Kitabı oku: «Wenn Sie Sähe», sayfa 3

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Kapitel vier

Zum Frühstück fuhren sie durch den Drive-Through eines Panera Bread. Während sie dort in der Schlange warteten, tätigte DeMarco mehrere Anrufe, um ein Treffen mit Olivia Nash zu organisieren, der Tochter des zuletzt ermordeten Ehepaares. Sie war bei ihrer Tante in Roanoke und, nach den Worten der Tante, ein totales Wrack.

Nachdem sie die Zustimmung der Tante sowie eine Wegbeschreibung eingeholt hatten, fuhren sie um kurz nach 7 Uhr morgens zum Haus der Tante. Die frühe Uhrzeit war kein Problem, denn die Tante hatte gesagt, dass Olivia sich weigerte zu schlafen, seitdem sie ihre Eltern ermordet aufgefunden hatte.

Die Tante saß auf der Veranda, als Kate und DeMarco das Haus erreichten. Cami Nash erhob sich zwar, als Kate aus dem Auto stieg, machte aber keinerlei Anstalten, ihnen entgegen zu kommen. Sie hielt einen Kaffeebecher in der Hand und hatte ein solch müdes Gesicht, dass Kate annahm, dass sie schon lange wach und dies nicht ihr erster Kaffee des Tages war.

„Cami Nash?“, fragte Kate.

„Ja“, sagte sie.

„Zuerst einmal, unser herzliches Beileid für Ihren Verlust“, sagte Kate. „Standen Sie Ihrem Bruder nahe?“

„Ziemlich nahe, ja. Aber im Moment kann ich darüber nicht nachdenken. Ich kann noch nicht… trauern, denn Olivia braucht jemanden an ihrer Seite. Sie ist nicht mehr die gleiche wie vor einer Woche, als wir telefoniert haben. Etwas in ihr ist zerbrochen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es gewesen sein muss… sie so vorzufinden und…“

Ihre Worte verloren sich und sie trank schnell ihren Kaffee, wie um sich abzulenken von den Tränen, die gleich aus ihr herauszubrechen drohten.

„Wird sie mit uns sprechen können?“, fragte DeMarco.

„Vielleicht kurz. Ich habe ihr gesagt, dass Sie kommen und sie schien es verstanden zu haben. Deshalb habe ich Sie auch hier draußen erwartet. Ich möchte Ihnen sagen, dass sie eine normale, junge Frau ist. Aber in ihrem derzeitigen Zustand… ich möchte nicht, dass Sie denken, dass sie psychische Probleme hat.“

„Vielen Dank“, sagte Kate. Sie hatte schon Leute erlebt, die auf Grund ihrer Trauer völlig fertig waren, und es war nie ein schöner Anblick. Sie konnte nicht umhin sich zu fragen, wie viel Erfahrung DeMarco damit hatte.

Cami führte sie ins Haus. Drinnen war es still wie in einem Grab. Das einzige Geräusch war das Summen der Klimaanlage. Kate bemerkte, dass Cami langsam ging, damit sie keinen Lärm machte. Kate tat es ihr gleich und fragte sich, ob Cami hoffte, dass Olivia durch die Stille einschlief, oder ob sie die ohnehin schon erschöpfte junge Frau nicht verängstigen wollte.

Sie betraten das Wohnzimmer, wo sich eine junge Frau auf der Couch befand, halb sitzend, halb liegend. Ihr Gesicht war gerötet und ihre Augen waren geschwollen vom vielen weinen. Sie sah aus, als hätte sie schon seit einer Woche nicht mehr geschlafen, und nicht erst seit gestern. Sie richtete sich auf, als sie Kate und DeMarco sah.

„Hallo, Miss Nash“, sagte Kate. „Danke, dass Sie zugestimmt haben, mit uns zu sprechen. Herzliches Beileid.“

„Nennen Sie mich bitte Olivia.“ Ihre Stimme war heiser und klang müde – fast so mitgenommen wie ihre Augen.

