Kitabı oku: «Bevor er Tötet», sayfa 3
KAPITEL VIER
Mackenzie saß auf dem Beifahrersitz, auf ihrem Schoß waren verschiedene Akten ausgebreitet und Porter, der hinter dem Steuer saß, klopfte mit seinen Fingern im Takt eines Liedes der Rolling Stones. Das Autoradio war auf dasselbe Klassikrock-Programm eingestellt, das er beim Fahren immer hörte, und Mackenzie blickte genervt auf, sie konnte sich nicht mehr konzentrieren. Sie sah, wie die Scheinwerfer die Straße, auf der sie mit achtzig Meilen pro Stunde fuhren, beleuchtete, und wandte sich ihm zu.
„Können du das bitte leiser machen?“, schnappte sie.
Normalerweise machte es ihr nichts aus, aber sie versuchte gerade, sich in das Gehirn des Mörders hineinzuversetzen.
Mit einem Seufzen und einem Kopfschütteln drehte Porter die Lautstärke des Radios leiser. Er war ihr einen abschätzigen Blick zu.
„Was hoffen Sie eigentlich zu finden?“, fragte er.
„Ich versuche ja gar nichts zu finden“, antwortete Mackenzie. „Ich will nur die Puzzleteile zusammensetzen, um die Persönlichkeit des Mörders besser zu verstehen. Wenn wir denken können wie er, dann haben wir eine größere Chance, ihn zu finden.“
„Oder“, sagte Porter, „Sie können es gar nicht abwarten, nach Omaha zu gelangen und mit den Kindern des Opfers zu reden, wie Nelson uns aufgetragen hat.“
Sogar ohne ihn anzusehen, wusste Mackenzie, dass er sich einen schlauen Spruch verkneifen musste. Sie musste es ihm wohl hoch anrechnen, dass er nicht einfach damit herausplatzte. Wenn nur sie beide unterwegs oder einem Ort des Verbrechens waren, dann reduzierte Porter seine Witzeleien und das abwertende Verhalten auf ein Minimum.
Einen Moment lang ignorierte sie Porter und schaute stattdessen die Akten auf ihrem Schoß durch. Sie verglich die Aufzeichnungen des Falles aus dem Jahr 1987 mit dem Mord an Hailey Lizbrook. Je mehr sie darüber las, desto sicherer war sie, dass beide von demselben Täter begangen worden waren. Aber dennoch war sie frustriert, weil sie kein eindeutiges Motiv erkennen konnte.
Sie blätterte immer wieder durch die Dokumente und sprang zwischen den Informationen hin und her. Sie begann, zu sich selbst zu murmeln, sich Fragen zu stellen und laut Fakten zu nennen. Es war eine Angewohnheit, die sie schon seit der High School hatte und nie ablegen konnte.
„In beiden Fällen gibt es keinen Beweis für sexuellen Missbrauch“, sagte sie leise. „Keine offensichtliche Verbindung zwischen den Opfern, außer ihrem Beruf. Kein ersichtliches religiöses Motiv. Wenn man einen religiösen Beweggrund hat, warum kreuzigt man dann die Person nicht, anstatt sie nur an eine Stange zu fesseln? In beiden Fällen tauchen diese Nummern auf, aber sie scheint kein offensichtlicher Zusammenhang zu den Morden zu bestehen.“
„Verstehen Sie mich nicht falsch“, sagte Porter, „aber ich würde mir viel lieber die Stones anhören.“
Mackenzie hörte auf, zu sich selbst zu reden, und bemerkte, dass das Benachrichtigungslicht ihres Handys blinkte. Nachdem sie und Porter gegangen waren, hatte sie Nancy eine E-Mail geschrieben und sie gebeten, in den Fällen der letzten dreißig Jahre nach den Begriffen Stange, Stripper, Prostituierte, Kellnerin, Mais, Striemen und der Nummernfolge N511/J202 zu suchen. Als Mackenzie ihren E-Maileingang überprüfte, sah sie, dass Nancy wie immer sehr schnell gehandelt hatte.
In der E-Mail stand: Ich konnte leider nicht viel herausfinden. Ich habe ein paar Informationen zu den Fällen angehängt, bei Treffer auftauchten. Viel Glück!
