Kitabı oku: «Neros Mütter», sayfa 4

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Kindheit in der Großfamilie

Julia war nach der Scheidung ihrer Eltern bei ihrem Vater Octavian geblieben, wie es das Gesetz vorschrieb. Auch Livias Söhne wurden im Haus ihres Vaters Tiberius Nero großgezogen, in unmittelbarer Nachbarschaft von Octavians Palast. Als Livias erster Mann 44 starb, wurde Octavian Stiefvater und neuer Vormund von Tiberius junior und Drusus. Die fünfjährige Julia war also nicht mehr das einzige Kind im Haus, sie hatte nun zwei Stiefbrüder. Sie war sieben Jahre alt, da ereignete sich eine weitere Vergrößerung der Familie. Nun zogen auch noch die von Antonius verstoßene Tante Octavia, die Schwester des Octavian, und deren Kinder in die weitläufige Palastanlage. Neben den beiden Antonias (den Töchtern von Antonius) waren das Marcus Claudius Marcellus, sowie die ältere und die jüngere Claudia Marcella aus Octavias erster Ehe. Also aus Julias Perspektive schon einmal vier Cousinen, von denen verwirrenderweise zwei Antonia und zwei Claudia Marcella hießen, und ein Cousin. Hinzu kam Iullus, ein Sohn von Antonius und Fulvia, der jüngere Bruder des von Octavian getöteten Antyllus. Iullus war dem Vater nicht nach Ägypten gefolgt, sondern bei Octavia geblieben. Das rettete ihm das Leben. Er wuchs in Rom als Mitglied der Kaiserfamilie auf.

Später nahm Octavia auch noch die überlebenden Kinder von Antonius und Kleopatra auf, den kleinen Ptolemaios Philadelphos und das Zwillingspaar Alexander-Helios und Kleopatra-Selene. Zumindest die beiden elfjährigen Zwillinge wurden nach Octavians Sieg über ihre Eltern als Kriegsbeute im Triumphzug mitgeführt, und zwar auf einem der Wagen, der Kleopatra auf ihrem Sterbebett zeigte. Die Fixierung auf die tote Königin als Feindin Roms war so stark, dass sie bei diesem Triumph unbedingt gezeigt werden musste, und sei es als Gipsfigur – mit echten Schlangen. Zweifellos hätte Octavian es bevorzugt, sie in Ketten dem johlenden Volk vorzuführen, doch dieser Demütigung hatte sich Ägyptens Königin durch Freitod entzogen.

Bei dem Festzug durch Rom war Octavias Kinderschar also geteilt in Sieger und »Kriegsbeute«. Das bedeutete aber nicht automatisch, dass sie bei Hofe benachteiligt oder gar diskriminiert wurden. Der Prinzeps persönlich verheiratete Kleopatra-Selene später mit dem König von Mauretanien, und vermutlich erhielt die Tochter der letzten Pharaonin vom Todfeind ihrer Mutter eine ansehnliche Mitgift. Erzogen und unterrichtet wurden die Sprösslinge von Antonius und Kleopatra gemeinsam mit Julia und ihren Stiefbrüdern. So lernte die Augustus-Tochter nicht nur von klein auf, wie mächtig ihr Vater war. Sondern auch, dass man noch mächtiger wird, wenn man seine Gegner in den eigenen Clan integriert.

Die Fürsorge der Augustus-Schwester gegenüber ihren Stiefkindern wurde vom Regime auch nach dem Tod von Antonius propagandistisch ausgeschlachtet. In Rom »hasste man Antonius, weil er einer solchen Frau solches Unrecht tat«, konstatiert Plutarch. Octavia avancierte zum Idealbild der augusteischen Römerin: keusch (sie lehnte eine erneute Verheiratung ab), duldsam und großherzig. Hinter den Kulissen hatte sie aber auch eine wichtige politische Rolle, denn sie kümmerte sich als »legitime Witwe« weiterhin um die Klientel von Antonius, also ehemalige Schutzbefohlene, aber auch Senatoren. Vor der Entscheidungsschlacht von Actium hatte fast ein Drittel des gesamten Ältestenrates aus Antonianern bestanden. Diese factio (Partei) war nach dem Ableben des Führers naturgemäß kleiner geworden, jedoch längst nicht verschwunden. Sie wurde von der Augustus-Schwester weiter betreut, ihre Anliegen vermutlich von Octavia an den Herrscher überbracht. Darüber hinaus repräsentierte die Anwesenheit der Antonius-Kinder im kaiserlichen Palast Kontinuität, Reichseinigkeit – und Frieden.

