Kitabı oku: «Männerblues», sayfa 3
MONTAG
Am Frühstückstisch herrschte eisiges Schweigen, nur das Knacken der frisch aufgebackenen Brötchen war zu hören. Thamm hätte gern mit Anja geredet, einfach nur, um sie wissen zu lassen, dass von seiner Seite aus eigentlich alles klar war. Aber nach den drei Stunden Schlaf, die er nach dem Einsatz noch abbekommen hatte, kriegte er jetzt echt nicht die Gusche auf. Da half auch kein Kaffee.
„Hast du deine Klamotten wenigstens gleich in den Wäschekorb gehauen?“, fragte Anja nun.
„Klar.“
Ein Grummeln von ihr, auf das er lieber nicht einging.
„Du hättest echt mal noch schnell duschen können. Das ganze Schlafzimmer stinkt jetzt nach Rauch.“
Sie wollte es aber auch wirklich wissen, dachte Thamm gereizt. „Das hätte ich machen können, Schatz“, meinte er mit sarkastischer Liebenswürdigkeit. „Aber dann wärst du vielleicht noch mal aufgewacht und das wollte ich doch nicht – Schatz. Und außerdem war ich hundemüde und wollte einfach nur in die Federn, okay?“
Wieder ein Schweigen. Thamm schnitt ruppig ein zweites Brötchen auf, Anja sah an ihm vorbei zum Fenster hinaus. Aber gerade diese Gleichgültigkeit machte ihn fertig, auch wenn sie nur gespielt war. Im Grunde wussten sie doch, woran sie miteinander waren. Warum konnten sie das nicht einfach rauslassen?
„Am Bahnhof gab’s einen Großbrand“, erzählte Thamm und kam sich selten dämlich vor. Aber wie sollte er sonst mit Anja ins Gespräch kommen? Ihm fiel keine bessere Alternative ein.
„Einen Toten haben wir jetzt auch, und das BKA am Hals. Also gleich mal zum Wochenanfang das volle Programm.“
Thamm wartete auf eine Reaktion, doch Anja hielt den Blick gesenkt, während sie ihr Brötchen bestrich, sodass er nicht schlau aus ihr werden konnte. Endlich raffte sie sich auf.
„Benni hat in der letzten Nacht noch mal eingemacht“, sagte sie tonlos. „Das volle Programm, auch bei mir. An der Windel vorbei und das rechte Bein runter. Der Strampler war durch und sein Schlafsack auch.“
Thamm bemühte sich, sein Brötchen mit Appetit zu essen, doch je langsamer er es zerkaute, desto mulmiger wurde ihm. Solche Themen konnten echt nur Krankenschwestern zum Frühstück bringen.
„Und“, fragte Anja nun und sah ihn gelangweilt an, „interessiert dich das?“
Was kam jetzt, dachte Thamm gespannt. Abschätzend kniff er die Augen zusammen. „Hm“, machte er langsam. „Um ehrlich zu sein, nicht unbedingt.“
„Siehst du“, sagte Anja, und die süße Freundlichkeit ihrer Stimme kam ihm irgendwie vertraut vor, „und genauso wenig interessiert mich dein Kram.“
„Boah“, entfuhr es Thamm überrascht – und musste kichern. „Mann, hast du den gut ausgespielt“, prustete er hervor. Anja verzog nun auch das Gesicht zu einem Grinsen. Dann warf sie ihm das Küchentuch rüber. „Das ist für all die Gemeinheiten, die du gestern Nacht vom Stapel gelassen hast!“
„Du!“, drohte Thamm scherzhaft und stand auf.
„Nein!“, kreischte Anja und kugelte sich zusammen, doch es half ihr nichts. Thamm hatte sie schon gepackt und hochgehoben und trug sie jetzt wie eine gemachte Beute auf seine Seite vom Tisch. Dort hielt er sie auf seinen Schoß fest, da konnte sie ihn noch so sehr boxen, wie sie wollte. Zum Schluss fiel sie ihm lachend an den Hals, er aber schob sie mit dem Kopf nach vorn und gab ihr einen langen Kuss. „Du bist echt unmöglich“, rief sie aus, als sie sich losgemacht hatte, und versetzte ihm einem leichten Klaps auf die Schulter.
„Und du?“, fragte er empört, während sie sich ihr Brötchen angelte.
