Kitabı oku: «Auszeit mit Tine», sayfa 2

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Also spielen wir weiter, Tine nascht mit jeder verlorenen Figur verzweifelter Schokolade. Ich versuche, sie gewinnen zu lassen, was sie aber schnell durchschaut und mich deshalb disqualifiziert. „Das ist wettbewerblicher Unlaut!“, tönt sie groß und springt auf. „Deine sämtlichen Siege werden dir von Rechts wegen aberkannt. Also hab ich gewonnen. Das hast du von deinem Schummeln.“

„Okay“, räume ich ein. „Und welchen Preis hast du gewonnen?“ „Einen Haushälter!“, meint sie spontan. „Der mir beim Abendbrot hilft.“

„Nicht schlecht, oder?“

Tine überlegt noch. Da ziehe ich sie zu mir herab und küsse ihren Schokomund, um sie zu überzeugen. Und das wirkt.

Die Sonne hat inzwischen schon wieder unseren Halbschatten erobert, als hätte sie nichts anderes zu tun, und donnert auf uns nieder. Ich schwitze und bin doch zu faul, um umzusiedeln. „Zieh dich doch aus, wenn’s dir zu warm ist“, wispert Tine und irgendwie kann ich da nicht Nein sagen.

FÜNFTES KAPITEL

„Gerade liegen wir noch im Bett – und jetzt sind wir schon drei ganze Tage hier!“, staunt Tine nicht schlecht, als wir am nächsten Morgen am Frühstückstisch sitzen.

Ich kann dazu nicht viel sagen, ich hab noch den Mund voll Marmeladenbrötchen. Also nicke ich nur bedächtig.

„Wird Zeit, mal Nägel mit Köpfen zu machen, Kindchen, oder?“, sagt sie mit einem so komischen Blick über die Terrasse, dass ich vor Schreck gleich an Hausarbeit denken muss.

„Aber doch nicht heute am Sonntag“, murmele ich entrüstet an meinem Brötchen vorbei, aber Tine schüttelt nur heftig den Kopf.

„Ja, eben weil Sonntag ist. Außerdem muss ich eh Wäsche machen“, meint sie dann. „Und du spielst mal den Mann im Haus. Damit hier alles ein bisschen sauber aussieht.“

Ich sehe sie fragend an und das war wohl ein Fehler. Hätte ich nur still genickt, hätte ich mich verdrücken können. Jaja, ich war Holz suchen, hätte ich später gesagt. Aber so zählt mir Tine alles Mögliche auf: Natürlich, Holz suchen, Holz hacken, Holz stapeln, dann die Wiese mähen und die Terrasse fegen.

Ich erlaube mir spontan zu seufzen. Wieder ein Fehler.

„Na hör mal“, prustet sie los, „ich hab dafür den Hausputz an der Backe. Vom Abwasch bis zum Kerzenwachs auf der Tischplatte.“

„Ich hab dich lieb“, versuche ich, sie sanft zu besänftigen. Aber das zieht heute irgendwie nicht. „Werd bloß mal nicht anzüglich“, kontert sie und gibt mir beim Aufstehen einen Kuss auf die Stirn. „Viel Spaß im Wald. Und Vorsicht mit den Wölfen, Rotkäppchen“, sagt sie noch, dann ist sie auch schon ins Haus verschwunden.

Ich bin noch am Kauen. Der Gedanke an Arbeit – dazu noch körperliche – wird mir nur ganz langsam sympathisch. Und dann ist es ja schon fast halb elf und der Vormittag drückt schon wieder so unanständig auf das Thermometer. Wenn es heute zur Abwechslung mal regnen würde, hätte ich Urlaub, denke ich. Aber es hilft ja doch nichts. Also los!

Zum Glück beginnt der Wald gleich hinter der kleinen Wiese vor unserem Haus. Kein weiter Weg also. Hier ist es angenehm kühl, zwischen den Bäumen liegen kleine Steinplatten und das Laub vergangener Winter. Ab und zu raschelt ein Frosch oder hämmert ein Specht durch die Luft. Dann lugt wieder eines dieser netten, lichtdurchfluteten Wiesenstücke zwischen den Stämmen hervor und es fehlt nur noch die Mühle am klappernden Bach, um alles ganz märchenhaft aussehen zu lassen.

