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Footprint – Das Instrument
Die Fläche als Währung – Wie viel Biokapazität braucht ein Mensch?

Ob groß oder klein, jeder Mensch hat einen Ökologischen Fußabdruck – einen Footprint. Wie viel Natur er braucht, hängt damit zusammen, was er isst, wie er sich kleidet, wie er wohnt, sich fortbewegt oder wie er sich seiner Abfallstoffe entledigt. All das kann man messen. Aus den Daten lässt sich die Größe der Naturfläche bestimmen, die benötigt wird, um Lebensmittel oder Fasern für Kleidung zu produzieren, um Häuser zu bauen und Menschen zu beherbergen oder Abfälle wie Kohlendioxid-Emissionen, die bei der Verbrennung von Kohle, Gas und Öl entstehen, zu absorbieren. Letzten Endes leben wir alle von den Erträgen des „globalen Bauernhofs“.

Jeder weiß, was Geld ist. Wer Geld hat, kennt keine Sorgen, jedenfalls keine materiellen. Wer über genügend Geld verfügt, lebt wie er will und wo er will. Überall ist er willkommen. So lange er zahlen kann, wird niemand ihn vor die Tür setzen.

Mit Geld kann man eine Menge machen, zum Beispiel Dinge vergleichen. Geld antwortet auf die Frage „Wie viel kostet das?“ Den Preis wiederum kann man mit seinem Einkommen ins Verhältnis setzen. Wie lange muss ich arbeiten, um mir dieses Handy leisten zu können? Wie viel verdiene ich im Verhältnis zu meinen Ausgaben? Wie viel im Vergleich zum vorigen Jahr? Oder gemessen am Einkommen eines Äthiopiers?

In diesem Buch geht es um ein Instrument, das mit Geld durchaus vergleichbar ist. Die Frage hinter dem Footprint lautet nämlich „Wie viel Natur kostet das?“. Wie viel Biokapazität steckt in einem Glas Orangensaft oder wie viel braucht ein Liter Benzin? Man kann die Frage aber auch erweitern: Wie viel Natur braucht ein Mensch? Die „Währung“ des Footprint ist die Fläche, genauer gesagt die biologisch produktive Fläche, die erforderlich ist, um eine Ware oder Dienstleistung bereit zu stellen und zu entsorgen. Für einen Menschen berechnet man folglich die Summe dessen, was er verbraucht, einschließlich des Abfalls, den er hinterlässt; auch der hat Auswirkungen auf die Natur. Was beim Geld Euro, Dollar oder Yuan heißt, ist beim Footprint der Hektar oder genauer, der globale Hektar2.

Die verschiedenen Geldwährungen kann man gegeneinander verrechnen, die Flächeneinheiten des Footprint auch. Das ist ja gerade der Trick: Dass es stets nur eine Größe gibt, worauf die Dinge bezogen sind, nur ein tertium comparationis. Beim Geld liegt das auf der Hand – sonst würde es nicht funktionieren. Bei ökologischen Modellen aber ist es durchaus nicht üblich, dass es nur einen Parameter gibt. Andere Methoden als der Footprint, etwa die Ökobilanz, arbeiten mit mehreren, um die vielfältigen Eigenschaften der Dinge zu beschreiben. Eine besondere Stärke des Footprint liegt also darin, dass er stets auf die biologisch produktive Fläche als die entscheidende Größe Bezug nimmt. Diese Eindeutigkeit fördert, wie wir noch genauer sehen werden, in besonderem Maße Kommunikationsprozesse. Ebenso, wie man Preise zur Kenntnis nimmt und sich darüber austauscht, wie teuer oder wie günstig ein Warenangebot ist, ermöglicht es der Footprint, fruchtbare Diskurse über Naturverbräuche zu führen: über hohe und niedrige, über Auswirkungen auf dieses oder jenes Ökosystem – aber stets gibt es nur eine Zahl, eine quantitative Einschätzung, worin die Vielfalt der Natur enthalten ist.