Es gab nur fünf Anhänge, die Mackenzie relativ schnell überfliegen konnte. Drei davon hatten ganz offensichtlich nichts mit dem Mord an Lizbrook oder dem Fall von 1987 zu tun. Die anderen beiden waren jedoch interessant genug, um sie zumindest in Betracht zu ziehen.
Einer davon stammte aus dem Jahr 1994, bei dem eine Frau tot hinter einer verlassenen Scheune in einer ländlichen Gegend ungefähr achtzig Meilen außerhalb von Omaha gefunden wurde. Sie war an eine Holzstange gefesselt gewesen und man nahm an, dass ihre Leiche mindestens sechs Tage lang dort gehangen hatte, bevor sie entdeckt worden war. Ihr Körper war versteift und von ein paar Waldtieren – man ging von Rotluchsen aus – an den Beinen angenagt worden. Die Frau hatte eine lange Kriminalakte, zu der zwei Festnahmen wegen dem Anbieten von Sex gehörten. Auch bei ihr gab es keine Zeichen für sexuellen Missbrauch und obwohl sie Striemen auf dem Rücken hatte, waren sie nicht annähernd so ausgeprägt wie bei Hailey Lizbrook. Im kurzen Bericht des Mordes stand allerdings nichts über eine Nummernfolge auf der Stange.
Der zweite Fall, der mit dem aktuellen in Verbindung stehen könnte, handelte von einem neunzehn Jahre alten Mädchen, dass entführt wurde, als es 2009 in den Weihnachtsferien nicht von der Universität von Nebraska nach Hause zurückkehrte. Als ihr Körper drei Monate später in einem leeren Feld, halb begraben, gefunden wurde, entdeckte man Striemen auf ihrem Rücken. Bilder gelangten an die Presse, auf denen das Mädchen nackt bei einer schrecklichen Sexparty in einem Bruderschaftshaus der Universität zu sehen war. Die Bilder waren eine Woche vor der Vermisstenmeldung entstanden.
Der letzte Fall war etwas weit hergeholt, aber Mackenzie dachte, dass zwischen den beiden sowie dem Mord aus dem Jahr 1087 und an Hailey Lizbrook eine Verbindung bestand.
„Was haben Sie da?“, fragte Porter.
„Nancy hat mir ein paar Infos über andere Fälle geschickt, die möglicherweise damit in Verbindung stehen könnten.“
„Ist etwas Brauchbares dabei?“
Sie zögerte, doch erklärte ihm dann die beiden Morde. Als sie fertig war, nickte Porter und starrte in die Nacht hinaus. Sie kamen an einem Schild vorbei, das ihnen ankündigte, dass Omaha noch zweiundzwanzig Meilen entfernt war.
„Ich glaube, Sie strengen sich manchmal zu sehr an“, sagte Porter. „Sie schuften sich ab, was viele Menschen bemerkt haben. Aber seien Sie ehrlich mit sich selbst: egal, wie sehr Sie sich auch anstrengen, nicht jeder Fall hat eine wichtige Verbindung, mit der Sie einen riesigen Fall an Land ziehen können.“
„Dann sagen Sie mir“, entgegnete Mackenzie, „was Ihnen gerade Ihr Bauchgefühl über diesen Fall sagt? Mit was haben wir es zu tun?“
„Es ist einfach nur ein kleiner Täter, der ein Problem mit Frauen hat“, meinte Porter abweisen. „Wenn wir mit genügend Leuten reden, dann werden wir ihn auch finden. Solche Menschen findet man, indem man Fragen stellt. Auf der Straße. Von Tür zu Tür. Zeuge um Zeuge.“
Als Stille das Auto füllte, begann sich Mackenzie darum zu sorgen, wie simpel seine Weltsicht doch war und dass es in ihr nur schwarz und weiß gab. Es ließ keinen Raum für Nuancen, für irgendetwas anderes außer seinen vorentschiedenen Ansichten. Sie jedoch war der Meinung, dass der Psycho, mit dem sie es hier zu tun hatten, viel zu feinsinnig und durchdacht für so etwas war.
„Was denken Sie denn von dem Mörder?“, fragte er schließlich.
Sie konnte die Abneigung in seiner Stimme hören, als ob er sie das eigentlich gar nicht fragen wollte, aber die Stille nicht mehr ertragen hatte.
