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Disruptive Innovationen – Clayton M. Christensen revisited

Margen, Angreifer, Herausforderer – wir haben bereits einige der Schlüsselwörter kennengelernt, die sich in dem Konzept der »disruptiven Innovation« wiederfinden, das auf Clayton M. Christensen zurückgeht und das manche für eines der einflussreichsten Managementkonzepte der vergangenen 20 Jahre halten. Und es ist genau dieses Konzept, das unser Verständnis von disruptiven Entwicklungen – im engeren und engsten Sinne – weithin geprägt hat und das ich nun etwas genauer betrachten möchte.

Es gibt zwei, drei Grundgedanken von Christensen, die er immer wiederholt. Disruptive Innovationen werden nach seiner Definition von kleineren Unternehmen entwickelt, die es mit geringen Mitteln schaffen, »alteingesessene, etablierte Marktteilnehmer herauszufordern«. Sie entstehen in unteren Preissegmenten, in denen die Neulinge Fuß fassen können, weil die »Platzhirsche«, wie Christensen sie nennt, dieses Segment vernachlässigen. Oder sie entstehen in »neuen Märkten«, die von den Herausforderern selbst geschaffen wurden. Wichtig: Die Disruption ist nicht einfach ein Ereignis, sondern ein Prozess, der eine Weile dauert. Deshalb wird das, was da entsteht, auch oft von den etablierten Unternehmen übersehen. Es ist anfangs zu klein und unbedeutend. So wie Netflix, als es 1997 an den Start ging.


Es ist auch keinesfalls sicher, dass disruptive Innovationen erfolgreich sind. Viele scheitern, obwohl sie sich mit ihren Geschäftsmodellen viel vorgenommen haben. So wie viele Onlinehändler in den 1990er-Jahren und viele Start-ups heute. Nur wenigen Angreifern gelingt es, das etablierte Unternehmen wirklich ins Straucheln zu bringen, sein Geschäftsmodell tatsächlich zu brechen und damit selbst mächtig zu werden. Denn genau darum geht es. That’s the name oft the game. Es geht um Kampf, auf Biegen und Brechen. Und es geht um Größe. Die digitalen Technologien ermöglichen dies – bzw. versprechen dies, wie wir noch sehen werden – auf ganz besondere Weise.

Wer diese Gedanken wieder liest, vermag zu verstehen, wie elektrisierend sie gewirkt haben. Das »disrupt or be disrupted«, das viele Chefs etablierter, großer Unternehmen nach eigenen Aussagen umtreibt, scheint verständlich. Man denkt sofort an Kodak. Oder an Nokia. Genau so ist es denen ergangen. Und wie ist es mit uns? Aus welcher Ecke kommt der Angriff?

Oder man denkt an die Taxibranche und an die nicht immer zimperlichen Angriffe von Uber. All das geht einem durch den Kopf. Bis man Christensen noch einmal liest. Er hat Ende 2015 seine Überlegungen in der Harvard Business Review erneut zusammengefasst und aktualisiert. Und da merkt man, dass nicht alle Schlussfolgerungen der Praktiker der Theorie entsprechen. Streng genommen können große Unternehmen gar nicht hoffen, disruptive Innovationen zu entwickeln. Nach der Theorie ist das nur kleinen vorbehalten. Und das Beispiel Uber passt auch nicht in das Raster seiner Theorie. Nach Christensen gehört Uber nicht zu den disruptiven Innovatoren, weil es sich nicht aus einem unteren Segment und auch nicht aus neuen Märkten heraus entwickelt, sondern direkt den »Mainstreammarkt ins Visier« genommen habe.

