Kitabı oku: «Gesicht des Todes», sayfa 6
Rubie hob instinktiv die Hand, als etwas ihren Hals berührte – etwas Leichtes und Dünnes, aber Scharfes, das ihre Finger verletzte, als sie danach griff. Was war das? Der Draht? Sie zog und zerrte daran, fühlte die Ursache irgendwo hinter sich, die Wärme, die von einem Körper ausging, der nicht ihr eigener war.
Sie schlug blindlings zu, richtete Ellbogen und Füße nach hinten aus, versuchte, ihn ausfindig zu machen und unvorbereitet zu erwischen. Er zischte leise, fluchte, sagte ihr, sie solle stillhalten. Sie würde nicht stillhalten. Nein. Sie zwang ihren Ellbogen erneut zurück, ein verzweifeltes Zielen in der Dunkelheit und fühlte, wie er voller Kraft mit etwas zusammentraf.
Der Fahrer grunzte vor Schmerzen und der Druck um ihren Hals wurde für eine Sekunde schwächer. Rubie ließ sich auf die Knie fallen, kroch vorwärts, fand den Weg frei. Was immer er um sie geschlungen hatte war weg. Sie schnellte vom Boden hoch und sprang nach vorne, im rechten Winkel zu den Strahlen der Scheinwerfer, vermied den so bequem beleuchteten Pfad, den sie boten.
Etwas lag heiß und schwer auf ihrer Brust, als sie lief, bereits in der kalten Luft nach Atem rang, die wie Eis in ihre Lungen schnitt. Was war das? Ihre Hand flog hoch, spürte überall auf ihrem Shirt Nässe, folgte ihr, während ihre Füße auf dem unebenen Boden stolperten. Sie konnte nicht hören, ob er sie verfolgte, aber sie rannte so schnell sie konnte, so schnell sie es ihren Füßen zutraute. Die Nässe – sie kam vom ihrem Hals – kam von dort, wo sie vorher den Druck gefühlt hatte – eine Wunde, die vor Schmerzen zu pochen begann, sobald ihre Finger sie fanden.
Da war Blut – so viel Blut – direkt über ihrer ganzen Brust, auf ihren Bauch tropfend. Sie spürte, wie die heißen Rinnsale hinunterliefen und auf ihre Beine spritzten, während diese sich verzweifelt nach vorne bewegten, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Fahrer zu bringen.
Das Blut hörte nicht auf, es war so viel. Rubie griff beim Rennen mit beiden Händen nach ihrem Hals, opferte die zusätzliche Balance und Beweglichkeit ihrer Arme, versuchte, es drinnen zu halten. Da war eine Linie, die sich von einer Seite zur anderen erstreckte, herumging, aus der stetig mehr und mehr sickerte und quoll.
Ohne Augen und Gleichgewicht stolperte Rubie, ihr Fuß verfing sich an etwas, das sich wie ein Stein oder ein harter Grasbüschel am Boden anfühlte. Sie fiel hart, konnte den Fall nicht aufhalten, die Luft wurde aus ihr herausgepresst, als sie mit den Ellbogen zuerst auf dem Boden auftraf. Zur gleichen Zeit spürte sie einen kräftigen Strahl, wie Wasser aus einem Hahn, der unter ihren Fingern herausströmte.
Sie würde nicht aufgeben. Nein. Sie musste hier weg – immer weiter – so weit weg von ihm, wie sie konnte. Sie wagte es nicht, den Kopf zu drehen, um zu sehen, ob er noch im Licht des Autos stand, oder ob er nur wenige Schritte hinter ihr war, kurz davor, sie wieder zu packen. Sie durfte keine Zeit verschwenden. Rubie setzte die Füße unter sich wieder auf, stemmte sich hoch, nur um zu fallen, durchsackend, ihre Beine versagten den Dienst.
Alles fühlte sich seltsam – locker – an, als ob sie plötzlich aus Gelee bestand, ihre Arme und Beine hingen wie tote Fische herab, als sie versuchte, sie zu bewegen. Das einzige Gefühl, das sie erkennen konnte, war die Hitze des Blutes, das aus ihrem Hals strömte, jetzt Flecken auf dem Boden machte, in solchen Mengen floss, dass sie es nicht begreifen konnte.
Rubie hob den Kopf, um in die Ferne zu sehen, die Lichter der Stadt, in der ihre Schwester wohnte, waren weiterhin nur ein Fleck am Horizont. So weit weg, dass es auch die Sterne sein könnten. Die Wunde an ihre Hals öffnete sich wie ein Mund, um einen weiteren kräftigen Strahl Blut auszuströmen und sie spürte, wie ihr Gesicht auf den Boden aufschlug, hatte nicht länger die Kraft, es hochzuhalten.
