Kitabı oku: «Monster», sayfa 2

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8

Alva wartete in der Pause am Zaun auf ihn. Sie lächelte. So einfach und schön wie ein Lächeln sein konnte, das ohne Hintergedanken am Horizont aufsteigt und strahlt. Felix war jedes Mal aufs Neue erstaunt, dass es ihm galt. Immer noch. Auch über die Selbstverständlichkeit, mit der sie jetzt in der Pause gemeinsam über den Hof Richtung Raucherecke schlenderten. Geraucht wurde dort zwar schon lange nicht mehr, aber in dieser Ecke, hinter dem Hauptgebäude, entging man den jüngeren Schülern, die auf dem Hof herumrannten oder Fußball spielten.

„Der Teschner hat voll den Knall“, sagte Alva.

Felix grinste. Rührend, dass sie immer noch daran dachte, war doch schon zwei Stunden her. „Ach, der dumme Hund. Aber man weiß immer, woran man bei ihm ist.“

Alva sah kurz zu ihm herüber und jetzt war sie es, die grinste.

„Ach, du steckst den einfach in deinen imaginären Zwinger und da kann er dann so lange bellen, wie er Lust hat? Ziemlich brillant!“

Felix griff in die Tasche seines Parkas und holte ein abgegriffenes Heft heraus, blätterte darin und reichte Alva im Gehen die aufgeschlagene Seite. Sie blieb stehen und betrachtete die Karikatur. „Nicht dein Ernst! Wieso kannst du so gut zeichnen? Dieser Köter mit den gefletschten Zähnen ist dem Teschner wie aus dem Gesicht geschnitten!“ Sie fing an zu blättern, sah sehr viel Gekritzel, aber auch ein Rotkehlchen, einen Totenkopf und verschiedene verdrehte Figuren, doch da nahm Felix ihr das Heft schnell wieder aus der Hand und ließ es zurück in die Parkatasche gleiten.

„Ist ja nur so eine Kritzelei.“

Er wusste nur zu gut, dass es leider nicht immer so leicht funktionierte wie beim Teschner. Sie hatten die Raucherecke erreicht.

„Dreamteam, da seid ihr ja endlich! Wollt ihr auch einen Lolli?“ Vince nahm seinen kugelrunden Lutscher aus dem Mund und hielt Alva und Felix die Tüte mit den gestreiften Zuckerdingern hin. Dann steckte er seinen eigenen wieder in den Mund, saugte daran und tat im nächsten Moment so, als würde er Rauch aus dem Mund blasen.

„Kannst du dich immer noch nicht damit abfinden, dass Rauchen auf dem Schulgelände verboten ist?“, fragte Alva und verdrehte die Augen. Vince lutschte weiter genüsslich an seinem Lolli und schob ihn dann in eine seiner Backentaschen.

„Es ist und bleibt Freiheitsberaubung“, dozierte er wie ein Universitätsprofessor. „Sind wir nicht vierzehn und dürfen unsere Religion frei wählen, allein in Urlaub fahren und uns an allen sichtbaren und unsichtbaren Stellen piercen lassen? Nicht zu vergessen: Niemand kann uns verbieten, Sex zu haben! Schon mal etwas davon gehört?“ Vince lächelte sein boshaftes Lächeln, bei dem eine seiner Augenbrauen bis zum Haaransatz in die Höhe rutschte. Felix wich seinem Blick aus. Die Aufzählung, die Vince ihnen unter die Nase gerieben hatte, verursachte ihm Übelkeit. Der Blödmann hatte doch überhaupt keine Ahnung! Felix setzte sich auf das Mäuerchen, das die Raucherecke begrenzte und hatte alle Mühe, das geheime Verlies in seinem Inneren unter Kontrolle zu halten. Einar, der sich sichtlich langweilte, sagte: „Oh, Mann, diese Diskussion schon wieder! Willst du wirklich zum hundertsten Mal über den Sinn oder Unsinn von Rauchverboten diskutieren? Damit hast du uns alle doch lange genug genervt!“ Pufu konnte ihm nur zustimmen. „Kannst du dich vielleicht endlich mal damit abfinden, dass es einfach Regeln gibt, die auch du einhalten musst? Regeln, die Sinn machen! Rauchen ist schließlich sowas von Scheiße.“ Er hatte ebenfalls einen Lolli in der Hand und steckte ihn nach diesen drei Sätzen entnervt wieder in seinen Mund.

