Kitabı oku: «Vorher Neidet Er», sayfa 2
Solange Kevin bei ihr war, hatte sie kein Problem damit, zu warten und zu heilen. Obwohl sie es Ellington nicht übelnahm, zur Arbeit zurückgekehrt zu sein, ertappte sie sich auch ab und an dabei, sich zu wünschen, ihn bei sich zu haben. Er verpasste Kevins Lächeln, seine niedlichen kleinen Eigenheiten, die er entwickelte, sein Gurren und all die anderen Babygeräusche, die er von sich gab.
Als Kevin einen Meilenstein nach dem anderen absolvierte, dachte sie immer häufiger an den näher rückenden Übergang zur Tagespflege. Und damit auch an ihre Rückkehr zur Arbeit. Der Gedanke war aufregend, aber wenn sie ihrem Sohn in die Augen sah, wusste sie nicht, ob sie ein Leben der Gefahr, der Unsicherheit und der auf sie gerichteten Waffen führen konnte. Es schien fast schon unverantwortlich, dass sie und Ellington beide gefährliche Jobs hatten.
Die Aussicht, bald wieder arbeiten zu gehen – beim FBI oder einer anderen Arbeitsstelle mit Gefahren-Potenzial – wurde immer weniger reizvoll, je näher sie ihrem Sohn kam. Und als der Arzt ihr, nach etwas weniger als drei Monaten, die Erlaubnis gab, leichten Sport zu treiben, war sie sich nicht sicher, überhaupt wieder zum FBI zurückkehren zu wollen.
Kapitel drei
Grand Teton National Park, Wyoming
Bryce saß auf der Kante der Felswand und ließ seine Füße baumeln. Die Sonne ging langsam unter und tauchte den Himmel in Gold- und Orangetöne, die am Horizont immer röter wurden. Er massierte seine Hände und dachte an seinen Vater. Seine Kletter-Ausrüstung befand sich hinter ihm, eingepackt und bereit für das nächste Abenteuer. Er musste noch etwa anderthalb Kilometer wandern, bevor er seinen Wagen erreichte. Insgesamt würde er dann heute fast zehn Kilometer gelaufen sein. Doch noch dachte er nicht an seinen Wagen.
Er dachte weder an sein Auto, sein Zuhause noch seine frischgebackene Ehefrau. Sein Vater war genau vor einem Jahr gestorben und sie hatten seine Asche hier, an der südlichen Felskante des Logan’s View verstreut. Er war sieben Monate vor Bryces Hochzeit gestorben, eine Woche bevor seinem einundfünfzigsten Geburtstag.
An diesem Ort, der südlichen Felswand des Logan’s View, hatte Bryce mit seinem Vater seine erste, vollständige Erklimmung des Bergs gefeiert. Bryce hatte gewusst, dass dies nicht unbedingt als komplizierter Aufstieg gewertet wurde, aber für einen Siebzehnjährigen, der bis zu dem Zeitpunkt nur wesentlich kleinere Felswände im Grand Teton National Park bezwungen hatte, war es genau das gewesen.
Bryce wusste nicht, was an diesem Ort so besonders war und war sich auch nicht sicher, warum sein Vater genau hier seinen letzten Ruheplatz finden wollte. Es war fast ein Jahr her, seitdem Bryce und seine Mutter auf dem Kiesplatz zweieinhalb Kilometer von seinem jetzigen Sitzplatz aus geparkt hatten, um die Asche dann hier dem Wind zu übergeben. Sicher, der Sonnenuntergang war hübsch, aber der Nationalpark bot viele nette Ausblicke.
„Ich bin zurückgekommen, Dad“, sagte Bryce. „Ich klettere immer mal wieder, aber nicht so extrem wie du es getan hast.“
Bryce lächelte und dachte an das Foto, das man ihm kurz nach der Beerdigung seines Vaters gegeben hatte. Sein Vater hatte sich am Everest versucht, aber sich bereits nach eineinhalb Tagen den Knöchel verstaucht. Er hatte in Alaska Gletscher bezwungen und eine Vielzahl unbenannter Felsformationen in den Wüsten Amerikas bestiegen. Der Mann war für Bryce wie eine Legende und genauso wollte er ihn auch in Erinnerung behalten.