Sie bemerkte nur schwach, dass sie die Kälte nicht mehr spürte, bevor es gar nichts mehr zu fühlen gab.
Kapitel neun
Zoe stellte bestürzt fest, dass das Motel innen noch schäbiger war, als es von außen ausgesehen hatte.
„Für das FBI nur das Beste“, witzelte Shelley „Deshalb nennen sie uns ‚Special‘ Agents, nicht wahr?“
Zoe grummelte, drehte sich von ihrer Untersuchung des fadenscheinigen Sofas in der Lobby gerade rechtzeitig um, um den Rezeptionisten zurückkehren zu sehen. „Hier ist Ihr Schlüssel“, sagte er, warf eine Plastikkarte auf die Theke. Sie schlidderte zu ihnen, kam gerade noch zum Halten, bevor sie über den Rand fiel.
„Danke“, sagte Shelley, nahm sie und hob dankend die Hand.
Zoe war der Meinung, dass seine Kundendienstfähigkeiten nicht einmal diese Reaktion verdient hatten.
Der Mann sagte nichts. Er ließ sich wieder in seinen Stuhl fallen und griff das vor ihm liegende Handy, nahm die wie auch immer geartete Aktivität wieder auf, in die er bei ihrer Ankunft vertieft gewesen war.
„Wissen Sie, wo man hier zu dieser Zeit noch was Anständiges zu essen bekommt?“ fragte Shelley.
„Da is’n Diner ungefähr fünf Meilen entfernt“, sagte er, hob das Kinn in die ungefähre Richtung, ohne aufzusehen.
Shelley dankte ihm erneut, erntete so wenig Reaktion wie beim ersten Mal. Sie ließen ihn zurück, Zoe führte sie weg, bevor sie eine weitere Unterhaltung mit dem muffigsten Hotelangestellten der Welt beginnen konnte, ging zurück in die kalte Nacht des Parkplatzes.
„Sollen wir was essen gehen?“ fragte Shelley. „Oder uns zuerst im Zimmer einrichten.“
„Wir sollten wenigstens unsere Taschen reinbringen“, sagte Zoe seufzend. Sie rieb ihren Nacken, der von dem langen Tag und der ganzen Fahrerei steif war und schmerzte. „Dann essen.“
„So viel zum Zurückfliegen bevor der Tag vorbei ist“, bemerkte Shelley, hob die Schlüsselkarte und las die Zimmernummer ab. Sie führte sie über den Parkplatz zu einer Türe, die ein Ebenbild aller anderen in dem langgestreckten niedrigen Gebäude war, schloss sie mit einem Durchziehen der Karte auf.
„Scheint, als ob es ein komplexerer Fall ist, als wir erwartet hatten“, stimmte Zoe zu. Die milden Worte verbargen den Ärger, den sie über sich selbst empfand. Sie hätte in der Lage sein sollen, ihn zu lösen, die Zahlen zu lesen und den Kerl zu erwischen. Ihm nicht die Möglichkeit zu geben, erneut zu töten. Wenn jemand heute Abend starb, war es ihre Schuld.
Das Zimmer war klein, zwei Einzelbetten standen weniger als dreißig Zentimeter entfernt voneinander, jedes mit einer altmodischen blumengemusterten Tagesdecke. Die Art, die wahrscheinlich in den Achtzigern, oder sogar noch früher, gekauft worden und dann immer und immer wieder gewaschen worden war, bis sie dünn und kratzig war. Zoe hoffte jedenfalls, dass sie gewaschen worden waren.
Sie trat gegen ein Bein des Bettrahmens, betrachtete ihn argwöhnisch, um zu sehen, wie sehr er sich bewegte. Es fühlte sich gut an, aber nicht gut genug. Zoe hätte wahrscheinlich alles im Zimmer treten können, bis ihr Bein geschmerzt hätte und es hätte die Frustration in ihr trotzdem nicht verringert. Sie hätte jetzt zu Hause sein können, nicht in einem Motel sitzen und darauf warten müssen, dass ein Killer sich ein weiteres Opfer schnappte, ohne etwas tun zu können, um es zu verhindern.
Sie dachte an Euler und Pythagoras und hoffte, dass es ihnen gut ging. Sie hatte einen zeitgesteuerten Futterautomaten für Nächte wie diese, aber die Katzen waren zu schlau für ihr eigenes Wohl. Sie hatten den Automaten schon einmal aufgebrochen und in einer Nacht die Vorräte für eine halbe Woche gefressen. Sie war einige Stunden später nach Hause gekommen und hatte sie aufgebläht und glücklich vorgefunden, so vollgefressen, dass sie als Reaktion auf ihre Stimme nur die Schwänze bewegen konnten.
