Gefangen

Abonelik
0
Yorumlar
Parçayı oku
Okundu olarak işaretle
Yazı tipi:Aa'dan küçükDaha fazla Aa

KAPITEL ZWEI

Riley ließ sich in den nächsten Sessel niederfallen als die Worte der Frau in ihrem Kopf wiederhallten.

„Ich hab‘ den Mistkerl umgebracht.“

Hatte Morgan das gerade wirklich gesagt?

Morgan fragte: „Agent Paige, sind sie noch dran?“

„Ich bin noch dran“, sagte Riley. „Erzählen Sie mir, was passiert ist.“

Morgan klang immer noch so ruhig, dass es gruselig war.

„Die Sache ist, dass ich nicht ganz sicher bin. Ich war in letzter Zeit ziemlich berauscht und kann mich nicht so gut an die Dinge erinnern, die ich so tue. Aber ich habe ihn auf jeden Fall umgebracht. Ich schaue just in diesem Moment auf seinen Körper, hier in seinem Bett. Er hat lauter Messerstiche und hat viel geblutet. Es sieht so aus, als hätte ich es mit einem scharfen Küchenmesser getan. Das Messer liegt hier direkt neben ihm.“

Riley kämpfte damit zu begreifen, was sie da gerade zu hören bekam.

Sie erinnerte sich daran, wie dürr Morgan damals ausgesehen hatte. Riley war sich sicher gewesen, dass sie magersüchtig war. Riley wusste besser als jeder andere, wie schwer es war jemanden zu Tode zu stechen. War Morgan rein körperlich überhaupt in der Lage so etwas zu tun?

Sie hörte, wie Morgan seufzte.

„Es tut mir unsagbar leid, Sie zu stören, aber ich weiß ehrlichgesagt nicht, was ich als nächstes tun soll. Ich hatte mich gefragt, ob Sie mir helfen könnten.“

„Haben Sie es sonst noch jemandem erzählt? Haben Sie die Polizei gerufen?“

„Nein.“

Riley stammelte: „Ich…Ich werde mich sofort darum kümmern.“

„Ok, haben Sie vielen Dank.“

Riley wollte Morgan gerade sagen, dass sie dranbleiben soll, während Riley einen separaten Anruf von ihrem Handy aus machen würde. Doch Morgan hatte bereits aufgelegt.

Riley saß einen Moment lang da und starrte ins Leere. Sie hörte, wie Jilly sie fragte: „Mom, ist was passiert?“

Riley schaute zu ihr herüber und sah, dass Jilly zutiefst besorgt aussah.

Sie sagte: „Nichts, was dich beunruhigen muss, mein Schatz.“

Dann ergriff sie ihr Handy und rief die Polizei in Atlanta an.

*

Officer Jared Ruhl langweilte sich und fühlte sich rastlos als er im Beifahrersitz neben Sergent Dylan Petrie saß. Es war Nacht und sie patrouillierten gerade eines der reichsten Viertel in Atlanta –– eine Gegend, wo äußerst selten etwas vorfiel. Ruhl war neu bei der Polizei und er sehnte sich nach dem Gefühl mitten in Geschehen zu sein.

Er hatte all den Respekt der Welt für seinen afro-amerikanischen Partner und Mentor. Sergeant Petrie war schon seit über zwanzig Jahren dabei, und er war einer der erfahrensten und abgehärteten Cops auf ihrer Wache.

Wieso schicken sie uns also auf diese sinnlose Route? fragte Ruhl sich.

Als ob sie auf seine stumme Frage antwortete, kam eine weibliche Stimme durch das Funkgerät…

„Vier-Frank-Dreizehn, hören Sie?“

Ruhls Sinne verschärften sich, als er ihre eigene Fahrzeugidentifikationsnummer hörte.

Petrie antwortete: „Wir hören, was gibt’s?“

Die Mitarbeiterin der Einsatzzentrale hielt inne, als könne sie selbst kaum glauben, was sie sagte.

Dann sprach sie: „Wir haben einen möglichen Eins-Siebenundachtzig im Farrell Haushalt. Begeben Sie sich vor Ort.“

Ruhls Kiefer fiel auf und er sah, wie Petries Augen sich überrascht weiteten. Ruhl wusste, dass 187 der Code für Totschlag war.

In Andrew Farrells Haus? wunderte Ruhl sich.

Er konnte seinen Ohren nicht glauben und Petrie sah so aus, als konnte auch er es nicht.

