Kitabı oku: «Mit schlechten Karten gut gespielt», sayfa 2

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Krieg, Krankheit, Kummer – die Hoffnung siegt
Die zwei Welten meiner Kindheit

Der Weg führte mich auf der Konrad-Adenauer-Allee in Bonn entlang. Ich bog in die Joachimstraße ein. Es war Samstagmittag, ich befand mich auf dem Weg zu einer Sondersitzung der „Wahlverwandtschaften“. Das ist ein Verein, der sich das „Generationen übergreifende Wohnen“ auf seine Fahnen geschrieben hat. Unerwartet heulte schrill eine Alarmsirene los. Ich wusste, es sagte mir mein Verstand: Probealarm! Nach siebzig Jahren spürte ich immer noch diese grässliche Wirkung: Mir wurde heiß und mein Puls ging schneller. Mir war bewusst, es ist nur ein Probealarm. Trotzdem regte sich alles in mir nach Flucht. Ich nahm kalten Schweiß auf meiner Stirn wahr. Die Erinnerung an jene Zeit wurde wieder in mir lebendig. Die Bilder wechselten schnell und nahmen keine Rücksicht auf reale Zeitabläufe. Längst hatte ich im Sitzungszimmer Platz genommen und die übrigen TeilnehmerInnen begrüßt, aber meine Gedanken verweilten immer noch in Zeiten, in denen es eben nicht nur um einen Probealarm ging.

Meine Eltern

Meine Eltern lebten mit uns Kindern in einem Zweifamilienhaus am Rande von Bielefeld. Meine Mutter Johanne war eine erfolgreiche Bodenturnerin. Sie spielte etwas Klavier und verstand es, uns Kinder durch selbst angefertigte Kleidung herauszuputzen. Sie hatte bei einem Textilkaufhaus als Verkäuferin gelernt und meinen Vater beim Bodenturnen kennengelernt. Dort begleitete er die jungen Sportlerinnen auf dem Klavier. Meine Mutter war eine fröhliche Natur und wohl behütet, der Liebling ihrer Eltern. Ein Weihnachtsgeschenk (am 22. Dezember geboren), wie ihre Geschwister scherzhaft immer betonten. Sie sang und tanzte sehr gerne. Auch in der Nachbarschaft galt sie als liebenswert und bescheiden.

Als ich 1940 in Bielefeld geboren wurde, befand sich mein Vater schon an der Front. Er hatte den Angriff auf unser Nachbarland Polen im September miterlebt. Ich kann mich daran erinnern, dass er später einige Male seinen Urlaub bei uns verbrachte. Aus seinem Nachlass habe ich entnehmen können, dass er mehr als zehn Mal verwundet worden war und deshalb sicherlich öfter Genesungsurlaub bekommen hatte. Mein Vater spielte verschiedene Musikinstrumente. Er hatte das Abitur mit Auszeichnung bestanden und dann eine Ausbildung als Justizangestellter durchlaufen, bevor er zur Reichswehr eingezogen wurde. Er war ein strenger Mann mit Prinzipien. Meine Großmutter Oma Anna sagte später, dass ihn der Krieg sehr verändert habe. Während seiner Kindheit war sein Vater als Soldat an der Westfront eingesetzt worden. Er hatte also ganz ähnliche Verlusterfahrungen durchlitten wie ich und in seiner Kindheit auf seinen Vater verzichten müssen.

Mein Großvater und mein Vater haben niemals mit mir über ihre Kriegserfahrungen gesprochen. Beide lehnten es strikt ab, darüber zu reden, selbst in einer Zeit, als ich schon erwachsen war. So blieb für mich viel von ihren Wesen im Dunkeln. Im besagten Nachlass fand ich Hinweise darauf, dass mein Vater in Frankreich u. a. als Verteidiger von Kriegsgefangenen eingesetzt worden war und einigen Angeklagten das Leben hatte retten können. Er hat schwer unter seinen Verwundungen und häufigen Malariaanfällen gelitten.