„Bereit?“ fragte Shelley, ihre Stimme leise. Vielleicht spürte sie, dass Zoe nicht in der Stimmung dafür war, für nichts hiervon.
Zoe nickte und erlaubte ihrer Partnerin, voranzugehen. Sie näherte sich dem Diner nicht unbedingt mit großer Freude, sah die Lichter als eine Oase in der Dunkelheit der ländlichen Gegend, die sich größtenteils schon zur Nachtruhe begeben hatte. Nur einige Autos waren auf dem kleinen Gelände draußen geparkt und die großen Fenster auf allen Seiten des Gebäudes zeigten ihnen, dass nur wenige Kunden drinnen saßen, um zu essen oder Kaffee zu trinken. Der Atem stockte ihr in der Kehle, die Erinnerungen an Dinermahlzeiten ihrer Kindheit strömten ungebeten auf sie ein.
Als sie hineingingen, unterdrückte Zoe ein unzufriedenes Stöhnen. Es war das typische Kleinstadtdiner. Abwischbare Tische, grünbezogene Sitze und Sitznischen, ein kitschiges 1950er Dekor, das im Gegensatz zu den modernen Geräten und Bildern örtlicher Sportteams an einer Anschlagtafel stand. Zwei müde aussehende Kellnerinnen, beide Frauen mittleren Alters, trugen nichtssagende Uniformen, die weder gut aussahen noch gut saßen. Sie erkannte sofort, dass die eine genau eine Größe zu klein trug, die andere eine Größe zu groß. Sie zwinkerte, scheuchte die Zahlen fort. Sie wollte nur essen und dann ins Bett gehen.
Zoe rutschte in eine der Sitznischen und betrachtete die Speisekarte. Manchmal konnte es beruhigend wirken, eine bekannte Liste von Gerichten zu sehen und zu wissen, was man bestellen wollte, aber hier war es entnervend. Es war die übliche Standardauswahl von Dineressen, die Art von ganztägig verfügbaren Pancakes und Burgern, die man an jedem ähnlichen Lokal im ganzen Land bekommen konnte. Es hätte leicht genau die Speisekarte sein können, die das Diner in Zoes Heimatstadt anbot, wo sie sich mürrisch nach der Kirche hingeschleppt hatte, ihren Eltern zum wöchentlichen Festmahl gefolgt war.
Nicht, dass es je ein Grund zum Feiern gewesen wäre, jedenfalls nicht für sie.
Sie starrte die Speisekarte an, ohne sie zu lesen, fühlte die durchdringenden Augen ihrer Mutter auf ihrem Scheitel, den stechenden Blick, der ihr beim Aufsehen immer begegnet war. Schweigend, wie sie es immer beim Anblick einer Speisekarte tat, ließ sie die Zahlen ihren Kopf füllen – die voraussichtlichen Kosten pro Gewicht jeder Mahlzeit, die erwartete Anzahl der Kalorien, was mehr Fett und was mehr Zucker beinhaltete. Eine nutzlose Übung, da Zoe diese Informationen nie nutzte, um ihre Mahlzeiten auszuwählen. Sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, einfach etwas zu bestellen, das ihr schmeckte und die Zahlen wegzuschieben.
„Kann ich Ihnen Kaffee bringen?“ fragte die Kellnerin, die mit einer Kanne in der Hand an ihrem Tisch anhielt. Zoe hielt ihr wortlos ihre Tasse hin, um sie füllen zu lassen, während Shelley einwilligte und ihr dankte. Mit dem Versprechen, gleich zurückzukommen, um ihre Essensbestellung aufzunehmen war die Kellnerin wieder weg, schwere Schritte in flachen Schuhen ertönten auf dem Linoleum.
„Was nimmst du?“ fragte Shelley. „Ich kann mich nie entscheiden. Ich bin so schlecht darin, auszusuchen, was ich essen möchte. Es klingt alles gut.“
Zoe zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich einen Burger.“
„Mit Fritten?“
„Die sind dabei.“
Shelley überflog die Speisekarte noch einige Male, bevor sie nickte und sie schloss. „Klingt gut genug.“
Zoe hob kurz den Blick, um kurz den Alkoholiker, den Fernfahrer und den Familienvater, der nicht nach Hause wollte, auszumachen, bevor sie beschloss, dass die anderen Gäste des Diners keinen Blick lohnten. Sie richtete ihre Augen auf den Salzstreuer, ermittelte die exakte Menge Salz, die sich noch darin befand und verglich es mit dem Zucker, bevor sie auch das ausblendete.
