Kitabı oku: «Der Ring der Niedersachsen», sayfa 4

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Ilka Stitz

Mit eiserner Zunge

Vermutlich wollte Karl der Große 772 mit seinem ersten Feldzug gegen die Sachsen im Osten deren Überfälle auf fränkische Gebiete beenden und seine Ostgrenze sichern. Laut fränkischer Reichsannalen wurde der Sachsenkrieg wider Erwarten »der langwierigste und anstrengendste des fränkischen Volkes«. Dreiunddreißig Jahre lang sollten jedem scheinbaren fränkischen Sieg sächsische Aufstände folgen. Ein Höhepunkt der Rebellion gegen die fränkische Herrschaft war der Sieg der Sachsen am Süntel im Jahre 782. Ein Sieg, der einerseits den sächsischen Anführer Herzog Widukind zum Volkshelden aufsteigen ließ, aber andererseits Karls bittere Rache heraufbeschwor. Beim Blutgericht von Verden ließ er laut Quellen 4500 Sachsen hinrichten. Widukind konnte zu den Dänen fliehen.

Bis 804 dauerten die Auseinandersetzungen, dann waren die Sachsen endgültig befriedet und bekehrt. Rund 180 Jahre regierten Karolinger das Reich, bis 962 mit Otto I. ein Sachse und Ahne Widukinds den nun römisch-deutschen Thron bestieg.

Hessi holte aus und schlug zu. Ein Krachen und die Holzscheite flogen durch die Luft. Er bückte sich nach dem nächsten Holzstück und legte es auf den Hackklotz. Wieder ließ er die Axt hernieder fahren, und die Schneide spaltete das Holz, als gleite sie durch Schweineschmalz.

Schweineschmalz! Kaum konnte sich Hessi noch an den Geschmack erinnern. Wann hatten sie zum letzten Mal ein Schwein geschlachtet? Jahre musste es her sein.

Hinter dem Schuppen ertönte leises Grunzen. Dieser Tage käme Alwin, der Priester, ihr letztes Schwein zu holen. Im Auftrag Karls überwachte er die Grafen dieser Gegend, dass ihre Stämme den Tribut leisteten. So eine Schmach! Ganz sicher kam es bald wieder zu einem Aufstand. Priester, die über Fürsten standen, so etwas konnte sich kein Sachse gefallen lassen. Und überhaupt, Tribut wofür? Dass dieser Frankenpriester ihnen ihr Essen stahl und ihnen mit seinen Gebeten die Ohren vollrauschte?

Genug, er durfte so etwas nicht denken!

Sein Magen knurrte, und er trank einen Schluck Wasser aus der Feldflasche, die neben ihm am Boden lag. Er schwitzte, die Sonne stand hoch, es war bald Mittag.

Wie es dem Vater wohl ging? Verstohlen warf er einen Blick zu der Hütte hinüber. Eine dünne Rauchsäule kräuselte sich aus der Dachöffnung, sonst war alles still.

Hessi wischte sich den Schweiß von der Stirn, sammelte die herumliegenden Scheite ein und warf sie auf einen Haufen. Er hatte viel geschafft, nur noch ein paar Holzstücke warteten auf ihn.

Ob sein Vater wohl endlich Schlaf gefunden hatte? Die ganze Nacht hatte Hessi ihn stöhnen hören. Sein Kopf dröhne und die Hand schmerze, hatte er ihm am morgen gesagt. Die rechte Hand schmerzte ständig. Die Götter – nein, Gott natürlich, mochte wissen, wie eine Hand, die es nicht mehr gab, schmerzen konnte.

Hessi spuckte auf den Boden, legte ein neues Holzstück auf den Klotz und spaltete es mit einem Schlag. Die Arbeit half ihm, seinen Zorn zu bändigen. Seinen Schwur zu halten. Das Gesicht des Vaters trat ihm vor Augen und seine Hände begannen zu zittern.

»Hessi!«

Er ließ die Axt sinken und schaute sich um. Neben der Hütte stand Gewa und winkte zu ihm herüber, kam auf ihn zu. Unmöglich, den Blick von ihr abzuwenden.

Sie lachte, schien mit den Füßen kaum den Boden zu berühren, schwebte fast bis sie vor ihm stand. Ihr Geruch wehte ihn an, der Geruch des Feuers, ganz leicht auch der nach Wiese und, ja, Kamillenblüten.

Kein Glied konnte er rühren, als sie vor ihm stand und den Holzhaufen musterte, den er hinter sich aufgeworfen hatte.

