Kitabı oku: «Eine Spur von Verbrechen», sayfa 2
„Okay“, sagte Mrs. Rainey und schrieb sich ein paar Stichpunkte auf.
„Außerdem brauchen wir eine Liste von Jessicas Freunden, einschließlich Kontaktinformationen. Schreiben Sie auch alle Personen auf, mit denen sie im vergangenen Jahr Schwierigkeiten hatte. Und wir brauchen die Telefonnummer des Schuldirektors und falls Sie die Nummern des Klassenlehrers und des Vertrauenslehrers haben, geben Sie sie uns bitte auch. Das geht schneller, als mit der Schulverwaltung Kontakt aufzunehmen.“
„Kein Problem, ich besorge Ihnen alles, was Sie brauchen“, sagte Carolyn.
„Schreiben Sie bitte auch Namen und Telefonnummern von Sporttrainern und Tutoren auf, wenn Jessica welche hatte“, fügte Ray hinzu, „und vergessen Sie nicht die beiden Jungen, in die sie verliebt war. Detective Locke und ich werden uns aufteilen, um so schnell wie möglich voranzukommen.“
Keri sah ihn an. Seine Stimme klang ganz normal, aber sie wusste, dass mehr dahinter steckte.
Nimm es nicht persönlich, es ist sinnvoll sich aufzuteilen.
„Ja“, sagte sie schließlich, „ich werde mit Mrs. Rainey den Schulweg abgehen, bevor es dunkel wird. Wir haben noch eine gute Stunde bis Sonnenuntergang. Unterwegs können wir auch an der Liste arbeiten.“
„Sie können mir inzwischen Jessicas Zimmer zeigen, Mr. Rainey“, sagte Ray. „Danach sollten Sie Ihren Sohn abholen. Wie heißt er eigentlich?“
„Nathaniel. Nate.“
„Nun, bis Sie mit ihm nach Hause kommen, wird die Spurensicherung ihre Arbeit abgeschlossen haben. Dann sind nicht mehr so viele fremde Menschen im Haus. Wahrscheinlich wollen Sie die Situation für ihn möglichst normal halten. Wenn wir ihn befragen müssen, ist er dann nicht so eingeschüchtert.“
Tim Rainey nickte geistesabwesend, als hätte er ganz vergessen, dass er noch einen Sohn hat. Ray fuhr fort.
„Sobald Sie sich auf den Weg machen, werde ich zur Schule gehen und mich mit ein paar Leuten unterhalten. Wenn wir Glück haben, gibt es vielleicht Überwachungskameras. Mrs. Rainey, ich werde Sie und Detective Locke an der Schule treffen und Sie dann wieder nach Hause bringen.“
„Werden Sie eine Vermisstenmeldung an die Öffentlichkeit geben?“, fragte Carolyn Rainey.
„Vorerst nicht“, sagte Ray. „Möglicherweise werden wir das bald tun, aber zuerst brauchen wir noch ein paar Informationen. Wir wissen noch nicht genug über ihr Verschwinden.“
„Machen wir also uns an die Arbeit“, sagte Keri, „je schneller wir die einzelnen Punkte abarbeiten, desto besser können wir uns ein Bild machen.“
Sie standen auf. Carolyn Rainey nahm ihre Handtasche und ging zur Tür.
„Ich melde mich, wenn wir etwas herausfinden“, sagte sie zu ihrem Mann und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Er nickte und nahm sie fest in die Arme.
Keri sah zu Ray, der die beiden beobachtete. Als sein Blick zu ihr wanderte, sah sie ihm an, dass er immer noch enttäuscht war.
„Ich rufe dich an, wenn wir bei der Schule angekommen sind“, sagte sie leise zu ihm. Er nickte nur.
Seine kühle Reaktion erschreckte sie, aber sie konnte es verstehen. Er war das Risiko eingegangen und hatte einen Schritt auf sie zu gewagt und sie hatte ihn ohne jede Erklärung abgewiesen. Vielleicht war es gut, dass sie eine Weile ohne den anderen arbeiteten.
Als die beiden Frauen das Haus verließen und sich langsam entfernten, ging ihr ein Gedanke nicht mehr aus dem Kopf.
Ich habe es verbockt.