„Aber die Freiheit! Leute, denkt doch mal nach: die Freiheit!“ Vince hatte sogar mal erwogen, eine Klage bei der Schulbehörde einzureichen, um seine Rauchfreiheit zu erlangen. Doch zum Glück hatten die anderen ihn von der Nutzlosigkeit einer solchen Aktion überzeugen können. Hamid, der keinen Lutscher brauchte und nur selten etwas sagte, sah zu Vince hinüber, aber eigentlich sah es eher so aus, als würde er durch ihn hindurchschauen.

„Freiheit ist doch nicht dafür da, dass jeder machen kann, was er will.“

Vince’ Augenbraue rutschte wieder nach oben.

„Unser persischer Klugscheißer! Der hat ja mal wieder ganz genau aufgepasst. Persisch oder war es arabisch? Wo kommst du noch mal her?“ Es war zwecklos, Hamid provozieren zu wollen. Der schaute nur auf die Spitzen seiner abgewetzten Sneakers und sagte trocken: „Ich bin Deutscher, in Köln geboren, wie du. Schon vergessen?“

Vince hob die Hände und spuckte den abgelutschten Stiel seines Lollis auf den Boden.

„Okay, okay, ich will euch nicht die Laune verderben. Ihr seid die Guten und ich hab mal wieder die Arschkarte gezogen. Lasst uns den Mantel des Schweigens über dieses Gerede ausbreiten. Gleich haben wir Englisch und die Klausur wird sicher nicht einfach.“

Man konnte über Vince denken, was man wollte, wenigstens wusste er, wann er aufhören musste. Aber er schickte noch etwas hinterher: „Übrigens, Leute, nicht vergessen, nächste Woche Samstag steigt endlich die Fete bei mir. Schreibt es euch rot in den Kalender!“

9

Nach der siebten Stunde war es diesmal Felix, der am Schultor stand und wartete, ob Alva noch kommen würde. Sie hatten nie darüber geredet, nichts vereinbart und kannten sich auch erst seit einem halben Jahr, als sie neu in die Klasse gekommen war. Trotzdem gab es diese stille Übereinkunft, dass einer auf den anderen wartete, um das Stück Weg gemeinsam nach Hause zu gehen, das sie miteinander teilten. Es passte einfach und fühlte sich gut an. Aber sie war nirgendwo zu sehen.

„Na, wie lief es?“

Vince schon wieder! Er blieb einfach vor ihm stehen. Aber vielleicht wusste er, wo Alva blieb. „Sind alle fertig mit der Klausur?“ Zusammen mit der Frage warf Felix einen schnellen Blick über den Schulhof und die Schüler, die dem Ausgang entgegenströmten.

„Ich war der Letzte“, antwortete Vince. „Gehst du ein Stück mit?“

Felix hatte eigentlich keine Lust, den Heimweg zusammen mit Vince anzutreten, aber er fürchtete, sich möglicherweise wieder irgendeinen dummen Kommentar anhören zu müssen, wenn er es nicht tat, von wegen Romeo wartet lieber noch oder etwas Ähnliches. Vince konnte sowas raushauen und lag damit doch vollkommen daneben. Außerdem wusste Felix ja tatsächlich nicht, ob Alva überhaupt noch kommen würde. Wie blöd, jetzt war doch Wochenende.

Kaum hatten sie die Schule hinter sich gelassen und waren um die nächste Ecke gebogen, hielt Vince an einem Betonpoller an, setzte sich und holte seinen Tabak aus der Tasche. Felix beobachtete, wie er das Papierchen aus dem Beutel zog, Tabak darauf streute und beides mit geschickten Fingern in eine ordentliche Zigarette verwandelte. Vince betrachtete sie noch einmal und sah dann Felix an, als warte er auf eine besondere Belobigung.

„Kann ich mir auch mal eine drehen?“

„Echt jetzt?“ Vince zögerte einen Moment. „Bisher reichte dir doch dein umwerfender Charme! Gib’s zu, ohne den hättest du keinen einzigen Wettkampf gewonnen.“

Felix war nicht nach Scherzen zumute.