Nun, darüber mag man streiten. So verständlich es ist, dass Christensen seine Theorie gegen Verwässerungen verteidigt – zumal es ja tatsächlich nicht wenige gibt, die für jedes x-beliebig Neue schon aus Marketinggründen gerne das Attribut »disruptiv« verwenden –, so befremdlich scheint es mir, das theoretische Konstrukt so eng und strikt zu fassen und der Praxis vorzuschreiben, sich nach der Theorie zu richten. Zum einen wirkt Uber natürlich bereits in vielen Ländern der Welt disruptiv aus Sicht der eingesessenen Taxiunternehmen. Ganz gleich, woher das Unternehmen gestartet ist. Zum anderen ist zu fragen, warum es nicht auch größeren Unternehmen einmal gelingen sollte, das Gesetz der Serie zu durchbrechen, so schwierig das auch sein mag.

Das Dilemma mit der Disruption

Doch hier macht Christensen den stärksten Punkt. Er nennt es das »Innovator’s Dilemma«. Und das erleben nach meiner Beobachtung alle Manager von erfolgreichen, großen und mittelgroßen Unternehmen immer wieder, fast jeden Tag.

Das fühlt sich so an: Du weißt, dass du größer und ein wenig schwerfällig geworden bist. Deine Organisation hat alle Hände voll zu tun, dem Druck standzuhalten, die unmittelbaren Anforderungen der Kunden zu erfüllen, die Routinen zu bewältigen, effizienter zu werden, kleine kontinuierliche Verbesserungen zu erreichen. Dein Team kommt kaum noch nach. Gleichzeitig siehst du, dass irgendwo schnellere, beweglichere, kleinere und größere Wettbewerber in den Markt drängen. Du siehst vielleicht auch, wenn auch nur aus dem Augenwinkel, dass einer der Angreifer ein neues Geschäftsmodell entwickelt hat, das bei einigen unglaublich gut ankommt. Aber diese wenigen sind nicht deine Kernzielgruppe. Zudem entspricht das neue Modell so gar nicht dem, was deine Kunden schätzen. Deine Mitarbeiter auch nicht. Das ist nicht ihre Welt. Das ist vielleicht die Welt von jungen Kreativen, von smarten Digital Natives. Aber davon hast du noch zu wenig in deinen eigenen Reihen.

Also was tun? Bleibst du bei deiner bisherigen Linie, hast du keine Chance, den Angreifern Paroli zu bieten. Schwenkst du auf den neuen Weg ein, wirst du mit aller Wahrscheinlichkeit deine angestammten Kunden verlieren. Und Geld wirst du auch dabei verlieren.

Eine scheinbar ausweglose Situation. Ein wirkliches Dilemma. Ein Widerspruch, der dein Unternehmen zerreißen könnte. Zumal: Wer weiß, wie nachhaltig das neue Modell ist? Wird es sich wirklich bald durchsetzen? Oder erst in fünf oder zehn Jahren, wenn überhaupt?

Auch Start-ups stecken übrigens immer wieder in Dilemmasituationen und können davon zerrissen werden. Das dringt nur nicht so sehr in die Öffentlichkeit: Folgst du deiner ursprünglichen verrückten, bahnbrechenden, aber noch nicht unbedingt marktfähigen Idee, dann wird es sehr schwierig, die Sache wirklich zu skalieren und genügend Kapital aufzutreiben. Passt du dich zu sehr an, um genügend Unterstützer zu gewinnen und skalieren zu können, läufst du Gefahr, zu angepasst zu werden und in der Menge unterzugehen – oder von wilderen in der Meute der kleinen hungrigen Jäger in Stücke zerrissen zu werden.

Je mehr man sich mit disruptiven Entwicklungen beschäftigt, desto mehr spürt man, wie stark sie von Widersprüchen geprägt werden. Ich füge hinzu: Das ist nun keine Theorie. Nicht nur die deutsche Automobilindustrie kann davon ein mehrstrophiges Lied singen.

