Kitabı oku: «Kleiner Tod im Großen Garten», sayfa 2

Yazı tipi:

»Spätestens vor Gericht werden Ihnen solche dummen Scherze vergehen. Ich nehme Sie hiermit fest. Sie werden wegen Diebstahl und Mordverdacht angeklagt werden. Herr Polizeiobermeister, führen Sie den Herrn ab.«

»Den sauberen Journalisten haben wir so weit, dass er Klartext redet. Er hat den Artikel mit der Eisbombe auf einen Herrenhäuser Kleingarten von einem Kollegen, der ihm noch etwas schuldete, faken lassen. Bei den letzten Artikeln im Boulevardblatt hat er als ›Exklusivinformant‹ ebenfalls seine Meinung verobjektiviert, sozusagen. Der Raub und die bräunliche Spurenlegung gehen ebenfalls auf sein Konto. Der wollte partout und aus allen Mordumständen Geld und ein bisschen Erfolg herausschlagen. Ein armes Schwein, aber ein Schwein. Die Fingerabdrücke außen am Dixi-Klo haben ihn endgültig überführt, er hat gestanden.«

»Na, Bingo. Dann Deckel drauf und ab zur Staatsanwaltschaft.«

»Bloß – er will am besagten Morgen einen bereits Erschlagenen vorgefunden haben. Mal sehen. Bleibt uns noch diese blonde Galeristin vom Tatort, die von diesem Journalisten nun plötzlich beschuldigt wird. Vielleicht nur aus Selbstschutz. Allerdings hat mir diese Frau eine seltsame, etwas dick aufgetragene esoterische Story erzählt, die zu glatt in Sex aufgeht. Sie besteht darauf, dass sie sich diesem Politiker einfach so hingegeben habe. Ich muss noch einmal zu dieser kunstbeflissenen Dame.«

»Die Belohnung scheint sich in jedem Fall der Obdachlose mit dem Zylinder verdient zu haben. Keiner der mutmaßlichen Täter hat den gesehen, er aber beide.«

»Hallo, Frau Hauptkommissarin. Wenn Sie das zu Hause auf Ihrem Anrufbeantworter hören, bin ich bereits weit weg. Dieser Drecksack von Politiker, dessen Mörder Sie suchen, hat mir trotz meiner Gegenwehr Gewalt angetan. Ich wollte Ihnen kein Tatmotiv für mich liefern, deswegen sagte ich Ihnen, dass da im grünen Dreieck alles freiwillig gewesen sei. Nun ist er tot, dieser brutale Hund, und das ist gut. An jenem Morgen hat er sich einfach von mir heruntergewälzt, als er fertig war. Blieb einfach stumpf auf dem Bauch liegen und lachte noch widerlich ins Gras. Ein kleiner, glatter, kantiger Marmorblock lag in Griffnähe, er war zu verlockend. Den trieb ich ihm in seinen ignoranten Schädel, bis er nicht mehr zuckte. Schließlich bin ich gelernte Steinmetzin und Bildhauerin. Der kommende Gewitterregen werde meine Spuren verwischen, dachte ich. Stimmte ja auch. Den Stein warf ich in die Graft. Auch gut. Dass mich zwei Leute gesehen haben, die auf die Belohnung scharf sind, damit habe ich nicht gerechnet.

Einer von denen, dieser Journalist, Sie kennen ihn, will mich nun erpressen. Der hat da nachts gelauert und weiß, dass ich damals allein mit diesem brutalen Widerling im grünen Dreieck gewesen bin. Er hat mir versprochen, Sie auf eine falsche Spur zu setzen, wenn ich mit ihm ins Bett steige. Ich habe mich diesem Schwein verweigert. Er wird zu Ihnen kommen und mich verraten, da bin ich sicher. Aber ich lasse mich weder weiterhin demütigen noch erpressen. Sie hören gewiss noch von mir.«

»Hier Hanno 12 42, Hanno 12 42 – Frau Hauptkommissarin, hören Sie mich? Ja, verstanden. Sie flieht. Diese Galeristin hat am Startplatz der Heißluftballons vor dem Hauptgebäude der Universität eine weibliche Geisel genommen, vor zwei Minuten. Sie befindet sich mit ihr allein im Passagierkorb des Ballons. – Der heißt, Moment, der heißt ›Niki de Saint Phalle‹, ja: ›Niki de Saint Phalle‹, silber auf blau.– Warum der? – Nein, keine Ahnung. Der war gerade startfertig. Sie muss jetzt die Düsen der Gasbrenner voll aufgedreht haben, man hört das bis hierher zischen. – Ja, genau, der Korb hebt gerade ab, jetzt springt eine Frau hinaus, das muss die Geisel sein. Die Geisel scheint unverletzt zu sein. Sie läuft in die Zuschauermenge hinein. Der Ballon taumelt aufwärts, gewinnt richtig an Fahrt. – Ja, der Ballonfahrer steht neben mir. Nach höchstens vier Stunden ist das Gas verbraucht, sagt der, dann kommt die sowieso wieder runter. – Gut, ich wiederhole: keine Feuererlaubnis, der Hubschrauber übernimmt die Verfolgung.«

