Kitabı oku: «Mein Jakobsweg durch Israel – Wanderungen durch das Heilige Land», sayfa 2
Eigentlich mag ich das denglische Wort „joggen“ nicht. Nun, „dauerlaufen“ oder „waldlaufen“ sind aus der deutschsprachigen Mode gekommen. Für das englische Wort Pullover, gibt es kein deutsches Wort. Übersetzt bedeutet Pullover „Überzieher“, kein Mensch sagt Überzieher. Sprache verändert sich, hoffentlich wird die schöne deutsche Sprache nicht ganz abgeschafft.
Ich legte mich an den Strand mit meinem kleinen Rucksack unter dem Kopf, schloss eine Viertelstunde die Augen und war wieder halbwegs frisch.
Dann spazierte ich den Strand entlang. Hier gibt es jetzt Ende April schon viele kastanienbraune Menschen und sie aalen sich weiter in der Sonne. Haben die noch nichts vom Hautkrebs gehört? Na ja, ich rauche auch und habe auch schon vom Lungenkrebs gehört.
Ich schaute zwei Anglern zu und fragte, ob sie schon Fische gefangen hätten.
Der eine erwiderte scharf: „Not po russki“. Das war ein kurzer englisch-russischer Brocken, bedeutete „nicht auf Russisch“ und bedeutete hier eindeutig: Wir sprechen hier kein Russisch, verstehe das bloß, du Depp!!
Wie ich schon im Vorfeld erfahren habe, sind seit 1989 rund 1Million Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel eingewandert. Das sind immerhin etwa 13% der israelischen Bevölkerung – ein ziemlich großer Anteil. Ich las auch Publikationen, wo der Anteil noch höher beziffert wird. Teilweise ist deren jüdische Herkunft umstritten. Viele assimilieren sich nicht so richtig in die israelische Gesellschaft, sprechen vorwiegend russisch, lernen kaum hebräisch. Einige sehen Israel als Sprungbrett an, um im Weiteren in den USA oder in Deutschland zu leben. An deren Stelle wüsste ich auch nicht, warum ich da hebräisch lernen soll. Ein Teil der israelischen Bevölkerung mag diese Einwanderer nicht, was ich bei diesem Angler spürte.
Ich fragte nach dem Fischfang in Englisch. Durch das Meerrauschen hatte er mich missverstanden, dachte, ich spreche russisch.
Ich sagte ihm, dass ich in Englisch nach dem Fischfang gefragt habe.
Er verstand und sagte, dass sie noch keine Fische heute gefangen hätten. Dann unterhielten sich beide Angler hebräisch weiter. Vielleicht hielten sie mich immer noch für einen Russen.
Ich wandelte durch die Straßen Tel Avivs. Ich begegnete Männern mit Kippa und erstmalig einem Juden mit Schläfenlocken. Schläfenlocken trägt ein Großteil der ultraorthodoxen Juden. Ja, es ist Schabbat und irgendwo müssen doch da auch Synagogen sein, wo jetzt Gottesdienste stattfinden. Auf einem Spielplatz fragte ich zwei junge Frauen, die bei ihren spielenden Kindern saßen, nach einer Synagoge. Sie beschrieben mir den Weg zur nächsten Synagoge. Beide waren vor einigen Jahren aus den USA eingewandert.
Vor der Synagoge zog ich meine Jacke zur Bedeckung meiner Arme an, trat in den Vorraum, bedeckte mein Haupt mit einer ausliegenden Papp-Kippa und setzte mich gleich rechts in die Ecke des Saales. Ungefähr 30 Männer beteten gemeinsam. Schläfenlocken hatte hier keiner. Die Umrisse von etwa 10 sitzenden Frauen sah ich im linken Drittel des Saales, der durch eine Gardine abgetrennt war. Von einigen Männern wurde ich skeptisch gemustert.
Meine Papp-Kippa hielt nicht und fiel hinten runter. Oh Gott, habe ich jetzt das heilige Haus entweiht, dachte ich. Ich hob die Kippa auf und zog sie etwas nach vorn, auf dass sie dort wohl verweile.
Wie ich später mitbekam, fixieren einige ihre Kippa mit einer Haarspange und normale Stoff-Kippot (Mehrzahl von Kippa) saugen sich auch etwas am Hinterkopf fest.
Ein Mann kam herein und nickte mir freundlich zu.