„Ich bin immer lieb“, meinte Anja und sah ihn von oben herab an. „Oder kannst du dich etwa beklagen?“
„Na hör mal“, maulte Thamm. „Was war das eben mit Gemeinheiten von letzter Nacht? Ich kann mich an nichts erinnern.“
„Na dann pass mal auf, Sportsfreund“, drohte Anja, schob seinen Teller weg und setzte sich auf den Tisch, ihm gegenüber. „Zuerst einmal“ – sie hielt ihm ihren Daumen hin – „magst du meine Mutter nicht.“
„Das ist ein alter Hut und nicht erst von letzter Nacht!“, wehrte Thamm ab, was Anja böse auflachen ließ.
„Und dann“ – und dabei zückte sie ihren Zeigefinger – „wolltest du sie in eine Pension stecken!“
„Und da war ich noch nett“, wandte Thamm ein, „wo doch das , Kleeblatt‘ gleich um die Ecke ist.“
Anja stieß aufgebracht mit dem Fuß nach ihm. „Ins Altersheim? Unglaublich! Aber warte nur, Freundchen, du kriegst noch die gerechte Strafe.“
„Glaube ich auch“, lachte Thamm übermütig. „Und ich wette, sie kommt irgendwann jetzt den Vormittag mit dem Zug, richtig?“
„Komplett falsch“, triumphierte Anja. „Mama hat heute noch einen Arzttermin und kommt erst später. Und rate mal, wer sie nach Feierabend vom Bahnhof abholen darf?“
Thamm verzog leidend das Gesicht. „Das war ein ganz und gar unlauterer Tiefschlag“, klagte er wehleidig und griff sich seine Tasse, als könnte der zuckrige Kaffee die Vorstellung an seine nahende Schwiegermutter versüßen.
„Glaub mir, Mama freut sich genauso sehr auf dich wie umgedreht“, sagte Anja lapidar. „Sie kann es dir nur nicht so richtig zeigen, weil du ihr einen Enkel gemacht hast und deshalb einen riesigen Stein bei ihr im Brett hast – und das wird sie dir nie verzeihen. Aber mal im Ernst: Schaffst du das heute Nachmittag? Der Zug kommt kurz vor halb vier.“
„Dann bin ich pünktlich um vier am Bahnhof “, meinte Thamm und lächelte sich dabei einen ab.
„Quatschkopp!“, sagte Anja liebevoll und rutschte vom Tisch runter, ehe Thamm sie packen konnte. „Jetzt ist aber mal Schluss mit dem ganzen Rumgemehre!“, legte sie sich ihren Kommandoton an. „Ich will wenigstens noch mal durch alle Zimmer saugen, bevor Mama kommt, und die Bäder machen. Und du musst doch auch mal langsam in die Spur, oder? Überstunden sind heute nicht drin, sag das Stefan gleich, nicht dass es dann wieder heißt, es ging nicht anders. Oder sag es Jette, die hat noch am ehesten den Durchblick in eurem Saftladen.“
„Hey, hey, hey Frau Ullrich, das grenzt ja fast schon an Beamtenbeleidigung, was Sie hier von sich geben“, rief Thamm, aber es half nichts. Anja nahm ihm die Kaffeetasse ab und drängte ihn aus der Küche. Sogar als er sich im Flur nach den Schuhen bückte, schupste sie ihn leicht fort. „Du kehrst mich ja regelrecht raus“, stellte Thamm verblüfft fest.
„Ordnung muss sein“, meinte Anja streng und öffnete ihm schon mal die Tür. „Ach herrje!“, rief sie da betroffen aus, „guck dir das mal an!“
Thamm war sofort an der Tür …
„Die schönen Blumen!“
Das konnte echt nur von einer Frau kommen, dachte Thamm. Für einen Moment hatte er schon sonst was gedacht, aber Blumen … Blumen!
„Ach Mann, dieser blöde Platzregen hat alle Blüten zerhauen. Jetzt hab ich die alle umsonst gesetzt, die ganze Hausseite ist im Arsch.“
„Kommen die nicht nächstes Jahr noch mal?“, versuchte Thamm zu trösten.
„Woher soll ich das wissen?“, fragte Anja. „Und was ist bis dahin? Ach, die Woche fängt ja super an.“
„Wem sagst du das“, stimmte ihr Thamm zu. „Ich starte heute mit deiner Mutter in den Feierabend.“
„Und tschüss“, seufzte Anja, die den Kopf noch voller Blumen zu haben schien, sodass jetzt kein Platz mehr für Thamm und ihre Mama war, und warf die Tür hinter sich ins Schloss.
