Kitabı oku: «Getönte Fenster», sayfa 3
KAPITEL VIER
Chloe stürzte sich auf die Informationen in den Unterlagen zum Fall, sobald sie diese erhalten hatte. In dem Moment konnte sie es noch nicht sehen, aber sie wandte sich dem Fall auf dieselbe Art und Weise zu, wie ein Alkoholiker zur Flasche griff. Sie versuchte die Realität dessen, was sie und Danielle getan hatten, zu verdrängen. Sie hatte das Gefühl, dass wenn sie es unter ihrer Leidenschaft für die Arbeit begraben könnte, sie fähig wäre es nach einer gewissen Zeit ganz auszulöschen.
Die Reise, die ihnen bevorstand, führte in die ziemlich kleine Stadt Pine Point in Virginia. Sie lag um die fünfzehn Kilometer von Winchester entfernt und hatte eine Bevölkerung von weniger als zehn Tausend Menschen, die hauptsächlich aus reichen Familien bestand, was den Fall allen anderen Fällen ähneln ließ, an denen Chloe und Rhodes bisher gearbeitet hatten. Der Unterschied hier war allerdings, dass beide Opfer männlich waren. Soweit Chloe es den Polizeiberichten entnehmen konnte, gab es nichts Außergewöhnliches oder Einzigartiges an den Morden. Es schien, dass die Männer in beiden Fällen ziemlich brutal zu Tode geprügelt worden waren und dass sie auf den ersten Blick nichts miteinander verband.
„Na, schon müde von diesen Nobelnachbarschaften?“, fragte Rhodes von hinterm Steuer. Chloe, die die Berichte auf ihrem Tablet durchlas, schaute von deren Inhalten auf und hinaus aus dem Fenster. Seltsamerweise waren sie bereits angekommen. Pine Point war von DC nur ungefähr eineinhalb Fahrtstunden entfernt und diese waren schnell vergangen.
„So langsam“, gab Chloe zu. „Du musst aber zugeben… diese Vertrautheit ist schon ziemlich nett, oder?“
„Ja, ich nehme an, du hast recht. Aber die Berichte für diesen Fall…lassen mich denken, dass dieser hier am Ende darauf hinauslaufen wird, dass irgendein muskelprotzendes Arschloch seine Aggressionen an denen rauslässt, die seiner Meinung nach entweder unter ihm stehen oder eine Bedrohung für ihn darstellen.“
Daran hatte Chloe auch kurz gedacht, aber sie war sich nicht zu sicher. Jemand, der aus diesen Gründen mordete, hätte wahrscheinlich kein Problem damit eine Kugel durch den Schädel seiner Opfer zu jagen oder ihnen die Kehle aufzuschlitzen. Zwei verschiedene Male einen anderen Menschen brutal zu Tode zu prügeln schien auf etwas ein wenig Düstereres hinzudeuten.
Es mussten noch andere Sachen geklärt werden, aber ihr Gehirn war wie in einer Art Nebel. Es gab einige Fragen, die sie Rhodes stellen wollte – Fragen, die ihr helfen könnten zu verstehen, was Johnson und die anderen beim FBI tatsächlich dachten, wenn es um die Frage ging, womit sie ihrer Schwester wirklich geholfen hatte. Sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, ob sie mehr wussten, als sie zugaben, aber nicht genügend Beweise hatten, um sie tatsächlich zur Rede zu stellen. Was die größte Paranoia bei Chloe auslöste, ware aber die Tatsache, dass Johnson absolut bereit gewesen war Rhodes alleine auf diesem Fall anzusetzen.
„Kann ich dich etwas fragen, Rhodes?“, fragte sie.