Die Zahlen halfen nicht. Der Fall war noch ungelöst, der Täter hatte nichts zurückgelassen, das sie nutzen konnte, nicht einmal mit ihren besonderen Fähigkeiten. Nun hing sie mindestens einen weiteren Tag in diesem Kaff fest, sah Dinge an, die sie an ihre Kindheit erinnerten und an all die Sachen, die mit ihr nicht in Ordnung waren, wie ihre Mutter ihr ausführlich erklärt hatte. Währenddessen kämpfte vielleicht irgendwo eine Frau um ihr Leben, verlor es auf einem leeren Parkplatz oder am Straßenrand.
„Wenn es dir hier nicht gefällt, gehen wir morgen woanders hin“, sagte Shelley, versuchte, Zoe strahlend anzulächeln. „Irgendwohin, wo es nicht so kleinstädtisch ist. Vielleicht können wir uns was ins Motel kommen lassen.“
Zoe sah auf. Erneut hatte Shelley sie mit ihrer Einfühlsamkeit überrascht.
„Es ist völlig in Ordnung hier. Es tut mir leid, wenn ich ungesellig bin. Ich hatte gehofft, wir könnten diesen Fall schnell lösen und nach Hause fliegen. Ich möchte nicht, dass noch mehr Leute sterben.“
„Ich auch nicht.“ Shelley zuckte mit den Schultern. „Wir schaffen es schon noch. Es ist übrigens in Ordnung. Du musst bei mir nicht dein Kundendienstgesicht aufsetzen. Ich merke, dass du dich hier nicht wohl fühlst.“
„Ich möchte nicht, dass meine eigenen Probleme uns von dem Fall ablenken“, sagte Zoe und verzog den Mund. „Ich nehme an, ich habe mich hängen lassen.“
Shelley lachte. „Ich arbeite erst seit kurzem mit dir, Z, aber ich kann allmählich die Zeichen erkennen. Es gibt einen Unterschied, ob du ruhig bist, weil du, na ja, du bist, oder ob du ruhig bist, weil du dich nicht wohl fühlst.“
Zoe sah auf ihren Kaffee hinunter, schüttete ohne Nachmessen exakt einen Teelöffel Zucker aus dem Streuer hinein und rührte ihn um, achtete sorgfältig darauf, ihren Löffel nicht an die Ränder der Tasse klirren zu lassen. „Es erinnert mich hier zu sehr an zu Hause.“
„Ich will dich nicht bedrängen. Ich habe gemeint, was ich gesagt habe – du musst mir nichts darüber erzählen“, sagte Shelley, nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, den sie schwarz trank. „Aber du kannst. Wenn du möchtest.“
Zoe zuckte mit den Schultern. Wie viel sollte sie erzählen? Sie hatte ihre Meinung nicht geändert, wollte die Details, außer vielleicht im Gespräch mit der Therapeutin, für sich behalten. Aber ihre Probleme beeinträchtigten ihre Arbeit und Shelley verdient es, den Grund dafür zu erfahren. Zumindest einen kleinen Teil des Grunds. „Meine Mutter war manipulativ“, sagte sie schlicht. Es war wohl besser, den Teil wegzulassen, in dem sie sie beschuldigt hatte, eine Teufelsbrut zu sein. „Mein Vater sah nur zu, wenn überhaupt. Als Teenager ließ ich mich gerichtlich für mündig erklären.“
Shelley pfiff leise. „Es muss schrecklich gewesen sein, wenn du so weit gehen musstest, um ihnen zu entkommen.“
Zoe zuckte erneut mit den Schultern. Sie nippte an ihrem Kaffee, spürte das leichte, durch die Hitze verursachte Unbehagen, stellte ihn vorsichtig wieder auf den Tisch. Sie war nie gut darin, über sich selbst zu reden. Bei den wenigen Malen, die sie es als Kind versucht hatte, hatte ihre Mutter deutlich gemacht, dass die von ihr gefühlten und wahrgenommenen Dinge nicht normal waren.
„Ich hoffe, ich werde nie so“, seufzte Shelley. „Oder nur annähernd so. Ich möchte eine gute Mutter sein. Natürlich werde ich nicht so oft zu Hause sein, wie ich könnte. Aber ich möchte es trotzdem gut machen.“
Zoe betrachtete Shelleys Miene, nachdenklich und abgelenkt. „Du hast Kinder?“
„Eins.“ Shelley lächelte, ihr Gesicht belebte sich mit Wärme. „Meine Tochter.“
„Wie heißt sie?“
„Amelia. Es war schwer, zuerst das Training zu absolvieren und dann mit der Arbeit zu beginnen. Ich beschloss nach meinem Mutterschutzurlaub, den Beruf zu wechseln. So sehr ich denke, dass ich meine Berufung gefunden habe, war es doch schwer, sie zu Hause zurückzulassen.“
„Kümmert dein Partner sich um sie?“ fragte Zoe.