Wenn Octavia die Rolle der tragisch tugendhaften Schwester zufiel, so war Livia als Gattin des Prinzeps der wahre Motor des kaiserlichen Haushalts. »Ihre Sittenreinheit im häuslichen Leben entsprach dem alten Brauchtum; aber sie war freier, als man es den Frauen der alten Zeit zugebilligt hatte«, beobachtet Tacitus, der als überzeugter »Republikaner« an Augustus und dessen Frau kaum ein gutes Haar lässt: »Als Mutter war sie herrschsüchtig, als Gattin nachgiebig, und so passte sie sich gut dem intriganten Wesen ihres Mannes an.«

Livia blieb 52 Jahre, bis zu seinem Tod, mit Octavian verheiratet, eine nicht nur im alten Rom rekordverdächtig lange Zeit. Zweifellos war sie die mächtigste Frau ihrer Epoche, ihren Einfluss auf den Herrscher kann man nicht hoch genug einschätzen. Genau wie ihre Schwägerin Octavia empfing Livia selbständig Bittsteller aus Rom und Gesandtschaften aus den Provinzen, fungierte als »Botschafterin« und Ratgeberin an der Seite des Prinzeps, beeinflusste seine Entscheidungen und machte hinter den Kulissen Politik. Livia und Octavia standen im Zentrum der Macht, auch wenn sie sich nach außen als bescheidene Matronen gerierten. Octavian selbst hatte Ehefrau und Schwester in eine sakrale Sphäre erhoben, indem er ihnen sacrosanctitas verlieh, die einst den Volkstribunen reservierte, »Unantastbarkeit« in Wort und Tat, dazu auch das Frauen normalerweise verwehrte ius imaginum, die Erlaubnis, mit Statuen geehrt zu werden. Damit standen Ehefrau und Schwester weit über den anderen Römerinnen. Als einzige Frauen eroberten sie den öffentlichen Raum und wurden Teil der Herrschaft. Femina princeps nennt Ovid ganz selbstverständlich Livia – den weiblichen Teil des Prinzeps.

Gemeinsam mit Octavian vollführte Livia eine perfekte Inszenierung von Macht als Dienst an der res publica, im Geist der überlieferten Werte. Sie blieb im Hintergrund und prägte auf diese Weise das Ideal der zurückhaltenden First Lady, die selbst nicht nach Macht strebt, sondern als Fürsprecherin Anliegen des Volkes vermittelt, bis in die Präsidial-Demokratien unserer Zeit. Nur gemeinsame Kinder fehlten ihrer so vollkommen scheinenden Ehe, denn nach einer Totgeburt konnte Livia offenbar nicht mehr schwanger werden. Dass ihr Mann sie dennoch nicht verstieß, beweist die enge emotionale Bindung zwischen den beiden. Wenn er sie auch aus Berechnung geheiratet hatte – später muss wohl Liebe im Spiel gewesen sein.

Livia oblag die Erziehung ihrer beiden leiblichen Söhne Tiberius und Drusus und sehr wahrscheinlich auch die Aufsicht über ihre Stieftochter Julia. Man kann davon ausgehen, dass alle Kinder im Haus die besten Lehrer hatten und strenger Disziplin unterworfen waren. Sie wurden gemeinsam unterrichtet, in einer eigens ausgestatteten Schulhalle. Auch die Mahlzeiten nahmen sie in einem speziell mit Stühlen eingerichteten Esszimmer zusammen ein. Das triclinium mit Speiseliegen war Erwachsenen vorbehalten, Julia und die anderen durften es nur mit besonderer Erlaubnis betreten.

