Kitabı oku: «Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes», sayfa 7

Yazı tipi:

„Ich habe dich vermisst“, raunte er ihr leise zu.

„Ach, deswegen heiratest du also.“

„Trish ist schwanger.“

Annie fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Fausthieb verpasst. „Glückwunsch.“

„Wie man es nimmt.“ Seine Lippen waren nur wenige Zentimeter von ihren entfernt. Kurz stellte sie sich vor, wie er sie geküsst hatte, voller Verlangen. Aber alles, was blieb, war ein schaler Geschmack im Mund. „Darf ich dich anrufen, Baby?“

„Du hast dich für eine andere entschieden.“

„Und wenn es die falsche Entscheidung war?“

Ihr Atem beschleunigte sich. Gleichzeitig befreite sie sich aus seinen Armen. „Lass mich in Ruhe, Roger. Keine Anrufe und keine Annäherungsversuche. Auch ich will ein neues Leben beginnen.“

„Weswegen verletzt du mich so?“

Annie musterte ihn ungläubig. „Ich dich?“ Josie hatte recht. Es ging nur um ihn und seine Bedürfnisse. Das musste doch endlich ihr Herz erreichen!

„Mein Gott, Annie, ich kann dich nicht vergessen. Du hast irgendetwas mit mir gemacht, das mir keine andere Frau geben kann.“

„Hör auf mit dem Süßholzraspeln, das zieht nicht mehr bei mir.“

„Es ist aber die Wahrheit.“

„Wahrheit“, stieß sie verächtlich aus. „Und das aus dem Mund eines Lügenbarons.“

„Du willst mich doch auch, nicht wahr?“ Er versuchte sie wieder an sich zu ziehen, doch Annie wich ihm geschickt aus. Auf einmal grinste er höhnisch. „Du müsstest eigentlich froh sein, dass dich ein Mann begehrenswert findet. Immerhin hast du ziemlich zugelegt. Aber im Bett warst du eine Granate, deshalb könnte ich über deine unsportliche Figur hinwegsehen.“

Annie fühlte sich zutiefst gedemütigt … als sie plötzlich Schritte hörte. Zuerst sah sie nur Designerschuhe auf den Stufen, dann eine dunkelblaue Hose und schließlich Flatley in voller Lebensgröße. Na bravo! Der hatte ihr gerade noch gefehlt.

„Hallo, Annie“, begrüßte Flatley sie.

„Kennst du den Typen?“, erkundigte sich Roger mit beißendem Ton.

„Und wenn?“, gewann Annie wieder Oberwasser, weil sie merkte, dass es Roger nicht passte.

„Zieh ab, Mann. Das ist meine Braut.“ Ihr Ex lächelte selbstgefällig in Flatleys Richtung.

„Irrtum. Wir zwei sind fertig miteinander“, kanzelte Annie Roger ab.

„Das hoffe ich doch“, meinte Flatley lächelnd. „Können wir dann, Liebling? Ich bin müde und möchte ins Bett.“

Annie schaute zuerst Roger an – den er wohl kaum meinen konnte – dann hinter sich. Da war niemand. Also drehte sie sich wieder um. Entweder war sie besoffener als gedacht oder Jack Flatley meinte tatsächlich sie. Als er wie selbstverständlich den Arm um ihre Schulter legte, waren die letzten Zweifel fort. Aber wieso zum Teufel tat er, als wären sie zusammen?

„Man kann dich keine Sekunde aus den Augen lassen, Annielein“, äußerte sich Flatley lachend, „und schon versucht ein anderer sein Glück bei dir.“

Roger kniff die Augen zusammen. „Wer ist noch mal der Typ?“

„Obwohl es Sie nichts angeht“, erwiderte Flatley eisig, „Ich bin Annies Verlobter.“

Mit offenem Mund starrte sie zu Flatley. Im nächsten Moment Roger hinterher, der wütend die Treppe hinaufstapfte. Als er verschwunden war, zog Flatley den Arm von ihrer Schulter, als hätte sie eine ansteckende Krankheit.