Er betrachtete den Sonnenuntergang und war sich sicher, dass er seinem Vater gefallen hätte. Auch wenn dieser Sonnenuntergang, verglichen mit all denen, die er in seinen Kletterjahren von verschiedenen Aussichtspunkten aus gesehen hatte, vermutlich nichts Besonderes war.
Bryce seufzte und bemerkte, dass die Tränen, die normalerweise kamen, ausblieben. Langsam begann sich das Leben ohne seinen Dad zu normalisieren. Natürlich trauerte er noch, aber er lebte weiter. Er stand auf und drehte sich zu seinem Rucksack und seiner Kletterausrüstung um. Ruckartig blieb er stehen und betrachtete alarmiert den Mann, der direkt hinter ihm stand.
„Tut mir leid“, sagte der Mann, der nicht mal einen Meter von ihm entfernt war.
Wie zum Teufel habe ich ihn nicht gehört? Bryce war verwirrt. Er muss sich sehr leise und bewusst bewegt haben. Hat er vorgehabt, sich an mich heranzuschleichen? Mich zu beklauen? Meine Ausrüstung zu stehlen?
„Kein Problem“, sagte Bryce und entschied sich dazu, den Mann zu ignorieren. Er war etwa Anfang dreißig, ein dünner Bartflaum bedeckte sein Kinn und er trug eine Beanie-Mütze auf dem Kopf.
„Netter Sonnenuntergang, hm?“, fragte der Mann.
Bryce hob seine Tasche auf, schnallte sie sich auf den Rücken und begann, sich zu bewegen. „Ja, auf jeden Fall“, antwortete er.
Er ging auf den Mann zu, mit der Absicht, ihn zu passieren, ohne weiter auf ihn einzugehen. Doch der Mann blockierte seinen Weg mit dem Arm. Als Bryce versuchte, darum herumzugehen, packte der Mann ihn am Arm und stieß ihn nach hinten.
Als er zurück stolperte, war Bryce sich der Leere, die nur eineinhalb Meter hinter ihm wartete, sehr wohl bewusst. Hundertzwanzig Meter Tiefe.
Bryce hatte in seinem Leben erst einmal einen Schlag abgesondert und das war in der zweiten Klasse gewesen, als ein Idiot ihm auf dem Spielplatz einen albernen Deine-Mutter-Witz erzählt hatte. Doch Bryce ballte seine Faust und war bereit, zu kämpfen, wenn er es musste.
„Was ist dein Problem?“, fragte Bryce.
„Schwerkraft“, sagte der Mann.
Dann bewegte er sich. Es war kein Schlag, sondern vielmehr eine Wurfbewegung. Bryce hob sein Handgelenk hoch, um den Wurf zu blockieren, als er realisierte, was der Mann in der Hand gehalten hatte. Er sah das goldene Glitzern des Sonnenuntergangs, der sich auf der metallenen Oberfläche spiegelte.
Ein Hammer.
Er traf seine Stirn hart genug, um ein Geräusch zu machen, dass für Bryce klang, als stamme es aus einem Cartoon. Doch der Schmerz, der folgte, war weder lustig noch komisch. Er blinzelte benommen, machte einen Schritt nach hinten, während jeder Muskel in seinem Körper versuchte, ihn daran zu erinnern, dass es hinter ihm hundertzwanzig Meter in die Tiefe ging.
Doch seine Muskeln waren langsam und der unverblümte Angriff auf seine Stirn schickte einen blindmachenden Schmerz durch seinen Kopf und ein betäubendes Gefühl Richtung Rücken.
Bryce fiel in sich zusammen und auf die Knie. In dem Moment trat der Mann Bryce genau gegen die Brust.
Bryce spürte den Aufprall kaum. Sein Kopf stand in Flammen. Doch der Tritt beförderte ihn weiter nach hinten. Er kam hart genug auf dem Boden auf, prallte ab und flog dann noch ein Stück weiter.
Sofort spürte er, wie die Schwerkraft an ihm riss. Doch er konnte noch immer nicht begreifen, was genau geschehen war.
