Kitabı oku: «Die Waffen nieder», sayfa 2

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»Um dem lieben Gott die Sachlage mitzuteilen, du Herzensnärrchen?«

Die Hausglocke ertönte. Schnell trocknete ich meine Tränen. Wer konnte das sein – so früh?

Es war mein, Vater. Er kam heftig hereingestürzt.

»Nun Kinder,« rief er atemlos, indem er sich in einen Lehnsessel warf. »Wißt ihr schon die große Nachricht – das Ultimatum ...«

»Soeben habe ichs meiner Frau erzählt ...«

»Sag' Papa, was meinst du,« fragte ich bange, »wird der Krieg dadurch abgewendet?«

»Ich wüßte nicht, daß ein Ultimatum jemals einen Krieg abgewendet hätte. Vernünftig wäre es wohl von diesem italienischen Jammerpack, wenn es nachgeben würde und sich keinem neuen Novara aussetzte ... Ach, wäre der gute Vater Radetzky nicht voriges Jahr gestorben, ich glaube, er hätte, trotz seiner neunzig Jahre, sich noch einmal an die Spitze seines Heeres gestellt und ich wäre, bei Gott, auch wieder mitmarschiert ... Wir zwei haben's ja schon gezeigt, wie man mit dem welschen Gesindel fertig wird. Sie haben aber noch nichts genug daran, die Katzelmacher – sie wollen eine zweite Lektion haben! Auch recht: unser lombardisch-venetianisches Königreich wird sich durch das piemontesische Gebiet ganz schön vergrößern lassen – ich sehe schon den Einzug unserer Truppen in Turin.«

»Aber Papa, du sprichst ja, als wäre der Krieg schon erklärt und als wärst du darüber froh. Doch wie, wenn Arno mitgehen muß?« Es standen mir schon wieder die Tränen in den Augen.

»Das wird er auch – der beneidenswerte Junge.«

»Aber meine Angst – die Gefahr –«

»Ach was, Gefahr! Man kommt vom Kriege auch nach Hause, wie Figura zeigt. Ich habe mehr als eine Kampagne mitgemacht. Gott sei Dank, bin auch mehr als einmal verwundet worden – und bin doch am Leben weil es mir eben bestimmt war, am Leben zu bleiben.«

Die alte fatalistische Redensart! Dieselbe, welche für Rurus künftige Berufswahl hatte herhalten müssen und die mir auch jetzt wieder als ein Stück Weisheit einleuchtete.

»Wenn etwa mein Regiment nicht beordert werden sollte –« begann Arno.

»Ach ja«, unterbrach ich freudig, »das ist auch noch eine Hoffnung.«

»Dann lasse ich mich versetzen, wenn möglich –«

»Es wird schon möglich sein«, versicherte mein Vater, »Heß bekommt den Oberbefehl und der ist mein guter Freund.«

Das Herz zitterte mir, aber dennoch konnte ich nicht anders, als diese beiden Männer bewundern. Mit welch fröhlichem Gleichmut sie von einem kommenden Feldzug sprachen, als handelte es sich um einen geplanten Spaziergang. Mein tapferer Arno wollte sogar – auch wenn ihn die Pflicht nicht riefe – freiwillig vor den Feind ziehen, und mein großdenkender Vater fand das ganz einfach und natürlich. Ich raffte mich auf. Fort mit meinem kindischen, weibischen Bangen! Jetzt galt es, mich dieser meiner Lieben würdig zu zeigen, das Herz über alle egoistischen Befürchtungen erheben und nur dem schönen Bewußtsein Raum geben: Mein Gatte ist mein Held.

Ich sprang auf und hielt ihm die Hände hin:

»Arno, ich bin stolz auf dich!«

Er zog meine Hände an seine Lippen; dann an den Vater gewendet, mit freudestrahlender Miene: »Das Mädel hast du gut erzogen, Schwiegervater!«

* * *

Abgelehnt! Das Ultimatum abgelehnt! So geschehen in Turin am 26. April. Die Würfel gefallen – der Krieg »ausgebrochen!« Seit einer Woche war ich auf die Katastrophe gefaßt, dennoch versetzte mir deren Eintreffen einen derben Schlag. Schluchzend warf ich mich auf das Sofa, den Kopf in die Kissen verbergend als mir Arno diese Nachricht brachte.

Er setzte sich an meine Seite und tröstete mich sanft.

