Kitabı oku: «La Fidanzata», sayfa 2
DIE HEIMLICHE KÖNIGSFAMILIE UND IHRE PRINZESSIN
Wie der Fiat-Clan Agnelli mit seinem Fußballklub verschmilzt
Die Agnelli haben den Mäzenatenfußball nicht erfunden, denn kaum war dieser Ballsport in der Welt, da investierten reiche und mächtige Männer in ihr Hobby und lernten schnell, es auch für ihre eigene Popularität zu nutzen. Doch wenn die Turiner Familie auch nicht die erste war, so blieb sie doch die hartnäckigste: seit 1923 gab sie Juventus nicht aus der Hand. Längst hält sie einen einsamen Weltrekord, kein anderer Sportklub befindet sich derart lange im Besitz einer einzigen Familie. Fiat, Agnelli, Juventus, dieser Dreiklang ist einzigartig. Er tönt bis heute, in die dritte und vierte Generation. Die Agnelli steuerten ihren Klub durch den Faschismus, durch Krieg und Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Rezession, durch Triumphe, Tragödien und Skandale. Am Anfang des 21. Jahrhunderts bilden sie ein Bollwerk gegen den Ausverkauf italienischer Traditionsvereine. Mittlerweile zur Clanstärke angewachsen, nutzen sie das klubeigene Stadion in jedem Sommer zu einem ganz besonderen Fußballspiel. Agnelli gegen Nasi: die Nachfahren von Edoardo Agnelli, dem ersten Juve-Präsidenten, gegen die Nachkommen seiner Schwester Aniceta (1889–1928) und des Barons Carlo Nasi (1877–1935). Am Ende gewinnt bei diesem Match immer die Familie.
Giovanni und Edoardo
1923–1945
Als sich Giovanni Agnelli entschloss, den Fußballklub Juventus zu übernehmen und seinen Sohn Edoardo zum ersten Klubpräsidenten der Familie zu machen, regierte in Rom seit wenigen Monaten Benito Mussolini. Die Schergen des Duce hatten auch die wichtige Industriestadt Turin in der Zange, sie ermordeten dort in einem einzigen Winter elf Antifaschisten. Das Klima in der Stadt, einer Metropole der italienischen Arbeiterbewegung mit nunmehr einer halben Million Einwohnern und 12.000 Industrieunternehmen, war gespannt. Es gab Straßenkämpfe, Verfolgung, Repressalien. Und der Fußball wurde als eskapistisches Freizeitvergnügen und identitätsstiftendes Element jenseits der Politik immer wichtiger.
Juventus war damals außerhalb der Stadtgrenzen so gut wie unbekannt, ein Klub unter vielen im prosperierenden Norden Italiens, dessen Liga sich als Fußballitalien definierte und wo sich langsam so etwas wie eine Fußballelite herausbildete. Dazu gehörten die Turiner Klubs noch nicht, anders als die Mailänder Vereine und der CFC Genua. Doch Edoardo Agnelli sollte sich sofort daran machen, zur Konkurrenz aufzuschließen und den obersten Grundsatz der aufstrebenden Unterhaltungsindustrie zu markieren: Geld schießt Tore.
Dabei war er nicht der erste Industrielle, der in den Fußball einstieg. Bereits 1908 hatte der Reifenfabrikant Piero Pirelli die Associazione Calcio Milan übernommen. Noch im selben Jahr spaltete sich der Klub; die Abtrünnigen gründeten dann den FC Internazionale. Milan-Patron Pirelli ließ das Stadion von San Siro bauen – und stattete es prompt mit Banderolen aus, auf denen sein Firmenname prangte. Erstmals war ein italienischer Klub Werbeträger eines Industrieunternehmens, ein Beispiel, das rasch Schule machte. Genau wie Edoardo Agnelli war Piero Pirelli der Sohn des Firmengründers. Und genau wie der »Erbprinz« aus Turin durfte er sich ganz auf den Fußball konzentrieren, bevor er 1932 vom Vater den Reifenkonzern übernehmen musste. Während den deutschen Vereinen noch der Amateur-Muff der Turnväter anhaftete, entdeckten Italiens Industriekapitäne den Fußball schon früh für die Corporate Identity ihrer Unternehmen.
