Kitabı oku: «Rote Karte für den Schmerz»
»Den Schmerz verstehen – und was zu tun ist in 10 Minuten!«
Ein Film des Deutschen Kinderschmerzzentrums
www.carl-auer.de/rote-karte-fur-den-schmerz
Michael Dobe/Boris Zernikow
Rote Karte für den
Schmerz Wie Kinder
und ihre Eltern aus
dem Teufelskreis
chronischer Schmerzen
ausbrechen
Mit einem Geleitwort von Marianne Koch
Sechste Auflage, 2021
Umschlaggestaltung: Uwe Göbel
Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Sechste Auflage, 2021
ISBN 978-3-8497-0130-7 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8021-0 (ePUB)
© 2009, 2021 Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren
und zum Verlag finden Sie unter: https://www.carl-auer.de/.
Wenn Sie Interesse an unseren monatlichen Nachrichten haben,
können Sie dort auch den Newsletter abonnieren.
Carl-Auer Verlag GmbH
Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg
Tel. +49 6221 6438-0 • Fax+49 6221 6438-22
Inhalt
Danksagung
Zum Geleit
Liebe Kinder und Jugendliche, liebe Eltern
Was ist Schmerz?
Akuter Schmerz
Chronischer Schmerz
Teufelskreis Schmerz: Entstehung und Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen
Potenzielle Auslöser
Wie sich chronischer Schmerz »entwickelt«
Das Schmerzgedächtnis
Schmerzen lernen und verlernen
Angst als Verstärker
Geht’s auch ein bisschen einfacher?
Schmerz als Alarmreaktion
Stress ist sinnvoll
Mit-Leiden
Die drei Denkfallen
Denkfalle 1: »Der Schmerz ist psychisch bedingt!«
Psychologische Beratung ist kein Allheilmittel
Denkfalle 2: »Der Schmerz ist organisch bedingt!«
Denkfalle 3: »Der Schmerz muss weg – für immer!«
Maßnahme 1: Denkfallen entschärfen
Günstige und ungünstige Verhaltensweisen bei Schmerzen
Kleiner psychologischer Exkurs
Ein Brief an Ihr Kind
Das Sprechen über Schmerzen
Maßnahme 2: Die 1-Euro-Regel
Maßnahme 3: Ablenkungsstrategien erarbeiten
Vermeiden vermeiden
Bloß kein Mitleid!
Maßnahme 4: Mut machen
Struktur versus Chaos
Maßnahme 5:Weniger Aktivität ist mehr Lebensqualität
Maßnahme 6:Mehr Aktivität ist mehr Lebensqualität
Maßnahme 7:Der Belohnungsplan
Schmerzen dürfen nicht zur Ausrede werden
Maßnahme 8:Wieder mehr am Alltag und am Leben teilnehmen
Schmerz und Schlaf
Maßnahme 9: Endlich wieder schlafen!
Doktor(s)hopping
Maßnahme 10: Irgendwann ist Schluss
Wenn der Schmerz zum Familienthema wird: Folgen für die Eltern
Maßnahme 11:Drei Schritte für einen gemeinsamen Weg
Wenn der Schmerz zum Familienthema wird: Folgen für die Geschwister
Maßnahme 12: Der Familienrat
Medikamente gegen chronische Schmerzen
Wann sind Schmerzmedikamente sinnvoll?
Nicht-Opioide
Opioide
Mittel gegen neuropathische Schmerzen
Wenn Schmerzmedikamente Schmerzen verursachen
Spezifische Hinweise bei Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen
Kopfschmerzen
Das sollte abgeklärt werden
Migräne
Spannungskopfschmerz
Chronischer täglicher Kopfschmerz
Maßnahme 13:Was tun bei chronischen Kopfschmerzen?
Bauchschmerzen
Das sollte abgeklärt werden
Der Einfluss der Ernährung
Das Reizdarm-Syndrom (Colon irritabile)
Maßnahme 14: Was tun bei Bauchschmerzen?
Rückenschmerzen
Mögliche Ursachen
Maßnahme 15:Was tun bei Rückenschmerzen?
