Kitabı oku: «Gesicht des Mordes», sayfa 3
KAPITEL VIER
Zoe trommelte mit ihren Fingern auf dem Steuer, während sie zur örtlichen Gerichtsmedizin fuhren, warf einen Seitenblick auf Shelley. Etwas an diesem Fall störte sie bereits und sie musste die Zweifel aussprechen, die in ihren Kopf krochen, bevor sie zur Besessenheit wurden. „Es ist seltsam, dass Maitland wusste, dass ich gerne an einem mathematikbasierten Fall arbeiten würde. Ich habe nie mit ihm besprochen, dass ich gerne mit Zahlen zu tun habe.“
Shelley räusperte sich leicht, mied Zoes Blick. „Nun, ich habe uns für diesen Fall freiwillig gemeldet. Ich hörte zufällig, wie er hineinkam und, nun ja, der Chief stimmte zu, dass wir ihn übernehmen könnten.“
Zoe verdaute dies einen Moment lang. Sie bekam normalerweise nichts von ihrem Chef, nur weil sie darum bat. „Einfach so? Du musstest ihn nicht überzeugen?“
Shelley drehte den Anhänger, den sie trug, ein goldener Pfeil mit einem Diamanten, den sie von ihrer Großmutter geerbt hatte, immer wieder in den Fingern herum. „Ich sagte ihm, dass wir wahrscheinlich gegenüber allen anderen einen Startvorteil hätten, dass du gut in Mathe wärest.“
Zoe widerstand dem Drang, auf die Bremsen zu treten, hielt das Auto gleichmäßig und ruhig in Fahrt. Sie konzentrierte sich auf die Straße, bis das Rasen in ihrem Kopf sich verlangsamt hatte, und sprach entschieden und ruhig. „Du hast gesagt, ich wäre ‚gut in Mathe‘?“
„Das ist alles, was ich gesagt habe, das schwöre ich. Ich habe ihnen nicht die Wahrheit gesagt. Nichts darüber, du weißt schon, was du tun kannst.“
Shelley klang entschuldigend, aber das reichte nicht ganz aus, um das Dröhnen in Zoes Ohren verschwinden zu lassen. Gut in Mathe. Das war nah an der Wahrheit, zu nah, um sich damit wohlzufühlen. Es war fast ein Geständnis.
Vielleicht hatte sie einen schweren Fehler begangen, Shelley dahingehend zu vertrauen, dass sie ihr Geheimnis nicht verriet. Aber ihre Partnerin hatte immer wieder aufs Neue geschworen, dass sie es ohne Zoes Zustimmung nie jemandem offenbaren würde. Während sie es technisch gesehen auch nicht getan hatte, war es nah dran. Zu nah.
„Schau, es ist in Ordnung, oder?“ fragte Shelley. Ihre Stimme war ein wenig schriller geworden. „Es tut mir wirklich leid, wenn du nicht wolltest, dass ich das sage, aber es ist nur ein kleines Stück der Wahrheit. Nicht das ganze Bild. Und jeder kann gut in Mathe sein, weißt du? Es macht dich nicht so sehr anders.“
Zoes Finger griffen das Steuer fester, so fest, dass die Gummigriffe ein leises Geräusch von sich gaben. Ihr Kiefer bewegte sich steif. „Es war nicht deine Sache, es ihnen zu sagen.“
„Ich dachte nur – ich dachte nicht, dass es eine so große Sache sein würde, nur das zu sagen.“ Shelley seufzte, sackte gegen die Kopfstütze des Beifahrersitzes. „Ich habe Mist gebaut, das verstehe ich jetzt. Es tut mir leid. Aber nachdem du unseren großen Fall in Kansas gelöst hast, würden sie doch ohnehin schon begriffen haben, dass du gut mit Zahlen bist. Ich weiß, ich darf es niemandem sagen und das werde ich nicht, aber ich weiß nicht, warum du es nötig findest, es zu verschweigen.“
Zoe knirschte mit den Zähnen. Natürlich begriff Shelley es nicht. Shelley hatte es nicht erlebt. Shelley war nicht gezwungen worden, auf dem kalten Boden neben ihrem Bett die ganze Nacht zu beten, während ihre Mutter über die Teufelsgabe kreischte und predigte. Sie war in der Schule nicht für ihre Zerstreuung getadelt worden, nicht von den anderen Kindern wegen der verblüffenden Dinge verspottet worden, die sie durch einen einfachen Blick auf sie wusste.