„Ich glaube, dass er Frauen für das hasst, wofür sie stehen“, sagte sie leise, während sie darüber nachdachte. „Vielleicht ist er eine fünfzigjähre Jungfrau, die Sex abscheulich findet – und trotzdem verspürt er das sexuelle Verlangen in sich. Frauen umzubringen gibt ihm das Gefühl, seine eigenen Instinkte zu besiegen, Instinkte, die er als abscheulich und unmenschlich betrachtet. Wenn er die Ursache seines sexuellen Verlangens ausschalten kann, denkt er, die Kontrolle zu haben. Die Striemen auf den Rücken der Frauen lassen darauf schließen, dass er sie schon fast bestrafen wollte, wahrscheinlich für ihr provozierendes Wesen. Dann gibt es noch die Tatsache, dass es keine Anzeichen für sexuellen Missbrauch gibt. Da stellt sich mir dir Frage, ob das in den Augen des Mörders ein Versuch der Reinheit ist.“
Porter schüttelte den Kopf, fast wie ein enttäuschter Elternteil.
„Davon habe ich gesprochen“, sagte er. „Zeitverschwendung. Sie haben sich viel zu sehr in die Sache hineingesteigert, sodass Sie nicht einmal wissen, was Sie denken – und nichts davon hilft uns weiter. Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht.“
Eine ungemütliche Stille erfüllte den Wagen. Da er anscheinend der Meinung war, genug geredet zu haben, drehte Porter die Lautstärke des Radios wieder auf.
Das hielt jedoch nur ein paar Minuten an. Als sie sich Omaha näherten, schaltete Porter den Radio wieder aus, ohne, dass er diesmal dazu aufgefordert worden war. Als Porter sprach, klang er nervös, aber Mackenzie merkte auch, wie sehr er sich anstrengen musste, damit es so wirkte, als ob er das Sagen hätte.
„Haben Sie jemals mit Kindern gesprochen, nachdem diese ein Elternteil verloren haben?“, fragte Porter.
„Einmal“, antwortete sie. „Nach einer Schießerei aus einem Auto heraus. Der Junge war elf Jahre alt.“
„Ich habe das auch schon ein paar Mal gemacht. Es ist nicht schön.“
„Nein, das ist es nicht“, stimmte Mackenzie zu.
„Also, wir werden den beiden Jungen Fragen über ihre verstorbene Mutter stellen. Ihre Arbeitsstelle wird zwangsläufig aufkommen. Wir müssen dieses Thema bei den Kindern vorsichtig angehen.“
Sie kochte vor Wut. Er sprach zu ihr wie mit einem kleinen Kind.
„Überlassen Sie mir die Führung. Sie können die tröstende Schulter sein, auf der die Kinder weinen können. Nelson meinte, dass die Schwester ebenfalls dort sein wird, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie in der Lage ist, sonderlich viel Trost zu spenden. Sie ist wahrscheinlich genauso am Boden zerstört wie die Kinder.“
Mackenzie dachte eigentlich nicht, dass das die beste Herangehensweise wäre. Aber sie wusste auch, dass sie sich ihre Schlachten sorgsam aussuchen musste, wenn Porter und Nelson beteiligt waren. Wenn Porter also die beiden trauernden Kinder über ihre tote Mutter befragen wollte, dann würde sie ihm den Egotrip gönnen.
„Wie Sie wollen“, antwortete sie mit zusammengebissenen Zähnen.
Erneut legte sich Stille über das Auto. Diesmal schaltete Porter das Radio nicht wieder ein, das einzige Geräusch war das Umblättern der Seiten in Mackenzies’ Schoß. Es gab einen größeren Zusammenhang zwischen diesen Dokumenten und denen, die Nancy ihr gesandt hatte, dessen war sich Mackenzie zu einhundert Prozent sicher.
Um eine Geschichte zu erzählen, mussten natürlich alle Personen enthüllt werden. Und im Moment versteckte sich die Hauptfigur noch im Schatten.
Das Auto wurde immer langsamer und als sie in ein ruhiges Viertel fuhren, hob Mackenzie ihren Kopf. Sie spürte ein altbekanntes Ziehen im Bauch und wünschte sich, an einem anderen Ort zu sein.
Sie würden mit den Kindern einer toten Frau sprechen.