Eltern und ihre Nöte: Häufige Fragen
»Schade ich meinem Kind, wenn es trotz Schmerzen seinen normalen Alltag beibehält?«
»Ich will mein Kind zu nichts zwingen. Warum sollte ich das tun?«
»Mein Kind hat Migräne. Muss es jetzt immer Medikamente nehmen?«
»Mein Partner und ich sind getrennt. Wie können wir unser Kind gemeinsam unterstützen?«
Umgang mit Verwandten, Lehrern und Ärzten
Umgang mit Verwandten
Maßnahme 16:Zusammen an einem Strang ziehen
Umgang mit Lehrern
Maßnahme 17: Weihen Sie die Lehrer ein
Umgang mit Ärzten
Maßnahme 18:So gelingt das Gespräch mit dem Arzt
Einfache und hilfreiche Techniken der Schmerzbewältigung
Strategien, die das Selbstwertgefühl Ihres Kindes steigern
Die Schmerzen malen
Schwarze und bunte Gedanken
Für Kinder bis 12 Jahre: Gedankenstopp und Gedankenboss
Für Jugendliche ab 12 Jahre: Schwarze und bunte Gedanken
Schmerztagebuch
Die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson
Für Kinder bis 12 Jahre
Für Jugendliche ab 12 Jahre
Ablenkungstechniken
Die 54321-Ablenkungstechnik (ab 12 Jahre)
Bauchatmung
Eine schöne Zukunft
Alarmzeichen für eine schnelle Abklärung
Wann Sie sich an einen Kinderarzt wenden sollten
Wann Sie sich an einen Kinder- und Jugendpsychotherapeuten wenden sollten
Zu guter Letzt
Anhang
Weitere Therapiemethoden
Biofeedback
Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS)
Autogenes Training (AT)
Akupunktur
Homöopathie
Ernährung und Schmerz
Massage
Psychotherapie
Selbsthypnose
Andere Therapieverfahren
Informationsblätter zu chronischen Schmerzen
Zehn Tipps für Eltern im Umgang mit chronischen Schmerzen
Informationsblatt für Angehörige
Informationsblatt für Lehrer
Informationsblatt für Freunde
Anlaufstellen und Adressen
Literatur
Über die Autoren
Danksagung
Ein großer Dank gilt allen, die die Erstellung dieses Buchs tatkräftig unterstützt haben. Ein spezieller Dank geht an die Jugendlichen, die uns für dieses Buch ihre teils äußerst ausführlichen schriftlichen Aufzeichnungen während oder nach der Schmerztherapie zur Verfügung stellten. Zusätzlich haben wir von betroffenen Kindern, Jugendlichen und Eltern einige Kommentare und Bemerkungen zu den einzelnen Kapiteln gesammelt. Trotz aller Bemühungen sind es doch sehr häufig die betroffenen Kinder und Jugendlichen, aber auch ihre Eltern, die die Dinge auf den Punkt bringen.
Zum Geleit
Liebe Leserinnen und Leser,
zunächst möchte ich Ihnen zum Erwerb dieses Buches gratulieren. Ich finde es außerordentlich spannend und informativ, glänzend geschrieben, und ich bin sicher, dass es vielen schmerzgeplagten Kindern und Jugendlichen und damit auch ihren Eltern nachhaltig helfen wird.
Leider werden Schmerzen, gerade solche, unter denen Kinder leiden, immer noch nicht ernst genug genommen. Kopfweh, Bauchschmerzen, Rückenschmerzen – »Es wird schon nicht so schlimm sein« oder »Stell dich nicht so an!«, heißt es nur allzu oft. Statt dass man die jungen Patienten einer wirksamen Therapie zuführt, schon um die Chronifizierung ihrer Schmerzen zu verhindern.
Das Verhältnis zum Phänomen Schmerz ist in unserer Gesellschaft von teilweise tragischen Missverständnissen geprägt. So wurden noch vor einigen Jahren Neugeborene ohne Narkose operiert, in der Annahme, ihr Nervensystem sei noch zu unreif für Schmerzempfindungen, oder Menschen sind der Überzeugung, dass Schmerz eben schicksalhaft und im Grunde nicht behandelbar sei. Diese Vorstellung müssen wir endlich aufgeben!
Schmerzen von Kindern mitzuerleben, zumal chronische oder immer wiederkehrende Schmerzen, ist für alle – Eltern, Geschwister, die ganze Familie – eine seelisch zutiefst belastende Situation, zweifellos auch für die betreuenden Krankenschwestern und Ärzte.