»Ja, hier bin ich noch mal, ich schwebe, zische schön hoch, und mein Handy funktioniert so gut wie noch nie. Ich habe die Gasflaschen voll aufgedreht und jeglichen Ballast abgeworfen, das geht ins Blau wie im Expresslift. Zum ersten Mal finde ich ganz viel heiße Luft wirklich erhebend. Auf in den Himmel, zu den Sternen!«

Der Besitzer des Heißluftballons »Niki de Saint Phalle« steht am Streifenwagen neben der Hauptkommissarin und schaut der blau-silbernen Kugel nach. Er zeigt auf das winzig gewordene Luftgefährt: »Ziemlicher Mist, was die da oben macht. Die fährt jetzt schon viel zu hoch. Bloß mit ihrem T-Shirt am Leib kommt die irgendwann glatt als Eisklumpen runter.«

Listen-Schnitte

»Ach, es wäre toll als Lehrer: ein riesiger Dispositionskredit, schöne Kiefernmöbel, einen Weinkeller anlegen, einen dicken Schnurrbart tragen und in den Sommerferien vier Wochen in die Toskana!«

Diesen Ricklinger Kiesteich kenne ich seit zehn Jahren, seit meinem Studienbeginn bin ich da hineingegangen.

Ich beobachte sie dort am Nacktbade-Kiesteich, versteckt, mit dem Fernglas von gegenüber. Nun ist es so weit. In kompletter Taucherausrüstung, fast ganz in Neopren mit Druckausgleichsmaske und Pressluftgerät, schlappe ich auf Schwimmflossen aus dem Ufergebüsch, hinein ins dumpfbräunliche Element, als sie, die geübte, ausdauernde Schwimmerin, zum letzten Mal das warm-trübe Gewässer besteigt. Obwohl sie selbst durchs Fernglas wieder perfekt ausgesehen hat, mag ich sie immer noch nicht, empfinde bei ihr keine erotische Sehnsucht, die mich abhalten könnte, sie wie eine junge, süße, dumme Katze zu ersäufen. Weil sie im Wege ist.

Die Nummer eins der Liste ist auch meine erste, die schöne, blonde, hemmungslose, immer gebräunte Giesela Körbeler. Ausgebildet für Geografie und Französisch, hat mit 1 bestanden, hat bereits zweimal eine befristete Stelle gehabt. Sie ist klar die aussichtsreichste Bewerberin, sie hat absolut die größten Chancen.

Giesela, immer beflissen, anziehend, aber nicht kokett; ironisch, aber ohne Witz. Bei ihr läuft alles mühelos, ohne den letzten Einsatz. Sie hat einfach keine Tiefe. Aber die Tiefe bringe ich ihr bei. Und zwar für immer.

Ich bin überrascht, ja ein wenig verwirrt gewesen über meine Sicherheit: Was mich aber geradezu erschreckt, ist, dass ich kein Mitleid verspüre, nur die Spannung, wie es wohl sein wird, wenn …

»Eine schöne Blondine ersäufen«, sage ich immer wieder vor mich hin. Es erregt und entsetzt mich zugleich. Das, was ich in einer Frau einmal verehrt habe, das Rätsel des Schönen, des Schauers, der Sehnsucht – all das werde ich bei ihr verschwinden lassen. Ich bin der Tod und sie das Mädchen.

Giesela, du bleibst danach noch einige Zeit so unversehrt wie eine Meerjungfrau. Besser jetzt als irgendwann, viel später, alt und runzlig zu zerfallen, nur noch mit Schläuchen am Leben zu hängen.

An diesem Nachmittag steige ich mit Schnupfen und Hexenschuss ins Wasser, habe mich begründet krankschreiben lassen müssen. Schniefend und ächzend steige und tauche ich also in den sommerwarmen Kiesteich ein, den mein Körper mit einem kleinen widerlichen Schüttelfrost begrüßt. Manfred, sage ich mir, Leistung trotz Handicap, überwinde die Schwierigkeiten!