„Natürlich.“
„Hast du irgendetwas von einer internen Ermittlung wegen meines Vorgehens in Verbindung mit meiner Schwester gehört?“
Sie versuchte Rhodes Reaktion abzupassen, aber ihre Partnerin verzog keine Miene. Nach einigen Sekunden schüttelte sie den Kopf: „Das glaube ich nicht. Ich weiß, dass es Fragen gegeben hat wegen deines Vaters und der Entführung deiner Schwester, aber ich habe nichts von einer internen Ermittlung gegen dich und deine Handlungen gehört.“ Sie zögerte einen Moment lang und zuckte dann mit den Schultern. „Wenn du dir Gedanken machst, wieso Johnson dich nicht sofort mit mir zusammen auf diesen Fall angesetzt hat, würde ich da nicht zu viel hineinlesen. Ich kann mir vorstellen, dass er einfach nur Rücksicht auf dein psychisches Wohlbefinden genommen hat.“
„Vielleicht.“
„Nun…lass mich dir eine Frage stellen“, sagte Rhodes. „Und bitte versteh das nicht falsch. Es bleibt nur unter uns beiden, aber ich muss es wissen. Gibt es etwas, das ich wissen sollte? Gibt es etwas zu ermitteln?“
„Nein“, sagte Chloe. Sie befürchtete, dass sie zu schnell und etwas zu aggressiv geantwortet hatte.
„Ich musste fragen“, sagte Rhodes. „Wir arbeiten zusammen und so. Ich kann nicht behaupten, dass ich verstehe, was du durchmachst, deshalb werde ich dich nicht bevormunden. Aber ich muss einfach nur wissen, dass du in der Lage bist zu arbeiten. Im Nachhinein hätte ich das wahrscheinlich fragen sollen, bevor du dich bereit erklärt hast mir bei dem Fall zu helfen, aber du weißt wie es läuft.“
„Ich bin in Ordnung.“
Das stimmte weitestgehend, doch nun konnte Chloe nicht anders, als sich zu fragen, ob sich hinter Rhodes Fragen ein anderweitiges Motiv verbarg. Hatte Johnson mit Rhodes gesprochen, bevor sie DC verlassen hatten und sie gebeten, Informationen aus Chloe herauszubekommen? Es sah Rhodes nicht ähnlich tiefgründige, persönliche Fragen zu stellen. Sie blieb normalerweise recht oberflächlich und tauchte nicht zu tief ein. Solch offenkundige Neugierde sah ihr nicht ganz ähnlich.
„Gut“, sagte Rhodes. „Und ich hoffe, dass du weißt, dass wenn du jemals darüber sprechen möchtest, um es zu verarbeiten oder so, dass ich eine gute Zuhörerin bin.“
„Danke“, sagte Chloe, obwohl die Bemerkung sie noch misstrauischer stimmte.
Die zwei Frauen wurden still, als das Navigationssystem auf Rhodes‘ Handy sie anwies in einem Kilometer abzubiegen. Hinter dieser Kurve lag ihr Ziel, der Tatort des zweiten Mordes.
***
Wie sie vor ihrer Abfahrt ausgemacht hatten, erwarteten sie dort zwei Polizisten aus dem örtlichen Präsidium. Ihr Wagen war am Straßenrand in ein paar Metern Entfernung von einer Kreuzung geparkt. Die eine Polizistin, eine sehr große, rothaarige Frau, lächelte ihnen zu und zeigte auf die Parklücke direkt hinter ihrem Dienstwagen. Rhodes parkte dort ein und sagte: „Die hier macht bereits den Eindruck, als würde sie andere gerne herumkommandieren.“
Chloe und Rhodes stiegen aus dem Auto und gingen zu den beiden Polizisten rüber. Die große Frau begrüßte sie zuerst, ihr Lächeln breit und auffällig schön. Der zweite Polizist war ein afro-amerikanischer Mann, um die vierzig Jahre alt. Er sah aus wie jemand, der genau wusste, dass er immer im Schatten seiner Partnerin arbeitete. Als er Chloe und Rhodes die Hand gab und sich als Officer Benson vorstellte, tat er dies mit einem missmutigen Lächeln.
Der Name der großen Rothaarigen war Anderson, und sie sprach mit einem kleinen südstaatlichen Akzent. „Gut, Sie kennenzulernen“, sagte sie und zog die Worte charakteristisch in die Länge, wie es die Bewohner des südlichen Teils der USA taten. Chloe fragte sich, ob sie die Art Mensch war, die den Ausdruck alle Mann verwendete.