»Mein Liebling, Mut – Fassung! Es ist ja nicht so schlimm ... in kurzer Zeit kehren wir als Sieger heim ... Dann werden wir zwei doppelt glücklich sein. Weine nicht so, es zerreißt mir das Herz ... fast bereue ich, daß ich mich engagiert habe, auf jeden Fall mitzugehen ... doch nein, bedenke: wenn meine Kameraden hinaus müssen, mit welchem Recht dürfte ich da zu Hause bleiben? Du selber müßtest dich meiner schämen ... Einmal muß ich ja die Feuertaufe erhalten – ehe das geschehen, fühle ich mich gar nicht recht als Mann und als Soldat. Denk' nur, wie schön – wenn ich zurückkomme – mit einem dritten Stern am Kragen – vielleicht mit einem Kreuz auf der Brust.«

Ich lehnte meinen Kopf an seine Achsel und weinte da weiter. Wie klein ich doch wieder dachte: Sterne und Kreuze erschienen mir in diesem Augenblick als so schaler Flitter ... Nicht zehn Großkreuze auf dieser teuern Brust konnten einen Ersatz bieten für die grause Möglichkeit, daß eine Kugel sie zerschmettere ...

Arno küßte mir die Stirn, schob mich sanft beiseite und stand auf: »Ich muß jetzt fortgehen, liebes Kind – zu meinem Obersten. Weine Dich aus ... wenn ich wiederkomme, hoffe ich, dich standhaft und heiter zu finden – ich brauche das, um nicht von trüben Ahnungen beschlichen zu werden. Jetzt, in so entscheidender Zeit, wird doch meine eigene kleine Frau nichts tun, mir den Mut zu benehmen, meine Tatenlust zu dämpfen? Adieu, mein Schatz.« Und er ging.

Ich raffte mich auf. Seine letzten Worte klangen mir noch im Ohre nach. Ja offenbar: meine Pflicht war nun die, seinen Mut und seine Tatenlust – nicht nur nicht zu dämpfen, sondern nach Möglichkeit zu heben. Das ist ja die einzige Art, wie wir Frauen unseren Patriotismus betätigen können, wie wir des Ruhmes teilhaftig werden dürfen, den unsere Männer auf den Schlachtfeldern sich holen ... »Schlacht–felder« – sonderbar, wie dieses Wort jetzt plötzlich in zwei grundverschiedenen Bedeutungen mir vor den Sinn trat. Halb in der altgewohnten, historischen, pathetischen, höchste Bewunderung erregenden Bedeutung, halb in dem Ekelschauer der blutigen, brutalen Silbe »Schlacht« ... Ja, geschlachtet würden sie auf dem Felde daliegen, die armen hinausgetriebenen Menschen – mit offenen, roten Wunden – und unter ihnen vielleicht ... Mit einem laut ausgestoßenen Schrei dachte ich diesen Gedanken aus.

Meine Jungfer, Betti, kam erschrocken hereingerannt. Sie hatte mich schreien gehört.

»Um Gottes willen, Frau Gräfin, was ist geschehen?« fragte sie zitternd.

Ich blickte das Mädchen an: auch sie hatte rotgeweinte Augen. Ich erriet, sie wußte schon die Nachricht, und ihr Geliebter war Soldat. Mir war's, als müßte ich die Unglücksschwester an mein Herz drücken

»Es ist nichts, mein Kind,« sagte ich weich ... »Die fortziehen, kommen ja wieder zurück –«

»Ach, gräfliche Gnaden, nicht alle,« antwortete sie, von neuem in Tränen ausbrechend.

Jetzt trat meine Tante bei mir ein und Betti entfernte sich.

»Ich bin gekommen, dir Trost zu sprechen, Martha,« sagte die alte Frau, mich umarmend, »und dir in dieser Prüfung Ergebung zu predigen.«

»Also weißt du?« –

»Die ganze Stadt weiß es ... Es herrscht großer Jubel, dieser Krieg ist sehr populär.«

»Jubel, Tante Marie?«

»Nun ja, bei solchen, die kein geliebtes Familienglied mitziehen sehen. Daß du traurig sein wirst, konnte ich mir denken, und darum bin ich hierher geeilt. Dein Papa wird auch gleich kommen; aber nicht um zu trösten, sondern zu gratulieren: er ist ganz außer sich vor Freude, daß es losgeht, und betrachtet es als eine herrliche Chance für Arno, daß er mittun kann. Im Grunde hat er ja auch recht ... für einen Soldaten gibt's auch nichts besseres als den Krieg. So mußt auch du die Sache betrachten, liebes Kind – Berufserfüllung geht doch allem voran. Was sein muß –«

»Ja, du hast recht, Tante, was sein muß – das Unabänderliche –

»Das von Gott gewollte« – schaltete Tante Marie bekräftigend ein.