»Hab ich mir gedacht, dass ich dich hier finde. Bist wieder tüchtig, Ewart wird sich freuen.«

Hessi nickte.

»Schau doch nicht immer so grimmig, Hessi. Wenn ich dich nicht kennen würde, müsste ich mich vor dir fürchten.« Sie stupste ihren Zeigefinger gegen seine Brust.

Er wollte sie anlächeln, wirklich, doch sein Gesicht bewegte sich nicht, trotz aller Anstrengungen. Er musste aussehen wir ein Ochse.

Statt seiner lächelte sie, und die Sonne schien heller. Hessi zwang seinen Kopf, sich ein Stück zu heben, fragend.

Sie verstand, reckte sich zu ihm hinauf und sagte: »Ihr habt wichtigen Besuch.«

Hessi regte sich nicht, blickte sie an, als sähe er sie zum ersten Mal. Immer wenn er sie sah, schien es ihm das erste Mal. Sie war es gewohnt, jedenfalls ließ sie sich nichts anmerken.

Gewa hob ein versprengtes Holzscheit auf und legte es zu den anderen. »Wusstest du, dass Abbio zurück ist?«

Hessi schüttelte den Kopf.

»Ich konnte mich kaum noch an ihn erinnern, so lange war er fort. Gerade habe ich ihn gesehen«, sagte sie und strich sich eine Locke aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. »Was für ein Mann, so groß und stark, fast wie du!« Sie sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an. »Er ist jetzt bei deinem Vater, ich glaube, er sucht dich.«

Wer suchte ihn, Abbio oder sein Vater? Gewa ließ die Frage unbeantwortet. Und woher wusste sie das überhaupt.

Sie schien ihm die Gedanken von seinem Gesicht abzulesen. »Ich wollte zu dir.« Gewa wickelte die Locke um ihren Finger. »Vater lässt fragen, ob du ihm beim Ausbessern des Daches helfen kannst. Da sah ich Abbio vor eurem Haus und hörte ihn schon an der Tür nach dir fragen.«

Sie winkte ihm heftig, ihr zu folgen und ging den Weg zur Hütte voran. Erst, als sie schon die halbe Strecke zurückgelegt hatte, gewann Hessi wieder Macht über seine Beine. Er hieb die Axt in den Klotz und setzte sich in Bewegung.

An der Hütte hatte er Gewa eingeholt. Bevor er die Tür öffnete, blieb er neben ihr stehen, sog noch einmal ihren Duft ein.

»Was ist mit dir, fühlst du dich nicht?«

Als er auf sie heruntersah trafen sich ihre Blicke. Er schüttelte den Kopf und öffnete die Tür.

»Kann ich Vater ausrichten, dass du kommst?«, fragte sie und versuchte, einen Blick in das Innere der Hütte zu werfen.

Hessi nickte und ließ sie stehen. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, fühlte er sich elend, wollte zu ihr zurück, sie hineinbitten, wenigstens mit einer Geste – zu spät.

»Ah, Hessi!«

Graf Abbio saß auf ihrem einzigen Stuhl. Sogar im Dämmerlicht der Hütte sah er ehrfurchtgebietend aus, Gewa hatte schon recht. Er war hochgewachsen, das dunkle Haar wallte bis auf die Schultern. Bei jeder Bewegung klirrte sein Kettenhemd, das seine Schultern noch breiter wirken ließ.

»Gerade wollte ich dich suchen lassen.« Abbio erhob sich und trat einen Schritt auf ihn zu, musterte ihn.

Das Herdfeuer überzog ihn mit glutrotem Schimmer. Hessi fröstelte. Was wollte ihr Graf hier, bei ihnen? Kam er, sie an die Franken auszuliefern, als Geisel? Hieß es nicht, Abbio sollte in Dänemark bei Widukind sein? Wenn Abbio hier war, war dann auch Widukind gekommen? Das bedeutete Krieg. Hessis Herz klopfte schmerzhaft.

Abbio wandte den Kopf in Richtung des Lagers, auf dem Hessis Vater Ewart lag. Der Alte hatte sich aufgerichtet, dem hohen Gast zu Ehren, stützte sich auf seine unversehrte Linke, den rechten Armstumpf verbarg er unter der Decke.

»Ewart, ist dein Sohn auf einmal stumm? Oder warum sagt er kein Wort des Willkommens zu eurem Gast? Ich erinnere mich an einen aufgeweckten Jungen, als ich das letzte Mal bei euch war. Was ist los mit ihm?«

Ewart hustete kurz. »Verzeih, Edler, doch Hessi, nun, tatsächlich spricht er nicht. Seit …« Ewart zog seinen rechten Arm unter der Decke hervor, »seit dem.« Sein Stumpf deutete in Richtung seiner Augen, dorthin, wo einmal seine Augen gewesen waren, jetzt nur noch rotwülstige Narben.