Ecological Footprint

in globale Hektar pro Person nach Ländern

Daten von 2011


Gehen wir mal in ein Warenhaus. Ebenso wie die Dinge Preisschilder haben, worauf der monetäre Wert vermerkt ist, ebenso wie wir mittlerweile Angaben über die Nährwerte und Inhaltstoffe auf den Produkten finden, so könnten sie auch eine weitere Kennzahl tragen, die die enthaltene Biokapazität ausweist. Auf der Vorderseite des Etiketts stünde der Verkaufspreis, auf der Rückseite der Naturverbrauch. Der Käse, die Jeans oder die Urlaubsreise – alles lässt sich in Biokapazität umrechnen: Die Fläche nämlich, die benötigt wird, um die Ware oder die Dienstleistung bereit zu stellen. Beim Käse ist es im Wesentlichen die Weide, die die Kuh benötigt, um Milch zu geben und natürlich auch die Energie, um Milch in Käse zu verwandeln. Bei der Jeans ist es das Baumwollfeld und bei der Reise sind es viele Dinge, die berücksichtigt werden müssen, vom Flugbenzin bis zum Hotel. Wenn für viele Städter der Strom auch aus der Steckdose kommt und die Milch aus der Tüte – hinter all dem, was wir zum Leben brauchen, steckt ein Stück Natur.

Auch hier wieder die Parallele zum Geld: So lange genug davon vorhanden ist, scheint alles in Ordnung, wir nehmen es einfach als gegeben. Aber wenn nicht? Ohne biologische Kapazität zu sein, fühlt sich so ähnlich an, wie ohne Geld zu sein. Zum Beispiel wenn man in einer fremden Stadt gestrandet ist, ohne Bargeld, ohne Kreditkarte: Was will man essen? Wo will man schlafen?


Was wäre denn, wenn die Natur ihre wunderbaren Dienste plötzlich nicht mehr bereitstellen könnte? Wenn es zu wenig Wasser gäbe, um Leben und wirtschaftliche Aktivitäten überhaupt möglich zu machen. Wenn die Fischgründe in den Ozeanen schrumpften oder gar kollabierten, die Nachfrage aber weiter stiege und Fisch damit immer seltener und vielleicht teurer werden würde. Oder wenn die paar Felder hinter dem Haus einfach zu wenig für die Familie abwerfen und man, wie viele Menschen im ländlichen Bangladesch, kein Geld hat, um Essen hinzu zu kaufen? Oder wenn die Wälder und Ozeane auf einmal kein weiteres Kohlendioxid mehr aufnehmen, sondern, umgekehrt, das gespeicherte Klimagas in die Atmosphäre wieder entlassen würden. Was dann?

Geld ist unser zentrales ökonomisches Bewertungsmedium. Der Footprint funktioniert, wie gesagt, ganz ähnlich – nur auf anderer Ebene. Geld kann aber noch mehr, es ist nicht nur ein Maßstab, sondern zugleich ein Zahlungsmittel. Als solches geht es von Hand zu Hand. Das kann der Footprint nicht. Man kann zwar Biokapazität austauschen, zum Beispiel indem man Holz importiert und Fleisch exportiert, aber dabei wird nicht der Footprint gehandelt, sondern Holz und Fleisch, deren Footprint man wiederum bestimmen kann. Geld ist zudem so etwas wie ein Vermögensspeicher (das Sparbuch, das Portfolio), auch das ist beim Footprint anders. Das Naturkapital ist immer nur in der Natur selber, der Footprint, als Methode oder als Kennzahl, beschreibt es und sagt, was ist. Aber während Geld als Wert anerkannt, ja, oft vergöttert wird, wird das Naturkapital unterschätzt. Wir leben so, als wäre die Natur unendlich und unermüdlich darin, die Menschen mit ihren Reichtümern zu versorgen. Auf lange Sicht jedoch ist die Natur der Wertgegenstand, Geld nur ein Symbol.

Nun gibt es ja auch Dinge, die man nicht kaufen kann, zum Beispiel wahre Liebe. Folglich kann man sie auch nicht in Geld ausdrücken. Ein anderes Beispiel ist die Atmosphäre. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, sie als kostenlose Mülldeponie für ihre Emissionen zu nutzen. Wie beim Geld gibt es auch beim Footprint Bereiche, die er ausspart. Ein Stein zum Beispiel hat keinen Footprint. Er ist einfach nur da – seine Existenz hat keinen messbaren Verbrauch. Tiere dagegen haben sehr wohl einen Footprint, sie atmen, saufen und fressen, verbrauchen Biokapazität und damit Fläche. Der Fisch, den der Seelöwe frisst, steht uns nicht mehr zur Verfügung. Oder nur indirekt, wenn wir den Seelöwen verspeisen oder sein Fell nutzen.


