Kitabı oku: «Das Geheimnis der Reformatorin», sayfa 6
»Und wann werdet Ihr die Meisterprüfung ablegen?«, fragte sie.
»Puh!« Er pustete sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Er trug die Haare heute offen, sie reichten ihm bis über die Schultern. »Ich muss noch fünf Jahre als Geselle arbeiten.«
»So lange?« Ihr Herz sank. Als Geselle würde er nicht heiraten können. Aber was machte sie sich darum überhaupt Gedanken? Als ältester Sohn des Hauses würde er keine Magd heiraten können, die als Waise vom Lande gekommen war. Vor allem, wenn er gesellschaftlich gerade wieder aufstieg, in den Gesellenstatus zurückkehren konnte und seine Ketzerei langsam in Vergessenheit geriet.
Seitz nickte ernst. »Ich habe vier Jahre verloren, als ich bei meinem Oheim auf dem Lande bleiben musste. Aber Ihr seid doch sicherlich nicht gekommen, um mich nach meiner Meisterprüfung zu fragen.« Er hob die Augenbrauen und sah Figen verschmitzt an.
Sie schüttelte den Kopf. »Die Schulstube ist fertig, und ich möchte bald mit dem Unterricht beginnen.«
»Wunderbar. Wann soll ich meine Schwestern schicken?« Er grinste breit. Wie sie seinen Enthusiasmus liebte!
»Sie werden als Erste in meinen Bänken sitzen. Aber …« Figen atmete tief durch. »Es sollten noch weitere Mädchen zum Unterricht erscheinen. Und Ihr wolltet doch … also in der Versammlung …«
Er zwinkerte ihr zu. »Macht Euch darum keine Gedanken. Heute Abend treffe ich mich mit ein paar Freunden in einem Bierzapf und werde –«
Die Tür sprang auf und knallte an die Wand. Herr von Rosenberg rauschte herein und warf ihnen einen vernichtenden Blick zu. »Was macht ein Weib in der Werkstatt?« Er war ein stattlicher Mann, hatte die gleichen braunen Haare wie Seitz und eine große, spitze Nase, die sein Sohn Gott sei Dank nicht geerbt hatte.
»Wir sind schon weg.« Seitz machte ihr mit einer Kopfbewegung deutlich, dass sie ihm folgen sollte. Sie verließ mit ihm die Werkstube.
»Drück dich nicht vor der Arbeit. Ich erwarte dich umgehend zurück«, rief sein Vater ihnen in ärgerlichem Ton hinterher.
Seitz brachte sie zur Tür. »Beachtet ihn nicht! Ihn plagt ein raues Gemüt.«
Sie nickte. »Bitte denkt dran, wenn Ihr Euren Freunden von meiner Schule erzählt, dass ich Luthertexte –«
»Selbstverständlich.« Er beugte sich zu Figen hinunter, sodass sie seinen Atem an ihrem Hals spüren konnte. Sie hielt die Luft an. »Darum nenne ich sie Freunde«, sagte er in verschwörerischem Ton. »Ich werde Euch nicht den Leibhaftigen in die Schule schicken.« Er richtete sich auf und lächelte sie an.
Figens Herz machte einen beschwingten Satz. Ach, könnte sie doch nur die Tochter einer angesehenen Bürgersfamilie sein!
KAPITEL 6
Als Köln in Sicht kam, hüpfte Jonatas Herz wie ein Gaukler. Die untergehende Sonne tauchte den hölzernen Baukran des Doms in goldenes Licht. Auch wenn der Gedanke an die Überfahrt auf dem Rhein ihr weiche Knie bescherte, konnte sie es kaum erwarten, auf die gegenüberliegende Seite des Flusses zu kommen. Sie sehnte sich danach, Elisabeth und die anderen in die Arme zu schließen. Was für Augen sie machen würden! Was sie sich alles zu erzählen hatten. Wenn nur der Anlass ein angenehmerer gewesen wäre.
Mit dem Säugling hatten Mathes und sie fast zwei Wochen für die Reise gebraucht. Jonata hatte Clara gestillt – ihre Milch war wieder in Gang gekommen – und immer wieder wickeln müssen. Die vielen Pausen hatten sie aufgehalten. Clara schlief friedlich in dem Tuch vor ihrer Brust. Jonata strich über die rosige Haut und die kleine Stupsnase, und Clara zog die Lippen zu einer niedlichen Schnute. Jonata konnte sich nicht sattsehen an dem süßen Gesicht und sich nicht vorstellen, Clara der nächsten Amme in den Arm zu legen. Hatte der HERR ihr und Simon noch kein eigenes Kind geschenkt, weil sie sich um Clara kümmern sollten?
