Kitabı oku: «Lockt », sayfa 4
KAPITEL SECHS
Riley fühlte ein starkes, erwartungsvolles Kribbeln, als der Sprecher vor die ungefähr 200 Rekruten trat. Der Mann sah aus, als gehöre er in eine andere Zeit, mit seinem schmalen Reverskragen, der schmalen schwarzen Krawatte und dem Bürstenhaarschnitt. Er erinnerte Riley an Fotos von Astronauten aus den 1960er Jahren. Er sortierte einige wenige Karteikarten, dann ließ er den Blick über sein Publikum schweifen, während Riley auf seine lobenden Worte wartete, mit denen er alle willkommen hieß.
Der Direktor der Akademie, Lane Swanson, hob auch beinahe ihren Erwartungen entsprechend an …
»Mir ist bewusst, dass Sie alle hart gearbeitet haben, um sich auf diesen Tag vorzubereiten.«
Mit einem halben Lächeln fügte er hinzu …
»Jetzt darf ich Ihnen allerdings sagen, dass Sie nicht vorbereitet sind. Keiner von Ihnen ist vorbereitet.«
Ein vernehmbares Raunen ging durch das Auditorium und Swanson machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.
Dann fuhr er fort: «Darum geht es in diesem zwanzigwöchigen Programm – Sie so gut wie möglich auf ein Leben bei der zentralen Sicherheitsbehörde der Vereinigten Staaten, dem FBI, vorzubereiten. Und ein Teil davon besteht darin, die Grenzen Ihrer Vorbereitung kennenzulernen: Wie man mit unerwarteten Dingen umgeht, wie man genau in dem Moment schnell überlegt, wo man gefordert ist. Denken Sie immer daran – die FBI-Akademie wird mit gutem Grund als ›West Point der Strafverfolgung‹ bezeichnet. Wir haben hohe Standards. Nicht alle von Ihnen werden sie erreichen. Aber diejenigen von Ihnen, die sie erreichen, werden für die Aufgaben vorbereitet sein, die vor Ihnen liegen – so gut man nur hoffen kann.«
Riley hing wie gebannt an Swansons Lippen, als er über die Standards der FBI-Akademie referierte: die Sicherheitsförderung, den Kameradschaftsgeist, die Uniformität, die Eigenverantwortlichkeit und die Disziplin. Anschließend sprach er über den straffen Stundenplan – die Kurse in allen Fachbereichen, angefangen von Gesetz und Ethik bis zu Befragungstechnik und Spurensicherung.
Riley wurde bei jedem seiner Worte nervöser, als ihr klar wurde …
Ich bin keine Praktikantin mehr.
Das Sommerprogramm schien im Vergleich dazu, was sie jetzt erwartete, eine Teenie-Freizeit gewesen zu sein.
War sie dem hier überhaupt gewachsen?
War das mit der Akademie eine schlechte Idee gewesen?
Erst einmal fühlte sie sich wie ein Kind, als sie die anderen Rekruten auf ihren Stühlen betrachtete. Kaum jemand war in ihrem Alter. Sie hatte den Eindruck, als sie die Gesichter um sich herum betrachtete, dass fast alle schon nach einer gewissen Erfahrung aussahen - einige hatten wahrscheinlich sogar beträchtlich mehr Erfahrung als sie. Die meisten waren älter als 23 Jahre und einige sahen nach der maximalen Altersgrenze für neue Rekruten aus, die bei 37 Jahren lag.
Sie wusste, dass die Rekruten verschiedenster Herkunft waren und aus den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern stammten. Viele waren Polizeivollzugsbeamte gewesen, viele hatten im Militär gedient. Andere hatten als Lehrer, Rechtsanwälte, Wissenschaftler und Geschäftsleute gearbeitet und zeitweise noch viele andere Beschäftigungen innegehabt.
Aber eine gemeinsame Sache gab es – die absolute Verpflichtung, für den Rest des Lebens im Dienste der Strafverfolgung zu stehen.
