit?

»Tell the Truth« fordern die Demonstranten von Extinction Rebellion, die sich als Rebellion gegen das Aussterben verstehen und verlangen, dass sich Politiker bedingungslos dem anschließen sollen, was sie für die letzte Wahrheit halten. Andere halten Pappschilder hoch mit Slogan wie »Climate Change Is Real« oder »Rape Culture Is Real«. Manche der jungen Frauen haben sich die Parolen sogar auf die nackte Haut geschrieben, als hätten sie dadurch Golddeckung. Es ist aber nur falscher Glanz.

Sexismus. Rassismus. Faschismus. Extremismus. Frauenfeindlichkeit. Homophobie. Transphobie. Erderhitzung. Weltuntergang. Zumindest die Stimmung ist stark aufgeheizt. Doch wie schlimm ist es wirklich? Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? So hätte Immanuel Kant gefragt, wenn er nicht etwa den Einzelnen, sondern Gruppen angesprochen hätte. Wir wissen es nicht mehr. Wir sind jahrelang mit Propaganda zugeschüttet worden und stehen ratlos in einem Irrgarten aus Lügen – aus fake news –, aus falschen Prognosen und zweifelhaften Wetten auf die Zukunft.

»Wir sind die Zukunft der Bauern und Arbeiter!«, verkündete Lenin einst. »Wir sind die Zukunft Europas!«, behauptete Hitler. Das war einmal. Heute wird die Zukunft in düsteren Farben ausgemalt, »we don’t have time«, heißt es bei den Fridays-for-Future-Demonstrationen, wir haben nur noch zehn Jahre Zeit. Oder sechs. Wenn es überhaupt eine Zukunft geben sollte, dann wird sie weiblich sein. So hatte sich das Margarete Mitscherlich vorgestellt, die im Jahr 2017 hundert Jahre alt geworden wäre, Hillary Clinton glaubt immer noch daran, »I still believe the future is female.«

Das glauben nicht alle. Janice Fiamengo tut es nicht mehr. Sie sieht sich nicht mehr als Feministin, selbst wenn sie früher eine war, die – so wie ich auch – auf die Straße gegangen ist, um die Nacht zu erobern und für Frauenrechte zu demonstrieren. Sie ist keine Feministin mehr und gibt eine frappierend einfache Erklärung, die uns aufhorchen lassen sollte, selbst wenn uns Frauen-Themen langsam nerven und wir glauben, dass uns die Gender-Perspektive nicht interessieren muss. Es betrifft uns alle, wenn wir nicht in einer Lügenwelt leben wollen, in der wir verkümmern.

Janice Fiamengo hat sich vom Feminismus abgewandt, weil sie die vielen Lügen nicht mehr ertragen konnte, die peu à peu aus falschen Zahlen und falschen Begriffen ein in sich geschlossenes System gebildet haben, das einen totalitären Charakter angenommen hat. Sie konnte nicht mehr darüber hinwegsehen, dass die Voraussetzungen falsch sind, dass manipulierte Statistiken in die Welt gesetzt werden und dass die Sprache verkommt. Man kann in einem Kartenhaus aus Falschbehauptungen und Falschbeschuldigungen nicht in Frieden wohnen, man muss fürchten, dass es jederzeit zusammenbricht. Man muss ständig »mit zwei Gesichtern leben«, wie es viele der Aussteiger gesagt haben, die ein totalitäres System überstanden haben. Sie konnten nicht mehr in den Spiegel gucken, weil sie ein moralisches Minimum verraten mussten. Es tut einem in der Seele weh, so leben zu müssen. Es macht krank.

Fiamengo ist Professorin in Kanada, die eine umfangreiche Video-Serie –The Fiamengo files – und zuletzt den Sammelband Sons Of Feminism veröffentlicht hat, der uns einen generationsübergreifenden Überblick bietet. Es gibt entsprechend dazu einen Bericht der Töchter, den Daughters Of Feminism. Damit kommen Vergangenheit und Zukunft für beide Geschlechter in den Blick und ermöglichen erstmals ein vollständiges Bild. Sowohl die Töchter als auch die Söhne waren stark vom Feminismus geprägt, sie sahen sich selbstverständlich als Feministen und haben erst spät gemerkt, wie sehr sie davon geschädigt wurden. Im Nachhinein sehen sie den Feminismus als ein monströses Gebilde aus lauter Lügen.