Wenn sie ihre Schulstunden absolviert hatten, stand den Kindern reichlich Spielzeug zur Verfügung. Vielleicht spielten sie mit Puppen aus Elfenbein oder Alabaster oder mit einem Kreisel, und sicher beherrschten sie einige der vielen römischen Würfelspiele. Zur Erziehung von Oberschichtskindern gehörte auch Schwimmunterricht, von dem erzählt wird, dass Octavian ihn persönlich seinen Enkeln erteilte. Als jungem Vater und Stiefvater könnte ihm die Zeit gefehlt haben, Julia und ihre Stiefbrüder selbst zu unterweisen, aber auszuschließen ist es nicht.

In die Öffentlichkeit durfte von solchen und anderen Vergnügungen nichts dringen. Sueton behauptet, dass Octavian kaum andere Kleidung trug, als jene, »die von seiner Schwester, Gattin, Tochter oder seiner Enkelin angefertigt war«. Julia und später auch deren Töchter hätten überdies lernen müssen, Wolle zu spinnen, eine besonders mühselige Beschäftigung, die man ihnen buchstäblich an den Händen ablesen konnte. Der Alltag auch der privilegiertesten Frauen von Rom hatte sich um ein Spinnrad zu drehen! Es handelte sich um einen symbolisch-rituellen Akt, dessen Ursprünge in die frühesten Zeiten der Republik wiesen. Die Wollverarbeitung stand für das tradierte Selbstverständnis der Römer als Volk von Ackerbauern und Schafzüchtern, dessen asketische Bodenständigkeit die Eroberung der Welt überhaupt erst ermöglicht hatte. Deshalb durften auch Kaiserfrauen sich für bäuerliche Arbeit nicht zu schade sein.

Ihre Aufgabe war es, das Bild einer unablässig dem Staat dienenden, sittlich perfekten Herrscherfamilie aufrechtzuerhalten. Aus dem Archiv des Augustus überliefert Sueton, dass der Prinzeps seiner Tochter »strengstens untersagte, etwas zu sagen oder zu tun, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war und was nicht in den täglichen Hofnachrichten mitgeteilt werden konnte«. Julias Benehmen war in jedem Augenblick repräsentativ für die Familie und damit für den Herrscher selbst. Nie etwas sagen, was nicht alle hören dürften. Nie etwas tun, was nicht alle sehen könnten, denn der Palast hatte tausend Ohren und Augen. Das lernte Julia von Kindesbeinen an. Vermutlich lernte sie auch, die strengen Vorschriften zu unterlaufen.

Die Frauen der First Family wurden auch als Stilikonen wahrgenommen – und weil die Zurschaustellung von teurer Kleidung tabu war, konzentrierte sich die Anstrengung auf die Frisur. Nur als kleines Mädchen durfte Julia ihre langen Haare offen auf die Schultern herabwallen lassen – später war das für Frauen verpönt. Standesbewusste Matronen trugen jene Knotenfrisur, die Livia populär machte und die auch von Julia und Octavia übernommen wurde. Dazu wurde das Haar mit einer Welle aus der Stirn genommen, auf dem geglätteten Scheitel wurde ein Zopf geflochten und mit zwei weiteren, mit der Brennschere in Wellen gelegten Seitensträhnen zu einem Nackenknoten vereint. Das Resultat war von schlichter Strenge, dahinter steckte jedoch viel Arbeit, die von mindestens einer Friseurin (ornatrix) übernommen werden musste. Insofern war die Knotenfrisur ein Emblem der augusteischen Ideologie: Sie wirkte zurückhaltend in ihrer schlichten Eleganz und war, nicht zuletzt, weil sie mit kostbaren Nadeln und Kämmen zusammengehalten wurde, gleichzeitig ein Statussymbol. Ähnliches galt für die Haarkoloratur. Graue Haare waren verpönt, Tönungen in Blond (gern auch ergänzt durch germanisches Echthaar), Rot und Schwarz en vogue. Färben, Glätten, Locken legen: Die reichen Römerinnen, allen voran die Frauen des Kaiserhofs, waren täglich mindestens einmal für eine ganze Weile mit ihren Köpfen beschäftigt, bevor sie sich perfekt frisiert in die Öffentlichkeit wagten.