KAPITEL DREI
Neunzig Minuten später saß Keri wieder an ihrem Schreibtisch. Sie stieß ein frustriertes Seufzen aus. Die vergangenen eineinhalb Stunden waren ergebnislos gewesen.
Sie hatten auf dem Weg nichts Außergewöhnliches feststellen können. Keine Anzeichen eines Kampfes, keine Reifenspuren an der Stelle, an der Mrs. Rainey Jessicas Fahrrad gefunden hatte. Keri hatte an mehreren Häusern geklingelt um festzustellen, ob irgendjemand etwas gesehen oder zur Straße gerichtete Überwachungskameras installiert hatte, aber ohne Erfolg.
Als sie die Schule erreicht hatten, hatte Ray bereits mit dem Schuldirektor geredet, der ihnen versprochen hatte, eine E-Mail an alle Familien zu schicken, für den Fall, dass irgendjemand etwas wusste, was für sie hilfreich sein könnte. Der Sicherheitsdienst hatte bereits sämtliche Überwachungsmaterialien zusammengestellt und während Ray in der Schule blieb, um sich diese Materialien anzusehen, hatte Keri Mrs. Rainey nach Hause gebracht und war auf das Revier zurückgefahren, um sich mit den möglichen Zeugen in Verbindung zu setzen.
Mrs. Rainey hatte vermutlich den Eindruck, dass sich die beiden Detectives einfach nur die Arbeit aufteilten. Gewissermaßen stimmte das auch, aber insgeheim hätte sie es nicht ertragen, schweigend neben Ray zurück zur West-LA Division zu fahren.
Stattdessen war sie vom Haus der Raineys aus mit der Bahn weitergefahren.
Seit einer halben Stunde war sie nun dabei, Jessicas Freunde und Klassenkameraden anzurufen. Doch bisher hatte ihr niemand brauchbare Informationen geben können. Drei ihrer Freunde hatten gesehen, wie Jessica mit dem Fahrrad losgefahren war, aber ihnen war nichts Außergewöhnliches aufgefallen.
Keri hatte auch die beiden Jungen kontaktiert, die Jessica in den vergangenen Wochen zu Hause erwähnt hatte. Obwohl beide wussten, wer Jessica Rainey war, schien keiner der beiden über ihre Gefühle Bescheid zu wissen. Keri war nicht überrascht. Als sie in Jessicas Alter gewesen war, hatte sie ganze Hefte mit den Namen von Jungs gefüllt, die ihr gefielen, ohne je mit ihnen geredet zu haben.
Dann rief sie Jessicas Lehrer an, ihren Softball-Trainer, ihren Mathe-Tutor und sogar den Leiter ihrer Nachbarschaftswache. Wenn jemand nicht antwortete, hinterließ sie eine Nachricht. Doch niemand wusste irgendetwas über Jessica.
Jetzt wählte sie Rays Nummer. Er antwortete beim ersten Klingeln.
„Sands.“
„Ich habe leider nichts Neues“, sagte sie und versuchte, sich einzig auf den Fall zu konzentrieren. „Niemandem ist irgendetwas aufgefallen. Ihre Freunde sagen, dass alles wie immer war, als sie von der Schule losgefahren ist. Ich warte noch auf ein paar Rückrufe, aber ich glaube kaum, dass sie viel hergeben werden. Hattest du mehr Glück?“
„Bisher nicht. Die Kameras decken nur das Schulgelände ab. Ich habe die Aufnahme gefunden, die zeigt, wie Jessica sich von allen verabschiedet und losfährt, aber das war’s. ich habe den Sicherheitsdienst gebeten, alle Aufnahmen dieser Woche herauszusuchen. Vielleicht finden wir etwas Verdächtiges. Das kann aber eine Weile dauern.“
Zwischen den Zeilen hörte Keri heraus, dass er so bald nicht aufs Revier kommen würde. Keri beschloss, es zu ignorieren.