Meine Großeltern

Meine Großeltern waren für mich wie eine zweite Familie. Ich höre heute noch Oma Anna sagen: „Wartet mal, wenn es erst mal wieder Friedenszeiten gibt!“ Ja, dann wird alles anders sein, so träumten wir, ohne zu wissen, wovon sie eigentlich sprach. Oma vermittelte jedenfalls das Gefühl, da gibt es etwas, das besonders wertvoll und schön ist. Sie machte damit wohl nicht nur uns Kindern Hoffnung. Jedenfalls war Friedenszeit für mich mit der Vorstellung von herrlichen Eisbomben verbunden, die es dann für uns geben würde.

Nach der Geburt meines Bruders 1943 durfte ich noch öfter bei ihr leben. Opa Kurt hatte sich längst von den Frauen in ein schmales Zimmer neben der Küche zurückgezogen. Diesen Raum durfte ich nicht betreten. Ich habe aber Opas Geigen- und Zitherübungen noch immer im Ohr.

Ab und zu baute Opa Kurt die Küche um, stellte ein Pult auf und richtete es nach dem Volksempfänger aus. In der rechten Hand hielt er einen Taktstock und mit der linken blätterte er in einer Partitur. „Wenn Frieden ist, werde ich wieder als Dirigent arbeiten,“ meinte er und begann sein „Volksempfängerorchester“ imaginär zu dirigieren. Irgendwann hat mein Vater ihm ein Grammofon mitgebracht, welches ich oft für Opa zu bedienen hatte. Die Ouvertüre zu „Dichter und Bauer“ erschallte nun noch öfter, dazu musste ich immer das Federwerk aufziehen und die Nadeln wechseln. Opa feierte dies als seine Unabhängigkeit von den Sendungen des Staatsrundfunks Berlin und gab sein Zeichen zum Einsatz des Bleches. Derweil war die Küche belegt, und wir warteten geduldig auf die Freigabe des Raumes zum Essen. Hin und wieder war die Küche mit einigen älteren Herren besetzt. Opa lud sie als kleines Zitherorchester ein. Sein Gesicht leuchtete dann auf, wenn er richtige Musiker dirigieren konnte.

Oma übte währenddessen im Wohnzimmer ihre Arien und verrichtete ihre Nadelarbeiten dabei. Kennengelernt hatten sich Oma und Opa vor dem Ersten Weltkrieg während der Arbeit an einem Opernhaus in Sachsen. Ich hatte immer den Eindruck, dass sich beide im Grunde genommen fremd geblieben waren. Sie nannte ihren Mann „der Olle“ (der Alte), was mir zwar immer peinlich war, aber in Westfalen nicht unbedingt als ein Schimpfwort gilt. Zu meinem Leidwesen verfügte Oma Anna über das absolute Gehör. Kein Lied, das ich oder jemand anderes anstimmte, fand vor ihren Ohren Gnade. Ich höre sie heute noch aus dem Keller rufen – FALSCH – falsch, halte endlich den Ton!

Im gleichen Haushalt lebte Tante Atti. Sie war als private Klavierlehrerin tätig und gab gelegentlich Konzerte mit ihren Schülern. Sooft es die Hausordnung zuließ, hörte ich aus dem Musikzimmer ihre Taktvorgaben „ein e und te, zwei e und te“.

Tante Atti, und das bekam jeder Besucher schnell mit, wartete auf einen Mann, der mindestens ein Haus besaß. Nur ein solcher hätte eine Chance gehabt, sie heiraten zu dürfen. Es gelang ihr tatsächlich, diesen Mann schließlich im Alter von sechzig Jahren noch zu finden.