Sein Herz raste und sein schmerzender Kopf schaltete in den Panikmodus über. Er versuchte zu atmen, als seine Muskeln übernahmen und seine Arme wild um sich schlugen, um sich an irgendetwas festhalten zu können.
Doch da war nichts. Nur Luft und der Wind, der in seinen Ohren zischte. Sekunden später dann die kurze Schmerzexplosion, als er auf die harte Erde traf. Mit seinem letzten Atemzug sah er die rote Felswand, die er gerade bestiegen hatte und seinen letzten Sonnenuntergang.
Kapitel vier
Was sich zuerst paradiesisch angefühlt hatte, wurde immer mehr zu einer Art Gefängnis. Während sie ihren Sohn mehr liebte, als sie es je in Worte fassen könnte, fiel Mackenzie langsam die Decke auf den Kopf. Gelegentlich durch die Nachbarschaft zu spazieren reichte ihr einfach nicht mehr. Als der Arzt ihr die Erlaubnis gab, leichte Sport-Übungen zu absolvieren und sie damit begann, ihren Schritt bei ihren Spaziergängen zu beschleunigen, dachte sie sofort daran, joggen zu gehen oder auch leichte Gewichte zu heben. Sie war, zum ersten Mal in über fünf Jahren, nicht in Form. Die Bauchmuskeln, auf die sie einmal so stolz gewesen war, waren unter Narbengewebe und einem ungewohnten Fettpolster verschwunden.
In einem Moment der Schwäche, als sie eines Abends die Dusche verließ, begann sie unkontrolliert zu schluchzen. Als pflichtbewusster und liebender Ehemann kam Ellington natürlich sofort angerannt und fand sie im Badezimmer, wo sie gegen das Waschbecken gelehnt stand.
„Mac, was ist los? Bist du okay?“
„Nein. Ich heule. Ich bin nicht okay. Ich heule wegen albernem Scheiß.“
„Zum Beispiel?“
„Zum Beispiel wegen dem Körper, den ich gerade im Spiegel gesehen habe.“
„Oh, Mac … hey, erinnerst du dich daran, mir vor einigen Wochen vorgelesen zu haben, dass du bald damit anfangen würdest, wegen willkürlichen Dingen zu weinen? Ich denke, dieser Moment gehört dazu.“
„Die Kaiserschnittnarbe wird für den Rest meines Lebens zu sehen sein. Und das Gewicht … es wird nicht leicht, das wieder loszuwerden.“
„Und warum stört dich das?“, fragte er. Er war nicht streng oder hart, verhätschelte sie aber auch nicht. Ihr wurde wieder einmal klar, wie gut er sie kannte.
„Es sollte mich nicht stören. Und ehrlich gesagt denke ich, dass meine Heulerei einen anderen Grund hat. Der Anblick meines Köpers war lediglich ein Auslöser.“
„Mit deiner Körper ist alles in Ordnung.“
„Das musst du sagen.“
„Nein, das tue ich nicht.“
„Wie kannst du diesen Anblick wollen?“
Er lächelte sie an. „Oh, das ist kein Problem. Hör zu … Ich weiß, dass der Arzt dir ein leichtes Sportprogramm erlaubt hat. Und wenn du mich einfach die ganze Arbeit machen lässt …“
Er blickte anspielend durch die Badezimmertür ins Schlafzimmer hinüber.
„Was ist mit Kevin?“
„Mittagsschlaf“, antwortete er. „Er wird aber vermutlich in ein oder zwei Minuten aufwachen. Aber da unser letztes Mal schon über drei Monate her ist, glaube ich nicht, dass ich allzu lange brauchen werde.“
„Idiot.“
Er antwortete mit einem Kuss. Nicht nur, um ihr das Wort abzuschneiden, sondern auch, um ihre Komplexe in Luft aufzulösen. Er küsste sie langsam und innig und sie konnte die drei Monate spüren, die sich in ihm aufgestaut hatten. Er führte sie zärtlich ins Schlafzimmer und übernahm, wie versprochen, die ganze Arbeit. Vorsichtig und gekonnt.