Wie gut, dass Dr. Michael Dobe und Prof. Dr. Boris Zernikow, die Autoren dieses Buches, es auf sich genommen haben, intensiv mit Kindern zu arbeiten, die unter Schmerzen leiden. Es sind äußerst erfahrene Therapeuten, die durch ihre wissenschaftliche Tätigkeit viel dazu beigetragen haben, dass wir heute das Wesen von Schmerz, besonders den chronischen Schmerz bei Kindern und Jugendlichen, besser verstehen und, vor allem, endlich kompetent behandeln können. Ihre Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen haben sie hier in einer großartigen und überzeugenden Weise dargestellt. Überzeugend deswegen, weil es ihnen zum einen gelungen ist, die komplexen Zusammenhänge zwischen Schmerzerleben und den Möglichkeiten von Schmerzbehandlung und -bewältigung in einer klaren und für jedermann verständlichen Weise zu beschreiben. Zum anderen aber, weil sie durch die vielen geschilderten Beispiele, die praktischen Vorschläge und die oft humorvollen Kommentare lebensnahe Informationen und Anleitungen für Eltern und die betroffenen Kinder geben.
Auch die Sprache mit ihren vielen kreativen Elementen – da gibt es »Denkfallen« und »Mutmach-Bilder«; witzige »Schildkröten«- und »Katzen«-Vergleiche bei den Entspannungsübungen – macht das Buch neben aller fachlichen Ernsthaftigkeit zu einem Lesevergnügen.
Vor allem aber wird es den Eltern, den Familien Mut machen. Es wird sie aus dem oft so quälenden Zustand der Hilflosigkeit befreien und ihnen und den jungen Patienten helfen, gemeinsam aus dem Teufelskreis chronischer Schmerzen auszubrechen.
Dr. med. Marianne Koch
Ehrenpräsidentin der Deutschen Schmerzliga e.V.
Liebe Kinder und Jugendliche, liebe Eltern,
wenn Schmerzen häufig kommen oder zum Dauerschmerz werden, wird das Leben für sehr viele Kinder und Jugendliche zur Qual. Und weil die Kinder leiden, leiden auch die Eltern. Dieses Buch soll eine Hilfe sein, trotz des Schmerzes zu einem normalen Alltag zurückzufinden, einem Alltag, in dem Lachen und das Denken an eine positive Zukunft wieder Platz haben.
Viele der in diesem Buch beschriebenen Tricks und Verhaltensweisen sind sehr einfach und erfordern nur ein wenig Mut und Geduld, aber keine aufwändigen Hilfsmittel oder Instrumente – ganz im Gegensatz zu den vielen Untersuchungen, Diagnosen, möglichen (und unmöglichen) Therapiemaßnahmen, denen wohl viele von Euch und Ihnen schon begegnet sind. Wie oft müssen sich Betroffene dazu noch ebenso gut gemeinte wie deplatzierte Ratschläge anhören wie »Das Kind trinkt doch zu wenig« oder »Der Junge simuliert und will einfach nicht zur Schule gehen«. Außerdem quälen sich viele von Ihnen, liebe Eltern, mit immer wiederkehrenden Selbstvorwürfen: »Ist nicht doch etwas übersehen worden? Was, wenn ich meinem Kind Unrecht tue? Was habe ich nur falsch gemacht? Wenn nichts Körperliches vorliegt, wie kann die Ursache dann psychisch sein – meinem Kind ging es doch gut? Oder etwa nicht?« Die Folgen sind – Sie werden es bereits erfahren haben – Verunsicherung, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Der Schmerz nimmt einen immer größeren Raum im Denken und Fühlen ein und scheint sich in der Familie auszubreiten, fast wie ein neues Familienmitglied.
Obwohl chronischer Schmerz immer besser erforscht und auch verstanden wird, findet er leider bislang noch sehr wenig Berücksichtigung in der Ausbildung von Ärzten, Psychologen, Krankengymnasten, Heilpraktikern und sonstigen Therapeuten. Allzu oft wird chronischer Schmerz im Sinne von »Da stimmt etwas nicht« oder »Etwas ist im Ungleichgewicht, und das muss behoben werden!« verstanden. Schlimmer noch: Je nachdem, wen Sie mit Ihrem Problem ansprechen, bekommen Sie ganz unterschiedliche Diagnosen und Therapieempfehlungen zu hören. Das Verständnis von chronischem Schmerz als eigenständiger Schmerzerkrankung, bei welcher eine einzelne körperliche oder eine einzelne psychische Ursache nicht existiert, ist noch eher selten. Der Leidensweg eines zwölfjährigen Mädchens mit fortwährenden Bauchschmerzen soll dies verdeutlichen.