Unter gemeinsamen Gesängen wurde die Torarolle durch die Synagoge getragen und auf dem Lesepult ausgerollt. Die Gläubigen hatten alle Gebetsbücher vor sich, machten ab und an Nickbewegungen zum Gebet oder liefen dabei kurz auf der Stelle. Zwischendurch standen sie auf. Ich als Besucher blieb sitzen, ich hoffte, das war okay.
Die wacklige Kippa fiel mir zum vierten Mal runter, ich ging in den Vorraum und wollte schauen, ob da vielleicht Haarklammern rumliegen. Ich fand nichts. Der Rabbi winkte mich von drinnen freundlich lächelnd zu sich, ich traute mich ohne Kopfbedeckung nicht in das Innere der Synagoge. Er kam mir entgegen und gab mir einen Gebetsschal.
Ich sagte ihm, dass mir die Kippa laufend runterfällt. Leider hätte er keine andere. Damit die Kippa nicht gleich wieder runterfällt, rückte ich sie weiter nach vorn auf meinem Haupt – etwas „unorthodox“, da ja die Kippa auf dem Hinterhaupt getragen wird.
Wie die anderen schlang ich mir den Gebetsschal um die Schultern. Als Kind legte ich mir die Bettdecke oft um die Schultern und lief so abends durch die Wohnung. Meine Mutter amüsierte sich immer darüber. Für mich hatte der Umhang, etwas von zu Hause sein – wohl für die Juden etwas von zu Hause sein bei ihrem Gott. Zur Verstärkung ziehen einige auch den Umhang über den Kopf beim Gebet.
Ein Mann betete sehr laut vor und die anderen beteten nach. Vielleicht hinkt der Vergleich aus jüdischer Sicht, nach meinem Gefühl bestand eine gewisse Ähnlichkeit zu einem schier brüllenden Muezzin.
Wohl weil er mitbekam, dass auch Ausländer im Saal sind, sprach der Rabbi einige Worte Englisch. Man solle sich zusammensetzen. Der Mann, der mir beim Hereinkommen freundlich zunickte, setzte sich zu einem anderen. Sie unterhielten sich ab und an in englischer Sprache. Wie ich mitbekam, ist dieser Mann aus den USA und in Tel Aviv nur besuchsweise.
Es kamen auch zwei Männer mit Basecap. Das Wichtigste ist, dass der Kopf bedeckt ist. Zur Not kann man in der Synagoge sein Haupt mit einem Bascap anstelle einer Kippa bedecken.
Bis dahin moderierte der Rabbi den Gottesdienst. Nun übernahm ein anderer Mann und rief mich nach vorn. Ich schaute verlegen, wollte schon ausholen und sagen, dass ich ein atheistischer Tourist sei.
„Sind Sie Jude?“, rief der Mann quer durch die Synagoge.
Ich: „Nein.“
Wortwörtlich er sofort darauf: „Aah.“
Er rief einen anderen vor. Sie hielten mich wohl alle für einen Juden. Nun war ich gar kein Jude. Waren Sie enttäuscht? Ein anderer wurde vor gerufen. Mir reichte es zunächst als erster Eindruck, ich ging. Im Vorraum saß ein anderer Mann mit Basecap, las in einem Buch – wahrscheinlich ein Gebetsbuch – und nickte mir freundlich zu.
Wie ich später herausfand, werden beim Samstagmorgen-Gottesdienst in vielen Gemeinden im Anschluss an die Tora-Lesung Anwesende aufgerufen und erhalten eine besondere Segnung – ein Mi Sheberach, in der neben ihrem Namen auch Familienangehöriger oder Kranker gedacht werden kann.
Ich erinnere mich an unsere Kalifornien-Reise vor vier Jahren, mein allerliebster Schatz. Außer einem beginnenden Muskelabbau an den Händen strotztest du vor Gesundheit. Die Diagnostik deiner Krankheit lief erst an. Wir dachten beide, dass sich die Sache klären wird und wir gemeinsam mit unserer herrlichen Affenliebe hornalt werden.
Wir besuchten im ländlichen Kalifornien den Sonntagsgottesdienst einer kleinen christlichen freien Gemeinde. Einzelne Gemeindemitglieder erzählten von Angehörigen, die krank oder bei der Armee im Auslandseinsatz waren. Am Ende gedachte die ganze Gemeinde derer und hoffte auf Gottes Hilfe. Das war also ähnlich.
Nun ist es 12:35 Uhr, ab geht’s ins Quartier zum Mittagsschläfchen. Ab 13:00 Uhr kann ich rein. Ich hoffe, ich finde nach ein bis zwei Stunden Ruhe wieder raus aus dem Bett, um abends zur normalen Schlafenszeit die nötige Bettschwere wieder zu haben.