Dieses verdammte Amt, das alle meine Fähigkeiten entfaltet, zu kränkeln und ein Zipperlein zu entpuppen! Dauernd bin ich krank im Amt, wo ich täglich Aktenstaub einsauge und fresse. Aktenstaub, der meine Atemwege, das Nasennebengehöhle, von einer Reizung in die nächste treibt. Akten – diese verdammte mittelalterliche Art, Informationen in verdreckendem Papier zu sammeln und anzuhäufen. Wenn der ganze Aktenmist in Computerdateien gespeichert wäre, hätte ich wenigstens keine Dauerkatarrhe – allerdings auch keinen Job hier in der Laatzener Außenstelle.

Ich sprinte morgens immer die zehn Stockwerke hoch, weil ich meine Wut kappen will, weil ich die idiotische Sitzarbeit wenigstens für Minuten als Ausruhen empfinden möchte. Ich keuche morgens aufwärts, fahre zur Mittagspause runter, um am Ende der Mahlzeit wieder hechelnd zehn Etagen hoch zu toben.

Ein wütendes Niesen, ein bissiges Verschnupftsein zeichnet mich aus, obwohl es Sommer und warm ist. Nach zwei Wochen feuchten Hinterns durch das Besitzen des Kunststoffbürostuhls haben sich die Hämorrhoiden wieder gemeldet, die seit Jahren in völliger Zurückgezogenheit existiert haben.

Und das viele angespannte Bücken und Sitzen, angespannt aus dem Gefühl heraus, in einem nichtsnutzigen Laufrad herumzueiern. Ich habe mir einen Hexenschuss eingefangen. Ich bin damals holpernd leer wie ein kranker Außenborder gelaufen. Damals, vor Giesela. Aber es hat sich ein Ziel für mich herausgeformt:

»Ach, es wäre toll, als Lehrer zu arbeiten, ein riesiger Dispositionskredit, schöne Kiefernmöbel, einen Weinkeller anlegen, einen dicken Schnurrbart tragen und in den Sommerferien vier Wochen in die Toskana!«

Jetzt schwimmt sie genau über mir. Giesela, ganz feinporiger Hautsamt, zarter Flaum an den schwingenden Waden, glatte Achselhöhlen öffnen sich rhythmisch im Kraulschlag. Doch sie lässt mich kalt im Sommerteich.

Als sie eine Weile in einem unvollständigen Oval durch den Teich geschwommen ist – ich bleibe ihr immer auf oder besser unter den Fersen –, verharrt Giesela wassertretend an einer Stelle. Sie schüttelt sich sprühende Tropfenfächer aus dem halblangen Haar, streicht es nach hinten und lässt, unablässig wassertretend, die Arme wieder sinken. Mitten im See ist sie vom Tod umgeben.

Ich reiße mich trotz bohrendem Hexenschuss und beschlagener, schnupfenbespritzter Tauchermaske zusammen, schwimme sie von unten an, sehe die kleinen, kräftigen Füße, die starken Schenkel, den mir arglos entgegengewölbten Hintern, die Hyperboloide ihrer Brüste, die trainierten Oberarme und die oben durch den Wasserspiegel wie abgeschnittenen Schultern.

Niemand ist in unserer unmittelbaren Nähe, ich lege mich blubbernd in die Waagerechte, packe ihre beiden schmalen Fesseln und ziehe Giesela bei hoher Flossenschlagfrequenz nach unten, nach unten, nach unten, nach unten. Still schlürft der Kiesteich die geschmeidige Nackte ein, gleich einer schlüpfrigen Auster.

Erst in dem Moment, da ich wie eine gierige Wasserjungfrau Giesela hinabziehe, erlebe ich etwas, was mir bisher unvorstellbar gewesen ist: Ich empfinde in Gieselas Nähe und Berührung Lust.

Giesela ist zu meiner Erleichterung sofort unter die Wasseroberfläche gekommen, wie selbstverständlich, wie eine teichbewohnende Undine. Erst nach 2, 3 Sekunden hat sie Schübe von Luft nach oben perlen lassen, stumm schreiend mit den Beinen ausgeschlagen, mit den Armen gerudert, aber da ist sie schon unsichtbar, unhörbar und flossengetrieben auf dem Wege nach ganz unten. Nach einer knappen Minute und einigen Metern tief im Teich ist sie endgültig eingeschlürft, sanft, ruhig geworden, nur ihr schreckensgeöffneter voller Mund mit kleinen gleichmäßigen Zähnen, ein obszöner Medusenmund, bleibt als verstörendes Zeichen unter ihrem feinen weichwogenden Blondhaar.