»Muß man mit Fassung und Ergebung ertragen.«

»Brav, Martha. Es kommt ja doch alles so, wie es von der weisen und allgütigen Vorsehung in unabänderlichem Ratschluß vorher bestimmt ist. Die Sterbestunde eines jeden, die steht schon von der Stunde seiner Geburt an geschrieben. Und wir wollen für unsere lieben Sieger so viel und inbrünstig beten –«

Ich hielt mich nicht dabei auf, den Widerspruch, der in diesen beiden Annahmen liegt: daß der Tod zugleich bestimmt und durch Gebete abzuwenden sein könne, näher zu erörtern. Ich war mir selbst nicht klar darüber, und hatte von meiner ganzen Erziehung her das vage Bewußtsein, daß man an so heilige Dinge nicht mit Vernunftfragen herantreten dürfe. Hätte ich gar der Tante gegenüber solche Skrupel laut werden lassen, so würde sie das arg verletzt haben. Nichts konnte sie mehr beleidigen, als wenn man über gewisse Dinge rationelle Zweifel anstellte. »Nicht darüber nachdenken« ist allen Mysterien gegenüber Anstandsgebot. Wie es die Hofsitte verbietet, an einen König Fragen zu richten, so ist es auch eine Art lästerlichen Etikettenbruchs, wenn man an einem Dogma herum forschen und prüfen will. »Nicht darüber nachdenken« ist übrigens ein sehr leicht erfüllbares Gebot, und bei diesem Anlaß fügte ich mich bereitwillig darein; ich fing daher mit der Tante keinen Streit an, sondern klammerte mich im Gegenteil an den Trost, der in dem Hinweis auf das Beten lag. Ja während der ganzen Abwesenheit meines Gatten wollte ich so inbrünstig um des Himmels Schutz flehen, daß dieser alle Kugeln im Fluge von Arno abwenden werde ... Abwenden? – Wohin? Auf die Brust eines anderen, für den doch wahrscheinlich auch gebetet wird? ... Und was war mir im physikalischen Lehrkurs demonstriert worden, von den genau zu berechnenden, unfehlbaren Wirkungen der Stoffe und ihrer Bewegung? ... Wieder ein Zweifel? Fort damit.

»Ja, Tante,« sagte ich laut, um diese in meinen Geist sich kreuzenden Widersprüche abzubrechen, »ja, wir wollen fleißig beten und Gott wird uns erhören: Arno bleibt unversehrt.«

»Siehst du, siehst du, Kind, wie in schweren Stunden die Seele doch zu der Religion flüchtet ... Vielleicht schickt dir der liebe Gott die Prüfung, damit du deine sonstige Lauheit ablegst.«

Das wollte mir wieder nicht recht einleuchten, daß die ganze, noch aus dem Krimkriege herstammende Verstimmung zwischen Österreich und Sardinien, die ganzen Verhandlungen, die Aufstellung des Ultimatums und die Ablehnung desselben nur von Gott veranstaltet worden wären um meinen lauen Sinn zu erwärmen.

Aber auch diesen Zweifel auszudrücken wäre unanständig gewesen. Sobald jemand den »lieben Gott« in den Mund genommen, gibt das dem daran geknüpften Ausspruch eine gewisse salbungsvolle Immunität. Was die vorgeworfene Lauheit anbelangt, so hatte dieser Vorwurf einige Begründung. Tante Marias Religiosität kam aus tiefstem Herzen, während ich mehr äußerlich fromm war. Mein Vater war in dieser Beziehung völlig indifferent, ebenso mein Gatte, also hatte ich weder von dem einen noch dem anderen Anregung zu besonderem Glaubenseifer erhalten. Mich in die kirchlichen Lehren mit Begeisterung zu vertiefen, hatte ich auch niemals vermocht, da ich dieselben überhaupt nur mit Anwendung des »Nichtdarübernachdenken« Prinzips unangefochten lassen konnte. Ich ging wohl allsonntäglich zur Messe und alljährlich zur Beichte; auch war ich bei diesen Zeremonien voll Ehrfurcht und Andacht; aber das ganze war doch mehr oder minder eine Art standesmäßiger Etikettenbeobachtung; ich erfüllte die religiösen Anstandspflichten mit derselben Korrektheit, wie ich auf dem Kammerball die Figuren der Lanciers ausführte und die Hofreverenz machte, wenn die Kaiserin den Saal betrat. Unser Schloßkaplan in Niederösterreich und der Nuntius in Wien konnten mir nichts vorwerfen, aber die von der Tante vorgebrachte Beschuldigung war wohl berechtigt.

