Kitabı oku: «Eine Spur von Tod», sayfa 7

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KAPITEL ZWÖLF

Montag

Nacht

Keri und Ray fuhren auf den Parkplatz der Wartungs- und Lagerhallen von Lawndale 22 Metrolink. Es hatte sich herausgestellt, dass Artie North nicht nur für den Sicherheitsdienst der Schule arbeitete, sondern auch Nachtdienst bei den U-Bahn Stellplätzen am Aviation Boulevard schob.

Keri fühlte sich hier nicht wohl. Selbst bei Tageslicht hätte ihr dieser Ort ein mulmiges Gefühl gemacht, aber jetzt, mitten in der Nacht, fiel kaum Licht auf die Unmengen von bewegungslosen, sperrigen Bahnwaggons. Es bot die perfekte Kulisse für einen Horrorfilm. In ihren Albträumen sah sie Evie vor sich, wie sie an solchen Orten gefangen war.

Suarez hatte sie unterwegs angerufen und ihr mitgeteilt, dass Artie North einen Van besaß, allerdings einen weißen. Das entlastete ihn aber kaum, da man einen Van leicht umlackieren konnte.

Wie kann es sein, dass plötzlich alle Verdächtigen einen Van besitzen?

Sie gingen zum Wachhäuschen, das sich direkt neben dem großen, automatischen Tor befand. Keri sah keinen Van im Hof stehen, aber sie wusste auch nicht, ob die Angestellten ihre Privatfahrzeuge auch hier parkten.

Da niemand am Fenster saß, klingelten sie. Keri fuhr unbewusst mit der Hand über ihren Revolver. Ray seufzte leise, als er das bemerkte.

„Bitte erst schießen, wenn es unbedingt sein muss, okay? Schließlich liegt nichts gegen den Typen vor, außer der Aussage deines kleinen Loverboys.“

„Und der Van – vergiss nicht den Van, Megatron.“

Bevor Ray etwas erwidern konnte, erschien ein verschlafen aussehender, pummeliger Mann hinter dem Fenster. Sie hatten ihn offenbar geweckt. Normalerweise zog Keri keine vorschnellen Schlüsse über andere, aber beim Anblick dieses Kerls fragte sie sich, wie er für die Sicherheit von irgendetwas, geschweige denn einer ganzen Schule oder der städtischen Bahnverwaltung sorgen sollte.

Bei jedem Schritt, den Artie North näher kam, wackelte sein Bauch. Sein Hemd spannte, sein Gesicht war blass und seine rot unterlaufenen Augen machten im Neonlicht einen ungesunden Eindruck. Er war kleiner als sie selbst, wog aber sicher über hundert Kilo.

Man konnte sich durchaus vorstellen, dass er sich auf Porno-Webseiten auskannte und einen Teenager erpressen musste, um etwas Live-Action zu sehen zu kriegen.

Als er am Fenster angekommen war, hielt Keri ihre Polizeimarke an die Scheibe.

„LAPD. Sind Sie Artie North?“

„Ja.“

„Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen. Lassen Sie uns bitte herein.“

Artie zögerte.

„Ich sollte vielleicht erst meinen Manager anrufen.“

„Mr. North, das war keine Bitte. Ich wollte nur höflich sein. Lassen Sie uns herein.“

Daraufhin öffnete er die Tür. Als sie in den Raum gingen, begann Ray mit der ersten Frage.

„Sie arbeiten an der West Venice High?“

„M-hm.“

„Kennen Sie eine Schülerin namens Ashley Penn?“

„Ja. Sie ist in der Oberstufe. Warum?“

„Sie ist verschwunden“, sagte Keri. „Haben Sie das nicht mitbekommen?“

„Nein.“

Das erschien Keri suspekt. Seit der offiziellen Suchmeldung wurde die Nachricht auf allen Sendern gezeigt.

Artie schloss die Tür hinter ihnen. „Bitte setzen Sie sich.“

Keri sah sich um. Sie standen in einem erstklassigen Überwachungsraum mit Funkgerät, Telefon, Überwachungsmonitoren, Waffenschrank und allem möglichen Equipment, das zu einem guten Sicherheitsdienst gehörte. Im hinteren Raum befanden sich Schlafkabine, Bad und eine kleine Küche.