So sehr wünschte Simon sich eigene Kinder. Schließlich hatte er selbst erlebt, was es bedeutete, wenn der Vater nicht der leibliche war. Er hatte erst spät erfahren, dass seine Mutter in jungen Jahren eine Liebelei mit dem Ablassprediger Johann Tetzel gehabt hatte. Daher wollte er Ells frühzeitig darüber in Kenntnis setzen, dass es noch einen anderen Vater gab, um späteren Enttäuschungen vorzubeugen. Jonata verkrampfte sich. Sie würde Ells am liebsten niemals von Sebalt und diesem schändlichen Tag erzählen, doch sie konnte Simons Beweggrund verstehen und respektierte ihn.
»Wir sollten nicht trödeln, sonst sind die Stadttore gleich geschlossen«, sagte Mathes und ließ sein Pferd angaloppieren.
Jonata folgte dem Buchführer und trieb ihre Stute an. Sie schafften es, noch einen Fährmann in Deutz zu finden, der sie über den Fluss brachte. Ein Tuchhändler mit einem Karren mit allerlei edlem Stoff leistete ihnen Gesellschaft.
Wie in ihrer Erinnerung lagen viele Schiffe an den Anlegern. Nach Norden hin wurden am Ufer zwei bauchige niederländische Schiffe mit Fässern beladen. Möglicherweise mit Kölner Bier. Sie vermisste das Gebräu ihres Vaters, es hatte einen unverwechselbaren Geschmack gehabt – obwohl sie es mittlerweile genoss, pures Wasser zu trinken. In Wittenberg holte Simon einmal die Woche Flusswasser aus dem östlichen Abschnitt der Elbe. Dort war es noch frisch und nicht durch die Fäkalien der Stadt und die Fleischreste der Gerber verdreckt. Trank man in Köln pures Wasser, warf es einen aufs Krankenlager, und schon manchen hatte es das Leben gekostet.
Als sie sich der Rheingassenpforte näherten, zog Jonata das Schultertuch über ihr Haupt und senkte den Kopf. Sie wollte dem Torwächter nicht ihr Gesicht zeigen. Jetzt galt es, sich in der Stadt unauffällig zu bewegen. Sie durfte nicht von den Stadtdienern oder von der Inquisition erkannt werden. Dann wäre sie geliefert!
»Ihr seid spät dran«, grummelte der groß gewachsene Torwächter. Er hatte lockige schwarze Haare und mehrere Narben im Gesicht. Er erinnerte sie an Sebalt. Jonatas Herz begann heftig zu schlagen. Nun war sie nicht nur ihrer Heimat wieder nahe, sondern auch ihrem Peiniger, dem Vater von Ells. Sie hoffte, diesem Ungetüm nicht über den Weg zu laufen.
»Wir haben eine lange Reise hinter uns«, antwortete Mathes.
»Was willst du in der Stadt?«
»Ich bin Buchführer und biete meine Bücher regelmäßig den Kölner Bürgern feil.«
Der Torwächter brummte zustimmend. »Und sie da? Deine Winkelwip?«
Jonata schnappte nach Luft. Was fiel ihm ein? Sie war doch keine Hure! Am liebsten hätte sie entgegnet, dass sie die Tochter eines angesehenen Kölner Bürgers war, doch sie presste die Lippen zusammen. Keine unbedachten Worte!
»Mein Eheweib«, antwortete Mathes.
»Also dann! Sucht euch schnell eine Unterkunft, damit die Büttel euch nicht auflesen«, sagte der Torhüter und schloss hinter ihnen die Pforte. Erleichtert atmete Jonata auf. Die erste Hürde hatten sie geschafft. Sie waren in Köln angekommen.
Nun mussten sie quer durch die Stadt. Durch die Salzgasse kamen sie zum Heumarkt, auf dem noch ein paar Gestalten herumstreunten. Ein Bauer räumte seine Sachen zusammen und belud einen Esel. Um den Kax lagen faule Äpfel und Kohl; hier schien unlängst noch jemand seine Strafe verbüßt zu haben. Als sie zur Gasse Richtung Weyerpforte einbogen, schlug ihr der Gestank entgegen. Der Bach war nur ein Rinnsal, führte jedoch die Fäkalien der Bewohner Kölns mit sich.