KAPITEL FÜNF
Als sie Hailey Lizbrooks Apartment betrat, war Mackenzie überrascht, es war nicht das, was sie erwartet hatte. Es war sauber und aufgeräumt, die Möbel passten gut zusammen und abgestaubt. Die Dekoration passte zu der einer sehr häuslichen Frau, wovon beispielsweise die mit süßen Sprüchen beschrifteten Kaffeetassen und -becher zeugten, die an verzierten Haken über dem Kamin hangen. Es war eindeutig, dass sie alles fest im Griff gehabt hatte, sogar die Frisuren und Schlafanzüge ihrer beiden Söhne.
Es war wie die Familie und das Zuhause, die sie sich immer gewünscht hatte.
Mackenzie erinnerte sich daran, in den Akten gelesen zu haben, dass die Jungen neun und fünfzehn Jahre alt waren; der ältere hieß Kein und der jüngere Dalton. Als sie die beiden kennenlernte, konnte sie deutlich sehen, dass Dalton viel geweint hatte, denn seine blauen Augen waren von roten Flecken umrahmt.
Kevin schien jedoch vor allem wütend zu sein. Das zeigte sich deutlich, als sie sich hinsetzten und Porter die Führung übernahm und dieser mit einem Tonfall sprach, der gleichzeitig herablassend war und an einen übereifrigen Vorschullehrer erinnerte. Mackenzie zuckte bei Porters Worten innerlich zusammen.
„Ich würde gerne wissen, ob eure Mutter irgendwelche männlichen Freunde hatte“, sagte Porter.
Er stand in der Mitte des Raumes, während die beiden Jungen auf dem Wohnzimmersofa saßen. Haileys Schwester Jennifer stand in der angrenzenden Küche, wo sie am Herd bei laufender Dunstabzugshaube eine Zigarette rauchte.
„Sie meinen, einen festen Freund?“, fragte Dalton.
„Zum Beispiel“, antwortete Porter. „Aber nicht nur das. Ich meine jeden Mann, mit dem sie mehrmals gesprochen hat. Dazu kann sogar der Postbote oder jemand aus dem Supermarkt gehören.“
Die beiden Jungen starrten Porter an, als ob er jeden Moment einen magischen Trick aufführen oder sogar platzen würde. Mackenzie tat das gleiche. Sie hatte ihn noch nie mit solch einer sanften Stimme reden gehört. Es war schon fast amüsant, solch einen zarten Tonfall aus seinem Mund zu hören.
„Nein, ich glaube nicht“, sagte Dalton.
„Nein“, stimmte Kevin zu. „Und sie hatte auch keinen festen Freund. Zumindest habe ich davon nichts mitbekommen.“
Mackenzie und Porter schauten zu Jennifer, die immer noch am Herd stand, doch bekamen lediglich ein Schulterzucken als Antwort. Mackenzie war sich ziemlich sicher, dass Jennifer unter einer Art Schock litt. Deshalb fragte sie sich, ob es vielleicht noch weitere Familienmitglieder gab, die sich für eine Weile um die Kinder kümmern konnten, da Jessica im Moment nicht dazu in der Lage schien.
„Wie schaut es mit den Menschen aus, mit denen ihr und eure Mutter euch nicht verstanden habt?“, fragte Porter. „Habt ihr sie je mit jemandem streiten hören?“
Dalton schüttelte den Kopf. Mackenzie war sich sicher, dass das Kind erneut kurz vor einem Tränenausbruch stand. Kevin rollte jedoch nur mit den Augen und schaute Porter direkt an.
„Nein“, entgegnete er. „Wie sind nicht dumm. Wir wissen, was Sie uns fragen wollen. Sie möchten wissen, ob wir uns vorstellen könnten, wer unsere Mutter umgebracht hat, nicht wahr?“
Porter sah aus, als hätte er einen Schlag in den Bauch bekommen. Sein Blick huschte nervös zu Mackenzie, doch er fing sich schnell wieder.
„Also, ja“, meinte er. „Darauf wollte ich hinaus. Aber es scheint, dass ihr keine nützlichen Informationen habt.“
„Das denken Sie also?“, erwiderte Kevin.
In einem kurzen, angespannten Moment war sich Mackenzie sicher, dass Porter mit dem Kind grob werden würde. Kevin schaute Porter mit Schmerz in seinem Gesicht an, fast so, als ob er ihn herausfordern würde.
„Nun denn“, sagte Porter. „Ich habe euch Jungs genug gestört. Danke für eure Zeit.“
„Einen Moment noch“, warf Mackenzie ein, bevor sie sich stoppen konnte.