Im Norden des bitterarmen Agrarlandes schickten sie sich an, die Rolle der adligen Feudalherren zu übernehmen. Doch im Unterschied zu den Baronen Siziliens und Kampaniens, die ihre Latifundien Verwaltern übergaben, um in Palermo oder Neapel ein dekadentes Leben voller Nostalgie nach der glanzvollen Vergangenheit ihrer Familien zu führen, bildeten die Industriellen in Mailand und Turin eine moderne Elite. Sie orientierten sich am Ausland und unternahmen ausgedehnte Bildungsreisen nach England und vor allem in die USA. Sie fühlten sich als Avantgarde in einem soeben erst geeinten Land tief katholischer, reaktionärer Großbauern und einer kaum alphabetisierten Unterschicht. Und was war moderner als dieser englische Ballsport, der zunehmend die Massen begeisterte? Der Mannschaftssport Fußball entwickelte sich zur idealen Projektionsfläche der aufstrebenden Industriegesellschaft, arbeiteten doch in einer Elf alle für einen und einer für alle. Und dahinter stand der Patron, der mit seiner Mannschaft fieberte und für das Vergnügen aller zahlte. Für den Fiat-Gründer Giovanni Agnelli war der Fußballklub nur ein Teil in einem modernen Feudalreich aus Industrie, Medien und Sport, ein Mosaikstück bei der Eroberung einer ganzen Stadt.
Über seinen 1892 geborenen Sohn Edoardo wurde in Turin gespottet, seine Jacken seien eleganter als seine Gedanken, womit er seinem Vater Giovanni immerhin den Chic der Garderobe vorausgehabt hätte. Eleganz war für den Alten eine überflüssige Eigenschaft, die nur vom Streben nach Erfolg ablenkte. Als einziger Sohn und designierter Erbe stand Edoardo unter der Fuchtel seines autoritären und erfolgsbesessenen Vaters. Nicht, dass er sich dagegen auflehnte – er genoss durchaus die vom Vater garantierten Privilegien. Seine Rebellion bestand vor allem darin, den spartanischen Lebensstil des Patriarchen abzulehnen.
Als Reiteroffizier musste Edoardo in den Krieg ziehen, aber natürlich war der Fiat-Erbe kein gewöhnlicher Soldat: Fernab der Schlachtfelder machte er sich als Chauffeur eines Generals nützlich. Kaum war der Frieden da und sein Jura-Studium abgeschlossen, reiste er durch die Welt, um seinen Horizont zu erweitern. Zurück in Turin bestellte der Senior seinen einzigen Sohn umgehend überall zum Stellvertreter, bei Fiat, im Unternehmerrat und bei der Tageszeitung »La Stampa«. Doch Edoardo suchte und fand ein eigenes Betätigungsfeld, was den Vater nicht im geringsten interessierte und wo er sich deshalb auch nicht einmischte: im Sport. Giovanni Agnelli war ein Mann des 19. Jahrhunderts, sein Sohn hingegen zeigte sich empfindlich für den Zeitgeist. Und der war bestimmt von der futuristischen Maschinenschwärmerei und dem Eklektizismus der Faschisten.
Rasch entdeckte der Faschismus auch den Sport für sich. Körperliche Ertüchtigung spielte eine entscheidende Rolle, wegen des Gemeinschaftsgefühls, als spielerische Variante militärischen Drills und weil sie die Kontrolle jener sehr knappen Freizeit ermöglichte, die das Regime den Italienern überhaupt erst ermöglicht hatte. Der freie Samstagnachmittag wurde eingerichtet, il sabato fascista, mit Sport unter Partei-»Kameraden« als bevorzugter Beschäftigung. Daneben förderte das Regime durchaus den Profifußball, obwohl Mussolini das »englische Spiel« selbst verabscheute –, was ihn aber nicht davon abhielt, große Auftritte in Fußballstadien zu absolvieren, denn dieses diabolische Kommunikationsgenie hatte das propagandistische Potenzial des populären Spektakels rasch erkannt. Und so wurden bald in ganz Italien Stadien nach ihm benannt, auch in Turin. Ursprünglich erbaut für Leichtathletikwettkämpfe wurde die Arena Benito Mussolini mit ihren 65.000 Plätzen die Heimstatt für Juventus und den FC Torino, später avancierte sie auch zum Austragungsort einiger Spiele der WM 1934. Für die Olympischen Winterspiele 2006 erfolgte eine umfassende Renovierung, heute heißt das Stadion Stadio Olimpico Grande Torino und ist die Heimstatt des Toro.