Nur ein paar wenige kamen frisch vom Praktikantenprogramm. John Welch, der ein paar Reihen vor ihr saß, war einer von ihnen. Wie für Riley hatte es auch für ihn eine Ausnahmeregelung gegeben: Alle Rekruten mussten sonst mindestens drei Jahre durchgehend in der Strafverfolgung gearbeitet haben, um an der Akademie aufgenommen zu werden.
Swanson kam zum Ende seiner Rede …
“Ich freue mich darauf, die Hand aller derer zu schütteln, die hier in Quantico erfolgreich abschließen werden. Eines Tages werden Sie ihren Diensteid vor FBI-Direktor Bill Cormack persönlich ablegen. Ihnen dazu viel Glück.«
Und dann fügte er streng mit einem halben Schmunzeln hinzu: »Und jetzt – an die Arbeit!«
An Swansons Stelle auf dem Podium trat nun ein Ausbilder und rief nacheinander die Namen der Rekruten auf - ›NAT‹ wird ein Rekrut an der Akademie genannt, was ›New Agent in Training‹ bedeutet. Die jeweiligen NAT antworteten, wenn ihr Name aufgerufen wurde, und der Ausbilder fasste sie in kleineren Gruppen zusammen, die ihre Kurse gemeinsam besuchen sollten.
Als sie atemlos darauf wartete, dass ihr Name aufgerufen wurde, erinnerte sich Riley, wie nervtötend es gestern bei der Ankunft gewesen war. Nachdem sie eingecheckt hatte, war sie in einer Schlange nach der anderen gestanden: Formulare ausfüllen, eine Uniform kaufen, Zuteilung des Gemeinschaftszimmers.
Heute lief alles schon ganz anders.
Ein schmerzlicher Stich durchlief sie, als John Welchs Name fiel. Er wurde einer Gruppe zugeteilt, für die sie nicht ausgewählt worden war. Es hätte geholfen, dachte sie, einen Freund in der Nähe zu haben, auf den man sich verlassen konnte. Und mit dem man in den kommenden harten Wochen mitfühlen konnte. Andererseits dachte sie …
Das ist genauso gut.
Angesichts ihrer etwas verworrenen Gefühle für John, könnte seine Anwesenheit sie eventuell von den wichtigen Dingen ablenken.
Riley war dann schlussendlich erleichtert, als sie in der gleichen Gruppe wie Francine Dow landete, der Zimmergenossin, die ihr gestern zugeteilt worden war. Frankie, wie sie genannt werden wollte, war älter als Riley, vielleicht an die dreißig – eine Rothaarige mit guter Laune, deren rötliche Gesichtszüge darauf hindeuteten, dass sie bereits viel erlebt hatte.
Riley und Frankie hatten sich bisher kaum kennengelernt. Sie hatten gestern zu wenigen Dingen Zeit gehabt, außer ihre Sachen auszupacken und sich in ihrem kleinen Gemeinschaftszimmer einzurichten. Beim Frühstück war jede ihrer Wege gegangen.
Zu guter Letzt wurde Rileys NATs-Gruppe von Agent Marty Glick, dem Gruppenausbilder, im Flur zusammengerufen. Glick schien dem Aussehen nach in seinen Dreißigern zu sein. Er war groß gewachsen und hatte den muskulösen Bau eines American Football-Spielers. Er setzte ein ernstes, spaßbefreites Gesicht auf.
Er sagte zur Gruppe …
»Morgen steht Ihnen ein wichtiger Tag bevor. Aber ehe wir richtig anfangen, will ich Ihnen noch etwas zeigen.«
Glick führte sie in die Haupteingangshalle, einen riesigen Raum, in dessen marmornen Boden das FBI-Emblem eingelassen war. An einer Wand befand sich eine kolossale bronzene Platte, wovon eine Ecke mit einem schwarzen Band geziert wurde. Riley war bei ihrer Ankunft hier durchgelaufen und wusste, dass man sie ›Hall of Honor‹, die ›Ehrenhalle‹ nannte.
Dies hier war ein ehrwürdiger Ort, wo FBI-Agenten verewigt waren, die für ihr Land gestorben waren.