»Wir haben alle gelogen. Jeder ein bisschen. Und wir haben es gewusst.« So haben es Václav Havel und Alexander Solschenizyn zusammengefasst, als sie kritisch auf das kommunistische Lügengebäude zurückgeblickt und dabei selbstkritisch ihr eigenes Mitwirken daran reflektiert haben. Es ergeht einem nicht nur im Kommunismus so; Verkrüppelung entsteht in jedem totalitären System. Einige der Bücher aus dem Regal meiner Mutter über das Leben unterm Hakenkreuz haben so vielsagende Titel wie Betrug war alles, Lug und Schein oder Lebenslüge Hitler-Jugend. Betrug war buchstäblich »alles« – und alle haben mitgemacht. Es gab keine Rückzugsmöglichkeit mehr, der gesamte Alltag war überschattet, die Lüge war allgegenwärtig.

Totalitäre Systeme bauen sich durch kleine und kleinste Grenzüberschreitungen auf, die ständig nachverhandelt werden. Es geht scheinbar um Kleinigkeiten, die jedoch in Wirklichkeit keine sind. Hinzu kommen überdimensionierte Beschuldigungen gegen einen Feind, der in Wirklichkeit gar keiner ist, sondern erst durch eine grandiose Sprache, die keine Zwischentöne und Mittellagen und damit auch keine Kompromiss- und Friedensmöglichkeiten zulässt, zum Feind aufgebaut wird.

Der sexistische Krieg ist ein totaler Krieg. Alle Lebensbereiche werden durchdrungen. Es wird ein Kulturkrieg geführt, ein culture war, der das Gute, Schöne und Wahre zerstören will. Sobald wir das Fernsehen einschalten, werden wir einer gendergerechten Scheinwelt ausgeliefert, die durch das gesamte Programm aus aktuellen Nachrichten, Werbung, Wetterbericht, Unterhaltung, Sport und Spannung hindurchscheint. Der gesamte öffentliche Raum – das gilt für Kirchen, Politik, Schulen und Universitäten – ist sprachlich gleichgeschaltet, durchgegendert, feminisiert und verweiblicht. Die Kriegspropaganda beschwört in einem unablässigen Trommelfeuer aus Siegesmeldungen eine weibliche Zukunft, die offenbar unmittelbar bevorsteht wie der Endsieg. Frauen, so hören wir, haben Männer längst überholt, haben sie abgehängt und überflüssig gemacht. Die Frauen von heute sind nicht mehr aufzuhalten in ihrem Machtstreben, sie können alles.

Sie können es sogar besser. Für den nächsten James-Bond-Film ist Emma Watson vorgeschlagen, nicht in der Rolle eines Bond-girls, sondern – she instead of him – als Agent 007. Das war der, der gesagt hatte: »Mein Name ist Bond, James Bond«.

Aus so einer Blase kommt man nur schwer wieder heraus. Cassie Jaye hat es geschafft. Sie hatte mit Nebenrollen in Hollywood vor der Kamera als nette Blondine angefangen, als »the cute girl-next-door who always died in horror films.« Nachdem sie mehrere Tode in Horrorfilmen sterben musste, hat sie die Seiten gewechselt, hat sich hinter die Kamera gestellt und eigene Dokumentarfilme zu Gender-Themen gedreht. Dann hat sie die rote Pille eingenommen und gleich noch einmal die Seiten gewechselt: Sie ist nun auch keine Feministin mehr.

The Red Pill heißt ihr Film, mit dem sie, wie sie selbstironisch bemerkt, Kontakt mit dem Feind aufgenommen hatte – damit meinte sie Männerrechtler, moderne Väter, die von ihren Schicksalen erzählten, die den Kontakt zu ihren Kindern und den Glauben an die Zukunft verloren hatten. Am Ende des Films sieht sie diese Männer nicht mehr als Feinde an. Die Idee für den Titel stammt aus dem Film Matrix. Darin steht der Held Neo vor der Wahl, entweder die rote oder die blaue Pille zu nehmen. Nimmt er die blaue, bleibt alles, wie es ist, und er kann weiter in seiner Traumwelt leben. Mit der roten Pille würde er in der Wirklichkeit ankommen.

Sie spielt außerdem mit einem Motiv aus Alice im Wunderland, dem Land, in dem alles falsch ist. Ein weißes Kaninchen führt sie da hinein – down the rabbit hole – und erschüttert ihre Weltsicht. Cassie Jaye hat es geschafft, ihre Einstellung zu überprüfen und zu ändern. Die meisten können es nicht.