Wie viel Biokapazität braucht ein Mensch? Um zu essen, sich zu kleiden, um sein Haus zu bauen, es zu heizen, schließlich, um zu reisen und um Waren zu transportieren, benötigt er die Dienste der Natur. Dabei hinterlässt er Abfall, festen, flüssigen, gasförmigen. Auch damit muss die Natur fertig werden. So zieht der Mensch durch die Welt und drückt seinen „Fuß“ hinein. Manch einer geht festen Schrittes, ein anderer ist so schmal und zart, dass er kaum den Boden berührt. Ob groß oder klein, jeder Mensch hinterlässt eine Spur, so lange er lebt. Genau darin besteht die Metapher des Footprint.

Der Footprint misst aber nicht nur den Naturbedarf eines einzelnen Menschen, man kann die Methode ebenso auf die Bevölkerung einer Stadt, einer Nation und schließlich auf die gesamte Menschheit anwenden. Dabei fokussiert der Footprint auf einen besonderen Teil des Naturkapitals, nämlich den, der Ressourcen erneuern kann.


Beispiel fossile Energie: Seit der industriellen Revolution greift der Mensch massiv auf die natürlichen Vorräte von Kohle, Öl und Gas zurück; dabei handelt es sich um nicht-erneuerbare, genauer: nur in gewaltigen Zeiträumen erneuerbare Ressourcen. Er holt sie aus der Erdkruste und bringt sie an die Oberfläche und damit in die Biosphäre ein. Bei den Berechnungen des Footprint spielt die Menge an Kohle oder Öl selber keine direkte Rolle. Sie ist ja nicht Teil der lebendigen Natur, sondern über Jahrmillionen entstanden, und eher ein Wertgegenstand, wie ein Stück Gold oder ein Gemälde von Picasso. Die Nutzung der Kohle oder des Öls aber braucht Natur. Das misst der Footprint. Wenn diese Mengen fossiler Energieträger verbrannt werden, wird Kohlendioxid freigesetzt. Damit muss die Biosphäre fertig werden, denn dies ist neues Kohlendi­oxid, das nicht bereits in den natürlichen Kreisläufen zirkuliert. Damit die Konzentration des Kohlendioxids in der Atmosphäre nicht ansteigt und langfristig das Klima destabilisiert, sollte es wieder entfernt werden – was bislang jedoch nur marginal geschieht. Die Aufgabe wird vielmehr der Natur überlassen. Ein guter Teil des überschüssigen Kohlendioxids wird mittlerweile von den Ozeanen aufgenommen (die dadurch weiter übersäuern), aber der Rest muss von Ökosystemen an Land absorbiert werden. Sonst bleibt es in der Atmosphäre zurück. Die Methode fragt daher: Wie viel Fläche, wie viel Wald ist notwendig, um die Restmenge an ­Kohlendioxid zu absorbieren? Forschungen belegen, dass ein durchschnittlicher Hektar Wald auf diesem Planeten, der im Sinne des Klimaschutzes bewirtschaftet wird, jährlich etwa die Menge Kohlendioxid aufnehmen kann, die bei der Verbrennung von 1 500 Litern Öl freigesetzt wird.3

Verfügbare Biokapazität

in globale Hektar pro Person nach Ländern

Daten von 2011


In den vergangenen 200 Jahren hat der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre um rund ein Drittel zugenommen von 270 ppm auf über 400 ppm. Offensichtlich setzen wir nicht genug biolo­gische Kapazität auf unserem Planeten ein – vor allem Wälder und Ozeane –, um die Verbrennungsrückstände in eben der Geschwindigkeit abzubauen, wie sie erzeugt werden. Theoretisch gäbe es dafür zwar immer noch ausreichend Fläche, aber dann könnten wir deutlich weniger Biokapazität für anderes einsetzen: Essen, Fasern, Brennholz, Stadtflächen. 2011 besetzte der weltweite Carbon Footprint allein 85 Prozent der Biokapazität des Planeten. Da bleibt nicht mehr viel für alles andere.