Kevins Timing war perfekt, drei Minuten später wachte er auf. Als sie gemeinsam ins Babyzimmer gingen, kniff Mackenzie ihm in den Po. „Ich glaube, das war mehr als ein leichtes Sportprogramm.“
„Fühlst du dich okay?“
„Ich fühle mich außergewöhnlich gut“, sagte sie. „So gut, dass ich vorhabe, heute Abend ins Fitnessstudio zu gehen. Kannst du auf den kleinen Mann aufpassen, wenn ich für eine Weile verschwinde?“
„Natürlich. Aber übertreibe es nicht.“
Das reichte, um Mackenzie zu motivieren. Sie machte nie nur halbe Sachen und dazu gehörte für sie sowohl Sport als auch das Muttersein. Vielleicht fühlte sie sich deshalb, drei Monate nach der Geburt Kevins, etwas schuldig, ihn zum ersten Mal alleine zu lassen. Natürlich war sie auch zuvor schon zum Supermarkt oder Arzt gegangen. Aber zum ersten Mal verließ sie das Haus mit der Absicht, länger als eine Stunde weg zu sein.
Kurz nach acht machte sie sich auf den Weg zum Fitnessstudio, das sich bereits sichtlich geleert hatte. Es war dasselbe Studio, das sie besucht hatte, als sie beim FBI anfing und sich noch nicht auf die eigenen Einrichtungen ihrer Arbeitsstelle verlassen hatte. Es fühlte sich gut an, zurück zu sein. Wie jeder andere Bürger der Stadt auch benutzte sie das Laufband, kämpfte sich mit den überholten Elastikbändern ab und trainierte einfach nur, um aktiv zu bleiben.
Nach nur einer halben Stunde begann ihr Bauch zu schmerzen. Sie hatte außerdem einen starken Krampf in ihrem rechten Bein, den sie nicht loswerden konnte. Nach einer kurzen Pause versuchte sie sich erneut am Laufband und entschied sich dann dazu, für heute Schluss zu machen.
Denk nicht mal daran, hart mit dir ins Gericht zu gehen, dachte sie. Aber es war Ellingtons Stimme, die sie in ihrem Kopf hörte. Du hast einen Menschen in dir beherbergt, der dann aus dir herausgeschnitten wurde. Du kannst nicht wie Superwoman einfach weitermachen, wo du aufgehört hast. Gib dir Zeit.
Sie hatte geschwitzt und das reichte ihr. Also ging sie zurück nach Hause, duschte und fütterte Kevin. Er war so zufrieden, dass er während dem Stillen einschlief. Die Ärzte hatten zwar davon abgeraten, aber sie erlaubte es ihm und hielt ihn an sich gedrückt bis auch sie müde wurde. Als sie ihn hinlegte, saß Ellington am Küchentisch und arbeitete an einer Fallrecherche.
„Alles okay?“, fragte er, als sie zurück ins Wohnzimmer ging.
„Ja. Ich glaube, ich habe es im Studio ein bisschen übertrieben und mir tut alles weh. Müde bin ich auch.“
„Kann ich etwas tun?“
„Nein. Aber vielleicht kannst du mir morgen früh wieder mit einem leichten Sportprogramm aushelfen?“
„Sehr gerne, Ma’am“, sagte er lächelnd über seinen Laptopbildschirm hinweg.
Auch sie lächelte, als sie zu Bett ging. Ihr Leben war erfüllt und ihre Beine schmerzten – ihre Muskeln erinnerten sich daran, wozu sie einst gebraucht wurden. Eine Minute späte döste sie erschöpft ein,
Sie hatte nicht erwartet, wieder von dem riesigen Maisfeld, ihrer Mutter und dem Baby zu träumen.
Ebenso wenig hatte sie nicht damit gerechnet, wie sehr es sie dieses Mal mitnehmen würde.
* * *
Der Albtraum weckte sie auf und dieses Mal schrie sie. Sie setzte sich so abrupt auf, dass sie fast von der Matratze fiel. Neben ihr wachte auch Ellington besorgt auf.
„Mackenzie … was ist los? Bist du okay?“
„Nur ein Albtraum, das ist alles.“
„Es klang furchtbar. Möchtest du darüber reden?“
Mit klopfendem Herzen ließ sie sich wieder zurückfallen. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, den Dreck des Albtraums in ihrem Mund schmecken zu können. „Nicht unbedingt. Es ist nur … ich glaube, ich muss meine Mutter sehen. Ich muss ihr von Kevin erzählen.“
„Macht Sinn, denke ich“, sagte Ellington und war sichtlich erstaunt, welchen Einfluss der Traum auf sie gehabt hatte.