Was wir nicht mögen – kleiner Einschub über den Widerspruch

»Dilemmasituation« heißt, dass man in einen inneren Konflikt gerät, weil man zwei sich widersprechenden Kräften gleichzeitig strategisch Rechnung tragen muss. Der Konflikt wird zusätzlich dadurch verschärft, dass sich um beide widerstreitenden Kräfte Anhänger scharen, die jeweils völlig davon überzeugt sind, dass ihr Weg der richtige ist und der andere nicht. Beide können dafür gewichtige Gründe anführen. Die eine Seite sagt: Wir müssen erst unsere Hausaufgaben machen und unsere eigenen Prozesse optimieren, sonst verlieren wir Kunden und sehr viel Geld. Das ist jetzt das Allerwichtigste. Alles andere ist »nice to have«, und zudem ist höchst unsicher, ob es wirklich was bringt. Die andere Seite sagt: Wenn wir jetzt nicht massiv in unsere Innovationsfähigkeit investieren und radikal etwas Neues wagen, werden wir bald keine Chance mehr haben. Dann sind wir weg vom Fenster.

Wie leicht ersichtlich, vertritt die eine Seite eher die Gegenwartsinteressen, die andere eher die Zukunftserfordernisse. Meist hat die Partei der Gegenwart, wie ich sie nennen möchte, in der Organisation die größte Anhängerschaft und in diversen Gremien die Oberhand. Nur selten nimmt sich hier jemand die Zeit, sich professionell mit Widersprüchen zu beschäftigen. Das hat ja auch kaum jemand gelernt.

Ich bin in den vergangenen Jahren in meiner Arbeit immer wieder auf dieses Muster gestoßen. Ob in Mobilitätskonzernen oder in der Telekommunikationsindustrie, ob bei Finanzdienstleistern oder in Unternehmen der Medizintechnik: Oft werde ich zunächst gebeten, über Disruptive Thinking zu sprechen oder eine Vorstandsklausur bzw. einen Workshop für Führungskräfte zum Thema Innovation zu konzipieren. Wenn es dann losgeht, erfahre ich oft, dass für das Unternehmen eigentlich ganz andere Themen im Vordergrund stehen – Optimierung, Einsparpotenziale, Operational Excellence.

Während der Veranstaltung passiert dann etwas sehr Spannendes: Die Teilnehmer spüren, dass und wie beide Seiten miteinander zusammenhängen. Sie erfahren, dass es möglich ist, mit innovativen Methoden an die Frage der Optimierung heranzugehen. Und dass disruptives Denken für die Zukunft der eigenen Organisation von großem Nutzen sein könnte. Wenn man den Mut aufbringt, sich selbst infrage zu stellen. Im Kern geht es darum, Brüche und Widersprüche (auch die eigenen) zu akzeptieren und im Umgang mit ihnen vertrauter, kreativer und sicherer zu werden. Das ist der Schlüssel für die Tür, die vielen verschlossen scheint, die sich in ihren Entweder-oder-Glaubenssätzen verbarrikadiert haben.

Nokia etc. – alles wissen und doch nichts wissen

»Der finnische Handy-Hersteller Nokia rechnet mit einem drastischen Absatzschub bei Multimedia-Mobiltelefonen. Im kommenden Jahr würden branchenweit 250 Millionen solcher Geräte verkauft werden, sagte Vorstandschef Olli-Pekka Kallasvuo am Montag in Las Vegas. Im vergangenen Jahr seien es rund 90 Millionen Multimedia-Handys gewesen – knapp 40 Millionen davon von Nokia«, so lautete im Januar 2007 eine Meldung von heise online, dem Nachrichtenticker der Informations- und Telekommunikationsbranche. Einen Monat später spricht Olli-Pekka Kallasvuo davon, dass Nokia einen Weltmarktanteil von 40 Prozent (!) erreichen könne, u. a. weil »es niemanden gibt, der Handys zu unseren Kosten herstellen kann«.

In einem Nebensatz erwähnt der Nokia-Chef auch Apple und das neue iPhone, das demnächst auf den Markt komme. Er weiß auch, dass sich dahinter ein neues Geschäftsmodell verbirgt. Aber er ist sich seiner Sache sicher, und so kann er sich einen kleinen Seitenhieb auf Apple und dessen Ankündigung, das iPhone mit einem Musikdienst zu koppeln, nicht verkneifen: »Wir begrüßen die Ankündigung von Apple ausdrücklich. Aber wir sind auch der Meinung, dass es noch viel besser ist, offene und nicht etwa geschlossene Systeme zu schaffen.«

Für ihn war das iPhone ein »Nischenprodukt«. Das sahen übrigens viele so. Steve Ballmer, der CEO von Microsoft, war der festen Überzeugung, das iPhone habe »keine Chance« auf nennenswerte Marktanteile.