Glick führte sie zu einer Wand, an der zwei schwarze Platten mit den Portraits und Namen der Getöteten montiert waren. Zwischen den beiden Platten hing eine gerahmte Gedenktafel, auf der zu lesen stand …
Absolventen der Nationalen Akademie, die im Einsatz durch Feindeinwirkung gefallen sind.
.
Einigen NATs stockte der Atem, als sie die Gedenktafeln näher betrachteten. Glick schwieg für eine Weile, um die emotionale Wirkung sacken zu lassen.
Schließlich sagt er, fast im Flüsterton …
»Lasst sie nicht im Stich.«
Als er die Gruppe der NATs zum Beginn ihrer Tagesveranstaltungen wegführte, warf Riley über die Schulter noch einmal einen Blick zurück auf die Portraits an der Wand. Sie konnte nicht umhin, sich zu fragen …
Wird mein Foto auch eines Tages dort hängen?
Natürlich konnte man das nicht wissen. Alles, was sie genau wusste, war, dass die kommenden Tage sie vor Herausforderungen stellen sollte, denen sie sich zuvor noch nie hatte stellen müssen. Es verschlug ihr regelrecht den Atem, so machte sich in ihr ein neues Verantwortungsgefühl gegenüber jenen Agenten breit, die für ihr Land gestorben waren.
Ich kann sie nicht enttäuschen, dachte sie.
KAPITEL SIEBEN
Jake steuerte das Vehikel, das er sich eilends ausgeliehen hatte, durch ein Netzwerk von Schotterstraßen, die von Dighton nach Hyland führten. Chief Messenger hatte ihm den Wagen ausgeliehen. Auf diese Weise konnte Jake aufbrechen, ehe der Helikopter des TV-Senders landete.
Er hatte keine Ahnung, was ihn in Hyland erwarten würde, aber er war dankbar, der Invasion entkommen zu sein. Er hasste es von Reportern belagert zu werden, die ihn mit Fragen bestürmten, auf die er keine Antwort wusste. Es gab nicht viel, an was die Medien mehr Gefallen fanden, als an spektakulären Mordfällen in abgelegenen, ländlichen Gebieten. Die Tatsache, dass das Opfer die Frau des Bürgermeisters war, machte die Story für sie sicherlich noch bestechender.
Er fuhr mit offenem Fenster und genoss die frische Landluft. Messenger hatte ihm aufgezeichnet, wie er fahren sollte, und Jake hatte Spaß bei der gemächlichen Landpartie. Der Mann, den er befragen wollte, würde sich nicht von der Stelle bewegen, ehe er da war.
Selbstverständlich hatte der Verdächtigte im Gefängnis von Hyland mit keinem der Mordfälle etwas zu tun. Man hatte ihn gerade ins Gefängnis gesteckt, als das zweite Opfer starb.
Nicht als ob das seine Unschuld beweisen würde, dachte Jake.
Es gab immer die Möglichkeit, dass ein Team von zwei oder mehr Mördern am Werk war. Hope Nelson könnte von jemandem geschnappt worden sein, der den Mord an Alice Gibson nachahmen wollte.
Als Jake Hyland erreichte, bemerkte er als erstes, wie klein und verschlafen diese Kleinstadt aussah – viel kleiner als Dighton, mit einer Einwohnerschaft von ungefähr 1000 Leuten. Das Ortschild, an dem er gerade vorbeigefahren war, gab an, dass nur ein paar hundert Menschen hier lebten.
Kaum groß genug, um eingegliedert zu werden, dachte Jake.
Die Polizeiwache war genauso wie alle Fassaden in der kurzen Geschäftsmeile. Als er längs der Straße parkte, erblickte Jake einen fettleibigen Mann in Uniform, der sich an den Türpfosten lehnte. Er sah aus, als hätte er nicht anderes zu tun.
Jake stieg aus dem Auto. Als er auf die Polizeiwache zuhielt, sah er, dass der ausladende Polizist auf jemanden direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite starrte. Dieser Mann trug einen weißen Arztkittel und stand mit verschränkten Armen da. Jake hatte den befremdlichen Eindruck, dass die beiden schon eine ganze Weile dagestanden und sich ohne Worte betrachtet hatten.