Ich habe jetzt schon die Schnauze voll. Das Quartier hat mir den Rest gegeben. Ich klingelte an der Tür des Hostels. Ein sehr grimmig dreinschauender, dünner, ungefähr 60jähriger Jude mit Kippa öffnete mir mit einem wütenden Murren. Ich sagte, dass ich gebucht hätte, zeigte auf meinen Rucksack in der Ecke. Er fluchte nochmals hebräisch, deutete an, dass ich meinen Rucksack nehmen und abhauen solle und ging in ein Zimmer. Ich dachte, er wäre der Eigentümer des Hostels und ich hätte gerade die Schabbatruhe gestört. Der palästinensische Hotelangestellte, bei dem ich in der Nacht eincheckte war nicht da. Ich schnappte meinen Rucksack und öffnete mit dem mir bekannten Code 555 die andere Eingangstür des Hostels in der Hoffnung, Personal zu finden, das mir mein Bett zuweist. Drinnen bezog in einem Zimmer eine schwarze Putzfrau Betten. Sie sprach kein Englisch. Im ganzen Haus traf ich keinen anderen Menschen an.
Draußen setzte ich mich erst mal auf die Bank und rauchte eine. Schöne Scheiße, ich wollte endlich das Quartier beziehen, schlafen und jetzt das. Die Schabbatruhe des vermeintlichen jüdischen Besitzers wollte ich aber auch nicht stören. Trotzdem: die müssen doch eine Macke haben, schließlich habe ich bezahlt!
Entschlossen betrat ich das Hostel erneut, zeigte der schwarzen Putzfrau den Beleg, dass ich bezahlt habe und sagte ihr laut, dass sie jetzt jemand rufen solle, der englisch spricht. Ein Handy lag auf dem Tisch, das reichte ich ihr. Sie fluchte noch etwas in irgendeiner Sprache, ich fluchte zurück, dann erschien endlich der palästinensische Rezeptionist von der Nacht und zeigte mir mein Bett in einem kleinen Zimmer mit vier Doppelstockbetten. Ich könne eines der freien Betten nehmen, er gab mir noch ein frisches Handtuch. Haken zum Aufhängen von Klamotten gab es keine, zum Glück war der Platz an der Wand für meinen Rucksack frei. Ein russischer Mitbewohner kam aus der Dusche. Der sprach auch kein Englisch und schaute ernst drein.
Ich machte mich oberflächlich frisch, stopfte mein Portemonnaie in meinen Brustbeutel. Ich wollte mich nicht im Schlaf an meinem Brustbeutel strangulieren und legte den Brustbeutel heimlich unter das Kopfkissen. Wenn ich im Tiefschlaf bin, könnte das Ding doch jemand klauen. Vertrauenserweckend war mir das Quartier nicht. Obwohl ich genug Geld für ein Hotel hätte, buchte ich ein einfaches Hostel mit Acht-Mann-Schlafsaal. Alpenwanderer kennen das auch von den Wanderhütten. Ich zeltete in meinem Leben schon häufig. Im Urlaub brauche ich ein Bett, eine Dusche und halbwegs akzeptable hygienische Verhältnisse. Ich hatte auch die Hoffnung, dass ich mit Mitmenschen in einem Schlafsaal eher in das Gespräch komme, als wenn ich einsam in meinem teuren Hotelzimmer hocke. War mein Geiz doch falsch? Vielleicht ziehe ich morgen in ein Hotel und pfeife auf das gegebene Geld für die vier Nächte in dieser Herberge.
Der Russe wurschtelte an seinem Kram. Ich konnte nicht einschlafen. An mir klebte etwas Schweiß. Nicht das mein frisches Bett dann auch klebt. Ein bisschen Staub toleriere ich gut, klebriges Zeug ist mir ein Gräuel. Ich stand auf, duschte mich, wusch nebenbei die Socken und das Hemd, zog unterhalb des Bettes über mir zwei Wäscheleinen, hing meine Wäsche daran auf. Vier Wäscheklammern und eine Strippe hatte ich mitgebracht.
In einfachen Pensionen in Deutschland, Österreich, Holland, Großbritannien habe ich mich immer wohl gefühlt, was ich von diesem Hostel nicht sagen kann.