Juventus wuchs mit den Agnelli ebenso rasant wie die Fiat-Werke. Aus dem Klub der Gymnasiasten wurde ein Verein, der bald an die Spitze strebte und landesweit Bekanntheit erlangte. Das lag vor allem an einer beeindruckenden Erfolgsserie, aber auch an der Expansion des Fußballs selbst. Das faschistische Regime duldete nicht länger die Teilung in Nord- und Südliga, im Jahr 1930 wurde erstmals eine landesweite Meisterschaft ausgetragen, es entstand die Serie A. Zwar dominierte darin weiter der Norden, aber immerhin gab es nun auch Auswärtsspiele in Rom oder Neapel. Der Wirkungskreis der Juve erweiterte sich also. Das Radio, wichtigstes Propagandamedium des früheren Star-Journalisten Benito Mussolini, übertrug landesweit kommentierte Fußballspiele, die »Gazzetta dello Sport« entwickelte sich zur viel gelesenen Tageszeitung. Und so verbreitete sich die Kunde vom unerhörten Siegeszug der Bianconeri von den Alpen bis nach Sizilien. Fünf Titel hintereinander gewann Juventus in den Jahren 1931–1935, seine erste Meisterschaft hatte Klubpräsident Agnelli jedoch bereits 1926 gewinnen können. In ihrem goldenen Jahrfünft wurde die Juve tatsächlich die Verlobte Italiens, überall erwarteten sie ausverkaufte Stadien, denn ein Eintrittsticket war ein begehrtes Geschenk zum Abitur oder sogar zur Hochzeit. Der Marchese Luca Ferrero di Ventimiglia ließ ein Schiff namens »Juventus« zu Wasser, auf dem die Tifosi eine kleine Kreuzfahrt unternehmen können. Italien war im Juve-Fieber, erschien doch dieser Klub wie das Emblem einer neuen Zeit.
Giovinezza, die Jugend, wurde von den Faschisten in ihrer Parteihymne besungen. Und Juventus, die Mannschaft der Jugend, fügte sich mit ihrem dynamischen Präsidenten perfekt in den italienischen Modernismus. Sie war erfolgreich, weil sie geführt wurde wie der Lingotto, das 1923 im Beisein Mussolini triumphal eröffnete Fiat-Werk im Südosten von Turin. Der Lingotto mit seinen riesigen Werkshallen, eleganten Büros und der kühnen Rennpiste auf dem Dach vor einem grandiosen Alpenpanorama galt als Meisterwerk des Rationalismus. Hier, wo in den 1930er Jahren 40.000 Arbeiter Autos für Italien bauten, schlug jenes neue, industrielle Herz, das der Faschismus für sich erobern wollte.
Edoardo Agnelli führte auch in seinem Fußballklub feste Arbeitszeiten ein. Die Spieler hatten keinen Zehnstundentag wie die Arbeiter im Lingotto, aber sie trainierten regelmäßig jeden Tag, und zwar mit einem richtigen Trainer. Der erste Profi in diesem Job wurde bei Juventus der Ungar Jenö Károly – zuvor hatten die älteren Spieler das Training quasi nebenbei geführt. Es brauchte eine Weile, bis Károly sie davon überzeugen konnte, dass ein richtiger Coach nicht nur eine Laune des Patrons war. Die sogenannte »Donau«-Schule Österreich-Ungarns dominierte damals in Europa, und Agnelli wollte den Anschluss an die Fußballavantgarde auf keinen Fall verpassen. Folgerichtig trieb Károly seinen Juve-Spielern die langen Bälle aus und vermittelte ihnen einen Hauch von Taktik. Und das, obwohl er anfangs kein Wort Italienisch sprach. Doch der Trainer wusste sich zu helfen, er stellte die jeweiligen Spielsituationen einfach persönlich nach. Und er bestand auf Verstärkung, die ihm sein reicher Boss großzügig gewährte. Mit József Viola und der »Gazelle« Ferenc Hirzer, einem Elektriker aus Budapest mit überaus feinen Füßen, spielten bald zwei Landsleute des Trainers für Juve und Hirzers Tore brachten 1926 den ersehnten Titel. Tragisch für Károly, dass er die Meisterfeier nicht mehr erleben durfte – er starb kurz zuvor mit 40 Jahren an einem Herzinfarkt. Jenö Károly hatte sich für Juventus buchstäblich totgearbeitet.