„Wir können später darüber sprechen“, sagte sie, als der Schlaf wieder an ihr riss. Die Bilder des Traums waren noch immer da, aber sie wusste, dass ihr eine lange Nacht bevorstand, wenn sie nicht bald wieder einschlief.
Mehrere Stunden später weckte Kevins Weinen sie auf. Ellington wollte gerade aufstehen, als sie ihre Hand auf seine Brust legte. „Ich mach schon“, sagte sie.
Ellington wehrte sich nicht. Sie waren dabei, langsam einen relativ normalen Schlaf-Rhythmus zu finden und keiner von ihnen hatte vor, diesen auf die Probe zu stellen. Außerdem hatte er ein Meeting am Morgen – es ging um einen neuen Fall, den er mit einem Überwachungsteam anführen sollte. Er hatte ihr beim Abendessen davon erzählt, aber sie war mit ihren Gedanken woanders gewesen. In letzter Zeit war ihr Fokus zerstreut und es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, vor allem, wenn Ellington von der Arbeit sprach. Sie vermisste es, selbst zu arbeiten und war eifersüchtig, konnte es aber noch nicht ganz übers Herz bringen, Kevin alleine zu lassen. Egal, wie gut die Kita auch sein mochte.
Mackenzie ging ins Babyzimmer und nahm Kevin aus seiner Krippe. Er war mittlerweile soweit, meistens sofort mit dem Weinen aufzuhören, sobald ein Elternteil ihn hochnahm. Er wusste, dass er bekommen würde, was er brauchte und hatte bereits gelernt, seinen eigenen kleinen Instinkten zu vertrauen. Mackenzie wickelte ihn, setzte sich dann auf den Schaukelstuhl und stillte ihn.
Ihre Gedanken wanderten zu ihren eigenen Eltern. Sie konnte sich selbstverständlich nicht daran erinnern, selbst gefüttert zu werden. Aber der bloße Gedanke, dass ihre Mutter sie einst gestillt hatte, war unvorstellbar. Doch sie wusste auch, dass Mutterschaft einen ganz neuen Filter mit sich brachte, der die Perspektive auf das Leben veränderte. Vielleicht war der Filter ihrer Mutter verzerrt gewesen und mit dem Tod ihres Ehemanns vollkommen zerstört worden.
War ich ihr gegenüber zu streng?
Während Mackenzie Kevin stillte, dachte sie lange und angestrengt über ihre Zukunft nach. Nicht nur die der nächsten Woche, wenn ihr Mutterschutz zu Ende ging, sondern auch die der nächsten Monate und Jahre und wie sie diese verbringen wollte.
Kapitel fünf
Langsam begann Mackenzie, wieder in ihre normale Kleidung zu passen. Wiederholte Besuche im Fitnessstudio gaben ihr außerdem das Gefühl, als wäre es nicht so schwer wie gedacht, ihre Form zurückzugewinnen. Ihre OP-Narben waren fast vollkommen verheilt und sie erinnerte sich daran, wie ihr Leben gewesen war, bevor sie ihren Körper dem Wachstum und der Entwicklung ihres Sohnes geliehen hatte.
Als sich Mackenzies Mutterschutzurlaub dem Ende entgegen neigte, begann sie zu verstehen, dass es nicht leicht sein würde, wieder zurück in den Arbeitsalltag zu finden. Doch noch vor ihrem Start wollte sie die Angelegenheit mit ihrer Mutter klären. Seit ihrem letzten Albtraum hatte sie das Thema mit Ellington immer wieder besprochen, dabei aber sichergestellt, sich nicht festzulegen. Schließlich war es unnatürlich für sie, einen so starken Wunsch zu hegen, ihre Mutter zu sehen. Für gewöhnlich mied sie jegliche Interaktion mit ihr.
Doch jetzt, acht Tage vor dem Ende ihres Mutterschutzes, musste sie eine Entscheidung treffen. Kevin war ihre Hauptausrede gewesen, den Trip nicht zu machen, aber er war nun bereits seit einer Woche in der Kita und schien mit der Umstellung gut klarzukommen.