„Wiederholen Sie“, sagte Petrie.

„Ein möglicher Eins-Siebenundachtzig bei den Farrells. Können Sie dort hinfahren?“

Ruhl sah, wie Petrie stutzend die Stirn runzelte.

„Ja“, sagte Petrie. „Gibt es Verdächtige?“

Die Mitarbeiterin hielt erneut inne und sagte schließlich: “Mrs. Farrell.”

Petrie holte Luft und schüttelte den Kopf.

„Uh…ist das ein Witz?“, sagte er.

„Kein Witz.“

„Wer ist der RP?“ fragte Ruhl.

Was bedeutet das? fragte Ruhl sich.

Ach ja…

Es bedeutete: ‚Wer hat die Tat gemeldet?‘

Die Mitarbeiterin antwortete: “Eine BAU Agentin rief aus Phoenix, Arizona durch. Ich weiß, wie merkwürdig das klingt, aber…“

Die Mitarbeiterin schwieg.

Petrie sagte: „Code Drei?“

Ruhl wusste, dass Petrie fragte, ob er Sirene und Blinkleuchte einsetzen sollte.

Die Mitarbeiterin fragte: „Wie nah sind Sie?“

„Unter einer Minute Fahrt“, antwortete Petrie.

„Lassen Sie’s dann lieber sein. Die ganze Sache ist…“

Ihre Stimme verstummte erneut. Ruhl fragte sich, ob sie besorgt war, dass sie zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden. Was auch immer wirklich passiert war in diesem luxuriösen und privilegierten Viertel, es war sicherlich eine gute Idee die Medien so lange wie möglich im Dunkeln darüber zu belassen.

Endlich sagte die Einsatzzentralmitarbeiterin: „Fahren Sie einfach mal dort vorbei, ok?“

„Verstanden“, antwortete Petire. „Wir sind auf dem Weg.“

Petrie trat aufs Gas und sie eilten die ruhige Straße entlang.

Ruhl staunte, als sie sich der Farrell Villa näherten. Es war näher, als er jemals an das Haus herangetreten war. Das Gebäude breitete sich in alle Richtungen hin aus und sah eher aus wie ein vornehmer Gesellschaftsclub, als wie eine Privatadresse. Die Fassade war sorgfältig beleuchtet –– sicherlich auch aus Sicherheitsgründen, aber in erster Linie wahrscheinlich um die beeindruckenden Bögen, Säulen und riesigen Fenster in Szene zu setzen. Petrie parkte das Auto in der enormen Einfahrt und stellte den Motor ab. Er und Ruhl stiegen aus und liefen zu der massiven Eingangstür hinüber. Petrie klingelte.

Wenige Augenblicke später öffnete ein großer, schlanker Mann die Tür. Ruhl schätze aufgrund seines feierlichen Frackanzugs und seiner streng-offiziösen Miene, dass es sich um den Familienbutler handelte.

Es schien überrascht und keineswegs erfreut zu sein, die zwei Polizisten vor der Haustür anzutreffen.

„Darf ich fragen, worum es geht?“, wollte er wissen.

Der Butler schien nicht zu ahnen, dass es im Inneren der Villa irgendeinen Aufruhr geben könnte.

Petrie schaute rüber zu Ruhl, der spürte, dass sein Mentor dachte…

Ein falscher Alarm.

Wahrscheinlich nur ein Scherzanruf.

Petrie sagte zum Butler: “Können wir bitte mit Mr. Farrell sprechen?“

Der Butler lächelte hochmütig.

„Ich fürchte, das ist unmöglich“, entgegnete er. „Der Herr schläft und ich habe strenge Anweisungen –– “

Petrie unterbrach ihn: „Wir haben Grund zur Besorgnis um seine Sicherheit.“

Die Augenbrauen des Butlers fuhren hoch.

„Wirklich?“, fragte er. „Ich werde nach ihm sehen, wenn sie darauf bestehen. Ich versuche ihn nicht zum Erwachen zu bringen. Ich versichere Ihnen, er wäre zutiefst unzufrieden.“

Petrie bat nicht um Erlaubnis dem Butler ins Innere des Hauses zu folgen. Das Haus war innen gigantisch, mit Säulenreihen die schließlich zu einer enormen Treppe mit verschnörkeltem Geländer und rotem Teppich führten. Ruhl fand es immer schwerer sich vorzustellen, dass irgendjemand hier tatsächlich lebte. Das Haus erschien ihm immer mehr wie ein Filmset.