Es sollte Jahre dauern bis zur nächsten Trophäe, doch der Grundstein für den Erfolg war gelegt. Edoardo machte aus Juve una Weltanschauung, wie der Familienchronist Italo Pietra befand, einen Klub, »der nach Hochtälern roch, nach altem Piemont, nach altem Aplomb. Wenn sie zum ersten Mal den Vereinssitz betraten, überkam die Spieler angesichts der ehrfurchtgebietenden Ledersessel, des gebohnerten Parketts, der feierlichen, nur durch das Ticken der Wanduhr unterbrochenen Stille eine heilige Furcht.« Der »Juve-Stil« war erfunden, ein wenig blasiert, sehr gediegen und unerbittlich streng. Sein Motto umfasste die drei S von Semplicità, Serietà, Sobrietà (Einfachheit, Ernsthaftigkeit, Zurückhaltung). Agnelli bot viel und verlangte noch mehr.
Aber wer sich bei Juve durchsetzen konnte, der hatte ausgesorgt. Die gut bezahlten Profis erwiesen sich als kluge Geschäftsmänner. Giampiero Combi, die erste echte Nummer 1 bei Madama, Torwart von 1921 bis 1934, betrieb bereits als Aktiver ein Café an der Ecke Via Roma/Piazza Castello, mitten im eleganten Zentrum Turins. Man erzählte sich, dass Combi gern ein Gläschen Wein in der eigenen Bar konsumierte, seiner beeindruckenden Kondition tat das jedoch keinen Abbruch. Der Schlussmann wurde der Garant für fünf Meistertitel, gewann 1934 mit Italien die Weltmeisterschaft – und fiel in all den Jahren nur an neun Spieltagen aus. Knapp 90 Jahre lang hielt Juves erster Star im Tor den Vereinsrekord der Unschlagbarkeit, bis er von Gianluigi Buffon entthront wurde. Gemeinsam mit Virginio Rosetta und Umberto Caligaris bildete Combi eine der besten Verteidigungslinien der Fußballgeschichte, genannt »das Buchhalter-Trio«, weil alle drei tatsächlich eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung hatten. Rosetta, den Agnelli 1924 für seinerzeit unerhörte 50.000 Lire dem Provinzklub Pro Vercelli abgehandelt hatte, gehörte eine Eisdiele zwischen Porta Nuova und dem Po.
Komplettiert wurde die blühende Juventus-Gastronomie von Renato Cesarini, dem 1929 in Turin angeheuerten italoargentinischen Angreifer. Nach ihm wird bis heute die Schlussphase des Spiels als Zona Cesarini bezeichnet: Cesarini-Zone, weil dieser Spieler bevorzugt in den allerletzten Minuten traf. Kein Wunder, denn der in Buenos Aires aufgewachsene, lebenslustige Renato war eine Nachteule, ein Mann der späten Tore wie der späten Stunden. Mit dem Geld, das er in Turin anhäufte, eröffnete er über dem Café von Torwart Combi einen Nachtklub, wo er sich allzu gern persönlich um seine Gäste kümmerte.
So geschah es, dass Cesarini gelegentlich im Pyjama zum Training erschien, weil er es zwar gerade noch geschafft hatte, sich aus dem Bett zu schwingen, nicht aber auch noch, sich anzuziehen. Man verzieh es ihm, wie man auch dem größten Star Turins und Italiens verzieh, dass er nach verrichteter Arbeit in Renato Cesarinis Klub die Geige spielte. Ja, das piemontesische Wunderteam der 1930er Jahre bestand tatsächlich aus Männern, die nach dem Fußball nicht nur Tango tanzten, sondern ihn auch zu spielen wussten. Ob Präsident Agnelli jemals der Violine von Raimundo Mumo Orsi gelauscht hat, ist nicht überliefert. Aber wahrscheinlich ist es schon. Denn Agnelli liebte jene Bohemiens, die seine Juventus erfolgreich machten, ihr aber auch einen Glanz verliehen, der auf ihn zurückfiel.
Orsi war der erste Fußballer, der zum Idol zweier Kontinente avancierte. Als er 1928 aus Argentinien nach Turin kam, galt er als stärkster Linksaußen der Welt. Mit der Albiceleste, der argentinischen Nationalmannschaft im schon damals weißhimmelblauen Trikot, war der Sohn italienischer Auswanderer zuvor bei den Olympischen Spielen in Amsterdam gefeiert worden, da hatten die Talentsucher Edoardo Agnellis ihn längst im Visier. Um Mumo ins Piemont zu holen, warf Agnelli sein ganzes Gewicht als Großindustrieller in die Waagschale. Seit 1926 galt die »Carta von Viareggio«, die den Transfer von Ausländern für Italiens Fußball verbot. Aber Orsi, so die Argumentation der Agnelli, sei ja gar kein Ausländer, sondern ein Oriundo, ein im Ausland aufgewachsenes Kind italienischer Eltern, also eigentlich ein Italiener, der ins Land der Väter heimkehre.