Ähnlich ist es mit anderen nicht-regenerativen Rohstoffen wie Stahl, Kupfer oder Mineralien. Diese Stoffe sind nur begrenzt Teile der lebendigen Natur. Die meisten mineralischen Substanzen entnehmen wir der Erdkruste. Um sie zu konzentrieren und zu verarbeiten, benötigen wir die Dienste der Natur. Der Footprint berücksichtigt diese Substanzen daher, in dem er die Menge an Energie, die bei der Gewinnung, beim Transport und bei der Verarbeitung anfällt, bilanziert. Das ist die Rechnung, die wir der Natur stellen. Damit sind wir wieder beim Kohlendioxid. Und bei der Biokapazität, die erforderlich ist, um eine bestimmte Menge Kohlenstoff mit Hilfe der Photosynthese in fester Biomasse zu binden. Mit anderen Worten, mineralische Substanzen und Erze sind Wertgegenstände, wie Gold oder Aktien, nur benötigen sie im Gebrauch zusätzliche Energie. Auch die kostet Biokapazität.

Lange wurde den nicht-erneuerbaren Ressourcen des Naturkapitals die meiste Aufmerksamkeit geschenkt. Der wichtigste Grund dafür war die Einsicht, dass die Vorräte an fossilen Energieträgern, aber auch an bestimmten Erzen und Mineralien, endlich sind, früher oder später erschöpft sein werden oder nur noch in geringer Konzentration vorliegen und damit schwer zu fördern sind. Die Sorge ist verständlich, da die industriellen Produktionsprozesse auf diese Stoffe angewiesen sind. Und einige Stoffe sind tatsächlich schon knapp. Erst in jüngster Zeit rückt aber die Tatsache in den Vordergrund, dass die erneuerbaren Ressourcen mit ihren lebensunterstützenden Funktionen noch stärker gefährdet sind.4


Erneuerbare Ressourcen – Wälder, Fischpopulationen, Feuchtgebiete – können durch Übernutzung zur Gänze aufgebraucht werden. Und zwar dann, wenn der Mensch die erneuerbaren Ressourcen schneller ausbeutet, als sie sich regenerieren können. Während die nicht-erneuerbaren Ressourcen für die direkte Erhaltung des Lebens geringere Bedeutung haben, sind die erneuerbaren Ressourcen eine conditio sine qua non für die Existenz allen Lebens auf der Erde. Aus diesem Grund stellen gerade die erneuerbaren Ressourcen, und damit auch das Regenerationspotenzial der Biosphäre insgesamt, den eigentlich limitierenden Faktor dar, um menschliches Leben und Wohlergehen aufrecht zu erhalten. Dasselbe gilt für die mehr als zehn Millionen Tier- und Pflanzenarten auf der Welt.

Wir sehen die Welt also wie einen Bauernhof. Wie groß ist er? Wie viel gibt er her? Was brauchen wir im Vergleich zur Produktion des Bauernhofs? Bauern denken auch in Fläche – es sind eben diese Flächen, die die ökologischen Dienstleistungen ­bereitstellen.

Die Sicht des Bauern auf die Natur übersetzt sich in ein wissenschaftliches Buchhaltungssystem. Hinter der Footprint-­Methode steht ein Gerüst, das Millionen von Zahlen, die mit Hilfe von Satelliten, Handelsstatistiken, Volkszählungen und Fragebögen gewonnen werden, zusammenführt. Seit dem Jahr 1961 erheben die Vereinten Nationen für den Globus komplette Datensätze. Von diesem Zeitpunkt an kann der Footprint von Nationen konsistent berechnet werden. Das geschieht heute für alle 220 Länder der UN-Statistiken. Für jedes einzelne Land benötigt die Methode derzeit rund 6 000 Daten. Und zwar jährlich. Auf diese Weise ergibt sich für jedes Land auch ein Footprint-Wert für den durchschnittlichen Verbrauch seiner Bewohner, außerdem eine Berechnung der Naturkapazität des Landes.

Noch einmal: Wie viel Biokapazität braucht ein Mensch? Diese Frage lässt sich im statistischen Sinne heute zwar immer genauer beantworten, eines wissen wir aber mit Gewissheit: dass die Resultate aufgrund der Komplexität der Realität ungenau sind. Sie zeigen zwar in die richtige Richtung, können überprüft und verbessert werden, absolut präzise sind sie aber nicht. Und doch sind sie die besten verfügbaren Antworten auf unsere Fragen. Global Footprint Network, seine Partnerorganisationen und andere Institutionen arbeiten stetig an der wissenschaftlichen Verbesserung. In der Folge werden die Ergebnisse immer verlässlicher.