»Ja, mein Kind,« fuhr sie fort, »im Glück und im Wohlsein vergessen die Leute leicht ihren Heiland – wenn aber Krankheit oder Todesgefahr über uns und, mehr noch, über unsere Lieben hereinbricht, wenn wir niedergeschlagen und in Kümmernis sind –«

In diesem Tone wäre es noch lange fortgegangen, aber da wurde die Türe aufgerissen und mein Vater stürzte herein:

»Hurra, jetzt geht's los!« lautete seine Begrüßung. »Sie wollen Prügel haben, die Katzelmacher? So sollen sie Prügel haben – sollen sie haben!«

Das war nun eine aufgeregte Zeit. Der Krieg ist ausgebrochen. Man vergißt, daß es zwei Haufen Menschen sind, die miteinander raufen gehen, und faßt das Ereignis so auf, als wäre es ein erhabenes, waltendes Drittes, dessen »Ausbruch« die beiden Haufen zum Raufen zwingt. Die ganze Verantwortung fällt auf diese außerhalb des Einzelwillens liegende Macht, welche ihrerseits nur die Erfüllung der bestimmten Völkerschicksale herbeigeführt. Das ist so die dunkle und ehrfürchtige Auffassung, welche die meisten Menschen vom Kriege haben und welche auch die meine war. Von einer Revolte meines Gefühls gegen das Kriegführen überhaupt war keine Rede; nur darunter litt ich, daß mein geliebter Mann hinauszuziehen hätte in die Gefahr, und ich in Einsamkeit und Bangen zurückzubleiben. Ich kramte alle meine alten Eindrücke aus der Zeit der Geschichtsstudien hervor, um mich an dem Bewußtsein zu stärken und zu begeistern, daß die höchste Menschenpflicht es war, die meinen Teuren abberief, und daß ihm hierdurch die Möglichkeit geboten würde, sich mit Ruhm und Ehren zu bedecken. Jetzt lebte ich ja mitten drin in einer Geschichtsepoche: das war auch ein eigentümlich erhebender Gedanke. Weil von Herodot und Tacitus an bis zu den modernen Historikern herab die Kriege stets als die wichtigsten und folgenschwersten Ereignisse dargestellt worden, so meinte ich, daß auch gegenwärtig ein solches – künftigen Geschichtsschreibern als Abschnittsüberschrift dienendes Weltereignis im Gange war.

Diese gehobene, wichtigkeitsüberströmende Stimmung war übrigens die allgemein herrschende. Man sprach von nichts anderem in den Salons und auf den Gassen; las von nichts anderem in den Zeitungen, betete für nichts anderes in den Kirchen: wo man hinkam, überall dieselben aufgeregten Gesichter und die gleichen lebhaften Besprechungen der Kriegseventualitäten. Alles übrige, was sonst das Interesse der Leute wach hält: Theater, Geschäfte, Kunst – das wurde jetzt als ganz nebensächlich betrachtet. Es war einem zu Mute, als hätte man gar kein Recht, an etwas anderes zu denken, während dieser große Weltschicksalsauftritt sich abspielte. Und die verschiedenen Armeebefehle mit den bekannten siegesbewußten und ruhmverheißenden Phrasen; und die unter klingendem Spiel und wehenden Standarten abmarschierenden Truppen; und die in loyalstem und patriotisch glühendstem Tone gehauenen Leitartikel und öffentlichen Reden; dieser ewige Appell an Tugend, Ehre, Pflicht, Mut, Aufopferung; diese sich gegenseitig gemachten Versicherungen, daß man die bekannt unüberwindlichste, tapferste, zu hoher Machtausdehnung bestimmte, beste und edelste Nation sei! alles dies verbreitet eine heroische Atmosphäre, welche die ganze Bevölkerung mit Stolz erfüllt und in jedem einzelnen die Meinung hervorruft, er sei ein großer Bürger einer großen Zeit.