Je näher sie ihrem Elternhaus kamen, desto aufgeregter wurde sie. Wie würden Elisabeth, Margret und Figen reagieren? Und wie hatte sich ihr Bruder Kuntz verändert? Als sie in den Hof ritten, pochte ihr Herz so heftig, dass sie glaubte, es würde gleich aus ihrer Brust springen.
Die Tür zum Brauhaus stand offen, ein Fensterladen hing schräg in den Angeln. So etwas hätte ihr Vater früher direkt reparieren lassen. Der Pferdekarren fehlte, und aus dem Stall drang nicht das vertraute Schnauben von Bernando. Was war mit dem Pferd passiert?
Clara quietschte, als Jonata abstieg. Sie würde gleich Hunger bekommen. Mathes brachte die Stuten in den Stall und holte ihnen Wasser aus dem Brunnen. Hafer fanden sie in einem Bottich. Vor Kurzem musste hier noch ein Pferd gestanden haben.
Im Garten schien alles abgeerntet zu sein. Die Wäscheleine hing zwischen dem Haus und dem Apfelbaum, an dem ein paar letzte pralle Früchte auf die Ernte warteten. Jonata lief das Wasser im Mund zusammen. Hoffentlich hatte Elisabeth eine warme Mahlzeit auf der Feuerstelle. Jonata klopfte an die Hintertür, die direkt in die Küche führte. Sie war sicherlich nicht verschlossen, aber sie wollte nicht einfach hineinplatzen.
Elisabeth öffnete. »Jonata?« Ihre Ziehmutter riss die Augen auf und schlug die Hand vor den Mund. Im nächsten Moment schloss sie Jonata fest in die Arme. Jonata konnte kaum auf Clara achten. Sie wurde überwältigt von ihren Gefühlen, ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, ihre Augen brannten vor Glückstränen. Sie wollte Elisabeth am liebsten nie wieder loslassen. Der vertraute Duft nach Lavendelwasser stieg ihr in die Nase. Sie war zu Hause.
»Ich fasse es nicht! Und wen hast du da? Meinen Glückwunsch.« Elisabeth begutachtete Clara. »Ach, wie süß!«
»Es ist nicht –«
Weiter kam sie nicht, denn Elisabeth rief ins Haus hinein. »Schaut, wer hier ist! Jonata!«
Schnelle Schritte waren zu hören. Margret und Figen kamen herbeigeeilt.
Wie erwachsen Figen geworden war – zu einer Frau herangewachsen. Sie war viel zu mager, aber ihre Augen waren ausdrucksstark, und die schwarzen Haare fielen ihr bis zur Hüfte.
Jonata umarmte ihre Vertraute, die Einzige, die gewusst hatte, wo sie sich befunden hatte. Anschließend drückte sie Margret an sich, die neue Frau ihres Vaters. Figen hatte ihr in einem Brief davon erzählt. Früher war sie Magd gewesen, nun ihre Stiefmutter, die neue Herrin des Hauses. Seltsam, sie in einem edlen Kleid zu sehen. Es war aus feinstem Leinen, mit einem Samtabsatz am Saum und an der Hüfte. Die Ärmel waren leicht ausgestellt und besaßen Zierlitzen an den Enden. Stutzig machte Jonata die Haube aus Kruseler-Stoff. Dies trugen sonst nur die Adligen.
»Wo ist Kuntz?«, fragte Jonata.
»In der Stube. Komm!« Elisabeth nahm sie bei der Hand, die sie küsste. Tränen standen ihr in den Augen. »Ich habe nicht geglaubt, dich noch einmal wiederzusehen.« Es klang wie ein Vorwurf, und Jonata spürte einen Stich im Herzen. Sie hatte ihre Familie vor vier Jahren ohne ein Wort des Abschieds verlassen müssen.
»Ich hatte gehofft, noch zur Beerdigung von Vater hier zu sein, aber wir wurden aufgehalten.«
»Da bist du zu spät.« Elisabeths Augen wurden traurig.
Obwohl Jonata damit gerechnet hatte, gaben ihr die Worte einen weiteren Stich ins Herz. Sie hatte ihren Vater allein gelassen und noch nicht einmal zur Trauermesse kommen können. Sie schluckte den Kloß im Hals hinunter.
In der Stube saß Kuntz vor dem Kamin und spielte mit Stöcken und Steinen. Wie groß er geworden war! Ihr neunjähriger Halbbruder reichte ihr mittlerweile bis zur Brust. Er würde sie sicherlich in ein paar Jahren überragen. Die Größe hatte er von Margret geerbt, Jonata selbst war eher klein gewachsen. Diesen Umstand hatte sie ihrer Mutter zu verdanken, die sie nie hatte kennenlernen dürfen, weil sie bei ihrer Geburt verstorben war.