„Zum Glück haben wir einen Jungen und nicht auch noch eine Tochter – drei Weiber von der Sorte, das wäre echt der Kracher“, murmelte Thamm vor sich hin und betrachtete die Blumen. Wie man sich über so ein bisschen Grünzeug so dermaßen aufregen konnte, war ihm absolut nicht einleuchtend. Geranien, Primeln, Orchideen? Er hatte absolut keine Ahnung von diesem Gemüse. Aber gerade, als er zu seinem Rad gehen wollte, stach ihm etwas ins Auge. Irgendetwas stimmte mit den Blumen nicht. Die Blütenköpfe lagen zwar in einem heillosen Durcheinander über die ganze Breitseite verteilt, aber die Hälse – ja, das war’s, was Thamms Aufmerksamkeit erregt hatte! Die Hälse waren akkurat geteilt worden. Das war eindeutig nicht vom Regen gekommen, da hatte jemand nachgeholfen, das waren Schnittkanten! Aber wer sollte so was machen?
Sicher irgend so ein Rotzer aus der Nachbarschaft, dachte Thamm. Was hatte die Schrapnelle von gestern gesagt? Die jungen Leute aus der Fieselerstraße. Nachdenklich machte er ein paar Schritte durch das Blumenbeet, damit die Hälse nun wirklich so aussahen, als ob Wind und Wetter sie umgehauen hätten. Nichts sollte Anja unnötig aufregen.
Jette ließ die Zeitung auf ihren Schoß fallen.
„Du brauchst gar nichts zu sagen, ich weiß schon Bescheid.“
Thamm sah sie staunend an. „Doch nicht etwa aus der Zeitung, oder doch?“
Sofort bildeten sich kleine Fältchen auf Jettes Stirn. „Aber nicht die, Landpostille‘! Vielleicht Morgen.“
„Wohl eher übermorgen, immer das Neuste“, warf Wolff belustigt ein.
„Nein, es lief im Radio rauf und runter auf der Herfahrt. Großbrand in Merseburg, unglaublicher Sachschaden. Und der Hammer: eine Leiche in einem der abgefackelten Autos. Ich war also bestens informiert, noch bevor ich Stefan eingesackt habe. Und dann wusste ich es ganz sicher: Heute wird so ein richtig beschissener Tag.“
Thamm nickte verständnisvoll. „Hat er es also inzwischen geschafft, ja? Geht er dir auch langsam auf die Nerven?“
„Wie witzig“, meinte Wolff leicht gereizt, aber Jette lachte nur auf.
„Klang das so, als wär Stefan gemeint?“, fragte sie in die Runde.
„Na, guten Morgen“, meinte Wolff mit Nachdruck.
„Hey, das war nicht so … ich meinte die Arbeit, ist doch klar. Ihr habt einen neuen Fall und ich hab wieder die übliche Rennerei. Und ein kaputtes Auto. Und das alles gleich am Montag.“
„Dein Auto ist hinüber?“, hakte Thamm nach.
Stefan sprang ein. „Ich würde ja sagen, es ist die Bremsflüssigkeit. Oder so was in der Richtung. Egal, irgendeine Flüssigkeit läuft jedenfalls aus und die Kiste springt nicht mehr an.“
„Drei Meter vor der Wache. Zum Glück hatte ich Stefan dabei, der hat mir die olle Kiste an den Straßenrand geschoben. Die von der Werkstatt schicken einen rum, aber nicht vor zwei“, ergänzte Jette. „Was ganz gut passt, da kann er mich gleich auch mit abschleppen – nicht so, wie ihr denkt. Nicht, dass jetzt wieder was falsch ankommt.“
„Und wie kommst du zurück?“, fragte Thamm, an Wolff gewandt. Der zuckte mit den Schultern. „Taxi?“
„Quatsch, ich nehm dich mit. Aber wir müssen pünktlich hier raus und noch einen kleinen Umweg machen.“
„Von mir aus“, meinte Wolff. „Und damit sind wir auch gleich beim Stichwort, Arbeit. Wir haben gerade eben schon mal so grob die Lage sondiert, rumtelefoniert – du weißt schon, das Übliche. Aber es sieht alles noch recht verhalten aus. Jette hatte vor zwei Minuten die Spusi dran, aber die meinten, die Autos müssten erst richtig auskühlen, bevor da groß was zu machen sei. Nur so viel: Bislang sieht’s eher mau aus mit Indizien. Wir brauchen uns also keine allzu großen Hoffnungen aus dieser Richtung machen.“
„Klar“, meinte Thamm, das hatte er sich schon in der Nacht so einigermaßen gedacht. Von daher haute ihn jetzt diese Absage nicht sonderlich um. Wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn sich nach diesem Brand noch irgendwelche verwertbaren Spuren an den Wagen finden lassen würden. Aber zumindest die Identität des Toten sollte doch drin sein. „Und sonst?“, fragte er Jette, die ja immerhin den besten Überblick über die hier zusammenlaufenden Infos hatte. Und als hätte die Sekretärin nur darauf gewartet, stieß sie sich schwungvoll von ihrem Schreibtisch ab und rollte auf dem Drehstuhl quer durch das kleine Büro zu der Aktenablage im Regal. Mit einem dünnen Dossier kam sie gleichermaßen voller Elan zurückgeschwebt. „Hier ist alles drin“, erklärte sie und überreichte Thamm den Ordner mit großer Geste. Neugierig schlug er ihn auf.