Schlechte Eigenschaften, als da sind: Eroberungsgier, Rauflust, Haß, Grausamkeit, Tücke – werden wohl auch als vorhanden und als im Kriege sich offenbarend zugegeben, aber allemal nur beim »Feind«. Dessen Schlechtigkeit liegt am Tage. Ganz abgesehen von der politischen Unvermeidlichkeit des eben unternommenen Feldzuges, sowie abgesehen von den daraus unzweifelhaft erwachsenden patriotischen Vorteilen, ist die Besiegung des Gegners ein moralisches Werk, eine vom Genius der Kultur ausgeführte Züchtigung ... Diese Italiener – welches faule, falsche, sinnliche, leichtsinnige, eitle Volk! Und dieser Louis Napoleon – welcher Ausbund von Ehrsucht und Intrigengeist! Als sein am 29. April publiziertes Kriegsmanifest erschien, mit dem Motto: »Freies Italien bis zum Adriatischen Meer« – rief das einen Sturm der Entrüstung bei uns hervor! Ich erlaubte mir eine schwache Bemerkung, daß dies eigentlich eine uneigennützige und schöne Idee sei, welche für italienische Patrioten begeisternd wirken müsse; aber ich ward schnell zum Schweigen gebracht. An dem Dogma »Louis Napoleon ist ein Bösewicht«, durfte, solange er »der Feind« war, nicht gerüttelt werden; alles, was von ihm ausging, war von vornherein »bösewichterisch«. Noch ein leiser Zweifel stieg in mir auf. In allen geschichtlichen Kriegsberichten hatte ich die Sympathie und die Bewunderung der Erzähler immer für diejenige Partei ausgedrückt gefunden, welche einem fremden Joche sich entringen wollte und welche für die Freiheit kämpfte. Zwar wußte ich mir weder über den Begriff »Joch« noch über den so überschwenglich besungenen Begriff »Freiheit« einen rechten Bescheid zu geben, aber so viel schien mir doch klar: die Jochabschüttelungs- und Freiheitsbestrebung lag diesmal nicht auf österreichischer, sondern auf italienischer Seite. Aber auch für diese schüchtern gedachten und noch schüchterner ausgedrückten Skrupel wurde ich niedergedonnert. Da hatte ich Unselige wieder an einem sakrosankten Grundsatz gerührt, nämlich daß unsere Regierung – d. h. diejenige, unter welcher man zufällig geboren worden – niemals ein Joch, sondern nur einen Segen abgeben könne; daß die von »uns« sich losreißen Wollenden nicht Freiheitskämpen, sondern einfach Rebellen sind, und daß überhaupt und unter allen Umständen »wir« allemal und überall in unserem vollen Rechte sind.

In den ersten Maitagen – es waren kalte, regnerische Tage zum Glück; sonniges, lenzfrohes Wetter hätte einen noch schmerzlicheren Kontrast bewirkt – marschierte das Regiment ab, welchem Arno sich hatte zuteilen lassen. Um sieben Uhr früh ... ach, die vorhergehende Nacht ... war das eine fürchterliche Nacht! Wäre der Teure auch nur auf eine gefahrlose Geschäftsreise gegangen, die Trennung hätte mich unsäglich traurig gemacht – Scheiden tut ja so weh – aber in den Krieg! Dem Feuerregen der feindlichen Geschütze entgegen! ... Warum konnte ich in jener Nacht bei dem Worte Krieg durchaus nicht mehr dessen erhabene, historische Bedeutung erfassen, sondern nur sein toddrohendes Grausen?