Tel Aviv, 26.4.15
Mein lieber BV,
über alle Belanglosigkeiten will ich dir nicht schreiben. Ich glaube, manchmal habe ich abartige Gedanken. Die kann ich dir ja mitteilen. Schließlich haben wir beide ja das Beichtgeheimnis vereinbart. Ich will das Tagebuch zumindest im Familien- und Bekanntenkreis später veröffentlichen. Alle Beichten werde ich in diese Version sicher nicht reinnehmen.
Ich denke, viele Menschen meinen, einige ihrer eigenen Gedanken seien abartig. „Die Gedanken sind frei“ heißt es in dem bekannten deutschen Volkslied. In den Gesprächsrunden der psychosomatischen Rehabilitation bekommen dann einige mit, dass ihre Gedanken gar nicht so abartig sind. Andere haben ähnliche Gedanken.
Ich bin heute wesentlich besser drauf als gestern Nachmittag. Gut ausgeschlafen und ein klarer Plan: den Stadtrundgang durch Tel Aviv nach Reiseführer werde ich heute zu Ende führen.
So übel ist das Quartier nicht. Es ist sauber. Wenn man sich schnellstens aufrafft und sein persönliches System in dieser Wirtschaft gefunden hat, geht es. Einige Hostelgäste grüßen mich nett. Es ist ein kleines Hostel mit ungefähr 20 Gästen.
Der palästinensische Rezeptionist erzählte mir, dass der fluchende Jude ein ganz normaler Gast aus Frankreich ist, er ist schon einen Monat hier. Und ich hielt ihn für den Besitzer dieses Hostels! Das Zimmer, in das er bei meiner Ankunft ging, nachdem er ausgeflucht hatte, war ein Klo des Hostels. Die Zimmertür ist hebräisch beschriftet, was ich nicht lesen kann.
Ich dachte, der religiöse jüdische Hostelbesitzer versuchte, seinen nun durch einen Deutschen halbversauten Schabbat weiter im Wohnzimmer zu genießen. Dabei musste der französische Gast nur mal zur Notdurft.
Vielleicht hat er wie andere Juden das zunehmend antisemitische Frankreich verlassen und will sich hier eine neue Existenz aufbauen. Vielleicht hat er gehört, dass der Rucksack in der Ecke einem Deutschen gehört, der im Laufe des Schabbat einziehen wird. Ich kann verstehen, dass dieser Mann in seiner möglichen Situation die Deutschen nicht mag.
Was ist denn seine mögliche Situation? Mit mir spricht er nicht, ich kann nur vermuten: Die Deutschen haben vielleicht gar alle seine Vorfahren umgebracht. Jetzt wird es mit dem Antisemitismus in Frankreich wieder schlimmer. Der Anschlag auf „Charlie Hebdo" war nur der Gipfel der Attacken. Dieser französische Jude entschied für sich, dass er seine geliebte französische Heimat verlassen muss. Wiederholt sich die ganze grausame Geschichte des Holocaust? Und da kommt dieser ungläubige Deutsche mitten in der Schabbatruhe daher! Nach diesen Gedanken kann ich den Mann besser verstehen.
Ich erinnere mich an das letzte Jahre meines Medizinstudiums. Angehende Ärzte arbeiten in ihrem letzten Studienjahr im Krankenhaus. Es ist ihr Praktisches Jahr (PJ). Die PJler agieren schon als halbe Ärzte, untersuchen Patienten, assistieren bei Operationen, legen Infusionen. Als ich PJler war, konnte eine gestandene Ärztin für Anästhesie mich offenbar nicht leiden. Sie stichelte laufend gegen mich, erwiderte kaum mein „Guten Morgen“. Warum ihr meine Nase nicht passte, wusste ich nicht. Ich erzählte meinem besten Studienfreund Thomas davon.
Er daraufhin: „Weißt du, ich denke, diese Frau hatte eine sehr große Liebe. Diese große Liebe ging dann leider zu Ende. Der Typ, der diese große Liebe war, sah dir sehr ähnlich. Wenn sie dich sieht, wird sie immer wieder daran erinnert.“
Plötzlich konnte ich diese Frau viel besser verstehen.
Solche, wenn auch konstruierten Geschichten helfen mir, unsympathische Mitmenschen zu verstehen und eine friedliche Koexistenz zu ermöglichen. Manchmal werden sich Intimfeinde gar sympathisch. Auch das erlebte ich schon in meinem 51jährigen Leben.
So versuche ich jetzt auch den französischen Juden zu verstehen, grüsse ihn mit „Schalom“, auch wenn er nicht zurückgrüßt.