Paula, 12 Jahre
Seit vier Jahren klagte Paula immer häufiger über Bauchschmerzen, in letzter Zeit nahezu ständig. Paula war von einem lebenslustigen Kind zu einem stillen, ernst und manchmal leidend wirkenden, zurückgezogenen Mädchen geworden, das immer häufiger in der Schule fehlte. In ihrer zunehmenden Hilflosigkeit stellten die Eltern Paula in drei verschiedenen Krankenhäusern zur Untersuchung vor. Das Kind erhielt anschließend ambulant verschiedenste Schmerzmittel, eine homöopathische Behandlung, eine Akupunkturbehandlung, Antibiotika gegen eine diagnostizierte Magenschleimhautinfektion, verschiedene Psychotherapien und Unterweisung in Entspannungstechniken. Häufig wurde den Eltern und dem Kind gesagt, dass die Ursache nun gefunden sei. Mal war dies eine körperliche, mal eine psychische Ursache, je nachdem, welchen Beruf der angefragte Therapeut ausübte. Manchmal zeigte sich auch eine über wenige Tage anhaltende Besserung, die aber rasch wieder nachließ.
Wegen Kindern wie Paula haben wir uns entschlossen, dieses Buch zu schreiben, um Ihnen, den betroffenen Familien, auf der Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und unserer eigenen Erfahrungen im Rahmen der ambulanten und stationären Kinderschmerztherapie eine erste Orientierung anzubieten.
Eine Bitte liegt uns am Herzen: Auch wenn viele von Ihnen durch Behandlungsmisserfolge wiederholt enttäuscht wurden oder möglicherweise den Glauben an eine Besserung der Situation schon ganz verloren haben – vermeiden Sie eine reine Selbstbehandlung. Besprechen Sie stattdessen Ihr Vorgehen mit dem Arzt oder Therapeuten Ihres Vertrauens. Er ist derjenige, der Sie an eine auf Schmerz spezialisierte Ambulanz oder Station überweisen muss, wenn die im Buch beschriebenen Verhaltensmaßnahmen und Tricks allein nicht mehr ausreichen. Leider passiert es immer wieder, dass dies der eine oder andere Arzt aus Mangel an Kenntnissen nicht tut. Wenden Sie sich dann an eine der im Anhang des Buches aufgeführten Adressen; von dort aus wird man Kontakt mit Ihrem Kinder- oder Hausarzt aufnehmen.
Wir wünschen Ihnen auf dem Weg zu weniger Schmerz und mehr Leben viel Kraft und den Mut, die in diesem Buch aufgeführten Ratschläge in Ihrem Alltag umzusetzen.
Dr. rer. medic. Michael Dobe und Prof. Dr. med. Boris Zernikow
Datteln, den 31. Mai 2012
Was ist Schmerz?
Klar weiß ich, was Schmerzen sind.
Sonst wäre ich wohl kaum hier auf der Station!
Sarah, 16 Jahre
In diesem Kapitel gehen wir darauf ein, dass Schmerzen zum einen ein Warnsignal darstellen können (akuter Schmerz); zum anderen gibt es jedoch Schmerzen, die diese Warnfunktion verloren haben (chronischer Schmerz). Anschließend erklären wir, wie es dazu kommt, dass ein Schmerz chronisch wird. Begriffe wie »Schmerzsensibilisierung« und »Schmerzgedächtnis« werden erläutert. Einige erklärende Hinweise darauf, wie Schmerzen im Gehirn verarbeitet werden, sowie viele Beispiele runden das Kapitel ab.
Akuter Schmerz
Autsch, blöder Tisch!
Julian, 8 Jahre
Jeder hat in seinem Leben schon Erfahrungen mit Schmerzen gesammelt. In den meisten Fällen ist der Schmerz vorübergehender Natur und tritt im Rahmen einer Prellung, Verletzung oder Entzündung auf. Solche Schmerzen nennt man übrigens »akut«: Der Schmerzauslöser ist hier also eine äußere oder innere Schädigung des Körpers.
Unser Gehirn ist dafür zuständig, dass wir bei einer Verletzung oder Erkrankung Schmerz empfinden. Verbrennt man sich die Hand auf einer heißen Herdplatte, wird das Verletzungssignal über die Nerven der Hand zum Rückenmark und von dort zum Gehirn weitergeleitet. Unser Gehirn versucht nun, das eintreffende Signal in das bewusste Wahrnehmen zu »übersetzen«.