Ich halte sie noch einige Minuten über dem Grund fest, vergewissere mich, dass sie nicht gleich nach oben treiben kann. Dann reibe und drücke ich mit meinen Taucher-Gummihandschuhen fest an ihren Handgelenken, sodass es Spuren hinterlassen muss, die denen an ihren Fesseln ähneln, und schwimme schließlich keuchend unter Wasser an meinen Einstiegspunkt zurück.

Als es vorbei ist, merke ich, dass ich kälter geworden bin. Der Glasfilm zwischen der äußeren Wirklichkeit und mir wuchert und scheint nun ziemlich undurchdringlich zu sein. Ich habe eine Reduktion erfahren. Ich nehme sie in Kauf.

Am nächsten Morgen bin ich nach einer traumwilden Nacht fast gesund erwacht. Die Erkältung ist auf ein leichtes Schniefen geschrumpft, der Rücken wieder voll beweglich. – Was für eine überraschende, mörderische Therapie, denke ich!

Giesela wird nach einem Tag vermisst, am dritten Tag nach ihrem Tod gefunden. Ich lese den Zeitungsbericht:

»Ertrunkene im Kiesteich gefunden. Hannover. Bei der gestern in einem der Ricklinger Kiesteiche gefundenen Frau handelt es sich um die 28-jährige Giesela Körbeler, ausgebildete Gymnasiallehrerin für Geografie und Französisch. Die Eltern der Ertrunkenen sind die bekannten Konservenfabrikanten Elfriede und Eugen Körbeler.

Giesela Körbeler hatte drei Tage im Wasser gelegen, die Vorgänge, die zu ihrem Ertrinken führten, sind noch ungeklärt. Ihr Versinken ist anscheinend von keinem der am Kiesteich befindlichen Personen bemerkt worden. Zwei Badende hatten am gleichen Tag einen Gerätetaucher mit Flossen gesehen, konnten aber nicht angeben, ob es sich um eine Frau oder einen Mann gehandelt habe. Die Polizei bittet die betreffende Person, sich als möglicher Zeuge zu melden.«

Den Tauchanzug habe ich aus der Garage Knut Muskamps geklaut. Knut, den ich ja noch aus der Referendarzeit kenne, ist der dritte auf der Rangliste, ein echter Spitzenkandidat also. Ich habe Knuts Unterwasserausrüstung zum Mord an Giesela benutzt und lasse das nützliche Kleidungsstück samt Zubehör im Müll verschwinden. So habe ich nicht nur meinen Listenplatz verbessert, sondern zugleich einen Hauptverdächtigen hergestellt.

Knut ist ein erfahrener Hobbytaucher, ebenso wie es Giesela gewesen ist. Er und Giesela kennen sich näher von einem gemeinsamen Kreta-Urlaub. Giesela, Katinka, Knut und ich, wir weilten damals wegen eines Gerätetauchkursus auf der Mittelmeerinsel. Ich war ziemlich, aber heimlich in Katinka verknallt.

Bei Katinka war Knut, der chronische Aufreißer, kurzzeitig gelandet, einfach weil Katinka neugierig war. Schon nach der ersten Nacht war sie es nicht mehr. Bei Giesela hat Knut, der Unwiderstehliche, es selbstverständlich dann auch versucht.

Giesela lief am Strand und am Taucherkai grundsätzlich nur mit Tanga herum, völlig sicher, völlig gelassen. Wie triumphierend stellte sie ihren ideal gerundeten, trotzdem schlanken Körper aus und amüsierte sich über die blöd glotzenden Männer, die meistens missmutig hinschauenden Frauen. Punktuell ließ sie sich durchaus mit Männern offensiv schamlos ein, machte danach kichernde Bemerkungen über ihre Bettgespielen: 5000-Meter-Läufer, Feinmechaniker und Kopfficker, allesamt ohne zarte Zuwendung, nur darauf bedacht, es ihr oder bloß sich gut zu machen.

Knut bekam das mit und zog, weil er so wollte, daraus die falschen Konsequenzen. Beide, Knut und Giesela, tranken nach zehn Tagen Inselaufenthalt abends gutgelaunt allein in die Nacht hinein, zogen relativ synchron über die doofen Touristen her, die verklemmten Einheimischen, die blöden Muttertiere und Papaprügel.

