Kitabı oku: «Wenn Sie Rennen Würde », sayfa 3
„Nein. Das Ganze ist komplett absurd.“ Hier hielt Daiju inne und blickte durch die Glaswand, hinter der das Großraumbüro lag, in dem seine Mitarbeiter arbeiteten, auf sein Team. „Und es ist hier in New York City passiert?“, fragte er.
„So ist es. Haben Sie versucht, ihn zu erreichen, als Sie bemerkten, dass er nicht zur Arbeit erschien?“
„Oh ja, das habe ich. Mehrfach. Als ich ihn bis mittags noch immer nicht erreicht hatte, habe ich es sein lassen. Jack war immer sehr scharfsinnig, sehr smart. Wenn er mal für einige Stunden eine Auszeit brauchte – und das kam von Zeit zu Zeit vor – dann habe ich ihn sie nehmen lassen.“
„Mr. Hiroto, wir würden gern kurz mit einigen der anderen Mitarbeiter sprechen. Ist das in Ordnung?“, fragte Kate und nickte in Richtung der Glaswand.
„Ja, natürlich, bitte. Tun Sie sich keinen Zwang an.“
„Und könnten Sie uns bitte die Kontaktdaten derjenigen besorgen, die heute nach Hause gegangen sind“, bat DeMarco.
„Natürlich.“
Das Großraumbüro, das Kate und DeMarco jetzt betraten, war durch schulterhohe Trennwände in einzelne Arbeitsplätze unterteilt, in denen großen Schreibtische mit Monitoren standen. Es roch nach starkem Kaffee.
Noch bevor sie auch nur mit einem der anderen Mitarbeiter gesprochen hatten, war Kate klar, dass sie das Gleiche wie zuvor zu hören bekommen würden. Wenn mehrere Personen jemanden als normal und eher schlicht bezeichneten, dann entsprach dies gewöhnlich den Tatsachen.
Innerhalb von fünfzehn Minuten hatten sie mit allen der acht anderen Mitarbeiter gesprochen, die sich noch im Büro befanden. Kate hatte Recht gehabt; alle beschrieben Jack als gutherzig, lieb und smart; er war keiner gewesen, der sich mit anderen anlegte. Und zum zweiten Mal an diesem Morgen bezeichnete jemand Jack Tucker als langweilig – im besten Sinne natürlich.
Irgendwo in Kates Hinterkopf rührte sich etwas, eine Erinnerung an einen Spruch, den sie irgendwann einmal gehört hatte. Dass man die gelangweilte Ehefrau oder den gelangweilten Ehemann besser im Auge behalten sollte – weil die Langweile sie vielleicht irgendwann durchdrehen ließ. Aber sie konnte sich einfach nicht genau an den Spruch erinnern.
Nachdem sie noch einmal in Hirotos Büro vorbeischauten, um sich die Liste mit den Namen der abwesenden Mitarbeiter geben zu lassen, verließen Kate und DeMarco das Gebäude und traten hinaus in einen wunderbaren New Yorker Samstagmorgen. Kate musste an die arme Missy denken, die an diesem Morgen mit der Last des Schicksals zu kämpfen hatte und für die das Leben wohl erst einmal nicht mehr wunderbar sein würde.
***
Den restlichen Vormittag verbrachten sie mit den Mitarbeitern, die das Büro morgens verlassen hatten. Es waren tränenreiche Begegnungen und einige waren richtiggehend wütend, dass ein so gutherziger Mensch wie Jack Tucker ermordet worden war. Die Begegnungen waren genau wie die mit den Mitarbeitern im Büro, wenngleich in weniger verhaltener Atmosphäre.
Kurz nach Mittag sprachen sie mit dem letzten Mitarbeiter – einem Mann namens Jerry Craft. Sie erreichten sein Haus, als er gerade in seinen Wagen stieg. Kate parkte hinter ihm und verhinderte so, dass er wegfuhr. Sie erntete dafür einen gereizten Blick. Als sie ausstiegen und auf ihn zugingen, bemerkten sie seine geröteten Augen und seinen melancholischen Ausdruck.
„Entschuldigen Sie bitte die Störung“, begann Kate und zeigte ihm ihre FBI-Marke. DeMarco trat neben sie und hielt ihm auch ihre Marke hin. „Wir sind Agents Wise und DeMarco. Wir möchten gern kurz mit Ihnen über Jack Tucker sprechen.“
Der gereizte Ausdruck in Jerrys Gesicht verflüchtigte sich. Er nickte und lehnte sich gegen seinen Wagen.