»Ah, ich hörte davon. Verstehe«, murmelte Abbio und senkte kurz den Blick. Dann straffte er sich, wieder klirrte es leise. »Warum ich zu euch komme, werdet ihr euch fragen. Ihr sollt es erfahren: Widukind schickt mich, er braucht euch. Ah …«

Abbio räusperte sich, stand auf und trat dicht an Hessi heran. Sie waren von gleicher Größe, bemerkte Hessi, und ähnlicher Statur.

Abbio beugte sich vor, ganz nah, nickte ihm zu. »Dich, dich braucht er! Jeder sagt, du wärest der stärkste Mann hier im Dorf. Und jetzt, wo ich dich nach all den Jahren wiedersehe, glaube ich es gern. Aus dem kleinen Jungen von einst ist ein Krieger geworden.«

Hessi trat einen Schritt zurück, stieß mit dem Rücken gegen die Tür. Nein, niemals würde er an der Seite Abbios für Widukind in den Kampf ziehen. Er hatte es geschworen. Und im Gegensatz zu seinem Vater, im Gegensatz zu vielen anderen, gedachte er, seinen Schwur zu halten.

Es war eine Tortur, dem Vater jeden Tag von früh bis spät in das Gesicht zu sehen, jede Nacht sein Stöhnen zu hören. Niemand konnte von ihm verlangen, dass er gleiches Leid für sich heraufbeschwor. Niemand, weder Abbio noch Widukind.

Hessi drehte sich um und rannte hinaus.

Am Hackklotz hielt er inne, stützte sich mit einer Hand darauf und rieb sich mit der anderen über das Gesicht. Vor diesem Augenblick hatte er sich all die Jahre gefürchtet. Mit einem Ruck zog er die Axt aus dem Klotz, bemüht, die näherkommenden Schritte, das leise Klirren der Kettenglieder zu überhören.

»Hessi, überleg es dir.«

Abbio stellte sich vor ihn, den Blick auf die Axt geheftet. »Du bist ein Sachse, du bist denen nicht verpflichtet. Dein Schwur, geleistet vor ihrem Gott, ist für uns nichts wert. Denk an unsere Freiheit, lohnt es nicht, dafür zu kämpfen? Oder willst du den Franken auf ewig untertan sein?«

Hessi wandte sich ab.

»Ich weiß, was du erlebt hast, war bitter. Das mitansehen zu müssen …«

Hessi schnaubte, wich langsam zurück, doch Abbio folgte ihm, wie Baumharz klebte er an ihm. Der Geruch von Leder, Schweiß und Eisen umgab ihn, Kriegsgeruch.

»Sieh deinen Vater an! Was haben ihm Karls Leute angetan? Sie haben ihn zum Krüppel gemacht, sein Leben verwirkt. Ist es nicht deine Sohnespflicht, ihn zu rächen?«

Seine Pflicht? Seines Vaters Pflicht wäre es gewesen, seinen Schwur zu halten. Jetzt konnte Hessi ihm nicht mehr helfen, ihm sein Augenlicht, seine rechte Hand nicht zurückgeben. Hessi zuckte die Schultern und atmete tief durch.

Abbio schaute ihn an, seine blauen Augen flackerten in Erwartung einer Antwort. Der Graf nickte ihm aufmunternd zu, doch Hessi schwieg.

»Junge«, setzte der Graf an, »Junge!«, wiederholte er eindringlicher. »Gut, ich will nicht weiter in dich dringen. Nur soviel: Widukind hat Krieger gesammelt, viele hundert Krieger. Sogar die Friesen haben sich jetzt unserem Widerstand angeschlossen. Vereint haben wir bereits zahllose fränkische Siedlungen zerstört, Priester erschlagen, Kirchen niedergebrannt, wie sie es mit unseren Heiligtümern gemacht haben. Denk an unsere Irminsul, die ein Raub der Flammen wurde! Glaube mir, diesmal werden wir siegen! Wir sind im Vorteil, denn wir wissen, dass Karl Soldaten geschickt hat. Sie waren ausersehen, gegen die Slaven ins Feld zu ziehen, jetzt haben sie kehrt gemacht, um uns zu bezwingen. Hah! Als hätte uns Karl in all den Jahren jemals bezwingen können!

