Kitabı oku: «"Seht, ich schaffe Neues - schon sprosst es auf "»

Yazı tipi:

Christian Hennecke / Birgit Stollhoff

Seht, ich schaffe Neues –

schon sprosst es auf

Lokale Kirchenentwicklung gestalten

Christian Hennecke Birgit Stollhoff

Seht, ich schaffe Neues – schon sprosst es auf

Lokale Kirchenentwicklung gestalten


Weitere Informationen zu Kleinen Christlichen

Gemeinschaften finden Sie auch im Internet unter

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2014

© 2014 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de Umschlag: Peter Hellmund (Foto shutterstock) Satz: Hain-Team (www.hain-team.de) ISBN 978-3-429-03761-1 (Print) 978-3-429-04784-9 (PDF) 978-3-429-06199-9 (ePub)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort: Lokale Kirchenentwicklung?

1. Kapitel: Lokale Kirchenentwicklung – eine Vision?

2. Kapitel: Lokale Kirchenentwicklung – eine Erfolgsgeschichte

a) weltweit

b) ökumenisch

c) im Bistum Hildesheim

3. Kapitel: Lokale Kirchenentwicklung – ein Umdenken

4. Kapitel: Lokale Kirchenentwicklung – ein Prozess

a) im Bistum

b) in der Pfarrei

c) Beteiligte vor Ort

d) konkrete Schritte vor Ort

e) Charismen und Kommunikation

f) Höhen und Tiefen

5. Kapitel: Lokale Kirchenentwicklung – eine Hoffnung?

Lokale Kirchenentwicklung in Bildern

1. Die Versorgerkirche

2. Die Kirche der Helfer

3. Das Erwachen der Kirche

4. Die Kirche als Gemeinschaft der Dienenden

5. Sich lokal entwickelnde Kirche

Weitere Informationen

Links

Quellen

Vorwort:
Lokale Kirchenentwicklung?


Ein geistlicher Prozess

Unkompliziert, nah bei den Menschen, offen für neue Ideen – so ist mein erster Eindruck als Süddeutsche im Diaspora-Bistum Hildesheim.

Der Begriff „Entwicklungen“ ist hier wichtig, Weltkirche, Ökumene und Mission sind auch zentrale Worte, die im Zusammenhang mit Kirche immer wieder fallen.

Ich lerne den Leiter des Fachbereiches Missionarische Seelsorge, Dr. Christian Hennecke, kennen und wir beginnen ein gemeinsames Filmprojekt – eine Dokumentation über „Aufbrüche in der Kirche“. Ich nehme am Kongress Kirche2 teil und vernetze mich auch über die Sozialen Medien im Bistum – immer noch beeindruckt von der Leichtigkeit, mit der dies alles möglich ist.

Im Laufe der Zeit höre ich den Begriff „lokale Kirchenentwicklung“ immer wieder. Es ist der zentrale Schlüsselbegriff hinter allen Entwicklungen im Bistum Hildesheim. Aber noch kann ich ihn nicht einordnen. Ist lokale Kirchenentwicklung nur ein Pastoralkonzept unter mehreren? Es wird viel von Gaben und Taufwürde geredet – wie passt das in den Ansatz? Was bedeutet „lokale Kirchenentwicklung“ im weltweiten Kontext? Ich frage viel und erhalte viele Antworten zu einzelnen Aspekten.

Ich habe Dr. Christian Hennecke gebeten, mir doch „lokale Kirchenentwicklung“ einmal umfassend zu erklären. Aus dieser Bitte kamen wir auf die Idee, ein Buch zu verfassen, das lokale Kirchenentwicklung systematisch und gleichzeitig leicht verständlich erklärt.

1. Kapitel:
Lokale Kirchenentwicklung –
eine Vision?


Das Evangelium allen bezeugen

Herr Dr. Hennecke, was ist lokale Kirchenentwicklung?

Ich glaube, dass lokale Kirchenentwicklung zuerst und vor allem eine neue Art und Weise des Wahrnehmens ist, eine Art und Weise, neu zu verstehen, was Kirche eigentlich ist und wie sie sich entwickelt.