Von frühester Jugend eine öffentliche Person zu sein, bedeutete für die Tochter des Prinzeps viele Annehmlichkeiten. Regelmäßig durfte sie das Theater und den Circus besuchen und dort auf gepolsterten Logensesseln an der Seite des Herrschers Platz nehmen. Sueton erwähnt ausdrücklich, dass »Kinder« (liberi) in der Loge saßen, was vermuten lässt, dass Julia, Tiberius und Drusus bereits in sehr jungen Jahren zu Auftritten mitgenommen wurden, bei denen Octavian sich und seine Familie dem Volk präsentierte. Rom hatte nun keinen eisernen Feldherrn als Alleinherrscher mehr, sondern einen fürsorglichen Familienvater, der seinen Kindern wie dem ganzen Volk gönnte, sich zu amüsieren. Anders als Cäsar, der im Theater seine Post erledigte, konzentrierte Augustus sich, wenn er denn anwesend war, vollkommen auf das Geschehen. Er musste und wollte dem Volk zeigen, dass er immer ganz bei der Sache war. Das Vergnügen war für ihn eine Pflicht unter vielen. Wenn er Wichtigeres zu tun hatte, ließ er sich im Theater von Julia und ihren Stiefbrüdern vertreten. Es gab unangenehmere und langweiligere Aufgaben.

Vom Logensessel aus genossen die Herrscherkinder Darstellungen des pantomimus, eines nur mit Männern besetzten Tanztheaters. Bei diesen Shows kam es ganz auf Geschmeidigkeit und Körperbeherrschung an, bei anderen bestach die Aufwendigkeit der Inszenierung. Ganze Reiterschwadrone jagten dann über die Bühne, Schiffe und Streitwagen fuhren auf. Ein solches Spektakel konnte Stunden dauern, genau wie der mimus, ein derb-komödiantisches Sprechtheater.

Es drehte sich meistens um allerlei erotisch-schlüpfrige Verwicklungen, wie Ovid berichtet: »Was, wenn ich Mimen geschrieben hätte, die schamlose Witze machen, die immer das Verbrechen verbotener Liebe beinhalten, in denen ständig der elegante Ehebrecher einherstolziert und die verschlagene Ehefrau ihren dummen Mann betrügt? (…) Die Augen sind es gewohnt, viel Schamloses zu ertragen. Und wenn der Liebhaber den Ehemann durch irgendeinen neuen Trick getäuscht hat, wird applaudiert.« Das alles stand, wie wir noch sehen werden, im krassen Widerspruch zur öffentlichen Moral, nicht von ungefähr galten die beim mimus beteiligten Schauspielerinnen als sexuell verfügbar. Doch nach den Jahren des Bürgerkriegs waren die Römerinnen und Römer ausgehungert nach Zerstreuung, und der sonst so sittenstrenge Augustus gewährte sie ihnen. Obwohl er Frauen verbot, Gladiatorenkämpfe ohne männliche Begleitung anzuschauen, und ihnen den Zugang zu den Wettkämpfen unbekleideter Athleten ganz versperrte, stand ihre Teilnahme am mimus nie zur Debatte. Ein Verbot wäre zu unpopulär gewesen. Also erlaubte Augustus die Komödie nicht nur, er finanzierte sie auch, wie Ovid ihm vorwarf: »Schau dir die Abrechnungen über deine Spiele an, Augustus: Du wirst lesen, dass viel solches Zeug von dir zu einem hohen Preis gekauft wurde. Du hast dir das angeschaut und oft zum Anschauen freigegeben (…) und mit deinen Augen, von denen der ganze Erdkreis Nutzen hat, hast du gelassen Ehebruch auf der Bühne angesehen.«

Julia wuchs also auf mit den strengen Erziehungsmaximen von Vater und Stiefmutter, aber auch mit der lebenssprühenden Leichtigkeit der Metropole und ihren Vergnügungen. Sie erlebte, wie ihrem Vater von Künstlern und Publikum im Theater gehuldigt wurde, denn dort zeigte sich ein Herrscher »zum Anfassen«, auf dessen Erscheinung das Volk spontan reagieren konnte. So wurde die Loge zu seiner Bühne, mit Livia und seiner Tochter in Nebenrollen. Ovid hat hier ein unsterbliches Bonmot geprägt: »Spectatum veniunt, veniunt spectentur ut ipsae« – sehen und gesehen werden.