Sie war nicht dabei gewesen, als Zoe gescheiterte Beziehungen durchlebte, in denen sie immer wieder missverstanden, mit nichts als der Betitelung „Freak“ und einem abermals gebrochenen Herzen zurückgelassen worden war.
„Es ist mein Geheimnis und ich entscheide, ob ich es erzähle oder nicht“, sagte sie fest, sobald ihr Herz wieder langsam genug schlug, dass sie die Worte sagen anstatt hervorstoßen konnte. Shelley war so weise, auf eine Antwort zu verzichten.
Sie hielten vor der Gerichtsmedizin und Zoe knallte die Autotür hinter sich zu, ging hinüber zum Eingang. Dann hielt sie an. Es würde nichts bringen, mit dieser sich hängenden Energie in die Untersuchung zu gehen. Sie musste es vergessen, es in ihrem Gehirn auf einem Regal ablegen und sich später darum kümmern. Jetzt musste sie professionell sein.
Die Gerichtsmedizinerin, eine fitte asiatische Frau Mitte vierzig mit scharfen Augen und Haaren, die zu einem Bob im Neunzig-Grad-Winkel geschnitten waren, der genau auf der Höhe ihres Kinns endete, war entgegenkommend. Sie zeigte ihnen die Leiche des Professors und blieb respektvoll im Hintergrund stehen, während sie ihre Untersuchung vornahmen.
Der nackt auf der Metallliege liegende Mann war auf weißes Fleisch reduziert worden. Als Zoe das Laken wegnahm, war es schwer für Zoe, die Verbindung zwischen diesem Brocken toten Fleischs und dem Mann, der es einst gewesen war, herzustellen und aufrechtzuhalten. Wer auch immer er gewesen war, er war schon lange verschwunden. Sie konnte es immer noch sehen, in den gelblichen Fingerspitzen, die auf eine Nikotinabhängigkeit hinwiesen, und dem kleinen zweieinhalb Zentimeter langen Abdruck über seinem linken Ohr, wo er jahrelang eine schlechtsitzende Brille getragen hatte. Aber das Eigentliche, das Wesen, was auch immer es war, das diesen Körper einst gefüllt und belebt hatte, war nirgendwo mehr zu finden.
So war es besser. Menschen lenkten sie ab. Sie verbargen ihr wahres Ich hinter Worten und Gesten, die sie nicht immer verstehen konnte. Aber Leichen konnten nicht lügen. Sie waren, wie sie waren, nicht mehr und nicht weniger.
Es schadete natürlich nicht, dass sein Gesicht verschwunden war. Nach innen eingeschlagen. Die Nase war völlig platt, die ganzen Hügel und Kurven jetzt innen in seinem Schädel. Auch die rechte Seite des Kopfes war gesplittert und gequetscht, zeigte deutliche Linien des Schlages. Niemand hätte das überleben können. Sogar eines seiner Augen war weg.
Die Gleichung fand sich auf seinem Torso, seitlich vom oberen Ende seiner Brust bis gerade unter seinen Nabel geschrieben. Sie sah genauso aus wie auf den Fotografien – das gesamte Ding war wirklichkeitsgetreu abgebildet worden. Mit ihren Händen in unbequemen weißen Wegwerfhandschuhen hob Zoe jeden seiner Arme und jedes seiner Beine hoch und drehte ihn sogar mit Shelleys Hilfe auf seine Seite. Sie konnten nirgendwo eine weitere Tintenspur oder überhaupt irgendein Zeichen entdecken, das auf einen fehlenden Teil der Gleichung hindeutete.
„Sie haben nichts übersehen“, sagte Shelley laut, bestätigte die wachsende Frustration, die sich hinter Zoes Stirn aufbaute.