Kuntz sah kurz auf, als sie reinkamen, und widmete sich wieder dem Spielzeug. Jonata kniete sich zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Hallo, Kuntz. Ich bin es. Jonata.«
Er nickte, doch sah sie nicht an. Ihr Herz wurde schwer. Vielleicht musste sie ihm nur Zeit geben. Schließlich hatte er erst fünf Lenze gezählt, als sie Köln hinter sich gelassen hatte. Sie strich ihm über die blonden Haare und erhob sich.
Der Tisch war gedeckt, die Frauen hatten gerade das Nachtmahl eingenommen. Es gab Suppe und Brot. Aus Jonatas Bauch drangen grummelnde Geräusche, die an ein herannahendes Gewitter erinnerten. Mathes stand in der Türschwelle und räusperte sich.
»Setzt euch doch«, sagte Figen.
»Wo warst du nur all die Jahre?«, fragte Elisabeth und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»In Sachsen.«
»Was um Himmels willen hattest du in Sachsen zu suchen?«
»Gleich, Elisabeth.« Jonata hob beschwichtigend die Hände und lächelte. Sie freute sich darauf, ihrer Ziehmutter alles zu erzählen.
»Ich will nicht stören.« Mathes trat zu Jonata. »Du findest mich in der Herberge ›Zur Goldenen Krone‹.« Das war eine der nobelsten Unterkünfte in der Straße Am Hof am anderen Ende der Stadt.
»Du willst den ganzen Weg zurück? Du kannst hier übernachten.« Jonata wandte sich an ihre Ziehmutter. »Das kann er doch, oder?«
Elisabeth warf Margret einen fragenden Blick zu. Stimmt! Sie hätte nicht die Magd fragen müssen, sondern die neue Herrin des Hauses.
Margret zuckte mit den Schultern und setzte sich an den Tisch. »Von mir aus. Wir haben genug freie Kammern.«
»Ich will keine Umstände machen«, widersprach Mathes.
»Und wovon willst du die Herberge bezahlen?«, raunte Jonata ihm zu. Nach dem Überfall der Wegelagerer musste er erst einmal Schriften verkaufen, um wieder an Geld zu gelangen. Aber sie wollte Elisabeth und den anderen nicht direkt auf die Nase binden, dass sie unterwegs in die Hände einer Räuberbande geraten waren.
»Der Wirt kennt mich.«
Jonata schüttelte entschieden den Kopf. »Du hast mir den ganzen Weg Schutz gewährt. Sieh es als kleinen Dank.«
»Das sehe ich auch so«, mischte sich Elisabeth ein, hakte sich bei dem Buchführer unter und begleitete ihn zu einem Schemel, auf dem er Platz nahm. Figen brachte zwei Krüge Bier und Schüsseln mit Suppe. Jonata setzte sich auf ihren früheren Platz auf der Bank. Sie strich über den Tisch. Die Kerbe, die sie mit einem Messer reingedrückt hatte – sehr zum Ärgernis ihres Vaters –, war noch dort. Wie vertraut alles war. Doch der Platz ihres Vaters war leer. Jonata biss die Zähne zusammen. Sie musste alles über sein Ableben erfahren.
»Und du bist Mutter geworden?«, fragte Elisabeth mit leuchtenden Augen und deutete auf Clara, die immer noch im Tuch vor Jonatas Brust hing. Sie bewegte sich und hatte die Augen geöffnet.
»Sie ist nicht mein.«
»Wie? Verdingst du dich als Amme, oder weshalb trägst du ein fremdes Kind bei dir?«, fragte Margret.
»Auf der Reise sind wir einer schwangeren Frau begegnet. Sie war allein. Ich habe ihr während der Niederkunft beigestanden, doch sie hat es nicht überlebt. Also habe ich das Kind an mich genommen.«
»Das muss ein schlimmes Erlebnis gewesen sein.« Ihre Ziehmutter griff nach ihrer Hand und drückte sie.
Jonata senkte den Blick und nickte. Sie dachte an die Stunden im Wald. Wie hilflos sie gewesen war, als Marlein so viel Blut verloren hatte. Dennoch hatte es einen Augenblick der Freude gegeben: als Marlein ihre Tochter in den Armen gehalten und sie schlussendlich doch hatte lieben können. Nun würde Jonata diesem Kind ihre Liebe schenken, genauso wie ihrer leiblichen Tochter Ells.