„Aber … der ist ja leer!“, bemerkte er überrascht.
„Ja, was hast du denn gedacht?“, konterte Jette schnippisch. „Ich kann doch nicht vier, fünf Stunden danach schon eine komplette Akte zusammenhaben. Und noch eine halbe Stunde nach Dienstbeginn. Ein bisschen müsstet ihr Jungs dann doch selber machen. Und ihr könnt gleich damit anfangen. Krause bittet euch zu Tisch. Wann, ist egal, meint er, der Bericht sei auf jeden Fall schon fertig.“
„Genau, das wär’s noch gewesen, was ich dir noch zu sagen hatte“, stimmte Wolff ihr schnell zu. Mit einem Ruck löste er sich von dem Schrank, an den gelehnt er gestanden hatte. „Soll ich das schon mal in Angriff nehmen?“
Thamm sah seinen Partner prüfend an. Warum so enthusiastisch? Eine nette Geste oder ein Putschversuch? Aus Wolffs harmlosem Gesicht wurde er nicht schlau. Okay, Thamm tat sich ein bisschen schwer damit, in Krauses Katakomben zu steigen – und was ihn heute da erwartete, darauf hatte er ja schon vor Kurzem einen ersten Blick werfen können – aber das war noch lange kein Grund, ihm das Zepter aus der Hand zu nehmen und hier den Arbeitswütigen zu markieren.
„Nee, lass mal“, meinte Thamm kurz angebunden. „Das machen wir lieber zu zweit.“
„Ganz wie du willst“, gab sich Wolff zufrieden.
„Ja“, setzte Thamm nach. Noch gab er hier den Ton an. Einen Augenblick lang trommelte er nachdenklich auf die leere Akte, dann gab er sie Jette wieder zurück. „Also schön“, sagte er langsam, „dann statten wir dem Kellergeist gleich mal einen Besuch ab. Und du, Jette … wir bräuchten den Einsatzbericht von der Feuerwehr und aus dem Archiv eine Zusammenstellung zu ähnlichen Fällen im Landkreis und … hm … ja, doch, das Ganze auch aus dem Burgenlandkreis, dem Leipziger Raum und was so auf der thüringischen Seite angrenzt.“
„Na schönen Dank auch“, seufzte Jette, „über die Landesgrenzen faxen und sich durch deren Zuständigkeiten betteln – ich sag’s ja: Heute wird ein richtig beschissener Tag.“
„Wem sagst du das“, murmelte Thamm vor sich hin. „Aber was soll’s. Kommst du, Stefan?“
Wolff machte sich nun endgültig los von der Schrankwand und folgte Thamm auf den Flur.
„Hey, Herr Kommissar, ich wollte dich vorhin wirklich nicht ausbooten … “, brach er das Schweigen, als sie schon die Treppe runter zum Erdgeschoss hinter sich gebracht hatten. Aber Thamms Ärger war längst verflogen. „Schon gut“, sagte er nur. In Gedanken war er schon bei Krause unter Tage, bei dieser schwarz verstümmelten Leiche. Ein hoffentlich kurzes Gespräch, dann noch schnell den Bericht für die Akte abgreifen und die Sache war gegessen. Mit etwas Glück war das in einer halben Stunde locker erledigt und dann ginge es schwungvoll weiter in den Fall – da kam Thamm plötzlich eine Idee.
„Warte mal kurz“, rief er Wolff zu, „ich komme gleich zurück.“
Als er das Sekretariat erreicht hatte, zog er die Tür hinter sich ins Schloss. Jette sah verwundert auf, denn dass hier jemand ihr Büro verschloss, kam eher selten vor.
„Nanu?“, fragte sie, „was vergessen?“
„Ja, eine Kleinigkeit. Und nicht ganz … “ Thamm suchte nach dem passenden Wort. „Sagen wir: nicht ganz … auf dem Dienstweg. Hier strolcht so ein Typ vom BKA durchs Haus, Möllering heißt er. Versuch doch mal, über den etwas rauszubekommen. Aber unauffällig, ja?“
„Einer vom BKA? Na toll! Und wie soll ich das anstellen?“, fragte Jette perplex.