Ich möchte das deutlich machen an einem biblischen Wort, das den Auftakt zur lokalen Kirchenentwicklung in unserem Bistum begleitet hat. In diesem Wort spricht Gott durch den Propheten Jesaja zu seinem Volk und sagt:

„Schaut nicht mehr auf das, was vergangen ist. Denkt nicht mehr an das, was längst vorüber ist. Seht, ich schaffe Neues, schon sprosst es auf. Merkt ihr es nicht?“

Hier wird sehr sichtbar, was die Grundhaltung lokaler Kirchenentwicklung ist:

„Schaut nicht mehr auf das, was längst vergangen ist …“

Wir beurteilen kirchliche Entwicklung in der Regel oft auf dem Hintergrund, wie es früher war und wie es heute nicht mehr ist. Also: „Es gehen nicht mehr so viele Menschen zur Kirche. Wir haben nicht mehr so viele Priester. Wir haben manchmal nicht mehr so viel Geld und so weiter. Es ist alles anders, als es früher war.“ Und das bewerten wir tendenziell negativ und lange Zeit haben wir die Entwicklung der Kirche in unserem Land eher unter dem Stichwort des Niedergangs gesehen. Das Wort des Jesaja lädt ein, anders auf die Wirklichkeit zu schauen, und zwar mit den Augen des Glaubens, ja man könnte fast sagen: mit den Augen eines Menschen, der daran glaubt, dass Gott heute, in dieser Zeit – wie zu allen Zeiten – agiert und handelt und dass es darum geht zu entdecken, was er heute tut, wie er heute in der Menschheit gegenwärtig ist und wie er heute sein Volk sammelt.

„Seht, ich schaffe Neues, schon sprosst es auf.“

Und das verweist uns auf unsere Gegenwart: „Merkt ihr es nicht“, fragt der Prophet, „was sich in diesem Umbruch ereignet? Was schon geschieht? Es entsteht Neues, auch ohne dass wir etwas Großes getan hätten. Es ist schon eine Entwicklung im Gange. Die erste Frage lokaler Kirchenentwicklung heißt: Schauen wir doch mal hin, was hier tatsächlich passiert, was in unserer Gesellschaft geschieht, aber auch was sich in unserer Kirche an Verwandlung schon ereignet hat und was an neuen Aufbrüchen vorhanden ist.“

Und was sehe ich, wenn ich auf eine Gemeinde schaue, die die lokale Kirchenentwicklung umgesetzt hat? Was ist das „Zielbild“? Lokale Kirchenentwicklung umsetzen – das ist nicht ein Fingerschnips und auch nicht eine einfache Umsetzung von Vorgaben. Es geht doch um viel mehr. Es ist ein Wandlungsprozess und braucht deswegen einen langen Weg. Aber wohin führt der? Das ist ja die Frage. Eine Pfarrei, die sich auf einen solchen Prozess lokaler Kirchenentwicklung eingelassen hat, wird einen fundamentalen Blickwechsel vollzogen haben: Die Christen vor Ort werden einen neuen Blick auf die Welt und ihre Zeitgenossen werfen. Sie werden ihren Blick abgewandt haben von den klassischen Strukturfragen und für sich selbst neu verstehen, dass sie Kirche sind. Konkret heißt das dann: Lokale Kirchenentwicklung beginnt mit einem neuen Blick auf die „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen, besonders der Armen jedweder Art“ (Gaudium et spes 1), also ganz konkret und vor Ort mit der Frage, wer die Menschen sind, mit denen wir leben, was sie bewegt, was ihre Not ist und wie wir Christen uns einbringen können. Aus der konkreten Sendung wächst Gemeinschaft, sicherlich in ganz verschiedenen Formen und Weisen – Gemeinschaft, die aus dem Evangelium lebt und sich in Christi Gegenwart weiß und aus dieser Gegenwart schöpft. So entsteht dann wirklich so etwas wie ein Netzwerk vieler unterschiedlicher kirchlicher Orte, vieler unterschiedlicher kirchlicher Entwicklungen, wo wir das Evangelium verkünden. Die Menschen, die zur Kirche an diesem Ort gehören, verstehen sich als Protagonisten dieser Entwicklung. Die Gemeinde wird auch daran erkennbar sein, dass ihre Mitglieder das Selbstbewusstsein haben, dass sie als Getaufte und Gefirmte, als Gemeinschaft der Gläubigen am Ort, alle Gaben in sich tragen, um die Sendung der Kirche zu leben. Die Gemeindemitglieder werden sich ihrer eigenen Würde bewusst sein, ihrer eigenen Gaben, ihrer eigenen Verantwortung, und zwar nicht im Sinne von „Du musst jetzt endlich mal die Ärmel hochkrempeln!“, sondern aus der Haltung: „Wir trauen uns zu, dass wir Kirche sind hier am Ort.“ Das führt zu einem neuen Verständnis des priesterlichen Dienstes und auch des Dienstes der kirchlichen Berufe. Sie machen dieses tiefe geistliche Verstehen von Sendung und Gemeinschaft möglich: immer wieder neu an die Zielperspektive des Reiches Gottes inspirierend zu erinnern, immer wieder neu durch die Feier der Sakramente zu ermöglichen, dass die Christen „genährt“ werden – und angesichts der wachsenden Vielfalt jenen Dienst der Einheit zu tun, der entdecken lässt, dass die Kirche vor Ort eingewoben ist in die Orts- und Weltkirche.