„Der andere.“ Zoe drehte sich um, um die Gerichtsmedizinerin anzusehen. „Wir müssen auch den Studenten sehen.“
Die Gerichtsmedizinerin zuckte mit den Schultern, machte eine Handbewegung, um anzudeuten, dass sie es für sinnlos hielt und ging hinüber, um eine weitere Türe des metallenen Ablageschrankes zu öffnen, der als zeitweiser Ruheplatz fungierte. Sie zog sie mit einem langen schabenden Geräusch von gutgeöltem Metall auf Metall auf und ging zurück, um ihnen Zugang zu dem Bewohner zu gewähren.
Der Collegestudent sah noch jünger aus, als er es auf den Fotografien getan hatte, wie er da auf der kalten Metallliege lag, sämtliches Blut und mit ihm die Farbe aus den Wangen geschwunden. Die Oberseite seines Kopfes war eine Schweinerei, offen und nach innen eingedrückt. Er war mit einem respektvollen Laken bedeckt, aber Respekt war in diesem Fall nur ein Hindernis. Zoe kam näher und zog es zur Seite, bemerkte Shelleys Widerwillen, es zu tun.
Für eine lange Sekunde starrte Zoe, unfähig, das Gesehene zu verstehen. Dann fragte sie sich kurz, ob die falsche Leiche herausgezogen worden war, aber sie hatte sein Gesicht von den Tatortfotos erkannt. Endlich überwog der Unglaube und sie wandte sich mit einem derart finsteren Blick zu der Gerichtsmedizinerin um, dass die andere Frau zurückwich.
„Wo sind die Gleichungen?“ fragte Zoe, ihre Stimme leise und tonlos, bedrohlich genug, um jedem den dahinterstehenden Ärger deutlich zu machen.
„Nun, wir haben die Autopsie vorgenommen“, stotterte die Gerichtsmedizinerin, tastete hinter sich nach einem Metalltisch, um sich zu stützen. „Wir waschen die Leichen immer, um die Autopsie durchzuführen.“
„Sie haben die Beweise abgewaschen.“
Shelley kam näher, legte eine sanfte Hand auf Zoes Arm, vielleicht als Bitte, sich zu beruhigen. Zoe ignorierte es. Sie kochte, jeder Muskel ihres Körpers war voller Energie, wollte explodieren und etwas gegen die Wand schleudern. Vielleicht gegen die Gerichtsmedizinerin.
Der einzige Grund, aus dem sie es nicht tat, war, dass es sehr deutlich gegen den professionellen Verhaltenskodex ging. Wie konnten sie so etwas zugelassen haben?
„Wer hat das Waschen genehmigt?“ fragte Shelley, ihre Stimme leise und ruhig. Sie trat vor, ein wenig vor Zoe, als ob sie sie schützen wollte.
Die Gerichtsmedizinerin suchte nach Papieren, stotterte immer noch, das Gesicht erblasst. Zoe konnte es nicht länger ertragen. Sie ging mit einem Knurren in der Kehle aus dem Raum, knallte als Zugabe die Tür hinter sich zu. Da es eine Schwingtür war, war die Wirkung abgeschwächt, aber es löste trotzdem einiges der Anspannung in ihrem Körper.
Shelley kam einige Minuten später nach, fand sie am Ende des Flurs auf und ab gehend.
„Wir hätten sie wegen Manipulation der Beweise melden sollen“, sagte Zoe, sobald Shelley nah genug war, um sie zu hören.
„Sie haben im Rahmen ihrer Anweisungen agiert“, seufzte Shelley, zuckte mit den Schultern. „Der Fotograf war der Ansicht, dass sie alles dokumentiert hätten. Wir müssen es ihnen einfach glauben.“
„Sie sollten trotzdem bestraft werden. Haben sie keinen gesunden Menschenverstand? Es war offensichtlich ein Beweis. Und die leitenden Ermittler hatten die Leiche noch nicht einmal gesehen!“
„Nun, um fair zu sein, als sie die Autopsie vornahmen, war es ein lokaler Fall, keiner für die Bundesbehörde. Was geschehen ist, ist geschehen. Wir müssen einfach mit dem arbeiten, was wir haben.“
Shelley war rational, zu rational. Zoe mochte das nicht. Sie wollte eine Rechtfertigung für die von ihr empfundene Frustration, verdammt, ein von ihnen beiden gemeinsam empfundenes Gefühl. Sie hasste es, wenn man ihr das Gefühl gab, dass sie der Freak mit dem Problem war. Wenn Dinge falsch gemacht wurden, war das ein Problem. Die Leute sollten die Dinge tun, für die sie bezahlt wurden. So funktionierte die Gesellschaft.