Als Kind war ich oft in solchen Wäldern, mit anderen Kindern und ganz wenig Erwachsenen. Wir haben Hütten aus Ästen und Grasnarben gebaut und manchmal auch darin übernachtet. Wochenlang haben wir Laubhüttenfeste gefeiert, am Lagerfeuer gesessen und ekligen, geschmacklosen Knüppelkuchen gegessen. Ich erinnere mich, dass ich jedes Mal verwundert war, wie rauchig ganz normaler Tee schmecken kann, während ich ein paar dickere Zweige zusammensuche. Dann finde ich ein paar verästelte Stücke, verhake sie miteinander und hab so eine herrliche Schleppe, die ich hinter mir herziehen kann.

Bald habe ich genug Holz zusammen, aber noch keine Lust, den schönen Wald so schnell wieder zu verlassen. Also lass ich die Ladung einfach stehen und gehe alleine weiter. Vielleicht, weil ich schon lange nicht mehr so ungestört in der Natur war, vielleicht auch, weil mich das ganze Fachsimpeln im Alltag versaut hat, fällt mir für meine Gefühle hier mitten im Wald nur das Wort „erhaben“ ein. Es klingt ein bisschen nach Schiller und auch sehr viel nach deutscher Frömmigkeit, aber trotzdem bleibt es dabei: Nicht wie früher als rumtollendes Kind, sondern ganz gemächlich und ruhig streife ich durch den Wald, und wenn ich dabei nicht in ein paar Brennnesseln gelatscht wäre, wär ich wohl nie aus diesem „erhabenen“ Gefühlsdusel rausgekommen.

So aber juckt mir die Wade und etwas verstimmt gehe ich weiter. Eine kleine Quelle wäre jetzt nicht schlecht, denke ich und trete auf eine Wiese hinaus – und zucke zusammen, als ich plötzlich bemerke, dass ich hier ja gar nicht allein bin. Mit anderen Menschen hatte ich gar nicht gerechnet, obwohl hier doch Dorf an Dorf am Wald liegt.

Der Junge, der da auf einem Feldstein sitzt, hat mich nicht gesehen. Er sitzt mit der Vorderfront zum Tal und ich möchte auch schon weitergehen und ihn da auch gar nicht stören bei dem, was er macht, was immer das auch sein mag, da ist meine Neugier schon geweckt: Ja, was macht er denn da?

Er sitzt da ganz für sich allein, seine Schultern zucken ein bisschen – er weint. Als würde er sich genau in diesem Moment ertappt fühlen, dreht er sich um, entdeckt mich, rutscht von dem Stein und huscht über die Wiese davon.

Ich stehe einigermaßen verdutzt da. Der Junge mochte wohl acht oder neun, vielleicht auch elf gewesen sein. Wer kann das schon so genau sagen? Und wer weiß schon, was ihn da zum Weinen gebracht hat. Kinderkram eben, denke ich und wundere mich aber doch ein bisschen über meine Gleichgültigkeit.

Dann ruft mich der Wald zurück. Ich marschiere durch das dünn gesäte Unterholz, greife mir meine vollbeladene Schleppe und schleppe sie in Richtung Tine. Auf der Wiese bleibt eine breite Schneise bedrückter Halme zurück, nur nicht auf der zwischen unserem Häuschen und dem Schuppen. Dort hat sich das Moos so breit gemacht, dass sich nur ganz vereinzelt ein Grasbüschel zu zeigen wagt. Und wegen den drei Halmen muss ich ja nun wirklich nicht die rostige Sense, die unter dem Dach baumelt, aus ihrem Schönheitsschlaf aufschrecken.

Also ist jetzt Sägen und Hacken angesagt – eigentlich eine schöne Sache, wenn die Säge nicht genauso braun und stumpf wäre, wie die Sense schon aussah. Die langen Äste wippen herum, die Säge schwankt und bleibt immer wieder stecken. Ich zerre und fluche. Und donnere diese lausige Säge schließlich entnervt in hohem Bogen in die Ecke, denn es ist ja nicht so, als ob es keine Alternative gäbe: Ein mordsmäßiges Beil, wie zum Zerschlagen ganzer Mischwälder geschaffen, lehnt an der Hauswand. Natürlich ist es wie alles andere hier auch stumpf und vor seiner Zeit gealtert, aber immerhin so schwer, dass ich es mit ordentlichem Schwung auf den Hackklotz niedersausen lassen kann. Die Wucht des Aufpralls ersetzt jede Schärfe der Klinge.