Im Sommer 2007 kam das erste iPhone auf den Markt, zuerst in den USA, später in Europa. Damit beginnt die Ära der Smartphones, der Multi-Touch-Bildschirme, der mobilen Apps mit einer nahezu unbeschränkten Bandbreite von Anwendungen. Es beginnt die Ära der zentralen Vertriebsplattformen wie der App-Stores, die Entwickler und Kunden gleichzeitig anziehen und binden. Und es beginnt der Abstieg von Nokia. Olli-Pekka Kallasvuo, der sich 2007 noch sein Gehalt verdoppeln ließ, tritt im September 2010 zurück.

Die Entwicklungen sehen und sie nicht sehen. Von den Produkten und Geschäftsmodellen der Konkurrenz wissen und doch nicht wissen, was daraus wird. Etwas mitbekommen von der neuen Idee, aber keine Ahnung haben, wie groß sie einmal werden könnte. Das ist die Realität, die neue Normalität des Wettbewerbs in dieser Zeit. Und sage niemand, das könne ihm nicht widerfahren.


Wer hat denn wirklich verstanden, als Facebook auf den Markt kam, was Mark Zuckerberg mit dieser Plattform im Sinn hatte – die ursprünglich erdacht schien, um studentische Spieltriebe zu befriedigen? Wer hat sich denn vorstellen können, wozu ein Netzwerk namens Pinterest gut sein könnte, in dem man Bilder an virtuelle Pinnwände heften kann? Kann man sich vorstellen, dass allein im Jahre 2011 das Datenaufkommen bei Pinterest um 2535 Prozent stieg und dass diese Plattform heute über 100 Millionen Besucher verzeichnet?

Oder wer hat denn Snapchat nicht nur registriert, sondern auch kapiert, warum dieses Gespenst auf dem Markt so erfolgreich wurde? »Wir waren diejenigen, die noch viel früher als alle anderen Snapchat nicht verstanden haben«, sagte Sascha Lobo auf der re:publica Anfang Mai 2016.

Zu früh oder zu spät?

Seit vielen Jahren wird in der deutschen Automobilindustrie über alternative Antriebsformen gesprochen. Es gab auch manche Versuche, Fahrzeuge mit Elektroantrieb zu entwickeln – gegen Widerstände in den eigenen Reihen und bei nicht wenigen Kunden. BMW baute extra ein eigenes Werksgelände in Leipzig für den i3 und den i8, das zunächst hermetisch abgeriegelt war. Da sollte niemand reinkommen, der möglicherweise diesen Ansatz hätte kaputtreden können. Zumal hier erstmals ein innovatives Gesamtkonzept verfolgt wurde: von der eigenen Stromproduktion bis zur Karbonkarosserie.

Daimler hatte zum Beispiel schon 2010 einen Elektro-Van präsentiert, der 2011 auf dem Markt kam und als Flop endete: Nur 1000 Stück konnten verkauft werden. Nun, mit dem neuen, rundum vernetzten »Vision Van« ist man zuversichtlicher geworden. Aber es bleibt ein Risiko. Wolfgang Bernhard, bis 2017 im Vorstand der Daimler AG, beschreibt das Dilemma: »Wer zu früh kommt, verliert ein Vermögen. Wer zu spät kommt, verliert den Markt.«

Das heißt: Bislang waren und sind die Batterien zu teuer, die Reichweiten zu kurz. So schien es. Aber das ändert sich. Die Frage ist nur, wie schnell das geht und wie schnell die Akzeptanz steigt. Und die Frage ist, warum es ausgerechnet einem Branchenfremden gelang, mit den Tesla-Modellen in der Roadster- und in der Premium-Klasse Elektrofahrzeuge zu bauen, die schon seit Jahren recht ansehnliche Reichweiten haben.