„Also“, sagte Anderson, „es ist eine ziemlich einfache Angelegenheit. Ein Kerl namens Viktor Bjurman wurde letzten Abend hier am Straßenrand gefunden. Zwei Teenager auf Fahrrädern haben ihn entdeckt. Das Blut sprudelte immer noch aus ihm heraus. Er wurde sofort für tot erklärt, sobald der Krankenwagen hier angekommen war. Der letzte Bericht von heute morgen legt dar, dass es mehrere Ursachen gibt: stumpfe Gewalteinwirkung im Schädelbereich, eine gebrochene Rippe, die sich hochgeschoben hatte und sein Herz durchstach, ein beinahe komplett zertrümmerter Brustkorb und Brustbein, eine kollabierte Lunge. Suchen Sie sich was aus.“
„Irgendeine genaue Vorstellung davon, welche Waffe verwendet wurde?“, fragte Chloe.
„Alle nehmen an, dass es ein Schlagstock war“, sagte Anderson. „Der Gerichtsmediziner ist sich beinahe sicher, hat aber gesagt, dass wenn es ein Schläger war, so war der aus Aluminium. Bjurman wurde mit solch einer Kraft geschlagen, dass ein hölzerner Schläger Splitter hinterlassen hätte.“
„Gibt es irgendeine Verbindung zwischen Bjurman und dem ersten Opfer?“, fragte Rhodes.
„Keine, die wir finden konnten“, sagte Benson. „Das erste Opfer – ein Kerl namens Steven Fielding – wurde bei sich zuhause gefunden. Seine Frau entdeckte ihn ausgestreckt auf dem Wohnzimmerboden liegend.“
„Zunächst machte es den Eindruck eines schiefgegangenen Einbruchs“, sagte Anderson. „Jemand war eingebrochen, hat den Kerl vermöbelt, der zufällig zuhause war und ein paar Sachen mitgenommen. Doch bisher konnte die Ehefrau keinen einzigen Gegenstand benennen, der verschwunden wäre. Also sieht es danach aus, dass wenn es ein Einbruch gewesen ist, dann nur, um Fielding zu ermorden.“
„Die Berichte legen nahe, dass der erste Mord nicht so brutal gewesen ist, wie dieser zweite hier, richtig?“, fragte Chloe.
„Kommt drauf an, wie man Brutal definiert“, sagte Anderson. „Er wurde auf den Kopf und ins Gesicht mit etwas hartem geschlagen – mit etwas was möglicherweise auch ein Aluminiumschläger war. Fieldings Nase war bis zur Unerkennbarkeit zertrümmert. Das Ekeligste, was ich je gesehen habe.“
„Aber auf der anderen Seite“, sagte Benson, „wurde Bjurmans Gesicht offensichtlich gar nicht getroffen, obwohl es gleichzeitig einen starken Schlag auf den Hinterkopf gegeben hatte, der eine Delle hinterließ.“
Chloe ging ein paar Schritte vor und schaute zum Fleck auf dem Gehsteig, der offensichtlich Viktor Bjurmans Todesplatz gewesen war. Das getrocknete Blut war immer noch zu sehen, obwohl es offensichtlich war, dass die Stadtreinigung ihr Bestes getan hatte, um es zu beseitigen.
„Gibt es irgendetwas Besonderes an dieser Kreuzung?“, fragte sie.
„Überhaupt nicht“, sagte Benson. „Sie ist genau wie jede andere Ecke in dieser Stadt.“
Chloe ging zum Ende der Straße und schaute rechts um die Ecke. Wenn Bjurmann tatsächlich hier auf der Straße angegriffen worden war, musste der Angreifer sich hier versteckt haben. Das war ziemlich einfach, dachte sie. Es gab keine Ampeln, nur ein Stoppschild. Vor dem Schild stand jedoch eine riesige Eiche, die ihre Eicheln über den gesamten Boden verteilt hatte. Die Eiche war von verwelkenden Büschen umgeben. Aber auch ohne die Blätter gab es mehr als genug Gelegenheit, sich in der Hocke dahinter zu verstecken.