Der faschistische Verbandschef fand das einleuchtend, gab es doch in Südamerika zuhauf Talente mit italienischen Wurzeln, die dem Sport daheim auf die Beine helfen konnten. In Argentinien wimmelte es von italienischen Emigranten vor allem aus dem bitterarmen Venetien; São Paulo in Brasilien war quasi eine italienische Stadt. Die Argentinier ließen Orsi für die Rekordsumme von 100.000 Lire gehen, die höchste, die damals für einen Südamerikaner gezahlt wurde. Sicher auch ein »politischer« Preis, denn an diesem Ausnahmespieler manifestierte sich ein schon länger schwelender Konflikt zwischen Italienern und Südamerikanern. Bereits 1923 hatte Meister CFC Genua eine Tournee durch Brasilien, Uruguay und Argentinien absolviert, versehen mit dem Doppelsegen des Duce und des Papstes. Das technische Können und die Laufgeschwindigkeit der Südamerikaner beeindruckten die Italiener, und sie starteten Abwerbeversuche, hinter denen die argentinische Presse Mussolini persönlich vermutete: »Die faschistische Regierung will unsere Spieler an ihre Vereine binden, um vor aller Welt mit dem faschistischen Fußball zu prahlen!« Das war nur leicht übertrieben und zeigte deutlich den Konflikt zwischen alter und neuer Fußballwelt. In Italien blieb die Trophäe Mumo allerdings ein ganzes Jahr gesperrt, erst 1929 durfte er für Juventus auflaufen, um mit seiner technischen Klasse und Wendigkeit alle Erwartungen zu erfüllen. Für die Fans wurde der schmale Mann mit den schwarzen Mandelaugen »die Gazelle«.
Drei Monate nach seinem Einstand für den Klub trug Orsi schon das Trikot der Nationalmannschaft. Der Verband hatte Wind davon bekommen, dass der Vater des neuen Juve-Stars im Krieg mit dem Schiff in die alte Heimat gereist war, um gegen die Österreicher zu kämpfen. Gleich hieß es: »Wer gut genug ist, die Uniform anzulegen, um für Italien auf einem Schlachtfeld zu sterben, der kann erst recht unsere Flagge auf friedlichen Sportplätzen verteidigen.« Am 6. Dezember 1929 lief Orsi für die Squadra Azzurra im Stadion San Siro ein und schoss gegen Portugal innerhalb von zwei Minuten zwei Tore. Insgesamt brachte er es auf 35 Einsätze in der Nationalmannschaft mit 13 Treffern – darunter der Ausgleich im WM-Finale gegen die Tschechoslowakei. 1934 wurde der Oriundo Orsi mit Italien Weltmeister. Zwei Jahre später spielte er schon wieder für Argentinien. Da war Mumo, der Geiger, Hals über Kopf aus Italien geflohen. Das Regime hatte mit der Rekrutierung für seinen Abessinienfeldzug begonnen und die Oriundi kapierten sofort: Wer gut genug war, mit Italien Fußball-Weltmeister zu werden, war womöglich auch dazu ausersehen, auf dem Schlachtfeld für den Duce zu sterben. Das aber wollte Mumo Orsi für kein Geld der Welt.
8000 Lire monatlich hatte Patron Agnelli dem argentinischen Stürmer gezahlt, eine astronomische Summe verglichen mit den Gehältern eines Lehrers (400 Lire) und eines Richters (1000 Lire). Der Verein gewährte seinem Star zudem eine Dienstwohnung und einen Dienstwagen – natürlich einen Fiat, Modell 509. Als Orsi einmal in Palermo von einem hartnäckigen Gegenspieler genug hatte, fragt er ihn genervt, wie viel er verdiene. 600 Lire, lautet die Antwort. Und Orsi: »Die gebe ich dir und dann zieh Leine. Fußball spielen kannst du sowieso nicht.« So viel Arroganz konnte er sich leisten. Juventus machte Raimundo Orsi groß und Mumo ließ die Juve strahlen. So groß war sein Einfluss, dass er 1931 auch seinen Landsmann Luisito Monti holen ließ, den argentinischen Vizeweltmeister von 1930. Somit spielte bei Juventus ein Trio aus argentinischen Oriundi: Orsi, Monti und Cesarini.