Die Ergebnisse für 20115 haben eine überaus große Bandbreite. Sie repräsentieren den „globalen Bauernhof“ – Wald, Fisch­gründe, Weide und Ackerfläche –, der nötig ist, um den Ressourcenverbrauch zu stillen und die Abfälle aufzunehmen. Somit liegt der durchschnittliche Footprint eines Menschen aus Haiti – ein Land, dessen ökologischer Kollaps von wirtschaftlicher Turbulenz und heftigen politischen Erschütterungen begleitet wurde – bei 0,54 globalen Hektar6. Die Nachfrage nach Biokapazität im krisengeschüttelten Afrika beträgt 1,2 globale Hektar pro Person. Ein Deutscher dagegen nutzt 4,4, ein Franzose 4,2, ein Amerikaner 6,8 und ein Bewohner der Vereinigten Arabischen Emirate 8,1 globale Hektar.

Im Internet gibt es eine Reihe von Footprint-Rechnern7, mit deren Hilfe man ohne großen Aufwand seinen eigenen Footprint ermitteln kann. Ähnlich wie bei einem Quiz antwortet man auf Fragen nach der eigenen Ernährung – zum Beispiel wie oft man in der Woche Fleisch isst –, nach den Wohnbedingungen und nach Mobilitätsgewohnheiten.8 Der Footprint für einen Einzelnen lässt sich mit diesen Indizien grob abstecken.

Die Methode ist aber nicht nur auf Lebensstile anwendbar, sondern ebenso auf alle möglichen Aktivitäten, Produkte und Dienstleistungen, vom Frühstück bis zur Flugreise – insgesamt vollständig skalierbar.

Der Footprint eröffnet dabei eine neue Wahrnehmung. Wir sehen, was die Dinge, die wir Tag für Tag benötigen, die uns ein reiches und erfülltes Leben ermöglichen, tatsächlich „kosten“, wie viel Biokapazität in ihnen steckt. Unser Dasein ist dabei direkt mit der ökologischen Kapazität des Planeten verknüpft. Aus dieser Perspektive sind Material- und Energieflüsse nicht irgendwo da draußen, jenseits der ökonomischen Sphäre. Vielmehr verstehen wir das menschliche Leben und die Wirtschaft als Teilsystem der Biosphäre. Und zwar sehr konkret: Der Footprint ist ein Werkzeug, um den Stoffwechsel (Metabolismus) von Mensch und Natur zu beschreiben, ein Mikro- wie ein Makroinstrument. Im Kleinen wie im Großen kann man so quantitativ abschätzen, was die Natur uns anbietet, und auch wie wir sie nutzen.


Der Footprint beschreibt in erster Linie, was ist. Die Tatsache, dass wir Biokapazität überhaupt messen und damit objektivieren können, ist in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen. Ein Beispiel: Wir wissen heute, dass wir vor großen Herausforderungen stehen, um das Klimasystem des Planeten einigermaßen stabil zu halten. Die Auswirkungen von Kohlendioxid, dem primären Treibhausgas, auf die biologischen Systeme sind gewaltig. Rund die Hälfte des gesamten Footprint der rund sieben Milliarden Menschen heute ist eine Folge der Nutzung fossiler Energie. Der Carbon-­Footprint ist dabei rasant gewachsen. Seit 1961, dem Beginn der statistisch gesicherten Daten der Vereinten Nationen, hat er sich mehr als ­verdoppelt. Der Energieverbrauch ist noch schneller gestiegen, besonders für Erdgas, das aber weniger CO2 intensiv ist und somit einen kleineren Carbon Footprint pro Energieeinheit aufweist. Allerdings nur, solange wenig vom Methan des Erdgases unverbrannt entweicht. Denn Methan ist ein potentes Treibhausgas. Schon kleine Methanverluste in der Gasförderung und -verteilung machen den Vorteil des Gases gegenüber Kohle wieder wett.

Die Nachfrage nach Ressourcen ist nach oben kaum beschränkt. Was damit zu tun hat, dass man in größeren Häusern leben kann, und nahezu beliebig viel Auto fahren oder fliegen kann – ­vorausgesetzt, das Geld dafür ist ­vorhanden. Beim Essen nimmt der Footprint zu durch längere Transportwege der Nahrungsmittel, mehr Fleisch und raffiniertere Zubereitung.