„Ich finde, wir sollten die Vermisstenmeldung herausgeben“, sagte sie. „Es ist jetzt sechs Uhr, vor drei Stunden hat ihre Mutter die Polizei verständigt. Es gibt keine Hinweise, dass es sich nicht um eine Entführung handelt. Wenn sie direkt nach der Schule entführt wurde, zwischen 2:45 und 3 Uhr, könnte sie inzwischen schon bis nach Palm Springs oder San Diego gebracht worden sein. Wir sollten so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf uns ziehen.“
„Einverstanden“, sagte Ray. „Kannst du dich darum kümmern? Ich möchte so schnell wie möglich die Aufnahmen durchsehen.“
„Kein Problem. Kommst du aufs Revier, wenn du fertig bist?“
„Mal sehen“, antwortete er ausweichend. „Je nachdem, was ich noch finde.“
„Gut. Sag Bescheid, wenn du etwas hast.“
„Das werde ich“, sagte er und beendete das Gespräch, ohne sich zu verabschieden.
Keri zwang sich, nicht darüber nachzudenken, sondern so schnell wie möglich alles für die öffentliche Vermisstenmeldung vorzubereiten. Als sie damit fast fertig war, sah sie ihren Boss, Lieutenant Coleman, an ihrem Schreibtisch vorbeilaufen.
Wie immer trug er eine locker gebundene Krawatte unter seiner Sportjacke und ein kurzes Hemd, das seinen Bauch nur mühsam bedeckte. Er war nicht viel älter als fünfzig, aber sein Job hatte ihn frühzeitig altern lassen, sodass sich jetzt schon tiefe Falten auf seiner Stirn und an den Augenlidern abzeichneten. Sein Haar schien mit jedem Tag grauer zu werden.
Sie rechnete damit, dass er zu ihr herüber kam, um sich über den Stand der Ermittlungen zu informieren, aber er sah nicht einmal in ihre Richtung. Keri war das nur recht. Sie wollte sich zuerst bei den Kollegen von der Spurensicherung erkundigen, ob sie irgendwelche Fingerabdrücke sicherstellen konnten.
Nachdem sie die Vermisstenmeldung herausgegeben hatte, ging sie durch das Revier, in dem es für diese Uhrzeit erstaunlich ruhig war. Sie ging den Gang hinunter zu den Räumen der Spurensicherung, klopfte an die Tür und steckte ohne eine Antwort abzuwarten den Kopf durch die Tür.
„Gibt es Neuigkeiten im Fall Jessica Rainey?“
Die neue Sekretärin, eine junge Frau mit dunklen Haaren und Brille, sah von ihrem Magazin auf. Keri kannte sie nicht, weil die Stelle ständig neu besetzt wurde. Die junge Frau gab den Namen in ihren Computer ein.
„Der Rucksack und das Fahrrad haben keine Fingerabdrücke ergeben“, sagte sie. „Das Handy wird noch überprüft, aber den Einträgen nach zu schließen sind sie nicht besonders optimistisch, etwas zu finden.“
„Können Sie mich bitte informieren, sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind? Auch wenn es keine neuen Ergebnisse gibt. Ich möchte mir das Handy gerne selbst ansehen.“
„Wird gemacht, Detective“, sagte sie und wandte sich wieder dem Magazin zu, noch bevor Keri die Tür hinter sich zugezogen hatte.
Als sie jetzt alleine auf dem Gang stand, fiel ihr plötzlich auf, dass es für sie nichts mehr zu tun gab. Die Vermisstenmeldung war raus, Ray kümmerte sich um die Aufnahmen der Videoüberwachung, der Bericht der Spurensicherung war in Arbeit, Jessicas Handy war noch nicht freigegeben und sie hatte alle Nummern auf der Liste von Carolyn Rainey angerufen.
Sie lehnte sich gegen die Wand und schloss die Augen. Zum ersten Mal seit Stunden gönnte sie ihrem Kopf eine Pause. Sofort machten sich unerwünschte Gedanken breit.
Sie sah Rays verletzten und verwirrten Gesichtsausdruck vor sich. Sie sah einen schwarzen Van, der mit ihrer Tochter in der Dunkelheit verschwand. Sie sah die Augen des Sammlers, als sie seine Kehle zudrückte, obwohl er bereits an der Kopfwunde starb. Mit bloßen Händen hatte sie dem Mann, der vor über fünf Jahren ihre Tochter gestohlen hatte, das letzte bisschen Leben aus dem Körper geschüttelt. Sie sah die unscharfe Aufnahme des Schwarzen Witwers vor sich, wie er dem anderen Mann in den Kopf schießt, Evie aus dem Van zieht und sie in seinen eigenen Wagen steckt.