Drei Heerzüge seien hierher unterwegs, hörten wir. Sie kommen aus dem Osten, werden irgendwo an den nördlichen Hängen des Süntel ihre Lager aufschlagen. Wir müssen in Erfahrung bringen, was sie planen. Und dazu brauchen wir dich, Junge! Dein Vater sagte, und jeder im Dorf bestätigt es, dass niemand diese Gegend so gut kennt wie du. Du weißt, wo sie lagern könnten. Du allein bist fähig, sie auszukundschaften.« Abbio fasste ihn an den Schultern, schüttelte ihn, zwang Hessi, ihn anzusehen. »Es liegt in deiner Hand, dass dein Volk in diesem Kampf siegt.«

Hessi verschloss seine Ohren. Nein, er würde nicht gegen die Franken ziehen, was immer Abbio ihm einzureden versuchte. Jeder könnte die Franken auskundschaften, dafür brauchten sie ihn nicht.

Abbio schwieg, schien nachzudenken. »Nun gut«, fuhr er nach einer Weile fort. »Vielleicht vermag dich ja die Aussicht auf eine Belohnung zu überzeugen. Widukind wird deine Unterstützung bereitwillig vergolden. Und ich ebenfalls«, Abbio hob eine Hand und streifte den schweren Lederhandschuh ab. Ein goldener Ring funkelte an seinem kleinen Finger, mit einer Art flachem Stein, in dem etwas eingraviert schien. »Willst du mit deinem Vater ewig in Armut verharren? Nicht wissend, ob ihr morgen noch etwas zum Überleben habt?«

Abbio zog den Ring vom Finger, behielt ihn aber in der Hand. »Hier, damit du siehst, dass ich es wirklich ernst meine, will ich dir diesen Ring schenken. Wie man sich in meiner Familie erzählt, hat er einst einem bedeutenden Römer gehört.« Versonnen betrachtete er das Schmuckstück. »Hast du je von diesem Volk gehört, das die Welt beherrschen wollte? Ja, schon einmal kämpften unsere Vorfahren um ihre Freiheit. Unter einem mächtigen Anführer sammelten sich die Stämme und stritten gegen den gemeinsamen Feind, die Römer. Mit Erfolg, denn niemals ist es ihnen gelungen, uns zu beherrschen, und genauso wenig wird es den Franken jemals gelingen! Dieser Ring gehörte zu der Beute, die einer meiner Ahnen aus der Schlacht mitbrachte. Er soll dem Anführer der Römer gehört haben. Seither wird er in unserer Familie vom Vater an den ältesten Sohn weitergegeben. Mein Sohn ist tot, also nimm du ihn jetzt, als Vorzeichen unseres gewissen Sieges!«

Hessi sah auf den goldenen Reif in Abbios Hand. Ein Vorzeichen … Sein Leben lang kannte er nur Krieg und Kampf, und Abbio sprach jetzt von einem gewissen Sieg. Nein, Abbio hatte Unrecht, am Ende gewannen die Franken immer die Oberhand. Schon sein ganzes Leben lang war es so gewesen. Es war ein sinnloses Gemetzel.

Zögernd streckte Abbio ihm den Ring entgegen, Hessi hob die Hand, und Abbio, offenbar im Glauben, er griffe nach dem Ring, ließ ihn los.

Der Ring fiel zu Boden und funkelte im Gras wie ein Tautropfen in der Abendsonne. Genau in der Mitte, zwischen Abbios und Hessis Füßen, blieb er liegen. Einen Augenblick weidete sich Hessi an seinem Glanz, dann wandte er sich um und ging zurück zur Hütte.

»Überleg es dir!«, rief Abbio ihm nach. »In drei Tagen komme ich zurück und erwarte deine Antwort.«

Hessi hörte erneut das leise Klirren, das Knarren von Leder, das Abbios Bewegungen begleitete, dann noch einmal des Grafen Stimme: »Der Ring wird dein sein, ich stehe zu meinem Wort.«

Worad zügelte sein Ross und blickte sich um. Quälend langsam kroch der Zug in der Hitze dahin, an ihm vorbei. Karls Truppen, des Franken ganzer Stolz, zogen wieder einmal gegen die Sachsen in den Krieg.

Die Sonne brannte auf ihre Helme und Worads Kopf drohte zu kochen. Was sollte es, mochten auch Sachsen im Unterholz lauern, es war nicht auszuhalten. Auch hatte er noch Schwert und Schild, damit würde er den Aufsässigen schon trotzen. Er löste den Riemen seines Helms, nahm ihn ab und band ihn am Sattel fest. Mit einer Hand zog er die Zügel an und schloss wieder zu den anderen auf.