„So etwas sollte deutlich als wichtig zu erkennen gewesen sein“, sagte Zoe, versuchte ein letztes Mal, Shelley in ihre eigene Wut zu locken.
Es funktionierte nicht. „Wir müssen ohnehin weitermachen“, sagte Shelley, ging hinaus und sah zurück, um sicherzustellen, dass Zoe ihr folgte. „Sollen wir als Nächstes mit der Frau des Professors reden?“
Zoe nickte, gab auf. Vielleicht reagierte sie über. Man hatte ihr gesagt, dass sie das gelegentlich tat.
An diesem Fall gab es mehr als nur die sichtbaren Beweise auf den Leichen. Natürlich war die Mathematik verführerisch, sowie die Tatsache, dass eine angesehene Universität Ort der Taten war. Aber es gab immer noch eine andere Geschichte von den Familien der Opfer zu erfahren, von den Leuten, die sie kannten.
Vielleicht würde Mrs. Henderson Licht auf den Tod ihres Ehemanns werfen können – und dazu beitragen, dass dieser frustrierende Fall rasch geklärt wurde.
KAPITEL FÜNF
Shelley setzte sich auf den Fahrersitz, was bei ihren gemeinsamen Fahrten ungewöhnlich war. Shelley wusste, dass Zoe normalerweise als Beifahrerin übel wurde, aber an diesem Tag war sie so beschäftigt mit ihren Gleichungen, dass sie die vorbeirasenden Straßen kaum zu bemerken schien. Sie klammerte sich nicht einmal an ihren Sicherheitsgurt, das übliche Zeichen dafür, dass sie sich nicht wohl fühlte.
Shelley blickte herüber, wann immer sie die Möglichkeit hatte – beim Warten an Kreuzungen oder beim Stehenbleiben im dichten Verkehr. Was Zoe hektisch auf mehrere Seiten ihres Notizbuchs kritzelte, ergab für sie überhaupt keinen Sinn. Es hätten genauso gut Hieroglyphen sein können.
Zoe hatte ein wirkliches Talent, wenn es um Zahlen ging, aber das hatte auch andere Seiten. Eine zielstrebige Besessenheit konnte sie manchmal überkommen, wie jetzt. So sehr Shelley helfen wollte, sie hatte keine Ahnung, was gebraucht wurde – und Zoe würde es ihr nicht sagen. Sie war oft so. Ruhig, verschlossen. Shelley hatte die Geschichten über ihre vorherigen Partner gehört und es war nicht schwer, daraus abzuleiten, dass sie wahrscheinlich schon vor langer Zeit aufgegeben hatte, anderen ihre Gedanken anzuvertrauen.
Zoe war es gewohnt, alleine zu arbeiten. Wenn es nach ihr ginge, würde Shelley das ändern. Es würde nur eventuell eine lange Zeit dauern, bis sie ihr Ziel erreichte. In der Zwischenzeit würde sie sie ermutigen und daran erinnern müssen, ihre Gedanken mitzuteilen.
Nur vielleicht nicht hinsichtlich Mathematik. Shelley konnte ihr die alleinige Beschäftigung damit anvertrauen.
Der Englischprofessor lebte am anderen Ende der Stadt, in einem der eleganteren Vororte, weißgestrichene Häuser mit großzügigen Rasenflächen und passenden weißen Zäunen. Shelley hielt vor dem Haus an, stellte den Motor ab und wartete, dass Zoe es bemerkte.
Sie sah nicht einmal auf.