Schnell öffnete sie die Augen. Sie stand vor dem Lagerraum für Beweismittel. In den vergangenen Wochen war sie unzählige Male hier gewesen und die Fotos von Brian dem Sammler Wickwires Appartement studiert.
Die eigentlichen Beweismittel wurden im Hauptquartier in der Innenstadt aufbewahrt, weil das Appartement in deren Zuständigkeitsbereich lag. Immerhin hatten die Verantwortlichen im Hauptquartier eingewilligt, dass der Polizeifotograf sämtliche Beweismittel ablichtete, solange die Fotos die Polizeiwache nicht verließen. Da Keri den Tod eines Mannes auf dem Gewissen hatte, konnte sie über diese Bedingungen nicht verhandeln.
Sie hatte die Fotos nun seit ein paar Tagen nicht mehr angesehen und plötzlich hatte sie das Gefühl, etwas übersehen zu haben. Irgendetwas sagte ihr, dass es eine Verbindung gab, die sie nur erkennen musste. Langsam betrat sie den Raum.
Die Verwalterin war nicht überrascht, Keri zu sehen und schon ihr die Registrierungskarte ohne Kommentar entgegen. Keri trug sich ein und ging zielstrebig auf den Karton mit den Fotos zu. Sie wusste genau, in welchem Regal er stand. Sie nahm den Karton und stellte ihn auf einen der Tische, die im hinteren Teil des Raumes standen.
Keri setzte sich und knipste die Leselampe an. Dann breitete sie die Fotos vor sich aus. Sie hatte sie schon so oft angesehen. Jedes Buch, das Wickwire besaß, war katalogisiert und abfotografiert worden, genau wie jedes einzelne Kleidungsstück und sämtliche Gegenstände auf den Küchenregalen.
Dieser Mann stand unter Verdacht, im Laufe der Jahre bis zu fünfzig Kinder entführt und verkauft zu haben, und die Detectives im Hauptquartier waren entschlossen, nichts unversucht zu lassen, um den Fall aufzuklären.
Doch Keri spürte, dass das, was sie suchte, nicht auf den Fotos zu finden war, die sie zuletzt angesehen hatte. Es musste etwas sein, das sie völlig unbewusst registriert hatte. Als sie vor wenigen Minuten auf dem Gang gestanden hatte, hatte sich bei all den schmerzhaften Erinnerungen plötzlich etwas in ihrem Verstand geregt.
Was kann es nur sein? Wo liegt die Verbindung, die ich einfach nicht greifen kann?
Und plötzlich sah sie es.
Über dem Schreibtisch des Sammlers hingen einige Tierfotografien. Sie hatten alle die gleiche Größe. Eine Aufnahme zeigte einen Frosch auf einem Stein, daneben ein Feldhase mit aufgestellten Ohren und wieder daneben ein Specht, der gegen einen Baumstamm klopfte. Dann folgte ein Lachs, der gerade stromaufwärts sprang und schließlich kam das Foto einer Spinne auf einem braunen Untergrund – genauer gesagt eine schwarze Witwe.
Schwarze Witwe. Schwarzer Witwer. War das die fehlende Verbindung?
Vielleicht war es nur Zufall. Den ermittelnden Detectives war ganz offensichtlich nichts verdächtig vorgekommen. Sie hatten die Bilder nicht einmal als Beweismittel katalogisiert. Doch Keri wusste, dass der Sammler seine Informationen gerne verschlüsselte.
So hatte sie schließlich auch Evie und zahlreiche weitere entführte Kinder aufgespürt. Der Sammler hatte ihre Aufenthaltsorte auf Ansichtskarten notiert, verschlüsselt mit einem alphanumerischen Geheimcode.
Keri wusste, dass es zwischen dem Sammler und dem schwarze Witwer noch eine Verbindung gab: Beide hatten mehrfach für Jackson Cave gearbeitet.
Vielleicht sind sie sich bei einem Job begegnet? Hatte Wickwire so die Kontaktinformationen von anderen Kriminellen aufbewahrt, falls er je mit ihnen in Kontakt treten müsste?
Keri trug plötzlich jene Gewissheit in sich, die sie manchmal überkam, wenn sie einen wichtigen Hinweis in einem Fall gefunden hatte. Sie wusste, dass sie etwas Nützliches finden würde, wenn sie nur das Foto untersuchen könnte.