„Wir werden uns so kurz wie möglich fassen,“ meinte Kate. „Sie waren gerade vom College nach Hause gekommen. Wissen Sie, ob Ihre Eltern für diesen Tag Besuch erwarteten?“

„Wenn das der Fall war, dann weiß ich nichts davon.“

„Entschuldigen Sie bitte die Frage, aber wissen Sie, ob Ihre Eltern Feinde hatten?“

Olivia schüttelte den Kopf. „Dad war vorher schon einmal verheiratet… bevor er Mama kennenlernte. Aber auch mit seiner Ex-Frau hat er sich gut verstanden.“

Leise fing Olivia an zu weinen. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht und sie machte sich nicht die Mühe, sie wegzuwischen.

„Ich möchte Ihnen gern etwas zeigen. Ich weiß nicht, ob Sie dies zuordnen können. Falls ja, könnte dies schmerzhaft werden. Könnten Sie sich dies hier ansehen und uns sagen, ob Sie es wiedererkennen?“

Olivia blickte erschrocken, vielleicht auch ein wenig ängstlich drein. Kate konnte sie verstehen und scheute sich fast davor, ihr den Stofffetzen zu zeigen, den Palmetto ihnen überlassen hatte. Ein wenig widerwillig zog sie ihn aus der Tasche.

Sie sah sofort, dass Olivia ihn nicht erkannte. Ein Ausdruck von Erleichterung und Verwirrung zeigte sich sogleich in ihrem Gesicht, als sie die Plastiktüte und deren Inhalt sah.

Olivia schüttelte den Kopf, behielt aber die durchsichtige Plastiktüte im Blick. „Nein, das sagt mir nichts. Warum?“

„Das können wir Ihnen im Moment noch nicht sagen“, antwortete Kate. Tatsächlich wäre es legitim gewesen, es der Angehörigen mitzuteilen, aber Kate sah keinen Sinn darin, Olivia Nash noch mehr zu traumatisieren.

„Haben Sie eine Ahnung, wer das getan haben könnte?“, fragte Olivia. Sie wirkte verloren, so als wisse sie nicht, wo sie sich befand, oder wer sie selbst war. Kate sich nicht erinnern, wann sie zum letzten mal jemanden erlebt hatte, der sich so gelöst hatte von allem.

„Noch nicht“, sagte sie, „aber wir werden Sie auf dem Laufenden halten. Und bitte…“, und sie blickte dabei erst Olivia und dann Cami an, „kontaktieren Sie uns, sobald Ihnen irgendetwas einfällt, das helfen könnte.“

Mit der Bemerkung zog DeMarco eine Visitenkarte aus ihrer Innentasche und gab sie Cami.

Ob es die Zeit war, in der sie pensioniert gewesen war, oder ihre Schuldgefühle, dass sie der Großmutterrolle nicht gerecht geworden war, konnte Kate nicht sagen, doch sie fühlte sich furchtbar, als sie aus dem Raum ging und Olivia mit ihrer intensiven Trauer zurückließ. Als sie und DeMarco auf die Veranda traten, hörten sie, wie ihnen ein dumpfes Klagen folgte.

Kate und DeMarco tauschten einen hilflosen Blick aus, als sie zum Auto gingen. Kate konnte das Plastiktütchen in ihrer Innentasche fühlen, und plötzlich schien es sehr schwer zu wiegen.

Kapitel fünf

Als Kate aus dem Städtchen Whip Springs heraus und in Richtung Roanoke fuhr, sah DeMarco die Berichte zum ersten Fall durch. Sie waren fast identisch mit den Berichten zum Tatort der Familie Nash; ein Ehepaar war in seinem Zuhause auf besonders grausame Art und Weise ermordet worden. Vorläufig gab es keine Verdächtigen, und es gab auch keinerlei Zeugen.

„Steht da irgendetwas darüber drin, dass im Rachen der Opfer etwas gefunden wurde?“, fragte Kate.