Worum geht es denn da? fragte er sich.
Er kam auf den Uniformierten zu, der im Türrahmen stand und zeigt ihm seinen Dienstausweis. Der Mann stellte sich als Sheriff David Tallhammer vor. Er kaute auf einem Tabakbündel herum.
Er sagte mit gelangweilter Stimme zu Jake: »Kommen Sie rein, dann kann ich Ihnen unseren Hausgast vorstellen – Phil Cardin heißt er.«
Tallhamer ging voraus und Jake schaute kurz hinter sich. Der Mann im weißen Kittel rührte sich nicht vom Fleck.
In der Polizeiwache stellte Tallhamer Jake einen Wachtmeister vor, der die Füße auf den Schreibtisch gelegt hatte, während er Zeitung las. Dieser nickte Jake zu und las weiter.
Die kleine Wache strömte eine seltsam gelangweilte Atmosphäre aus. Wenn es Jake nicht bereits gewusst hätte, wäre er nie darauf gekommen, dass diese zwei abgehalfterten Polizisten es mit einem grässlichen Mordfall zu tun hatten.
Tallhamer führte Jack durch eine Tür an der hinteren Seite des Büros, das zum Gefängnis führte. Dieses bestand aus nur zwei Zellen, die sich über einen schmalen Flur gegenüberlagen. Beide Zellen waren momentan besetzt.
In der einen Zelle lag ein Mann in einem eher verschlissenen Anzug laut schnarchend auf seiner Pritsche. In der gegenüberliegenden Zelle saß ein missmutig dreinblickender Mann in Jeans und T-Shirt auf seiner Schlafkoje.
Tallhamer holte seinen Schlüsselbund heraus, öffnete die Zelle, in der der Gefangene saß und sagte …
»Du hast Besuch, Phil. Von einem echten FBI-Agenten.«
Jake trat in die Zelle, während Tallhamer genau nur so weit draußen stand, um die Zellentür aufzuhalten.
Phil Cardin blinzelte angestrengt und sagte zu Jake: »Aha, FBI? Vielleicht können Sie ja diesem Witz an Polizisten hier beibringen, wie er seine Arbeit zu erledigen hat. Ich habe niemanden umgebracht, geschweige denn meine Ex-Frau. Wenn ich es getan hätte, wäre ich der allererste, der damit angeben würde. Deshalb lassen Sie mich hier raus.«
Jake fragte sich …
Hat ihm irgendjemand vom anderen Mord erzählt?
Jake hatte das Gefühl, dass Cardin nichts davon wusste. Er dachte, das Beste wäre, es dabei zu belassen, zumindest für jetzt.
Jake sagte zu ihm: »Herr Cardin, ich habe ein paar Fragen an Sie. Möchten Sie, dass ein Anwalt dabei ist?«
Cardin kicherte und zeigte auf den schlafenden Mann in der gegenüberliegenden Zelle.
»Hey, Ozzie. Werd mal schnell wieder nüchtern. Ich brauche hier einen Rechtsbeistand. Stell mal sicher, dass meine Rechte nicht verletzt werden. Obwohl ich denke, dass der Zug bereits abgefahren ist, du besoffener, unfähiger Mistkerl.«
Der Mann im zerknitterten Anzug setzte sich auf und rieb sich die Augen.
»Warum zum Teufel schreist du hier herum?« brummte er. »Siehst du nicht, dass ich versuche, eine Mütze voll Schlaf zu kriegen? Lieber Heiland, was hab ich für ein gottverdammtes Kopfweh.«
Jake klappte der Kiefer herunter. Der feiste Sheriff schüttelte sich vor Lachen wegen dieser offensichtlichen Überraschung.
Tallhamer sagte: »Agent Crivaro, ich möchte Ihnen Oswald Hines vorstellen, den einzigen Rechtsanwalt des Dorfes. Er wird ab und zu für öffentliche Verteidigungsangelegenheiten herangezogen. Ziemlich praktisch, dass er vor kurzem für ungehöriges Benehmen unter Alkoholeinfluss eingebuchtet wurde, darum haben wir ihn hier gleich zur Verfügung. Nicht, dass das ein ungewöhnliches Vorkommnis wäre.«
Oswald Hines hustete und ächzte.