Ruhl und Petrie folgten dem Butler die Treppe hoch und durch einen breiten Flur hindurch bis zu einer großen Doppeltür.

„Die Suite des Herrn“, sagte der Butler. „Warten Sie einen Moment lang hier.“

Der Butler ging durch die Türen.

Dann hörten sie seinen entsetzten Aufschrei.

Ruhl und Petrie eilten durch die Türe und fanden sich in einem Empfangszimmer wieder, welches in ein großes Schlafzimmer führte.

Der Butler hatte bereits das Licht aufgedreht. Ruhls Augen schmerzen einen Moment lang von der Helligkeit des enormen Raums. Dann fiel sein Blick auf ein Himmelbett. Wie auch alles andere im Haus, war es riesig, wie etwas aus eine Kinofilm. Aber so groß es auch war, verblasste es vor der schieren Größe des Zimmers selbst.

Alles in diesem Schlafzimmer war in Gold und Weiß gehalten –– außer dem Blut, das das Bett tränkte.

KAPITEL DREI

Der Butler lehnte sich gegen die Wand und starrte mit glasigen Augen vor sich her. Ruhl selbst hatte den Eindruck, dass es ihm beim Anblick, der sich bot, den Atem verschlagen hatte.

Dort lag er, der reiche und bedeutende Mann, der berühmte Andrew Farrell –– lag auf seinem Bett im eigenen Blut, tot. Ruhl erkannte ihn sofort von den vielen Auftritten im Fernsehen.

Ruhl hatte nie zuvor die Leiche eines Ermordeten gesehen. Er hatte nicht erwartet, dass ihm der Anblick so merkwürdig und unecht erscheinen würde.

Was die Szene besonders bizarr machte, war die Frau, die ganz still in einem schnörkelhaften gepolsterten Sessel direkt neben dem Bett saß. Ruhl erkannte auch sie. Sie war Morgan Farrell –– ehemals Morgan Chartier, ein ehemaliges, einst sehr berühmtes Model. Der Tote hatte ihre Hochzeit in ein Medien-Event verwandelt und es gefiel ihm, seine Ehefrau in der Öffentlichkeit als seine Trophäe zu präsentieren.

 

Sie trug ein dünnes, teuer aussehendes Nachthemd, das mit Blut bedeckt war. Sie saß unbeweglich da, mit einem großen Messer in der Hand. Die Klinge war blutig, genauso wie ihre Hand.

„Scheiße“, murmelte Petrie verblüfft.

Dann sprach er in sein Funkgerät.

„Einsatzzentrale, hier ist Vier-Frank-Dreizehn, wir melden uns aus dem Farrell Haus. Wir haben hier tatsächlich eine Eins-Siebenundachtzig. Schicken Sie drei Einheiten, inklusive einer aus der Mordkommission. Kontaktieren Sie den Gerichtsmediziner. Und sagen Sie Chief Stiles, dass er wahrscheinlich auch besser herkommen sollte.“

Petrie empfing die Antwort der Zentrale und schien einen Moment lang zu überlegen.

„Nein, keinen Code Drei. Wir müssen uns so lange wie möglich so bedeckt wie möglich halten.”

Während dieses Austausches konnte Ruhl seinen Blick nicht von der Frau wenden. Er fand immer, dass sie schön war, wenn er sie im Fernsehen sah. Komischerweise erschien sie ihm sogar jetzt ebenso schön. Sogar mit einem blutigen Messer in ihrer Hand sah sie so zart und zerbrechlich aus wie eine Porzellanfigur.

Sie war auch so reglos, als wäre sie tatsächlich aus Porzellan –– so still wie die eigentliche Leiche und offensichtlich in Unkenntnis darüber, dass jemand den Raum betreten hatte. Selbst ihre Augen bewegten sich nicht, da sie unentwegt auf das Messer in ihrer Hand starrte.

Als Ruhl Petrie zur Frau hinüber folgte, kam es ihm, dass ihn die Szene nicht länger an ein Filmset erinnerte.

Es ist vielmehr wie eine Ausstellung im Wachsfigurenkabinett, dachte er sich.

Petrie fasste die Frau vorsichtig an die Schulter und sagte: „Mrs. Farrell…“

Die Frau schien nicht im Geringsten erschrocken, als sie zu ihm hinaufblickte.