DeMarco überflog den Report und schüttelte den Kopf. „Ich sehe dazu nichts. Vielleicht ist es… doch Moment, hier ist es, im Bericht des Gerichtsmediziners. Es wurde erst gestern gefunden, anderthalb Tage nachdem die Leichen gefunden wurden. Aber ja… im Bericht steht, dass sich ein kleines Stückchen Stoff im Rachen der Mutter befand.“

„Gibt es eine Beschreibung?“

„Nein. Ich rufe in der Gerichtsmedizin an und sehe zu, ein Foto zu bekommen.“

DeMarco verlor keine Zeit und rief sofort an. Während sie telefonierte, versuchte Kate, eine Parallele zu finden zwischen diesen beiden Doppelmorden, die auf den ersten Blick nur insofern etwas miteinander zu tun hatten, als dass etwas im Rachen des weiblichen Opfers gefunden worden war. Obwohl sie noch nicht das Foto davon gesehen hatte, erwartete Kate, dass das Stückchen Stoff, das im Rachen der Frau gefunden wurde, haargenau zu dem passte, das sich im Rachen von Mrs. Nash befunden hatte.

Nach drei Minuten beendete DeMarco das Gespräch. Nur Sekunden später erhielt sie eine Nachricht. Sie blickte auf ihr Handy und sagte „Es passt.“

Als sie sich auf dem Weg ins Stadtzentrum von Roanoke einer Ampel näherten, schaute Kate auf DeMarcos Handy, das sie ihr hinhielt. Wie erwartet war der Stofffetzen weich und hellblau – exakt genau wie der andere.

„Wir haben einiges in den Akten zu beiden Ehepaaren, richtig?“, fragte Kate.

„So einiges, ja“, sagte DeMarco. „Wir haben vieles in den Akten und in den Berichten zu den Fällen – klar, einiges wird fehlen – aber trotzdem haben wir schon das Eine oder Andere, mit dem wir arbeiten können.“ Hier hielt sie inne, da ihre GPS-App auf ihrem iPad einen Ton von sich gab. „Hier an der Ampel links abbiegen“, sagte sie. „Das Haus liegt keinen Kilometer entfernt in der nächsten Straße.“

Kates Gedanken überschlugen sich, als sie sich dem ersten Tatort näherten.

Zwei Ehepaare, auf brutale Weise umgebracht. Stücke irgendeiner alten Decke in den Rachen der Frauen.

Man konnte auf vielerlei Weise mit den Hinweisen umgehen. Aber bevor sich Kate auf einen bestimmten Ansatz konzentrieren konnte, sprach DeMarco.

„Hier ist es“, sagte sie und wies auf ein kleines Steinhaus auf der rechten Seite.

Kate hielt am Kantstein. Das Haus lag in einer schmalen Seitenstraße, die zwei Hauptstraßen miteinander verband. Es war eine ruhige Straße, in der mehrere kleine Häuser standen. Die Straße strahlte einen fast historischen Flair aus; die Bürgersteige waren zugewachsen und rissig, und die Grundstücke und Häuser sahen ähnlich aus.

LANGLEY stand in verblichenen, weißen Buchstaben am Briefkasten. Kate erblickte auch ein dekorierendes L über der Haustür, gefertigt aus altem Holz. Es stand in krassem Gegensatz zu dem hellem Gelb des Polizeiabsperrbands, das vom Geländer der Veranda hing.

Als Kate und DeMarco auf die vordere Veranda zugingen, wiederholte DeMarco halb lesend, halb aus dem Gedächtnis, die Informationen aus den Berichten zu der Familie Langley.