Damit unser Gehirn den genauen Schmerzort bestimmen kann, hat es eine Art »Schmerzzentrum« ausgebildet, das unseren gesamten Körper wie eine Landkarte abbildet. Dieser Teil des Gehirns wird auch somato-sensorischer Kortex genannt. Er ist mit einem ganzen Netzwerk von verschiedenen Bereichen des Gehirns verbunden und selbst in viele kleine Bereiche unterteilt. Jeder Teilbereich in diesem Schmerzzentrum steht in Verbindung mit einem Teil unseres Körpers. Je wichtiger ein Körperteil für unseren Alltag ist und je komplexer die Aufgaben sind, die wir mit ihm erledigen, desto größer ist auch der Platz, den dieser Körperteil auf der »Landkarte« im Gehirn erhält. So wird ein Schmerzsignal von der Hand in denjenigen Teil des Schmerzzentrums geleitet, der für die Hand zuständig ist. Zusammen mit anderen Gehirnregionen löst der zuständige Teil des Schmerzzentrums dann das Schmerzgefühl und das Zurückziehen der Hand aus. Das wird über motorische Reflexe des Rückenmarks vermittelt, oft noch bevor unser Bewusstsein den Schmerz richtig realisiert hat.
Viele Kinder wünschen sich, dass ihre Schmerzen für immer verschwinden und sie überhaupt keine Schmerzen mehr fühlen müssen. Das wäre aber sehr ungünstig. Man würde sich z. B. mit einem Messer schneiden, es gar nicht merken und sich womöglich noch mehr verletzen. Oder mit einem verletzten Bein weiter Fußball spielen. Um uns davor zu schützen, gibt es den Schmerz. Er weist uns darauf hin, dass etwas nicht stimmt und wir besser überprüfen sollten, was genau die Ursache für den Schmerz ist. Auch bei unserem Herdplatten-Beispiel hat der Schmerz eine klare Warn- und Schutzfunktion. Er sagt uns: »Zieh die Hand von der Herdplatte weg, sonst fügst du dir schwere Schäden zu.«
Damit wir die Möglichkeit haben, der Ursache schnell auf den Grund zu gehen, sollten wir sehr genau bestimmen, wo und wie stark es wehtut. Normalerweise stellt sich dann bald heraus, dass die von uns wahrgenommene Schmerzstärke gut zu der Schmerzursache passt. So tut z. B. ein kleiner Nadelstich weniger weh als ein Tritt gegen das Schienbein. Zudem weiß die soziale Umgebung (also etwa Eltern, Verwandte, Freunde, Lehrer) in der Regel sehr genau, wie man am besten auf den Schmerz reagiert. Ein Beispiel aus der Zeit, als wir noch alle Jäger und Sammler waren und in Höhlen gelebt haben, soll dies verdeutlichen.
Der Jäger Uga und sein Freund Aga schultern ihre Speere und Äxte, um auf die Mammutjagd zu gehen. In den schneebedeckten Weiten der Steppe können sie schon von weitem die Geräusche der großen Tiere ausmachen. Als sie sich an ein Tier abseits der Herde heranschleichen, hören sie ein lautes Knurren. Ein Säbelzahntiger stürzt sich auf Uga und beißt ihn ins Bein, sie können ihn aber zur Strecke bringen. Aga stützt Uga auf dem Weg zurück ins Lager, damit die Wunde nicht weiter aufgeht. Im Lager wird Ugas Bein mit Wasser ausgespült, mit heilenden Kräutern bedeckt und notdürftig verbunden. Uga wird getröstet und muss bei der nächsten Jagd pausieren, weiß aber aus Erfahrung, dass die Verletzung heilen wird. Sorgen machen sich er und die anderen nicht. Die Schmerzen werden weitestgehend ignoriert, da der tägliche Überlebenskampf die volle Aufmerksamkeit der Frauen und Männer beansprucht.
Auch wir in der heutigen Zeit handeln bei akuten Schmerzen intuitiv und ohne zu überlegen meist richtig. Wir pusten dem Kind auf die Brandblase, nehmen es kurz in den Arm und sagen, dass es gleich besser werden wird. Wir ermahnen es, seine Hand für die Dauer der Verletzung zu schonen und verwöhnen es als Ausgleich für die Schmerzen und die empfundene Beeinträchtigung ein wenig. All das sind sinnvolle und richtige Verhaltensweisen im Umgang mit akuten Schmerzen.