Jonata sah auf und lächelte. »Aber ich habe eine Tochter. Sie ist jetzt drei Jahre alt.«
»Und wo ist sie?«, fragte Elisabeth.
»Bei meinem Mann in Wittenberg.«
»Und wer ist dein Mann?«, fragte Elisabeth weiter.
»Du kennst ihn. Simon von Werden.«
Elisabeth machte große Augen. »Wie ist er aus dem Kerker entkommen?«
Jonata schluckte. Sie konnte ihrer Ziehmutter nicht erzählen, dass sie sich Sebalt hingegeben hatte, um ihren Geliebten aus der Turmhaft zu befreien. »Wenn ich das erzähle, kommt jemand in große Schwierigkeiten«, sagte sie. Das zumindest war die halbe Wahrheit. Denn dass der Henker ihr geholfen hatte, sollte sie lieber verschweigen.
»Und wieso seid ihr ausgerechnet nach Sachsen?«, fragte Margret mit einem spöttischen Unterton.
Durfte sie die Wahrheit erzählen? Natürlich! Diese Frauen – ihre Familie – würden sie nicht verraten und der Inquisition ausliefern. »Dort lebt Luther. Er ist zu einem engen Vertrauten geworden.«
»Dieser Ketzer?«, keifte Margret. Kuntz blickte kurz von seinen Stöcken auf. Als er merkte, dass er nicht gemeint war, spielte er weiter. »Hast du aus deinen Fehlern nicht gelernt?«
In Jonata kochte Wut hoch. »Er möchte, dass die Leute die Schrift verstehen. Das kann man von den Kölner Pfaffen nicht behaupten.«
»Die Kölner Geistlichen geben uns Hoffnung«, gab Margret zurück.
»Ja, mit unnützen Ablassbriefen, die man teuer bezahlen muss.«
»Es ist die Hoffnung für deinen Vater, der wegen dir nun im Fegefeuer schmort.« Margret griff nach ihrem Kreuz, das sie um den Hals trug.
Was sagte Margret da? Jonata schluckte. »Was? Wegen mir?«
»Ja, genau! Es ist deine Schuld, dass er entschlafen ist!«
Jonatas Atem beschleunigte sich. Wie konnte Margret so etwas behaupten? Sie war doch so lange nicht hier gewesen.
Margret sprang auf. »Er ist daran zugrunde gegangen, dass du einfach abgehauen bist.«
Margret hatte ja keine Ahnung! »Ich bin nicht abgehauen. Ich musste fliehen!«
»Und wenn schon! Es hat ihm das Herz gebrochen. Und jetzt hat er das Zeitliche gesegnet, deinetwegen!« Margret lief aus der Stube.
»Margret«, rief Elisabeth ihr hinterher. »Du siehst Gespenster.« Sie wandte sich Jonata zu und fasste nach ihrer Hand. »Nimm es dir nicht zu Herzen. Es ist die Trauer, die aus ihrer Seele spricht.«
Sie sollte schuld am Tod ihres Vaters sein? Jonatas Hals schnürte sich zu. Wieso nur hatte sie ihm keinen Brief geschrieben und ihn nach Wittenberg eingeladen? Die Vergangenheit lastete auf ihr wie eine Schandmaske.
***
Wieder den Boden schrubben! Enderlin kroch mit dem Lappen in der Hand über die Fliesen des Refektoriums. Sebalts Worte gingen ihm seit ihrer Begegnung auf der Beerdigung nicht mehr aus dem Kopf. Jonata war nicht besser als eine Schankmagd – und nicht nur der Ketzerei, sondern auch der Unzucht verfallen. Voller Zorn warf er den Lappen in den Putzeimer. Er musste unbedingt mit dieser Figen sprechen. Er war sich sicher, dass sie den Aufenthaltsort von Jonata kannte. Wenn er mit ihr allein sein konnte, würde er sie schon zum Reden bringen. Doch wie er den Prior dazu bewegen sollte, dass er das Kloster verlassen durfte, war ihm immer noch schleierhaft.
Er hörte ein Poltern aus der Kochstube. Enderlin stutzte. Bruder Franz hatte seinen Platz vor den Töpfen verlassen und war in den Klostergarten gegangen, daher musste die Kochstube eigentlich leer sein. Enderlin stand auf und streckte sich, wobei es in seinem Rücken knackte. Ein stechender Schmerz fuhr hinunter bis ins Bein. Er war einfach nicht für diese niedere Aufgabe gemacht. Jeden Tag verfluchte er seine Schwester und diesen Drucker Simon von Werden.