Rein körperlich war Monti das Gegenteil der beiden anderen. Er hatte breite Schultern, ein starkes Kreuz und, als er in Turin eintraf, deutliches Übergewicht. In Buenos Aires hatte er bereits die aktive Zeit beendet und sein Einkommen mit einer Pasta-Manufaktur aufgebessert. Neben seinen neuen Teamkollegen in Turin wirkte der 92-Kilo-Mann, als hätte man Bud Spencer ins hintere Mittelfeld gestellt. El Verdugo hatten sie ihn wegen seiner beinharten Spielweise in Argentinien genannt, den Henker. Diesem Spitznamen machte Monti auch bei Juventus weiterhin alle Ehre, der Pasta-Bauch indes verschwand. Mit einem selbstverachtenden Abmagerungsprogramm und hartem Training nahm er innerhalb kürzester Zeit 12 Kilo ab. Das reichte für die Berufung in die Squadra Azzurra, und so wurde Monti, der das Endspiel 1930 noch mit Argentinien gegen Uruguay verloren hatte, der bis heute einzige Spieler, der für zwei verschiedene Nationalteams in einem WM-Finale stand. Als Orsi und Cesarini längst über alle Berge waren, blieb er in Italien.
Die Fußballstars der Juve hätten nicht glänzen können ohne einen genialen Coach. Der Mann, dem Luisito Monti seinen zweiten Frühling verdankte und Juventus vier der fünf SerienTitel, hieß Carlo Carcano und hatte sich schon als Spieler durch seine taktische Begabung hervorgetan. Als erster Fußballer der Unione Sportiva Alessandria wurde er in die Squadra Azzurra berufen, die er 1928/29 auch kurzfristig trainierte, bevor er im Jahr darauf bei Juventus anheuerte. Carcano gilt als einer der Erfinder des Metodo, eines zwischen den Kriegen in Italien verbreiteten 2-3-2-2-1-Taktiksystems, das vor allem auf einer robusten Abwehr und schnellen Kontern beruhte. Bei der italienischen Methode handelte es sich um pragmatisch-opportunistischen Überfallfußball ohne große Schnörkel – seine Vollendung wurde später als Catenaccio weithin berüchtigt.
Carcano hielt auf eiserne Disziplin, galt aber auch als einfühlsamer Psychologe, zu einer Zeit, da dieser Begriff im Fußball noch gar nichts zu suchen hatte. Der Juve-Trainer motivierte und förderte junge Talente, unterstützte den auf Abwege geratenen Monti bei seinem Kampf um die zweite Chance, duldete die Allüren seiner Stars. 1934, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, musste er dennoch gehen. Der vierfache Juve-Meistertrainer Carcano hatte als Assistenztrainer von Vittorio Pozzo die Azzurri gerade zum Weltmeistertitel geführt, als Gerüchte über seine Homosexualität laut wurden. Der Trainer habe unerlaubte Beziehungen zu einigen Spielern unterhalten. Ja, er sei von seiner Talentsuche in Südamerika sogar mit einem jungen Geliebten heimgekehrt. Wer die Intrige anstiftete, ist nicht bekannt. Die glühenden Faschisten in der Nationalelf? Das waren namentlich die Parteimitglieder Eraldo Monzeglio (Bologna) und Attilio Ferraris (Lazio). Oder andere Spitzel des Regimes, die den Agnelli zeigen wollten, wer Herr im Haus war? Bei Juve gab es keine Spieler, die sich als Faschisten hervortaten. Anders als der FC Bologna und die beiden Hauptstadtvereine Roma und Lazio gehörte der Klub der Turiner Industriellen auch nicht zu den Favoriten des Duce. Kein Wunder, trug doch die Juventus als einziger Großverein keine faschistischen Abzeichen auf den Trikots. Und dass, obwohl sie als Nazio-Juve das Rückgrat des Weltmeisterteams von 1934 bildete. Damit nicht genug, leistete sie sich einen hartnäckigen Antifaschisten als Generaldirektor.
Der Baron Giovanni Mazzonis di Pralafera (1888–1969) war bei Juve ein mittelmäßiger Spieler mit zehn Einsätzen und null Toren in drei Jahren gewesen. Als Manager aber hatte er eine glückliche Hand und war an der Seite seines Freundes Agnelli für das goldene Jahrfünft wesentlich mitverantwortlich. Und als Edoardo 1935 starb, übernahm Mazzonis sein Erbe. Fünf Jahre lang führte er die Juve, bis er von den Faschisten aus dem Amt gejagt wurde. 1940, im Jahr des italienischen Kriegseintritts, duldete der Duce keine Quertreiber im Sport mehr.