Geilo wandte sich zu ihm um. Schweiß rann an seinem Hals herunter, sickerte in sein Halstuch. Dennoch behielt er den Helm auf, ein Krieger eben, Ungemach gewohnt.

Sie ritten am Hang eines Höhenzuges entlang, bald würde die Sonne hinter den Baumwipfeln versinken; bliebe zu hoffen, dass es sich heute Nacht ein wenig abkühlte.

»Verfluchte Hitze!« Zum ungezählten Male wischte sich Worad den Schweiß von der Stirn. Dennoch rannen sofort neue Tropfen von der Stirn hinunter.

»Wärst jetzt wohl lieber auf deiner Pfalz und schicktest die Mägde nach kühlem Wein und gebratenem Wildbret, wie?«

Mochte Marschall Geilo ihn nur rügen. Der hatte während des Feldzuges außerhalb seines Zeltes noch nie den Helm abgelegt, selbst wenn er so heiß wurde, dass man eine Taube darin hätte braten können. Des Nachts sollte er sogar im Kettenhemd schlafen, erzählte einer seiner Leute am Feuer. Worad hatte genau gehört, wie der Kerl sich über seinen Herrn belustigte. Niemand war ein so vollkommener Krieger wie Geilo, aber wer wollte das auch schon? Nun, Theoderich kam ihm vielleicht gleich, aber den kannte Worad noch nicht. Sie sollten sich hier irgendwo mit ihm und seinem Heer vereinen. Worad rechnete jeden Augenblick mit neuen Befehlen.

Adalgis, der ihren Zug anführte, wäre in die Einzelheiten eingeweiht. Karls Kämmerer Adalgis wusste alles – und sagte nichts. Verschwiegen wie eine Auster war der.

Ein Schweißtropfen war Worad ins Auge geronnen und brannte. »Beim Arsch des Herrn, diese Gluthitze ist nicht auszuhalten«, murmelte er.

»Du sollst nicht fluchen«, antwortete Geilo.

Das Geräusch, das nach diesen Worten zu ihm herüberdrang, deutete Worad als Lachen. Geilo selbst fluchte wie ein Hufschmied, wenn es die Gelegenheit erforderte.

»Sag mal, werter Geilo, wie ist er so, dieser Theoderich?«

Geilo zuckte die Achseln, so weit es ihm das Gewicht des Kettenhemdes erlaubte. »Aufrecht, tapfer, treu. Immer darum bestrebt, mit seinen edlen Taten Karls Wohlgefallen zu erregen und Einfluss und Macht zu erlangen.«

»Wer ist das nicht?«

»Das mag wohl sein, nur sind es in Wahrheit nicht allein Theodrichs Verdienste, die ihm zum Wohle gereichen, wenn du verstehst was ich meine.«

Worad verstand es nicht, wollte sich aber auch nicht die Blöße geben nachzufragen. »Hm«, antwortete er. »Bist du auch schon oft gegen die Sachsen gezogen?«

Geilos Helm bewegte sich. »Unzählige Male! So ein halsstarriges Volk aber auch. Dass die Sicherung der östlichen Reichsgrenze so schwierig und langwierig werden würde, konnte wohl nicht einmal Karl vorhersehen. Nach jedem siegreichen Feldzug, nach Taufen und Strafen glaubten wir sie uns untertan. Doch sie erheben sich stets aufs Neue. Ein Fass ohne Boden, du weißt es selbst.«

Ja, dieser neuerliche Aufstand war wohl auch für Karl unerwartet gewesen, der hatte zuletzt tatsächlich an die völlige Unterwerfung der Sachsen geglaubt. Nur gut, dass ihre Truppen in der Nähe waren, auf dem Weg zu den Slaven. Worad war es gleich, Slaven, Sachsen, alle gleichermaßen schwer zu bändigen. Adalgis und Geilo jedenfalls änderten kurzerhand die Pläne, die Truppe kehrte um, und jetzt waren sie hier, in dieser gottverlassenen Gegend. Ja, wahrhaftig gottverlassen.