Im Hostel sind noch zwei ungefähr 25jährige dunkelhaarige Kerle, die mich auch nicht grüßen. Ich weiß nicht, woher sie sind, sie könnten Juden oder Araber sein. Da ich beim Einchecken meinen Pass vorlegen musste, bin ich in diesem kleinen Hostel als Deutscher geoutet. Ich kann hier keinen auf Schweizer mimen. Nun ja, ich akzeptiere es und hoffe dennoch etwas Deutschfreundlichkeit in Israel zu finden.
In der Nacht knallte der Russe laut die Tür anstatt sie vorsichtig herunter zuklinken und möglichst leise heranzuziehen. Ich nahm meinen Brustbeutel und ging pinkeln. Als ich wieder kam, tappte der Russe noch von einem Bein auf das andere und mehrte an seinem Kram. Beim Wieder-Einschlafen tastete ich unter dem Kopfkissen nach meinem Brustbeutel und nach meiner Armbanduhr. Die Uhr war weg. Bleibe ruhig, sagte ich mir. Wenn ich den Russen darauf anspreche, wird er mich nicht verstehen und das Misstrauen spüren. Jemanden des Diebstahls zu bezichtigen, ist ein sehr schwerer Vorwurf.
Ist die Uhr halt weg, sie ist keine Rolex. Muss ich mir heute eine neue besorgen. Bei den jüdischen und arabischen Schacherern ist das vielleicht nicht einfach und ich bezahle das Doppelte.
Wie ich später mitbekam, stimmt das nicht. In den israelischen Städten gibt es Einkaufszentren mit normalen ausgeschilderten fairen Preisen. Mit entsprechenden Formularen kann man gar die Mehrwertsteuer (VAT) auf dem Flughafen bei der Ausreise zurückbekommen.
Als ich später wieder aufwachte, lag die Uhr unter dem Bett. Bei meiner Rumwälzerei im Schlaf rutschte sie vom Bett und fiel herunter. Sie war heil. Und ich wollte schon abreisen.
Landolf Scherzer machte seinen Brustbeutel gar am Oberschenkel fest, um nicht beklaut zu werden. Wie entspannt und sicher es doch da auf einem Kreuzfahrtschiff zugeht mit Sauna am Abend und täglich frischen Handtüchern. Dafür zahlt man eine ganze Menge mehr und verbringt die meisten Abende nicht mit Einheimischen sondern unter Touristen.
Tel Aviv, 27.4.15
Wenn auch weniger als viele andere Wohlstands-Wau-Waus, bin auch ich mit meinem Wohlstand verbunden.
Du, mein lieber Schatz würdest hier im Hostel eine Krise kriegen. Gemeinsam hätten wir komfortabler genächtigt.
Vielen Juden ging es in Deutschland und Österreich vor Hitlers Machtergreifung ähnlich. Sie schwelgten im Wohlstand, dann kamen sie ins KZ und das Leben an sich ging unter viel mieseren Bedingungen trotzdem weiter. Der Wohlstands-Wau-Wau kann sich auch umstellen, wenn er muss.
Wenn ich aufrecht am Tisch sitze wie jetzt am Morgen vor dem Hostel, geht das Schreiben am besten von der Hand. Mit überschränkten Beinen ohne Tisch wird es mir schnell unbequem.
Gestern ging ich in die Tel Aviver Synagoge in der Allenby Road/ Ecke Rehov Ahad Ha’am. Nach meinem Reiseführer ist es die Hauptsynagoge der Stadt. Sie ist groß, aber nicht landläufig schön. Die Fassade ist ergraut und hat kaum architektonische Schnörkel. Mein Haupt bedeckte ich mit einer herumliegenden äußerlich sauberen Kippa und schaute mir den Hauptsaal an. Ich schien gerade der einzige Mensch in diesem wichtigen Gebäude zu sein. Viel war nicht zu sehen. Ich wollte noch auf die seitlichen Balkone, ging die eine Treppe hinauf, die Tür zum Balkon war verschlossen. Ich ging wieder hinunter und stieg die andere Treppe hoch, um vielleicht auf den anderen Balkon zu kommen. Auf der Treppe traf ich zwei Männer und sagte ihnen, dass ich zum anderen Balkon gehen wolle. Sie sagten mir, der Zugang zu diesem Balkon sei auch verschlossen, ich könne aber ganz hinauf gehen und das Innere der Synagoge von weiter oben sehen. Ich stieg die Treppen hinauf, kam in den Gemeinderaum. Tische und Stühle standen ohne erkennbare Ordnung irgendwie herum. Verpackungen von Chipstüten, Plastikbecher, zusammengeknüllte Zettel lagen auf den Tischen und dem braunen Linoleumboden. Das Mobiliar war leicht abgewetzt, der Raum war völlig schmucklos. Durch ein Fenster konnte ich den Hauptsaal der Synagoge von oben sehen.