Der Erhabene

»Hoch oben gibt es eine Straße; sie ist bei heiterem Himmel zu sehen. Milchstraße heißt sie, schon am weißen Lichtschimmer ist sie leicht zu erkennen; auf ihr führt der Weg die Himmlischen zum Hause des großen Donnerers und zum Königspalast. Rechts und links von ihr stehen die Hallen der vornehmen Götter; die Türflügel sind für die zahlreichen Besucher geöffnet. Das einfache Volk wohnt an einem ganz anderen Ort; hier haben die mächtigen und angesehenen Himmelsbewohner ihre Penaten aufgestellt. Dies ist die Stätte, die ich, wenn man mir den kühnen Ausdruck erlaubt, ohne Scheu das Palatium des Himmels nennen möchte.« Im 1. Buch seiner Metamorphosen beschreibt Ovid ein Wolkenschloss, wie ein Traumbild über der Stadt der Sterblichen auf einem himmelwärts strebenden Berg schwebend. Es handelt sich nicht um den griechischen Olymp, sondern um einen ungleich niedrigeren Hügel in Rom: Palatium, der Palatin, in späteren Jahrhunderten namensgebend für palazzo, palacio, palace und Palast, also die Herrscherresidenz in allen möglichen europäischen Sprachen. Octavian, der spätere Augustus, hatte sich an diesem mythenbeladenen, strategischen Ort einen Königspalast geschaffen, der so grandios war, dass Ovid, zeitweise einer seiner »Hofdichter«, sich dort die Götterversammlung ausmalte.

Tatsächlich wohnte ein Gott in unmittelbarer Nähe. Der Palast des Octavian grenzte direkt an einen riesigen Tempel, den er seinem Schutzpatron Apollo gestiftet hatte. Das Heiligtum bildete das religiöse Herz eines neuen Machtzentrums, in dem auch der Senat tagte. Der Prinzeps war nicht nur erster Mann im Ältestenrat, er war auch oberster Priester: Pontifex Maximus. Traditionell befand sich dessen Wohnsitz auf dem Forum zu Füßen des Palatins, doch unter Augustus änderte sich das. Nun bildete die Kaiserresidenz auf dem Hügel die alles umfassende domus publica.

Julia war zwölf Jahre alt, als Octavian 27. v. Chr. jenen Ehrentitel empfing, mit dem er in die Geschichte eingehen sollte: Augustus – der Erhabene. Inzwischen führte er das Reich als Alleinherrscher (princeps), wenn auch die republikanischen Institutionen bestehen blieben. Weiterhin gab es einen Senat und die aus seinem Kreis erwählten hohen Funktionsträger, darunter zwei Konsuln. Das inzwischen nur noch repräsentative Amt bekleidete Augustus dreizehnmal selbst. Nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges, Verfolgung der Opposition und Dezimierung des Stadtadels inklusive der Enteignung der führenden Familien war für den einzigen Sieger des großen Gemetzels die Zeit der Befriedung angebrochen. Augustus konnte nun einen in jeder Beziehung erschöpften Staat nach Gutdünken umgestalten. Vier Jahrzehnte dauerte seine Herrschaft – nicht nur in der antiken Welt eine Ewigkeit. Dass sie als aureum saeculum, goldenes Zeitalter, erinnert wird, lag sicher an der Friedenssehnsucht der Römer, mehr noch aber an der Konsensfähigkeit und visionären Grandezza des genialen Politikers an ihrer Spitze.