„Was ist Ashley zugestoßen?“, fragte Artie.

Keri antwortete mit einer Gegenfrage: „Mr. North, wie kommt es, dass Sie nichts mitbekommen haben? Die Geschichte geht durch alle Medien.“

Artie lächelte entschuldigend, während er mit der Hand auf die Räumlichkeiten wies.

„So viel Technik, aber einen Fernseher erlauben sie hier nicht. Die Internetnutzung wird streng überwacht, also benutze ich nur die Firmenwebsite. Ein Kollege wurde gefeuert, weil er sich während der Arbeitszeit online gezockt hat.“

„Fällt es Ihnen schwer, nächtelang nicht im Internet surfen zu können, Mr. North?“

Er sah sie verwirrt an. „Was?“

„Nicht wichtig. Ich möchte direkt zum Punkt kommen. Uns liegen Informationen vor, dass Sie ein kompromittierendes Video von Ashley besitzen, mit dem Sie sie erpresst haben. Sie sollen gedroht haben, es zu veröffentlichen, wenn sie Ihnen nicht gewisse sexuelle Dienste erweist.“

Artie sah wirklich schockiert aus.

„Absolut nicht!“

„Das entspricht also nicht der Wahrheit?“

„Nein! Wer hat das behauptet?“

„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Sprechen Sie manchmal mit Ashley?“

„Manchmal. Ich spreche mit allen Schülern.“

„Was sagen Sie zu ihnen?“

„Hi, schönen Tag, geh in dein Klassenzimmer. Normales Zeug eben.“

Ray stand auf und ging im Raum umher, als würde er sich die Ausrüstung genauer ansehen. Als Arties Blick ihm nervös folgte, musste Keri ein grinsen unterdrücken. Das war ein typisches Ray Sands Manöver, um den Verdächtigen zu verunsichern – umhergehen, herumschnüffeln, lauern. Ein riesiger schwarzer Cop, der sich ganz selbstverständlich in ihrem Revier breit macht; das bringt fast alle Leute durcheinander. Manchmal werden sie dadurch unvorsichtig.

„Sie haben also zwei Jobs?“, fragte Keri, um Arties Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen.

„Ja. Ich arbeite bis drei Uhr an der Schule und komme dann direkt hierher. Bis zehn Uhr muss ich am Monitor sitzen und dann darf ich schlafen. Ich bin aber die ganze Nacht hier, falls es einen Notfall gibt.“

„Und morgens gehen Sie direkt wieder zur Schule?“

„Ja.“

„Wie oft?“

„Montag bis Freitag. An den Wochenenden bin ich zu Hause.“

„Und wo ist das, zu Hause?“

„Ich besitze eine alte Farm bei Piru, westlich von Santa Clarita. Ich bewirtschafte die Farm nicht mehr, aber ich halte alles in Schuss, damit sie nicht an Wert verliert. Warum?“

„Wann waren Sie zuletzt dort?“

„Heute früh, bevor ich zur Schule gegangen bin. Und ich werde erst am Freitagabend wieder hinfahren, wenn meine Schicht endet, um zehn Uhr.“

„Besitzen Sie einen Van?“

„Ja.“

„Könnten wir einen Blick darauf werfen?“

„Klar. Ich habe ihn neben dem Gebäude geparkt.“

Sie gingen sofort hinüber. Der Van war immer noch weiß, wenn auch ziemlich dreckig. Ray fuhr mit der Fingerspitze durch den Staub. Er war offensichtlich schon länger nicht mehr gewaschen worden und Keri bezweifelte, dass er je neu lackiert wurde. Sie wandte sich wieder an Artie.

„Stellt die städtischen Bahn-Verwaltung Ihnen Fahrzeuge zur Verfügung?“

„Ja.“

„Auch Vans?“

„Nein, nur Pickup-Trucks und Geländewagen.“

Keri wechselte unvermittelt das Thema. Das verunsicherte ihn noch mehr und genau das beabsichtigte sie.

„Ashley hat sich oft mit einem Typen getroffen, blond, lange Haare. Er singt in einer Band. Haben Sie die beiden je zusammen gesehen?“

Der Mann nickte.

„Oh ja“, sagte er.