Innerlich hatte sie sich bereits entschieden. Sie saß an der Theke zwischen Küche und Wohnzimmer und war sich sicher, ihre Mutter aufsuchen zu wollen. Tatsächlich Nägel mit Köpfen zu machen war jedoch schwerer, als lediglich die Idee zu akzeptieren.
„Kann ich dich etwas fragen? Auch wenn es dumm klingt?“, frage Ellington.
„Natürlich.“
„Was kann schlimmstenfalls passieren? Du gehst hin, es ist komisch und du erreichst nichts. Also kommst du zurück zu deinem glücklichen Baby, deinem unglaublich sexy Ehemann und machst mit deinem Leben weiter.“
„Vielleicht habe ich Angst, dass es nicht komisch ist?“, meinte Mackenzie.
„Dessen bin ich mir nicht so sicher.“
„Was, wenn das Treffen gut verläuft und sie ein Teil meines Lebens sein möchte? Unseres Lebens.“
Kevin saß in seiner Babywippe und starrte auf das kleine Meerestiermobile, das vor ihm befestigt war. Mackenzie sah ihn an, als sie redete und versuchte verzweifelt, nicht an das Bild ihrer Mutter im verfluchten Schaukelstuhl zu denken.
„Würdest du alleine mit Kevin klarkommen?“, fragte sie.
„Natürlich, wir Männer schaffen das schon.“
Mackenzie lächelte. Sie versuchte, sich Ellington vorzustellen, wie er vor zweieinhalb Jahren gewesen war, als sie ihn kennengelernt hatte. Aber es schwer. Er war nun so viel reifer, gleichzeitig aber auch verletzlicher im Umgang mit ihr. Damals hätte er sich nie so fürsorglich oder auch albern gezeigt.
„Dann werde ich es tun. Zwei Tage, nicht länger. Und das auch nur, damit ich nicht nur unterwegs bin.“
„Ja, nimm dir ein Motelzimmer. Ein gutes, mit Hot Tub im Zimmer. Schlaf aus. Nachdem du die letzten Monate damit verbracht hast, das Muttersein zu lernen und deinen Schlafrhythmus kontinuierlich zu verändern, hast du dir das verdient.“
Seine Ermutigungen waren ernst gemeint und auch wenn er nichts sagte, war sie sich ziemlich sicher, den Grund dafür zu kennen. Er hatte sozusagen jegliche, normale Großeltern-Situation auf seiner Seite der Familie aufgegeben. Wenn sie es also schaffte, die Probleme mit ihrer Mutter aus dem Weg zu räumen, hätte Kevin möglicherweise zumindest ein mehr oder weniger normales Großelternteil. Sie wollte mit ihm darüber sprechen, entschied sich aber dagegen. Vielleicht nach ihrem Trip, wenn sie wusste, ob er erfolgreich gewesen war oder nicht.
Sie nahm ihren Laptop, setzte sich auf die Couch und kaufte ihre Tickets. Als sie ihre Informationen eingegeben und den letzten Mausklick betätigt hatte, fühlte sie, wie ihr eine Last von den Schultern genommen wurde. Sie klappte den Laptop zu und seufzte. Dann betrachtete sie Kevin, der noch immer in seiner Wippe saß und lächelte ihn fröhlich, ja fast schon übermütig, an. Er belohnte sie mit einem langsamen Lächeln.
„Okay“, sagte sie und blickte zu Ellington. Er war noch immer in der Küche und räumte die Reste des Abendessens auf. „Tickets sind gekauft. Mein Flug geht morgen früh um halb zwölf. Kannst du den kleinen Mann von der Kita abholen?“
„Ja. Und damit beginnen dann unsere zwei Tage des liederlichen Männerdaseins. Ich fürchte, danach wird nichts wieder so sein wie zuvor.“
Sie wusste, dass er versuchte, sie zum positiven Denken anzuregen. Es half – ein bisschen – aber ihre Gedanken wanderten bereits weiter. Es gab noch etwas, was sie in Angriff nehmen wollte, bevor sie DC verließ.