„Scott und Bethany Langley – Scott war neunundfünfzig Jahre alt, Bethany einundsechzig. Scott wurde tot in der Küche gefunden und Bethany in der Waschküche. Gefunden hat sie ein Fünfzehnjähriger, der bei Scott Gitarrenunterricht hatte. Allem Anschein nach sind sie erst einige Stunden, bevor sie gefunden wurden, getötet worden.“

Als sie das Haus der Langleys betraten, blieb Kate einen Augenblick in der Tür stehen, um sich das Layout einzuprägen. Es war ein kleineres Haus, aber gut in Schuss. Durch die Haustür betrat man einen sehr kleinen Eingangsbereich, der dann in das Wohnzimmer überging. Ein Tresen teilte das Wohnzimmer von der Küche ab. Rechter Hand zweigte ein Flur ab, von dem der restliche Teil des Hauses zu erreichen war.

Allein durch das Layout war Kate in der Lage zu sagen, dass höchstwahrscheinlich der Mann als erstes getötet worden war. Doch von der Haustür aus konnte man quasi direkt bis in die Küche sehen. Scott Langley musste stark beschäftigt gewesen sein, um nicht zu bemerken, dass jemand durch die Haustür herein kam.

Vielleicht ist der Killer auf anderem Wege ins Haus gelangt, dachte Kate.

Sie betraten die Küche, auf deren Laminat die Blutflecken deutlich hervortraten. Eine Pfanne und eine Spray mit Sonnenblumenöl standen neben dem Herd.

Er wollte gerade etwas kochen, dachte Kate. Vielleicht wurden sie also zur Abendessenzeit getötet.

DeMarco ging in Richtung Flur und Kate folgte ihr. Links zweigte ein kleiner Raum ab, der sich als betriebsame Waschküche entpuppte. Hier war noch viel mehr Blut. Blut klebte an der Waschmaschine, am Trockner, an den Wänden, auf dem Boden und bedeckte einen Stapel sorgfältig zusammengelegter, sauberer Wäsche in einem Wäschekorb.

Da die Leichen schon abtransportiert worden waren, gab es wenige Hinweise im Hause der Langleys. Allerdings war da noch einen Sache, die Kate untersuchen wollte. Sie ging zurück ins Wohnzimmer und betrachtete die Bilder an den Wänden und auf dem Regal. Darin sah sie die Langleys glücklich lächeln. Auf einem Bild war ein älteres Paar zu sehen, das mit den Langleys am Ende eines Stegs an einem Strand stand.

„Was wissen wir über das Familienleben der Langleys?“, wollte Kate wissen.

DeMarco, die das iPad in der Rechten hielt, ging die Informationen durch und begann, die Details vorzulesen. Mit jeder Information wurde es wahrscheinlicher, dass das Bauchgefühl, dass Kate schon seit einigen Minuten hatte, zutraf.

„Sie waren fünfundzwanzig Jahre verheiratet. Bethany Langley hatte eine Schwester, die vor zwölf Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Keiner von beiden hat noch lebende Eltern. Scott Langleys Vater ist erst vor kurzem gestorben, vor sechs Monaten; an einer aggressiven Form von Prostatakrebs.“

„Werden Kinder erwähnt?“

„Nein. Keine Kinder.“ Hier machte DeMarco eine Pause und schien zu begreifen, worauf Kate hinauswollte. „Du denkst an das Stückchen Stoff, nicht wahr? Dass es aussieht, als ob es zu einer Kuscheldecke gehört.“

„Ja, genau das habe ich gedacht. Aber wenn die Langleys keine Kinder hatten, dann gibt es hier auch keine offensichtliche Verbindung.“

„Also, ich glaube nicht, dass ich jemals bei einem Fall eine offensichtliche Verbindung zu irgendetwas gesehen habe“, sagte DeMarco mit einem unsicherem Lachen.

„Auch wieder wahr“, meinte Kate, aber sie war sich trotzdem sicher, dass es eine geben musste. Auch bei diesen scheinbar zufälligen Opfern gab es etwas, was sie gemeinsam hatten.

Beide Paare waren Mitte bis Ende fünfzig, Anfang sechzig. Beide waren verheiratet. Die Frau hatte jeweils etwas im Rachen, das wie ein Stück flauschiger Decke aussieht.