Arno war eingeschlafen. Ruhig atmend, mit heiterem Gesichtsausdruck lag er da. Ich hatte eine frische Kerze angezündet und hinter einen Schirm gestellt: ich konnte heute nicht im Finstern bleiben. Vom Schlafen war ja für mich ohnehin keine Rede – in dieser letzten Nacht. Da mußte ich ihm wenigstens die ganze Zeit ins liebe Gesicht schauen. In einen Schlafrock gehüllt, lag ich auf unserem Bette; den Ellbogen auf das Kissen, das Kinn in die Handfläche gestützt, blickte ich auf den Schlummernden herab und weinte still ... »Wie lieb – wie lieb ich dich habe, mein Einziger – und du gehst fort von mir ... Warum ist das Schicksal so grausam? Wie werde ich leben ohne dich? Daß du mir nur bald wiederkehrst! O Gott, mein guter Gott, mein barmherziger Vater dort oben – laß ihn bald zurückkommen – ihn und alle ... Laß es bald Frieden sein! ... Warum kann es denn nicht immer Frieden sein? ... Wir waren so glücklich ... zu glücklich wohl ... es darf ja auf Erden kein vollkommenes Glück geben ... O Seligkeit – wenn er unversehrt heimkehrt und dann wieder so an meiner Seite liegt und für den kommenden Morgen kein Abschied droht ... Wie er ruhig schläft – o du mein tapferer Schatz! Aber wie wirst du dort schlafen? Da gibt es kein weiches Bett für dich – da mußt du auf harter, nasser Erde liegen ... vielleicht in einem Graben – hilflos – verwundet ...« Bei diesem Gedanken konnte ich nicht anders, als mir eine klaffende Säbelhiebwunde auf seiner Stirn vorstellen, von der das Blut herabsickert, oder ein Kugelloch in seiner Brust ... und ein heißer Mitleidsschmerz ergriff mich. Wie gerne hätte ich meine Arme um ihn geschlungen und ihn geküßt, aber ich durfte ihn nicht wecken; er brauchte diesen stärkenden Schlaf. Nur noch sechs Stunden ... tick – tack – tick – tack: unbarmherzig schnell und sicher geht die Zeit jedem Ziele entgegen. Dieses gleichgültige Tick – Tack tat mir weh. Auch das Licht brannte ebenso gleichgültig hinter seinem Schirm, wie diese Uhr mit ihrem blöden regungslosen Bronze-Amor tickte ... Begriffen denn all diese Dinge nicht, daß dies die letzte Nacht war? Die tränenden Lider fielen mir zu, das Bewußtsein schwand allmählich, und den Kopf auf das Kissen sinken lassend, schlief ich dennoch selber ein. Aber immer nur auf kurze Zeit. Kaum verlor sich mein Sinn in die Nebel eines formlosen Traumes, so krampfte mein Herz sich plötzlich zusammen und ich erwachte durch einen heftigen Schlag desselben, mit dem gleichen Angstgefühle, wie wenn man durch Hilferuf oder Feuerlärm geweckt wird ... »Abschied, Abschied!« hieß der Alarm. Als ich zum zehnten oder zwölftenmal so aus dem Schlummer auffuhr, war es Tag und die Kerze flackerte noch. Man klopfte an der Tür.

»Sechs Uhr, Herr Oberleutnant,« meldete die Ordonnanz, welche Befehl erhalten hatte, rechtzeitig zu wecken.

Arno richtete sich auf ... Jetzt also war die Stunde gekommen – jetzt würde es gesprochen werden, dieses jammer-jammervolle Wort »Lebewohl«.

Es war ausgemacht worden, daß ich ihn nicht zur Bahn begleiten würde. Die eine Viertelstunde mehr oder weniger des Beisammenseins – auf die kam es nicht mehr an. Und das Leid der letzten Losreißung, das wollte ich nicht vor fremden Leuten bloßlegen; ich wollte allein in meinem Zimmer sein, wenn der Abschiedskuß getauscht worden, um mich auf den Boden werfen – um schreien, laut schreien zu können.

Arno kleidete sich rasch an. Dabei sprach er allerlei Tröstliches auf mich ein:

»Wacker, Martha! In längstens zwei Monaten ist die Geschichte vorbei und ich bin wieder da ... Zum Kuckuck – von tausend Kugeln trifft nur eine und die muß nicht gerade mich treffen ... Es sind andere auch schon aus dem Krieg zurückgekommen: sieh' deinen Papa. Einmal muß es doch sein. Du hast doch keinen Husarenoffizier in der Idee geheiratet, sein Handwerk sei Hyazinthenzucht? Ich werde dir oft schreiben, so oft als möglich, und dir berichten, wie frisch und fröhlich die ganze Kampagne vor sich geht. Wenn mir was Schlimmes bestimmt wäre, so könnte ich mich nicht so wohlgemut fühlen ... einen Orden geh' ich mir holen, weiter nichts ... Gib nur hier recht acht auf dich selber und auf unseren Ruru – der wenn ich avanciere, auch wieder um einen Grad vorrücken darf. Grüß ihn von mir ... ich will den Abschied von gestern abend nicht noch wiederholen ... Dem wird's einmal ein Vergnügen sein, wenn ihm sein Vater erzählt, daß er im Jahre 59 bei den großen italienischen Siegen dabei gewesen« ...

Ich hörte ihm gierig zu. Dieses zuversichtliche Geplauder tat mir wohl. Er ging ja gern und lustig fort – mein Schmerz war also ein egoistischer, daher ein unberechtigter – dieser Gedanke würde mir die Kraft geben, ihn zu überwinden.

Wieder klopfte es an der Tür.