„Wo?“

„Er hing oft hinter der Tribüne herum, beim Hausmeisterschuppen“, erklärte er. „Ashley hat ihn dort manchmal nach Schulschluss getroffen.“

„Um heimlich mit ihm herumzuknutschen?“

„Manchmal auch mehr“, sagte er leise.

„Was zum Beispiel?“

„Ich hatte irgendwann den Verdacht, dass Sie vielleicht mit Drogen dealen, also habe ich die beiden im Auge behalten. Vor ein paar Monaten bin ich ihnen gefolgt. Sie sind in einen der Schuppen eingebrochen und hatten… naja… Geschlechtsverkehr.“

„Haben Sie sie dabei gefilmt?“

Artie machte ein erschrockenes Gesicht.

„Nein. Ich habe den Typen vom Schulhof geschmissen und ihm gesagt, dass er sich nicht mehr blicken lassen soll. Er hat mich böse angeschaut, als könnte er mich einschüchtern, aber sowas lässt mich kalt. Ich dachte, dass er jeden Moment auf mich losgeht, aber das hat er nicht getan. Glück für ihn, sonst hätte ich ihn fertig gemacht. Schließlich ist er einfach gegangen. Ashley ist mit ihm abgezogen, aber am nächsten Tag ist sie zu mir gekommen und hat mich angefleht, niemandem davon zu erzählen. Ich habe ihr versprochen den Mund zu halten, solange ihr Freund sich von der Schule fernhält.“

„Wann war das?“

„Anfang letzter Woche.“

„Ist er seitdem zurückgekommen?“

„Soweit ich weiß nicht.“

„Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass er Drogen verkauft?“, fragte Ray nach.

„Als ich sie im Schuppen erwischt habe, habe ich dort vier oder fünf Ampullen gefunden. Das ist mehr, als zwei Leute vertragen können.“

„Wissen Sie, was es war?“

„Es war weißes Pulver. Koks, Heroin, vielleicht Meth. Ich bin kein Experte.“

„Haben Sie das gemeldet?“

„Machen Sie Witze? Ihr Vater ist ein US Senator. Was, wenn er sie in Schutz nimmt und alles mir in die Schuhe schiebt? Wem werden die Leute wohl glauben? Wer hat mehr Einfluss? Ich habe die Ampullen weggeworfen und Ende der Geschichte.“

*

Fünf Minuten später fuhren sie schweigend zurück zum Revier. Keri war in Gedanken, als Ray das Schweigen brach.

„Die Geschichte von Artie North klingt ganz anders als die deines kleinen Freundes.“

„Findest du?“

„Wem glaubst du?“

„Muss ich mich sofort entscheiden? Vielleicht lügen beide. Ich kann gerade nicht denken. Jede neue Spur führt uns wieder an den Anfang. Wenn Ashley wirklich entführt wurde, wird die Zeit langsam knapp.“

„Zweifelst du denn daran?“

„Ich weiß einfach nicht, was ich noch glauben soll, Ray.“

Keris Handy klingelte. Sie stellte es auf Lautsprecher und eine unbekannte Frauenstimme meldete sich. „Keri Locke?“

„Ja.“

„Mein Name ist Britton Boudiette. Ich bin eine Freundin von Ashley Penn. Ich würde Sie gerne treffen, wenn das möglich ist.“

„Worum geht es?“

„Das möchte ich lieber nicht am Telefon sagen. Bitte, es ist wichtig. Können Sie alleine kommen? Nur Sie?“

Nachdem sie einen Treffpunkt vereinbart hatten, legte Keri auf. Sie sah Ray an und sagte in einem zynischen Ton, der sogar sie selbst überraschte:

„Können Sie alleine kommen? In der Geschichte aller Ermittlungen – ist je etwas Gutes bei diesem Satz herausgekommen?“

KAPITEL DREIZEHN

Montag

Nacht

Zwanzig Minuten später, nachdem sie Ray beim Revier abgesetzt hatte, stellte Keri ihren Wagen in einer kleinen Gasse hinter Britton Boudiettes Haus ab. Dann leuchtete sie mit ihrem Scheinwerfer dreimal auf das Haus, wie sie es am Telefon vereinbart hatten und schaltete schließlich Zündung und Lichter aus.