Im Keller mit ganz vielen Einmachgläsern lagerten die Kartoffeln und die Kohlen, die es im Winter täglich hoch zu schleppen galt. Hier befand sich auch die Waschküche für alle Bewohner des Hauses. Für uns war Waschtag immer der Freitag. In einem Steinofen wurde das Wasser für die Wäsche gekocht und dann in einem Holzbottich von Hand hin und her bewegt. Natürlich gab es auch noch ein Waschbrett mit den vielen Rillen. Hier wurde jedes Wäschestück einzeln mit Kernseife bearbeitet. In einer Wringe mit zwei Walzen erfolgte dann die erste Entwässerung. Im Keller stand auch noch eine Zinksitzwanne. Sie wurde jeden Sonnabend nach oben geschleppt und diente der körperlichen Reinigung von uns allen. Vorher musste stundenlang das Wasser dazu auf dem Herd erhitzt werden. Meine Aufgabe war es oft, das warme Wasser nachzugießen und den Rücken von Tante Atti oder Oma einzuseifen. So erlebte ich einen natürlichen Umgang mit der Intimität.

Der Sonntag diente dann der „seelischen Reinigung“, wie Oma immer sagte. Dazu gehörte es auch, sich ein Konzert in der Oetkerhalle anzuhören (Matinee natürlich). Ein besonderes Ereignis war es, wenn Elly Ney Beethoven spielte. Oft unternahmen wir auch einen Spaziergang in den Botanischen Garten. Von meiner Tante Atti und Oma Anna lernte ich die Gesänge der Vögel zu unterscheiden, und das Kartenspielen. Mit dem Spielen waren die Sonntagnachmittage ausgefüllt. Regelmäßig kamen auch Nachbarn und Freundinnen zu Besuch.

Auf dem Boden hinter einem Bretterverschlag befand sich ein kleiner Abstellraum, der eine besondere magische Anziehungskraft auf mich ausübte. Hier horteten Opa und mein Vater ihre Schätze. Offiziell durfte ich diesen Raum nicht betreten, aber Oma ließ mich, wenn sie sicher war, dass Opa es nicht merkte, ab und zu dort forschen. Hier befand sich die Dunkelkammer meines Vaters mit vielen Glasplatten, aber auch eine Laterna Magica mit vielen kleinen 35mm Filmstreifen. Diese hatten es mir besonders angetan. Der Projektor fiel bald meinem Forscherdrang zum Opfer. Ganz besonders faszinierten mich die vielen Säcke mit Geld aus der Zeit vor der Einführung der Rentenmark. Da gab es Scheine mit Werten von über einigen Millionen, und ich glaubte damals, dass eines Tages das Geld wieder Gültigkeit haben würde und so Tante Atti ihr ersehntes eigenes Haus bekommen könnte.

Solange ich klein war, schlief ich in der Besucherritze im Schlafzimmer zwischen Oma und Tante. Vor dem Bett stand ein Eimer für die nächtliche Notdurft, das WC befand sich außerhalb der Wohnung. An meinen Füßen lag die rauhaarige Hündin Annie, die jeden Morgen mit einem Körbchen um den Hals zum Bäcker lief und uns frische Brötchen brachte, wenn es denn welche gab. Während der kälteren Jahreszeiten wurde immer ans Fußende im Bett ein in alte Zeitungen eingewickelter Backstein gelegt. Diese Steine wurden tagsüber in den Backofen gelegt, sie wärmten uns in der Nacht.

Oma Anna las mir oft aus einem Buch von Wilhelm Busch die Geschichten von Max und Moritz vor. Der Band war ihr sehr wertvoll, und ich durfte ihn nur ansehen, aber nicht anfassen. Besonders haben mich die Lieder der Lumpen beschäftigt. So ein Lump wollte ich natürlich nicht werden, aber schon damals hat mich interessiert, wie ein Mensch ein Lump wird und wie man ihm helfen könnte. Oma Anna hatte viele Erklärungen auf Lager, ich habe nur keine davon behalten.