Ich bekam mit, wie Knut aufs Ganze ging. Giesela hatte ihn angesehen, gelächelt und etwa dieses von sich gegeben:

»O. k., Knut, du bist hübsch, jungenhaft, anziehend amoralisch und bestimmt gut bestückt. Aber das reicht nicht, mein kleiner Herrenmensch. Bevor ich mich mit einem Smartie wie dir einlassen würde, müsste ich deiner ganz sicher sein. Aber dann wärst du ja nicht mehr du, also bleib mir vom Leibe und versuch es lieber nicht noch mal.«

Knut, ebenso überrascht wie ernüchtert, hatte sie völlig uncool und erstaunlich eloquent als »kalten Arsch«, »geizige Möse« und »exhibitionistischen Sprechautomat« tituliert, worauf sie ihm gelassen empfohlen hatte, sich doch erst mal einen zu wichsen oder sich von Georgias, dem netten Schwulen, einen blasen zu lassen, das täte bestimmt allen gut. »Und tschüss!« – Knut hatte bis zum Ende des Tauchurlaubs kein Wort mehr mit Giesela gesprochen. Giesela ließ das gleichgültig.

Ein weiterer Zeitungsbericht über die ertrunkene Giesela erscheint. Darin heißt es:

»Die bei der Toten festgestellten Druck- und Reibstellen an Fuß- und Handgelenken könnten von sexuellen Spielen herrühren. Die Kripo, die bisher von einem Mord ausging, hält nun auch einen Unglücksfall für wahrscheinlich.«

Doch es gibt einen Täter. Klar, der Täter bin ich. Man nennt mich zwar Manni, aber diesen Namen habe ich nie gemocht. Er hat in meinen Ohren so etwas Läppisches, Zaunpfahlhaftes, platt Anspielungsreiches – Manni. Tatsächlich bin ich aber leistungsbereit, einsatzfreudig, klar und direkt – und mein Name ist Manfred Knoche, 28. Noch bin ich arbeitsloser Lehrer für Geografie und Deutsch. Noch.

Ich arbeite im Arbeitsamt Hannover, Außenstelle Laatzen, in der Aktenablage Kindergeld, 10. Stock.

Ich bin ledig und kinderlos, stelle deshalb kein besonderes Datenschutz-Risiko dar. Mit 800 Euro netto verdiene ich 200 Euro mehr, als ich an Arbeitslosengeld bekommen habe. Deswegen bin ich da, sortiere dafür Akten ein und aus.

Morgens komme ich spät, um die Nächte zu nutzen, nachmittags gehe ich sehr spät, gewöhnlich als Letzter, um unbeobachtet Stunden ohne Arbeit zu schinden.

Akten abholen, vorsortieren, einstellen, zurückstellen. Ich bin Fachkraft für das sogenannte Aktenziehen. Tagein, tagaus aus über 90.000 Akten mal die betreffende anlegen, stempeln, mal einige andere ziehen, auf jener notieren; es wird geklammert, geheftet, gezogen, wieder eingestellt.

Über mich, über den Ort, über meine Situation kreisen meine Gedanken wie Geier um das Aas. Es wird mir schmecken. Ach, es wäre toll als Lehrer …

Wenn es damals nicht diesen Abend gegeben hätte im »Übü«, dieser Lindener Kneipe!

Ich lernte den fetten Hacker beim Frustsaufen kennen. Er war eine Art Kollege, ein stellungsloser Sport- und Physiklehrer, der seine autistischen Tendenzen als Computerfan stilisiert und sich schließlich zum Computerhacker perfektioniert hatte. Ein prahlerischer Trinker, auf der Suche nach einem Freund oder mindestens einem interessanten Saufkumpanen. Ganz im Gegensatz zu mir war seine Stimmung von einem grundsätzlichen Weltekel getragen, der keine echte Leistung mehr zuließ. Trotz seines Könnens hatte der Hacker keine Lust auf jegliche Art von Zukunft. Das gipfelte in solchen Sätzen wie:

»Wir gehören vielleicht zu den letzten Generationen, die noch ehrlich zusammengevögelt worden sind, Manni. Bei feuchten Schützenfesten, in weichen Sommernächten, inmitten dunkler Schlafräume. Nicht in Labors erzeugt und immer mindestens zu zweit. Das nimmt rapide ab. Mit dem Samenspenden fing es mal an.«

Es war bei viel Bier und Ouzo zu seinem Versprechen gekommen: »Ich kann mich ohne Probleme an die Bezirksregierungs-Dateien heranmachen und meinem Freund Manni mitteilen, was da so alles gespeichert wird.«

Schon zwei Abende später trafen wir uns wieder im »Übü«.