Also ja, es gab Ähnlichkeiten, allerdings führten die zu keiner richtigen Spur. Jedenfalls noch nicht.

„DeMarco“, sagte sie. „Könntest du bitte ein paar Leute anrufen und in die Wege leiten, dass uns die hiesige Polizei Büroraum zur Verfügung stellt.“

„Schon passiert“, sagte DeMarco. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich Duran schon darum gekümmert hat, noch bevor wir hier angekommen sind.“

Der meint wohl, mich nur allzu gut zu kennen, dachte sie leicht gereizt. Allerdings tat er dies allem Anschein nach auch.

Kate blickte sich noch einmal im Haus um, betrachtete die Bilder, die Blutflecken. Sie musste die Ehepaare besser kennenlernen, wenn sie weiterkommen wollte. Und sie musste die Stofffetzen untersuchen lassen. In Anbetracht der Ähnlichkeiten der beiden Tatorte meinte sie, dass gute alte Recherche mehr als andere Resultate bringen würde.

Als sie zurück zum Wagen gingen, wurde ihr klar, zu was für einer lächerlich frühen Uhrzeit sie den Tag begonnen hatten. Als sie sah, dass es erst 10 Uhr morgens war, hatte dies jedoch einen belebenden Effekt. Der Großteil des Tages lag noch vor ihnen. Vielleicht, mit etwas Glück, konnten sie den Fall so schnell lösen, wie sie es hoffte und dann noch vor Ende des Wochenendes wieder zurück in Richmond sein und noch einmal Michelle sehen – das hieß, wenn Melissa dies erlaubte.

Siehst du, hörte sie in Gedanken ihre Großmutterstimme, als sie sich wieder hinter das Steuer setzte. Selbst inmitten von zwei blutigen Doppelmorden denkst du an deine Enkelin – an deine Familie. Sagt dir das nicht irgendetwas?

Das tat es wohl. Doch wo sie jetzt ein spätes Kapitel ihres Lebens begann, war es trotz allem sehr schwer zuzugeben, dass noch etwas im Leben neben ihrer Arbeit wichtig war. Das war vor allem dann schwer zuzugeben, wenn sie auf der Spur eines Killers war und wusste, dass er jederzeit wieder zuschlagen konnte.

Kapitel sechs

Kate und DeMarco wurde ein kleiner Konferenzraum im hinteren Teil der City of Roanoke Polizeiwache zur Verfügung gestellt. Nachdem sie dort ankamen, führte eine kleine, beleibte Frau sie durch das Gebäude zu dem Raum. Sobald sie sich gesetzt und angefangen hatten, sich einen Arbeitsbereich einzurichten, klopfte es an der Tür.

„Herein“, sagte Kate.

Als sich die Tür öffnete, sah sie ein bekanntes Gesicht – Palmetto vom State Police Department, der leicht versteifte Mann, der sie vor dem Haus der Nashes früher am Tage empfangen hatte.

„Als ich mich um den Papierkram gekümmert habe, sah ich, dass Sie hier sind“, sagte Palmetto. „In ein paar Stunden fahre ich wieder nach Chesterfield. Dachte mir, ich gucke nochmal vorbei um zu sehen, ob ich Ihnen noch behilflich sein kann.“

„Nichts gravierendes“, sagte Kate. „Wussten Sie, dass auch im Rachen von Bethany Langley ein Fetzen desselben Stoffes gefunden wurde?“

„Nicht bis vor einer halben Stunde. Eine von Ihnen hat anscheinend im Labor angerufen und darum gebeten, ein Foto geschickt zu bekommen.“

„Richtig“, sagte DeMarco. „Und wie es scheint, handelt es sich um den gleichen Fetzen wie der, den Sie uns gegeben haben.“

Bei Erwähnung des Stofffetzens legte Kate das Plastiktütchen, das Palmetto ihr gegeben hatte, auf den Tisch. „Im Moment ist das der einzige konkrete Hinweis, der die beiden Doppelmorde verbindet.“

„Und die Gerichtsmedizin hat quasi keine Spuren an diesem Stoffetzen sichern können“, meinte Palmetto. „Abgesehen von Mrs. Nashs DNA.“

„Der Bericht zu den Langleys, den ich hier habe, gibt auch keinerlei Aufschluss.“

„Trotzdem ist es vielleicht einen Besuch in der Gerichtsmedizin wert“, sagte Kate.