Sofort kam eine schlanke Figur aus einem Fenster geklettert und hangelte sich von der Veranda ab. Dann rannte sie über den Rasen, kletterte über den Gartenzaun und stieg leise in Keris Auto.

Keri fühlte sich wie ein Teenager. Sie hatte mitten in der Nacht ein geheimes Treffen mit einer Fünfzehnjährigen. Keri fragte sich, ob Brittons Eltern ihr Ärger machen könnten, wenn sie von dem Treffen wüssten. Doch sie vertrieb den Gedanken schnell und nahm sich vor, Britton ernst zu nehmen.

Britton war sportlich, hübsch. Sie hatte offensichtlich Afro-Amerikanische Wurzeln. Das Mädchen trug einen bedruckten Flanell-Pyjama mit pinkfarbenem T-Shirt. Sie kam direkt zur Sache.

„Ashley würde mich umbringen, wenn sie wüsste, dass ich mit Ihnen rede. Sie müssen mir versprechen, niemandem von unserem Treffen zu erzählen.“

„Ich werde nur etwas verraten, wenn es unbedingt sein muss“, versprach Keri, ohne wirklich etwas zu versprechen. Britton schien das zu genügen.

„Okay“, begann sie. „Ich weiß wirklich nicht, ob Ihnen das irgendwie hilft, aber Ashley war in letzter Zeit wirklich ausgeflippt.“

„Wie meinst du das?“

„Sie hat diesen neuen Freund, Walker Lee, er ist der Sänger von Rave. Das sagt Ihnen wahrscheinlich nichts, aber die Band ist richtig cool. Die haben ihre erste Single Honey rausgebracht. Egal. Walker hat einen richtig schlechten Einfluss auf Ashley.“

„Inwiefern?“

„Alles hat damit begonnen, dass Walker ihr einen gefälschten Ausweis oder sowas gegeben hat, damit sie mit ihm in die Clubs und auf seine Konzerte gehen konnte. Dort hat sie getrunken und Drogen genommen. Nicht besonders viel und nichts Gefährliches, aber sie ist immerhin erst fünfzehn.“

„Britton, das weiß ich alles“, erklärte Keri. Die einzige Neuigkeit war, dass Walker ihr den falschen Führerschein besorgt hat.

Britton überlegte kurz, dann redete sie weiter.

„Sie haben krumme Sachen gedreht, für den Nervenkitzel.“

„Was zum Beispiel?“

„Nichts Schlimmes, nur kleine Sachen, von denen sie einen Adrenalin-Kick bekamen. Vor zwei Wochen haben sie zum Beispiel ein Auto geklaut und sind damit durch die Stadt gefahren. Und sie hatten immer wieder Sex in der Öffentlichkeit, sie wären fast erwischt worden. Und letzte Woche – kennen Sie Nakatomi Plaza?“

„Ja.“ Keri kannte es sogar sehr gut.

Es hieß eigentlich Fox Plaza, aber in dem Hollywoodfilm Stirb Langsam hieß es Nakatomi Plaza – bevor es in die Luft gesprengt wurde. Das 35-stöckige Gebäude stand in der Century City, einer Enklave im Westen der Stadt, die bekannt ist für ihre vielen Anwaltskanzleien und Talent-Agenturen.

„Sie haben sich dort versteckt, bis es abgesperrt wurde, und dann haben sie die ganze Nacht auf der Dachterrasse Wein getrunken und Gras geraucht. Am nächsten Morgen haben sie sich wieder rausgeschlichen. Ashleys Eltern dachten, sie hätte bei mir geschlafen. Ich habe für sie gelogen, aber ehrlich gesagt hat mir das gar nicht gefallen.“

Das war zwar interessant, aber Keri sah keinen Zusammenhang mit ihrem Verschwinde.