Leider befand es sich in Brian Wickwires Appartment, das immer noch unter Verschluss stand. Als sie vor zwei Wochen versucht hatte, sich Zutritt zu verschaffen, war es mit Polizeiband versiegelt und zwei Polizisten bewachten es rund um die Uhr.
Sie überlegte gerade, wie sie trotzdem hineinkommen könnte, als ihr Handy klingelte. Es war Ray.
„Hi“, sagte er zögerlich.
„Kannst du sofort zu den Raineys kommen?“, fragte er ohne Umschweife.
„Selbstverständlich. Was ist denn los?“
„Sie haben soeben eine Lösegeldforderung erhalten.“
KAPITEL VIER
Zwanzig angespannte Minuten später hielt Keri vor dem Haus der Raineys an. Wieder stand der Transporter der Spurensicherung bereits dort. Sie klopfte und Ray öffnete die Tür. Sie sah ihm an, dass die Situation mehr als düster war. Hinter ihm konnte sie die Raineys auf dem Sofa sitzen sehen. Carolyn weinte, ihr Gatte war völlig erstarrt.
„Ich bin froh, dass du hier bist“, sagte Ray aufrichtig. „Ich bin vor fünf Minuten eingetroffen. Sie stehen kurz vor einem Nervenzusammenbruch.“
„Haben die Erpresser einen Zeitpunkt genannt?“, fragte Keri leise, als sie eingetreten war.
„Ja, die Übergabe soll heute um Mitternacht stattfinden. Sie wollen einhunderttausend.“
„Wow.“
„Aber das ist nicht das Schlimmste daran“, sagte Ray. „Du musst dir den Brief ansehen. Er ist irgendwie… komisch.“
Keri betrat das Wohnzimmer. Ein Mitarbeiter der Spurensicherung untersuchte gerade einen Umschlag von einem Express-Kurier auf Fingerabdrücke. Sie drehte sich um und blickte zu Ray, der ihr kurz zunickte.
„Verrückt, oder?“, flüsterte er. „Ich habe noch nie gehört, dass eine Lösegeldforderung per Federal Express verschickt wurde. Ich habe die Sendenummer bereits an Edgerton weitergegeben. Er sagt, dass der Umschlag heute Mittag um 1:58 Uhr in El Segundo aufgegeben wurde.“
„Aber um die Uhrzeit wurde Jessica noch gar nicht vermisst“, stellte Keri fest.
„Richtig. Der Kidnapper muss es losgeschickt haben bevor er sie entführt hat – ziemlich dreist. Suarez ist schon unterwegs nach El Segundo, um die Aufnahmen der Überwachungskameras auszuwerten.“
„Sehr gut“, sagte Keri, bevor sie zu den Raineys ging. Sie wusste jetzt, dass sie von den besten Männern bei der Ermittlung unterstützt wurde. Detective Kevin Edgerton war ein absoluter Experte auf seinem Gebiet und Detective Manny Suarez war ein sehr hartnäckiger und erfahrener Ermittler. Den beiden würde bestimmt nichts entgehen.
„Hallo“, sagte Keri sanft und sofort blickten die Raineys auf. Carolyns Augen waren rot und geschwollen, aber es liefen keine Tränen mehr. Tim war so bleich wie ein Gespenst, er sah verzweifelt aus.
„Hallo Detective“, flüsterte Carolyn.
„Darf ich einen Blick auf den Brief werfen?“, fragte sie und ließ ihren Blick über das Stück Papier gleiten, das vor ihr auf dem Couchtisch lag. Man hatte es bereits als Beweisstück in einer durchsichtigen Folie gesichert.
Sie nickte stumm. Keri ging näher heran, um sich das Blatt genauer ansehen zu können. Auch ohne den Brief zu lesen, war klar, dass er nicht von einem Computer ausgedruckt worden war. Der Brief hatte Standardgröße und war getippt. Das machte Keri sofort aufmerksam.
Jeder Drucker hinterließ identifizierbare Spuren, ein Muster von Punkten, die einem ungeübten Auge nicht auffielen. Diese Punkte waren wie ein Code, anhand dessen man Marke, Modell und sogar Seriennummer des verwendeten Druckers bestimmen konnte. Wenn die Person, die diesen Brief geschrieben hatte, schlau genug war, ihn nicht selbst auszudrucken, dann handelte es sich vermutlich nicht um einen Amateur.