Langsam schlich er zur Tür und spähte in die Kochstube. Der dicke Syfried schon wieder! Er beugte sich über den Topf, nahm die Kelle und schlürfte direkt daraus. Mit einem lauten Knall schlug Enderlin die Tür auf. »Hat dein letztes Fasten dich keine Gottesfurcht gelehrt?«
Erst vor drei Wochen hatte der Prior Syfried wieder eine Woche von den Mahlzeiten ausgeschlossen, da er sich heimlich an den Vorräten bedient hatte. An diesen Tagen hatte er das Mahl allein zu sich nehmen müssen, das nur aus trockenem Brot bestand. Immer das Gleiche mit ihm!
Syfried schreckte zurück, wobei die Kelle zu Boden fiel und eine große Ladung Suppe auf den Tonfliesen verteilte.
Enderlin verdrehte die Augen. »Das machst du sauber!« Er hatte keine Lust, auch noch die Kochstube zu schrubben. Am Ende glaubte Franz noch, er hätte sich an der Suppe vergriffen.
Syfried fuhr sich mit dicken Fingern durch die krausen Haare und nickte hektisch. Er stürzte sich auf den Boden und schob mit den Händen die Gemüsestücke zusammen. Dabei fielen ihm zwei Äpfel und ein Kanten Brot aus den Ärmeln. Bei allen Heiligen! Noch mehr?
Ängstlich sah Syfried ihn an. »Bitte sag nichts.«
Enderlin verschränkte die Arme vor der Brust. »Du wirst in der Kapitelversammlung deine Verfehlung dem Prior bekennen.« Er holte einen Lappen hervor und warf ihn seinem Bruder vor die Füße. »Hier. Ich will gleich keinen Spritzer mehr sehen.« Er nahm das Obst und das Brot und legte sie zurück in die Körbe im angrenzenden Vorratsraum. Syfried wischte umständlich die Suppe auf, wusste nicht recht, was er mit den vollgesogenen Lappen tun sollte.
Enderlin beugte sich zu seinem Bruder. »Qui respondens dixit scriptum est non in pane solo vivet homo sed in omni verbo quod procedit de ore Dei«, zitierte er aus dem Matthäusevangelium. Es steht geschrieben, man lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt.
»Halte dich an die Worte des HERRN, Syfried, sonst wird dich der Leibhaftige verführen.« Das hatte er schon längst. Enderlin war sich sicher, dass der Satan Besitz von Syfried ergriffen hatte.
Syfried sog die Luft ein und sah ihn erschrocken an. »Du wirst doch nicht …«
»Wenn du in der Kapitelversammlung deine Sünden nicht bekennst, sehe ich mich gezwungen, es für dich zu tun.« Enderlin erhob sich und trat ins Refektorium. Er hörte Schritte. Kam Franz schon zurück? Sollte er nur sehen, was Syfried in der Kochstube trieb!
Doch stattdessen stand Bruder Walter auf der Türschwelle und winkte ihn heran. Der junge Mönch gab ihm mit Handzeichen zu verstehen, dass der Prior ihn erwartete. Er war einer der wenigen Brüder, die sich stets an das Schweigegebot hielten.
»Priorhaus?«, fragte Enderlin mit Handzeichen zurück. Wenn er Walter gegenüberstand, bekam er ein schlechtes Gewissen, dass er sich so oft dazu hinreißen ließ, das Schweigegebot zu brechen. Doch manches ließ sich nur unzureichend mit den Händen formulieren. Zum Beispiel hätte er Syfried nicht so maßregeln können, wie es angebracht gewesen war.
Walter nickte und faltete die Hände vor der Brust. Über seiner Lippe wuchs ein Bartflaum, den er dringend entfernen musste. Auch der Tonsur musste wieder nachgeholfen werden. Eine Schluderei, die Enderlin nicht gern sah, doch mit seiner Gottesfurcht würde es der junge Bruder im Kloster weit bringen.
Enderlin dankte ihm mit einem Handzeichen, räumte Eimer und Lappen beiseite und ging mit ihm zum Priorhaus. Bruder Walter führte ihn in die Schreibstube. Sie maß fünf Schritte in der Breite und sieben in der Länge. In einer Holzkiste verwahrte der Prior Schreibutensilien und Pergamente. Die Wände waren kahl, bis auf das Kreuz an der Stirnseite.
An dem Schreibpult am Fenster stand Jakob Hochstraten und ließ die Feder über ein Schriftstück kratzen. Zu gern hätte Enderlin ihm über die Schulter geschaut. Er hatte gehofft, selbst einmal dort stehen und das Amt des Priors bekleiden zu können. Er presste die Kiefer aufeinander. Wegen Jonata, dieser Metze, war daran nicht mehr zu denken.