Wie ich schon vorher bei Katharina Höftmann in ihrem Buch „Guten Morgen, Tel Aviv!“ las, machen sich Israelis aus Äußerlichkeiten nichts und wollen lieber mehr seien als scheinen. Mir ist das sehr sympathisch. Ich hasse Verlogenheit.
Oh mein lieber Schatz, wie sehr mochte ich deine Ehrlichkeit!
Du gabst einfach zu, dass du das, was deine Chefin leistet, nicht leisten könntest. Stattdessen warst du einfach nur eine sehr gute, leidenschaftliche Physiotherapeutin und Manualtherapeutin, die ihre Arbeit liebte. Über einen gemeinsamen Bekannten sagte ich dir einst, er hätte eine „arrogante Grundhaltung“.
Du erwidertest: „Da hast du Recht – eine arrogante Grundhaltung, ja das hat er.“
Eine „arrogante Grundhaltung“ war dir selbst völlig fremd. Deine Grundhaltung war das ganze Gegenteil.
Du fehlst mir sehr, mein heiß geliebter Schatz. Ich verstehe immer noch nicht, dass du nicht mehr auf dieser Welt bist.
Mit Tränen in den Augen umarme ich dich in meinen Gedanken ganz fest.
Gestern Abend, es war schon dunkel, kam ich noch an einer anderen Synagoge vorbei und ging hinein. Der Saal der Synagoge war nicht beleuchtet. Ich ging die Treppe hoch und sah durch eine Glastür orthodoxe oder ultraorthodoxe Juden mit Kippot beim Torastudium. Nicht alle hatten Schläfenlocken. Schläfenlocken tragen mehrere Gruppierungen der ultraorthodoxen und der nationalreligiösen Juden. Einige sprachen miteinander. Zwischendurch holte sich einer ein Buch aus dem großen Bücherregal. Hier wurde intensiv studiert. In einer Universitätsbibliothek geht es ähnlich zu.
Ein junger Mann mit Schläfenlocken kam heraus und lächelte.
Ich sagte ihm, dass ich die Synagoge nur besuchen wolle.
Er: „Kommen Sie rein!“
Ich: „Ohne Kippa?“
Er gab mir sofort eine Kippa und führte mich zu einem Mann, der gut englisch sprach. Dem sagte ich auch, dass ich die Synagoge nur besuchen wolle, weil ja Religion ein wesentlicher Teil der israelischen Gesellschaft ist.
Er: „Ja, das ist natürlich richtig, gut, dass Sie das machen.“
Er bot mir ein Getränk an – Kaffee oder Tee. Ich lehnte dankend ab. Das nächste Mal in ähnlicher Situation würde ich annehmen, jedoch sagen, dass ich kein Jude bin. Der Anbieter kann ja dann selbst entscheiden, ob er sein Angebot aufrechterhält.
Er fragte mich, ob ich religiös sei, woher ich käme, ob ich jüdische Wurzeln habe. Religiös bin ich nicht, jüdische Wurzeln habe ich auch nicht, erwiderte ich.
Ich fragte, ob sie hier orthodox oder ultraorthodox sind. Er verstand nicht, auch nicht nachdem ich wiederholte. Er übersetzte dem Rabbi, der kaum englisch sprach und daneben stand. Der verstand auch nicht. Ich holte meinen Reiseführer „Heiliges Land“ vom DuMont Reiseverlag (Auflage von 2011) raus und übersetzte daraus ins Englische. Dort steht: „49% der jüdischen Bevölkerung Israels sind säkular (weltlich), 33% traditionell (normalgläubig), 13% orthodox (strenggläubig) und 4,5% ultraorthodox (extrem strenggläubig) eingestellt.“ Auch das übersetzte mein Gesprächspartner dem Rabbi. Der Rabbi sagte, dass es keinen Unterschied zwischen orthodoxen und ultraorthodoxen Juden gibt.
Es kam noch ein Mann daher, der gehen wollte, schon Mantel und Hut anhatte. Seine kurzen Schläfenlocken hatte er hinter die Ohren gesteckt. Ihm erzählten die anderen beiden von mir. Er sprach sehr gutes Englisch. Er wollte nochmals von mir hören, was ich wissen wolle. Ich übersetzte nochmals für ihn die Passage meines Reiseführers ins Englische.