Das wusste Thamm auch nicht so richtig, aber das musste er ja Jette nicht noch auf die Nase binden. „Dir wird schon was einfallen“, meinte er nur und trat wieder raus auf den Flur, wo irgendwo am anderen Ende hinter der Treppe Wolff auf halbem Weg in Richtung Pathologie auf ihn wartete.
Krause hielt die Atemschutzmasken schon bereit.
„Die helfen zwar auch nicht viel, ist aber immer noch besser als ohne“, erklärte er unbekümmert. „Wenn ihr schon mal ein Schwein geschlachtet habt, dann wisst ihr ja, wie bestialisch die versengten Borsten stinken können – und hier ist noch ein bisschen mehr draufgegangen. Und wenn nicht, dann bekommt ihr jetzt gleich eine komprimierte Geruchsprobe davon. Also immer hereinspaziert in die gute Stube.“
Mit diesen Worten machte Krause einen Schritt zur Seite und gab endlich die Tür frei für die beiden Kommissare, die er nun in seinen unterirdischen Seziersaal führte.
„Ganz ehrlich, so einen knusprigen Kollegen hatte ich lange nicht mehr auf dem Tisch“, setzte er dabei seinen Monolog fort. „Das letzte Mal ist bestimmt schon mehr als zehn Jahre her, ein Unfall auf der A 9. Hässliche Sache. Hat genauso gestunken wie der hier, war aber bei Weitem nicht so verkohlt. Ich persönlich ziehe ja Wasserleichen vor. Die beiden aus dem letzten Sommer waren nicht schlecht. Die stinken zwar auch, aber doch ein bisschen angenehmer. Wie ein ganz modriges Rasierwasser. Komisch, das erinnert mich jedes Mal an früher. Weiß nur nicht, warum eigentlich. Hat aber was, auf jeden Fall. Aber na ja, meine Herren“, dozierte Krause munter weiter, „es ist wohl nicht an uns zu beeinflussen, wer hier wie auf den Tisch kommt.“
Damit zog er unvermittelt das grüne Laken von der Pritsche und betrachtete einen Moment lang in aller Ruhe und beinah schon liebevoll den toten, entstellten Körper, der nun zum Vorschein gekommen war.
„Ich hol euch mal den Bericht“, sagte Krause dann, und im Vorbeigehen zu Thamm: „Durch den Mund atmen, da riecht es am wenigsten.“
Tatsächlich war Thamm ziemlich flau um den Magen. Aber selbst Wolff, der sich doch noch am Autowrack so übermütig an die Leiche geschmissen hatte, wirkte jetzt und hier wesentlich zurückhaltender. Lag wohl an dem grellen Neonlicht, dachte Thamm, das die gesamte Verstümmelung, die das Feuer angerichtet hatte, um einiges klarer herausstellte, als es das bisschen Nachtbeleuchtung geschafft hatte. Und dann noch der widerwärtige Gestank, der mit voller Härte durch das bisschen Mull der Atemmaske drang. Draußen am Bahnhof hatte er sich noch über das ganze weite Areal verteilen können, war tausendfach mit allen möglichen anderen Gerüchen vermischt und abgeschwächt worden. Aber hier, im geschlossenen Raum, kam er voll zur Geltung. Die ganze Luft war verpestet, es roch nach nichts anderem mehr als nach verbranntem Fleisch.
„Na dann mal los“, meinte Krause, als er mit dem Bericht in der Hand zurück von seiner Schreibtischecke kam. „Mal sehen, was haben wir denn da? Wisst ihr, der andere Vorteil von Wasserleichen ist, dass die viele überschüssige Feuchtigkeit den Körper aufschwemmt. Dadurch wird alles ein bisschen größer – wie bei einem Gummibärchen, das über Nacht in ein Wasserglas gelegt wird. Bei einer Brandleiche dagegen verschnurtzelt so ziemlich alles, drinnen und draußen. Und dementsprechend schwerer lässt sich der Körper eben untersuchen.“
Kam der denn gar nicht zu Potte, fragte sich Thamm voller Selbstmitleid. Krause erging sich in lauter überflüssiger Fachsimpelei, was nicht gerade dazu beitrug, dass es hier mal vorwärtsging. Und Thamm endlich wieder abziehen konnte – er musste dieses sinnlose Geplänkel abkürzen.
„Und der Tote – ist also an den Verbrennungen gestorben?“, fiel er Krause unverblümt ins Wort. Der Pathologe dankte es ihm mit einem giftigen Blick.