Was musste geschehen, dass sie es konnte? Zwei Übungen waren es, die mit der Arbeit an einem Dokumentarfilm zusammenhängen: Zuerst musste sie lernen, die Leute ausreden zu lassen. Sie merkte plötzlich, wie schwer ihr das fiel; sie konnte gar nicht richtig zuhören, sie wartete immer nur auf ein Stichwort, um einzuhaken und zu widersprechen. Sie musste lernen, sich zu beherrschen. Die nächste Übung bestand darin, das dokumentierte Material abschreiben. Das mag an Strafarbeiten aus Schulzeiten erinnern, aber sie merkte, dass sie erst durch den Vorgang des Schreibens richtig verstanden hat, was die Männer, die sie interviewt hatte, überhaupt sagen wollten. Als sie diesen Effekt bei einer Pressekonferenz erklärte, empfahl sie das auch den anwesenden Reportern: Notieren Sie das! –»Write this down«, sagte sie. Bei ihr hatte es gewirkt. Sie ist von einer Blondine zu einer Schriftgelehrten geworden.

Sprache kann einen Reinigungsprozess bewirken. Deshalb bin ich Ihnen auch mit einem Buch unter dem Arm entgegengekommen und habe Kästner zitiert. Ich werde noch aus anderen Büchern vorlesen. Die Literatur wacht stets im Hintergrund, wenn ich über Frauen und Männer, über den Krieg und über die Liebe spreche. Eine achtsame Sprache hilft, die Gedankenwelt aufzuräumen. Eine lügenhafte Sprache führt ins Unglück. Viele der Lügen lassen sich relativ leicht erkennen, sie fallen durch schiefe Formulierungen und heillose Übertreibungen auf und lassen sich leicht vermeiden. Ich versuche es. Ich vertraue darauf, dass man mit dem Bemühen um eine wahrhaftige Sprache auf einem guten Weg ist – auf einem, der zu einem Geschlechterfrieden führen kann.

Also: Willkommen! Treten Sie ein! Wenn Sie mögen, können Sie noch kurz, eh es losgeht, vor das Fenster treten – da oben ist mein Schlafzimmer – und ganz laut »Sex!« schreien.

Schlaflose Nächte und Schreie in der Nacht

»Sex?! Oh, nein! Sex! Nein, Sex! Ich fasse es nicht!«

»Äh … Sex?«, »Was soll das denn? Sex?«

»Sex! Sex! Sex!«

Eine Bekannte von mir hatte Pech. Sie konnte im Sommer nicht mehr bei offenem Fenster schlafen. Sie wohnte in der Langen Gasse in der Altstadt von Tübingen. Wir schreiben das Jahr 1977, wir schauen ein wenig zurück, um – wie sich Ernst Bloch das vorgestellt hat – die »Zukunft in der Vergangenheit« zu entdecken. Ich beginne mit einem kleinen Rückblick. Ich bitte, die Jahreszahl nicht allzu genau zu nehmen und mir eine gewisse Unschärfe bei der Zeitangabe zuzubilligen, immerhin mache ich eine präzise Ortsangabe.

Ich werde sogar noch großzügiger mit den Zeitangaben verfahren und das Jahr 1977 zu einem regelrechten Schicksalsjahr im Kampf der Geschlechter aufwerten und als das Jahr zeichnen, in dem der Sexismus, von dem damals noch niemand wusste, was man sich darunter vorstellen sollte, Einzug in unser Zusammenleben gehalten, sich wie eine Seuche ausgebreitet und alle Bereiche des Alltagslebens durchdrungen hat. Doch zurück zum genau lokalisierten Ort, der früher einmal still war. Warum konnte meine Bekannte nicht mehr bei offenem Fenster schlafen? Warum ließ ihr der Sex keine Ruhe?

Ihr Zimmer lag im ersten Stock. Im Erdgeschoss hatte neuerdings ein Sexshop eröffnet, ein »Fachgeschäft für Ehehygiene«, wie es im Untertitel hieß – ein Fremdkörper in dem beschaulichen Universitätsstädtchen, eng und buckelig, wie Goethe es beschrieben hatte. Ein zauberhafter Ort. Wenn da ein als Nachtwächter verkleideter Schauspieler mit Hellebarde und Laterne durch die Gassen gezogen wäre, wie das neuerdings als Touristenattraktion inszeniert wird, hätte man den Eindruck gewinnen können, die Zeit wäre tatsächlich stehen geblieben und man hätte mit Franz von Dingelstedts Liedern eines kosmopolitischen Nachtwächters verkünden können: »Die Stunde, die hat nichts geschlagen«.