„Und jetzt kommt das Schlimmste“, sagte das Mädchen. „Walker hat vor kurzem eine Waffe angeschleppt.“

„Warum?“

„Er steckt wohl in irgendwelchen Schwierigkeiten. Angeblich ist irgendjemand hinter ihm her, vielleicht auch hinter Ashley, so genau weiß ich das nicht. Sie sagte, dass Walker Drogenschulden hat. Das wollte ich Ihnen sagen. Sie wollten zusammen weglaufen, ich glaube nach Vegas.“

„Sie wollten als Musiker und Fotomodell berühmt werden, richtig?“

„Ich weiß nicht. Sie wollten einfach vor all dem weglaufen, was hier schief gegangen ist.“ Sie pustete laut. „Ashleys Eltern wissen nichts davon und ich habe ihr geschworen, den Mund zu halten. Aber jetzt ist sie verschwunden und ich musste es Ihnen einfach sagen.“

Keri tätschelte ihren Arm. „Das war die richtige Entscheidung.“

„Wird es Ihnen weiterhelfen?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht.“

„Da ist noch eine Sache, die Sie wissen sollten“, fügte Britton hinzu. „Aber Sie dürfen es auf keinen, wirklich auf gar keinen Fall weitersagen. Ich musste Ashley schwören, es für mich zu behalten.“

„Ich verstehe“, sagte Keri, wieder ohne auf ihre Bitte einzugehen.

Das Mädchen sah Keri eine Weile ernst an. „Ashleys Mutter, Mia, kommt aus einer sehr reichen Familie. Ihre Eltern, also Ashleys Großeltern, haben mit einer Kanzlei hier in LA zusammen gearbeitet, Peterson and Love. Kennen Sie sie?“

Keri nickte. Es war eine der größten Kanzleien der Stadt, sehr politisch, mit mehreren Niederlassungen in anderen Städten. Es gab sie schon sehr lange.

„Okay, also, sie haben ihre Beziehungen spielen lassen um für Mia einen Ferienjob in der Firma zu besorgen, als sie vierzehn war. Sie hat sich um Kopien und Besorgungen gekümmert, Akten sortiert und so weiter.“

„Aha.“

„Stafford war damals Firmenpartner, er war dreißig Jahre alt. Naja, eines Abends hat er Mia nach Feierabend, als alle gegangen waren, zu sich ins Büro bestellt und geknackt.“

„Geknackt?“

„Entjungfert eben“, erklärte Britton ernst.

„Ach so“, sagte Keri und bemühte sich, ernst zu bleiben.

„Verstehen Sie mich nicht falsch, sie wollte es auch, aber er war ein erwachsener Mann, ein Anwalt, und Mia war noch ein Kind. Sie wurde schwanger. Er wollte sie zur Abtreibung überreden, aber sie hat sich geweigert. So kam Ashley auf die Welt. Mia und Ashley haben sieben Jahre lang in Paris gelebt und kamen danach wieder hierher. Mia war zweiundzwanzig und Ashley sieben.“

„Das ist… ich weiß nicht… wild“, sagte Keri.

„Ich weiß“, sagte Britton. „Mia und Stafford sind nach all den Jahren wieder zusammen gekommen, haben geheiratet, und schließlich hat Stafford Ashley offiziell ‚adoptiert‘. Theoretisch hat er nie abgestritten, Ashleys leiblicher Vater zu sein, aber wegen der Adoption denken alle, dass er ihr Stiefvater ist. Jedenfalls hat Mia ihn überredet, in die Politik zu gehen und dann hat sie sich um seine Kampagnen gekümmert. So ist er Senator geworden. Fast niemand weiß, dass er wirklich Ashleys Vater ist. Wenn die Öffentlichkeit erfährt, wie ihre Familie entstanden ist, wäre seine politische Karriere vorbei. Ashley hat es mir anvertraut, als sie betrunken war.“

„Ich weiß nicht, wie uns das weiterhelfen soll“, sagte Keri.

„Das weiß ich auch nicht. Ich dachte nur, Sie sollten wissen, dass Stafford Penn nicht so astrein ist, wie die Leute denken. Ich persönlich kann ihn nicht leiden.“

*

Keri wartete, bis Britton wieder sicher in ihrem Zimmer angekommen ist, bevor sie zurück aufs Revier fuhr. Unterwegs fiel Keri etwas auf. Mia wollte, dass Keri sich um den Fall kümmert, weil sie einen guten Draht zueinander hatten. Aber Stafford hatte sie nicht unterstützt, weil sie die Beste für den Fall war, sondern weil er dachte, dass sie die Schlechteste für den Fall ist.

Wenn jemand in seinem Privatleben herumschnüffelte und Geheimnisse herausfand, sollte es wenigstens ein unerfahrener Detective sein, der bekannt dafür war, emotional zu handeln und regelmäßig zurechtgewiesen wurde. Wenn es schief lief, wäre sie der perfekte Sündenbock. Und Keri war auf ihn hereingefallen.