„Vor allem, weil dieser Charme unter Wasser so besonders gut zur Geltung kommt!“

Oh, Mann, der war gut. Normalerweise fiel Felix die passende Antwort immer erst ein, wenn er abends im Bett lag.

„Okay.“ Vince zündete sich seine Zigarette an und gab Felix den Tabak. „Ich sehe, dass du dich auf deinen Charme wohl nicht mehr verlassen kannst! Behalt den Tabak. Das ist meine letzte Fluppe.“

„Wirklich? Du hörst tatsächlich auf?“ Felix nahm ein Blättchen und streute Tabak darauf.

„Ich sag’s dir, ihr habt mich kleingekriegt. Hab keinen Bock mehr darauf, dass ihr mich wegen ein paar Kippen wie einen Aussätzigen behandelt.“

„Wir dich?“ Felix musste sich aufs Drehen konzentrieren. Vince rückte näher und besah sich die Sache aus allernächster Nähe.

„Wird nichts“, urteilte er, „du bist noch nicht im richtigen Rollmodus. Das da ist mehr so die Faltmethode.“

Felix leckte das Papierchen an und drückte die Enden zusammen, dann hielt er das krumme Ding in die Höhe.

„Für den Anfang will ich mal nichts sagen“, raunte Vince. „Aber du weißt schon, dass du Sportler bist?“ Felix zuckte mit der Schulter, nahm die Zigarette, steckte sie sich zwischen die Lippen und ließ sich Feuer geben. Er nahm einen Zug, füllte seine Wangen mit Rauch und stieß ihn gleich wieder aus.

„Lass gut sein“, sagte Vince, „paffen kann jeder.“ Er hob die Hand und verabschiedete sich. „Nicht vergessen, immer schön fröhlich bleiben.“

Arschloch.

10

Mama war nicht zu Hause, ihre Schicht im Pflegeheim ging bis um sieben. Normalerweise hätte Felix jetzt das vorbereitete Essen heiß gemacht, sich eine halbe Stunde vor den Fernseher gehauen und dann den Bus zum Schwimmbad genommen. Heute gab er der Tasche mit seinem Schwimmzeug, die immer noch im Flur stand, nach dem Essen einen Tritt und ließ dann die Haustür hinter sich ins Schloss fallen, ohne eine Ahnung zu haben, was er jetzt tun würde. Bloß nicht stillsitzen. Er lief durch die ruhigen Vorortstraßen, wo nichts, aber auch gar nichts los war. Alle saßen anscheinend in ihren Bunkern oder waren bei der Arbeit und die klingenden Blumennamen waren ihnen sowas von scheißegal. Sie machten das Leben auch nicht besser. Sollte er Pufu anrufen, um ihn zu fragen, ob er Lust hatte, ein bisschen zu zocken? Mit ihm konnte man sich auch spontan verabreden, sie kannten sich seit der Grundschule. Aber der würde sich nur wundern, dass er Zeit hatte und nicht ins Schwimmbad fuhr. Außerdem war er wahrscheinlich selbst beim Training. Handball spielte er schon ewig.

Felix spürte, wie ihm ein übles Gefühl in den Nacken kroch und von hinten an die Kehle griff. Vielleicht hätte er damals mit Pufu zusammen in den Handballverein eintreten sollen. Dann wäre das alles nicht passiert. Aber als Pufu sich dazu entschloss, ging er doch schon längst zum Schwimmtraining. Das war seine ganze Seligkeit. Und nichts, absolut nichts, hatte darauf hingedeutet, dass das jemals anders sein würde.