»Ein Fass ohne Boden«, wiederholte Worad. Nun, auf dem Gebiet konnte er mitreden. Er war auf dem letzten Reichstag in Lippspringe dabeigewesen, als Karl entschieden hatte, dem Volk frankentreue Grafen vor die Nase zu setzen. Darunter auch bekehrte Sachsen, bekehrt durch Vorteile, Land, Gold … – Da musste das hungernde Volk ja murren. Nun, und wenn. Diese Bauern waren doch allesamt Heiden. Wenn man nicht ständig ein Auge auf sie hatte, beteten sie Bäume an. Bäume! Oder verbrannten trotz Androhung von Strafen ihre Toten, so ein gotteslästerlicher Frevel! Worad konnte verstehen, dass Karl ihr Heiligtum zerstört hatte, um ihnen ein für alle Mal klar zu machen, wer das Sagen hat. Allerdings war vorhersehbar gewesen, dass dies wiederum den Zorn der Sachsen heraufbeschwor. Als Rache für den Verlust ihrer Irminsul – die doch nichts anderes als eine lächerliche Holzsäule gewesen sein soll – eroberten sie die verlorenen Burgen zurück. Ja, vor ein paar Jahren stießen sächsische Truppen sogar bis an den Rhein vor, bis Deutz, dann rheinaufwärts nach Koblenz und zerstörten jeden Ort und jede Kirche, an der sie vorüberkamen. Mit Mühe nur hatten sie die Aufständischen zurückschlagen können. Dreißig Jahre lang ein ständiges Hin und Her. »Meinst du nicht, dass dieser Krieg Ausmaße angenommen hat, die das übliche Maß übersteigen?«, fragte er, wohl wissend, dass solche Gedanken gefährlich sein konnten.

»Hm«, brummte es zustimmend unter Geilos Helm. »Wundert es dich? Wild und treulos sind die Sachsen. Karl muss diesem Volk endlich und für immer Treue und Glauben einbläuen. Nach dreißig Jahren hat er jetzt genug von guten Worten. Sagte er nicht kürzlich: ›Entweder wir bekehren sie jetzt oder wir rotten sie aus‹?«

»Ja, stimmt. Aber wäre es nicht besser, sie sich selbst und ihrem Irrglauben zu überlassen? Der Herr wird sie schon …«

»Du zweifelst an Karls Entscheidung?«

Das Funkeln, das Geilo zu ihm herüberschickte, ließ Worad verstummen.

Sein unbehagliches Gefühl wich erst, als er nach einer Weile Reiter in der Ferne bemerkte, die näher kamen. An der Spitze ihres Zuges zügelte Adalgis sein Pferd und hob den Arm. Langsam kam der Tross zum Stehen.

An Geilos Seite trabte Worad zu ihrem Anführer. »Nachricht von Theoderich?«

»Wahrscheinlich«, brummte Adalgis. »Hier in dieser Gegend liegt ein Lager der Sachsen. Unser Befehl lautet, wir sollen uns mit Theoderichs Truppen vereinigen und mit ihm gemeinsam das Widerstandsnest ausräuchern.« Mit finsterem Blick beobachtete Adalgis, wie die Reiter näherkamen. »Nur will mir das nicht recht gefallen … Ich kenne Theoderich. Nach unserem Sieg wird er am Ende Ruhm und Ehre allein für sich beanspruchen. Und wir …«

Worad begann, Geilos Andeutung vom Nachmittag zu verstehen. »Was hast du vor?«

Adalgis, die Brauen noch immer zusammengezogen, hob einen Arm. »Ich grüße Euch!«, rief er den Reitern entgegen. Ihnen raunte er zu: »Geduld! Heute Abend erläutere ich euch meinen Plan, wie wir die Sachsen vernichten können – uns allein zum Ruhm.«

Was mochten die Worte bedeuten, die der Priester Alwin da murmelte? Jedesmal, wenn er in ihr Dorf kam, sagte er sie auf. Immer dieselben Worte, das hatte Hessi mittlerweile heraushören können. Auf Latein sei das Gebet, das Alwin ihnen zu übersetzen versuchte. Latein – die Sprache der Römer, auch das wusste er von dem Priester. Römer war der gewesen, dem einst der Ring gehört hatte, den Abbio ihm hatte schenken wollen. Das Volk, das Hessis Ahnen besiegt hatten. So wie Hessi es sah, hatte diesem römischen Grafen sein Ring kein Glück gebracht.

Andererseits, dass Abbio ihm gerade jetzt, gerade diesen Ring schenken wollte, war das vielleicht doch ein Vorzeichen für ihren Sieg? Ein Zeichen der Götter womöglich? Der Götter, denen er hatte abschwören müssen? Verlangten sie, dass er sich auflehnte gegen den fremden, unverständlichen Gott? Nein, das konnten sie nicht wollen. Ein Eid war heilig, so oder so. – Auch dann, wenn ihm der Sinn dieser neuen Göttergeschichte noch immer rätselhaft war?