Sie lächelte und sagte: „Oh, hallo, Officer. Ich habe mich schon gefragt, wann die Polizei endlich hier ankommen würde.“

Petrie streifte sich ein paar Gummihandschuhe über. Ruhl tat dasselbe. Dann nahm Petrie behutsam das Messer aus der Hand der Frau und reichte es Ruhl, der es vorsichtig in eine Plastiktüte legte.

Während sie dies taten, sprach Petrie mit der Frau: „Bitte sagen Sie mir, was hier passiert ist.“

Die Frau kicherte musikalisch.

„Naja, das ist eine alberne Frage. Ich habe Andrew umgebracht. Ist das nicht offensichtlich?“

Petrie drehte sich zu Ruhl, so als ob er fragen wollte…

Ist es offensichtlich?

Auf der einen Seite schien es keine andere Erklärung für diese bizarre Szene zu geben. Auf der anderen Seite…

Sie sieht so schwach und hilflos aus, dachte Ruhl.

Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie so etwas tun konnte.

Petrie sagte zu Ruhl: „Geh und rede mit dem Butler. Finde heraus, was er von der ganzen Sache weiß.“

Während Petrie den Körper untersuchte, ging Ruhl zum Butler rüber, der immer noch an der Wand kauerte.

Ruhl sagte: „Sir, können Sie mir erzählen, was hier passiert ist?“

Der Butler öffnete seinen Mund, aber kein Laut entwich ihm.

„Sir“, wiederholte Ruhl.

Der Butler kniff zutiefst verwirrt die Augen zusammen. Er sagte: „Ich weiß nicht. Sie sind gekommen und…“

Er wurde wieder stumm.

Ruhl war verwundert…

Weiß er wirklich von nichts?

Vielleicht stellte der Butler seinen Schock und Verwirrung nur da.

Vielleicht war er ja in Wirklichkeit der Mörder.

Dieser Gedanke erinnerte Ruhl an das alte Cliché…

„Es war der Gärtner.“

Der Gedanke wäre unter anderen Umständen sogar lustig gewesen.

Aber nicht jetzt.

Ruhl dachte angestrengt nach und versuchte zu entscheiden, welche Fragen er dem Mann stellen sollte.

Er fragte: „Befindet sich noch irgendjemand im Haus?“

Der Butler antwortete mit gedämpfter Stimme: „Nur die anderen Bediensteten. Sechs weitere Angestellte, außer mir, drei Männer und drei Frauen. Sie denken doch sicherlich nicht, dass…?“

Ruhl hatte keine Ahnung, was er denken sollte, jedenfalls jetzt noch nicht.

Er fragte den Butler: „Ist er möglich, dass sonst noch jemand irgendwo im Haus ist? Ein Eindringling womöglich?

Der Butler schüttelte den Kopf.

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie das möglich sein soll“, entgegnete er. „Unser Sicherheitssystem ist das allerbeste.“

Das war kein ‚Nein‘, dachte Ruhl. Plötzlich war er beunruhigt.

Wenn der Mörder doch ein Eindringling gewesen war, konnte es sein, dass er immer noch irgendwo im Haus war?

Oder sich in genau diesem Moment aus dem Staub machte?

An dieser Stelle hörte Ruhl, wie Petrie in sein Funkgerät sprach und irgendjemandem Anweisungen gab, wie man das Schlafzimmer in dieser riesigen Villa finden konnte.

Innerhalb weniger Sekunden, so kam es Ruhl zumindest vor, war das Zimmer voll mit Cops. Unter ihnen war auch Chief Elmo Stiles, ein großer imposanter Mann. Ruhl stellte außerdem überrascht fest, dass auch der Bezirksstaatsanwalt, Seth Musil, hier war.

Der normalerweise gestriegelte und polierte Staatsanwalt sah zerzaust und verwirrt aus, so als ob er gerade eben aus seinem Bett gerissen wurde. Ruhl nahm an, dass der Chief sofort den Staatsanwalt kontaktiert hatte, nachdem die Nachrichten über den Vorfall ihn erreicht hatten, ihn abgeholt und mit hierhergebracht hatte.

Der Staatsanwalt schnappte voller Horror nach Luft, als er den blutigen Körper sah, und eilte zu der Frau herüber.

„Morgan!“, rief er aus.

„Hallo, Seth“, sagte die Frau mit einer Stimme, als wäre sie erfreulich überrascht, dass auch er hier hinzugekommen war. Ruhl war nicht sonderlich verwundert darüber, dass Morgan Farrell und ein hochrangiger Politiker wie der Bezirksstaatsanwalt einander kannten. Die Frau schien immer noch nicht viel mitzubekommen von dem, was um sie herum gerade geschah.