Also wuchte ich das Beil hoch, lasse es krachend niedersausen und schon fliegt das Holz auseinander. So geht das eine ganze Weile. Ich halte die Äste mit der Linken, mit der Rechten dresche ich mit dem Beil drauf. Holz splittert, saust unter dem Vordach rum und ich hacke mich regelrecht in wilde Euphorie.

Aber irgendwann fühlt sich das Beil so schwer an wie ein Vorschlaghammer. Und als ich es mit links versuche, rutscht es mir weg und landet fast in meinem Bein. Ächzend und verschwitzt mache ich mich über den Rest vom Holz her, dann lade ich mir die Scheite langsam auf den Arm und sortiere sie an die Hauswand ein. Bald ist dem Stapel kaum noch anzusehen, dass wir uns dort schon zwei Abende lang bedient haben, und ich bin ziemlich zufrieden mit meiner Arbeit.

Aber dann tut mir doch der Rücken vom vielen falschen Bücken weh und ich recke diese verstaubten Knochen. Verdimmicht, was wird man alt! Die dreißig leuchtet schon am Horizont, und gleich dahinter …

Bleibt also nur noch das Fegen. Der einzige Besen, den ich unter dem Dach finde, hat keine roten Plasteborsten wie seine Kollegen von der Stadtreinigung, sondern ist aus kleinen Zweigen gemacht. Ein Hexenbesen! Als absoluter Laie tippe ich auf Trauerweide, was ja gar nicht sein kann, weil die so biegsam sind. In alten Märchen heißen solche Besen Reisigbesen und das wird wohl auch einer sein. Ich reisigbese also die Holzkrümel zusammen und beschließe, damit später ein Lagerfeuer anzuzünden. Der Abstecher im Wald hat mich auf diese Idee gebracht.

Dann reisigbese ich den kleinen Weg unter dem Dach – und wen sehe ich da, als ich auf die Terrasse komme? „Nun mussde ma wartn, Kindchen“, ruft mir Tine entgegen. „Ich mach hier de Wäsche, da fehlt mir dein Staub grad noch.“

Da sitzt sie in der herrlichsten Mittagssonne auf einem der beiden Terrassenstühle, eine Schüssel auf unseren Freiluftfrühstückstisch und rubbelt unsere T-Shirts und ein altes Stück Kernseife zwischen ihren Fäustchen. Meins soll ich auch gleich ausziehen, weil es so verschwitzt ist. Ja, ich habe gearbeitet. Da kommt der Mann von seinem schweren Tagewerk nach Hause und holt sich den verdienten Kuss.

Tine schrubbt und seift und plätschert und hängt alles, was wir in den letzten zwei Tagen getragen haben, über das Terrassengeländer. Ich sehe ihr die Mühe an und wir sind uns einig, ab heute nur noch Badehosen zu tragen. Oder gar nichts, im Notfall.

Aber dann gibt es leider doch keinen Notfall, sondern Mittag. Viel Hunger ist nicht, dafür sind wir wegen der Wärme zu schlapp. Zu der Kartoffelsuppe, die ich aus zwei Dosen befreie, gibt es wieder mal Brotscheiben und blaue Trauben. Wir sehen uns den Holzstapel und die trocknende Wäsche an und siehe, es war gut.

SECHSTES KAPITEL

So ein Mittag in der freien Natur kann ausgesprochen scheintot sein und dabei juckt es uns so in den Beinen. Also müssen wir einen Spaziergang machen, uns diese wilden Beine vertreten, die eigentlich schlafen wollen, aber nicht können. Tine packt mir den Rucksack, in den unbedingt eine leichte Decke, viel Wasser medium und etwas zu Knabbern muss. Ein Kartenspiel darf auch mit hinein. Mit einem Tuch bindet sie sich die Haare ab und sieht richtig niedlich aus. Dann geht es los, Hand in Hand durchs schöne Land. Tine summt eine kleine Melodie und ich begreife, dass wir zwei es auch in weniger als achtzig Tagen um die Welt schaffen würden. Weil wir so verdammt glücklich sind.