„Ich wüsste nicht, was ich Ihnen erzählen könnte, was Sie nicht schon von anderen gehört haben. Ich nehme an, dass Sie schon mit Mr. Hiroto und den anderen im Büro gesprochen haben?“
„Das haben wir“, entgegnete Kate. „Aber wir wollen auch vor allem mit denen sprechen, die das Büro heute Morgen verlassen haben – was darauf hinweist, dass sie eine engere Verbindung zu Jack hatten.“
„Da bin ich nicht sicher, ob das so stimmt“, sagte Jerry. „Es waren nur einige von uns, die sich auch außerhalb der Arbeit mal gesehen haben, und Jack war normalerweise keiner von ihnen. Einige haben heute Morgen wahrscheinlich Mr. Hirotos Angebot angenommen, einfach um den Tag freizubekommen.“
„Haben Sie eine Ahnung, warum Jack normalerweise nicht mit den anderen außerhalb der Arbeit zusammentraf?“, fragte DeMarco.
„Ich glaube, es gibt keinen eigentlichen Grund. In seiner Freizeit war er gern zuhause bei seiner Frau und den Kindern. Er hatte unglaublich lange Arbeitszeiten. Er sah keinen Sinn darin, mit den gleichen Leuten, die er den ganzen Tag bei der Arbeit sah, danach noch in einer Bar abzuhängen. Wissen Sie, er hat seine Familie wirklich über alles geliebt. Für Geburtstage und Jahrestage hat er sich immer extravagante Dinge für sie einfallen lassen. Hat bei der Arbeit von seinen Kinder erzählt, und wie stolz er auf sie ist.“
„Sie meinen also auch, dass er ein perfektes Leben führte?“, fragte Kate.
„So scheint es jedenfalls. Allerdings, kann man überhaupt ein perfektes Leben führen? Ich meine, sogar Jack hatte hin und wieder Stress mit seiner Mutter, aber haben wir das nicht alle?“
„Worum ging es da?“
„Nichts Großartiges. Einmal habe ich ihn bei der Arbeit mit seiner Frau telefonieren hören. Er stand im Treppenhaus, um etwas Privatsphäre zu haben, aber ich saß gerade an einem der Arbeitsplätze, dessen Fenster aufs Treppenhaus hinaus geht, deshalb habe ich ihn gehört. Ich erinnere mich deshalb so gut daran, weil dies das einzige Mal war, dass er nicht in glücklichem Tonfall mit seiner Frau gesprochen hat.“
„Und in dem Telefonat ging es um seine Mutter?“, hakte Kate nach.
„Da bin ich mir ziemlich sicher, ja. Ich habe ihn damit etwas aufgezogen, als er wieder hereinkam, aber er war nicht in der Stimmung für Witze.“
„Wissen Sie irgendetwas über seine Eltern?“
„Nein. Wie ich schon sagte, er war ein klasse Typ, aber er war nicht direkt ein Freund.“
„Wohin wollten Sie gerade, als wir eintrafen?“, fragte DeMarco.
„Ich wollte gerade einen Strauß Blumen für seine Familie kaufen und ihn vorbeibringen. Ich habe seine Frau und seine Kinder mehrfach bei Weihnachtsfeiern und Firmenveranstaltungen getroffen. Eine tolle kleine Familie. Es ist eine verdammte Schande, dass das passiert ist. Da kann einem wirklich schlecht werden.“
„Gut, Mr. Craft, dann werden wir Sie nicht länger aufhalten“, sagte Kate. „Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.“
Als sie im Wagen saßen und Kate den Rückwärtsgang einlegte, sagte sie zu DeMarco: „Kannst du bitte die Informationen zu Jacks Mutter einholen?“
„Schon dabei“, antwortete DeMarco; in ihrer Stimme schwang noch immer Kälte mit.
Kate selbst musste sich zusammenreißen, um ruhig zu bleiben. Wenn DeMarco ihre Wut vom vergangenen Abend noch zeigen wollte, dann war das ihre Sache. Kate jedenfalls war entschlossen, dies auf keinen Fall den Fortschritt der Ermittlungen beeinträchtigen zu lassen.