Es gab Zeiten, in denen Shelley das Gefühl hatte, sich in Zoes Gegenwart vorsichtig verhalten – sie mit der größten Behutsamkeit behandeln zu müssen. Mit Samthandschuhen. Was irgendwie ironisch war, wenn man bedachte, dass Shelley in ihrer Zeit zu Hause die ganze Zeit elterliche Pflichten erfüllte. Es gab mehr als einige Gelegenheiten, bei denen sie das Gefühl hatte, das Gleiche auf der Arbeit zu machen, auch wenn Zoe die Ältere von ihnen beiden war.
„Wir sind da“, sagte Shelley sanft, wollte Zoe nicht mitten aus ihren Berechnungen herausreißen.
Zoes Stift hielt mitten in der Bewegung inne und sie blickte endlich auf. Sie schien überrascht, irgendwo anders zu sein als auf dem Parkplatz der Gerichtsmedizin. „Ich muss nur noch …“
Shelley zog eine Augenbraue hoch. „Z, dauert es weniger als zwei Minuten? Denn wenn nicht, sollten wir losgehen und mit der Frau des Professors sprechen und dann zur Gleichung zurückkehren.“
Zoe seufzte hörbar, schien aber zuzustimmen. Sie packte ihr Notizbuch in eine Tasche und stieg aus dem Auto, was Shelley als Signal nahm, das Gleiche zu tun. Sie revidierte ihre frühere Überlegung: der Umgang mit Zoe war nicht genau wie der Umgang mit einem Kind. Eher manchmal wie der mit einem mürrischen Teenager.
Mrs. Henderson schien sie, oder zumindest irgendjemanden, erwartet zu haben. Sie war ordentlich in ein dunkles Kleid mit Blumenmuster gekleidet, die gedämpften Farben vermittelten ein wenig von dem, was sie durchlitt. Ihre Augen waren rotgeädert, aber offen und scharfsinnig, machten sich nur Augenblicke nach ihrem Zusammentreffen auf der Türschwelle einen Eindruck von Shelley und Zoe.
„Ich bin Special Agent Shelley Rose und das ist Special Agent Zoe Prime. Wir würden gerne hereinkommen und über Ihren Ehemann sprechen, Mrs. Henderson.“
Die Frau nickte, bedeutete ihnen, hineinzukommen, trat zurück, damit sie die Tür schließen konnte, nachdem sie eingetreten waren. Das Haus war in einem dezenten klassischen Stil möbliert, dunkles Holz und bequeme Kissen und Überwürfe. Mrs. Henderson führte sie in ein Wohnzimmer, wo Shelley dankbar für sich und Zoe das Angebot eines Kaffees annahm.
„Sie scheint es sehr gut zu verkraften“, murmelte Shelley, betrachtete ihre neue Umgebung. Es war ordentlich, jeder einzelne Gegenstand an seinem Platz. Kein Staub auf dem niedrigen Couchtisch mit der Marmorplatte oder dem dunklen Sideboard voller Erinnerungsstücke und Nippes. Frisches Obst lag in einer polierten Schale in der Mitte des Tisches. Es wirkte eher wie eine Fernsehkulisse als ein tatsächlich bewohntes Zuhause.
Vielleicht verarbeitete Mrs. Henderson ihre Trauer, indem sie das Haus putzte und aufräumte, bereit für Besucher. Es wäre nicht völlig ungewöhnlich. Shelley hatte es zuvor erlebt. Es war mit Verleugnung verbunden – der Gedanke, dass, wenn sie nur sicherstellte, dass alles perfekt war, ihr Ehemann vielleicht wieder in der Tür stand.
Die Beschäftigung hielt zudem die Trauer auf Armeslänge.
Eine gerahmte Fotografie stand auf dem Kaminsims: der Professor und seine Frau, in glücklicheren Zeiten. Shelley betrachtete das Bild und versuchte, nicht die schreckliche Schweinerei vor sich zu sehen, in die der Kopf des Professors verwandelt worden war.
„Siebzehn Statuetten“, murmelte Zoe. Shelley folgte ihrem Blick zum Sideboard und wusste, dass Zoe tat, was sie immer tat: nach Zahlen suchen. In diesem Fall hatten sie allerdings eine neue Bedeutung angenommen. Sie suchte nach einem Hinweis, der zu einem Durchbruch bei den Gleichungen führen würde.