Rom blühte auf. Zu Recht, so Sueton, habe Augustus sich gerühmt, »eine Stadt aus Marmor zu hinterlassen, wo er eine aus Ziegeln übernommen hatte«. Mit einer Unzahl öffentlicher Prunkbauten entfaltete der Herrscher eine in ihren Ausmaßen bislang unbekannte Architektur der Macht. Er selbst listet in seinem Rechenschaftsbericht ein Dutzend neu erbaute sowie 82 renovierte Tempel und Heiligtümer auf, dazu Säulenhallen, Theater, Wasserleitungen. Über die ganze Stadt verbreitete der Herrscher die Altäre seiner Hausgötter, der Lares Augusti. So wurde den Römern die spirituelle Allgegenwart des Prinzeps vermittelt und er gleichzeitig selbst in eine göttliche Sphäre entrückt.

Auf dem Marsfeld zwischen Tiber und Via del Corso entstand »eine regelrechte Augustus-Topographie«, in der ein aus der ägyptischen Sonnengott-Stadt Heliopolis entwendeter Obelisk eine tragende Rolle spielte – als Zeiger einer überdimensionalen Sonnenuhr. Ganz in der Nähe ließ der junge Herrscher für sich und seine Familie ein Mausoleum anlegen, wie es Rom noch nicht gesehen hatte und das in seinen Dimensionen das Alexandergrab in Ägypten übertreffen sollte. »Schon die Größe des Marsfeldes ist bewundernswert«, staunte der griechische Historiker und Geograph Strabo. »Sie erlaubt gleichzeitig ohne gegenseitige Behinderung Wagenrennen und alle anderen Arten von Pferdesport. Daneben sieht man Scharen von Ringern, Ball- und Reifenspielern. Kunstwerke schmücken alle Wege, die Gärten grünen und blühen zu allen Jahreszeiten, und der Kranz der Hügel, die sich bis zum Tiber hinziehen, schafft eine einzigartige Stadtlandschaft.« Die Majestät des Reiches und seines Herrschers spiegelte sich in seiner Hauptstadt wider.

Gleich neben der dichtbevölkerten suburra (Unterstadt), ließ der Prinzeps ein prächtiges neues Forum errichten, mit einem Tempel für den Kriegsgott Mars. Statuen des Stadtgründers Romulus, der Göttin Roma und des Flussgottes Tiber schmückten diesen Tempel und kommunizierten den Römern, Augustus sei als Nachfolger des Mars-Sohnes Romulus der legitime Neugründer ihrer Stadt. Roms Einwohnerzahl wuchs auf schätzungsweise eine Million Menschen, von denen die meisten allerdings in denselben engen und schmutzigen Gassen hausen mussten wie zur Zeit der Republik. Auch in der suburra war das so. Cäsar hatte inmitten des Plebejerviertels das Licht der Welt erblickt – dass Augustus nun sein Forum hier errichtete, war zweifellos eine Reminiszenz an den Adoptivvater. Allerdings war der repräsentativ-sakrale Platz von der brodelnden Unterstadt durch eine heute noch zu bestaunende, gewaltige Brandschutzmauer getrennt.

Das erste Haus des Octavian auf dem Palatin hatte zuvor Quintus Hortensius Hortalus gehört, einem hervorragenden Senatsredner – dem Vater jener Hortensia, die sich so mutig gegen die Kriegssteuer für die römischen Frauen gewehrt hatte. Ob der Prinzeps die Residenz erwarb oder als Kriegsbeute konfiszierte, ist nicht bekannt. Laut Sueton handelte es sich um einen eher schlichten Bau mit niedrigen Säulen aus Tuffstein statt aus Marmor und ohne auffallende Mosaikböden. Diese Schilderung steht allerdings im krassen Gegensatz zu dem Gerücht, der Vorbesitzer Hortensius sei ein angeberischer Prasser gewesen, der seinen Gästen am liebsten sündhaft teure Pfauenbrüste auftischen ließ. Seine zweifellos luxuriöse Villa wurde von Octavian und Livia noch weiter verfeinert.