Nun hielt er eine kleine Rede frontal einen reichlichen Meter vor mir stehend: „Es gibt keinen Unterschied zwischen orthodox und ultraorthodox. Was da in Ihrem Reiseführer steht, können Sie vergessen. Kommen Sie her und sehen Sie selbst. Ein großer Teil der Juden hat seinen Glauben vergessen. Sie beten nicht, sie studieren nicht die Tora, sie essen nicht koscher. Zum Pessah-Fest sind jedoch die Synagogen voll, weil sie in ihrem Herzen spüren, dass es da noch etwas gibt.“
Am Heiligen Abend sind auch in Deutschland die Kirchen voll.
Ich war erstaunt über die Offenheit und Freundlichkeit. Nach dem, was ich vorher gelesen habe, schotten sich orthodoxe und ultraorthodoxe Juden gegenüber allen Andersartigen ab. Es stimmt schon prinzipiell, Bücher können helfen. Gehe hin und schaue selbst, deine eigene Realität wird eine andere sein.
Der Reiseführer vergaß die nationalreligiösen Juden. Sie tragen meistens gehäkelte Kippot oft in einem Beigeton, statt Hemden häufig nur T-Shirts, teilweise Schläfenlocken. Sie sind traditionell gläubig, wollen einen jüdischen Tempel auf dem Jerusalemer Tempelberg wieder errichten. Ihre Partei „Jüdisches Heim“ ist an der Israelischen Regierung beteiligt. (Nachtrag: An der neuen Regierung, die unter Ministerpräsident Netanyahu am 6. 5. 2015 gebildet wurde, ist sie auch beteiligt.) Den Siedlungsbau wollen sie weiter vorantreiben und prinzipiell die Rechte der Palästinenser weiter beschränken. Der Mörder Jitzchak Rabins kam aus nationalreligiösen Kreisen.
Sehr hübsche Frauen laufen hier durch Tel Aviv. Viele sind meiner verstorbenen Frau ähnlich – hübsches Lächeln, brünett, klarer Blick, selbstbewusst. Die Soldatinnen hier – oft eine wahre Wucht an Schönheit. Die meisten hübschen Frauen sind Sephardim. Das Mengenverhältnis Sephardim zu Aschkenasim habe ich noch nicht rausbekommen. Der Begriff Mengenverhältnis für Menschen widerstrebt mir. „Eine Menge Menschen dieser oder jener Sorte“ ist wie ein Sack Zwiebeln, eine Stiege Mandarinen oder ein Klafter Holz. Mathematisch ist der Begriff Mengenverhältnis hier jedoch richtig.
Es ist ein milder Morgen, 9:40 Uhr, ich sitze vor dem Hostel. Den Tisch und zwei Stühle habe ich mir zuvor in den Schatten geholt. Der französische Jude steht etwa fünf Meter von mir entfernt, starrt auf die Straße und raucht eine. Er trägt immer seine Kippa. Er sieht der bösen Nazikarikatur des ewigen Juden ähnlich – rundrückig, leichte Hakennase, vergnatzter Blick.
Mir liegt es absolut fern, die jüdische Rasse zu analysieren und mieseste Schlussfolgerungen im Stile der Nazis zu ziehen.
Viele Menschen sind hier sehr schön. Die häufigen leicht hakigen Nasen der vielen hübschen Frauen gefallen mir sehr, sie sind natürlicher Bestandteil ihrer Schönheit. Auf vielen antisemitischen stereotypischen Karikaturen wurden jüdische Menschen mit Hakennase dargestellt. Jüdische Menschen haben hakige Nasen häufiger und diese sind oft integraler Bestandteil ihrer hübschen, lebendigen Gesichter.
Ich bin nur in Ausnahmefällen für Kosmetische Chirurgie, ist sie doch Teil einer großen verlogenen Gesamtshow, wo mehr Schein als Sein gilt. Ihr Frauen mit den formschönen Hakennasen, lasst diese nicht operieren! Ihr werdet schon selbst wissen, was für Euch richtig ist. Eure Echtheit ist wunderschön.
Gestern schaute ich mir auch die Tel Aviver Oper an – toller moderner Bau mit mehreren Sälen. Im Untergeschoß sangen sich junge Leute ein. Aus dem Inneren eines Saales hörte ich englische Musicalgesänge. Eine hübsche junge Frau mit hakiger Nase fragte ich, was hier los sei. Sie sagte, dass hier ein Vorsingen der Bewerber für Aufführungen der West Side Story stattfinde und sie auch gleich dran sei. Ich sagte, dass ich ihr die Daumen drücke. Sie bedankte sich mit einem charmanten Lächeln.