Lokale Kirchenentwicklung ist im Ergebnis nicht nur eine Verwaltungs- oder Strukturentwicklung. Sie ist auch keine Mangelverwaltung, sondern eine genuine Entfaltung dessen, was aus der Kraft des Evangeliums an Potentialen an diesem Ort da ist. Kirche ist dann nicht mehr irgendeine Institution, irgendeine Struktur, sondern ist das Leben, das wir miteinander teilen, in deren Mitte Christus lebt, der uns die Wege zeigt – und die natürlich eine angemessene strukturelle Gestalt braucht.

Stellen wir uns einmal vor, es ist das Jahr 2030 und die lokale Kirchenentwicklung ist überall umgesetzt. Wie sieht das Bistum Hildesheim aus?

2030 werden wir, wie es aussieht, sehr wenig Priester haben und eine begrenzte Anzahl von Hauptberuflichen. Die Pfarreien werden recht groß sein, aber innerhalb dieser Pfarreien wird es an sehr unterschiedlichen Orten zur Bildung von sehr unterschiedlichen Gemeinschaftsformen und Gemeindestrukturen kommen. Neben bewährten Gemeinden werden neue Gemeindeformen entstanden sein. Wir werden eine ganze Reihe von institutionellen Orten, etwa Einrichtungen der Caritas und Kindergärten, haben, die wesentlich für die Verkündigung des Evangeliums sind. Ich stelle es mir eigentlich sehr vielfältig vor: als ein Netzwerk sehr unterschiedlicher Orte. Das lässt sich ja heute schon entdecken

Wo Menschen sind, die leidenschaftlich mit einer Vision unterwegs sind und die so gemeinsam entdecken, wozu sie heute da sind, da wächst Kirche. Immer, zu allen Zeiten. Ich glaube, dass die Chancen für das Christentum bis zum Jahr 2030 eher wachsen, in dem Maß, in dem wir offen und verwurzelt sind in der Wirklichkeit und indem wir zugleich tiefer verwurzelt sind in Jesus Christus. Da wo diese beiden Akzente, dieses Dienen in der Welt, das „Mit-den-Menschen-Sein“ und das „Mit-Christus-Sein“, sich ereignen, da, glaube ich, haben wir große Chancen.

Und die heilige katholische Kirche insgesamt wird durch die lokale Kirchenentwicklung …?

Die wird mehr sie selbst! Mehr das wandernde Gottesvolk auf dem Weg zum Heil im Wissen um die Gegenwart Gottes. Kirche wird mehr Zeichen und Werkzeug einer Gemeinschaft der Einheit, die sich mit Freude in die Lebensbereiche aller Menschen hineinbegibt und so dient.

2. Kapitel:
Lokale Kirchenentwicklung –
eine Erfolgsgeschichte


Ökumene der Sendung

a) weltweit

Herr Dr. Hennecke, wer hat die lokale Kirchenentwicklung erfunden?