„Wahrscheinlich“, meinte er angesäuert.
„Was soll das heißen?“, schaltete sich nun auch Wolff in das Gespräch ein.
„Darauf wollte ich ja die ganze Zeit hinaus“, grummelte Krause verstimmt und pochte ohne jede Hemmungen auf den schwarzen Brustkorb der Leiche. „Die Lunge hier sagt, dass er noch geatmet hat, als der Brand anfing. Spricht für eine Verbrennung oder eben Vergiftung durch die Rauchentwicklung – also auf jeden Fall für das Feuer als primäre Todesursache. Die Pumpe aber“ – Krause klopfte nicht weniger hart auf eine andere Stelle der Leiche, ein Stück weiter oben – „die sagt mir gar nichts.“
Er genoss die verständnislosen Blicke der Kommissare. Thamm durchschaute das Zögern des Pathologen zuerst. „Soll heißen?“, forderte er ungeduldig.
„Soll heißen, die könnte entweder durchgehalten haben bis zuletzt oder noch auf dem letzten Drücker schlappgemacht haben. Dann wäre der Brand nur die sekundäre Todesursache, die eigentliche dann ein Infarkt oder so was in der Preisklasse. Also kurzum Herzversagen. Eine kleine Fußnote für den Bericht, was aber am Endergebnis nichts ändert. Der Kerl ist so und so verbrannt. Mehr lässt sich dazu nicht sagen.“
Nun trat Wolff doch mal einen Schritt näher an den Toten heran. „Gestern hast du was von Fesseln gesagt“, erinnerte er Krause. „Wie sieht es denn damit aus?“
„Bestens“, ging der sofort darauf ein. „Rückstände von solchen Fasern fanden sich bei der eingehenderen Untersuchung nicht nur am Hals, sondern auch an beiden Handgelenken. Siehst du?“
Krause bog einen der Arme und hielt ihn Wolff vors Gesicht. „Schon gut“, rief dieser und wich zurück. „Ich glaub’s dir ja.“
„Du hast danach gefragt und ich hab’s dir halt nur zeigen wollen“, meinte der Pathologe lapidar. „Insgesamt sieht es also so aus, als ob unser Freund hier am Autositz fixiert wurde. Eigentlich gar nicht mal so dumm – so konnte der oder die Täter sichergehen, dass das Opfer schön sitzen blieb, ohne dass jemand dabeibleiben musste und vielleicht noch Verdacht auf sich lenkte.“
„Das ist ja alles ganz schön und gut“, meldete sich nun Thamm aus dem Hintergrund zu Wort. Ihm stank es gewaltig, wenn sich der Pathologe am Ermitteln versuchte. Da brauchte Krause immer mal wieder eine Klatsche, damit er sich nicht vergaß. „Aber warum das Seil um den Hals? Bist du dir sicher, dass er nicht erdrosselt wurde?“
Krause schüttelte heftig den Kopf. „Unmöglich, der Kehlkopf ist vollkommen intakt. Bis auf die Brandsache. Soll ich’s dir zeigen?“ Mit einem bitteren Lächeln wehrte Thamm die Offerte ab.
„Vielleicht lässt sich das ganz einfach erklären“, vermittelte Wolff. „Das Opfer hätte sich andernfalls nur nach vorn auf das Lenkrad lehnen müssen, um die Hupe zu drücken und damit Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das wusste der Täter zu verhindern.“
„Leuchtet ein“, gab Thamm zu. Aber das machte den Kohl auch nicht gerade speckig. Bis jetzt war an der Leiche nicht sonderlich viel dran, er spürte noch nicht die Herausforderung. Kritischen Blicks ging er nun auch ein Stück weit auf die Pritsche zu. „Willst du uns noch irgendwas sagen, Ötzi?“, murmelte er vor sich hin, und dann lauter, an Krause gewandt: „Gibt es sonst noch was?“
Der Pathologe nickte emsig. „Dazu müssen wir ihn aber erst mal umdrehen, wenigstens auf die Seite. Fasst du mal mit an?“
„Wenn du mir Handschuhe gibst!“
„Ach Till, hast du dich vielleicht memmig!“, ächzte Krause. „Der ist so verkokelt, da trauen sich auf Wochen keine Bakterien ran.“ Aber Thamm blieb dabei und so schob Krause kopfschüttelnd über diese ihm anscheinend völlig fremden Berührungsängste ab, um gleich darauf mit vier labberigen Handschuhen zurückzukommen. „Gleich noch welche für die andere Mimose“, seufzte er und drückte auch Wolff ein Paar in die Hand. „Sonst noch irgendwelche Wünsche?“
„Du wolltest uns was zeigen“, mahnte ihn Thamm sanft. Krause war aber auch alles andere als bei der Sache. Wurde langsam alt, dachte der Kommissar und beäugte aufmerksam den grauen Schimmer, der von Mal zu Mal immer deutlicher über Krauses Haar lag.