„Meine Mutter. Wenigstens tagsüber. Mein Ehemann hat einen Bürojob, von neun bis fünf. Er ist an den Wochenenden immer für sie da.“ Shelley seufzte. „Wir brauchen beide Einkommen.“
Zoe sah sie lange an. Sie senkte den Blick wieder auf ihre Tasse. „Ich glaube nicht, dass du ein schlechter Elternteil sein könntest“, sagte sie schließlich. „Du wirst nie so sein wie meine Mutter.“
„Danke.“ Shelley lächelte. Die Erleichterung in ihrer Miene war greifbar. „So etwas musste ich jetzt hören.“
Zoe dachte an Shelleys kleines Mädchen und die Tatsache, dass jedes der Opfer einmal eine Mutter gehabt hatte; bekämpfte den Drang, zurück in die Nacht hinauszugehen und die Suche nach dem Killer fortzusetzen. Sie würde niemandem eine Hilfe sein, wenn sie nicht genug Schlaf bekam, um klar zu denken, nicht genug Nahrung, um bei Kräften zu bleiben. Das war es, was heute Abend, während sie keine richtigen Spuren hatten, wichtig war.
Irgendwie ließ die Tatsache, dass Shelley eine Mutter war und ihr ihre kleine Familie viel bedeutete – genug, um sich solche Sorgen um sie zu machen – sie in Zoes Achtung steigen. Das Mitleid, das sie für die Opfer und ihre Familien gezeigt hatte, war nicht gespielt. Shelley trug echtes Mitgefühl in sich. Es war etwas, von dem Zoe gerne mehr hätte. Vielleicht war Shelley genau die Partnerin, die sie brauchte.
Besonders wenn sie morgen früh der Familie eines weiteren Opfers gegenübertreten und ihnen erklären musste, warum sie den Killer nicht geschnappt hatte.
Kapitel zehn
Rubie kam wieder zu Bewusstsein, die Welt rückte wieder in ihren Blick. Erde unter ihrem Gesicht. Gras, kurze und scharfe Halme, unangenehm unter ihrer Wange. Sie bewegte die Augen, sah die Lichter der Stadt in der Entfernung und dann um sich herum die Bäume, dunkel und hoch, ihren Blick nach rechts und links blockierend.
Sie musste in die Wälder gestolpert sein. Sie erinnerte sich kaum. Sie hatte sich nur auf das Blut konzentrieren können, welches heiß und nass ihren Körper hinunterströmte.
Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Es war immer noch dunkel, immer noch kalt und sie lebte immer noch. Sie presste mit einer sparsamen Bewegung die Hand auf ihren Hals, spürte immer noch Flüssigkeit. Nicht lange also. Wenn sie lange geblutet hätte, wäre sie tot.
Rubies Ohren nahmen ein nahes Geräusch auf und instinktiv verlangsamte sie ihr Atmen, versuchte bewusst, nicht laut auszuatmen. Umso langsamer sie atmete, desto weniger Blut pulsierte aus ihrem Nacken. Der Schnitt war so tief, dass die Luft durchrauschte. Sie presste ihre Hände fester auf die rot-heiße Linie des Schmerzes, versuchte, es alles drinnen zu behalten.
Schritte. Es waren seine Schritte. Langsam, vorsichtig, ein Fuß nach dem anderen. Kein Stolpern durch die Wälder, sondern sogfältige Bewegung. Suchend. Sie suchend.
Wilde Angst durchfuhr sie und sie kämpfte darum, ihr Atmen unter Kontrolle zu behalten, so leise wie möglich zu bleiben. Er kam näher, bewegte sich direkt auf sie zu. Oh Gott, wenn er sie nun fand. Oh Gott, dann wäre es vorbei.
Rubie hielt ihren Hals fest umklammert, sah jedes Mal Sterne, wenn ihr Griff abrutschte und die Wunde sich wieder öffnete, einen weiteren Blutschwall herausstieß. Jeder Teil ihres Körpers wollte sich der wartenden Dunkelheit ergeben, wieder in die süße Ahnungslosigkeit der Bewusstlosigkeit sinken. Aber sie wusste es. Rubie wusste, dass sie nie wieder nach oben kommen würde, wenn sie nun nach unten sank.