Nun hatte die Stunde etwas geschlagen. Eine neue Zeit war angebrochen: Es gab einen Sexshop. Er wirkte, als wäre über Nacht ein verirrtes Raumschiff aus einer anderen Zeitzone notgelandet.

In lauen Sommernächten war es besonders schlimm. Nächtliche Spaziergänger, die bis vor kurzem vergleichsweise ruhig durch die Gassen geschlendert oder getorkelt waren, ließen angesichts des neuen Ladens alle Hemmungen fallen; es brach aus ihnen heraus wie eine Urgewalt. Selbst wenn sie ohne Gesprächspartner durch die Nacht schwankten, mussten sie den Namen des Shops laut vorlesen und ihr Leid klagen, wie Hunde es tun, wenn sie den Mond anbellen: »Sex Shop! Sex Shop!« Sie konnten einfach nicht vorübergehen, ohne einen Kommentar abzugeben, als müssten sie den Shop – oder den Sex insgesamt – verfluchen. So wie Babys bei der Geburt schreien, so brüllten die Nachtschwärmer beim Herandämmern der neuen Epoche. Manche lachten künstlich, manche gequält, bei manchen klang es wie ein Hilferuf. Der Laden wirkte auf sie seltsam bedrohlich, er gab sich als Niederlassung einer feindlichen Macht zu erkennen, die schon eine erste Bodenstation errichtet hatte.

Zur selben Zeit – nicht auf den Tag oder Monat genau – hatte in der Nähe vom Zimmertheater ein Laden aufgemacht, für den eine vergleichbare Besonderheit galt. Davon erzählte mir jemand, der im ersten Stock über dem neu eingerichteten Buchladen wohnte und in lauen Sommernächten ebenfalls keinen Schlaf fand. Auch an seiner Adresse unterbrachen Nachtschwärmer ihren Rundgang und konnten es nicht lassen, kräftige Kommentare abzugeben. Auch hier waren es Männerstimmen, die grölten und schimpften und ein Grummeln erzeugten wie bei einem heranziehenden Gewitter. Es ging um Bücher. Genau gesagt um den Laden, in dem sie angeboten und um die besonderen Bedingungen, unter denen sie verkauft wurden. Ursprünglich, so erklärte mir der Schlafgestörte, hätte er keinerlei Sympathien für die Emanzen aus dem Erdgeschoss gehabt, die direkt unter seinem Schlafzimmer den neuen Buchladen »Nur für Frauen« betrieben, doch seit er Nacht für Nacht mit anhören musste, wie Männerstimmen den Laden verfluchten – man habe grundsätzlich nichts gegen die Frauenbewegung, solange sie nur schön rhythmisch wäre –, hatte er sein Herz für die Nachbarinnen entdeckt und grüßte sie freundlich. Den Laden sollte er trotzdem nicht betreten.

Zwei neue Geschäfte, zwei Zeitzeichen, zwei Klagemauern, zwei Verlockungen, zwei Gefahrenstellen, die ahnen ließen, wie eine sexistische Zukunft aussehen würde. Meine Bekannte hatte den Eindruck, dass Männer nicht mit dem »Weltknoten Sexualität« umgehen konnten – das waren nicht ihre Worte; sie meinte wohl, dass Männer ihre Triebe nicht unter Kontrolle hätten – und der Mann, der über dem Frauenbuchladen seine Ruhe haben wollte, konnte hinzufügen, dass sie ebenso wenig wüssten, wie sie mit der neu aufblühenden Frauenbewegung umgehen sollten. Mit der nächtlichen Ruhe war es jedenfalls vorbei. Es hatten sich zwei Abgründe aufgetan. Zwei Risse waren auf dem Tanzboden entstanden, auf dem sich die Geschlechter begegnen konnten. Beide Orte wirkten, als hätten feindliche Truppen erste Brückenköpfe errichtet. Man konnte es ahnen: Gemeinschaften, die bisher zusammengehalten hatten, würden zerfallen; die Liebe, wie man sie bisher kannte, würde einem absehbaren Ende entgegengehen.