„Was sollte das?“, stammelte Annie, die sich schlagartig nüchtern fühlte. „Davon abgesehen: Nennen Sie mich nie wieder Annielein!“

„So viel dazu, dass ich Sie vor diesem Mann gerettet habe.“

„Niemand braucht mich vor Roger zu retten. Das schaffe ich schon allein.“

„Was man deutlich gesehen hat“, höhnte er. „Nicht lange und Sie hätten sich die Klamotten vom Leib gerissen!“

„Na und? Auch das wäre meine Sache gewesen.“

„Stimmt. Ich Trottel habe mich ohnehin nur auf dieses Schauspiel eingelassen, weil mich eine Verrückte um Hilfe gebeten hat. Angeblich, weil ihre Freundin von einem Mann belästigt wird. Damit sie Ruhe gibt, ließ ich mich breitschlagen. Wer konnte ahnen, dass es ausgerechnet Sie sind? Doch dann habe ich die Worte dieses Rogers gehört. Für einen kurzen Augenblick hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass ich eingreifen sollte. Eine Fehleinschätzung, wie sich nun herausstellt.“

Annie schaute ihn herausfordernd an, obwohl sie sich gedanklich in den Boden sinken sah. Es war ihr peinlich, dass er Rogers verletzende Worte mitbekommen hatte. „Wieso? Weil mein Ex betont hat, dass ich eine Granate im Bett bin?“, nahm sie das Vorteilhafteste von dessen Aussage als Schutzschild, um nicht ganz blöd dazustehen.

„Nein, vielmehr war es seine Anspielung auf Ihre … ist ja egal.“ Flatley klang, als wäre er plötzlich zu müde, um sich länger zu streiten.

„Houston, wir haben kein Problem mehr.“ Auf einmal stakste Josie mehr oder minder elegant über die Treppe herunter, wobei sie sich krampfhaft am Geländer festhielt. „Die Gefahr ist gebannt!“, säuselte sie. „Roger hat das Weite gesucht und das Lokal verlassen. Das müssen wir begießen. Ah, da ist ja der Retter in goldener Rüstung.“

„Ist Ihre Freundin immer so schräg drauf?“, flüsterte Flatley Annie zu, die glaubte, ein Schmunzeln zu erkennen. Andeutungsweise zumindest.

„Nur, wenn sie getrunken hat.“

„Kommen Sie, junger Mann, lassen Sie uns einen heben. Selbstverständlich auf meine Kosten, Geld spielt keine Rolle. Vielleicht gebe ich Ihnen noch etwas mit, damit Sie sich morgen eine andere Krawatte zulegen können. Bei den vielen Punkten wird einem extrem übel.“ Josie war tatsächlich kalkweiß.

„Leider muss ich passen, in beiderlei Hinsicht“, wies Flatley ihre Angebote mit Blick auf seine goldene Rolex zurück. „Ich werde nach Hause fahren.“

„Sie sind doch gerade erst gekommen“, stellte Josie verwundert fest.

„Ich habe eine Viertelstunde für einen Drink eingeplant. Die ist nun vorbei. Meine Damen.“ Er beugte leicht den Kopf. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“ Leichtfüßig eilte er über die Treppe hinauf. Josie starrte ihm unverhohlen nach.

„Was für ein knackiger Zeitgenosse“, bewertete sie Flatley und lehnte sich wie ein nasser Sack an die Wand. „Der ist bestimmt auf der Durchreise. Schade.“

„Für wen? Für dich oder für ihn?“

„Für dich, du Dummerchen. Der stellt Roger gnadenlos in den Schatten und ein Abenteuer hilft am besten über eine alte Liebe hinweg.“

„Ich bin keine für einen One-Night-Stand, so gut solltest du mich kennen.“ Annie war durcheinander. Ob wegen Roger oder Flatleys Eingreifen konnte sie jedoch nicht sagen. „Das war übrigens Jack Flatley.“

„Der Limo-Mann?“ Josie wurde um einige Nuancen blasser und hätte mittlerweile getrost eine Leiche in einem Film mimen können. Leider vertrug ihr Magen im seltensten Fall Alkohol. Morgen würde sie den ganzen Tag über dem Klo hängen.