Die Schritte waren so nah, dass sie den Atem nun ganz anhielt. Sie blieb starr, so starr wie sie konnte, bis die einzige Bewegung ihres ganzen Körpers das Blut war, das bei jedem Herzschlag aus ihren Hals gepumpt wurde. Sie wartete. Wie lange konnte sie den Atem anhalten, bis sie ein weiteres Geräusch machen musste? Was, wenn er sie sehen konnte? Wie lange würde es dauern, bis er sie tötete?
Die Schritte bewegten sich weiter und als Rubie begriff, dass sie an ihr vorbeigingen, in eine andere Richtung, tiefer in die Wälder, ächzte sie endlich einen Atemzug heraus. Ihr Körper aktivierte sich wieder, all die Schmerzen überfluteten sie, erinnerten sie an die kalte Erde und die kalte Luft und die Wärme, die mit jedem Pulsschlag aus ihrem Körper sickerte.
Wenn sie das Bluten stoppen konnte, hatte sie eine Chance. Sie konnte hier herausstolpern, sogar kriechen, wenn sie musste. Es war noch lange bis zum Tagesanbruch, eine lange Zeit, bevor er den Vorteil der Sonne hatte, um sie zu entdecken. Sie konnte bis dahin in der Stadt sein, im Krankenhaus, sicher aufgehoben. Sie konnte es hinausschaffen. Sie war stark genug.
Wenn sie nur das Bluten stoppen konnte.
Rubie versuchte, zu denken, zwang ihr stumpfes eingefrorenes Hirn zur Aktivität. Ein Verband – das war es, was sie brauchte. Ihre Hände waren durch das Blut glatt und vom Blutverlust schwach. Sie konnte die Wunde nicht ausreichend zuhalten. Ein Verband würde sie zusammenhalten.
Aber wo würde sie einen Verband herbekommen?
Kein medizinischer Verband – es konnte alles sein. Ein Stoffstreifen. Isolierband. Sie hatte das in einem Film gesehen. Heftklammern sogar. Nein, keine Heftklammern oder Isolierband – nachdenken. Nachdenken. An etwas denken, auf das sie tatsächlich Zugriff hatte.
Kleider! Ihre Kleider! Sie waren aus – aus Stoff gemacht. Was trug sie? Jeansshorts – deshalb waren ihre Beine so kalt. Ein enganliegendes und kleines T-Shirt. Das Einzige, das sich zwischen ihrem Bauch und dem kalten Boden befand. Eine Kapuzenjacke mit Reißverschluss, die Kapuze in ihrer Nackenbeuge, sie dort warmhaltend.
Ihre Tasche! Sie hatte einen Schal in ihrer Tasche – aber sie war – nein – noch im Auto …
Okay, nachdenken. Alles was sie hatte, waren die Kleider, die sie trug. Das T-Shirt – der Stoff war dünn. Vielleicht einfacher zu zerreißen? Sie konnte ihn zerreißen, einen ganzen Streifen vom unteren Ende abmachen. Das taten sie doch in den Filmen, richtig? Es einfach mit den Händen abreißen.
Rubie sammelte ihre verbliebene Kraft, nahm eine Hand von ihrem Nacken und drückte sich vom kalten Boden ab. Feuchte Erde drückte sich zwischen ihren Fingern hoch, in die Zwischenräume, bevor sie sich endlich bewegte. Langsam und dann, als die Schwerkraft ihr half ganz schnell und plötzlich, fiel sie auf ihren Rücken. Der Aufprall ließ sie vor und zurück schaukeln, presste die Luft aus ihrem Körper.
So. Ein Schritt weiter. Nun lief das Blut nach hinten, tröpfelte ihren Nacken hinunter in Richtung ihrer Haare und sie hatte das Gefühl, dass sie einen Moment loslassen konnte, um nach dem Stoff ihres T-Shirts zu greifen.
Sie zog und zerrte, aber sie hatte ihre normale Kraft nicht mehr. Ihre Bewegungen waren wirkungslos, ihre Hände rutschten und der Stoff glitt aus ihren eiskalten Fingerspitzen.
Nachdenken, Rubie, nachdenken.
Die Nähte – die waren die Schwachstellen.
Sie tastete nach der Seitennaht, fand sie endlich und nahm je eine Seite in ihre Hände. Sie griff und zog, holte tief Luft und legte alles hinein, was sie hatte – und die Naht riss, die einzelnen Nähte platzten auf und lösten sich mit einem Geräusch wie ein Klettverschluss.
Rubie hätte am liebsten geweint. Sie hatte es geschafft. Aber das war nur der erste Schritt.
Schritt.
Sie hörte es – seine Schritte.
Sie wurden lauter.
Er kam zurück.