Das beschäftigt den deutschen Automobilmanager. Auch wenn er viele Gründe anführen kann, warum das Konzept von Elon Musk unzulänglich sein mag, treibt ihn mehr noch die Frage um, wie man unter den Bedingungen von Ungewissheit gute, möglichst weitsichtige Entscheidungen treffen kann. Denn die Entscheidungen über die Modellpalette, die man heute trifft, werden erst in vier oder fünf Jahren vom Markt honoriert werden – oder eben nicht. Und was kann in diesem Zeitraum nicht alles passieren? Wie disruptiv wird die Diesel-Krise sein? Wie lange wird sie wohl dauern? Wen wird sie besonders treffen?

Doch dann gibt es ein noch größeres Thema, das alle Manager in der Branche weltweit beschäftigt. Nicht nur in den Automobilfirmen, sondern auch bei den Zulieferern. Es heißt: autonomes Fahren. Noch gibt es viele offene Fragen, von denen einige auf ein Dilemma von existenzieller Bedeutung verweisen. Sie lauten: Wann und wie wird sich dieses Konzept durchsetzen? Welche Bedingungen müssen dafür gegeben sein, etwa im Bereich der Infrastruktur oder Verkehrssysteme? Wann, wie, mit welchen Geschäftsmodellen und Produkten wollen wir darauf reagieren – oder besser: versuchen, vorausschauend zu agieren? Und was bedeutet das für unser Unternehmen, wenn wir uns auf dieses neue Feld begeben? Wer sind dann unsere Wettbewerber? Wer sind dann unsere Kunden? Wollen die überhaupt noch große, leistungsstarke Autos? Oder wird das künftig ein Nischenmarkt und wir werden selbst zum Nischenanbieter?

Das voll vernetzte, selbstfahrende Auto mit Elektroantrieb, dessen Nutzung sich mehrere Menschen teilen, das also nicht mehr einer Privatperson gehört, sondern einem professionellen Mobilitätsanbieter, wobei die Batterien zudem einen Beitrag zur dezentralen Energieversorgung leisten können – das ist die wirklich große Vision. Eine integrierte Vision der Transformation: digital, kreativ und nachhaltig. Autonomes Fahren, Elektromobilität, Energiewende und Sharing-Ökonomie könnten zusammenkommen und zusammenwirken. Das wäre wirklich eine Disruption. Aber es könnte auch einiges dazwischenkommen.

Automobilität neu erfinden – wer hat die Nase vorn?

Vielleicht Tesla? Weil Tesla schon einiges erproben konnte und Elon Musk eine große, integrierte Vision hat? Vom Automobil über die Produktion leistungsstarker Batterien bis zur Energieversorgung mittels Solarziegeln für Haus und E-Auto? Oder doch die alten Hasen, die Unternehmen der alten Welt: BMW, Daimler, General Motors, Toyota etc., die sich strategisch längst konsequent auf die neue mobile Welt eingestellt haben? Vielleicht aber auch ganz andere Spieler? Zum Beispiel Faraday Future in Los Angeles, ein Unternehmen, das nichts Geringeres will, als die Automobilität neu zu erfinden? Eine »Technologiefirma, die auch ein Auto baut«, wie der österreichische Design-Chef Christian Eckert es ausdrückt. Eine Firma, die sich ganz kalifornisch gibt und doch vom chinesischen Internetmilliardär Jia Yueting gegründet wurde.

In Nevada soll eine der größten Fabriken der Welt entstehen. Von hier aus sollen jährlich 150 000 Autos den Weltmarkt erobern. Zwischendurch wurde der Bau allerdings gestoppt, weil die Finanzierungslücke zu groß und zu offensichtlich war. Auch das gehört zu diesem Spiel. »Da tobt eine Schlacht wie beim Wettrennen um den Mond«, kommentiert Michael Höynck, der für die Robert Bosch GmbH in Palo Alto im Forschungszentrum RTC für autonomes Fahren zuständig ist.