Aber sie hatte noch ein anderes Problem: Sie hatte keine Ahnung, was er sonst noch verheimlichte.

KAPITEL VIERZEHN

Montag

Nacht

Als Keri wieder auf dem Polizeirevier ankam, wurde ihr Auto von Journalisten umzingelt. Zwei uniformierte Beamte halfen ihr, den eingezäunten Parkplatz zu erreichen.

Blitzlichter erhellten die Nacht, während sie aus dem Wagen stieg und zum Seiteneingang ging. Fragen wurden durcheinander gerufen und verschwammen zu einem einzigen Getöse.

Sie warf einen Blick auf die Digitaluhr, während sie an den Arrestzellen vorbeiging. Es war bereits nach elf Uhr. Wenn Ashley direkt nach der Schule in diesem Van entführt worden war, könnte man sie inzwischen bis San Francisco, Phoenix, Tijuana oder sogar Las Vegas gebracht haben.

Kaum einer ihrer Kollegen nahm sie wahr, als sie zu ihrem Schreibtisch ging. Einige schienen in ihre Arbeit vertieft zu sein, andere wichen absichtlich ihrem Blick aus.

Ray sah gerade ein paar Akten durch, die auf ihrem gemeinsamen Schreibtisch verteilt lagen. Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen und seufzte. Auf einmal war sie schrecklich müde.

„Na, hatte unsere Teenager-Geheimagentin weltbewegende Infos zu bieten?“, fragte er ohne aufzublicken.

„Sie hatte jede Menge schlüpfrige Details über Familie Penn, aber nichts Brauchbares. Was machst du da eigentlich?“

„Ich sehe alte Akten durch und hoffe, einen ähnlichen Fall zu finden“, sagte er.

„Ist Evie auch dabei?“

„Ja, aber ich habe sie ausgelassen. Das Handlungsmuster ist ganz anders“, sagte er. Dann blickte er auf. „Findest du nicht?“

„Doch. Unser Täter war vorsichtiger und hat besser geplant als Evies Entführer. Abgesehen von dem Van ist fast alles anders.“

Ray nickte.

„Wie geht’s dir, Little Miss Sunshine?“, fragte er. Er klang besorgt. Sie versuchte ein tapferes Gesicht zu machen, aber ihr fehlte sogar die Kraft, sich einen guten Spitznamen für ihn auszudenken.

„Ich bin okay – nur müde. Und frustriert.“

„Irgendwelche Wachträume?“

„Nicht in den letzten Stunden“, sagte sie. „Irgendwie fahren wir mit jeder neuen Spur gegen die Wand. Ich weiß aber, dass unter all dem oberflächlichen Dreck der entscheidende Hinweis vergraben liegt. Er wird uns zu Ashley führen, auch wenn wir ihn jetzt nicht sehen können.“

„Hoffentlich. Jetzt leg ein freundliches Gesicht auf, unser furchtloser Meister kommt.“

Keri sah zur Tür. Hillman kam direkt auf ihr Büro zu.

„Irgendwelche Neuigkeiten, Sands?“, fragte er brüsk.

„Nein Sir. Ich suche nach Parallelen zu vergangenen Fällen.“

„Was ist mit Ihnen, Locke?“, fragte er, ohne darauf einzugehen, dass er sie bei ihrem letzten Gespräch von dem Fall abgezogen hatte.

„Ich habe gerade eine Freundin von Ashley getroffen. Sie hat mir erzählt, dass Stafford Penn eine Affäre mit Mia hatte, als sie vierzehn und er dreißig war. Sie sagt, dass er Ashleys Vater ist. Das könnte sich zwar auf seine nächste Kampagne auswirken, aber ich weiß nicht, wie es unsere Ermittlungen beeinflussen soll. Außerdem steht fest, dass entweder Artie North oder Walker Lee lügt, aber selbst wenn wir wüssten, wer recht hat, wäre es für den Fall vermutlich irrelevant.“

„Wir beobachten beide, aber es gibt noch keine Erkenntnisse“, sagte Hillman. „Wir versuchen die Genehmigung zu bekommen, ihre Telefonate zu überprüfen, aber das wird noch ein paar Stunden dauern. Im Moment gibt es für Sie beide nicht viel zu tun. Ich würde vorschlagen, dass Sie nach Hause gehen und ein paar Stunden schlafen. Sie müssen morgen früh wieder fit sein.“

„Vielleicht lege ich mich einfach in den Aufenthaltsraum“, sagte Keri.