»Ja, ich denke mal, das ist die Wahrheit,« sagte er. »Dies hier ist meine Art zweites Zuhause – oder mehr wie mein zweites Büro, könnte man sagen. In Zeiten wie diesen kommt der Ort richtig gelegen. Ich würde sehr ungern irgendwo anders hingehen müssen, so wie ich mich gerade fühle.«
Hines tat einen langen, bedächtigen Atemzug und starrte die anderen verschlafen an.
Dann sagte er zu Jake: »Hör mal zu, Agent-schlag-mich-tot. Als der Verteidigungsanwalt dieses Mannes muss ich darauf bestehen, dass du ihn in Ruhe lässt. Ihm wurden diese Woche schon viel zu viele dämliche Fragen gestellt. Eigentlich wird er grundlos hier festgehalten.«
Der Rechtsanwalt gähnte und fügte hinzu: »Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, dass er schon weg wäre. Er wäre besser schon draußen gewesen, ehe ich wieder aufwache.«
Der Anwalt war im Begriff, sich wieder hinzulegen, als der Sheriff sagte …
»Wachbleiben, Ozzie. Du hast was zu tun. Ich besorge dir eine Tasse Kaffee. Soll ich dich aus deiner Zelle lassen, damit du deinem Klienten näher sein kannst?«
»Nö, mir geht es gut hier,« sagte Ozzie. »Nur beeil dich mit dem Kaffee. Du weißt ja, wie ich ihn haben will.«
Sheriff Tallhamer sagte lachend: »Und wie wäre das?«
»In irgendeiner Art von Tasse.« knurrte Ozzie. »Gehen. Du. Jetzt.«
Tallhamer ging zurück ins Büro. Jake stand da und starrte für einen Augenblick auf den Gefangenen hinunter.
Schließlich sagte er: »Herr Cardin, soviel ich weiß, haben Sie kein Alibi für die Zeit, als Ihre Ex-Frau ermordet wurde.«
Cardin zuckte mit den Schultern und sagte: »Ich habe keine Ahnung, wie man darauf kommen könnte. Ich war zu Hause. Ich habe mir Tiefkühlkost warmgemacht, den ganzen Abend ferngesehen und dann für den Rest der Nacht durchgeschlafen. Ich war nicht mal ansatzweise in der Nähe, wo es passiert ist – wo immer das auch war.«
»Kann das jemand bestätigen?« sagte Jake.
Cardin grinste und sagte: »Nein, aber niemand kann irgendetwas anderes bestätigen, oder?«
Jake fragte sich, als er Cardins abfällige Bemerkung hörte …
Ist er schuldig und will mich für dumm verkaufen?
Oder ist ihm der Ernst der Lage nicht bewusst?
Jake fragte: »Wie war Ihr Verhältnis zu Ihrer Ex-Frau zum Zeitpunkt des Mordes?«
Der Anwalt rief durchdringend aus …
»Phil, antworte nicht auf diese Frage.«
Cardin schaute zur gegenüberliegenden Zelle hinüber und sagte: »Ach, halt die Klappe, Ozzie. Ich werde ihm nichts anderes sagen, als was ich dem Sheriff nicht schon hundertmal gesagt habe. Es macht sowieso keinen Unterschied.«
Dann sah Cardin Jake an und sagte in einem sarkastischen Ton …
»Es stand prachtvoll zwischen mir und Alice. Unsere Scheidung war völlig einvernehmlich. Ich hätte ihr nie ein Haar gekrümmt auf ihrem süßen Köpfchen.«
Der Sheriff war zurück und reichte dem Anwalt eine Tasse Kaffee.
»Einvernehmlich, so eine Scheiße,« sagte der Sheriff zu Cardin. »Am Tag, an dem sie umgebracht wurde, bist du wie ein brüllendes Rindvieh in den Schönheitssalon gerannt, in dem sie arbeitete. Du hast direkt vor der Kundschaft herumgeschrien, dass sie dein Leben ruiniert hat, dass du sie abgrundtief hasst und dass du willst, dass sie tot ist. Darum sitzt du ja hier.«
Jake steckte die Hände in die Taschen und sagte: »Würden Sie die Güte haben und mir sagen, worum es gerade geht?“
Cardins Lippen verzerrten sich mit unverhohlener Wut.