Doch weder Mazzonis noch Edoardo Agnelli mochten ihren Trainer Carcano halten, als die Gerüchte über dessen Homosexualität lauter wurden. Homosexuelle wurden im Faschismus verfolgt, verhaftet und in die Verbannung geschickt. Dem Präsidenten blieb nichts anderes übrig, als seinen Trainer im Herbst 1934 von einem Tag auf den anderen zu entlassen, aus disziplinarischen Gründen, wie offiziell verlautbart wurde. Um das Regime offen herauszufordern, wie das sein Vater zur Durchsetzung eigener Interessen getan hatte, fehlte es dem Erben an Charakterstärke und wohl auch an Entscheidungsgewalt. Carcano, der Meistercoach, einer der intelligentesten und begabtesten Fußballlehrer seiner Zeit, versank in der Bedeutungslosigkeit der Fußballprovinz und konnte nie wieder an seine Erfolge anknüpfen.
Während der alte Agnelli der neuen »Bewegung« misstrauisch gegenüberstand und versuchte, sie für seine Zwecke zu nutzen, pflegte sein Sohn die Rituale des Regimes als hoffnungslos provinziell zu belächeln, ohne jemals öffentlich Kritik zu äußern. Edoardo Agnelli war ein weltläufiger Dandy, der mit seiner bildschönen jungen Frau, der italo-amerikanischen Prinzessin Virgina Bourbon del Monte, ein Jet-Set-Leben führte, das an Francis Scott Fitzgeralds Großen Gatsby erinnerte. Die beiden waren umschwärmter Mittelpunkt der Turiner Society, hielten aber auch in der Hauptstadt Rom Hof. Für seinen Klub gab Edoardo das Geld mit vollen Händen aus und förderte bewusst die Adepten des schönen Spiels. Fußball war für ihn auch Ästhetik. Die umwerfend elegante Virginia erschien 1932 zur JuventusMeisterfeier mit zwei Hunden in den Vereinsfarben – einem weißen Samojedenspitz und einem schwarzen Zwergpudel. Für Fußball hatte sie wenig übrig, aber als Kulisse ihrer exzentrischen Grandezza taugten die Meisterspieler allemal.
Sieben Kinder hatte das Paar, das, umsorgt von einer zahlreichen Dienerschaft, in einem gigantischen Stadtpalast mitten in Turin residierte. Susanna Agnelli, nach Clara und Gianni drittgeborenes Kind von Edoardo und Virginia, beschreibt in ihren Erinnerungen die Aufregung im Hause vor einem Abendessen mit dem Fürst von Piemont, »das gestickte, spitzenbesetzte Tischtuch, die Blumenarrangements, die mit Pralinen, Pfefferminz und Fondants gefüllten Schalen aus vergoldetem Silber und die Gläser in verschiedenen Formen und Farben, die vor jedem der mit einem zarten Rosenmuster verzierten Porzellanteller aufgereiht standen. Die kleinen Floristinnen liefen verschreckt hin und her und reichten Madame Asinari, die der Dekoration den finishing touch verlieh, Blütenzweige, während in einer Ecke ein Zimmermädchen mit dem heißen Eisen in der Hand ungeduldig darauf wartete, ein letztes Fältchen aus dem Tischtuch zu bügeln.« Wenn der Großvater kam, so Susanna, »ist alles eine Spur schlichter.« Giovanni Agnelli aß nur eine Schüssel rohes Gemüse mit Öl, trank dazu ein Glas Piemonteser Wermut »und hört im Hintergrund Schlager aus dem Radio«.