„Weißt du was“, sagte sie. „Könntest du ihn auch bei der Kita absetzen? Ich denke, ich sollte mit McGrath sprechen.“
„Hast du auch diesbezüglich eine Entscheidung getroffen?“
„Ich weiß es nicht. Ich will zurück. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich sonst mit meinem Leben anfangen soll. Aber … ich bin jetzt eine Mom … und ich möchte Kevin das geben, was ich selbst nie hatte, verstehst du? Und mit uns beiden als FBI Agenten … wie würde sein Leben dann aussehen?“
„Das ist ein schweres Thema“, sagte er. „Ich weiß, dass wir schon darüber gesprochen haben, aber ich denke nicht, dass dies eine Entscheidung ist, die du jetzt treffen musst. Du hast aber Recht – rede mit McGrath darüber. Man weiß nie, was der Mann denkt. Vielleicht hat er eine Lösung. Vielleicht … ich weiß nicht … vielleicht eine andere Rolle?“
„Du meinst, keine Agentin mehr?“
Ellington zuckte mit den Schultern und ging zu ihr hinüber. „Ich kann verstehen, was du gerade durchmachst“, sagte er und nahm ihre Hand. „Ich kann mir dich auch nicht in einer anderen Rolle vorstellen.“
Sie lächelte und hoffte, dass er wusste, wie gut er darin war, das Richtige zu sagen. Es war der Auftrieb, den sie gebraucht hatte, um McGrath nach Feierabend anzurufen. Das hatte sie in ihrer Karriere noch nicht oft gemacht – noch nie, wenn es nicht um einen Fall ging – aber sie spürte plötzlich die Dringlichkeit der Situation.
Und die wurde noch stärker, als sie dem Klingeln lauschte.
* * *
Sie erwartete, McGrath verärgert vorzufinden, sich zu einer so frühen Stunde mit ihr treffen zu müssen. Doch als sie sein Büro um acht Uhr morgens betrat, war seine Tür bereits offen und McGrath saß hinter seinem Schreibtisch. Er hielt eine Tasse Kaffee in der Hand und blätterte durch die Tagesmeldungen. Als sie eintrat, blickte er auf und das Lächeln auf seinem Gesicht wirkte ehrlich.
„Agent White, wie schön Sie zu sehen“, sagte er.
„Gleichfalls“, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber an den Schreibtisch.
„Sie sehen gut aus. Hat sich das Baby endlich einen normalen Schlafrhythmus angeeignet?“
„Normal genug“, sagte sie und fühlte sich seltsam. McGrath war nicht der Typ für Small Talk. Die Vorstellung, dass er tatsächlich froh war, sie zu sehen, kam ihr kurz in den Sinn und der Grund für ihr Treffen verschaffte ihr fast schon Schuldgefühle.
„Okay. Sie haben um dieses Meeting gebeten und wir haben etwa dreißig Minuten bis zu meinem nächsten“, sagte er. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Nun, mein Mutterschutzurlaub endet nächsten Montag. Und wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob ich bereit bin, zurückzukommen.“
„Sind die Gründe körperlicher Natur?“, fragte er. „Ich weiß, dass die Heilung nach einem Kaiserschnitt langwierig und erschöpfend sein kann.“
„Nein, daran liegt es nicht. Die Ärzte haben mir grünes Licht gegeben. Aber, um ehrlich zu sein, bin ich hin und her gerissen, was ich tun soll.“ Das brennende Gefühl von Tränen in ihren Augenwinkeln alarmierte sie.
Scheinbar sah auch McGrath sie und fühlte mit ihr. Er gab sein Bestes, sich so natürlich wie möglich zu benehmen, als er sich nach vorne beugte. Er sah zur Seite, um ihr die Gelegenheit geben, die Tränen wegzuwischen, bevor sie sich lösten.