»Ja, Manni, deinen Namen hab ich auch gefunden, einmal mit Personalakte und einmal in einer Liste.«

»In einer Liste? In was für einer Liste?«

»Für eine Planstelle an einer Schule, eine Geografie-Planstelle, hier im Bezirk Hannover, in Kirchrode. Und du warst auf Platz sieben, Manni, der siebte von sieben.«

Der Hacker sagte noch, dass er morgen nach Frankreich, ins Zentralmassiv verschwinde. Er habe hier die Schnauze voll.

Wenn ich hier im Arbeitsamt, hier in der Aktenhaltung bliebe? Wie wird der Winter sein?, fragte ich mich damals immer. Der Winter wird ein völlig zermürbender Horror werden.

Im Dunkeln fahre ich nach Laatzen, im Dunkeln fahre ich zurück zum Kröpcke, eine lange, trockene, bleigraue Straßenbahnfahrt hin, eine hellgraue zurück. Ein Wechsel zwischen Frauen-Begutachten, mürber Lektüre, Einnicken, Lesen, Grübeln, Glotzen, Dösen.

Nur die kleinen, miesen Freuden zwischen den Aktenregalen: Pausen einschieben, heimlich lesen, sich noch heimlicher selbst befriedigen, lauschen, beobachten, im Sitzen flach pennen, trinken, in staubigen Akten herumschnüffeln. Und wieder ran.

Ein Schrei steckte in mir: Ich will da raus, für immer, ich muss unbedingt Beamter werden!

Der Hacker hatte mir die Basisinformationen über die sieben Kandidaten ausgehändigt, zu denen ich selbst gehöre. Bis auf einen waren sie alle bei einem Treffen ehemaliger Referendare, ausgebildeter Lehrer in Lauerstellung. Bis auf einen kennen mich alle, und ich kenne sie, manche gut, eine fast in- und auswendig.

So bin ich der einzige der Kandidaten, der diese Liste komplett kennt, sie aber eigentlich nicht kennen kann, das ist das Tolle – perspektivisch gesehen.

Nach Giesela ist eigentlich Katinka dran, denn sie ist die zweite, nun ganz oben und selbstverständlich viel aussichtsreicher als ich. Dennoch will und kann ich Katinka noch nicht beseitigen.

Immer noch bin ich verliebt in Katinka, kann es nicht hinreichend zeigen, kann es nicht ausleben. Hinter uns liegen heftige, vielgestaltige, sexuelle Verschlingungen. Leider haben sie nur eine Woche gedauert und sind von Katinka mangels Entwicklungsmöglichkeiten, wie sie sich ausdrückte, beendet worden.

Die ausgeglichene, immer gelassen-freundliche Katinka, eine dunkelwildlockenhaarige, mit einsachtzig Körpergröße eher herb-schöne Frau. Obgleich schlank, ist sie vor allem weichrundmuskulös und nicht so vollkommen pralinen wie Giesela einst gewesen ist. Sie erweckt erotische Furcht und ähnelt einer ebenso kraftvollen Frau aus der Landespolitik, deren Erscheinung schon länger meine sexuellen Selbstbetätigungen anfeuert.

Katinka neigt unangestrengt zu jeglicher Sexualität, kostet das, was sie mit ihrer Gespielin oder ihrem Gespielen tut, vollends und vorbehaltlos aus.

Unser gemeinsames, im Rahmen des Konventionellen sich bewegendes Gevögel war nur ein kurzer Abschnitt intensiver Verschränkungen und Benetzungen. Als ich einmal mit besonders großer Lust an ihr herumleckte, fragte sie mich wörtlich, ob sie mich mal durchficken dürfe. Nachdem ich ihr, reichlich verwundert, zugestimmt hatte, band sie sich einen von ihr erworbenen Doppeldildo um. Ich ließ mich kniend, durchaus mit überraschenden Lustempfindungen, kräftig von Katinka stoßen und dabei wichsen. Uns beiden gefiel das sehr. Gern ließ sie sich danach auch wieder vögeln, mit einer Selbstverständlichkeit, die ich nicht mehr verstand.

Bei Katinka geschieht alles mit Lust und Neugierde, sie hält keine Vorträge, gibt keine Begründungen ab und unterlässt jegliche Rechtfertigung. Darum beneide ich meine damalige Gespielin sehr – ich selbst brauche für alles haltbare Begründungen. Ich finde bei ihr nichts innerlich Festes, Sentimentales, sie ist die reine haltlose Durchlässigkeit.