»Es ist schon Zeit, Herr Oberleutnant.«

»Bin schon fertig – komme gleich.« Er breitete die Arme aus: »Also jetzt, Martha, mein Weib, mein Lieb –«

Schon lag ich an seiner Brust. Reden konnte ich nicht. Das Wort Lebewohl wollte nicht über die Lippen – ich fühlte, daß ich bei Äußerung dieses Wortes zusammenbrechen mußte, und die Ruhe, den Frohmut seiner Abfahrt durfte ich ja nicht vergällen. Den Ausbruch meines Schmerzes sparte ich mir – wie eine Art Belohnung – auf das Alleinsein auf.

Nunmehr aber sprach er es, das herzzerreißende Wort:

»Leb' wohl, mein Alles, leb' wohl!« und drückte innig seinen Mund auf den meinen.

Wir konnten uns aus dieser Umarmung gar nicht losreißen – war es doch die letzte! Da plötzlich fühle ich, wie seine Lippen beben, seine Brust sich krampfhaft hebt ... und – mich freilassend, bedeckt er sein Gesicht mit beiden Händen und schluchzte laut auf.

Das war zu viel für mich. Ich glaubte wahnsinnig zu werden.

»Arno, Arno,« rief ich ihn umklammernd: »Bleib, Bleib!« Ich wußte, daß ich unmögliches verlangte, doch rief ich hartnäckig: »Bleib, bleib!«

»Herr Oberleutnant,« kam es von draußen, »schon höchste Zeit«.

Noch einen Kuß – den allerletzten – und er stürzte hinaus.

* * *

Charpie zupfen, Zeitungsberichte lesen, auf einer Landkarte Stecknadelfähnchen aufstecken, um den Bewegungen der beiden Heere zu folgen und daraus Schachaufgaben, in der Fassung von »Österreich zieht an und setzt mit dem vierten Zuge matt« zu lösen trachten; in der Kirche fleißig um Schutz für seine Lieben und um den Sieg der vaterländischen Waffen beten; von nichts anderem reden als von den vom Kriegsschauplatz eingetroffenen Nachrichten: – das war es, was meine und die Existenz meiner Verwandten- und Bekanntenkeise nunmehr ausfüllte. Das Leben mit allen seinen übrigen Interessen schien für die Dauer des Feldzuges sozusagen in der Schwebe; alles bis auf die Frage »wie und wann wird der Krieg enden?« war der Wichtigkeit, ja beinahe der Wirklichkeit beraubt. Man aß, man trank, man las, man besorgte seine Geschäfte; aber das alles »galt« eigentlich nicht –nur eins war von vollgewichtiger Gültigkeit: die Telegramme aus Italien.

Meine größten Lichtblicke waren selbstverständlich die Nachrichten, welche ich von Arno selber erhielt. Diese waren sehr kurz gefaßt – das Briefschreiben ist niemals seine starke Seite gewesen –; aber sie brachten mir doch das beglückendste Zeugnis; noch am Leben – unverwundet. Sehr regelmäßig konnten diese Briefe und Depeschen freilich nicht eintreffen, denn oft waren die Verbindungen abgebrochen, oder – wenn es irgendwo zur Aktion kam – der Feldpostdienst aufgehoben.

Wenn so einige Tage vergangen waren, ohne daß ich von Arno gehört, und es wurde eine Verlustliste veröffentlicht – mit welchem Bangen las ich da nicht die Namen durch! ... Es ist so spannend, wie für den Losbesitzer das Durchsehen der Gewinnummern einer Ziehungsliste, aber in umgekehrtem Sinne: was man da sucht, wohl wissend, daß man (Gott sei Dank) die Wahrscheinlichkeit gegen sich hat, ist der Haupttreffer des Unglücks ...

Das erstemal, als ich die Namen der Gefallenen durchgelesen – ich war eben seit vier Tagen ohne Nachricht – und sah, daß der Name »Arno Dotzky« nicht darunter war, da faltete ich die Hände und sprach mit lauter Stimme: »Mein Gott, ich danke dir!« Kaum aber waren die Worte geäußert, so klang es mir wie ein schriller Mißton daraus nach. Ich nahm das Blatt wieder zur Hand und betrachtete zum zweitenmal die Namenreihe. Also weil Adolf Schmidt und Karl Müller und viele andere – aber nicht Arno Dotzky – geblieben waren, hatte ich Gott gedankt? Derselbe Dank wäre dann berechtigterweise von dem Herzen derer zum Himmel aufgestiegen, welche für Schmidt und Müller zittern, wenn sie statt dieser den Namen »Dotzky« gelesen hätten? Und warum sollte gerade mein Dank dem Himmel genehmer sein als jener? Ja – das war der schrille Mißton meines Stoßgebetes gewesen: die Anmaßung und die Selbstsucht, die darin lag, zu glauben, Dotzky sei mir zu lieb verschont geblieben, und Gott zu danken, daß nicht ich, sondern nur Schmidts Mutter und Müllers Braut und fünfzig andere über dieser Liste weinend zusammenbrechen ...