Die Hausherrin kehrte schon nach einigen Minuten zurück, trug ein Tablett mit drei Tassen heißen Kaffees. Das zarte Porzellan von Mrs. Hendersons Tasse stand im Gegensatz zu der einfachen Sachlichkeit der anderen beiden. Ein Haushalt, der zwei Persönlichkeiten verriet. Vielleicht eine Aussage, dass die Besucher, die sie heute empfing, nicht ihr bestes Porzellan wert waren.
„Das muss ein großer Schock für Sie gewesen sein“, sagte Shelley, hob ihre Tasse und pustete sanft über die Oberfläche des Kaffees, bevor sie einen Schluck nahm. Fragen oder Aussagen wie diese, offen und einladend, ermutigten die Leute oft, mehr Informationen preiszugeben. Die Art Information, zu der man vielleicht von selbst gar keine Fragen gestellt hätte.
„Oh ja“, Mrs. Henderson seufzte tief, lehnte sich in dem Sessel zurück, der anscheinend ihr üblicher Sitzplatz war. „Ich kann es immer noch nicht ganz glauben. Mein Ralph, einfach verstorben. Und auch noch so gewaltsam. Ich kann es einfach nicht begreifen.“
„Können Sie sich einen Grund für diese extreme Gewalt vorstellen, Mrs. Henderson?“
Die ältere Frau schloss kurz die Augen, eine Hand flatterte zu ihrer Stirn hinauf. Sie war immer noch mit einem einfachen goldenen Ehering geschmückt, neben einem aufwendigeren Schmuckstück mit kleinen Diamanten. Vielleicht ein Verlobungsring, jahrzehntealt. „Zuerst dachte ich, sie wollten etwas stehlen. Sein Auto oder seine Geldbörse. Aber die Polizei sagte, dass nichts fehlt.“
„Die Psychologen teilten uns mit, dass es am Tatort Hinweise auf große Wut gibt. Diese Art Wut, nun, normalerweise stammt sie daher, dass jemand jemanden persönlich kennt. Gibt es da jemanden, der Ihnen einfällt? Jemanden, der auf Ihren Ehemann wütend ist, genug, um ihm Böses zu wünschen?“
Ein besticktes Taschentuch wurde hochgehoben, um ihre Augen abzutupfen, die beringte Hand hob sich, um eine Strähne ihres mausbraunen Haares zurückzustreichen. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich meine, Ralph war – er war Ralph. Er würde keiner Fliege etwas zuleide tun. Er kam mit seinen Kollegen zurecht, wurde von seinen Studenten gemocht. Wir haben einige Freunde in der Nachbarschaft, die ab und an zum Abendessen vorbeikamen. Er hatte nicht einmal mit Fremden gestritten. Er hatte nichts Streitlustiges . Jeder liebte ihn!“
„Gut, also keine bekannten Feinde“, sagte Shelley, nickte ermutigend, obwohl die Antwort sie frustrierte. Es war immer besser, wenn man wusste, wohin man sich als Nächstes wenden konnte. „Während seiner ganzen Karriere, meinen Sie? Er hatte nie irgendwelche Probleme?“
Mrs. Henderson schniefte, zuckte mit den Schultern. „Nun, es gab immer kleine Dinge“, sagte sie, obwohl ihr Ton zeigte, dass sie der Meinung war, dass es unmöglich von Bedeutung sein konnte. „Er war ein Professor. Es gab Studenten, die mit ihrer Benotung nicht einverstanden waren. Oder jene, die rausflogen, weil sie die Vorlesungen nicht besucht oder ihre Arbeiten zu spät eingereicht hatten. Sie denken alle, sie würden eine Sonderbehandlung verdienen. Aber das ist normal. Einfach Teil des Jobs. Niemand würde jemanden wegen einer Benotung umbringen, oder?“
Shelley konnte erkennen, dass Mrs. Henderson diese Frage ernst meinte, nach Beruhigung suchte. Leider wusste Shelley, dass sie ihr diese nicht geben konnte. Die Leute töteten aus allen möglichen Gründen. Es stand nicht immer Vernunft dahinter. Manchmal war es einfach der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, zusätzlich zu allem anderen.