„Agent White, ich arbeite seit fast dreißig Jahren für das FBI. In meiner Zeit hier habe ich unzählige weibliche Agentinnen gesehen, die geheiratet haben und Kinder bekamen. Einige von ihnen haben das FBI verlassen oder zumindest eine weniger riskante Stellung angenommen. Ich kann nicht hier sitzen und Ihnen sagen, dass ich verstehe, was Sie durchmachen, denn das wäre eine Lüge. Aber ich habe es gesehen. Manchmal haben uns Agenten verlassen, von denen ich es nie erwartet hätte. Ist das auch die Richtung, die Sie einschlagen möchten?“
Sie nickte. „Ich möchte zurückkommen. Ich vermisse es – mehr als ich zugeben möchte. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich will. Vielleicht ein paar Wochen mehr? Ich weiß, damit bitte ich um eine Art Sonderbehandlung oder so, aber ich kann diese Entscheidung gerade einfach nicht treffen.“
„Ich kann Ihnen maximal eine weitere Woche geben. Wenn Sie diese möchten. Oder Sie kommen zurück und ich finde einen Schreibtischjob für Sie. Recherche, Nummern, Handy-Überwachung, so etwas. Würde Sie das interessieren?“
Ehrlich gesagt interessierte sie nichts davon. Aber es war besser als nichts. Und McGrath gab ihr den Beweis dafür, dass sie Optionen hatte.
„Vielleicht“, sagte sie.
„Nehmen Sie sich das Wochenende und denken Sie darüber nach. Vielleicht ein Kurztrip, um Ihre Gedanken zu sortieren.“
„Oh, das habe ich tatsächlich vor. Ich werde Nebraska einen Besuch abstatten.“
Sie war sich nicht sicher, warum sie ihm das erzählte und fragte sich, ob es immer so einfach gewesen war, mit McGrath zu sprechen. War seine Aura aufgeweicht und er dadurch zugänglicher geworden? Es war komisch. Sie war nur mehrere Monate weggewesen und McGrath wirkte plötzlich wie ein anderer Mensch – fürsorglicher, freundlicher.
„Das ist schön zu hören. Und Ellington bleibt alleine mit dem Baby zurück? Ist das nicht etwas mutig?“
„Ich weiß es nicht“, sagte sie lächelnd. „Er scheint sich drauf zu freuen.“
McGrath nickte höflich, aber es war offensichtlich, dass seine Gedanken woanders waren. „White … haben Sie um dieses Gespräch gebeten, um meinen Rat zu erhalten? Oder wollten Sie herausfinden, wie ich reagiere, wenn Sie sich dazu entschieden, uns tatsächlich zu verlassen?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht beides?“
„Nun, ich kann zweifellos sagen, dass ich es bevorzugen würde, wenn Sie bleiben. Ihre Bilanz spricht für sich selbst und auch wenn ich es nur ungern zugebe, sind Ihre Instinkte fast schon übernatürlich. In meiner Zeit beim FBI habe ich noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Ich glaube, es wäre eine absolute Verschwendung, wenn Sie Ihre Karriere so jung aufgeben würden. Andererseits habe auch ich zwei Kinder – ein Junge und ein Mädchen. Sie sind beide erwachsen, aber sie großzuziehen war eine der besten und lohnendsten Erfahrungen meines Lebens.“
„Ich hatte keine Ahnung, dass Sie Kinder haben“, sagte sie.
„Ich rede bei der Arbeit nicht gerne von meinem Privatleben. Doch in einem Fall wie diesem, wenn etwas so Kostbares wie ihre Karriere auf dem Spiel steht, stört es mich nicht, Ihnen ein paar Einblicke hinter die Kulissen zu geben.“
„Das weiß ich zu schätzen.“
„Also … Genießen Sie Ihr Wochenende. Sollen wir uns am Montag zusammensetzen und besprechen, wie es weitergeht?“
„Das klingt gut“, sagte sie. Doch Montag fühlte sich noch sehr weit weg an. Denn als sie aufstand, wusste sie, dass ihr nächster Stopp der Flughafen sein würde. Und dann Nebraska.
Als sie das FBI-Quartier verließ, hatte sie das Gefühl, sich selbst eine Falle zu stellen. Die meisten Menschen fühlten sich von den Geistern ihrer Vergangenheit verfolgt. Aber als sie sich darauf vorbereitete, nach Nebraska zurückzukehren, um ihre Mutter zu treffen, hatte Mackenzie das Gefühl, die Geister nicht nur aufzuwecken, sondern ihnen auch jede Menge Gelegenheit zu geben, sich von ihnen verfolgen zu lassen.