Felix erreichte den Park, der hinter dem Wohnviertel begann, und versuchte, seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben. Er dachte an das alte vierstöckige Haus, in dem sie in der Stadt gewohnt hatten, als er noch klein war und eine richtige Familie hatte. Die Zimmer waren riesig, der Flur war genau richtig zum Fußballspielen und vom Balkon im dritten Stockwerk konnte man bis an den Rhein schauen. Seine Erinnerungen waren bruchstückhaft, aber er wusste noch genau, dass die kleinen Griffe an den Schranktüren unter dem Küchenfenster metallene Fische waren, die er immer wieder betrachtet und abgezeichnet hatte. Die Zeichnungen hatten überall in seinem Zimmer an den Wänden gehangen und er hatte sich vorgestellt, dass er mit ihnen zusammen durchs Meer schwimmen würde. Er erinnerte sich auch noch an die vielen Ausflüge, die er mit Mama und Papa unternommen hatte. An den Rhein, in den Stadtwald, in den Zoo oder einfach irgendwohin, wo es schön war und sie etwas Spannendes erleben konnten.

Als er sechs war und in die Schule gekommen war, hatte Papa ihm endlich das Schwimmen beigebracht. Es hatte nur wenige Wochen gedauert, dann konnte er es und hatte das entdeckt, was ihm von da an am allermeisten Spaß auf der Welt machte. Papa stand am Beckenrand und lobte ihn ohne Ende. Er hatte etwas an sich, das es einem leicht machte, sich immer weiter anzustrengen und noch besser zu werden. Felix war süchtig nach Papas strahlendem Gesicht und seinem Lob geworden. Dann war Papa plötzlich weg. Als hätte jemand ein Riesenstück aus Felix’ Lieblingskuchen rausgeschnitten und weggeschleppt.

Er versuchte sich zu erinnern, wann es angefangen hatte, dass die Eltern sich nur noch stritten. Manchmal waren sie richtig laut geworden, besonders abends, wenn er schon im Bett lag. Unter der Bettdecke hatte er sich die Ohren zugehalten und trotzdem ihre Stimmen gehört. Ich werde mir beim Untertauchen nicht mehr mit den Fingern die Nase zuhalten, hatte er ihnen heimlich geschworen, ich werde noch schneller schwimmen! Aber es hatte alles nichts genützt. Papa ging nur noch selten mit ihm ins Schwimmbad, und es wurden keine Pläne mehr für die Sommerferien gemacht. Oma kam und nahm ihn mit in ihr Dorf, wo er die ganzen vielen Ferienwochen verbrachte und sogar glücklich gewesen war. Felix ballte die Fäuste in den Jackentaschen.

11

Wie konnte ich nur so glücklich sein, wenn sich doch gerade meine Familie auflöste? Ich bin so ein absoluter Vollhorst, der schon damals keine Ahnung hatte! Diese Ahnungslosigkeit fühlt sich schrecklich an. Immer noch. Am Ende der Ferien hat Mama mich abgeholt und Papa existierte nicht mehr. Er war einfach weg, ohne Erklärung. Oder hat Mama mir irgendetwas erklärt, das ich aber nicht kapiert und sofort wieder vergessen habe? Musste sie gar nicht, ich wusste doch längst, was los war. Papa war weg, weil er enttäuscht von mir war. Ich war einfach nicht gut genug. Er hatte sich so viel Mühe gegeben, aus mir einen Superschwimmer zu machen, aber ich hatte mich einfach nicht genug angestrengt. Aber ich würde der Beste werden! Das hatte ich mir damals geschworen. Dann würde Papa vielleicht zurückkommen und alles wäre wie früher. Aber das riesengroße Loch, das plötzlich in meinem Leben war, ist einfach immer dageblieben. Nie wird etwas wie früher.