Die Kohlendioxid-­Emissionen sammeln sich in der Atmosphäre an und führen zu langfristigen, in einigen Regionen sogar zu massiven Auswirkungen auf das Klima und den Wasserhaushalt. Mit Hilfe des Footprint kann man abschätzen, was geschähe, wenn man erhebliche Teile der Energieversorgung auf nachwachsende Rohstoffe, zum Beispiel Agrotreibstoffe, verlagern würde. Die Atmosphäre mag zwar in den meisten Fällen entlastet werden – aber wird dadurch vielleicht an anderer Stelle Druck auf die biologischen Systeme ausgeübt? Das erfasst der Footprint. Die meisten gebräuchlichen Techniken, um Energie aus regenerativen Quellen zu gewinnen – Wasserkraft, Windkraft und Biomasse –, weisen einen verringerten Ausstoß an Kohlendioxid auf, aber gleichzeitig brauchen sie eben auch biologisch produktive Flächen. Bei der Gewinnung von Energie aus Biomasse gibt es unterschiedliche Verfahren. Bislang werden ausschließlich die Früchte der Agrarprodukte – zum Beispiel Maiskörner, Rapssamen oder Palmölkerne – verwendet; die Techniken der zweiten Generation nutzen dagegen die gesamte Pflanze, der Wirkungsgrad ist entsprechend höher. Trotzdem: Wird dabei nicht dringend benötigte Biokapazität eingesetzt, die der Nahrungsmittelproduktion verloren geht? Der Footprint, das werden wir noch sehen, kann die unterschiedlichen Verfahren quantifizieren, vergleichbar machen und die Fragen damit beantworten.

Das Klimaproblem an sich ist gewaltig. Und doch ist es nur ein Ausschnitt eines umfassenderen Bildes: dem des erstaunlich robusten, aber zugleich auch verletzlichen Planeten Erde mit seiner gesamten Biologie. Das Ganze sehen, das ist die eigentliche Perspektive des Footprint.

Er funktioniert dabei wie eine Landkarte. Seinem Grundgedanken folgend übersetzt er die Ansprüche an Ökosysteme und bringt sie auf „einen Nenner“. Im Hintergrund steht ein ebenso umfangreiches wie genaues Datenset, eben wie bei einer Landkarte. Die zeigt uns freilich nur das Wesentliche: Städte, Straßen, Ländergrenzen. Würde sie jeden einzelnen Baum, jedes Haus erfassen, könnten wir sie gar nicht lesen. Diese Komplexitätsreduzierung ist es gerade, die uns hilft, ein unübersichtliches Terrain zu erfassen. Analog ermöglicht es der Footprint, unsere Welt, unseren Planeten mit seinen überaus vielfältigen und bewunderungswürdigen natürlichen Regelwerken besser zu verstehen, auch, wie tief wir darin eingreifen dürfen. Kurz, er hilft uns, Risiken und Möglichkeiten zu beurteilen. Um einen gangbaren Weg zu finden.

Die ökologische Falle – Wie viel Biokapazität braucht eine Stadt?

Erstmalig leben im 21. Jahrhundert mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Und obgleich die besiedelten Flächen nur einen kleinen Teil der Oberfläche des Planeten ausmachen, ist bereits heute klar: Das Schicksal der Erde wird sich primär in den Städten entscheiden. Es kommt darauf an, wie sie ihre Bewohner mit Wasser, mit Lebensmitteln und Energie versorgen. Und wie ihre Architektur, ihre Siedlungs- und Infrastruktur beschaffen sind. In Zeiten knapper werdender Ressourcen stellt sich die Frage immer deutlicher: Wie kann man eine hohe Lebensqualität mit einem intelligenten Einsatz von Ressourcen erreichen? Der Footprint gibt Hinweise in die richtige Richtung.

In einem entlegenen Gebiet des amerikanischen Bundesstaats Arizona entstand zwischen 1987 und 1989 ein gewaltiger Kuppelbau aus Glas. Darunter befand sich ein geschlossenes Ökosystem: mit Savannen, tropischen Regenwäldern, einem Mangrovensumpf, mit Wasserflächen, die den Ozean darstellen sollten, aber auch mit intensiv bewirtschafteter Ackerfläche und Wohngebäuden. Der Name des Projekts Biosphere 2 zielte bewusst auf den Lebensraum unseres Planeten, also die Biosphäre 1. Sinn und Zweck des Experiments war es, ein autarkes Biotop zu schaffen und damit Erfahrungen zu sammeln, wie man sie zum Beispiel für bemannte Basen auf dem Mond oder dem Mars einmal benötigen könnte.