Nun hätte ich Katinka umbringen müssen. Das kann ich nicht. Also muss ich Katinka aus dem Kandidatenkreis hinausbekommen, sie vor mir schützen. Keine Schulstelle, kein Tod, Katinka!

Eine bessere Note als ich hat sie zwar, aber auch ein ungeordneteres Leben, dazu einen unbefangen frechen Mund gegenüber den Vorgesetzten. Außerdem – was heißt bessere Note als ich –, diese Frau hat sich immer gegen das Leistungsprinzip geäußert.

Ich rufe also anonym den Dezernenten bei der Bezirksregierung an und erzähle ihm: Katinka Leone hat während ihres Referendariats ein Liebesverhältnis mit einem Schüler und einer Schülerin unterhalten – ich könnte deren Namen nennen. Frau Leone hat sich gegen jegliche Leistungsmessung gewendet, hat nie eine Fünf erteilt. Nie hat man mit ihr ernsthaft über Punkte- und Notengebung reden können. Der Dezernent hat nur zugehört und dann aufgelegt.

Später, bei einem Telefongespräch anlässlich des plötzlichen Todes von Giesela, teilt Katinka mir die telefonische Intrige gegen sie mit. Der Dezernent werde nichts von dem Denunzianten berücksichtigen, habe er ihr versichert.

Mein Plan war geplatzt, die Zeit drängte. Also wandte ich mich erst einmal dem dritten auf der Rangliste zu, Knut Muskamp. Erst geht es Knut an den Kragen, dann würde ich weitersehen! So kam ich meinem Lebensziel entgegen. Ach, es wäre toll!

Knut ist der einzige Sohn einer wohlhabenden Beamtenfamilie, Assessor des Lehramtes für Geografie und Sport mit athletischen einmeterzweiundachtzig. Knut ist angesichts seiner tüchtigen, wohlhabenden Eltern zum Minderwertigkeitskompensator herangewachsen und besitzt eine ausgeprägte Sportwagenmacke. Äußerlich locker, ist er oft innerlich verkrampft und hat eine arhythmische Darmperistaltik. Knut gilt als cooler Typ, er ist ein gut aussehender, charmanter Fiesling.

Jeweils vor dem I. und II. Staatsexamen hatte er eine Frau von sich abhängig gemacht, die ihm dann jeweils größtenteils die betreffende Examensarbeit schrieb. Eine traktierte ihn einmal öffentlich in der Universität mit Ohrfeigen, schuftete aber dennoch weiter für Knuts akademische Karriere.

Dieses Muttersöhnchen wohnt noch in der Bothfelder Villa seiner Eltern, die ihn gut versorgen. Knut hat sich im von ihm allein bewohnten ersten Stockwerk seines Elternhauses eine kleine Edelküche mit Bar, passenden Hockern und Lichtgestaltung zugelegt, sein Zentrum, wo mehr repräsentiert als genossen wird. Irgendwann, nach einem solchen auf Knuts Prestigezuwachs gerichteten Gästeessen, hat er mit Entsetzen bemerkt, dass er auf seine Schwester – intelligent, hübsch, zartgliedrig – neidisch ist, weil sie selbständiger und unbefangener lebte, wie er glaubt, und – schlimmer noch!– dass ihn seine leibliche Schwester aggressiv geil macht.

Damals, seine diversen Verkrampfungen hatten nach dieser Selbstentdeckung zugenommen, hatte er eine Beziehung zu Erdmute angeknüpft, einer eher unauffälligen Sozialpädagogin. Sie konnte ihm als Einzige länger zuhören, und er konnte sie so rücksichtslos vögeln, wie sie es uneingestanden immer gewünscht hatte. Es wurde eine zeitlich begrenzte, aber glückliche Symbiose. Die Vögeleien hatten abgenommen, waren schließlich kein Teil ihrer Beziehungen mehr – Erdmute hatte einen anderen Mann gefunden, einen, der es liebevoller tat. Aber aus der Symbiose war eine Art komplementärer Freundschaft entstanden. Ab und zu trafen sie sich, Knut redete drauflos, Erdmute erklärte ihm engagiert, was er da sagte und warum. Danach ging es Knut regelmäßig besser, und Erdmute empfand sich als nachweislich guter Mensch.

Knut hat öfter von Erdmute und sich rückhaltlos monologisiert: Von Erdmute mit der weichen Halblautstimme, seiner Psychosozialakrobatin, die ihn für patriarchal verklemmt hält, mutterkomplexbeladen, seelisch unentwickelt und seinen röhrenden Porsche nicht mag.