„Dann mal viel Glück“, sagte Palmetto. „Als ich sie dort auf den Fall Nash angesprochen habe, hatten sie keine Ahnung.“

„Waren Sie in irgendeiner Weise in den Fall der Langleys involviert?“, wollte Kate wissen.

„Nein. Ich bin dazugekommen, direkt nachdem es passiert war. Ich habe die Leichen gesehen und den Tatort untersucht, aber da war nichts. Wenn Sie mit dem Gerichtsmediziner sprechen, fragen Sie ihn aber nach dem einzelnen Haar, das auf der sauberen Wäsche gefunden wurde. Es schien nicht von Mrs. Langley zu stammen, deshalb wird es gerade untersucht.“

„Bevor Sie gehen“, sagte Kate, „haben Sie irgendwelche Theorien, die Sie mit uns teilen wollen?“

„Ich habe keine“, sagte Palmetto trocken. „Ich habe alle Details abgeklopft, aber wie es scheint, gibt es überhaupt keine Verbindung zwischen den Nashs und den Langleys. Allerdings, der Stofffetzen im Rachen… etwas für den Killer so Spezielles und Persönliches muss sie doch verbinden, oder?“

„Das ist genau, was ich denke“, sagte Kate.

Er legte die Hand an die Tür, und nun sah Kate ihn zum ersten Mal lächeln. „Ich bin mir sicher, Sie werden es herausfinden. Ich habe von Ihnen gehört, wissen Sie? Viele von uns hier beim State Police Department haben das.“

„Da bin ich mir sicher“, sagte sie und verzog das Gesicht.

„Fast nur Gutes. Und dann haben Sie sich vor ein paar Monaten von ihrer Rente verabschiedet, um jemanden zur Strecke zu bringen, richtig?“

„So könnte man das sagen.“

Palmetto, dem klar war, dass Kate nicht einfach nur dasitzen und in Lob baden würde, zuckte die Schultern. „Rufen Sie die Jungs bei der State Police an, falls Sie irgendetwas benötigen, Agent Wise.“

„Das werde ich tun“, sagte sie, als Palmetto sich verabschiedete.

Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, schüttelte DeMarco spielerisch den Kopf. „Hast du jemals genug davon, dass die Leute dich loben?“

„Ja, schon“, entgegnete Kate, ohne dass es selbstgefällig klang. Während es natürlich ein erhebendes Gefühl war, an das erinnert zu werden, was sie während ihrer Karriere geleistet hatte, so wusste sie doch tief im Innern, dass sie immer nur ihren Job gemacht hatte. Vielleicht hatte sie ihren Job mit mehr Hingabe erledigt als andere, aber es war eben doch nur naja – ein gut erledigter Job… ein Job, den sie scheinbar nicht hinter sich lassen konnte.

Innerhalb weniger Minuten und mit der Hilfe des Systemadministrators der Wache hatten Kate und DeMarco schnell Zugriff auf die Datenbank des Police Departments. Sie arbeiteten zusammen und gingen die Vergangenheiten sowohl der Nashs als auch der Langleys durch. Keine der Familien war kriminell aufgefallen. Tatsächlich war es schwer vorstellbar bei beiden Familien, dass sie sich jemanden zum Feind gemacht hatten. Die Langleys waren für einige Jahre ihres Lebens Pflegeeltern gewesen. Sie waren sehr engagiert gewesen in ihrer Kirche und über die letzten zwanzig Jahre auf vielen Missionen gewesen, vor allem in Nepal und in Honduras.