Der Brief selbst war ebenso beunruhigen:
Das Kind ist besessen von einem dunklen Geist. Dieser Geist muss ausgetrieben werden, damit das Kind gesund werden kann. So traurig es ist, es muss geschehen. Die Saat des Schöpfers verlangt es. Ich kann dieses Kind mit dem heiligen Messer, dem sakralen Werkzeug des Herrn, von diesem Geist befreien. Die Dämonen müssen mitsamt ihren Wurzeln aus dem Kind geschnitten werden.
Wenn du mir versicherst, dass du dich vorschriftsgemäß um die Bereinigung kümmern wirst, werde ich das Kind für die Prozedur zurückgeben. Für dieses Opfer muss ich jedoch entschädigt werden. Ich fordere 100 000 $ in kleinen, unmarkierten Scheinen. Schalte nicht die sogenannten Gesetzeshüter ein, dieses erbärmlichste Pack der Welt. Werden die Regeln gebrochen, gebe ich das Kind der Erde zurück. Der Herr wird ihre sterblichen Überreste im verdorbenen Unkraut der Stadt vergraben. Ich habe Beweise für meine Feststellungen gegeben.
Mitternacht. Nur der Vater. Denn nur Väter können die Welt von Verdorbenheit befreien.
Chace Park. Die Brücke am Wasser.
100 000 $. Mitternacht. Alleine.
Das Fleisch deines Fleisches hängt von deiner Demut ab.
Keri sah Ray an. Der Brief hinterließ so viele offenen Fragen, dass sich Keri auf die Wichtigste konzentrierte.
„Was meint er mit Beweise gegeben?“, fragte sie.
„In dem Umschlag befand sich eine Folie mit Haarsträhnen“, sagte er. „Wir haben sie für einen DNA-Test ins Labor geschickt.“
„Okay, in diesem Brief gibt es eine Menge zu analysieren“, sagte Keri und wandte sich den Raineys zu. „Lassen wir die psychologischen Faktoren vorerst außen vor. Zuerst wollte ich Ihnen sagen, dass es gut war, dass Sie uns sofort Bescheid gesagt haben. Meistens gehen Entführungen, bei denen die Polizei nicht eingeschaltet wird, um einiges schlechter aus.“
„Ich wollte es nicht, aber Carrie hat darauf bestanden, Sie anzurufen“, gab Tim zu Rainey.
„Nun, das ist jedenfalls gut so“, wiederholte Keri und wandte sich dann an Ray. „Habt ihr schon über das Geld geredet?“
„Das wollten wir gerade tun, als du eingetroffen bist“, sagte Ray. Dann sah er die Raineys an. „Es wäre wahrscheinlich gut, wenn Sie das Geld bereithalten, auch wir alles versuchen, damit es nicht zur Übergabe kommt. Dann haben wir aber die Option. Haben Sie schon darüber nachgedacht, wie Sie die Summe beschaffen könnten?“
„Wir haben das Geld“, sagte Tim Rainey, „nur nicht in bar. Ich habe bereits mit der Bank geredet. Sie sagen, dass solche Transaktionen außerhalb der Betriebszeit nicht einfach sind und dass es so kurzfristig unmöglich ist.“
„Ich habe mit unseren Investment-Verwaltern gesprochen. Sie haben mir genau die gleiche Antwort gegeben“, fügte Carolyn Rainey hinzu. „Morgen früh könnten wir die Summe auf dem Konto haben, aber nicht in bar und nicht bis Mitternacht.“
Keri sah zu Ray.
„Seltsam, dass er den Brief so spät geschickt hat“, sagte sie. „Er muss doch gewusst haben, dass es kaum möglich ist, das Geld so schnell zu bekommen. Warum hat er es so schwierig gemacht?“
„Er macht nicht gerade den Eindruck, als würde er rational handeln“, bemerkte Ray. „Vielleicht hat er wirklich keine Ahnung davon, wie viel Zeit man etwa benötigt, um eine solche Summe zu besorgen.“
„Es gibt noch eine andere Möglichkeit“, unterbrach Tim Rainey plötzlich.
„Und die wäre?“, fragte Ray.