„Richtig. Der Limo-Mann.“

„Wow, du hast gar nicht erwähnt, dass er so attraktiv ist.“

„Weil es nicht wichtig ist. Und bevor du weitersprichst: Er hat Familie.“

Jack verließ mit Leni die St. Agnes Bakery. Da er sich gestern dazu entschlossen hatte, bis zum Abriss in der Villa zu bleiben, musste er Lebensmittel besorgen. In das Hotel zog es ihn ohnehin nicht zurück, allerdings war es eine neue Erfahrung, für sich selbst sorgen zu müssen. Bisher hatte sich stets seine Haushälterin Greta um alles gekümmert. So gesehen wäre er dumm, würde er Annie schon heute entlassen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Immerhin konnte sie etwaige Botengänge übernehmen, für einen gutgefüllten Kühlschrank sorgen und die Mahlzeiten zubereiten. Zu putzen gab es in dem leeren Haus ohnehin kaum etwas. Allerdings würde er sich für die Übergangszeit einige Möbel besorgen müssen.

„Mein Dad geht zu Fuß!“, freute sich Leni, die ihm eine Einkaufstasche abnahm. Ihr Haar war zerzaust, als wäre sie gerade aus dem Bett gestiegen und ausnahmsweise war sie heute ganz in Schwarz gekleidet. Hoffentlich wurde sie nicht zum Grufti, aber er durfte nicht hinter jeder neuen Moderichtung irgendeine Bedrohung sehen. Das hatte er zumindest gestern auf Google gelesen, als er nach Erziehungstipps suchte.

„Ein Fußmarsch, zu dem mich meine Tochter förmlich gezwungen hat.“ Jack lächelte.

„Um dir zu zeigen, wie schön es hier ist. Nie zuvor habe ich einen idyllischeren Ort gesehen. In New York ist alles so hektisch, als müsste jeder mithalten und sich deswegen doppelt anstrengen. Ein Gedränge wie auf der Überholspur. In St. Agnes kann man hingegen die Seele baumeln lassen. Der Ort fühlt sich an wie eine Hängematte. Ich sage nur: Hinlegen und entspannen. Kein Hupen, kein Trubel, nur Meeresrauschen.“

Jacks Schritte waren mit jedem Wort langsamer geworden, bis er schließlich stehenblieb. Es dauerte, bis es Leni bemerkte, die umkehrte und mit fragender Miene vor ihm stoppte. „Sag mal, aus welchem Film hast du das denn?“

„Aus keinem. Sind meine eigenen Worte.“ Sie blinzelte. Das tat sie meistens, wenn sie flunkerte. „Ich beobachte eben genau und werde langsam erwachsen.“

„Und das soll ich dir glauben?“

„Ach Dad, ich will nur, dass du es dir mit der Villa noch einmal überlegst.“

Jack ging weiter. Leni folgte ihm. „Wieso ist dir das so wichtig?“

„Weil ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl habe, dass es ein Zuhause werden könnte“, erwiderte sie leise. „Kein Loft mit Designermöbeln und einer Aussicht über Hunderte von Wolkenkratzern. Hier grüßen einen die Menschen sogar. In New York tun das nur die Leute, die wissen, dass ich deine Tochter bin.“

„Dein Großvater und ich haben andere Pläne, das musst du respektieren. Doch wenn es dich tröstet, könnte ich mich nach einem Sommerhaus auf Hawaii oder Teneriffa umsehen.“

„Du verstehst es einfach nicht.“ Leni presste die Lippen zusammen, während sie die Straße überquerten. Bisher war erst ein Auto an ihnen vorbeigefahren. Eins! Mochte Leni von St. Agnes schwärmen wie sie wollte, irgendwann würde es ihr zu langweilig werden. Ferner war Cornwall keine Option für ein Sommerhaus. Die Grafschaft war nicht repräsentativ genug. Zumindest noch nicht.

„Schau mal, da vorne ist Harolds Antiquitätenladen.“ Leni deutete auf ein kleines Geschäft nahe einer Seitenstraße.

„Wer ist Harold?“, fragte Jack verdutzt, der nach einem Bekleidungsgeschäft Ausschau hielt. Zwar hatte er heute Morgen seine und Lenis Koffer vom Hotel geholt, ständig konnte er jedoch nicht in seinen Anzügen herumlaufen. Außerdem benötigte er einige Toilettenartikel.