»Das war die Wahrheit und das ist auch schon alles – dass sie mein Leben ruiniert hat, meine ich. Mein Glück hat mich total im Stich gelassen, seit die Schlampe mich rausgeworfen und diesen bescheuerten Arzt geheiratet hat. Genau an dem Tag, als ich als Koch in Mick’s Diner gefeuert wurde.«
»Und das war dann ihre Schuld?« sagte Jake.
Cardin starrte Jake direkt ins Auge und sagte durch zusammengebissene Zähne …
»Alles war ihre Schuld.«
Jake erschauderte bei dem Klang von Cardins hasserfüllter Stimme.
Er macht andere gern zum Sündenbock, dachte er.
Jake hatte schon mehr als genug Mörder vor sich gehabt, die keinerlei Verantwortung dafür übernommen hatten, was in ihrem Leben schiefgelaufen war. Jake wusste, dass Cardins bodenloser Groll kaum ein Beweis für seine Schuld war. Aber er konnte hundertprozentig verstehen, warum Cardin überhaupt eingesperrt worden war.
Trotzdem wusste Jake, dass es auf einem anderen Blatt stand, dass er hier in Untersuchungshaft festgehalten wurde. Jetzt wo es einen weiteren Mord gab. Wie Chief Messenger Jake in Dighton erzählte hatte, gab es keinen konkreten, stichhaltigen Beweis, dass es eine Verbindung zwischen Cardin und dem Verbrechen gab. Der einzige Beweis war nur das chronische Verhaltensmuster, das Cardin an den Tag legte: Er bedrohte Leute – wie bei seinem Ausbruch neulich im Schönheitssalon, wo Alice gearbeitet hatte. Das waren alles nur Indizien.
Wenn er nicht noch etwas sagt, was ihn jetzt und hier belastet.
Jake sagte zu Cardin: »Dem Anschein nach geben Sie nicht unbedingt den trauernden Exmann ab.«
Cardin grunzte und sagte: »Vielleicht wäre ich das ja, wenn Alice mir nicht so übel mitgespielt hätte. Während unserer gesamten Ehe hat sie mir immer wieder gesagt, was ich für ein Loser bin – als ob diese hässliche Kröte, mit der sie was anfing, eine Steigerung gewesen wäre. Also ich war kein Loser, bevor sie die Scheidung eingereicht hat. Erst als ich auf mich selbst gestellt war, fingen die Dinge an, langsam schiefzulaufen. Das ist nicht fair …«
Jake hörte zu, während Cardin weiterhin über seine Ex-Frau klagte. Seine Verbitterung war fühlbar – auch sein gebrochenes Herz. Jake vermutete, dass Cardin nie aufgehört hatte, Alice zu lieben, oder wenigstens, sie zu brauchen. Ein Teil von ihm hatte immer die vergebliche Hoffnung gehegt, dass sie wieder zusammenkommen würden.
Aber seine Liebe für Alice war offensichtlich kranker, verdrehter und obsessiver Natur gewesen – also nicht wirklich Liebe in einem gesunden Sinne. Jake hatte genug Mörder gesehen, deren Triebfeder ›Liebe‹ gewesen war.
Cardin legte eine kurze Pause in seiner Schimpftirade ein, dann sagte er …
»Sagen Sie mir – stimmt das, dass sie in Stacheldraht eingewickelt war, als Sie sie fanden?«
Er schüttelte den Kopf und mit einem Lächeln fügte er hinzu …
»Mannomann, das ist – das ist einfallsreich.«
Jake durchfuhr ein Ruck bei diesen Worten.
Was genau meinte Cardin damit?
Bewunderte er das Werk einer anderen Person?
Oder verspürte er eine hinterhältige Schadenfreude, wenn er an seinen eigenen Einfallsreichtum dachte?