Am 26. September 1991 schloss sich die Luftschleuse hinter den ersten acht Bewohnern von Biosphere 2. Rund zwei Jahre lebten sie in den futuristisch anmutenden Gebäuden, die untereinander verbunden und insgesamt hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen waren. Mit der Zeit wurde das Leben in der artifiziellen Welt immer mühsamer. Es stellte sich heraus, dass man Stahlbeton verbaut hatte, der während seines langfristigen Härtungsprozesses den vorhandenen Sauerstoff aus der künstlichen Atmosphäre verbrauchte und Kohlendioxid abgab. Schließlich musste man von außen sogar Sauerstoff einleiten. Weitere Überraschungen stellten sich ein. Mikroben im Ackerboden erhöhten den Gehalt von Stickstoff und Kohlendioxid in der Atmosphäre von Biosphere 2 stärker als geplant. Kakerlaken und Spinnen fühlten sich in den Hightech-Gebäuden besonders wohl und vermehrten sich rasant. Offensichtlich ist es nicht ganz einfach, die komplexen Regelkreisläufe der Natur zu imitieren, in Gang zu setzen und am Laufen zu halten.

Übertragen wir das Bild von Biosphere 2 in einem Gedankenexperiment auf eine beliebige moderne Stadt, gleich ob Berlin, London oder New York. Über dieser Stadt wölbt sich eine umgedrehte gigantische Glasschüssel.9 Weder Luft noch Wasser noch Lebensmittel, auch keine Energieträger wie Öl oder Gas, kein Baumaterial, weder Steine oder Sand, dringen von außen in das künstliche Biotop hinein. Es ist vollkommen abgeriegelt. Sogar die Abwässer, die Autoabgase und der Hausmüll bleiben unter der Glaskuppel eingeschlossen. Einzig das Sonnenlicht hat ungehinderten Zugang zu der futuristischen Stadt, so ist es tagsüber zumindest hell. Mit der Sonneneinstrahlung gelangt auch eine gewisse Menge an Energie hinein. Ob Insekten und Nagetiere diese künstliche Stadt als besonders paradiesisch empfinden werden – niemand weiß es.

Das Gedankenexperiment kommt der Idee des Footprint nahe. Die entscheidende Frage lautet: Wie groß müsste die Glaskuppel über der Stadt tatsächlich sein, um die Bewohner mit allem, was sie zum Leben benötigen, versorgen zu können? Oder einfach: Wie viel Biokapazität braucht eine Stadt?

Tatsächlich verfügen wir heute über wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine ziemlich genaue Antwort auf diese Frage geben. Eine der am besten untersuchten Städte ist London. Die Studie City Limits10 kommt zu dem Ergebnis, dass ein durchschnittlicher Londoner Bewohner 6,6 globale Hektar, also etwa acht Fußballfelder, an biologisch produktiver Fläche benötigt, um sein gewohntes Konsumniveau zu halten und sich seines Abfalls zu entledigen.11 In Haushalten, in der Industrie und bei Bautätigkeiten fällt in der britischen Hauptstadt jedes Jahr so viel Müll an, dass man damit die riesige Royal Albert Hall mit mehr als 40 Metern Höhe 265 Mal füllen könnte.

Bemerkenswert ist auch, wie viel die Bewohner der Stadt tagtäglich zu sich nehmen: Lebensmittel machen mit 41 Prozent einen großen Teil des Londoner Footprint aus. Fasst man den Flächenbedarf aller Londoner zusammen, kommt man auf 49 Millionen globale Hektar, also 300 Mal das geographische Territorium der Stadt; und mehr als die Hälfte der Biokapazität des gesamten britischen Königreichs.

Natürlich sind die Ressourcen, auf die eine Stadt zurückgreift, lokaler wie globaler Natur und die Quellen finden sich weit über den Planeten verstreut. Für London gilt das seit langem. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Hauptstadt des britischen Empire bereits vier Millionen Einwohner, mehr als jede andere Stadt auf der Welt. Und schon damals hatte sie einen Footprint, der in der Geschichte beispiellos war. Ein Autor aus der damaligen Zeit beschreibt das folgendermaßen: „Die Ebenen Nordamerikas und Russlands sind unsere Getreidefelder, Chicago und Odessa unsere Kornkammern, Kanada und der Ostseeraum unsere Holzlieferanten, Australien hält unsere Schafherden und in Argentinien und auf den westlichen Prärien Nordamerikas weiden unsere Rinderherden; Peru schickt Silber, und das Gold Südafrikas und Australiens strömt nach London. Die Hindus und die Chinesen bauen für uns Tee an. Und unsere Kaffee-, Zucker- und Gewürzplantagen liegen in Westindien. Spanien und Frankreich sind unsere Weinanbaugebiete und unsere Obstgärten liegen im Mittelmeerraum. Unsere Baumwollfelder, die lange Zeit im Süden der Vereinigten Staaten gelegen haben, dehnen sich jetzt überall in den warmen Regionen der Erde aus“12.