Porter warf ihr einen Blick zu, der Wachs hätte schmelzen können. Es war eindeutig, dass er es für Zeitverschwendung hielt, mit diesen trauernden Jungen zu reden – vor allem mit einem Fünfzehnjährigen, der offensichtlich Autoritätsprobleme hatte. Mackenzie ließ seinen Gesichtsausdruck an ihr abprallen und kniete sich hin, damit sie auf Daltons Augenhöhe war.
„Hör zu, könntest du für einen Moment zu deiner Tante in die Küche gehen?“
„Ja“, erwiderte Dalton leise mit zittriger Stimme.
„Detective Porter, warum begleiten Sie ihn nicht?“
Wieder warf ihr Porter einen hasserfüllten Blick zu, den Mackenzie jedoch ohne mit der Wimper zu zucken erwiderte. Ihr Gesicht verhärtete sich, sie war fest entschlossen, sich hier durchzusetzen. Wenn er darüber diskutieren wollte, dann würden sie es draußen tun. Aber es war offensichtlich, dass er sich sogar in der Anwesenheit von zwei Kindern und einer katatonischen Frau nicht peinlich machen wollte.
„Natürlich“, antwortete er schließlich mit zusammengebissenen Zähnen.
Mackenzie wartete einen Moment, während Porter und Dalton in die Küche gingen.
Mackenzie stand wieder auf. Sie wusste, dass die Taktik, sich auf die gleiche Augenhöhe wie die Kinder zu begeben, ihre Wirkung verlor, wenn diese älter als zwölf waren.
Sie schaute Kevin an und stellte fest, dass dieselbe Trotzhaltung, die er Porter gegenüber gezeigt hatte, immer noch da war. Mackenzie hatte nichts gegen Teenager, aber sie wusste, dass sie im Umgang schwer sein konnten – vor allem im Angesicht tragischer Umstände. Doch sie hatte gesehen, wie Kevin auf Porter reagiert hatte und dachte, dass sie vielleicht zu ihm durchdringen konnte.
„Spreche mit mir, Kevin“, sagte sie. „Glaubst du, dass wir zu bald gekommen sind? Glaubst du, dass es gefühllos von uns war, euch zu befragen, so kurz nachdem ihr die Neuigkeiten über eure Mutter erfahren habt?“
„Ein bisschen“, sagte er.
„Bist du jetzt einfach nur nicht in der Stimmung, zu reden?“
„Nein, damit habe ich kein Problem“, meinte er. „Aber der Kerl ist ein Idiot.“
Mackenzie wusste, dass das ihre Chance war. Sie könnte professionell und formell an die Sache herangehen, wie sie es auch normalerweise tun würde – oder sie könnte diese Gelegenheit nutzen, um eine Beziehung zu dem wütenden Teenager aufzubauen. Jugendliche, das wusste sie, schätzten vor allem Ehrlichkeit. Sie konnten, getrieben durch Gefühle, alle Lügen durchschauen.
„Da hast du Recht“, entgegnete sie. „Er ist ein Idiot.“
Kevin starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Sie hatte ihn geschockt, offensichtlicherweise hatte er nicht mit dieser Antwort gerechnet.
„Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich mit ihm arbeiten muss“, fügte sie hinzu, ihre Stimme war voller Mitgefühl und Verständnis. „Es ändert auch nichts an der Tatsache, dass wir hier sind, um euch zu helfen. Wir wollen denjenigen finden, der eurer Mutter das angetan hatte. Willst du das denn nicht auch?“
Lange Zeit war er still, dann nickte er schließlich.
„Denkst du, du könntest dann mit mir reden?“, fragte Mackenzie. „Es sind nur ein paar schnelle Fragen, dann sind wir hier weg.“
„Und wer kommt danach?“, wollte Kevin etwas reserviert wissen.
„Willst du eine ehrliche Antwort?“
Kevin nickte und sie sah, dass er den Tränen nahe war. Sie fragte sich, ob er sie die ganze Zeit lang zurückgehalten und versucht hatte, für seinen Bruder und seine Tante stark zu sein.