Vielleicht war es ein Gedanke, dessen Verfolgung sich lohnte. Reiches Kind mit Anspruchsdenken, das im Leben immer alles erhält, versagt nun zum ersten Mal? Bekommt einen durch Gewöhnung an Privilegien hervorgerufenen Wutanfall? Oder ein Student, der am Ende war, nichts mehr hatte, wofür es sich zu leben lohnte – Eltern kürzlich verstorben, Freundin hat mit ihm Schluss gemacht, hat seinen Teilzeitjob verloren und nun noch dazu eine schlechte Note? Man könnte es zumindest in Betracht ziehen.
„Hoffen wir, dass es nicht so ist“, bot sie mit einem leichten Lächeln, das ihr Mitgefühl vermitteln sollte, an. „Können Sie sich an etwas Ungewöhnliches erinnern, das in den letzten Tagen oder Wochen – sogar Monaten – geschehen ist?“
Mrs. Henderson schüttelte ihren Kopf, betupfte erneut ihre Augen. „Ich habe immer wieder darüber nachgedacht. Alles war einfach – normal. Deshalb war es so ein Schock. Völlig unerwartet. Ich wüsste nicht, warum irgendjemand meinem Ralph überhaupt wehtun wollen sollte.“
Die Frau wurde zunehmend verzweifelter. Vielleicht wäre es angemessen, die Befragung zu beenden, sie in Ruhe zu lassen. „Gibt es etwas anderes, das Sie uns sagen können – irgendetwas? Es mag nicht einmal relevant erscheinen, aber jede kleine Information stellt ein weiteres Puzzlestück dar.“
Mrs. Henderson schüttelte hilflos den Kopf.
„Gut, eine letzte Frage. Erinnern Sie sich, ob Ihr Ehemann je über einen Studenten namens Cole Davidson gesprochen hat?“
„Nicht, bis sein Name in den Zeitungen stand“, sagte Mrs. Henderson. „Dieser arme Junge. Glauben Sie … glauben Sie, dass die Fälle zusammenhängen? Das tun sie sicher, nicht wahr? Zwei Morde innerhalb einer so kurzen Zeitspanne?“
„Es ist nicht hilfreich für uns, zu diesem Zeitpunkt zu spekulieren.“ Shelley nahm einen letzten Schluck von ihrem Kaffee, bedauerte es, eine halbe Tasse dieses sehr guten Kaffees stehenlassen zu müssen. „Aber wir werden uns melden, wenn wir Ihnen mehr sagen können.“
Shelley stand auf, zögerte dann, als Zoe es ihr gleichtat. „Mrs. Henderson, haben Sie jemanden, der Ihnen heute Gesellschaft leisten kann?“
Sie nickte langsam, stand auf, um sie zur Tür zu begleiten. „Meine Tochter fliegt her. Sie sollte bis heute Abend hier sein.“
Das erleichterte Shelley. Eine Frau mit ihrer Trauer alleine zu lassen, fühlte sich nie richtig an, ganz gleich wie viele Angehörigenbefragungen sie machte. „Wir melden uns dann, Mrs. Henderson. Versuchen Sie, in der Zwischenzeit ein wenig Ruhe zu finden.“
Sie stiegen wieder ins Auto ein, Zoe zog sofort ihr Notizbuch hervor, um erneut hineinzuschreiben. Shelley fragte sich, ob sie überhaupt ein Wort der Befragung gehört oder diese sofort als nutzlos abgetan und die ganze Zeit über Zahlen nachgedacht hatte.
Was auch immer es war, Shelley konnte sich nicht darüber ärgern. Momentan waren die Gleichungen die einzigen richtigen Hinweise, die sie hatten. Während sie zurück zum Hauptquartier fuhren, konnte Shelley nicht anders, als sich Sorgen zu machen, dass sie nichts Weiteres von Nutzen finden würden, das den Fall knacken würde. Da Zoe so auf die Zahlen fixiert war, lag es an Shelley, etwas anderes zu finden, das einen Unterschied machen würde.
Das Problem war, herauszufinden, wo sie suchen sollte.
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