Und wenn schon, die Schwerter und glühenden Eisen der Franken verstand er umso besser.

Anfangs hatte der Priester Alwin noch versucht, ihnen etwas über ihren neuen Herrn Jesus Christus zu erzählen. Ihnen zu erklären, worum es in dem Gebet ging, das in diesem Glauben so wichtig zu sein schien. Und Hessi hatte sich wirklich bemüht, doch nur den Anfang verstanden: Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name …, so etwas in der Art bedeuteten die Worte angeblich. Der Rest jedoch blieb unverständlich. Alwin behauptete, in ihrer Sprache gäbe es für vieles keine Worte, und versuchte, es mit Beispielen zu verdeutlichen: Das Gefühl, das den quält, der jemanden getötet hat, der den Tod nicht verdiente … Ein ganz und gar übles Gefühl …

Was sollte das für ein Gefühl sein? Ohne Grund tötete kein Sachse, es gab immer einen Grund. Gut, bei den Franken war ein Grund nicht nötig, das hatte Hessi begriffen, nicht aber, was für ein Gefühl bei ihnen mit dieser Tat einherging. Außerdem war der Tod nichts Besorgniserregendes. Es war doch eines jeden Menschen Los, irgendwann zu seinen Ahnen zu gehen. Früher jedenfalls war es so gewesen, denn dass ein Verstorbener heute noch dorthin gelangte, war fraglich. Jetzt, da sie ihre Toten nicht mehr verbrennen durften, war das Band zwischen den Lebenden und den Toten zerschnitten. Viele brachen ihren Eid und verbrannten ihre Toten heimlich. Darauf stand der Tod. Was er wohl täte, wenn sein Vater …

Er sollte nicht soviel darüber nachdenken, das meinte auch Alwin immer, der ihm sein Unverständnis stets ansah. Hauptsache er sei getauft, hätte dem heidnischen Glauben abgeschworen und die Waffen gestreckt, sagte er. Den Rest werde der Herr schon fügen. Und dann hatte er gelacht und gesagt: »Wenn es der Herr Christus mit seinen sanftmütigen Worten nicht fügt, so doch der Herr Karl mit seiner ehernen Zunge.«

Das Schwein war fort. Hessis Vater hatte Alwin gesagt, dass in nächster Zeit von ihnen nichts mehr zu erwarten sei, was Alwin sehr erzürnt hatte. Der Priester hatte zuletzt noch etwas in seiner unverständlichen Sprache gemurmelt und war mit seinen Gehilfen und dem Schwein zum nächsten Haus gezogen.

Hessi pulte eine Handvoll Bohnen aus dem schlaffen Vorratsbeutel und warf sie in den Topf mit Wasser, der auf der Feuerstelle stand. Das Wasser kochte, und Dampf stieg auf.

Es raschelte auf dem Lager seines Vaters. Ewart stand auf, und ging, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, auf ihn zu. »Hessi«, sagte er mit ungewohnt kräftiger Stimme. »Mein Sohn, du wirst doch mit Abbio ziehen?«

Niemals!

»Hessi, bitte.« Sein Vater blieb stehen, wandte sein Gesicht vage in die Richtung, aus der er Hessis Laut vernommen hatte. »Sprich mit mir, bei Wodan, ich weiß, du kannst es!« Ewart schnaufte verzweifelt. »Du musst kämpfen, für mich! Du hast Abbio gehört. Widukind ist ein guter Mann, er hat nicht nur starke Arme, sondern auch einen klaren Verstand, das hat er mehr als einmal bewiesen. Unter seiner Führung werden wir siegen! Hessi, für diesen Tag habe ich meine Rüstung für dich verwahrt. Alles liegt für dich bereit, Helm, Kettenhemd, Schwert, Lanze und Schild.«

»Hmh.« Sein Vater war ein Träumer. Auch wenn sich Hessi nichts sehnlicher wünschte als einen Sieg der Seinen. Leben ohne Angst, unvorstellbar! Genug zu essen womöglich … Er konnte sich an nichts anderes erinnern als Kampf, den Geruch von Blut und die Beklemmung durch ständige Furcht. Und Hunger, immer Hunger, da die Truppen, Freund wie Feind, alles Essbare davontrugen.