Nach einer Weile gab Kate auf und lief im Raum umher. Sie benutzte das Whiteboard im Konferenzraum, um Notizen aufzuschreiben, in der Hoffnung, etwas Schriftliches zu sehen würde ihr helfen, sich zu konzentrieren. Aber das war nicht der Fall. Keine Verbindung, keine Spuren, keine konkrete Richtung, wie sie weiter verfahren sollten.

„Du auch, was?“, fragte DeMarco. „Nichts?“

„Bisher nicht. Ich glaube, wir sollten uns an das halten, was wir haben, statt versuchen Neues zu finden. Ich glaube, wir müssen die Stofffetzen noch einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Zwar hat das Labor nichts Aufschlussreiches entdeckt, aber vielleicht weist uns der Stoff an sich in eine bestimmte Richtung.“

„Ich kann dir nicht folgen“, meinte DeMarco.

„Das ist schon in Ordnung“, entgegnete Kate. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir selbst überhaupt folgen kann. Aber vielleicht wissen wir, was wir suchen, wenn wir es sehen.“

* * *

Als Kate die Müdigkeit zum ersten Mal richtig spürte, fuhr sie gerade mit DeMarco von der Polizeiwache zur Gerichtsmedizin. Es erinnerte sie schmerzlich daran, dass sie seit siebenundzwanzig Stunden nicht geschlafen hatte, und wie irre früh ihr Arbeitstag begonnen hatte. Vor zwanzig Jahren hätte ihr das nichts ausgemacht. Aber mit ihren sechsundfünfzig Jahren lagen die Dinge inzwischen nunmal anders.

Die Fahrt zur Gerichtsmedizin dauerte nur fünf Minuten. Sie befand sich inmitten eines kleinen Netzwerkes an Gebäuden, bestehend aus der Polizeiwache, dem Gericht und dem Gefängnis. Nachdem sie sich ausgewiesen hatten, wurde sie am Fronttresen des Gerichtsmedizinisch-wissenschaftlichen Labors vorbei in das zentrale Labor geführt. Sie wurden gebeten, vorerst in der kleinen Lobby Platz zu nehmen, während der Techniker, der die Stofffetzen untersucht hatte, ausgerufen wurde.

„Glaubst du, dass der Stoff nur so eine Art Visitenkarte für den Killer ist?“

„Könnte sein. Hat vielleicht überhaupt nichts mit dem Warum des Falls zu tun. Vielleicht hat es für den Killer eine Bedeutung. So oder so, im Moment sieht es so aus, als seien die Stofffetzen – die, da bin ich mir sicher, von irgendeiner kuscheligen Decke stammen – unsere einzige echte Verbindung zu ihm.“

Dadurch wurde Kate an einen abscheulichen Fall erinnert, an dem sie in den Neunzigern mitgearbeitet hatte. Ein Mann hatte fünf Menschen umgebracht – alles seine Ex-Freundinnen. Bevor er sie erwürgte, hatte er sie gezwungen, ein Kondom zu schlucken. Am Ende stellte sich heraus, dass er dafür keinen wirklich Grund gehabt hatte, nur den, dass er es gehasst hatte, während des Sex ein Kondom zu tragen. Kate fragte sich, ob sich in diesem Fall die Stofffetzen als genauso unwichtig herausstellen würden.

Sie mussten nicht lange warten, bis ein großer, älterer Mann durch die gegenüber liegende Tür geeilt kam. „Sie sind vom FBI?“, fragte er.

„Ja, sind wir“, sagte Kate und zeigte ihren Ausweis. DeMarco tat es ihr gleich und der Mann betrachtete beide Ausweise eingehend.