Lächelnd sagte die Frau zu Musil: „Naja, ich nehme an, dass offensichtlich ist, was passiert ist. Und ich bin mir sicher, dass du nicht überrascht sein wirst, dass –– “

Musil unterbrach sie hastig.

„Nein, Morgan. Sag jetzt nichts. Nicht, bis wir dir einen Anwalt gefunden haben.”

Sergeant Petrie organisierte bereits die Leute, die im Zimmer waren.

Er sagte zum Butler: „Erklären Sie ihnen den Bauplan des Hauses, erwähnen sie alle Ecken und Schlupflöcher.“

Dann wandte er sich an die Polizisten: „Ich will, dass das gesamte Gebäude nach möglichen Eindringlingen und auch nur die kleinste Spur auf einen Einbruch durchsucht wird. Und befragt die Bediensteten, stellt sicher, dass sie ihre Tätigkeiten der letzten Stunden genau aufzählen können.“

Die Polizisten versammelten sich um den Butler, der nun wieder auf den Beinen war. Der Butler beschrieb das Haus und die Polizisten verließen das Zimmer. Ruhl stand neben Sergeant Petrie und schaute auf die grausame Szene. Er wusste nicht, was er selbst noch tun konnte. Der Staatsanwalt ragte nun beschützend über der lächelnden, blut-bespritzten Frau.

Ruhl kämpfte immer noch mit dem, was er sah. Er dachte daran, dass das sein erster Totschlag war. Er fragte sich…

Werde ich jemals einen merkwürdigeren Fall als diesen haben?

Er hoffe, dass die Polizisten, die das Haus durchsuchten, nicht mit leeren Händen zurückkehren würden. Vielleicht würden sie den wahren Schuldigen finden können. Ruhl konnte den Gedanken nicht ausstehen, dass diese zarte, liebliche Frau zu einem Mord in der Lage war.

Eine ganze Weile verging, bevor die Polizisten und der Butler wiederkamen.

Sie sagten, dass sie weder Eindringlinge, noch irgendwelche Anzeichen dessen, dass jemand ins Haus eingebrochen war, hatten finden können. Sie hatten die restlichen Bediensteten schlafend in ihren Betten vorgefunden, und hatten keinerlei Grund anzunehmen, dass irgendjemand von ihnen für die Tat verantwortlich war.

Der Gerichtsmediziner traf ein und begann den Körper zu untersuchen. Das riesige Zimmer war nun ziemlich voll geworden. Endlich schien die blutbefleckte Frau langsam den Rummel im Haus zu bemerken.

Sie erhob sich aus dem Sessel und sprach den Butler an: „Maurice, wo sind Deine Manieren? Erkundige dich doch bitte bei diesen Herrschaften, ob Sie nicht etwas zu Essen oder zu Trinken wünschen.“

Petrie schritt nun auf sie zu und holte seine Handschellen heraus.

Er sagte zu ihr: „Das ist sehr gütig von Ihnen, Ma’am, aber das wird nicht nötig sein.“

Dann begann er, in einem außerordentlich höflichen und rücksichtsvollen Ton Morgan Farrell ihre Rechte zu verlesen.

KAPITEL VIER

Riley wurde ihre Sorgen nicht los, als die Gerichtsverhandlung begann.

Soweit schien alles glatt zu laufen. Riley selbst hatte bereits ausgesagt und dargelegt, welches Leben Jilly bei ihr haben würde. Bonnie und Arnold Flaxman hatten außerdem ausgesagt, dass Jilly dringend eine stabile Familiensituation benötigte.

Nichtsdestotrotz war Riley nicht ganz entspannt angesichts des nahenden Auftritts von Jillys Vater, Albert Scarlatti.

Sie hatte den Mann nie zuvor getroffen. Ausgehend davon, was Jilly ihr über ihren Vater erzählt hatte, erwartete Riley es, ein groteskes Ungeheuer anzutreffen.

Sie war deshalb überrascht, als sie ihn endlich vor sich sah.

Seine einst schwarzen Haare waren von grauen Strähnen durchzogen, seine düsteren Gesichtszüge, wie erwartet, von jahrelangem Alkoholismus geprägt. Trotzdem schien er in diesem Moment komplett nüchtern zu sein. Er war gut, wenn auch einfach, gekleidet und war freundlich und charmant zu allen, mit denen er sprach.