„In den Berichten steht, dass Bjurman eine Art Sporttrainer war“, sagte Chloe. „Wissen Sie welcher Art?“
„Ja, er war mehr so ein Fitness Coach und kein Trainer in dem Sinn“, sagte Anderson. „Hat drüben in einem privaten Fitnessstudio gearbeitet, hat aber auch Hausbesuche gemacht.“
„Was ist das für ein Fitnessclub?“
„Fulbright Fitness. So ein super teurer Schuppen, der Yoga, Schwitzkabinen und solche Sachen anbietet.“
„Und was ist mit Fielding?“, fragte Rhodes. „Was machte der beruflich?“
„Tagsüber – Autohändler, Bartender bei Nacht“, sagte Anderson.
Chloe gab ihr Bestes, sich nicht von ihren privaten Problemen ablenken zu lassen, aber bisher hatte sie Schwierigkeiten eine Verbindung zwischen den beiden Männern und der Art, wie sie ermordet worden waren, zu sehen. Für sie drängte sich der Schluss auf, dass es sich hier überhaupt nicht um eine Serie handelte. Doch selbst wenn das stimmte, blieb die Tatsache, dass hier zwei Männer auf brutale Art ermordet worden waren.
„Das erste Opfer wohne nicht hier in Pine Point, richtig?“, fragte Chloe.
„So gut wie“, sagte Benson. „Er lebte bloß einige Kilometer weiter draußen, in der Nähe von Winchester. Kleines Städtchen namens Colin.“
Ein weiteres Indiz gegen eine vermeintliche Serie, dachte Chloe.
„Hat irgendjemand bereits mit Bjurmans Ehefrau gesprochen?“, fragte Rhodes.
„Ja, das wäre ich“, sagte Anderson. „Komische Situation. Sie war natürlich sehr traurig, aber nicht so entsetzt, wie man es erwarten würde.“
„Irgendeine Idee, warum?“, fragte Chloe.
„Nichts, was sie mit mir geteilt hätte. Sie können gerne selbst mit ihr reden. Vielleicht können Sie mehr aus ihr rausbekommen, als ich es geschafft habe.“
Es schwang keine Verbitterung oder Verurteilung in dieser Aussage mit. Es schien, dass Anderson und Benson froh waren, dass das FBI gekommen war, um ihnen dieses Chaos abzunehmen. Die beiden standen untätig daneben, als Chloe und Rhodes ein paar Bilder vom Tatort machten, so als würden sie ungeduldig darauf warten, dass sich dieser Fall magisch in Luft auflöste.
KAPITEL FÜNF
Jenny Bjurman hatte augenscheinlich geweint, doch das konnte ihrer offenkundigen Schönheit wenig anhaben. Sie hatte eine zierliche Statur und die Art Figur, für die, wie Chloe annahm, die meisten Frauen bereit wären alles zu geben. Diese Figur war unter dem T-Shirt und der Leggings, die sie trug, als sie sie zu sich hineinbat, gut erkennbar. Es schien den Umständen entsprechend wie keine passende Kleiderwahl, doch Chloe nahm an, dass das die Art Kleidung war, die Jenny Bjurman zuhause trug, wenn sie nichts zu tun hatte. Ausgehend vom Äußeren der Frau fragte Chloe sich, wie attraktiv ihr Ehemann gewesen sein musste.