Heute, 150 Jahre später, gibt es Dutzende vergleichbare, auch deutlich größere Städte auf allen Kontinenten. Sie konkurrieren um dasselbe globale Angebot von Naturkapital. Eine Stadt, die bei geringerem Footprint pro Einwohner eine vergleichbare Lebensqualität bietet, ist eben auch weniger abhängig von Importen und damit wettbewerbsfähiger.

Erstaunlich ist, dass der Footprint des Bewohners einer italienischen Stadt nur etwa ein Drittel von dem des Bürgers einer typischen nordamerikanischen Stadt beträgt. Wobei die amerikanische Siedlungsstruktur geprägt ist von weit ausladenden Vorstädten, meist nur mit dem Auto erreichbar. Die europäische, insbesondere die mediterrane, Stadt dagegen ist kompakt, fußgängerfreundlich und verfügt in der Regel über ein besseres Angebot an Bahnen und Bussen als die amerikanische. Die Vorliebe der Italiener für frische, saisonale und lokal angebaute Lebensmittel kommt nicht nur der Küche und der Gesundheit zugute, sondern trägt auch entscheidend zur besseren ökologischen Bilanz bei. Übrigens, ganz ohne Hightech.

Der Amerikaner sieht die Italiener in kleinen Wohnungen und Häusern eingepfercht. Für die Italiener aber ist die ganze Stadt ihr Wohnzimmer. Sie leben also in einem großzügigen Zuhause. Umgekehrt sehen die Italiener die Amerikaner im suburbanen Haus isoliert und ihr Leben begrenzt sich auf das eigene Grundstück. Denn der Amerikaner kann kaum kurz um die Ecke zur Bar oder mal schnell auf die Piazza spazieren gehen. Mit anderen Worten, der Naturverbrauch sagt wenig aus über das Lebensgefühl, das der Verbrauch ermöglicht.

Wie Städte ausgelegt sind, bestimmt nicht nur die Lebensqualität, aber auch ihre ökonomische Stabilität. Denn Städte stehen in weltweiter Konkurrenz. Sie kämpfen um kreative und unternehmerische Talente ebenso wie um Standortvorteile. Ein wesentlicher Vorteil ist die Ressourceneffizienz. Denn Ressourcenkosten prägen alle Weltstädte, denn sie müssen sich alle um Ressourcen bemühen, die global gehandelt werden. Große Footprints werden zunehmend zu einem wirtschaftlichen Risiko.

Der Footprint bietet gerade für Städte und Regionen ein Werkzeug, um Planungsprozesse sinnvoll steuern können. Angefangen bei der Analyse, indem man die Verbräuche identifiziert, etwa in den Bereichen Mobilität, Bauen oder Energie. Denn, nur was man messen und vergleichen kann, kann man auch managen. Nur so kann man sinnvoll planen und sich konkrete Ziele setzen. Die Verantwortlichen einer Stadt oder einer Region können ihre lokalen Ressourcen (im Sinne unterschiedlicher Flächen) besser bewirtschaften oder auch ihre Ressourcenimporte (sei es Energie für Mobilität, sauberes Wasser oder Holz zur Papierproduktion) reduzieren und folglich die Abhängigkeit und Verletzbarkeit der Kommune minimieren. Ob Naturkapital oder Finanzkapital, ob realer Stoffwechsel oder Balance von monetären Ausgaben und Einnahmen: beide Bereiche brauchen eine verantwortliche Haushaltsführung.

An diesem Punkt kommt wieder die kommunikative Stärke des Footprint ins Spiel. So vielschichtig die Fragen in der ­Realität auch sein mögen – beim Wohnungsbau, bei der Planung eines Industriegebiets oder eines Fußballstadions –, das Resultat ist stets nur eine einzige Kennzahl, nämlich die für Dienstleistungen der Natur benötigte Fläche. Durch diese Transparenz kann es gelingen, Gesprächspartner aus Wirtschaft, Behörden, Politik und nicht zuletzt die Bürger der Stadt in den Planungsprozess ­einzubinden.

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