Lokale Kirchenentwicklung ist ein Weg, den die Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil weltweit in unterschiedlicher Weise geht. Erfunden ist deshalb ein schwieriges Wort. Wir haben es hier bei uns im Bistum entdeckt, aber die Wirklichkeit dahinter ist eine, die sich seit etwa 40, 50 Jahren weltweit ereignet. Sie ist entstanden aus einer Herausforderung, die nach dem Konzil immer deutlicher wurde. Papst Paul VI. hat zum Beispiel gesehen, dass die klassische Form der Pastoral in Lateinamerika nicht funktionieren kann. Schon damals gab es in Lateinamerika riesige Pfarreien, und der Papst sagte den Bischöfen: „Die klassische Pastoral, so wie ihr sie macht, so eine zentrale Pfarrpastoral, das kann bei euch nicht funktionieren. Müsst ihr nicht eher darauf schauen, dass die Menschen, die in den Stadtteilen, in den Ortschaften eurer großen Pfarreien sind, lernen, Kirche zu sein aus der Kraft ihrer Berufung und ihrer Taufe?“ Diese Entwicklungsmöglichkeit haben die lateinamerikanischen Bischöfe aufgenommen. Sie griffen Impulse von Erneuerungsbewegungen auf und so entstanden die kirchlichen Basisgemeinden. Das war also kein Prozess von unten, sondern ein Prozess, den die Bischöfe initiiert haben, weil ihnen deutlich wurde: Kirche kann immer nur in Beziehungsräumen leben. Kirche kann nicht anonym eine riesige Menge Menschen sein. Natürlich haben wir in Gottesdiensten manchmal tausende von Menschen, aber das alltägliche Leben dieses Kircheseins spielt sich da ab, wo die Menschen leben, in ihren Bezügen, in ihren Beziehungen. Das war einer der Ausgangspunkte.

Ein zweiter Ausgangspunkt zeigte sich zur selben Zeit in Afrika. Schon vor dem Konzil hatte es Versuche etwa im Kongo gegeben, Kirche von einer zentralisierten „Komm-Struktur“ zu einer Lebensgestalt in den örtlichen Beziehungsräumen zu transformieren. Mit Erfolg. Die afrikanischen Bischöfe kehrten vom Zweiten Vatikanischen Konzil zurück und sagten: „Das ist ja alles prima, wie die Europäer Pastoral gestalten, aber das werden wir nie so können wie die. Die klassische Missionspfarrei wird nie eine europäische Pfarrei werden. Aber was können wir tun? Wir können örtliche Gemeinden ermöglichen und sie darin fördern, aus dem Wort Gottes zu leben.“

Damit griffen beide Episkopate, die lateinamerikanischen und die afrikanischen, Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils auf und entwickelten Schritt für Schritt eine Kultur, die es den Christen ermöglichte, Kirche im Lebensraum und im Beziehungsraum zu gestalten.

Durch viele Missionare, die weltweit agieren, ist das dann ein Prozess geworden, der ganze Bischofskonferenzen in Asien, Afrika und Lateinamerika immer wieder beschäftigt hat. Dieser Prozess der Entwicklung von Pfarreien zu einer Gemeinschaft von Gemeinden, deren Mitglieder aus der Kraft ihrer Taufe leben, ist natürlich ein langwieriger Prozess. Basisgemeinden kann man nicht einfach so einteilen, sondern man muss sie gemeinsam mit den Menschen vor Ort entwickeln, damit sie selbst entdecken können: Wir sind Kirche, wir leben aus der Heiligen Schrift, wir teilen unser Leben aus dem Glauben miteinander in dem Lebensraum, indem wir sind – und wir fragen: „Welches ist unser Dienst, unsere Sendung hier an diesem Ort?“

Beschreiben Sie so eine Basisgemeinde.

Das ist eigentlich immer sehr schlicht und einfach. Nehmen wir mal ein Stadtviertel in einer großen Stadt in den Philippinen. 200, 300 Familien gehören zu diesem Bereich. Und in diesem Bereich wird dann durch Initiative des Pfarrers und des Pastoralrates ein Weg gesucht, wie Kirche im Nahraum entwickelt werden kann. Da gibt es Menschen, die dann sagen: „Zuerst einmal lasst uns hier in diesem Stadtviertel Gemeinschaft werden. Was verbindet uns? Was bewegt uns? Was sind unsere Herausforderungen? Und wie können wir miteinander wirklich auf den Weg kommen? Wie können wir aus dem Evangelium leben? Und so beginnt ein Prozess, der Kreise zieht. Und dann wächst im Nahraum Kirche: Wir treffen uns und lesen das Evangelium miteinander. Wer kommt, ist herzlich eingeladen. Wir sorgen uns um die Armen, die hier sind und die wir alle kennen. Wir kennen die Sorgen und Nöte der Menschen, die hier sind. Wir übernehmen Aufgaben, zum Beispiel beerdigen wir die Toten. Wir begleiten die Trauerpastoral. Wir besuchen die Kranken. Wir sorgen für die Kinder, die allein gelassen sind …“ Es ist das simple Leben von Menschen, die wissen, dass sie im Glauben zueinandergehören und deswegen ihr Leben aus dem Glauben miteinander gestalten. Natürlich gibt es dann auch eine Verantwortungsstruktur, es gibt zwei, drei Leute, die übernehmen Verantwortung für das Ganze und werden dafür geschult. Das ist überhaupt das A und O einer solchen Entwicklung: Die Leute werden diese Dienste und Aufgaben nur dann übernehmen können, wenn sie begleitet und geschult werden. Und das geschieht in hohem Maße in Pfarreien, die so groß sind, dass sie sagen können: Wir schulen unsere Leute an den Orten selbst und haben Programme und Fortbildungsmodule, in denen wir die Menschen ermutigen und stützen.