„Wir sind dankbar, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu sprechen“, sagte Chloe. „Wir wissen, dass die Polizei bereits mit ihnen gesprochen hat.“
„Es ist vollkommen in Ordnung“, sagte Jenny, während sie sich an ihren Küchentisch setzte und an einer Tasse Tee nippte. „Ich spreche mit jedem, der irgendwie helfen kann. Ich weiß nicht was ich sagen soll… was ich denken soll… ich weiß überhaupt… gar nichts mehr.“
„Vergeben Sie uns, wenn wir Sie Dinge fragen, die die Cops bereits gefragt haben“, sagte Rhodes. „Aber fällt Ihnen auch nur irgendjemand ein, der ihren Mann hätte tot wissen wollen?“
„Das ist genau die Sache“, sagte Jenny. „Alle liebten ihn. Ich weiß, wie abgedroschen das klingt, doch soweit ich weiß, stimmt es. Ich kann an keinen einzigen Wiedersachen denken, der er gehabt haben könnte.“
„Irgendjemand von der Arbeit?“, fragte Chloe. „Aus Fulbright Fitness, vielleicht?“
„Das bezweifele ich“, sagte sie. „Er hat mir normalerweise alles erzählt, was auf der Arbeit so passierte. Außerdem gingen alle seine Kurse in Fulbright über das Fitnessstudio, nicht über Viktor persönlich. Wenn es irgendwelche Beschwerden gegeben hätte, wären die direkt an das Fulbright Fitness Management gegangen.“
„Sie sagen, dass ihn alle geliebt haben. Kann ich also annehmen, dass er ein kontaktfreudiger Mann war?“
„Ja, sehr. Immer, wenn ein neues Geschäft eröffnete, bei jeder Gala, jeder offiziellen Veranstaltung war er mit dabei. Er war auch immer bereit jedem zu helfen. Er war die Art Mensch, der jemandem in der Not sein letztes Hemd geben würde.“
„Was ist mit den Hausbesuchen, die er machte?“, fragte Rhodes. „Kannten Sie jemanden von denen?“
„Ich kenne die meisten, ja. Viktor sagte mir immer Bescheid, wenn er einen neuen Klienten übernahm, denn die meisten von ihnen waren Frauen. Er war sehr offen und direkt, was das anging. Er wollte sicherstellen, dass ich Bescheid wusste, wann er bei einer anderen Frau zuhause sein würde. Ihre Ehemänner waren meistens auch dort, also war es keine große Sache.“
„Haben Sie eine Liste seiner Klientinnen?“
„Die habe ich nicht, aber wir haben eine gemeinsame Kontaktliste auf unseren Handys. Aber ich glaube, die Cops haben bereits mit den Leuten bei Fulbright Fitness gesprochen und eine Liste der Klienten mit Hausbesuchen bekommen.“
„Es wäre trotzdem hilfreich, wenn Sie uns die Namen und Nummern zur Verfügung stellen könnten“, sagte Chloe.
„Natürlich”, sagte Jenny. Als sie ihr Handy in die Hand nahm, das neben ihrer Teetasse gelegen hatte, fing sie leise an zu weinen. Sie starrte auf ihren Bildschirmhintergrund, ein Foto von ihr und einem Mann, von dem Chloe ausging, dass es ihr Ehemann war. Sie tippte ihre Pin ein und begann ihre Kontakte durchzugehen.
Sie gab ihnen nach und nach die Namen und Nummern von Viktors Klientinnen. Ihre Stimme brach bei jedem Mal ein bisschen mehr, während sie durch die Überbleibsel des Lebens ihres Mannes ging. Chloe begann inzwischen in Gedanken einige Verbindungen herzustellen, während Rhodes und sie die Liste der Kontakte mitschrieben. Beinahe alle Klienten, bei denen Viktor Hausbesuche machte, waren weiblich. Und wenn er genauso gutaussehend gewesen war, wie seine Frau, dann war sie sich ziemlich sicher, dass er sich ziemliche Mühe gegeben haben musste, um ihr treu zu bleiben.
Sie behielt das im Hinterkopf, während Jenny Bjurman weiter die Klientinnen aufzählte. Nach der siebten musste Jenny innehalten. Sie stieß das Handy gewaltsam von sich und brach auf dem Küchentisch zusammen, laut aufheulend.