Der Engländer Nick Sampson, vorher bei Tesla beschäftigt und wie so viele in der Branche abgeworben, ist Chefingenieur von Faraday Future und zuversichtlich. Er sagt, Tesla sei den Schritt in die digitale Zukunft nur »halbherzig angegangen«. Und »der Gedanke, dass ein Auto ein integraler Bestandteil des digitalen, vernetzten Lebens« sein müsse, sei ihnen fremd gewesen. FF würde den Weg mutiger und konsequenter gehen. Auf der Elektronikmesse CES 2017 stellte Faraday ein elektrisch betriebenes Luxusauto mit dem Namen FF91 vor. Mit 1050 PS. Von null auf 60 Meilen (knapp 100 Stundenkilometer) in 2,4 Sekunden. Reichweite mehr als 600 Kilometer. So die Angaben. Damit würde der FF91 ganz vorne liegen. Fragt sich nur, wo dieses Fahrzeug eingesetzt werden kann.

Oder vielleicht schafft es ein Start-up aus dem Silicon Valley? Möglicherweise muss man sich den Namen Atieva merken. Auch hier hat die Methode des Abwerbens funktioniert. Der ehemalige Chefingenieur von Tesla, Peter Rawlinson, und der Designer Derek Jenkins, der u. a. schon für Mazda und Audi gearbeitet hat, sind engagiert worden. Auch einige ehemalige Bosch-Ingenieure tüfteln mit. Ihre Mission: bis 2018 in Menlo Park ein teures, schnelles Elektroauto bauen, das besser als der Tesla sein soll. Geld scheint keine Rolle zu spielen. Hinter Atieva steckt das chinesische Staatsunternehmen BAIC. China ist längst in Kalifornien angekommen.

Eine neue Vision der Mobilität, das treibt alle an und um. Von Atieva bis Tesla, von BMW über Daimler bis GM. Immer schwingt die Hoffnung mit: Wir schaffen es, den Durchbruch, die Disruption. Nur manchmal, und dann sehr leise, klingt die Befürchtung durch: Hoffentlich liegen wir richtig. Hoffentlich erwischt es uns nicht. »Wenn man sich Apple und Google ansieht und all ihre Pläne in den vergangenen Jahren, Autos zu bauen: Die dachten, die Autoindustrie ist eine Ansammlung von Dummköpfen. Und jetzt bauen sie doch keine Autos mehr«, sagt Amnon Shashua, Mitbegründer des israelischen Unternehmens Mobileye, das Sensoren und Kameras baut und gemeinsam mit BMW und Intel am Thema autonomes Fahren arbeitet.

Wie gut, dass Elon Musk noch mindestens eine zweite mobile Vision in petto hat. Sie heißt Hyperloop. Ein Hochgeschwindigkeitssystem, das man sich wie eine Rohrpost vorstellen muss. Die zu befördernden Personen werden in Transportkapseln auf Luftkissen durch eine Röhre geschossen. Die Fahrzeit soll 45 Minuten betragen – von Los Angeles nach San Francisco. Das sind 600 Kilometer. Hyperloop wird eine Reisegeschwindigkeit von bis zu 700 Meilen oder 1225 Kilometer pro Stunde erreichen. Das knallt. Wie bei der erfolgreichen Testfahrt in der Wüste von Nevada. An der Umsetzung der Idee – mit unterschiedlichen Partnern – sollen sich inzwischen auch die Deutsche-Bahn-Tochtergesellschaft DB Engineering & Consulting und die französische Bahngesellschaft SNCF beteiligen.

Doch was wird eigentlich aus dem Stadtverkehr? Welche mobilen Lösungen werden sich dort durchsetzen? Vielleicht sind die Straßen nicht mehr genug und der Volvo-Futurologe Aric Dromi behält mit seiner Prognose recht, dass fliegende Autos eher kommen werden als autonom fahrende Autos? Der Falke von Google wartet schon auf seinen Einsatz.

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