Was ich jetzt nicht gehört habe, waren die Worte Pfarrer und Hauptamtliche.

Die sind zentral – ohne die Priester und Hauptberuflichen wird dieser Prozess nicht in Gang kommen. Lokale Kirchenentwicklung – das ist eben keine wilde Basisbewegung, sondern ein gestalteter Prozess, der das ganze Volk Gottes einbezieht. Und es ist ein Prozess, der initiiert werden will. Das ist die Aufgabe derer, die im Dienst des Bistums stehen: Sie inspirieren, sie ermöglichen, sie ermutigen, sie unterstützen. Als Dienst an der Einheit sind sie damit beauftragt, mit den Christen am jeweiligen Ort jenen Umkehrweg zu einem neuen Verstehen der Kirche zu gehen. Die Pfarrer und die Hauptberuflichen, sofern es Hauptberufliche in anderen Kontinenten in dem Sinne gibt, wie wir sie haben, sind genau dafür da. Ich hab das erlebt in einer Pfarrei auf den Philippinen, einer großen Landpfarrei, mit enormen Entfernungen, die wirklich ein Netzwerk von Gemeinden darstellt. Der Pfarrer und sein Mitarbeiterteam sind die, die den Werdungsprozess örtlicher Gemeinden begleiten, Verantwortliche schulen und Prozesse initiieren. Der Pfarrer selbst kann einmal im Monat vor Ort Eucharistie feiern: „Ich bin hier an diesem Ort, wo die Kirche steht, und feiere viele Gottesdienste. Aber einmal im Monat bin ich an jenem Ort oder in jenem Dorf. Und dann feiern wir dort Eucharistie, und es wird auch eine ganze Reihe andere Dinge gelöst. Alle Fragen und Probleme können wir dann miteinander besprechen, wir können kleine Fortbildungsmodule machen und während der Woche gibt es ein Fortbildungsteam der Pfarrei, das sich von Ort zu Ort bewegt und die jeweiligen Dienste schult und begleitet.“

Was hat dann das Bistum Hildesheim mit einem Bistum in Lateinamerika gemeinsam, das lokale Kirchenentwicklung macht, wo unterscheiden sie sich?

In Lateinamerika und Asien wirkt vieles noch sehr stark milieukirchlich, das ist ein sehr großer Unterschied. Die Familien sind alle noch christlich, katholisch sein ist selbstverständlich. So entsteht ein Netzwerk kirchlicher Basisgemeinden, die sich alle ähnlich sind.

Wir sind hier in Deutschland in einem hochtechnisierten und reichen Gebiet einer postchristlichen Ära. Bei uns gibt es an einem Ort viele verschiedene Milieus und unterschiedliche Entwicklungen. Wir haben traditionell viele Bewegungen, Gruppen, Initiativen, die sich einbringen, wir sind Träger von Einrichtungen – all das führt zu sehr differenzierten Formen von Gemeinde, zu Glaubensgemeinschaften unterschiedlichster Ausprägung. Hier ist es wichtig, für die Menschen auf dem Weg zum Glauben viele neuartige Formen zu finden.

Doch zugleich sind die Grundperspektiven einer kirchlichen Entwicklung auch in Europa gespeist durch Weichenstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das eint uns: Immer mehr rückt in den Blick, dass die Taufe und das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen die Kirche sakramental konstituiert. Immer mehr rückt in den Blick, dass wir in einem dynamischen Werdeprozess sind: Kirche ist nicht einfach fertig und muss erhalten werden, sondern wächst immer wieder neu aus der Kraft des Evangeliums, wenn es mit dem Leben zusammenkommt und seine Wirkungsgeschichte entfalten kann. Und nicht zuletzt: Kirche ist Gemeinschaft, Gemeinschaft des Leibes Christi. Vielleicht ist dieses Letztere die größte Herausforderung für uns in Europa. Wie Gemeinschaft gelebt wurde, wie sie heute in anderen Kontinenten gelebt wird, das ist für uns neu zu beschreiben: die kirchenbildende Kraft der Eucharistie zu leben und zu erfahren, dass wir das neu lernen können. Und das zeigt sich vielleicht auch in den neuen Gemeindeformen, die sich schon entwickeln.