* * *
Er jagte ihr unerbittlich nach, mit einer Energie, die von Flammen der Wut und des Ärgers gleichermaßen befeuert wurde. Das war nicht der Plan. Sie ruinierte den Plan.
Das dumme Mädchen hatte da sterben sollen, wo er sie erwischt hatte, wo es vorgesehen war. Warum hatte sie weglaufen müssen? Und dazu noch in die Wälder?
Es war dunkel, aber er wollte nicht riskieren, die Taschenlampe auf seinem Handy anzumachen. Wenn er das tat, wurde er vielleicht von der Straße aus gesehen. Jemand konnte dann sein Auto identifizieren und die Polizei würde sich auf ihn stürzen, Fahndungsaufrufe und Straßensperren und Strafregistersuchen. Er hatte die Autoscheinwerfer und den Motor abgeschaltet, es im Dunkeln stehen lassen, wo hoffentlich niemand vorbeikam.
Aber das Mädchen war ein größeres Risiko als ein Fahrer oder Beifahrer, der zufällig zur Seite sah und sein Auto entdeckte. Sie würde das Muster ruinieren, wenn sie entkam, aber es ging um mehr als das. Sie kannte sein Gesicht. Sie würde sein Auto beschreiben können. Vielleicht hatte sie sogar einen Blick auf die Nummernschilder werfen können, bevor sie einstieg.
Wenn sie es aus den Wäldern und zu den Behörden schaffte, würden sie ihn in kürzester Zeit finden.
Er ging mit einem ständig ansteigenden Gefühl der Verzweiflung durch die Bäume, ein Knurren stieg in seiner Kehle hoch, während er sich immer weiter von der Straße entfernte. Er konnte nichts sehen. Die Blutspritzer auf dem Boden in der Nähe des Autos waren ermutigend gewesen, aber hier draußen drang das Mondlicht nicht durch die Äste und er konnte der Spur nicht länger folgen.
Er wusste, dass er sie erwischt hatte – aber wie sehr? Wenn es nur eine oberflächliche Wunde war, konnte sie es den ganzen Weg bis zur Stadt schaffen. Vielleicht, bevor er sie fand. Falls er sie je fand. Vielleicht war sie schon auf halbem Wege dort.
Er hielt an, stand still, horchte auf das Schwanken und Rascheln der Bäume in der leichten Brise, die hindurchstrich. Es war hoffnungslos. Wenn nicht irgendein Wunder geschah, würde er sie nicht rechtzeitig finden. Es würde alles vorbei sein.
Da – was war das für ein Geräusch? Er wirbelte herum, sein Herzschlag beschleunigte sich, hämmerte so laut in seinen Ohren, dass er Sorge hatte, er würde weitere Hinweise übertönen.
Er bewegte sich in die Richtung aus der es gekommen war, schneller jetzt, gab Sorgfalt zugunsten von Schnelligkeit auf. Was war es gewesen? Ein reißendes Geräusch, dachte er, wie sich auftrennender Stoff. Kein Tiergeräusch. Kein Vogel oder Eichhörnchen oder sonst etwas – ein Mädchen.
Er bewegte sich blind in der Dunkelheit fort, sah nur, was direkt vor ihm lag, hielt seine Hände vor sich ausgestreckt, damit er nicht gegen einen Baum laufen würde, während er sich auf den Boden zu seinen Füßen konzentrierte. Da – war das ein Blutspritzer?
Er warf einen Blick hinter sich auf die Straße und zögerte, wägte das Risiko ab. Er schaltete den Bildschirm seines Handys ein, benutzte nur dieses schwache Licht und hockte sich hin. Ja – Blut! Er bewegte das Licht, folgte ihm vorwärts, neigte es auf und ab, bis –
Das Licht traf auf ihren Körper, leuchtete in ihren Augen, glänzte in den nassen Lachen um sie herum und dem Tröpfeln, das immer noch aus ihrem Hals kam.
Er lächelte endlich und eilte vorwärts, hockte sich über sie, vermied es sorgfältig, in das Blut zu treten.
Sie atmete immer noch. Aber es war flach und leise, ihre Augen wurden bereits glasig. Ihre Hände, die am Saum ihres zerrissenen T-Shirts lagen, waren blutig und zitterten, ein kurzes Schaudern, das sie durchlief. Sie starrte zu ihm hinauf, ob mit Begreifen oder nicht konnte er nicht sagen.
Um sie herum war überall Blut. Überall auf ihr. Sie war darin getränkt. Es war ihm gelungen, tief zu schneiden, bevor sie ihn geschlagen hatte und entkommen war. Es quoll immer noch aus dem tiefen Schnitt an ihrem Hals.