Bruder Walter ließ sie allein und zog die Tür hinter sich zu. Jakob Hochstraten sah auf und legte die Feder beiseite. Vielleicht war dies der richtige Zeitpunkt, ihn zu fragen, ob er die Klausur verlassen und sein Elternhaus aufsuchen dürfe. Doch unter welchem Vorwand? Vielleicht sollte er ihm die Wahrheit sagen: dass er sich auf die Suche nach dem Ketzer machen würde.
Der Prior kam um das Pult herum und reichte Enderlin einen Brief. Überrascht nahm er das Schriftstück entgegen. Wer würde ihm einen Brief schreiben?
»Ein Brief vom Schreinsamt«, sagte Jakob Hochstraten.
Enderlin öffnete das Papier, dessen Siegel gebrochen war. Der Prior hatte den Brief bereits gelesen. »Dein Vater hat kein Testament hinterlassen. Dein Bruder Lucas ist selig, deine Schwester aus der Stadt geflohen, demnach wirst du das Haus deines Vaters erben«, verkündete er.
»Ich?« Enderlin blieb für einen Moment die Luft weg. »Ich habe noch einen Halbbruder, mein Vater hat wieder geheiratet.«
Jakob Hochstraten nickte, wobei die Kette mit dem Kreuz um seinen Hals klimperte. »Das zweite Eheweib deines Vaters habe deinen Vater ins Verderben getrieben, schreibt der Schreinsmeister. Und Kuntz hat als Bastard keinen Anspruch auf das Haus, da die neue Ehe zum Zeitpunkt seiner Geburt noch nicht geschlossen war. Daher fällt dir das Haus zu.«
Ungläubig sah Enderlin auf den Brief. »Was soll ich mit diesem Haus?« Als Mönch war ihm jeglicher Besitz untersagt.
Jakob Hochstraten ging zum Pult und strich über das Holz. »Es ist ein Geschenk Gottes. Er wird dir zeigen, warum du es erbst.«
»Aber wie soll ich das erfahren, wenn ich den Konvent nicht –«
Der Prior hob die Hände und machte eine beruhigende Geste. »Das Kloster wird dir für diese Aufgabe nicht im Wege stehen.«
»Das heißt, Ihr erlaubt mir, das Kloster zu verlassen?«
Der Prior nickte. »Erledige, was Gott dir aufgetragen hat.«
Enderlin unterdrückte ein Lächeln. Gott hatte ihm die Möglichkeit beschert, mit Figen zu sprechen. Bald würde er wissen, wo sich Jonata aufhielt.
Wie sollte er der Magd am besten begegnen? Und wie würde Margret reagieren? Er konnte ihre Wut schon spüren. Als Erstes musste er zum Schreinsmeister und das Haus auf sich umschreiben lassen. Dann konnten die Weiber so viel zetern, wie sie wollten, es würde ihnen nicht helfen.
»Du grübelst zu viel!«, sagte Jakob Hochstraten. »Du kannst das Haus verkaufen und den Erlös dem Kloster zukommen lassen. Oder du vermietest es. Auch die monatlichen Einnahmen kann der Konvent gut gebrauchen.«
Enderlin nickte. Er steckte den Brief in seine Kutte. Jonata, ich werde dich finden!
***
Figen lag wach in der Bettstatt. Sie hatte noch keine Chance gehabt, mit Jonata allein zu sprechen. Das musste sie unbedingt nachholen, obwohl sie gleichzeitig Angst davor hatte. Würde Jonata ihr vorwerfen, nichts über Bechtolts Zustand geschrieben zu haben?
Das Geschrei eines Säuglings drang aus der Nachbarkammer zu ihr. Es dauerte ein paar Atemzüge, bis es still wurde. Figen stand auf und zog sich den Mantel über. Sie trat aus der Kammer und horchte an Jonatas Tür. Hörte sie Geräusche oder täuschte sie sich? Sie klopfte leise und öffnete die Tür einen Spalt. Eine Talgkerze brannte auf dem Sims. Jonata saß im Bett und stillte Clara. Jetzt blickte sie auf und lächelte ihr aufmunternd zu. Figen nahm es als Aufforderung und trat ein.
»Ich wollte nicht stören, aber ich habe die Kleine gehört, und da dachte ich …«
»Setz dich doch.« Jonata zeigte auf den Schemel.