Das darf man nicht verwechseln mit der Strukturentwicklung, die wir in den vergangenen Jahrzehnten hatten. Wir haben ja immer mehr Strukturen geschaffen und auch Hauptberuflichkeit eingeführt, um ein bestimmtes uns gewohntes Gefüge des Kircheseins zu erhalten. Das ist eine Zeit lang gelungen – jetzt verändert sich die Situation massiv.

Wenn wir nun weniger Priester haben, möglicherweise auch weniger Geld, können wir weltkirchlich diese Entwicklungen des Zweiten Vatikanischen Konzils tiefer und neu verstehen lernen: Klar, da ist was Wahres dran, dass Beziehungs- und Sozialräume der Ort der Kirchenbildung sind. Klar, wir haben gelernt, dass wir tiefer leben können aus der Schrift. So wie die Eucharistie eine Quelle ist, ist ja auch das Wort Gottes eine Quelle für das Leben der Christen. Klar, wir lernen, dass alle ihre Gaben und Talente haben und dass Dienste und Aufgaben nicht vom Pfarrer verteilt werden, sondern dass sie sich aus den Gaben der Getauften und aus der Gemeinschaft der Getauften heraus entwickeln. Wir verstehen, dass wir uns gegenseitig darin unterstützen, die Aufgabe wahrzunehmen, die wir gut können. Das, was woanders kirchliche Basisgemeinde heißt, zum Beispiel auf den Philippinen oder in Afrika, wird sich in Europa natürlich anders darstellen.

Was uns eint, ist die Frage: Wie und aus welcher Kraft leben wir unser Christsein und wie können wir aus dem Evangelium heraus glaubwürdige Christen werden? Das ist eine gemeinsame Frage, nach deren Beantwortung wir uns alle sehnen.

Die Frage, wie wir Zugehörigkeit und Gemeinschaft leben können und welche Formen das annimmt, unterscheidet sich natürlich deutlich und wird bei uns eine andere Gestalt annehmen als in Südamerika, Südafrika oder Asien.

Aber es wird immer die Frage sein: Wie gibt es Zusammengehörigkeit, Kirchlichkeit, Zusammensein im Glauben? Und das hat unterschiedliche Formen und nimmt unterschiedliche Farben an, aber die Grundelemente, die Grundfragen sind sehr ähnlich.

Ein Beispiel und Vorbild für uns in Hildesheim ist etwa das Erzbistum Poitiers in Frankreich. Dort hat ein Prozess stattgefunden, in dem gesagt wurde: Ja, die Leute vor Ort, die wollen und können Kirche sein, wir ermöglichen ihnen das, wir unterstützen sie mit Fortbildung und Begleitung, aber es muss etwas sein, was aus den Leuten herauswächst, was sie auch wirklich wollen. Dort entstehen auch „communauté locale“, örtliche Gemeinden.

Bei der Betonung von „Schau, was vor Ort ist“, denke ich an den Apostel Paulus, der in seinen Briefen und mit dem eigenen Leben fordert: „Da, wo du vor Ort missionierst, suche dir ein Handwerk, suche dir einen Beruf.“ Ist das der Anspruch lokaler Kirchenentwicklung an alle Beteiligten: Da, wo du bist, teile die Wirklichkeit der Menschen?

Genau, eine der wichtigsten Erfahrungen lokaler Kirchenentwicklung, die wir auch im Zusammenhang mit den Anglikanern gelernt haben, ist das folgende Bonmot. Die Anglikaner sagten immer: „Früher haben wir gesagt, die Leute sollen zur Kirche kommen, aber sie sind nicht gekommen. Dann haben wir gesagt, wir gehen zu denen hin und holen sie ab. Das hat auch nicht funktioniert. Und dann sind wir hingegangen, um dort, wo sie sind, mit ihnen zusammenzuleben und mit ihnen zusammen das Evangelium zu entdecken und Kirche zu werden.“ Das hat neue Formen hervorgebracht, auch sehr dezentrale, sehr unterschiedliche Formen, weil in jedem Lebensraum, in jedem Sozialraum andere Kulturen sind, andere Bedürfnisse und Herausforderungen, und andere Dienste zu tun sind.

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