„Also, wenn wir weg sind, werden wir alle Informationen zusammentragen, die wir finden können. Anschließend kommt das Sozialamt und wird sicherstellen, dass Jennifer in der Lage ist, sich um euch zu kümmern, während die Sache mit deiner Mutter abgeschlossen wird.“
„Meistens ist sie cool“, meinte Kevin, während er Jennifer ansah. „Aber sie und meine Mutter standen sich sehr nahe. Sie waren wie beste Freundinnen.“
„Das sind Schwestern manchmal“, erwiderte Mackenzie, doch sie hatte keine Ahnung, ob das stimmte. „Aber für jetzt ist es wichtig, dass wir uns auf meine Fragen konzentrieren. Kannst du das?“
„Ja.“
„Gut. Ich stelle die Frage nur ungern, aber sie ist notwendig. Weißt du, als was deine Mutter arbeitete?“
Kevin nickte und senkte den Blick zu Boden.
„Ja“, antwortete er. „Und ich weiß zwar nicht woher, aber die Kinder in der Schule wissen es auch. Ein notgeiler Vater von ihnen ist wahrscheinlich in den Club gegangen und hat sie von einer Schulveranstaltung oder so erkannt. Es ist schrecklich. Ich wurde deshalb immer aufgezogen.“
Mackenzie konnte sich gar nicht vorstellen, wie sehr er gelitten haben musste, aber es erhöhte auch ihre Achtung vor Hailey Lizbrook um einiges. Natürlich arbeitete sie nachts als Stripperin, aber tagsüber war sie anscheinend eine fürsorgliche Mutter gewesen.
„Okay“, sagte Mackenzie, „da du ihren Beruf kennst, kannst du dir vorstellen, welche Art Männer solche Orte besuchen, nicht wahr?“
Kevin nickte und Mackenzie sah, wie die erste Träne über seine linke Wange rollte. Fast schon wollte sie ihre Hand ausstrecken und die seine nehmen, um ihm Trost zu spenden, aber sie wollte ihn nicht noch mehr quälen.
„Fällt dir ein, ob deine Mutter einmal wirklich wütend oder aufgebracht über etwas war, oder ob irgendwelche Männer…nun ja, ob welche vielleicht mit ihr nach Hause kamen?“
„Sie hat nie jemanden mitgebracht“, entgegnete er. „Und ich habe Mom fast nie wütend oder verärgert gesehen. Nur einmal war sie wegen etwas wirklich aufgebracht, nämlich als sie letztes Jahr mit den Anwälten sprach.“
„Anwälte?“, fragte Mackenzie nach. „Weißt du, warum sie mit den Anwälten gesprochen hat?“
„So in etwa. Ich weiß, dass eines nachts einmal etwas auf der Arbeit geschah, weshalb sie sich an ein paar Anwälte wandte. Ich hörte ein paar Brocken, wenn sie telefonierte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mit ihnen über eine einstweilige Verfügung gesprochen hat.“
„Und du denkst, dass das mit ihrer Arbeit zu tun hatte?“
„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Kevin. Er schien ein bisschen heiterer zu sein, jetzt, da er ihr anscheinend helfen konnte. „Aber ich gehe davon aus.“
„Das ist eine große Hilfe, Kevin“, sagte Mackenzie. „Fällt dir sonst noch etwas ein?“
Er schüttelte langsam den Kopf und schaute dann in ihre Augen. Er wollte stark bleiben, doch in den Augen des Jungen lag so viel Traurigkeit, dass Mackenzie nicht verstehen konnte, warum er noch nicht zerbrochen war.
„Mom schämte sich dafür, wissen Sie?“, meinte Kevin. „Tagsüber arbeitete sie von Zuhause aus. Sie war eine Art technische Schreiberin für Webseiten und solche Sachen. Aber ich glaube nicht, dass sie damit viel Geld verdiente. Sie tat das andere, um mehr Geld zu verdienen, weil unser Vater…nun ja, er trennte sich vor langer Zeit. Er schickt auch kein Geld mehr. Deshalb musst Mom…diese andere Arbeit annehmen. Sie tat es für mich und Dalton und…“
„Ich weiß“, entgegnete Mackenzie und diesmal streckte sie ihre Hand nach ihm aus. Sie legte sie auf seine Schulter, wofür er dankbar schien. Sie konnte auch erkennen, dass er seinen Tränen gerne freien Lauf lassen würde, was er sich aber wahrscheinlich vor fremden Menschen nicht erlauben würde.
„Detective Porter“, rief Mackenzie und er trat mit finsterem Blick aus der Küche. „Haben Sie noch weitere Fragen?“ Bei der Frage schüttelte sie leicht mit dem Kopf, in der Hoffnung, dass er den Hinweis erkennen würde.