Früher hatten sie es noch gut gehabt. Die Schmiedekunst seines Vaters war geschätzt gewesen, er erinnerte sich an seine Kinderzeit, da sie für dessen Schwerter noch allerlei Köstlichkeiten im Tausch erhalten hatten. Doch ihm, der das Handwerk von seinem Vater gelernt hatte, nutzte seine Kunst nichts mehr, da konnte er noch so gute Klingen schmieden. Eisen war nur selten zu bekommen und zum Tauschen hatte kaum jemand etwas. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. – Nein, nein, nein!

»Ach Hessi …«

Obwohl sein Vater ihn nicht sehen konnte, wandte er sich ab, um die Tränen zu verbergen, die ihm in die Augen stiegen. Er rang den Hass nieder, den Durst nach Rache, der ihn überfiel, wenn er des Vaters Narben statt seiner Augen sah, den formlosen schwärzlichen Stumpf statt seiner Hand, wenn er an das Stöhnen, die nächtlichen Schreie seines Vaters dachte, weil der die Erinnerung ebenso wenig abstreifen konnte wie er. Auch wenn Ewart nicht die gleiche Lehre daraus gezogen hatte wie er. Ach, könnte er doch sprechen! So sehr er es auch wünschte, nur unverständliche Laute kamen über seine Lippen, nicht genug, um seinen Vater zu überzeugen, nicht genug, um Gewa zu sagen, was ihm im Herzen brannte.

Er blieb stumm.

Hessi wusste, dass sich viele Männer aus dem Dorf Abbio anschließen würden. Heute käme der Graf, seine Entscheidung einzufordern.

Es war noch früh, am Horizont leuchtete der Morgenstern. Es würde wieder ein sonniger Tag, die ganze Nacht war es warm gewesen, er hatte schlecht geschlafen. Kein Regen, der das Gemüse im Garten vor dem Verdörren bewahren würde. Er sollte zum Fluss, Wasser zum Gießen holen, sonst sähe es bald bitter aus in ihrem Topf. Stattdessen stand er hier im Wald und fällte Bäume. Hackte die Stämme in große Stücke, überflüssiges Holz, denn ihr Vorrat türmte sich schon jetzt wie ein Wall an der Hüttenwand auf und würde vermutlich die nächsten drei Winter reichen. Aber er liebte diese Arbeit, sie gab ihm Ruhe, mehr als Wasser zu schleppen, er hatte es versucht.

Vielleicht, weil er sich bei jedem Schlag den Hals eines Franken vorstellte. So, wie die Axt das Holz spaltete, musste es sich anfühlen, anhören, wenn eine Axt die Köpfe des Feindes spaltete. Frevel, diese Gedanken. Aber solange sie nur in seinem Kopf waren, konnte ihm Alwin nicht an den Hals.

Die Holzspäne flogen zu den Seiten, er hatte gar nicht bemerkt, dass er zugehauen hatte. Der Baum ächzte, neigte sich und fiel um. Kurz schien die Erde unter seinen Füßen zu beben.

Ganz sicher war es verboten, ihre alten Götter zu verehren. Manchmal jedoch sprang ein Gebet aus seinem Kopf. Immer erschrak er anschließend und fürchtete die Rache des fremden Gottes. Auch heute war es wieder geschehen, bevor er den Baum fällte hatte er im Stillen eins hergesagt, um die im Baum hausenden Götter zu beschwichtigen. Als das letzte Wort gedacht und der erste Schreck vorüber war, hatte Hessi sich gefragt, ob der Christengott dergleichen überhaupt bemerkte? Man konnte es nicht wissen. Er dulde keine anderen Götter neben sich, hatte Alwin gepredigt. Und seine Rache sei fürchterlich.

Hessi atmete tief durch, holte aus und begann, den Stamm in kürzere Stücke zu hacken. Dabei saß ihm die Angst im Nacken, ein Blitz aus heiterem Himmel strecke ihn nieder, allein wegen seiner lästerlichen Gedanken. Aber die ließen sich nicht verscheuchen, kamen ganz von allein. Waren das die alten Götter, die ihn quälten, weil er sie verraten hatte?

Für ihn durfte es jetzt nur noch einen Gott geben, den musste er verehren. Ihn und dessen Sohn, dessen Mutter, einen Geist, dazu noch viele Heilige. Und sie, die Sachsen, mussten ihren Göttern abschwören, die gehörten nicht dazu.

Dort hinten, tief im Wald versteckt, war das Gehege mit dem heiligen Pferd, das viele aus ihrer Dorfgemeinschaft noch immer heimlich anbeteten. Wenn die Franken es fänden, dann … Doch sein Vater wäre glücklich, wenn er wieder bei den Opfern erschiene.

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22 aralık 2023
Hacim:
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9783866741027
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