Gleichzeitig musste sie ein ironisches Grinsen unterdrücken. Sie hatte soviel Zeit damit verbracht, mit sich zu kämpfen; zu entscheiden, ob ihre neue Position beim FBI sie zuviel Zeit mit ihrer Familie kostete. Und hier saß sie nun, im Wagen mit einer Frau, die sie so sehr an ihre eigene Tochter Melissa erinnerte, dass es schon fast beängstigend war. Während DeMarco am Telefon auf der Suche nach Informationen über Jacks Mutter von einer Abteilung des FBI in die nächste durchgestellte wurde, wanderten Kates Gedanken zu Melissa und Michelle. Sie dachte daran, wie Melissa reagiert hatte, als sich Kate damals so stark in den Nobilini-Fall involviert hatte. Das lag nun acht Jahre zurück; damals war Melissa einundzwanzig gewesen, noch ziemlich auf Anti gebürstet und fand eigentlich alles, was Kate tat, voll daneben. Eine Zeitlang hatte Melissa ihre Haare pink gefärbt. Eigentlich hatte das richtig gut ausgesehen, aber Kate hatte es nie fertig gebracht, ihr das zu sagen. Es war für beide eine anstrengende Zeit gewesen, selbst als ihr Mann Michael noch am Leben war und ihr bei Melissas Erziehung zur Seite stand.
„Das ist ja interessant“, sagte DeMarco plötzlich und riss Kate damit aus ihren Gedanken.
Sie legte das Handy in den Schoß und hatte plötzlich einen Funken Aufregung in den Augen.
„Was ist interessant?“, fragte Kate.
„Jacks Mutter heißt Olivia Tucker, sechsundsechzig Jahre alt, wohnhaft in Queens, New York. Blütenreine Weste, abgesehen von einer klitzekleinen Sache.“
„Was für eine klitzekleine Sache?“
„Vor zwei Jahren hat ihr jemand die Polizei auf den Hals gehetzt. Der Anruf kam von Missy Tucker, in der Nacht, als Olivia Tucker versuchte, sich gewaltsam Zutritt zu Missys und Jacks Haus zu verschaffen.
Die beiden tauschten einen Blick aus, und Kate spürte, wie die Spannung zwischen ihnen abebbte. Gute Spuren neigten nun einmal dazu, selbst distanzierte Partner zusammen zu bringen.
Mit dem Gefühl, etwas Brauchbares in Händen zu haben, wendete Kate den Wagen und gab Gas in Richtung Queens.
KAPITEL FÜNF
Olivia Tucker lebte in einem Apartmentblock, wie es sie zu Hauf gab in Jackson Heights in Queens. Als Kate und DeMarco dort ankamen, hatte sie gerade Besuch von einem Pastor aus der Gegend. Er war es, der die Tür öffnete. Er war ein schwarzer, hochgewachsener Mann, der ernsthaft und sehr traurig aussah. Es betrachtete die Agents skeptisch und seufzte leise.
„Kann ich Ihnen helfen?“
„Wir müssen mit Mrs. Tucker sprechen“, sagte DeMarco. „Darf ich fragen, wer Sie sind?“
„Ich bin Leland Toombs, der Pastor ihrer Kirche. Und darf ich fragen, wer Sie sind?“
Wie üblich stellten sie sich vor und zeigten ihre FBI-Marken. Toombs trat einen Schritt zurück und blickte sie missbilligend an.
„Sie verstehen, dass sie sehr aufgebracht ist, ja?“
„Natürlich“, sagte Kate. „Wir versuchen, den Killer ihres Sohnes ausfindig zu machen und hoffen, dass sie vielleicht ein wenig Licht in die Sache bringen kann.“
„Wer ist da?“, fragte eine zittrige Stimme aus dem hinteren Teil des Apartments. Dann erschien eine Frau und kam auf die Eingangstür zu.
„Es ist das FBI“, sagte Leland zu ihr. „Aber Olivia… ich schlage vor, dass du dir einen Moment Zeit nimmst, um zu überlegen, ob du einem Gespräch gewachsen bist.“
Olivia Tucker kam zu Tür. Sie sah arg mitgenommen aus. Ihre Augen waren blutunterlaufen und es schien, als habe sie sogar Schwierigkeiten zu gehen. Sie blickte zu Kate und DeMarco und legte dann eine beruhigende Hand auf Toombs‘ Schulter.