Von der Aussichts-Terrasse auf dem Dach des Rathauses hatte ich einen guten Rundblick über die Stadt.
Vor dem Rathaus wurde 1995 Jitzchak Rabin ermordet, ein Denkmal genau an der Stelle erinnert daran. Bis auf minimale Fortschritte stagniert der Friedensprozess zwischen Juden und Palästinensern seit dem.
Tel Aviv hat weder U-Bahn, noch S-Bahn, noch Straßenbahn. Viele Menschen, die hier eine Arbeit haben, müssen in überteuerten kleinen Wohnungen leben. Die tägliche Pendelei zu den Vororten wäre zu mühselig bei dieser Infrastruktur. Die Wohnungsnot treibt ihre Blüten. Manchmal lassen sich gar Vormieter nur für die Empfehlung von Bewerbern als Nachmieter bezahlen.
Die Menschen passen sich der Lage an. Es gibt viele Wohngemeinschaften. Viele E-Bikes sind zu sehen.
Auf der anderen Seite stehen Häuser ganzer Stadtteile von Tel Aviv und Jerusalem meistens leer. Wohlhabende französische und amerikanische Juden kauften sich dort teure Wohnungen als Nebenwohnsitz. Diese Wohnungen dienen den Besitzern vor allem als Geldanlage und, für den Fall eines zunehmenden Antisemitismus in ihren Heimatländern, als Unterschlupf.
An den vielen neuen Hochhäusern sah ich oft besondere architektonische Elemente – Fenster über zwei Etagen mit Maisonette-Wohnungen und Wintergärten dahinter, Rundungen, schräge Dächer, verschieden große Balkone, die mehr oder weniger heraus ragen. Da haben sich Architekten ausgetobt, es wurde nicht einfach uniform gebaut.
In Israel gibt es viele Gemeinschaften: Aschkenasim, Sephardim, Palästinenser, Beduinen, säkulare Juden, verschiedene jüdisch religiöse Richtungen.
Andere Gruppierungen wie Homosexuelle, Schachspieler, Modellbahnbauer, verschiedene Berufsgruppen wie Offiziere oder Ärzte und vieles mehr gibt es sicher auch. Diese Gemeinschaften sind den Menschen auch Heimat.
Ich will Atheist bleiben und nicht zum Judentum konvertieren. Dennoch will ich Israel mit seinen Menschen kennenlernen.
Ich habe meine Heimat bei den Ärzten, den Schachspielern, den Läufern, bei Mitmenschen, die mir bei der Verbesserung meiner geschriebenen Texte helfen.
Ich rief schon wildfremde Ärzte anderer Fachrichtungen an. Es war selbstverständlich unter Kollegen einen Rat zu geben oder eine Frage aus ihrem Fachgebiet zu beantworten. Für mich ist das genauso selbstverständlich.
Alle Menschen, die regelmäßig laufen, kennen das. Da begegnen sich zwei einander wildfremde Läufer und heben den Arm und grüßen sich lächelnd. Sie denken: Da haben wir beide uns heute am Sonntagmorgen aufgerafft, genießen unseren Lauf, fühlen uns gut. Einige Leute liegen noch verkatert in ihren Betten. Sollen sie. Auch wir trinken manchmal über den Durst. Heute Morgen machen wir das und uns beiden geht es gut, obwohl wir uns gar nicht kennen. Auch das ist für mich ähnlich zu einer Religion mit einer weltweiten Gemeinschaft gleich gesinnter Läufer. Wir genießen die wunderbare Schöpfung unserer Körper und der Natur beim Lauf.
Auf den alten Bildern vom Tel Aviv der 30er und 40er Jahre sieht man in und vor vielen Cafés Menschen beim Schachspiel. Ich halte laufend danach Ausschau. Das Caféhaus-Schachspiel von Tel Aviv ist offenbar ausgestorben.
Garri Kasparow – über viele Jahre der beste Schachspieler der Welt – befragte wie viele andere Schachfreunde manchmal den Computer nach dessen Ideen in verschiedenen Spielpositionen. Mittlerweile sind die Computer mit ihren Programmen sehr gut auf diesem Gebiet. Kasparow meinte, er habe Gott gesehen, weil ihm der Computer geniale Kombinationen zeigte, von denen er noch gar nichts ahnte. Ja, das Schachspiel mit seinen unendlich vielen Möglichkeiten ist göttlich.
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