„Ich habe ihn gestern kennengelernt.“

„Bei welcher Gelegenheit? Mir hast du erzählt, dass du einen Spaziergang gemacht hast.“

„Das stimmt ja auch.“ Erneut blinzelte Leni. „Aber weil du mir erzählt hast, dass du früher Antiquitätenhändler werden wolltest, habe ich bei ihm reingeschaut.“

Je näher sie dem Geschäft kamen, desto dumpfer schlug Jacks Herz. Alte Möbel waren früher für ihn eine Kostbarkeit gewesen. Sie zu restaurieren eine Offenbarung. In grauer Vorzeit hatte er im Keller seines Elternhauses sogar eine Werkstatt gehabt und dort viele Möbel mühsam aufbereitet. Altes erhalten war nach wie vor seine Devise – zumindest was diesen Bereich betraf, der allerdings längst zur Vergangenheit gehörte.

„Wow, Harold hat wirklich tolle Sachen in der Auslage“, schwärmte Leni, die sich bisher nie dafür interessiert hatte. Unwillig blieb Jack neben ihr stehen. Sie spiegelten sich im Schaufenster wider. Über dem Geschäft hing eine antike grüne Reklametafel, die viele Roststellen aufwies: Harolds Schätze stand darauf. In der Tat verfügte der Inhaber über erlesene Kostbarkeiten, wie Jack feststellen musste. Ein alter barocker Stuhl mit rotem Samtbezug stand in der Auslage. Dahinter zeigte sich eine exquisite Chippendale-Kommode mit einer Schnitzerei, die einen Löwenkopf mit einer Krone zeigte. Das Möbelstück glänzte, als hätte man es gerade aufpoliert. Jack ergriff eine Begeisterung, wie er sie lange nicht mehr gespürt hatte, obwohl er am liebsten das Weite gesucht hätte!

Dennoch folgte er Leni wie in Trance ins Geschäft. Ein Glöckchen bimmelte. Sofort erfasste ihn ein Gefühl, als hätte er soeben die Schwelle in eine andere Zeit betreten. Kommoden mit goldenen Scharnieren, ein Biedermeier-Schreibtisch aus Nussbaum, ein reich verzierter wuchtiger Danziger-Barock-Schrank, gotische Truhen, zwei edle Sofas mit Brokatbezug, Kristall-Tischlampen im Jugendstil – Jack konnte sich kaum sattsehen.

„Habe ich dir zu viel versprochen?“, flüsterte Leni, als wäre auch sie in Gottesfurcht erstarrt. Er lächelte sie an, obwohl es ihn gleichzeitig innerlich zerriss. Seine Tochter hatte ja keine Ahnung …

Erneut ließ Jack seinen Blick über die Möbel schweifen, als er aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung wahrnahm. Er wandte den Kopf und entdeckte einen alten Mann, der den grünen Vorhang zurückschob und aus dem Nebenraum trat.

„Leni, wie schön, dass du mich wieder besuchst“, eröffnete der Fremde das Gespräch und deutete eine Verbeugung an, was Jacks Tochter grinsen ließ. Einer von der ganz alten Schule, wie es aussah. „Darf ich annehmen, dass das dein Vater ist?“ Er kam schleppend näher. Scheinbar hatte er Mühe mit dem Gehen.

„Stimmt. Ich bin Lenis Dad.“ Jack reichte ihm die Hand, die beherzt gedrückt wurde.

„Mein Name ist Harold Swappy“, stellte sich der Mann vor, nachdem sich ihre Hände voneinander gelöst hatten. „Ich führe dieses Geschäft schon seit beinahe fünfzig Jahren.“

„Tatsächlich?“ Das hatte Jacks Respekt verdient. „Dann läuft Ihr Geschäft gut?“

„Ich kann mich nicht beklagen. Einheimische und sogar Touristen kaufen gleichermaßen bei mir“, gab er bereitwillig Auskunft. „Manches verschiffe ich ins Ausland, da ich Kunden aus der ganzen Welt habe. Dank Internet ist das heutzutage ja möglich.“

„Restaurieren Sie selbst?“ Jack trat vor den Danziger-Schrank. Ein vergleichbares Stück war ihm nie zuvor untergekommen.