Chloe hob das Handy langsam vom Boden auf und legte es zurück auf den Tisch. Als sie das tat, erhaschte sie einen Blick auf den Bildschirmhintergrund und erkannte, dass Viktor Bjurman tatsächlich ein sehr gutaussehender Mann gewesen war. Er und Jenny waren ein atemberaubendes Paar gewesen. Und obwohl sie ungerne so schnell zu diesem Schluss kam, musste Chloe sich fragen, wie ein so gutaussehender Mann in der Lage gewesen war bei so vielen Frauen ein- und auszugehen, ohne wenigstens einige Ehemänner zu verärgern.
***
Als Jenny wieder in der Lage war vernünftig zu sprechen, schaute sie durch Viktors Stundenplan und fand heraus, dass die letzte Klientin, bei der Viktor gewesen war, eine Frau namens Theresa Diaz war. Sie lebte in der Primrose Street, etwas weniger als einen Kilometer von dem Haus der Bjurmans entfernt.
Es war kurz nach Mittag, als Rhodes das Auto vor dem Haus der Diaz parkte. Es war ein hübsches kleines Haus, umgeben von Blumenbeeten. Die Doppelgarage stand offen, in der ein einziger SUV geparkt war. Die Agentinnen stiegen aus und Rhodes klingelte an der Tür. Es dauerte einige Momente, dann öffnete eine hübsche blonde Frau endlich die Tür. Auf eine gewisse Art war es beinahe wie ein Déjà Vu. Während sie Jenny Bjurman zumindest etwas ähnlich sah, gab es auch merkliche Unterschiede. Eine Sache, die beide Frauen gemeinsam hatten, war, dass sie beide geweint hatten – nur, dass Theresa Diaz ihr Bestes gegeben hatte, diese Tatsache zu verbergen.
„Hallo?“, fragte sie mit verwunderter Stimme.
„Mrs. Diaz, wir sind Agentinnen Fine und Rhodes vom FBI“, sagte Chloe. „Wir hofften, dass wir Ihnen einige Fragen über Viktor Bjurman stellen könnten. Ich nehme an, Sie haben gehört, was passiert ist?“
„Das habe ich. Und ja, kommen Sie rein.“
Theresa führte sie ins Innere des Hauses, welches klein, aber schön eingerichtet war. Leise Musik tönte von irgendwoher – ein sanftes, balladenartiges Lied, an das Chloe sich von vor ein paar Jahren erinnern konnte. Theresa führte sie in den Bereich, der als Wohnzimmer diente. Chloe würdigte still, dass es keinen Fernseher gab und dass alle Sessel einander zugewandt waren, was andeutete, dass die Diaz Familie sich mehr auf das Miteinander konzentrierte, als darauf, die derzeit angesagtesten und neusten Serien zu verfolgen.
„Wann haben Sie Mr. Bjurman zuletzt gesehen?“, fragte Rhodes.
„Gestern Abend. Er kam auf ein Pilates- und Bauchmuskeltraining vorbei.“
„Wann ist er gegangen?“, fragte Chloe.
„Ich erinnere mich nicht mehr an die genaue Zeit, aber das Training endete um 19 Uhr. Normalerweise ist er nach dem Training immer direkt aus der Tür. Daher würde ich sagen, nicht später als 19:05 Uhr oder so.“
„Bitte, verzeihen Sie, dass ich das frage“, sagte Chloe, „aber war ihr Ehemann zur Zeit des Trainings anwesend?“
„Nein.“ Sie hielt einen Moment inne, so als würde sie versuchen zu entscheiden, ob sie empört von der Anspielung in Chloes Frage sein sollte. Schließlich ignorierte sie diese und machte so gut es ging weiter. „Es ist zurzeit geschäftlich verreist. Er kommt erst in drei Tagen wieder. Aber mein Ehemann hatte Viktor kennengelernt und es gibt da nichts, woran man auch nur denken könnte.“
Sie war weder trotzig noch zornig. Ihr Ton war sogar sehr höflich. Trotzdem merkte Chloe, dass die Frau definitiv vor kurzer Zeit noch geweint hatte.