„Nett Sie kennenzulernen, Agents“, sagte er. „Ich bin Will Reed, und ich habe die Untersuchungen an den Stücken Stoff vorgenommen, die bei den letzten Mordopfern gefunden wurden. Ich nehme an, deswegen sind Sie hier? Agent DeMarco, ich nehme an, Sie sind diejenige, an die ich vorhin das Bild geschickt habe?“

„Richtig“, sagte DeMarco. „Wir hoffen, Sie können uns etwas mehr über diese Stofffetzen erzählen.“

„Ich würde Ihnen ja sehr gerne helfen, aber wenn es um diese Stofffetzen geht, dann fürchte ich, dass ich nicht wirklich helfen kann. Wie es scheint, hat sich der Täter nicht nur die Mühe gemacht, die Fetzen tief in den Rachen der Opfer zu schieben, sondern ferner ist auch die Tatsache beachtlich, dass er keinerlei Spuren von sich selbst hinterlassen hat.“

„Ja, das verstehen wir“, meinte Kate. „Aber ohne konkrete physische Hinweise, auf die man sich stützen kann, hätte ich gern gewusst, ob Sie mir über den Stoff selbst sagen können.“

„Oh, damit kann ich vielleicht dienen“, sagte Reed.

„Ich bin der Meinung, dass beide Fetzen vom gleichen Ursprungsmaterial stammen“, sagte Kate. „Wahrscheinlich von einer Decke. Einer kuscheligen Decke. Wie sie für Kinder hergestellt werden.“

„Ich denke, dass kann man mit einiger Sicherheit behaupten. Bis ich den zweiten Fetzen sah, war ich mir nicht ganz sicher. Aber beide passen hundertprozentig zusammen – Farbe, Muster, Beschaffenheit, und so weiter.“

„Ist es möglich zu sagen, wie alt die Decke war?“, wollte Kate wissen.

„Ich fürchte nicht. Allerdings kann ich Ihnen sagen, woraus die Decke gemacht wurde. Und ich fand es merkwürdig, denn es ist eine unübliche Stoffkombination für eine traditionelle Decke, soweit man das sagen kann. Der Großteil der Decke besteht natürlich aus Wolle, das ist üblich. Aber bei dem zweiten Material handelt es sich um Bambuswolle.“

„Inwiefern ist das etwas anderes als herkömmliche Wolle?“ fragte Kate.

„Ich bin nicht ganz sicher“, sagte er. „Wir sehen viel Kleidung und Stoffe hier. Aber ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich mit etwas in Berührung gekommen bin, das Spuren von Bambuswolle enthielt. Es ist kein explizit rares Material, aber generell keineswegs so weit verbreitet wie herkömmliche Wolle.“

„Mit anderen Worten“, sagte DeMarco, „sollte es nicht allzu schwierig sein, Firmen ausfindig zu machen, die Bambuswolle als primäres Material verwenden?“

„Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen“, antwortete Reed. „Aber es interessiert Sie sicher, dass Bambuswolle tatsächlich oft in flauschigen Decken verwendet wird. Es ist sehr luftdurchlässig. Sie sollten sich wahrscheinlich auf etwas Teureres konzentrieren. Tatsächlich gibt es eine Firma, direkt hier vor den Toren der Stadt, die genau solche Produkte herstellt.“

„Kennen Sie den Namen dieses Herstellers?“

„Biltmore Threads. Es handelt sich um eine kleinere Firma, die fast pleitegegangen wäre, als alle anfing, online zu kaufen.“

„Können Sie uns sonst noch etwas sagen?“, bat Kate.

„Ja, aber es ist ein wenig unappetitlich. Soweit ich weiß, war der Stoff bei der Nash-Frau so tief in den Rachen gestopft, dass sie sich fast übergeben musste, selbst im Todeskampf. Wir haben Magensäure an dem Fetzen gefunden.“

Kate stellte sich vor, wie viel Gewalt man anwenden musste, um dies zu bewerkstelligen… wie weit man die eigene Hand in den Rachen des Opfers hineinstoßen musste, damit der Fetzen Stoff dort platziert war, wo man ihn schließlich gefunden hatte.

„Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben, Mr. Reed“, sagte Kate.

„Gerne. Lassen Sie uns nur hoffen, dass ich nicht bald einen dritten Stofffetzen zu Gesicht bekomme.“

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15 nisan 2020
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