Riley fragte sich außerdem, wer die Frau war, die an Scarlattis Seite saß und seine Hand hielt. Auch sie sah aus, als hätte sie ein hartes Leben geführt. Darüber hinaus war ihr Gesichtsausdruck für Riley schwer zu interpretieren.

Wer ist sie? fragte Riley sich.

Alles was Riley über Scarlattis Ehefrau und Jillys Mutter wusste war, dass sie seit vielen Jahren verschollen war. Scarlatti hatte Jilly oft gesagt, dass sie wahrscheinlich gestorben sei.

Das hätte sie also nicht sein können, nach all den Jahren. Auch Jillys zeigte keinerlei Anzeichen, dass sie die Frau überhaupt kannte. Wer war sie also?

Nun war es an der Zeit für Jilly auszusagen.

Riley drückte ermunternd ihre Hand und das junge Mädchen nahm den Platz im Zeugenstand ein.

Jilly sah klein aus in dem großen Sessel. Ihr Blick streifte unruhig durch den Gerichtssaal, sie blickte zum Richter, machte dann Augenkontakt mit ihrem Vater.

Der Mann lächelte sie mit scheinbar aufrichtiger Wärme an, doch sie wandte ihren Blick eilig ab.

Rileys Anwalt, Delbert Kaul, fragte Jilly was sie von ihrer bevorstehenden Adoption hielt.

Riley konnte sehen, dass Jillys gesamter Körper vor emotionaler Anspannung zitterte.

„Ich möchte es mehr, als ich jemals etwas in meinem Leben gewollte habe“, sagte Jilly mit unebener Stimme. „Ich bin so, so glücklich dort bei Mom ––“

„Du meinst Ms. Paige“, hakte Kaul vorsichtig nach.

„Naja, sie ist jetzt meine Mom und das ist wie ich sie nenne. Und ihre Tochter, April, ist meine ältere Schwester. Bis ich bei ihnen eingezogen bin, hatte ich keine Ahnung wie es sich anfühlt, eine echte Familie zu haben die mich liebt und sich um mich sorgt.“

Jilly schien tapfer ihre Tränen zurückzuhalten.

Riley war sich nicht sicher, dass sie in der Lage war, dasselbe zu tun.

Dann fragte Kaul: „Könntest du dem Gericht ein bisschen darüber erzählen, wie es war mit Deinem Vater zu leben?“

Jilly schaute ihren Vater an.

Dann schaute sie auf den Richter und sagte: „Es war schrecklich.“

Sie begann dem Gericht zu erzählen, was sie Riley gestern erzählt hatte –– davon, wie ihr Vater sie für mehrere Tage in einer Kammer eingesperrt hatte. Riley schauderte es, als sie die Geschichte erneut hörte. Die meisten Menschen im Gerichtssaal schienen zutiefst berührt zu sein. Sogar ihr Vater ließ seinen Kopf hängen.

Als sie zum Ende kam, weinte Jilly tatsächlich.

„Bis meine neue Mom in mein Leben kam, hat mich jeder den ich liebte, früher oder später verlassen. Sie konnten es nicht ertragen mit Dad zu leben, weil er so schrecklich zu ihnen war. Meine Mutter, mein älterer Bruder –– sogar mein kleiner Welpe, Darby, rannte weg.“

 

Riley hatte einen Kloß im Hals. Sie erinnerte sich, wie Jilly geweint hatte, als sie ihr von dem Welpen erzählte, den sie vor einigen Monaten verloren hatte. Jilly dachte immer noch oft daran, was wohl aus ihm geworden war.

„Bitte“, sagte sie zum Richter, „bitte, schicken Sie mich nicht zurück in dieses Leben. Ich bin so glücklich bei meiner neuen Familie. Bitte nehmen sie mich ihnen nicht weg.“

Jilly durfte dann wieder zurück und sich neben Riley setzen.

Riley drückte ihre Hand und flüsterte ihr zu: „Das hast du richtig gut gemacht. Ich bin stolz auf dich.“

Jilly nickte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

Dann präsentierte Rileys Anwalt, Delbert Kaul, dem Richter alle nötigen Unterlagen, um die Adoption abzuschließen. Er hob besonders die Einverständniserklärung hervor, die Jillys Vater unterzeichnet hatte.

Soweit Riley es beurteilen konnte, machte Kaul einen ziemlich guten Job mit der Präsentation der Unterlagen. Aber seine Art und Stimme waren uninspiriert, und der Richter, ein fleischiger, missmutiger Mann mit kleinen, runden Augen, schien ganz und gar nicht beeindruckt.