Der Weg, der zur Stadt führt, gabelt sich am Weizenfeld. Da geht es einmal runter nach Freibach, wohin wir aber nicht wollen, das kennen wir ja schon. Und dann geht es zwischen dem Feld entlang, nur eine Treckerspur breit ins Unbekannte. Das ist unser Weg.

Zwischen dem Weizen gehen wir schweigend entlang. Es ist eine sehr zufriedene, wenn auch etwas tiefsinnige Stille. Ich denke daran, wie schön es ist, dass wir schlendern können. Und ob Tine auch so fürsorglich wäre, wenn sie keine Krankenschwester wäre? Ich glaube schon, dann wäre sie eben eine fürsorgliche Bauarbeiterin. Aber sie wäre immer sie und das ist beruhigend.

Am Ende der Felder steht wieder Wald und davor ein Dorf, als hätte es sich verlaufen. Wir können aber nicht sofort in dieses Großliebdorf einfallen, weil uns die Kirschbäume am Ortseingangsschild aufhalten. Unten im Gras liegen erst ganz wenige matschige Kirschen und Tine breitet die Decke aus. Sie beschließt Arbeitsteilung: Ich geh auf den Baum und werfe die Kirschen herunter und Tine isst sie auf und hängt sich die Zwillinge an die Ohren, um sich in meine persönliche Kirschkönigin zu verwandeln. Und wirklich: Als ich ihr die Kirschen von den Ohren knabbern darf und die Tine auf den Mund küsse, schmeckt sie ganz richtig nach Kirschen.

Da fühle ich mich plötzlich wie am Bein beleckt, und als ich mich danach umdrehe, kriege ich fast einen Herzinfarkt. „Der tut nichts!“, höre ich von fern einen Ruf, während Tine den Übeltäter gleich ganz süß findet und seinen strubbeligen Nacken krault. Der alte Mann, der den Weg entlangkommt, stellt sich zu mir vor unsere Decke hin und freut sich, dass sich Tine und sein Hund freuen. „Wie heißt der denn?“, fragt Tine. Und der Mann sagt: „Susi.“

„Das ist schon ein ganz altes Mädchen, meine Susi“, sinniert er, aber Tine sieht ihn leicht vorwurfsvoll an. „So was sagt man doch nicht über eine Dame!“, weist sie den Mann zurecht, der erst stutzt, aber dann breit lächelt. „Die hab ich jetzt schon eine halbe Ewigkeit bei mir auf dem Hof“, erklärt er und schaut mal zu mir, mal in Richtung Dackel. Dabei sieht er aus wie ein gutmütiger Opa, schlank bis eingefallen, leicht krumm, wirres, weißes Haar, aber ein freundliches Grinsen in den Augen. So ein alter Mann, mit dem man gern auf der Bank vorm Haus schwatzt, mit dem man aber lieber nicht ins Bad geht, weil es da nach altem Witwer aussieht. Irgendwas sagt mir, dass Susi ihm beim Hausputz auch nicht gerade eine große Hilfe sein wird.

„Und Sie sind nicht von hier?“, fragt er mich aus purer Höflichkeit, weil er die Antwort ja schon weiß. Wer so viele Jahre wie er die Feldwege um Großliebdorf durchstreift, kennt ja jeden Hasen und alle Igel.

„Wir versuchen Urlaub zu machen“, meint Tine von unten und hat gleich wieder den Dackel in der Mache. „Du süßer, kleiner Wauwau, du!“, säuselt sie und knuddelt ihm die Backen.

„Urlaub in der Natur also“, stellt der Mann fest und seufzt ein erhellendes „Aha. Und haben Sie schon viel gesehen, hier rundrum?“

„Na ja“, sage ich und denke an den Wald und die Wiesen und dass das alles für den lieben Kerl hier bestimmt nicht so ein Brüller ist wie für uns. „Wir wollten gerade hier ins Dorf, uns mal umschauen …“

„Da können Sie mich begleiten, wenn Sie wollen“, fällt er mir ins Wort und schon ziehen wir zu viert in sein Großliebdorf ein.

Der alte Mann heißt Herr Riemer und wohnt hier schon seit immer. Er hat einen sehr gemütlichen Gang, weil er lange Rentenjahre Zeit hatte, ihn einzustudieren.