Die heute zu besichtigenden Reste beweisen den ausgesuchten Geschmack des Paares, seine Affinität zum Theater – der sogenannte Raum der Masken ist ganz wie eine Bühnenkulisse gestaltet – und die Verwurzelung in der Phantasiewelt der griechischen Mythologie. Die rot oder weiß grundierten Räume bestechen durch ihre raffinierten Fresken mit Darstellungen fein ziselierter Pinienzweige oder üppigen Girlanden aus Lorbeer und Früchten. Götter treffen auf Helden, Göttinnen wandeln in arkadischen Landschaften, und überall zitieren architektonische Elemente die strahlende Augustusstadt vor den Toren der Residenz. Es ist klar, dass hier die besten Künstler und Kunsthandwerker der Zeit die augusteische Ästhetik perfekt interpretierten. Nichts ist vulgär oder prahlerisch-protzend, der Gesamteindruck vermittelt erhabene Leichtigkeit, keinen brachialen Machtanspruch, sondern transzendente Harmonie. Kein Wunder, dass Ovid, der hier mit Sicherheit empfangen wurde, sich in einem solchen Ambiente Götterversammlungen ausmalte.

Understatement bildete eine wichtige Säule für einen Herrschaftsanspruch, der nicht im Gegensatz, sondern als logische Weiterentwicklung der römischen Republik vermittelt wurde. Der Nachfahre und Nachbar des Romulus war bemüht, wie ein erster Diener des Staates asketische Bescheidenheit zu demonstrieren, als primus inter pares, nicht als Ausbeuter, sondern als Abkömmling des Volkes zu wirken. Selbstverständlich herrschen, ohne es danach aussehen zu lassen – auf diesen Balanceakt verstand sich der überlegene Stratege auf dem Palatin perfekt. Es war das Geheimnis seines Erfolgs. Dazu passte neben seiner markant einfachen Kleidung, dass er nur sehr wenig aß und trank. Sein Lieblingsessen soll aus einfachem Weißbrot, winzigen Bratfischen, Bauernkäse und Feigen bestanden haben; ein bewusster Kontrast zu Gepflogenheiten der Oberschicht, sich teure Köstlichkeiten aus allen Ecken des Imperiums als Statussymbole auf ihre Tafel laden zu lassen, auch wenn diese während der langen Transportreise schon ungenießbar geworden waren. Beim Wein zeigte er sich nicht ganz so bescheiden, den ließ er sich immerhin aus dem italienischen Alpenvorland liefern – Räterwein vom Gardasee. Das alles ist überliefert, weil Augustus in seiner Kommunikationspolitik auch abseitigste Details nicht vernachlässigte. Doch dass der reichste Mann des Imperiums wirklich einen derart schlichten Lebensstil führte, ist nur eine der vielen Legenden, die er selbst so wirkkräftig um seine eigene Person flocht.

Denn die Hortensius-Residenz auf dem Palatin war mit ihren schätzungsweise 5000 Quadratmetern durchaus keine zweite Hütte des Romulus, und außerdem begnügte sich Octavian auch nicht mit ihr, sondern erwarb im Laufe der Jahre eine Reihe anliegender Häuser und Grundstücke dazu, um für sich auf nicht weniger als 25.000 Quadratmetern den »Palast eines Größenwahnsinnigen« zu bauen, wie der Archäologe Andrea Carandini konstatiert, der über Jahrzehnte dort Ausgrabungen leitete. Im Augustus-Palast nahmen die privaten Räume allerdings nur einen kleinen Teil ein, die größere Fläche beanspruchten repräsentative Empfangs- und Bankettsälen, die große Bibliothek und der Apollo-Tempel. Hinzu kamen die von Carandini auf über zweihundert geschätzten Kammern für Sklaven. Natürlich keine Einzelzimmer, sondern winzige Räume für drei oder vier Personen.

Das Private sollte öffentlich werden, es gab keine Grenzen mehr zwischen dem Staatskörper und seinem ersten Repräsentanten, die Osmose sollte vollkommen sein: »Die Türpfosten meines Hauses wurden auf staatlichen Beschluss mit Lorbeer geschmückt, und ein Bürgerkranz wurde über meinem Tor angebracht«, berichtete der Hausherr selbst. In der Vorhalle prangte, in Marmor gemeißelt, der Ehrentitel »Vater des Vaterlandes«. Auf dem Palatin wohnte ein entrückter Herrscher, der sich selbst und sein Haus dem Staat geweiht hatte. Oder war es doch umgekehrt?

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