Für einen Moment drifteten Rileys Gedanken zurück zu dem bizarren Anruf, den sie gestern von Morgan Farrell bekommen hatte. Natürlich hatte Riley die Polizei von Atlanta sofort benachrichtigt. Wenn das, was die Frau gesagt hatte, stimmte, war sie mittlerweile sicherlich verhaftet worden. Riley musste sich immer wieder fragen, was dort wirklich vorgefallen war.

War es wirklich möglich, dass die zerbrechliche Frau, die sie in Atlanta kennengelernt hatte einen Mord begangen hatte?

Jetzt ist nicht die Zeit über all diese Dinge nachzudenken, ermahnte sie sich.

Als Kaul seine Präsentation beendet hatte, erhob sich Scarlattis Anwalt.

Jolene Paget war eine scharfäugige Frau in ihren Dreißigern, die Lippen welcher in einem leichten, aber fortwährenden zynischen Lächeln erstarrt zu sein schienen.

Sie sagte zum Gericht: „Mein Klient möchte diese Adoption anfechten.“

Der Richter nickte und brummte: „Das weiß ich bereits, Ms. Paget. Ihr Klient hat hoffentlich einen guten Grund parat für seinen Wunsch, seine eigene Entscheidung nun zu ändern.“

Riley bemerkte sofort, dass Paget, im Gegensatz zu ihrem eigenen Anwalt, keinerlei Notizen dabeihatte. Außerdem, ebenso im Gegensatz zu Kaul, drückten ihre Miene und Gesichtsausdruck Selbstbewusstsein aus.

Sie sagte: „Mr. Scarlatti hat einen sehr guten Grund, Euer Ehren. Er hatte seine Zustimmung unter Druck gegeben. Er befand sich in einer besonders schwierigen Zeit seines Lebens und hatte außerdem keinen Job. Und ja, er hat damals getrunken. Und er hatte eine Depression.“

Paget nickte zu Brenda Fitch rüber, die ebenso im Gerichtssaal saß, und fügte hinzu: „Er war ein leichtes Opfer für den Druck von Sozialarbeitern, besonders dieser Frau. Brenda Fitch hatte ihm gedroht ihn wegen komplett fabrizierten Vergehen anzuzeigen.“

Brenda atmete scharf ein vor Empörung. Sie sagte zu Paget: „Das ist nicht wahr, und das wissen Sie.“

Pagets Grinsen wurde weiter und sie sagte: „Euer Ehren, könnten Sie Ms. Fitch freundlicherweise bitten, nicht zu unterbrechen?“

„Bitte seien sie still, Ms. Fitch“, sagte der Richter.

Paget fügte hinzu: „Mein Klient möchte außerdem Ms. Paige wegen Entführung anzeigen –– zusammen mit Ms. Fitch als Komplizin.

Brenda stöhnte vor lauter Abscheu hörbar auf, aber Riley zwang sich still zu bleiben. Sie hatte die ganze Zeit über schon gewusst, dass Paget diese Sache anstiften würde.

Der Richter sagte: „Ms. Paget, Sie haben keinerlei Beweise für irgendeine Entführung vorgelegt. Ebenso wenig wie für ihre Behauptungen zu dem Druck und den Drohungen ihrem Klienten gegenüber. Sie haben nichts gesagt, was mich überzeugen könnte, dass die anfängliche Zustimmung ihres Klienten nicht weiterhin gültig sein sollte.“

Albert Scarlatti erhob sich dann.

„Darf ich einige Worte zu meiner eigenen Verteidigung sagen, Euer Ehren?“, bat er.

Als der Richter in Einverständnis nickte, fühlte Riley einen Stich der Befürchtung.

Scarlatti ließ seinen Kopf hängen und sprach mit leiser, niedriger Stimme.

„Was Jilly Ihnen erzählt hat, was ich ihr angetan habe –– ich weiß, es klingt schrecklich. Und Jilly, es tut mir unendlich leid. Aber die Wahrheit ist, das es nicht ganz das ist, was geschehen ist.“

Riley musste sich zwingen ihn nicht zu unterbrechen. Sie war sich sicher, dass Jilly sich das nicht ausgedacht hatte.

Albert Scarlatti kicherte kurz leise und traurig. Ein warmes Lächeln breitete sich über seine gebrochenen Gesichtszüge.