12

Felix hatte bald aufgehört, seine Mama nach dem Warum zu fragen. Er wollte nicht, dass sie wieder zu weinen anfing. Sie hatten einfach nicht mehr über Papa gesprochen und waren in den Magnolienweg gezogen, in eine der kleinsten Schachteln in dieser Straße. Der Garten war winzig, aber Felix hatte seither zwei Zimmer, eins zum Schlafen und eins zum Spielen. Oder er tat sowohl das eine als auch das andere in beiden Zimmern. Und er ging weiter zum Schwimmen, diesmal in einem Verein. Zuerst einmal in der Woche, dann montags, mittwochs, donnerstags und freitags. Er machte Ferienfreizeiten, in denen er trainierte, und fuhr immer öfter zu Wettkämpfen. Weller stand am Beckenrand mit der Stoppuhr in der Hand und strahlte. Auf Felix war Verlass. Selbstverständlich. Felix, der Charming Boy, der Liebling des Trainers. Wie hatte er diesen besonderen Platz an dessen Seite genossen. Blindlings. Jetzt ekelte er sich vor sich selbst. Er dachte an die Nachrichten, die ab und zu auf seinem Handy angekommen waren. „Du bist der Beste.“ „Dein Body sieht verdammt gut aus. Bist du echt erst vierzehn?“ „Geiler Sixpack, den du dir antrainiert hast.“ „Bist du bereit für Olympia? Ich bringe dich hoch – aufs Treppchen.“ Je älter er wurde, umso häufiger kamen solche Nachrichten von Weller. Wie blind war er gewesen?! Es war ja tatsächlich alles seine eigene Schuld. Felix trat gegen einen Laternenpfahl, der das Pech hatte, gerade dort zu stehen. Was hielt er sich mit diesem Scheiß auf? Dieses verdammte Leben war absolut nutzlos. Ein Zufall hatte einen in diese Welt geworfen und dann konnte man sehen, wie man mit seiner Sehnsucht nach Glück zurechtkam. Er verbiss sich den Kloß, der schon wieder in seiner Kehle auftauchte und rannte einen kleinen Abhang hinunter. Rennen tat gut. Es machte den Kopf leer und pulverisierte die Gedanken zu Staub. Felix lief eine Runde um die große Wiesenfläche und dann den Hügel auf der anderen Seite wieder hinauf, bis er die ausgestorbene Ladenzeile erreichte, die dort lag. Hier begann das nächste Vorortviertel. Als er noch in die Grundschule ging, die direkt nebenan lag, hatte es unter den Geschäften, die sich um den kleinen Platz in der Mitte gruppierten, einen Bäcker gegeben, bei dem man Zimtschnecken kaufen konnte, die so köstlich waren wie nirgendwo sonst. Jetzt gab es auch dieses Geschäft nicht mehr. Felix ging weiter und überquerte die große Straße, die hinter der Ladenzeile um den Ort herumführte, und gelangte zum See.

Unter Wasser atmen. Manchmal hatte es sich tatsächlich so angefühlt, als wäre das möglich. Dabei hatte er doch immer den Kopf ein winziges Stück aus dem Wasser gehoben, als er die Bahn durchpflügte. Aber das war so schnell gegangen und hatte sich irgendwann so selbstverständlich angefühlt, dass es zu einem einzigen Zustand geworden war. Die perfekte Anpassung an eine dritte Dimension. So wie aus vielen Einzelbildern, wenn man sie nur schnell genug aneinanderreiht, ein bewegter Film wird. Felix verließ den Weg, der sich am Wasser entlangschlängelte und setzte sich an einer abgelegenen Stelle auf einen Baumstumpf, der zwischen einer Ansammlung von hohen Bäumen übrig geblieben war. Er atmete tief aus, schaute über das Wasser und begann die Bäume auf der anderen Seite des Sees zu zählen. Langsam beruhigte sich sein Herzschlag und er schaute einfach nur übers Wasser.