„Also los“, forderte der nun, legte den Bericht aus der Hand, packte den Toten an der Schulter, und Thamm, der mit Wolff einen kurzen Blick wechselte, aus dem ihm nicht gerade hellauf Begeisterung entgegenschlug, schnappte sich die braunschwarzen Knie und begleitete Krauses Bewegung.
„Hier auf dem Rücken“, dozierte Krause schon wieder und verwies auf mehrere Stellen zwischen den einzelnen Rippen, die deutlich unter der gegerbten Haut durchdrückten, an denen Thamm aber nichts weiter erkennen konnte, „hier sind ein paar Unregelmäßigkeiten, die sich nicht mit dem Verbrennen der Hautoberfläche erklären lassen. Zuerst habe ich sie, zugegeben, glatt übersehen, so unscheinbar sind sie. Aber einmal gesichtet, waren sie dann doch ziemlich eindeutig: Striemen und Risse, die dem Toten vor seinem Ableben beigefügt wurden.“
„Du meinst, wie von Schlägen?“, fragte Thamm mit wachsendem Interesse.
„Ich persönlich dachte als Erstes an Peitschenhiebe, aber so ganz passte das nicht“, antwortete Krause. „Bis ich dann auf ein Messer als wahrscheinlichste Tatwaffe kam. Wie gesagt, alles unter Vorbehalt, die Haut hat sich durch die hohen Temperaturen völlig deformiert.“
„Wie bitte?“, kam nun Wolff dazu. „Striemen und Risse von einem Messer? Wären da nicht eher Stiche zu sehen?“
„Kommt drauf an“, konterte Krause. „Wenn du nicht zustichst, sondern mit der vollen Breitseite draufhaust, dann nicht. Dann eher Striemen.“
„Und was macht dich dann so sicher, dass es wirklich ein Messer war – und nicht etwa doch deine Peitsche?“, bohrte Wolff nach.
„Ganz einfach“, zuckte Krause gelassen mit den Schultern. „Zum einen sind Messer wesentlich verbreiteter als Peitschen. Und zum anderen hat unser Opfer definitiv mit einem Messer Bekanntschaft gemacht, an einer anderen Stelle, und deshalb liegt doch die Vermutung nahe, dass er auch am Rücken … “
„Und das sind dann auch einwandfreie Stiche oder wie kommst du da auf ein Messer?“, wollte Thamm wissen.
„Eher ein Schnitt“, gab Krause seelenruhig zurück. „Ihm wurde die Zunge abgetrennt.“
Thamm erstarrte. Er glaubte, sich verhört zu haben. „Ihm wurde was?“
„Die Zunge abgetrennt“, wiederholte Krause. „Medizinisch: lingua. Wie heißt es bei Horaz? ‚Favete linguis!‘ – Hütet eure Zungen … “ Er lachte herzlich auf. „Das bekommt hier eine ganz wörtliche Bedeutung.“
Thamm stand noch immer neben sich. Abwechselnd starrte er auf die Leiche, die er immer noch mit weit ausgestreckten Armen an den Knien in Seitenlage hielt, und zu Krause. Allmählich rutschte der Groschen.
„Und damit kommst du uns erst jetzt?“, rief er gereizt aus. Aber Krause blieb unbeeindruckt. „Mir ist hier alles gleich wichtig, ja? Wir tasten uns vom Gesamteindruck her ran und kommen anschließend auf die Details zu sprechen. So wird eine Leiche analysiert. Und außerdem hat niemand was von Eiltempo gesagt, oder?“
Fassungslos und seine Wut über diesen Kleingeist von Wissenschaftler nur mühsam unterdrückend schaute Thamm zu, wie Krause nun den toten Körper zurück auf den Rücken absacken ließ. Anschließend widmete er sich ganz dem Kopfbereich, griff mit beiden Händen in den Mund und spreizte die Kiefer auseinander, dass es knackte. „Das sind nur ein paar verkürzte Sehnen, alles ganz normal“, erklärte Krause. „Will jemand mal reinschauen?“
Thamm verzichtete und auch Wolff lehnte kopfschüttelnd ab.