„Ich denke, es ist nötig, mit ihnen zu sprechen“, sagte sie. „Pastor Toombs, bitte geben Sie uns einen Augenblick.“
„Ich denke, ich sollte vielleicht besser dabei sein.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich weiß das zu schätzen, aber das muss ich alleine tun.“
Toombs runzelte die Stirn und sah dann die Agents an. „Seien Sie taktvoll, bitte. Sie nimmt es sehr schwer.“ Dann blickte er Olivia noch ein letztes Mal an und verließ das Apartment. „Rufen Sie mich an, wenn Sie irgendetwas brauche, Olivia“, sagte er über die Schulter zurück ihr zu.
Olivia blickte ihm nach und sagte dann, „kommen Sie doch bitte ins Wohnzimmer.“
Ihre Stimme war sanft und rau zugleich und sie war unsicher auf den Beinen, so als wüssten ihre Beine nicht, was von ihnen verlangt wurde.
„Wussten Sie, dass die Polizei mich anrief und mir mitteilte, was passiert war, erst volle sechs Stunden, nachdem sein Leichnam entdeckt worden war?“
„Warum hat das so lange gedauert?“, wunderte sich Kate.
„Ich nehme an, dass sie dachten, dass Missy mich informieren würde. Natürlich haben sie es ihr zuerst mitgeteilt. Aber erst später, als Missy sich weigerte, mich zu informieren, rief die Polizei schließlich an.“
„Sind Sie sicher, dass sich Missy geweigert hat?“, fragte DeMarco. „Wäre es unter den Umständen nicht möglich, dass sie es vergessen hat?“
Daraufhin zuckte Olivia nur mit den Schultern, aber in einer Geste, die nicht Ich weiß es nicht ausdrückte, sondern eher Es ist mir wirklich egal.
„Wollen Sie damit sagen, dass Sie der Meinung sind, dass Missy Sie absichtlich nicht informieren wollte?“, hakte Kate nach.
„Ganz ehrlich, ich weiß es wirklich nicht. Die Frau ist so unglaublich rachsüchtig. Der würde ich alles zutrauen. Sie hat es wahrscheinlich vergessen, damit sie nicht mit mir sprechen muss, oder – Gott bewahre! – mich sehen muss.“
„Würden Sie uns bitte erzählen, warum Sie sie nicht mögen?“, bat DeMarco.
„Oh, ich mochte sie nie, nicht wirklich. Anfangs war sie ziemlich charmant, das muss man ihr lassen. Als sie noch versuchte, sich bei mir beliebt zu machen. Aber in dem Moment, als Jack ihr den Verlobungsring ansteckte, hat sie sich in einen anderen Menschen verwandelt. Sie wurde kontrollierend. Manipulativ. Sie wusste nie das gute Leben zu schätzen, das sie führt. Vielleicht hat sie Jack tief im Innern geliebt – auf eine kranke, verdrehte Art und Weise – das bezweifel ich ja gar nicht. Aber sie hat ihn nie zu schätzen gewusst.“
„Können Sie das etwas näher ausführen?“, fragte Kate.
„Sie wollte immer etwas anderes – sie wollte immer mehr. Und das hat sie nie verheimlicht. Alles was sie hatte, egal, was es war – Kinder, einen wohlhabenden Ehemann, egal was – es war nie gut genug für sie. Nichts, was Jack je tat, war gut genug für sie.“
Kate bemerkte den Ausdruck blanken Hasses in Olivias Gesicht. Olivia glaubte jedes Wort, das sie sagte. Doch Kate konnte ihr selbst nach der kurzen Zeit, die sie Missy Tucker erlebt hatte, nicht so recht glauben.
„Wissen Sie, ob Jack dasselbe ihr gegenüber empfunden hat?“
„Oh Gott, nein. Er war total geblendet. Von ihr und ihrer Schauspielerei.“
„Sie schließen also aus, dass er eine Affäre hatte?“
Der Ausdruck des Schocks auf Olivias Gesicht war Antwort genug.