„In meiner Werkstatt hinten.“ Harold deutete zum grünen Vorhang. „Ich belasse die Stücke, wie sie sind und zaubere nur den alten Glanz wieder hervor. Altes erhalten ist meine Lebensphilosophie.“

Überrascht schaute Jack ihn an. „Da haben wir etwas gemeinsam. Mir läuft es kalt über den Rücken, dass manche Menschen solche Stücke mit billigem Lack überstreichen.“

Harold schüttelte sich. „Eine schreckliche Vorstellung.“

Der Mann war Jack sympathisch. Noch dazu passte er wie die Faust aufs Auge in das Geschäft, weil er wie ein Aristokrat wirkte. Seine Kleidung unterstrich diesen Eindruck. Graue Anzughose, ein weißes Hemd mit Rüschen an der Knopfleiste, eine nachtblaue Samtfliege und eine Samtjacke in der gleichen Farbe. Dazu passte die graumelierte Schiebermütze im Gatsby-Stil, die schräg auf seinem Kopf saß. Haare schien er keine zu haben. Dafür waren die schwarzen Augenbrauen umso buschiger. Die Nase wirkte energisch und der geschwungene dünne Oberlippenbart erinnerte Jack an seinen Helden aus Kindertagen: D’Artagnan, einer der vier Musketiere. Seltsam, seit Urzeiten hatte er nicht mehr daran gedacht.

„Wenn Sie Lust haben, könnten Sie mir beim Restaurieren helfen“, lud Harold ihn ein, als würden sie sich schon ewig kennen. „Ich muss eine ähnliche Kommode wie diese aufbereiten“, er deutete zum Danziger-Schrank, „aber in meinem Alter wird die Arbeit immer anstrengender. Hinzu kommt die Gicht, unter der ich leide. Von meiner Bandscheibe ganz abgesehen und auch meine Kraft lässt zu wünschen übrig.“

„Wir sind nur ein paar Tage hier“, erklärte Jack schroffer als gewollt und spürte den kalten Schweiß in seinem Rücken. Nie wieder würde er etwas restaurieren! „Und nun entschuldigen Sie uns.“ Er riss sich zusammen. Der alte Herr konnte nichts für seine Erinnerungen. „Leni und ich haben noch nicht gefrühstückt.“

„Dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Tag.“ Neuerlich verbeugte sich Harold und als er wie ein Soldat wieder halbwegs strammstand, lächelte er Leni an. „David hat übrigens gefragt, ob du später mit ihm zum Strand gehen möchtest.“ Im Nu röteten sich Lenis Wangen und ihre Augen glänzten verdächtig. Wer verdammt war David? „Er ist mein fünfzehnjähriger Enkel“, erklärte Harold, als ob er Jacks Zwiespalt gespürt hätte. „Die beiden sind sich gestern in meinem Geschäft begegnet.“

„Und haben sofort Freundschaft geschlossen?“, echauffierte sich Jack.

„So ist die Jugend eben heutzutage“, blieb Harold unbeeindruckt. „Sie nehmen alles mit, was das Leben hergibt. Hätten wir früher auch machen sollen, statt uns nach den Wünschen unserer Eltern zu richten. Also, Leni, soll ich David etwas ausrichten?“

„Nein, danke“, entgegnete Jacks Tochter, die ziemlich zappelig war, „ich schreibe ihn später über Facebook an. Er hat mir ja gestern eine Freundschaftsanfrage geschickt.“

„Oh, das ist nett“, freute sich Harold. „Chattest du auch so gerne wie ich?“

Sie haben ein Facebook-Profil?“, wandte Jack ein.

„Sicher.“ Harold grinste. „Sonst könnte ich nirgends mitreden. Man muss mit der Zeit gehen, so sehr ich die Vergangenheit auch schätze.“

„Natürlich.“ Jack kam sich zum ersten Mal in seinem Leben etwas unterlegen vor. Harold war bestimmt über siebzig und wirkte lebendiger als er. Andererseits hatte er sicher nicht so viel um die Ohren, beruhigte sich Jack beim Verlassen des Geschäfts. Sein Tag hätte dreißig Stunden haben können und das wäre zu wenig gewesen. Insofern war es kein Wunder, dass vieles auf der Strecke blieb. „Ich muss zur Bank“, wandte sich Jack an Leni, als sie draußen standen. Lieber hätte er seine Tochter jedoch wegen diesem David ausgequetscht. War er womöglich der Grund für ihren Wunsch, in dieser Einöde Wurzeln zu schlagen?