„Früher hieß das noch Kleinliebdorf“, macht er bereitwillig den Fremdenführer. „Aber dann kam das ganze Land an die LPG und das Dorf wurde zu Großliebdorf. Und heute – na, das sehen Sie ja.“

Und wir sehen ja. Einen kleinen Wohnpark linker Hand ins Feld gestellt, frisch geteerte Straßen, eine schöne Bushaltestelle am breitesten Stück vom Fußweg und immer wieder ein paar alte Bauernhöfe mit imposant großen Torbögen. „Ich hab als Schlosser in Rotleben gearbeitet, unten an der Bundesstraße“, erklärt Herr Riemer. „Aber auch damals hab ich immer hier gewohnt.“ Er wandert mit uns einmal durch das ganze Großliebdorf, aus Mangel an Alternativen immer auf der Hauptstraße lang. Der alte Mann hat sogar Kinder, die weggezogen sind, um ihn ab und zu besuchen zu können. Seine Frau ist schon eine ganze Weile tot, weshalb er nur noch Susi hat, und so schließt sich das Gespräch. Mehr gibt es nicht zu sagen und auch nicht zu sehen. Die Häuser glänzen in der Sonne, die Leute sind wohl alle ausgeflogen zur Arbeit, nur wir vier und …

„Guck mal“, deute ich überrascht die Straße runter. „Der Junge!“

„Was für ein Junge?“, fragt Tine, die ja eh grad nur Augen für den Hund hat. Ich aber bin völlig durch den Wind. „Das ist der Junge, den ich heute im Wald gesehen habe.“

Herr Riemer kneift die Augen zusammen. „Das ist vom alten Schäfer Kanitz der Enkel. Michael Kanitz. Hat es auch nicht leicht.“

Das will ich genauer wissen, aber Herr Riemer winkt nur ab. „Das ist wieder eine ganz andere Geschichte“, sagt er und ist bald am Ende seines Rundgangs angelangt. Wir stehen vor seinem Haus. „Wenn Sie mal wirklich was von der Natur sehen wollen, dann können Sie ja mal mit auf meinen Hochstand kommen“, lädt er uns zum Abschied ein. „Wenn man Glück hat und Susi die Schnauze hält, ist das eine ganz schöne Sache.“

Tine ist gleich hellauf begeistert, schon allein, weil sie so das Hundchen noch mal wiedersehen kann, von dem sie gar nicht mehr loskommt. Wir sagen also zu. „Am nächsten Freitag wäre gut, treffen wir uns vorn an der Weggablung, so gegen zehn.“

Damit ist es abgemacht. Der alte Mann stellt sich ordnungsgemäß an sein Gartentor und winkt uns nach. Und wir drehen uns immer mal um und winken zurück, bis die Hauptstraße einen Bogen macht und wir uns aus den Augen verlieren.

Tine ist ganz vergnügt, weil wir uns so gut unterhalten haben, die Mädchen für sich und die Männer für sich. Und fragt mich immer wieder, ob ich nicht auch die Susi anstandslos toll fände. Und ob ich mir gemerkt hätte, wann und wo wir uns am Freitag treffen. Und was wir wohl mitbringen sollten? „Bestimmt keinen Wein, den mag er ganz sicher nicht, oder?“ Ja, lieber oder. Wir haben ja noch Zeit für andere Ideen.

Ich klettere noch einmal auf einen der Kirschbäume, um die Versorgung für unsere Rückreise zu sichern, und dann laufen wir zwischen dem Getreide entlang.

„So nachdenklich, Kindchen?“, meint Tine in unser Schweigen hinein.

„Mir geht der Junge nicht aus dem Kopf“, gestehe ich. „Was wohl mit dem los ist? Herr Riemer hat so komisch getan.“

„Ach ja?“, macht sie halb zärtlich, halb voll bitterer Ironie. „Dir geht der Junge nicht aus dem Kopf?“

„Na ja“, gebe ich zu, „irgendwie interessiert mich das.“

„Da weiß ich aber, wie wir dir helfen können“, sagt sie mit einem plötzlichen Elan und spaziert schnurstracks mit ihren Schlappen vom Weg ab. „Komm!“, ruft sie und schon tauchen wir in ein gelbes Meer aus haarigen Halmen, haben die Decke unter uns gelegt und sind im Korn verschwunden. Nur die Sonne sieht uns hier und brennt ihre Initialen auf unsere Haut. Nach einer halben Stunde müssen wir da weg, weil es unerträglich wird. Aber spannend war es trotzdem. Oder gerade deswegen. Wir müssen ja noch so viel erleben, und wenn wir unsere Wunschlisten miteinander vergleichen, wissen wir manchmal nicht, ob wir das alles zeitlich schaffen in unserem einen Leben. Wie gut, dass wir uns schon so jung gefunden haben!