„Ich arbeite für Venergy, eine neue Gaming Company in Playa Vista. Ich arbeite direkt für den Firmengründer Gary Rosterman. Er ist wahnsinnig reich. Und er mag mich. Außerdem ist Jessica letztes Jahr mit seiner Tochter zusammen auf die Montessori-Schule gegangen. Sie sind immer noch befreundet. Ich bin sicher, dass er das Geld auftreiben kann. Vielleicht würde er es uns auslegen.“
„Rufen Sie ihn an, aber machen Sie ihm klar, wie wichtig Diskretion ist“, sagte Ray.
Rainey nickte wild. Sein düsterer Blick hellte sich sofort auf. Er schien wieder Hoffnung zu haben. Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass er jetzt eine Aufgabe hatte.
Als er die Nummer wählte, zogen Keri und Ray sich ein paar Schritte zurück. Als sie außer Hörweite waren, flüsterte Ray: „Wir sollten den Brief aufs Revier bringen. Wir brauchen Hilfe, vielleicht von dem Polizeipsychologen. Vielleicht gab es auch ähnliche Fälle in letzter Zeit.“
„Du hast recht. Ich würde den Brief auch gerne in die Datenbank eingeben und sehen, ob wir dort irgendwelche formalen Ähnlichkeiten finden. Man kann nie wissen“, sagte Keri. „Ray, ich habe wirklich kein gutes Gefühl bei dieser Geschichte.“
„Schlechter als sonst? Warum?“
Keri erklärte Ray, warum sie es für kein gutes Zeichen hielt, dass der Brief mit einer Schreibmaschine geschrieben wurde. Ray hatte bereits den gleichen Gedanken gehabt.
„Entweder ist dieser Typ völlig verrückt, oder er ist ein absoluter Profi“, sagte er.
Tim Rainey beendete das Telefonat und sah die beiden Detectives an.
„Gary wird uns helfen“, sagte er. „Er sagt, dass er das Geld in drei Stunden bereit hat.“
„Sehr gut. Wir schicken jemanden zu ihm, sobald er bereit ist. Das ist sicherer, als wenn Sie es selbst abholen.“
„Jetzt müssen wir noch einmal aufs Revier“, erklärte Keri dann. Als sie die Furcht in den Augen der Eltern sah, fügte sie schnell hinzu: „Wir werden vorsichtshalber zwei Beamte bei Ihnen stationieren. Sie können uns jederzeit erreichen.“
„Warum können Sie nicht hier bleiben?“, fragte Carolyn Rainey.
„Wir wollen die Lösegeldforderung mit unserer Datenbank abgleichen und die Meinung der Experten einholen. Wir halten es beide für sinnvoll, die komplette Einheit für Vermisste Personen zurate zu ziehen. Ich verspreche aber, dass wir in ein paar Stunden zurück sind. Dann können wir das weitere Vorgehen genau besprechen. Außerdem werde ich mich darum kümmern, dass der Park ab sofort überwacht wird, damit alles lange vor dem Treffen bereit ist. Sie können sich auf uns verlassen.“
Carolyn Rainey stand auf und nahm sie überraschend stürmisch in die Arme. Das gleiche machte sie mit Ray. Tim Rainey nickte nur anerkennend. Keri sah ihm an, dass er seine Schockstarre überwunden hatte und jetzt alle Zeichen auf Bereitschaft standen.
Sie konnte seine Reaktion besser nachvollziehen als viele andere und wusste, dass es eine Zeitverschwendung war, jemandem in solchen Momenten zu sagen, dass er ruhig bleiben sollte. Seine Tochter war verschwunden. Ein guter Grund durchzudrehen. Bei ihm passierte das nur stiller als bei den meisten Leuten.
Als sie zu ihrem Wagen gingen, drehte sich Ray zu Keri um. „Ich fürchte, wenn wir dieses Mädchen nicht zurückbekommen, erleidet er einen Herzinfarkt“, flüsterte er.
Keri wollte ihm widersprechen, aber sie konnte nicht. Wenn sie damals bei Evies Verschwinden so einen Brief bekommen hätte, hätte sie vermutlich den Verstand verloren. Aber die Raineys hatten ohne es zu wissen ein Ass im Ärmel. Sie hatten Keri.
„Dann lass sie uns möglichst schnell zurückbekommen“, entgegnete sie.