Fragen, die bis später warten mussten, denn zu Jacks Leidwesen hatte er im Nebengeschäft zwei Frauen entdeckt, die sich die Nasen am Schaufenster platt drückten. Minnies Allerlei las er kurz und konzentrierte sich wieder auf Leni. Schon jetzt war er froh, wenn er St. Agnes wieder verlassen konnte. „Möchtest du mich begleiten oder willst du lieber nach Hause gehen?“

„Nach Hause“, entschied sich Leni, „das klingt übrigens schön.“ Sie nahm ihm die Einkaufstüte ab. „Ich mache inzwischen Frühstück.“

Jack warf einen schnellen Blick auf die Uhr. „Die Putzfrau müsste um zehn eintrudeln. Zumindest hat Mister Winter gesagt, dass das ihr Dienstbeginn ist. Falls ich noch nicht da bin, soll sie sich um das Mittagessen kümmern.“

„Sag ich ihr.“ Schon sauste seine Tochter übermütig davon. Dabei summte sie sogar ein Lied und erst jetzt fiel ihm auf, dass sie ihr Handy nicht dabeigehabt hatte. Das wiederum schenkte dem kleinen Ort ein paar Sympathiepunkte, obwohl sie von den zwei Frauen im Nu ausradiert wurden. Nach wie vor klebten sie an derselben Stelle. Das Fenster beschlug sich ständig vor den plappernden Mündern. Scheinbar sprachen beide gleichzeitig.

Jack drehte sich demonstrativ um, eilte mit ausladenden Schritten davon und nur zehn Minuten später saß er im Büro von Mister Sullivan. Er war der hiesige Bankchef und sicher zehn Jahre jünger als er. Das könnte schwierig werden, da man in diesem Alter noch Ideale hatte. Doch Sullivan wollte höher hinaus, das konnte Jack mit einem Blick feststellen. Sein rostbrauner Anzug war heillos zerknittert, das Hemd ebenso und die goldene Halskette hätte eher in die 80er Jahre gepasst. Vermutlich ein Erbstück, das er als Prestigeobjekt benutzte, um mehr darzustellen, als er war. Insofern lag der Verdacht nahe, dass er aus einfachen Verhältnissen stammte. Jack hätte sogar seinen Arsch darauf verwettet, dass der Bursche einen Sportwagen fuhr. Vermutlich geleast. Gesetzt den Fall wäre es jedoch besser, wenn Sullivan das Geld in ein Bügeleisen investieren würde.

„Sie sagen also, dass Sie Interesse am Zinnwerk 409 haben?“ Der Bankchef bot ihm einen Platz vor dem einfachen Schreibtisch an und setzte sich Jack gegenüber hin.

„So ist es.“ Jack nahm Platz und überkreuzte die Beine. „Ich interessiere mich schon länger für das leerstehende Gebäude.“

„Darf man fragen, was Sie damit vorhaben?“

„Nicht zum jetzigen Zeitpunkt.“ Informationen müssen gut dosiert werden, rief sich Jack einen von vielen Tipps seines Vaters ins Gedächtnis.

„Nun ja, dies ist ein freies Land und wir können gern darüber verhandeln. Wie Sie bestimmt wissen, gehört das Anwesen der Bank.“

„Und somit Ihnen“, schmeichelte Jack ihm. Sullivan bekam rote Ohren. „Einem verantwortungsbewussten jungen Mann, der es noch weit bringen wird, sofern er sich mit den richtigen Leuten einlässt. Haben Sie ein Haus, Mister Sullivan?“

„Noch lebe ich bei meinen Eltern. Ziemlich beengt“, ließ sich der Bankchef unwissentlich auf Jacks Spiel ein. „Allerdings spare ich auf ein Eigenheim und suche gerade ein passendes Grundstück.“

Jack beugte sich vertraulich vor. „Dann sollten Sie sich beeilen, so lange die Preise erschwinglich sind. Das wird sich nämlich bald ändern.“

Sullivan stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Schreibpult auf und faltete die Hände, als würde er beten. Andächtig genug sah er zumindest aus. „Dann haben Sie also vor, was ich vermute? Wollen Sie sich in St. Agnes einkaufen?“

„Sie sind ein schlauer Mann, Mister Sullivan, und das Zinnwerk ist erst der Anfang. Ich möchte auch das Geschäftshaus an der Küstenstraße erwerben.“ Jack verdrängte Annies Bild, das jedoch hartnäckig blieb, wo es war. Diese Frau war wirklich eine Zumutung und nahm vermutlich nur das Schlechteste von ihm an. Deswegen würde er ihr genau das liefern, was sie von ihm erwartete. Wäre sie etwas netter gewesen, hätte es zwar auch nichts genützt, allerdings wäre er ein wenig sanfter vorgegangen.