5. Juni 1919: Prinzessin Virginia Bourbon del Monte heiratet Edoardo Agnelli
Die Agnelli-Kinder wurden von einer strengen englischen Gouvernante erzogen und bekamen die Eltern nur selten zu Gesicht. Nur einmal, als 1933 Benito Mussolini zu Besuch in Turin weilte, sah Susanna Agnelli, die spätere Außenministerin der Republik Italien, ihren Vater Edoardo in faschistischer Uniform: »Er betrachtet sich im Spiegel und bricht in Lachen aus. Tagelang wird er uns die Turiner Damen in ihren albernen Baskenmützen und ihren absurden schwarzen Uniformen beschreiben, wie sie bei dem Gedanken, mit dem Duce auf einem Balkon zu stehen, fast in Ohnmacht fallen.« Edoardo Agnelli konnte den Faschismus genauso wenig ernst nehmen wie seine Frau, die als siebenfache Mutter von der Partei einen Ausweis bekam, mit dem sie sämtliche Straßenbahnen Italiens umsonst benutzen konnte. Niemals in ihrem kurzen Leben hatte Virginia Agnelli Gelegenheit, mit der Tram zu fahren, doch den Ausweis trug sie wie ein exotisches Souvenir in ihrer Geldbörse. Der Faschismus war für dieses reiche und schillernde Paar wie ein Spiel, dessen Regeln sie beherrschten, aber nicht befolgen mussten. Den Duce in Schach zu halten, damit er kein Spielverderber würde, überließen sie dem Patriarchen Giovanni.
Edoardo, der strahlende erste Agnelli-Präsident, kam kurz nach der Feier seines sechsten Meistertitels am 14. Juli 1935 bei einem Flugzeugunfall ums Leben. Ein Wasserflugzeug hatte den Fiat-Erben von seinem Ferienort Forte dei Marmi an der toskanischen Riviera abgeholt und das Ziel, den Hafen von Genua, erreicht, als ein treibender Baumstamm die Maschine umkippen ließ. Agnelli, der einzige Passagier, stand in Sichtweite der Kaimauer auf den Schwimmern, wurde bei der Havarie vom Propeller geköpft und war sofort tot. Die Trauerfeier für den Juventus-Chef brachte Zehntausende auf die Straßen von Turin – die größte Menschenmenge, die die Stadt jenseits der faschistischen Parteiaufläufe erlebte. Natürlich war die Mannschaft dabei, und es mochten viele geahnt haben, dass man sich in jenem Moment von einem goldenen Zeitalter verabschiedete. Der Rekord von Edoardos Siegesserie sollte 82 Jahre andauern. Erst sein Enkel Andrea schaffte es 2017, den Großvater noch zu übertreffen.
Giovanni Agnelli, der Fiat-Gründer, musste das Werk und den Klub nun allein durch die Jahre des Regimes und den Krieg bringen. Kurz vor Edoardo war auch sein Schwiegersohn Carlo Nasi gestorben, der Mann der bereits früher verstorbenen Tochter Aniceta. Agnelli hatte seine beiden Kinder verloren, es blieben ihm insgesamt zwölf Enkel, unter denen er seinen designierten Nachfolger auswählte: Edoardos ältesten Sohn Giovanni, genannt Gianni. Man mag sich die Einsamkeit des Patriarchen vorstellen, der in nichts Ablenkung fand, schon gar nicht im Fußball, der den mächtigen Fiat-Boss nie interessierte.
Anfangs hatte er zu den Geldgebern für Mussolini gehört, als einer jener Industriellen, die sich vom Faschismus den Sprung in die Moderne versprachen – und von den Faschisten, dass sie willfährige Handlanger der wenigen italienischen Kapitalisten würden. Beides erwies sich indes recht schnell als Trugschluss. Zwar ließ das Regime dem wichtigsten Unternehmer des Landes zunächst Freiheiten. In Turin konnte Agnelli schalten und walten, wie er wollte, was in seinem Fall vor allem hieß, die stetig wachsende Arbeiterschaft der Fiat-Werke an jeglicher Form von Emanzipation zu hindern. Im Januar 1921 war infolge der Wirtschaftskrise jeder Zehnte der damals 13.000 Arbeiter entlassen worden. Um Proteste im Keim zu ersticken, rief Agnelli das Militär. Er war ein knallharter Industriekapitän, der Löhne und Kosten drückte, wo er konnte, und als Anhänger liberaler Ideen die Faschisten als Bollwerk gegen sozialistische Umtriebe in seiner Fabrik unterstützte. »Wenn es Fiat nützte, würde ich auch Befehle von Lenin empfangen«, sagte er einmal. Stattdessen nahm der Patron des größten Industriewerkes im Land bald Anordnungen von Mussolini entgegen. Der hatte nach seinem überaus artigen Antrittsbesuch in der neuen Lingotto-Werkszentrale 1923 dem Fiat-Boss geschmeichelt, indem er ihn zum ersten Senator der faschistischen Ära ernannte. Doch recht bald drehten sich die Machtverhältnisse um.