Dieser verrückte Vogel da oben! Er gab nicht auf. Sang sich die Seele aus dem Leib als gäbe es dafür etwas umsonst. Immer die gleiche Melodie. Vielleicht auch nur fast die gleiche. Als müsste er dem Leben eine Verzierung verpassen. Felix holte das Päckchen mit dem Tabak aus seiner Jackentasche. Wieder schnürlte die perlende Melodie durch die Luft, machte eine winzige Pause und setzte von Neuem ein. Die Beklemmung, die ihn vorhin mit kalter Hand ergriffen hatte, war verschwunden. Felix legte etwas Tabak aufs Papierchen, leicht und geschmeidig ließ er sich diesmal einrollen. Lecken, andrücken, überstehenden Tabak abschnipsen – die Kippe sah doch ganz passabel aus, nicht wie das krumme Ding von heute Mittag. Aber rauchen würde er sie nicht, es schmeckte einfach zu widerlich. Wie hatte Vince das nur die ganze Zeit ausgehalten? Felix versenkte die Zigarette in seiner Jackentasche und blieb noch einen Moment auf dem Baumstumpf sitzen. Da passierte es wieder. Irgendetwas wollte ihm die Luft abdrücken und ihn verschlingen, doch der anmutige Gesang des Vogels, kraftvoll und gleichzeitig hauchzart, schien das einfach wegzusingen. Er hatte das überraschende Gefühl, sein Körper würde sich entspannen. Etwas tief drinnen in seiner Brust dehnte sich und wurde weit wie sonst nur nach hundert Bahnen im Becken oder einer halben Stunde Joggen um den Weiher im Stadtwald. Er legte den Kopf in den Nacken und folgte den Tönen mit seinen Augen. Ast für Ast tastete er ab und konnte das Rotkehlchen doch nicht entdecken. Als ihm vom Hochschauen schwindelig wurde, schaute er zu Boden und dachte: Vögel müssen nichts anderes sein als nur Vögel. Plötzlich bewegte sich ein Schatten von rechts oben nach links unten auf den Boden und Felix schaute automatisch hinüber. Da saß das Rotkehlchen keine drei Meter von ihm entfernt im Gehölz und schaute mit seinen kugelrunden schwarzen Augen aufmerksam zu ihm herüber. Es stakste ein Stück weiter, warf einige Blätter zur Seite und pickte auf dem Boden herum. Dabei bewegte es sich unerschrocken noch ein Stückchen näher auf Felix zu. Er hielt den Atem an und fragte sich, wie nah es wohl kommen würde. Gleichzeitig hoffte er, es würde sich bis zu ihm vorwagen. Im nächsten Moment schrillte eine Fahrradklingel auf dem Weg und das Rotkehlchen flog hinauf in den nächsten Baum und in den übernächsten und war verschwunden.

13

„Morgen Vormittag Cop Show im Stadtwald?“ Felix schloss gerade die Haustür auf, als ihn diese Nachricht von Pufu auf seinem Handy erreichte. Für den Querfeldeinlauf durch den Wald gaben sie sich die Namen von Kommissaren, Spionen oder Agenten, die sie sich vorher auf einer Liste ausgesucht hatten. Der Waldlauf machte irgendwie mehr Spaß, wenn man sich dabei vorstellte, einen Verbrecher zu jagen. Es war auf jeden Fall nicht der schlechteste Start ins Wochenende.

„Okay, wann?“

„Neun?“

„Super!“

Die Tür knallte hinter Felix zu, er lief nach oben und ging unter die Dusche. Dabei überlegte er sich, welcher Kommissar er morgen sein würde.

Ich muss auf die Liste schauen, dreihundertvier Namen und wir haben noch längst nicht alle durch.

Als er wenig später aus der Dusche trat, hörte er, dass Mama nach Hause kam.

„Hallo?“, rief sie durchs Haus. „Jemand da?“

Er traf sie in der Küche.

„Du kommst aber spät heute!“

Mama stöhnte. „Wir hatten kurz vor dem Schichtende einen Neuzugang, der partout nicht bleiben wollte. Hat immer wieder beteuert, er müsse noch das Auto in die Werkstatt bringen und seine Frau zum Friseur begleiten.“

„Und das stimmte nicht?“

Mama seufzte. „Der ist zweiundneunzig, seine Frau ist schon seit fünf Jahren tot und ein Auto hat er auch längst nicht mehr.“

„Krass!“

„Ja, so ist das Leben. Kann ja nicht jeder so fit sein wie Opa. Er hat übrigens heute Morgen angerufen und braucht Hilfe bei irgendwas. Ruf mal zurück. “ Mama nahm den Tee, den sie sich gekocht hatte, und steuerte auf die Tür zu, an der Felix lehnte. „Brauchst du noch was? Ich muss aufs Sofa.“ Felix ließ sie vorbeigehen, da drehte sie sich noch einmal um. „Deine Sporttasche liegt schon wieder da drüben im Flur. Wird das jetzt zur Gewohnheit? Und denk an Opa!“

Damit zog sie ab ins Wohnzimmer. Felix schaute hinüber zum Eingangsbereich, er hatte die Tasche aus seinem Blick ausradiert, sie war ihm beim Heimkommen nicht aufgefallen.

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Hacim:
171 s. 3 illüstrasyon
ISBN:
9783702659608
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