Es waren Orte, die man meiden sollte. Ein junges Ehepaar, das sich in der Stiftskirche trauen ließ, würde bestimmt keinen Abstecher in das nahegelegene »Fachgeschäft« machen, um da »Hygieneartikel« für ihre Ehe einzukaufen. Ein Student würde dem Sexshop weder zusammen mit seiner Liebsten einen Besuch abstatten, noch mit Mitbewohnern aus der Wohngemeinschaft, die allgemein WG »Weh geh!« genannt wurde, damit das Weh und Ach des Alleinseins vergehe. Er würde den Laden auch nicht bei einem Spaziergang als neue Attraktion der Altstadt seinen Eltern vorführen, wenn die zu Besuch kämen. Der Sexshop störte die vertikalen und horizontalen Geschlechter-Verhältnisse gleichermaßen.

Der Frauenbuchladen auch. Mit meiner Freundin könnte ich den Laden nicht betreten, ich müsste draußen warten und würde ausgerechnet mit ihr darüber streiten, ob es so einen Laden überhaupt geben sollte. Ich würde mit meinem Vater kopfschüttelnd vor dem Schaufenster stehen und wir würden uns fragen, warum wir nicht hineingehen und Die Scham ist vorbei von Anja Meulenbelt oder Memoiren einer Tochter aus gutem Hause von Simone de Beauvoir kaufen könnten. Man bekam die Bücher auch anderswo, insofern war der Frauenbuchladen keine Bereicherung. Die Besonderheit lag allein darin, dass ein Mann unerwünscht war. Immerhin haben wir noch gestritten und die Köpfe geschüttelt. Tübingen ist Universitätsstadt. Da wurde viel geschwätzt und diskutiert.

Nun hat sich das Klima geändert. Wir sind bis auf die Knochen eingeschüchtert. Wir frösteln und halten uns bedeckt, als wäre Schnee gefallen und hätte sich meterdick über unsere Gespräche gelegt. Die Themen Feminismus und Pornographie berühren wir lieber nicht. Gender auch nicht. Ein wohlmeinendes Kompliment kann heute als sexistischer Angriff interpretiert werden; ein Ausdruck, der gestern noch unverfänglich war, kann heute schon als hate speech gelten. Im Rückblick kommt mir das Tübingen der Siebziger wie ein Naturschutzgebiet vor, in dem noch ein unbefangener Gedankenaustausch möglich war.

Heute werden – damals undenkbar – Professoren wie Gerhard Amendt, Ulrich Kutschera oder Martin van Creveld von aufgebrachten Studenten mit Trillerpfeife, die sich als Schiedsrichter aufspielen, oder von schlecht informierten Gleichstellungsbeauftragten an wissenschaftlichen Vorträgen gehindert, wenn sie im Verdacht stehen, den Feminismus zu kritisieren. Zunehmend trifft es auch Politiker, die als »liberal« gelten. Heute darf man nicht mal mehr sagen: Also, das wird man doch wohl noch sagen dürfen. Harald Schmidt bekennt, dass seine Shows heute nach einer Woche abgesetzt würden. Bei einer Veranstaltung mit dem SPD-Mitglied Thilo Sarrazin in Bremen musste die Polizei mit einem Mannschaftswagen anrücken, bei einer Lesung mit Birgit Kelle mit sechs. Nur jeder sechste Deutsche fühlt sich noch frei, im Internet beziehungsweise in der Öffentlichkeit seine Meinung zu äußern. Das Forschungsinstitut Allensbach hatte nachgefragt, ob man vorsichtig sein müsste. Muss man. Wir haben keine Klimakatastrophe, wir haben eine Meinungsklima-Katastrophe.

»Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen«, heißt es bei Ludwig Wittgenstein im Tractatus logico-philosophicus. Der finnische Tango-König M.A. Numminen hat den Satz vertont und trägt ihn mit großer Orchesterbegleitung vor, als wollte er ein Zitat, das Voltaire nachgesagt wird, mit einem Ausrufezeichen versehen: »Was zu dumm ist, um es auszusprechen, das singt man.« Oder man schreit. Damals hatte es noch Aufschrei gegeben, nicht im Internet, sondern in den buckligen Gassen von Tübingen, da konnte man einen letzten Aufschrei in der Nacht hören:

»Oh, nein! Sex!«