„Kannten Sie und Mr. Bjurman sich auch außerhalb Ihrer professionellen Bekanntschaft?“, fragte Rhodes. „Ich meine, würden Sie einander als Freunde bezeichnen?“
„Sicher. Wir lachten zusammen und alberten herum. Er blieb ab und zu sogar auf ein Glas Wein nach den Trainingseinheiten, aber nur wenn Mike – mein Ehemann – zuhause war.“
Chloe überlegte sich ihre nächste Frage genau. Theresa Diaz hatte ihren Mann in den letzten zwanzig Sekunden mehrere Male ganz explizit erwähnt. Sie hatte auch ihr Bestes gegeben, jegliche Anspielungen auf eine Affäre so höflich wie möglich zu unterbinden. Also wusste Chloe, dass es aus welchem Grund auch immer ein kitzliges Thema war. Daher war ihr auch klar, dass Theresa sie rausschmeißen würde, wenn sie das Thema weiter forcierte.
„Wie lange sind sie Mr. Bjurmans Klientin gewesen?“, fragte Chloe.
„Seit ungefähr einem Jahr. Er war sehr gut…“
Sie hielt inne, nahm sich etwas zusammen und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Es ist alles so unerwartet. Ich meine… ich habe ihn erst gestern Abend gesehen.“
„Es ist ok”, sagte Rhodes. “Da Sie einander ja von professioneller Seite her kannten, fällt Ihnen irgendjemand ein, der irgendetwas gegen ihn gehabt haben könnte?“
„Genau das ist es ja“, sagte Theresa. „Ich habe nie erlebt, dass er auch nur ein böses Wort zu irgendjemandem gesagt hätte. Und wenn wir schon dabei sind, habe ich auch nie gehört, dass irgendjemand schlecht von ihm gesprochen hätte.“
„Was hielt ihr Ehemann von ihm?“, fragte Rhodes. Chloe zuckte ein wenig zusammen und fragte sich, ob das die Frage sein würde, die ihren Rausschmiss bedeutete. Aber nein, Theresa nahm es gelassen oder übersah einfach das Spitzfindige an Rhodes‘ Frage.
„Mike kam gut mit ihm aus. Ich bin mal ganz ehrlich: ihm gefiel die Idee nicht, dass ein männlicher Trainer während seiner Abwesenheit zu uns nach Hause kommen würde. Doch als Mike Viktor kennenlernte, änderte sich das alles. Ich kann nicht deutlich genug sagen, wie charmant der Mann war. Jeder liebte ihn. Es macht überhaupt keinen Sinn für irgendjemanden, ihn zu ermorden.“
„Wissen Sie zufällig, ob er Klienten in der Stadt Colin hatte?“, fragte Chloe.
„Ich bin mir nicht sicher. Seine Ehefrau kann Ihnen das womöglich sagen.“
Mutig von ihr, Bjurmans Frau zu erwähnen, dachte Chloe. Hier liegt ganz sicher irgendeine Art Affäre vor, oder zumindest eine Anziehung.
„Machte Mr. Bjurman gestern Abend auch nur den geringsten Eindruck, dass er von etwas bekümmert oder besorgt war?“, fragte Chloe.
„Nein. Oder, wenn doch, dann hat er es sehr gut verbergen können. Ich… ich verstehe einfach nicht…“
Bisher schien das ein wiederkehrender Refrain zu sein. Und es belegte weiterhin, dass sie nichts Brauchbares von Theresa Diaz erfahren würden. Sie wusste, dass der nächste logische Schritt war, nach Colin zu fahren und zu sehen, was sie über den Mord von Steven Fielding herausbekommen konnten. Doch Chloe hatte das Gefühl, dass wenn sie das taten, sie die Spur des Mörders von Bjurman erkalten lassen würden, denn mit jedem Moment, der verstrich, wurde sie immer sicherer, dass die Morde miteinander nicht in Verbindung standen.
„Ich verstehe es einfach nicht“, sagte Theresa mit unsicherer Stimme und den Tränen nahe.
Dann sind wir schon mal zu zweit, dachte Chloe.
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