Jake war der Ansicht, dass der Zeitpunkt für den Versuch gekommen war, ihn über den weiteren Mord auszuquetschen. Falls Cardin einen Komplizen hatte, der Hope Nelson getötet hatte, konnte Jake ihn vielleicht dazu bringen, es zu gestehen. Aber er wusste, dass er vorsichtiger vorgehen musste.
Er sagte: »Herr Cardin, kannten Sie vielleicht eine Frau namens Hope Nelson drüben in Dighton?«
Cardin kratzte sich am Kopf und sagte …
»Nelson … der Name ist mir irgendwie bekannt. Ist das nicht die Frau des Bürgermeisters oder so?«
Sheriff Tallhamer lehnte sich von außen gegen die Gitterstäbe der Zelle und knurrte …
»Auf jeden Fall ist sie tot.«
Jake kämpfte gegen ein enttäuschtes Stöhnen, das in ihm aufstieg. Er hatte nicht vorgehabt, Cardin die Wahrheit auf eine so unelegante Weise zu servieren. Er hatte gehofft, sich damit genügend Zeit lassen zu können, um herauszufinden, ob Cardin bereits wusste, was Hope Nelson zugestoßen war.
Der Rechtsanwalt in der anderen Zelle sprang auf die Füße.
»Tot?« kläffte er. »Wovon zum Teufel redest du?«
Tallhamer spuckte etwas Tabak auf den Betonboden und sagte: »Sie wurde gestern Nacht umgebracht – auf genau dieselbe Weise, auf die Alice getötet wurde. Sie baumelte von einem Zaunpfosten – in Stacheldraht eingewickelt.«
Plötzlich schien Ozzie vollkommen nüchtern zu sein, als er Jake anschnauzte: »Und warum in aller Welt halten Sie dann meinen Klienten fest? Erzählen Sie mir bloß nicht, dass er letzte Nacht eine andere Frau ermordet hat, während er hier drinnen eingesperrt war.«
Jakes Laune sank. Seine Taktik war ihm von Talhammer verdorben worden und er wusste, dass alle weiteren Fragen wahrscheinlich sinnlos waren
Dennoch fragte er Cardin abermals: «Kannten Sie Hope Nelson?«
»Habe ich Ihnen nicht gerade gesagt, dass ich Sie nicht kannte?» sagte Cardin mit einem Hauch von Überraschung.
Aber Jake konnte nicht sagten, ob seine Überraschung echt war oder ob er sie nur vorspielte.
Ozzie umklammerte die Stäbe seiner Zelle und rief: »Sie lassen meinen Klienten jetzt sofort laufen, verdammt nochmal, oder Sie werden einen Prozess am Hals haben, der sich gewaschen hat.«
Jake unterdrückte ein Seufzen.
Ozzie hatte natürlich recht, aber …
Er hatte sich einen tollen Zeitpunkt ausgesucht, um plötzlich sein Fachwissen an den Tag zu legen.
Jake wandte sich an Tallhamer und sagte: »Lassen Sie Cardin gehen. Aber behalten Sie ihn gut im Auge.«
Tallhamer rief nach dem Wachtmeister, damit er Cardins Habseligkeiten brachte. Als der Sheriff die Zellentür öffnete, um Cardin herauszulassen, drehte er sich in Ozzies Richtung und sagte …
»Willst du auch gehen?«
Ozzie gähnte und legte sich wieder auf seine Pritsche.
»Nö, ich habe gerade ein ordentliches Pensum an Arbeit hingelegt. Das reicht für einen Tag. Ich würde ganz gerne weiterschlafen – solange du die Zelle nicht für jemanden anders brauchst.«
Tallhamer grinste und sagte: »Gerne, nur zu.«
Als Jake mit Tallhamer und Cardin aus der Polizeiwache kam, bemerkte er, dass der Mann im weißen Kittel immer noch auf der anderen Straßenseite stand. An genau derselben Stelle wie zuvor.
Plötzlich setzte sich der Mann in Bewegung und marschierte über die Straße auf sie zu.
Tallhamer knurrte Jake leise ins Ohr …
»Jetzt gibt es Ärger.«
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