SIEBENTES KAPITEL

Nach dem Baden und dem Abendbrot greift Tine in das kleine Bücherregal im Wohnzimmer und fischt eine alte Schwarte hervor. Dann wachsen wir uns unterm Dach zwei Kerzen auf einen Teller und ziehen die leeren Deckenbezüge über die Unterwäsche. Lesestunde ist angesagt. Tine will darüber zum Einschlafen kommen, weil sie eigentlich noch nicht richtig müde ist, aber Böll macht uns mit seinen Ansichten eines Clowns ganz traurig und deprimiert. „Ich dachte, da geht es um einen Zirkus oder so“, sagt Tine enttäuscht und legt das Buch schon nach der zweiten Seite wieder beiseite.

Da dümpeln wir nun also im Dachboden auf drei Matratzen verteilt rum, sind jung und frisch gebadet und könnten eigentlich zufrieden sein, aber uns liegt da leider diese halbe Liebesgeschichte vom ollen Böll im Magen. Und wie geht das mit uns mal weiter, lautet die böse Frage, die plötzlich unausgesprochen im Raum steht.

Und dabei hatten wir uns so fest vorgenommen, nur in ganz besonderen Ausnahmen an die Zukunft zu denken! Weil sie ja sowieso von ganz alleine kommt, egal, was wir über sie denken. Also wollen wir in den Tag hinein leben und uns keine Gedanken um uns machen, besonders nicht im Urlaub.

Das ist aber nicht immer leicht, gerade am Abend, wenn da so viel zwischen uns ist, dass es doch irgendwie mal gesagt werden muss, auch wenn uns die Worte dafür fehlen. Nur dass es etwas Großes ist, das wissen wir ganz bestimmt. Und dass es manchmal wehtut, auch weil es so groß und bedeutend ist. Wenn dann noch Bölls schwere Geschichte kommt, können wir gar nicht anders, als durch das dünne Tuch, das die Mücken fernhalten soll, über den Balkon und zum Mond hin verträumt zu gucken. Und dann fragen wir doch heimlich die Zukunft, was sie mit uns beiden vorhat, und wir bekommen ein bisschen Angst, weil sie nicht antwortet.

Die Stimmung kippelt bedenklich und ich kann mich nicht aufraffen, mich aufzuraffen. Da kitzelt mich Tine zum Glück in die Seite und ich muss wegzucken, wenn es stubenrein bleiben soll. Ich kitzle zurück, wir stänkern und zucken herum und lachen und da erwische ich den Kerzenteller mit dem Fuß. Tine schreit spitz auf, ich beuge mich über die züngelnden Flammen, puste kurz und wir sind in Sicherheit und im Dunkeln.

„Erst haust du die Kerzen um und dann löscht du den Flächenbrand“, stellt Tine verwundert fest. „Kindchen, Kindchen, da weiß ich jetzt vor Schreck gar nicht, ob ich dich loben oder in die Ecke stellen soll.“

„Ist ja nur ein kleiner Sachschaden“, beruhige ich sie und knauple mir das Wachs von den Fingern.

„Hm“, macht sie und ich höre, wie sie sich unter der Decke zurechtlegt. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die halbdunkle Bude.

„Auf jeden Fall bin ich jetzt wieder hellwach“, sagt sie nach einer Weile. Ich nicke gedankenversunken vor mich hin. Da fällt mir der Haufen Holzspäne ein, den ich am Mittag zusammengekehrt habe. Das Lagerfeuer!

„Du bist wo n bissl verrückt?“, fragt Tine ungläubig. „Hatten wir nicht grad eben Brand genug?“ Aber ein Stückchen will sie es schon wahrhaben.