„Angesichts dessen, was ich in den letzten Stunden durchgemacht habe… wie können Sie es wagen, mir so eine Frage zu stellen? Sind Sie absichtlich so unsensibel und unverschämt?“
„Ich stelle die Frage lediglich, weil es uns einen Anhaltspunkt geben würde, wo wir anfangen sollten zu suchen. Wenn er in eine Affäre verwickelt wäre, dann gäbe uns das eine Fülle an Spuren, denen wir nachgehen könnten. Denn, um ehrlich zu sein, haben wir im Moment gar nichts – keine Zeugen, und auch keine Verdächtigen.“
„Keine Verdächtigen? Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, wer es getan hat. Es war seine hasserfüllte Ehefrau.“
Kate und DeMarco tauschten einen unbehaglichen Blick aus. Egal, ob Olivia Tucker Recht behalten sollte oder nicht, dieser Fall würde noch sehr unangenehm werden, bevor er abgeschlossen war.
Kate ließ Olivias Kommentar im Raum stehen und beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. Als sie weitersprach, wählte sie ihre Worte mit Bedacht.
„Sind Sie sicher, dass Sie diese Behauptung so stehenlassen wollen?“, fragte Kate. „Wenn Sie dabei bleiben, dann muss ich diesen Hinweis ernst nehmen und ihm nachgehen. Das hieße, dass ich Missy Tucker als Mordverdächtige behandeln muss.“
„Tun Sie Ihren Job, wie Sie es für richtig halten“, meinte Olivia nur. „Aber ich kenne die Frau. Sie wollte immer etwas anderes. Sie wollte raus aus der Ehe mit Jack, aber ohne zu riskieren, dabei alles zu verlieren. Gibt es einen einfacheren Weg, dieses Ziel zu erreichen, als den eigenen Ehemann umzubringen?“
Kate meinte, während ihrer gesamten Karriere noch nie jemandem begegnet zu sein, der so blind vor Hass gewesen war wie diese Frau. Kate hatte schon alles gesehen – Schwiegereltern, Schwager, sich entfremdete Geschwister und so weiter. Aber diese Frau spielte in einer ganz anderen Liga.
„Ich sollte wohl erwähnen“, sagte DeMarco, „dass wir den Großteil unserer Zeit hier damit verbracht haben, alles über sowohl Jack als auch Missy zu erfahren. Zwar haben wir noch nicht alle Berichte, aber nichts von dem, was wir bisher gehört haben, lässt darauf schließen, dass es in der Ehe Probleme gab.“
„So ist es“, stimmte Kate zu. „Es gab auch keine finanziellen Probleme, Missy hat eine weiße Weste, es gibt nichts in dieser Richtung. Sie hingegen haben keine ganz reine Weste, Olivia. Wollen Sie mir von der Nacht erzählen, als Missy die Polizei rufen musste, weil Sie versuchten, sich gewaltsam Zutritt zu ihrem Haus zu verschaffen?“
„Jack hatte Probleme bei der Arbeit“, begann Olivia, und man sah, dass ihr unbehaglich zumute war. „Er hatte eine Panikattacke erlitten. Ich rief an, um zu sehen, wie es ihm geht, und um mit meinen Enkeln zu sprechen, aber Missy hat es nicht zugelassen. Sie sagte mir, dass Jack es mir zwar nicht sagen wollte, aber dass ich einer der Gründe für seine Panikattacke war. Als ich nochmals angerufen habe, hat sie einfach aufgelegt, deshalb habe ich mich kurzerhand dazu entschieden, einfach hinzufahren. Wir – Missy und ich - haben uns gestritten und sie hat mich vor die Tür gesetzt; sie weigerte sich, mich wieder einzulassen. Danach… habe ich wohl etwas die Kontrolle verloren und sie hat daraufhin die Polizei verständigt.“
„Wenn nötig, werden wir uns mit dem Vorfall befassen“, sagte Kate. „Aber um ehrlich zu sein, nichts, was wir gesehen haben, weist darauf hin, dass Missy einen Grund gehabt hätte, ihren Mann umzubringen. Unserer Meinung nach gibt es kein Motiv.“
„Wenn Sie der Meinung sind, warum zum Teufel sind Sie dann überhaupt hier?“
„Um ehrlich zu sein… weil Ihr Name im Zuge der Ermittlungen aufgetaucht ist. Einer von Jacks Mitarbeiter hat zufällig ein Telefonat mitgehört, in dem Jack einen Streit mit seiner Frau hatte… und es ging um Sie. Wir haben Sie überprüft und sind auf eben jenen Vorfall gestoßen.“
Olivia lächelte auf eine Art und Weise, wie man alte Ganoven in Filmen lächeln sieht. „Na dann. Wie es scheint, haben Sie sich ja schon Ihre Meinung über mich gebildet.“
„Nein, das trifft nicht zu. Wir wollen nur…“
„Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich muss Sie bitten zu gehen. Ich möchte in Ruhe um meinen Sohn trauern.“
Kate war sich bewusst, dass ihre Zeit mit Olivia Tucker abgelaufen war. Wenn sie noch weiterbohrte, würde die Frau dicht machen. Außerdem hatten sie von ihr keinerlei brauchbare Informationen bekommen – es sei denn, ihre Anschuldigungen gegen ihre Schwiegertochter beinhalteten doch ein Fünkchen Wahrheit. Und das bezweifelte Kate.