Figen zog ihn ans Bett und ließ sich darauf nieder. Clara schmatzte, schlug mit der winzigen Hand gegen die Brust, als wolle sie den Milchfluss beschleunigen. »Wirst du sie in ein Waisenhaus bringen?«
Figen konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, als sie selbst dort gelebt hatte. Nachdem ihre Eltern gestorben waren, hatte sie drei Wochen in der winzigen Kammer bei ihrer Base Fronica gehaust. Die Schwester ihres Vaters verdiente sich als Hübschlerin das Brot und Bier und brachte jeden Abend einen anderen Lüstling mit. Während sie sich den Freiern hingegeben hatte, hatte sich Figen hinter einem Vorhang versteckt und sich die Ohren zugehalten. Dagegen war es im Waisenhaus wie im Paradies gewesen, obwohl es nur wenig zu essen gegeben und sie keine Wechselkleidung bekommen hatte. Bei Agnes im Waisenhaus hatte Figen ein neues Zuhause gefunden.
Jonata schüttelte den Kopf. »Ich bringe es nicht übers Herz, Clara wegzugeben.«
»Agnes ist noch dort. Sie wird aus dem Häuschen sein, wenn sie erfährt –«
Jonatas Miene wurde ernst, und sie senkte den Blick. »Besser ist es, wenn so wenige Personen wie möglich wissen, dass ich zurück bin.«
»Aber –«
»Sie war meine Freundin, doch ich bin nicht hier, um Freundschaften aufleben zu lassen. Ich bin hier wegen meines Vaters.« Jonata sah sie entschlossen an, obwohl in ihren Augen Tränen standen.
Figen nickte. »Ich gehe sie ab und zu besuchen. Sie vermisst dich.«
Jonata lächelte und sah das Neugeborene an, strich ihm über den Kopf. Es hatte erstaunlich viele schwarze Haare. Jonata würde es schwer haben, das Kind als ihr eigenes auszugeben. Sie hatte blondes Haar, Simon braunes. Doch möglicherweise gab es in Wittenberg nicht so viele geschwätzige Waschweiber. »Vielleicht gehe ich zu Agnes, kurz bevor ich wieder abreise«, sagte sie.
Daran wollte Figen gar nicht denken. Sie war froh, dass Jonata endlich wieder da war. Es fühlte sich nach dem Frieden der Vergangenheit an, als Bechtolt noch lebte und sich tatkräftig um die Braugeschäfte gekümmert hatte.
»Und du hast meinen Vater gefunden?«, fragte Jonata.
Figen sah zu Boden. Sie wollte nicht schon wieder die Bilder heraufbeschwören, doch sie kamen unausweichlich. Sie sah das Blut, die leeren Augen und die klaffende Wunde an Bechtolts Hals und fasste sich unwillkürlich an die Kehle.
»Es war kein schöner Anblick, richtig?«
»Nein.« Figen gab sich einen Ruck. Jonata hatte ein Recht darauf, alles zu erfahren. Also erzählte sie von ihrem Marktbesuch, wie Kuntz Bechtolt entdeckt hatte, wie sie die anderen geholt hatten, von der Begegnung mit den Gewaltdienern und der leer geräumten Münzschatulle. »Sie haben erst mich und dann Margret beschuldigt, ihn umgebracht zu haben.«
»Diese Grindsköpfe«, fauchte Jonata.
»Stell dir vor, sie haben sogar in Betracht gezogen, dein Vater hätte sich selbst das Leben genommen.«
Jonatas Augen blitzten zornig auf. »Die Kehle durchgeschnitten? Was fällt denen ein?«
Figen biss sich auf die Unterlippe. Wie sollte sie Jonata erklären, wie es um ihren Vater gestanden hatte? Gab es eine Möglichkeit, es ihr schonend beizubringen? Elisabeth hatte das Thema beim Essen gemieden und stattdessen Jonata über das Leben in Sachsen ausgefragt. Aber Margret hatte es angedeutet.
Figen holte tief Luft. »Es war sein eigenes Messer, das neben ihm lag – voller Blut.«
»Das bedeutet nichts! Jemand anders kann es genommen haben.«
»Außerdem war dein Vater in der letzten Zeit nicht mehr er selbst. Er hatte seit Monaten nicht mehr gebraut, die Schenke liegt seit Langem brach, die Fässer sind leer, und die Münzreserven waren fast aufgebraucht. Sie glauben, die Verzweiflung habe ihn dazu gebracht, selbst sein Leben zu beenden.«
»Was?« Der Schrecken stand Jonata in den Augen. »Also ist es wahr. Mein Verschwinden hat ihn gebrochen.«
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