„Nein, ich glaube, wir sind hier fertig“, antwortete er.
„Okay“, erwiderte Mackenzie. „Nochmal danke für eure Zeit.“
„Ja, danke“, sagte Porter, als er zu Mackenzie ins Wohnzimmer kam. „Jennifer, Sie haben meine Nummer, zögern Sie also nicht, uns anzurufen, wenn Ihnen etwas einfällt, von dem Sie denken, dass es uns helfen könnte. Sogar das kleinste Detail kann hilfreich sein.“
Jennifer nickte und krächzte: „Danke.“
Mackenzie und Porter gingen hinaus und ein paar hölzerne Treppe zum Parkplatz des Wohnkomplexes hinunter. Als sie ein gutes Stück von der Wohnung entfernt waren, verringerte Mackenzie den Abstand zwischen den beiden. Sie konnte seine Wut wie Hitze neben sich spüren, was sie jedoch ignorierte.
„Ich habe eine Spur“, meinte sie. „Kevin erzählte mir, dass seine Mutter letztes Jahr eine einstweilige Verfügung gegen jemanden auf der Arbeit erwirken wollte. Er sagte, dass er sie nur dieses einzige Mal wütend über etwas erlebt hatte.“
„Gut“, erwiderte Porter. „Dann ist wenigstens etwas Brauchbares bei Ihrer Untergrabung meiner Autorität herausgekommen.“
„Ich habe sie nicht untergraben“, widersprach Mackenzie. „Ich sah einfach nur, wie sich ein Konflikt zwischen Ihnen und dem ältesten Sohn aufbaute, weshalb ich einschritt, um die Situation zu lösen.“
„So ein Müll“, entgegnete Porter. „Sie haben mich vor den Kindern und ihrer Tante schwach und untergeordnet aussehen lassen.“
„Das ist nicht wahr“, wandte Mackenzie ein. „Und selbst wenn es so wäre, was wäre denn schon dabei? Sie haben mit den Kindern wie mit einem Haufen Idioten gesprochen, der kaum Englisch verstehet.“
„Ihr Verhalten war ein eindeutiges Zeichen von fehlendem Respekt“, konterte Porter. „Ich erinnere Sie daran, dass ich diesen Job schon länger mache als Sie am Leben sind. Wenn ich Ihre Hilfe brauche, dann bestimme ich das, verdammt nochmal.“
„Sie waren fertig, Porter“, erwiderte sie. „Das Gespräch war zu Ende, wissen Sie nicht mehr? Und es gab nichts mehr zu untergraben. Sie wollten schon weggehen. Das war Ihre Meinung und zwar die falsche.“
Sie hatten das Auto erreicht und als Porter es aufschloss, brannten seine Augen über das Dach hinweg in die von Mackenzie.
„Wenn wir zurück auf der Polizeiwache sind, werde ich bei Nelson einen Antrag stellen, Sie einem anderen Polizisten zuzuweisen. Ich habe genug von Ihrem mangelnden Respekt.“
„Mangelnder Respekt“, wiederholte Mackenzie mit einem Kopfschütteln. „Sie wissen ja nicht einmal, was das Wort bedeutet. Warum fangen Sie nicht einmal damit an, Ihr Verhalten mir gegenüber unter die Lupe zu nehmen?“
Porter atmete zitternd aus und stieg ohne ein weiteres Wort in das Auto. Entschlossen, sich nicht von Porters schlechter Stimmung beeinflussen zu lassen, stieg Mackenzie ebenfalls ein. Sie schaute zur Wohnung zurück und fragte sich, ob Kevin seine Tränen mittlerweile zugelassen hatte. Wenn man das große Ganze sah, dann schien der Konflikt zwischen ihr und Porter unwichtig.
„Wollen Sie Bescheid sagen?“, fragte Porter, der ziemlich wütend war, dass sie ihn übergangen hatte.
„Ja“, antwortete sie und zog ihr Handy hervor. Als sie Nelsons Nummer wählte, konnte sie die Genugtuung nicht unterdrücken, die sich in ihr aufbaute. Vor einem Jahr war eine einstweilige Verfügung erlassen worden und jetzt war Hailey Lizbrook tot.
Wir haben den Bastard, dachte sie.
Aber gleichzeitig kam sie nicht umhin, sich zu fragen, ob es wirklich so einfach sein würde, diesen Fall abzuschließen.