„Jilly, du wirst sicher zustimmen, dass du eine ganz schöne Handvoll warst, als Kind. Du kannst eine wirkliche Herausforderung sein, meine kleine Tochter. Du hast ein ganz schönes Temperament und du bist manchmal einfach komplett außer Kontrolle geraten. Ich wusste einfach nicht, was ich an diesem Tag tun sollte. Wie ich mich erinnere, hatte ich dich damals aus schierer Verzweiflung in diese Kammer gesperrt.“

Er zuckte mit den Schultern und fuhr fort: „Aber es war nicht, wie du sagst. Ich würde dir so etwas niemals tagelang zumuten. Nicht einmal für ein paar Stunden. Ich behaupte nicht, dass du lügst, nur, dass deine Vorstellungskraft manchmal verrückt spielt. Und ich verstehe das.“

Dann richtete sich Scarlatti an die anderen im Saal.

Er sagte: „Es ist eine Menge passiert, seit ich meine kleine Jilly verloren habe. Ich habe mich zusammengerissen und aus meinem damaligen Zustand gezogen. Ich habe einen Entzug gemacht und ich besuche regelmäßig die Anonymen Alkoholiker, ich habe seit Monaten keinen Drink angerührt. Ich hoffe, dass ich für den Rest meines Lebens keinen Drink mehr in die Hand nehme. Ich habe eine feste Anstellung gefunden –– nichts richtig beeindruckendes, nur ein Job als Reinigungskraft, aber es ist ein guter Job und ich kann Ihnen eine Empfehlung meines Vorgesetzten vorlegen, dass ich mich gut mache.“

Dann berührte er die Schulter der mysteriösen Frau, die neben ihm saß.

„Aber es gab noch eine große Veränderung in meinem Leben. Ich habe Barbara Long getroffen, die wundervollste Frau der Welt, und sie ist das Beste, was mir je widerfahren ist. Wir sind verlobt und werden Ende dieses Monats heiraten.“

Die Frau lächelte ihn mit funkelnden Augen an.

Scarlatti richtete sich nun an Jilly persönlich.

„Genau Jilly. Keine Alleinerziehenden-Familie mehr. Du wirst einen Vater und eine Mutter haben –– eine echte Mutter nach all diesen Jahren.“

Riley fühlte sich, als wäre ein Messer durch ihre Brust gebohrt worden.

Jilly hat gerade doch gesagt, dass ich ihre echte Mom bin, dachte sie. Aber was konnte sie auf diesen Alleinerziehenden-Kommentar antworten. Sie hatte sich von Ryan lange bevor sie Jilly gefunden hatte, scheiden lassen.

Scarlatti richtete dann seine Aufmerksamkeit auf Brenda Fitch.

Er sagte: „Ms. Fitch, meine Anwältin hat gerade einige ziemlich harte Vorwürfe an Sie gerichtet. Ich möchte nur, dass Sie wissen, dass es meinerseits keine gekränkten Gefühle gibt. Sie haben ihre Arbeit gemacht und ich weiß das. Ich möchte bloß, dass Sie sehen, wie sehr ich mich verändert habe.“

Dann schaute er Riley direkt in die Augen.

„Ms. Paige, ich bin auch Ihnen nicht böse. Ich bin wirklich sogar dankbar für alles was sie für Jilly getan haben, während ich mich um mein Leben gekümmert habe. Ich weiß, dass es für Sie nicht leicht gewesen sein muss, da Sie Single sind und so. Und noch dazu mit ihrer eigenen Teenage-Tochter im Schlepptau.“

Riley öffnete schon ihren Mund um zu protestieren, aber Albert fuhr herzlich fort. „Ich weiß, dass sie Ihnen viel bedeutet und Sie müssen sich keine Sorgen machen. Ich werde von jetzt an ein guter Vater für Jilly sein. Und ich möchte, dass sie weiterhin ein Teil von Jillys Leben bleiben.“

Riley war perplex. Sie begriff jetzt erst, wieso seine Anwältin die Entführungsvorwürfe überhaupt gegen sie vorgebracht hatte.

Es ist die klassische ‚Guter Cop, Schlechter Cop‘ Masche.

Jolene Paget hatte sich als harte Anwältin inszeniert, die bereit war ihren Fall mit allen Mitteln zu gewinnen. Sie hatte somit den Weg für Scarlatti geebnet, der nun wie der freundlichste Typ der ganzen Welt erscheinen würde.

Und er war sehr überzeugend. Riley konnte nicht anders, als sich zu fragen…

Ist er in Wirklichkeit vielleicht doch ein guter Kerl?