„Komm“, bitte ich sie mit Hundeblick im Dunkeln und schmuse mich an sie heran, „wir können auch Brot rösten und was singen.“ Tine rappelt sich auf und ist gewonnen. „Na gut“, erklärt sie sich bereit. „Dann machen wir aber gleich richtig durch. Und ohne Singen, sonst verlass ich dich.“

Während sich Tine einen Pullover aus dem Klamottenberg sucht, bin ich schon auf der Terrasse und schichte eine hölzerne Pyramide zusammen. Nach dem kleinen Vorfall am Bett besteht Tine auf einen Eimer Regenwasser in der Nähe. Und weil ihr der Schreck doch noch ein bisschen in den Gliedern steckt, suche ich zur Sicherheit noch ein paar Sandsteine zusammen, die ich um das Holz kränze. „Nun reicht’s aber!“, befehle ich und Tine nickt demütig. Und rückt sogar ganz bereitwillig ihr Magazin raus, das nun als Feueranzünder herhalten muss. „Aber nicht die Seite mit den Sudokus“, sagt sie nur, „die hab ich noch nicht gemacht.“

Aber Tines entgleiste Bekannte taugen nicht zum Verfeuern. Die beschichteten Seiten vom Magazin kräuseln sich zusammen, die Flamme ist zu schwach. Ich denke an Böll, der bestimmt gut Zunder macht. Aber wir dürfen doch nicht jemand so Trauriges auch noch verheizen. Während ich noch etwas nachdenklich in der Landschaft stehe, wird Tine langsam ungeduldig. „Mach doch keene Wissenschaft draus, Kindchen!“, fordert sie schließlich. „Wie hasten Ofen anjemacht?“

„Mit Laub.“

„Na – und? Dann stell dich doch nicht so an.“

Also stell ich mich ab und eigentlich hat sie ja auch recht. Suche also etwas Laub zusammen, kokle ein bisschen vor mich hin und kurz darauf brennt die Terrasse kontrolliert ab. Tine legt ein paar Decken vor dem Haus aus, mummelt uns ein und dann gibt’s Wein und Röstschnitte am Spieß. Wir starren in die Flammen und bechern dabei, und flascheln schließlich. Tines Küsse schmecken erst nach lieblichem Dornfelder, dann nach irgendwas Fruchtigem aus Moldawien. Das Etikett kann ja kein Mensch entziffern, aber darauf kommt es ja auch nicht an.

Dann, als der Mond immer mal halbwegs von langsam vorbeiziehenden Wolken verdeckt wird, kommt die Zeit der Gruselgeschichten. Bei Tine geht es um sehr viel Dunkelheit und wenig Rettung, ich verlaufe junge Mädchen im Wald und böse Männer mit aufblitzenden Messern stechen immer daneben, um es spannender zu machen. Zum Schluss bin ich mir ganz sicher, dass so ein Dunkelmann oben in unserem Schuppen wohnt, und beschließe, demnächst dort mal nachzusehen. Tine lacht sich Mut an, auch über meine dämlichen Witze, und trinkt fleißig weiter. Den Frühburgunder macht sie fast im Alleingang nieder, als ich Holz nachlegen bin. Und dann ist sie so in Schwung geraten, dass sie gleich noch eine Flasche namens André entkorkt.

Das Brot knackt zwischen unseren Zähnen und krümelt uns unter die Deckendekolletés. „Trocken Brot macht Wangen rot“, kichert Tine albern in sich hinein. Und dann singen wir doch noch ein bisschen. Bob Dylan sitzt zwischen uns und hat auch Carole King mitgebracht, schade, dass ich nicht Gitarre kann. Wir singen mit halblauter Stimme, legen Scheit um Scheit nach, und wenn mal einer pinkeln muss, schwankt er verdächtig in die Nacht.

Irgendwann können wir nicht mehr singen, weil unsere Kehlen schlapp sind und uns die Texte ausgehen. Wir sacken zusammen wie zwei alte Indianer auf Nachtschicht. Fehlen nur noch die Pferde auf der Koppel und ein Little Bighorn im Hintergrund. Das Feuer prasselt vor sich hin, wird immer kleiner und kleiner und die Augen werden mir schwer. Wir lehnen nicht mehr aneinander, sondern sind zur Seite gerutscht, bis wir gemütlich zwischen Haus und Feuer liegen. Starren aus halboffenen Augen in die rote Glut und irgendwie glaube ich nicht, dass wir den Sonnenaufgang noch sehen werden.

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