„Das war keine Bitte, Detective Locke. Ashleys Exfreund, Denton Rivers, hat einen Anwalt eingeschaltet und sich zum Thema Polizeibrutalität beraten lassen. Sie werden jeden Augenblick hier aufkreuzen, und ich möchte nicht, dass er auf die Idee kommt, Sie anzuschreien oder mit dem Finger auf Sie zu zeigen.“

„Aber Sir…“

„Kein aber, ich weiß jetzt schon, dass der Junge dem Medienzirkus draußen einiges zu berichten geben wird, und ich möchte nicht, dass er dabei zusätzlich gereizt ist. Also soll er Ihnen nicht begegnen. Gehen Sie. Jetzt. Ich werde mich selbst auch bald auf den Heimweg machen.“

„Was wird auf Detective Locke deswegen zukommen?“, fragte Ray.

„Soweit ich weiß hat sein Dealer, Johnnie Cotton, zugegeben, ihn ins Gesicht geschlagen zu haben. Es ist schwierig nachzuweisen, dass er am selben Tag von zwei Personen auf die gleiche Stelle geschlagen wurde – während er unter Verdacht steht, seine Freundin entführt zu haben. Oder denken Sie, dass er damit vor Gericht Chancen hat?“

„Nein, Sir“, sagte Ray grinsend.

„Ich auch nicht. Aber umso glimpflicher es jetzt läuft, desto besser. Deswegen möchte ich, dass Sie jetzt gehen.“

„Jawohl, Sir“, sagte Ray und stand auf.

„Jawohl, Sir“, wiederholte Keri und folgte Ray aus dem Büro.

„Ich sehe Sie morgen früh um sechs“, rief Hillman ihnen hinterher. „Bis dahin haben wir Zugriff auf die Telefone.“

„Soll ich dich mitnehmen?“, fragte Ray, als sie aus dem Gebäude gingen. „Du hast gesagt, dass du müde bist. Du kannst den Wagen stehen lassen. Ich könnte sogar bei dir übernachten – auf der Couch – und morgen fahren wir zusammen wieder rein.“

„Danke für das Angebot, aber ich bin okay. Ich muss erstmal austreten. Ich sehe dich morgen früh.“

Ray sah aus, als wollte er noch etwas hinzufügen, entschied sich dann aber doch anders und nickte nur.

„Bis morgen“, sagte er schließlich und ging zu seinem Wagen.

*

Keri ging auf die Toilette und wartete dort fünfzehn Minuten, bis Ray und Hillman gegangen waren. Als sie wieder auf den Gang trat, war kaum noch jemand im Büro. Suarez saß noch an seinem Tisch und tippte ein paar Berichte ab und Edgerton, der Techniker, machte ein paar Berechnungen, von denen Keri keine Ahnung hatte. Ein Detective, den Keri nicht kannte, nahm die Aussage eines Typen auf, der von seiner Prostituierten ausgeraubt worden war und ein Obdachloser saß in Handschellen auf einer Bank in der Ecke. Er hatte auf das Auto eines anderen Typen uriniert, der ihn angeblich mit Kaffee übergossen hatte. Der Besitzer des Autos kochte vor Wut. Keri fand ihn äußerst unsympathisch und hoffte, dass er lange warten musste.

Sie selbst ging so unauffällig wie möglich wieder an ihren Schreibtisch und setzte sich. Sie würde nicht nach Hause gehen. Und im Aufenthaltsraum würde sie keine Ruhe finden, egal, wie müde sie war. Irgendwo war ein verzweifeltes Mädchen auf ihre Hilfe angewiesen und sie konnte sie nicht im Stich lassen. Die Lösung des Rätsels war direkt vor ihrer Nase, Keri hoffte nur, dass sie sie rechtzeitig finden würde.

Sie nahm eine Akte vom Tisch. Der darin beschriebene Fall wies keine Ähnlichkeiten zu Ashleys Fall auf, also ging sie eine nach der anderen durch, ohne etwas zu finden.