„Danke, dass Sie mit uns gesprochen haben“, sagte Kate. „Unser herzlichstes Beileid.“
Olivia nickte, erhob sich und verließ das Wohnzimmer. „Den Ausgang finden Sie sicher selbst“, sagte sie noch, bevor sie in den hinteren Teil des Apartments verschwand.
Auch Kate und DeMarco gingen. Sie hatten keine brauchbare Spur, waren allerdings leicht verstört auf Grund der Anschuldigungen, die Olivia gegen ihre Schwiegertochter ausgesprochen hatte.
„Glaubst du, dass da irgendetwas dran ist?“, fragte DeMarco. Motiviert durch den Fall schien sie ihre Wut langsam überwunden zu haben.
„Ich glaube, genau jetzt, in diesem Moment, während sie nach Antworten sucht, glaubt sie, was sie sagt. Ich glaube, sie nimmt die Ängste, die sie über die Jahre hatte und bündelt sie, vergrößert sie, um etwas - beziehungsweise jemanden - zu haben, worauf sie die Schuld und ihre eigene Wut projizieren kann.“
DeMarco nickte, als sie in den Wagen stieg. „Was immer es war, es war extrem unschön.“
„Und ich glaube auch, dass sie selbst damit aus dem Schneider ist. Trotzdem sollten wir Missy im Auge behalten, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Vielleicht sollten wir auch die Polizei in Ashton davon in Kenntnis setzen, dass Olivia mental so auf der Kippe steht.“
„Ja, und was dann?“
„Dann lassen wir alles noch einmal Revue passieren. Vielleicht bei ein, zwei Gläsern Wein im Hotel.“
Das schien eine gute Idee zu sein, aber trotzdem konnte Kate nicht umhin, immer wieder an Missy Tucker zu denken, und dass ihre Welt jetzt nur noch eine Hülle dessen war, was ihr Leben einmal ausgemacht. Kate konnte sich sehr genau daran erinnern, wie es sich anfühlte, den Mann, den man liebte, zu verlieren; den Mann, der einen so gut kannte wie ein Buch, das er eine Million Male gelesen hatte. Es war so herzzerreißend, dass es dafür keine Worte gab, und ließ das Leben aus einem selbst heraus sickern.
Jetzt dieses Gefühl wieder zu erleben, wo sie zum Hotel zurückfuhr, motivierte sie mehr als alles andere. Es veranlasste sie, tief in ihrer Erinnerung zu graben, wo sich die Details des ersten Falls versteckt gehalten hatten, seit dem Zeitpunkt, als sich der Nobilini-Fall ereignet hatte.
Ihre Gedanken versuchten einen Namen zu greifen – ein Name, der ihr nur allzu gut bekannt war, der aber ihrer bewussten Erinnerung entging. An diesen Namen war sie vorhin, als sie Jack Tuckers Freunde im Yachtclub getroffen hatte, unbewusst erinnert worden.
Cass Nobilini.
Du weißt, dass dort die Antworten liegen, dachte Kate.
Vielleicht war es so. Und zur Not würde sie dort nach den Antworten suchen.
Allerdings hoffte sie, dass es dazu nicht kommen würde. Sie hoffte, dass sie Cass Nobilini in ihrem ganzen Leben niemals wiedersehen müsse. Sie wusste aber auch, dass die Chancen dafür denkbar schlecht standen – dass sie Cass Nobilini wahrscheinlich sogar eher früher als später wiedersehen sollte.