Am selben Tag erhielt ich wieder von Arno einen Brief:

»Gestern gab's einen tüchtigen Kampf. Leider – leider eine Niederlage. Aber tröste dich, meine geliebte Martha, die nächste Schlacht bringt uns den Sieg. Es war dies meine erste große Affäre. Ich stand mitten in dichtem Kugelregen – ein eigenes Gefühl ... das erzähle ich mündlich – es ist doch furchtbar: die armen Kerle, die da um einen herum fallen und die man liegen lassen muß, trotz ihres kläglichen Wimmerns – » c'est la guerre!« Auf baldiges Wiedersehen, mein Herz. Wenn wir einmal in Turin die Friedensbedingungen diktieren, dann kommst du mir nachgereist. Tante Marie wird indessen so gut sein, über unseren kleinen Korporal zu wachen.«

Wenn der Empfang solcher Briefe die Sonnenblicke meines Daseins abgab – die schwärzesten Schatten desselben waren meine Nächte. Wenn ich da aus selig vergessendem Traume erwachte und mir die entsetzliche Wirklichkeit mit ihrer entsetzlichen Möglichkeit vor das Bewußtsein trat, so erfaßte mich schier unerträgliches Leid und ich konnte stundenlang nicht wieder einschlafen. Die Idee war nicht los zu werden, daß Arno vielleicht in diesem Augenblick stöhnend und sterbend in einem Graben lag – nach einem Tropfen Wasser lechzend – sehnsüchtig nach mir rufend ... Nur damit konnte ich mich allmählich beruhigen, daß ich mir mit aller Gewalt die Szene seiner Rückkunft vor die Einbildung rief. Die war ja ebenso wahrscheinlich – sogar viel wahrscheinlicher, als das verlassene Sterben – und da malte ich mir denn aus, wie er ins Zimmer hereinstürmte und ich an sein Herz flöge – wie ich ihn dann zu Rurus Wiege führte und wie glücklich und froh wir dann wieder sein könnten ...

Mein Vater war sehr niedergeschlagen. Es kam eine schlimme Nachricht nach der anderen. Zuerst Montebello, dann Magenta. Nicht er allein – ganz Wien war niedergeschlagen. Man hatte zu Anfang so zuversichtlich gehofft, daß ununterbrochene Siegesbotschaften Anlaß zu Häuserbeflaggung und Te deum Absingen geben würden; statt dessen wehten die Fahnen und sangen die Priester in Turin ... Dort hieß es jetzt: »Herr Gott, wir loben dich, daß du uns geholfen hast, die bösen Tedeschi zu schlagen.«

»Meinst du nicht, Papa,« frug ich, »daß, wenn noch eine Niederlage für uns käme, dann Frieden geschlossen würde? In diesem Falle könnte ich wünschen, daß –«

»Schämst du, dich nicht, so etwas zu sagen? Lieber soll es ein siebenjähriger – soll es ein dreißigjähriger Krieg werden, nur sollen schließlich unsere Waffen siegen und wir die Friedensbedingungen diktieren. Wozu geht man in den Krieg, doch nicht dazu, daß er baldmöglichst aus sei – sonst könnte man von vornherein zu Hause bleiben.«

»Das wäre wohl das beste,« seufzte ich.

»Was ihr Weibervolk doch feige seid! Selbst du – die du so gute Grundsätze von Vaterlandsliebe und Ehrgefühl erhalten – bist jetzt ganz verzagt und schätzest deine persönliche Ruhe höher als die Wohlfahrt und den Ruhm des Landes.«

»Ja – wenn ich meinen Arno nicht gar so lieb hätte!«

»Gattenliebe – Familienliebe – das ist alles recht schön ... aber es soll erst in zweiter Linie kommen.«

»Soll es?« ...

* * *

Die Verlustliste hatte schon mehrere Namen von Offizieren gebracht, die ich persönlich gekannt hatte. Unter anderen des Sohnes – des einzigen einer alten Dame, für die ich eine große Verehrung empfand.

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