Keri lehnte sich zurück und schloss die Augen. Dann nahm sie wieder eine Akte in die Hand.

Nichts.

Sie stand auf und ging zu dem Fenster, aus dem sie heute Nachmittag das Mädchen mit ihrer Mutter beobachtet hatte. Draußen war es dunkel und still. Es musste fast Mitternacht sein. Die meisten Menschen lagen jetzt zu Hause in ihren Betten. Sie überlegte, ob sie doch noch zu ihrem Hausboot fahren sollte, wenigstens um ein paar Stunden vor dem Fernseher zu sitzen und ihren Kopf frei zu kriegen.

Ein letzter Versuch.

Sie ging wieder an den Tisch und nahm blind eine Akte aus dem Stapel.

Ein farbiges Mädchen namens London Jaquet war auf dem Heimweg von der Schule verschwunden und nie wieder gesehen worden. Der Fall war sechs Jahre her. Theoretisch war der Fall nie ‚abgeschlossen‘ worden, aber ein paar Seiten klebten fest zusammen, weil die Akte schon lange nicht mehr aufgeschlagen worden war.

Ähnlichkeit zu Ashley: weiblich, auf dem Heimweg von der Schule, jung.

Ähnlichkeit zu Evie: weiblich, wurde nie wieder gesehen, Grundschulalter.

Keri legte die Akte weg und nahm noch eine. Es ging um einen vierundvierzigjährigen Mann lateinamerikanischer Abstammung, der vor zwei Jahren verschwunden war. Seine Tattoos zeigten das Markenzeichen einer Gang. Die Akte war nicht besonders dick, scheinbar hatte man sich keine besondere Mühe bei der Suche gegeben. Sie legte die Akte hin und nahm die nächste.

Sechsjähriges Mädchen, koreanische Abstammung, Name: Vanda Kang. Sie verschwand vom Rücksitz des Familienautos, als ihre Mutter in einen Spirituosenladen in der Centinela Avenue gegangen war, um ein Päckchen Zigaretten zu kaufen. Sie ist sieben Jahre später, als Dreizehnjährige, lebendig und gesund wieder aufgetaucht, hat bei einem weißen Pärchen in Seattle gelebt, das behauptet hat, sie ganz offiziell adoptiert zu haben.

Ein Mann namens Thomas Anderson, auch bekannt als The Ghost, wurde vor gut einem Jahr für ihre Entführung verurteilt. Er hat sich vor Gericht selbst vertreten, und weil er sehr überzeugend war und es kaum Beweise gab, wäre er beinahe frei gekommen. Jetzt war das erste seiner zehn Jahre Haft vorbei. Er sollte seine Zeit eigentlich im Folsom State Prison absitzen, aber weil das überbelegt war, hielt man ihn immer noch in der Twin Towers Correctional Facility hier in LA fest. Keri war schon ein paarmal dort gewesen. Ein schrecklicher Ort.

Jetzt saß sie auf ihrem Stuhl, wippte vor und zurück und überlegte.

The Ghost ist ein professioneller Entführer. Das ist sein Beruf. Wenn jemand davon leben kann, muss es Kunden geben, Kollegen, Mittelsmänner, ein ganzes Netzwerk.

Vielleicht war sie von Anfang an falsch an diesen Fall heran gegangen. Wenn sie es hier mit einem professionellen Täter zu tun hatte – und die Aufnahmen der Sicherheitskamera deuteten ganz darauf hin – wieso vergeudete sie dann ihre Zeit mit Exfreunden und Kleinkriminellen?

Wenn ich einen Profi fangen will, muss ich mich von einem Profi beraten lassen.

Keri stand auf, nahm ihre Tasche und ging zur Tür. Suarez sah mit müden, roten Augen auf und nickte ihr zu. Der Obdachlose warf ihr einen Luftkuss zu und sie zwinkerte zurück. Es war jetzt kurz nach Mitternacht. Neuer Tag, neues Glück. Und dieser Tag sollte mit einem Ghost beginnen.

Yaş sınırı:
16+
Litres'teki yayın tarihi:
10 ekim 2019
Hacim:
221 s. 3 illüstrasyon
ISBN:
9781640290051
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