Nach seinen Erdmute-Soireen – seelisch und sozial durchgearbeitet, weichgewalkt – fährt Knut immer wie neugeboren und mit Maximaltempo auf die Autobahn. Im Rausch nach der Katharsis regeneriert er in seinem Porsche vom triefenden Jammerschwamm wieder zum wahren Knut, so wie er es stark alkoholisiert einmal ausgedrückt hat:

»Ich dann immer los, morgens, von Erdmute, erleichtert, geb ich ja zu, ich brauch das, aber ganz kaputt gequatscht, muss erst mal die Gesprächssülze wegfegen mit meinem Porsche – ja, ein Porsche, klar, klingt nach Klischee, ist aber nun mal so. Exakt mit meinem Porsche, ist das gebongt?, einfach das Zeugs wegfegen. Mach ich oft, knall dann los, so mit 200, links, schön links halten, voll geil, kostet Konzentration, Kalkül, alles, worauf du einen lassen kannst. Jedenfalls bleibt der Kopf dabei von unnützen Gedanken verschont, alles voll arschklar dann.«

Mir ist immer mehr klar geworden: Knut ist ein vollständiger Unrat, ein Kotfass, eine Wurmspeise, ein Abort, ein fauliges Aas, ein übel riechender Harnkrug. Dieser Schurke hat nie ehrlich für seine Erfolge schuften müssen. Es hat immer Geld oder Frauen gegeben. Er soll zerrissen werden.

Zu Gieselas Todeszeit war Knut angeblich allein beim Segeln auf dem großen Binnensee gewesen, der sich nahe der Landeshauptstadt ausdehnt. Seine Tauchausrüstung war nach dem Tod von Giesela Körbeler verschwunden. Ich hatte anonym der Polizei einen einschlägigen Tipp hinsichtlich des Tauchers Knut gegeben. So war er auf die Liste der Verdächtigen geraten.

Knut, in deinem Porsche wirst du ewige Coolness und Erlösung finden. Für dich mache ich ein paar Schrauben, ein paar Muttern locker, nur für dich, du altes Nesthäkchen, du sportiver Motherfucker.

Knut Muskamp hat wieder nachts bis morgens um vier seine Beichtfreundin Erdmute besucht. Wahrscheinlich wieder wegen seiner ihm verbotenen Schwester, seiner Erstfreundin, anderer Freundinnen wegen und all seiner Freundinnen überhaupt.

Mit Kunststoffhandschuhen bewehrt, bin ich unterdessen an Knuts Flitzer tätig gewesen, für mich eine kurze, knirschende Kleinigkeit.

Bei 200 Kilometern pro Stunde lösen sich die Radmuttern. Schleudernd rast Knut auf den Brückenpfeiler zu, der Porsche macht eine elegante, aber quietschende Schleife und prallt mit der Seite schmetternd auf. Knut wird zerfetzt wie von rasenden Furien, wie von mechanischen Bacchen im Bacchanal. Aus dem wird nichts Brauchbares mehr! Als es vorbei ist, herrscht einen Moment Stille, bis auf eine scheppernd wegeiernde Radkappe.

Knut hat nicht bloß eine Schraube locker gehabt.

Die Spur lege ich zu Katinka. So, als habe sie sich vermutlich für die Ermordung Gieselas gerächt – ihre Unschuld würde sich schon herausstellen.

Ich denunziere Katinka nun ein zweites und drittes Mal. Das geht nun wie geschmiert. Von einer Telefonzelle rufe ich bei einer Polizeiwache an und teile kurz mit, dass eine gewisse Katinka Leone mit Knut Muskamp auf Kriegsfuß gestanden habe, wegen seiner perfiden Frauenausnutzereien und ihrer beider Verhältnis zu Giesela Körbeler.

Eine ähnlich lautende Mitteilung mache ich dem Dezernenten.

In Knuts Briefkasten deponiere ich einen Zettel mit der in der Stadtbibliothek getippten Aufschrift: »Für Giesela!«

Katinka ruft mich drei Tage nach Knuts Tod an, erzählt mir von der polizeilichen Vernehmung, die keine weiteren Folgen für sie gehabt hat. Sie schließt mit den Worten: »Ich hoffe, dass damit nun Schluss ist.«

Wie hier die Krähen im ewigen Zwielicht um den Büroturm kreisen, dann schräg hinabstürzen, wie hohnvoll wieder emporsteigen, oben bleiben, und ich wie angewachsen hier am Tisch hocke, Aktendeckel stempele wie für ewig und ich auch dann nicht rauskomme, wenn die schwarzen Vögel nicht mehr kreisen.

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23 aralık 2023
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