„Annies Geschäft?“, forschte Sullivan nach, der hektische Flecken im Gesicht bekam.

„Oder Ihres, wie man es nimmt. Ich hörte, dass Miss Murphy nur mit Ach und Krach die Raten bezahlen kann. Etwas mehr Druck von Ihrer Seite und bald kann sie gar nicht mehr zahlen. Sie hingegen könnten nach Ablauf der Frist über hunderttausend Dollar verfügen.“ Die Schwelle war überschritten. Zum ersten Mal bediente sich Jack dieser Mittel und hatte Michaels Ermahnung im Ohr. Ob er sich deswegen unwohl fühlte in seiner Haut?

„So viel?“ Sullivan wirkte überfordert, kratzte sich hinter dem Ohr und drehte sich im Bürostuhl halb zum großen abstrakten Bild um, das hinter ihm hing, als könnte er darauf eine Antwort finden. „Das Ölbild hat Annies Mutter gemalt“, sagte Sullivan mit nachdenklicher Stimme, „ich mag Mary. Annie ebenso. Das kann ich der Familie unmöglich antun.“ Er wandte sich wieder Jack zu, der dessen inneren Kampf förmlich fühlen konnte.

„Sie wissen, worauf Sie verzichten?“

„Meine Eltern haben mich zu einem anständigen Mann erzogen“, holte Sullivan aus, was Jack ärgerte. Er wollte keinen Small-Talk führen oder Familiengeschichten hören. Weil es sein schlechtes Gefühl verstärkte. Außerdem hatte er eine Viertelstunde für das Gespräch eingeplant, die bald um war. „Nicht nur ich, auch Mom und Dad sollen in meinem Haus wohnen“, weihte Sullivan ihn weiter ein. „Damit sie keine Miete mehr zahlen müssen und die Jahre, die ihnen noch bleiben, in vollen Zügen genießen können.“

„Umso schneller sollten Sie handeln. Ihre Eltern werden es Ihnen danken.“ Diese Worte waren Jack schwer über die Lippen gekommen, weil der Junge scheinbar an seinen Eltern hing. Aber jeder ist sich selbst der nächste, pflegte Jacks Vater stets zu sagen und dieser wäre ziemlich enttäuscht, wenn er die Sache vermasseln würde. „Sie werden es nicht bereuen, Mister Sullivan und ich gebe Ihnen mein Wort darauf, dass niemand von unserem kleinen … nennen wir es Tauschgeschäft … erfahren wird. Davon abgesehen werde ich Sie über jeden Neubau unterrichten und Sie können in Ruhe entscheiden, ob Sie eventuell mit einsteigen möchten. Der Kuchen ist groß genug, um auch aus Ihnen einen Millionär zu machen.“ Sullivan würde lange in dem Stuhl sitzen, sofern er die Füße stillhielt. Jack musste ihn sich also warmhalten, denn es war gut möglich, dass er ihn für weitere Geschäfte brauchte. „Fünfzigtausend können Sie schon binnen der nächsten Tage auf Ihrem Konto haben. Den Rest bekommen Sie, sobald ich der neue Besitzer von Murphys Geschäftshaus bin.“ Ein viel zu hoher Betrag, doch sein Vater bestand darauf. Er würde seine Gründe haben.

„Na gut“, gab sich Sullivan geschlagen, obwohl er aussah, als würde er am liebsten weinen. „Ich mache es für meine Eltern.“ Sie standen auf und besiegelten ihr Geschäft mit einem Handschlag. Dann gab Sullivan ihm seine Kontonummer.

Als Jack aus der Bank ging, war er in Gedanken bereits bei einem gemütlichen Frühstück auf der Veranda, wodurch er beinahe den Mann übersehen hätte, der Annie so beleidigt hatte. Roger, sofern sich Jack richtig erinnerte, bediente gerade eine brünette Frau und sein Blick hätte töten können, wäre er eine Waffe gewesen. Der Typ war extrem eifersüchtig wie es aussah …

-Ende der Leseprobe-

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