Ihre Hände beruhigten sich. Er beugte sich vor, über sie, näher und näher, bis sein Gesicht nur noch Zentimeter von ihrem entfernt war. Er konzentrierte sich, hielt seinen eigenen Körper ruhig, blieb so still wie er konnte.
Sie atmete nicht mehr.
Sie war ausgeblutet, endlich.
In einer Sekunde wollte er siegestrunken schreien, in der nächsten vor Zorn explodieren. Das war falsch – alles falsch. Sie war am falschen Ort gestorben! Die Schlampe hatte alles ruiniert – alles! Das Muster war zerbrochen, falsch, zerstört!
Er stand da und trat gegen den Körper. Als er sie in die Seite traf, gab es ein befriedigendes dumpfes Geräusch, das ihn an den Laut erinnerte, den Fleisch machte, wenn es mit einem Fleischklopfer geschlagen wurde.
Nicht befriedigend genug allerdings, angesichts der Tatsache, dass sie sein Muster zerbrochen und alles zerstört hatte, für das er gearbeitet hatte.
Er trat schweratmend einen Schritt zurück und ließ seine Augen über die Szenerie gleiten, während er das Licht des Handys nutzte, sie zu untersuchen. Wegen des Blutes musste er etwas tun. Es gab im Moment zu viele Spuren, zu viele Zeichen, die den Ermittlern die Richtung vorgaben.
Aber – was war das…? Jetzt, da er genauer hinsah … ja, sie musste weggerollt sein, sich von dem Ort, an dem sie ursprünglich hingefallen war, weggeschoben haben. Und da, in fast perfekter Symmetrie erblühend, war das Blut aus ihrem Hals getropft. Es war … wunderschön. Nein, nun, da er noch genauer hinsah, war es symmetrisch, eine perfekte Blüte, wie ein Rorschachbild.
Ein Muster.
Sein Atem begann sich zu verlangsamen, gleichmäßiger zu werden, zusammen mit der Geschwindigkeit seines rasenden Herzens. Hier war ein Muster, sogar jetzt. Ein Muster, das ihm zeigte, dass alles in Ordnung war.
Das Mädchen hatte nicht alles ruiniert. Nein, das hier war nur eine kleine Abweichung vom Plan. Er hatte den Mord trotzdem genau dort begangen, wo er es geplant hatte. Sie war weitergerannt, aber sie war bereits von dem Moment an tot gewesen, als sein Draht sich um ihren Hals geschlungen hatte – wie ein Huhn, der Körper bewegte sich noch, nachdem der Kopf ab war.
Das Muster war noch intakt.
Es war wie bei dem alten Mann, demjenigen, den sie noch nicht gefunden hatten, oben bei dem Farmhaus, wo ihn tagelang niemand gesehen hatte. Er hatte auch versucht, wegzurennen. Letztlich hatte es nichts geändert. Das Muster begann dort und hier konnte es sich fortsetzen. Wie göttliche Fügung, die ihn auf dem richtigen Weg hielt und ihm erlaubte, seine Arbeit vollständig umzusetzen.
Sein Moment des Jubels war kurz. Nun, da er wusste, dass alles in Ordnung sein würde, gab es Schritte, die er unternehmen musste. Das Muster würde sich fortsetzen und das bedeutete, dass er keine Spuren hinterlassen durfte, die sie finden und verwenden konnten, um ihn zu stoppen, bevor er die Tötung des nächsten Tages vollendet hatte – oder die am Tag danach, oder dem Tag nach jenem.
Das Erste war die Blutspur. Wenn er das erledigen konnte, konnte er wegfahren, bevor die Sonne aufging und niemand würde etwas merken.
Er richtete sich auf, schob die Schultern zurück, rotierte sie in Richtung seiner Wirbelsäule. Es war wieder körperliche Arbeit zu erledigen, was ihm überhaupt nichts ausmachte. Er säuberte die Szene, sorgte dafür, dass nur noch das Muster übrigblieb. Alle Spuren von sich selbst zu entfernen war wie das Zurücktreten eines Künstlers, der sein Gemälde für sich selbst sprechen ließ. Es war ein Akt ohne Ego, eine Wiederholung seiner Hingabe an das Muster, seinen Glauben, dass es größer war als er selbst.
Er fand einen abgestorbenen Ast in der Nähe, die Zweige und Blätter hingen gerade noch daran, er war erst kürzlich abgebrochen. Perfekt, um die Spuren von einem Tatort wegzuwischen. Er hob ihn hoch und begann, eine seiner eigenen Fußabdrücke um die Leiche herum wegzufegen, achtete darauf, rückwärts zu gehen, ihrer Spur zu folgen.