„Na gut, dann halt nicht“, sagte Krause und ließ von dem Toten ab. „Ist eh nicht viel zu sehen. Aber, und das ist die Hauptsache, die Zunge fehlt. Irrtum ausgeschlossen. So stark kann die gar nicht verbrennen. Und erst recht nicht so geschliffen gleichmäßig. Die wurde entfernt. Und zwar vor Eintreten des Todes.“
„Sonst noch was?“, hakte Thamm nach.
„Nix“, meinte Krause jovial. „Und wenn keine weiteren Fragen mehr sind, dann ist unsere Rundfahrt durch den menschlichen Körper damit für diesmal auch schon wieder vorbei“, erklärte er abschließend und überreichte Thamm seinen Bericht.
„Wird so ganz allmählich wunderlich, liegt bestimmt an der Luft da unten“, versuchte Wolff zu scherzen, als sie den Seziersaal endlich verlassen hatten. Thamm nickte. „Und am Alter – jetzt brauch ich erst mal einen Kaffee.“
In ihrem gemeinsamen Büro ließ sich Wolff schwer auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Für einen Moment blieb er so zurückgelehnt und in Gedanken versunken in dieser Haltung, dann aber schnellte er vor an die Tischplatte und schaltete den Computer ein.
Thamm war weit entfernt davon. Genauso penibel wie gleichgültig strich er die Notizen zu ihrem letzten Fall durch, die er auf seine Schreibtischunterlage gekritzelt hatte. Und die inzwischen längst an Bedeutung verloren hatten und jetzt bloß nicht ablenkten sollten. Hier und da entdeckte er zwischen den flüchtig hingeworfenen Wortgruppen und Nummern eine kleine Zeichnung, eine Schmiererei, über die er immer noch schmunzeln konnte, bevor er auch sie mit ruhiger Hand übermalte.
„Was machst du?“, fragte Wolff nach einer Weile und riss Thamm damit unsanft aus seinen Gedanken.
„Nichts“, meinte der, „ein bisschen nachdenken. Und selbst?“
„Ich lege schon mal ein vorläufiges Arbeitsprotokoll an.“
Wie vorbildlich, dachte Thamm nicht ohne Sarkasmus. Die Polizeidirektion steckte Wolff noch immer tief in den Knochen, auch nach einem Jahr in der Praxis, da ließ sich nichts machen. Oder war Wolff am Ende wirklich so überkorrekt, so mit Leib und Seele Aktenmensch?
Seufzend legte Thamm den Stift beiseite und stand auf. Ohne Kaffee konnte er nicht klar denken. Und ausgerechnet heute musste Jette die letzte Ladung mit ihrer Kollegin verbraten! Wo sie die Huber nicht mal ausstehen konnte. Und wie sie dann geguckt hatte, als Thamm sie gebeten hatte, doch mal schnell ein neues Päckchen zu besorgen. Kaufland war doch gleich um die Ecke.
Jette hatte ihn erst ungläubig angegrinst und das Ganze für einen schlechten Scherz gehalten. Dann hatte sie protestiert – aber dass mit der Cafeteria konnte sie ja nun wirklich nicht ernst gemeint haben. „Willst du mich vergiften? Da kriegen mich keine zehn Pferde rein!“, hatte Thamm entsetzt ausgerufen – und Jette hatte einsehen müssen, dass an Kaufland kein Weg vorbeiführte.
Und nun war sie immer noch nicht zurück, dachte Thamm sehnsüchtig. Da stand er nun ohne Kaffee da und bekam seinen Kopf nicht unter Kontrolle. Und was sich in der Zwischenzeit im Sekretariat getan hatte, als Wolff und er bei Krause gewesen waren, wusste auch niemand. Nur Jette. Aber die war ja gerade nicht verfügbar. Warum hatte sie aber auch nicht schon am Freitag dran gedacht, für Nachschub zu sorgen, als sie zum letzten Mal für das Team Kaffee aufgesetzt hatte, wunderte sich Thamm.
Die Hände in die Taschen geboxt, schlenderte er unruhig durch das Zimmer. Am Fenster warf er einen kurzen Blick auf die Hallesche Straße, auf der sich wie gewöhnlich nichts sonderlich Spektakuläres tat. In seiner Verzweiflung griff Thamm zu der Gießkanne im Fensterbrett und betröpfelte langsam die Zimmerpflanzen, die Wolff hier angesiedelt hatte – und die Thamm eigentlich für völlig überflüssig hielt. Vom ersten Tag an setzte er auf ihr baldiges Vertrocknen. Aber nicht heute, heute goss er vor sich hin, weil er sonst nichts mit sich anzufangen wusste.
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