Oma Anna und Tante Atti fuhren mit mir 1943 das erste Mal mit der Eisenbahn nach Küsten an der Saale. Das war mein erstes großes Abenteuer und weckte alle meine Neugier. Ich bekam einen kleinen Koffer für das Nötigste, wie Oma das nannte, und darunter verstand sie keinesfalls mein Spielzeug, sondern Zahnbürste und dergleichen. Sie sorgte halt für das Praktische und Notwendige; darunter aber auch die einzigen Bonbons, die sie damals für mich hatte auftreiben können, und selbst gebackene Plätzchen. Dieses etwa 30 x 20 cm große Köfferchen sollte in den nächsten Jahren mein ständiger Begleiter werden. Ich wusste zwar nicht, was Luftangriffe waren. Wenn ich der Bomben wegen in den Keller musste, war es aber bestimmt etwas sehr Böses.

Für mich begann die Kriegszeit

Wir besuchten Verwandte in Küsten, einer von ihnen war ein Lokomotivführer. An einer Bahnschranke durfte ich ihm zuwinken, wenn er dort vorbei fuhr und versuchte, Kohlen zu „verlieren.“ Plötzlich erschrak ich. Mein Köfferchen hatte sich in dem Geflecht der Bahnschranke verhakt und entglitt meinen kleinen Händchen. Oma Anna sagte in etwa: „Jetzt müssen wir den nächsten Zug abwarten“, dann wird die Schranke mit dem Köfferchen wieder heruntergelassen. Der nächste Zug war mit Panzern und Geschützen beladen. Alle meine Fragen an Oma halfen nichts, sie wollte mit mir nicht darüber reden. Aber ich sah ihr an, dass der Zug ihr Angst gemacht hatte.

In einer der Nächte wurde ich von meiner Tante geschnappt und in den Keller getragen. Ich erlebte zum ersten Mal unmittelbar einen Luftalarm. Aber sonst passierte nichts, ich sah in dem Keller nur viele verängstigte Gesichter. Es handelte sich wohl um einen Fehlalarm. Etwa ein Jahr später erzählte mir Oma, dass wir damals großes Glück gehabt hatten. Erst jetzt würde ein großes Werk in der Nähe von Küsten angegriffen (Leunawerk bei Halle).

Besonders habe ich von Oma Anna noch in Erinnerung, dass sie immer einen Topf mit warmem Essen auf dem Herd hatte. Jeder Besucher musste erst etwas davon kosten, bevor er sein Anliegen vortragen konnte.

In der Alleestraße in Bielefeld lebten die Eltern meiner Mutter. Oma Christine hatte acht Kinder zur Welt gebracht. Mein Opa Albert litt an einer Lähmung seiner Finger. Diese Krankheit soll die Folge eines Impfschadens gewesen sein, den ein Betriebsarzt zu verantworten hatte. So bekam Opa Albert eine kleine Rente. Ein bis zwei Mal in der Woche durfte ich die Beiden besuchen. Sie unterhielten in der Nähe einen kleinen Schrebergarten, der in der nachfolgenden Hungerzeit eine bedeutende Rolle für uns spielen sollte.

In der Küche stand ein alter schwerer Tisch, in dessen Mitte sich eine Aushöhlung befand. Oma war ganz stolz darauf, denn sie erzählte, dass sie als ganze Familie früher daraus ihr Essen eingenommen hatten, bevor sie sich richtiges Geschirr hatten leisten können. An der Seite dieses Tisches befand sich „meine“ Schublade. Darin lag mein Holzspielzeug, das mir Opa selbst angefertigt hatte. Opa war Feinmechaniker gewesen und hatte bei der Firma Phönix Nähmaschinen gebaut. Oma erzählte, dass Opa früher bei Krupp in Essen an der „Dicken Berta“ als Konstrukteur mitgewirkt habe. Darauf waren alle besonders stolz. Die Dicke Berta war ein schienenabhängiger, besonders großer 42 cm Mörser (schweres Geschütz für den Nahbereich), der in den Weltkriegen eingesetzt wurde.

Nach meiner Erinnerung führten Oma und Opa ein harmonisches und schlichtes Familienleben. Opa hatte Oma als Zigarrendreherin in Bünde kennengelernt. Beide waren sehr gläubige Menschen, die mich schon früh mit ihren biblischen Geschichten zu fesseln verstanden. Besonders in Erinnerung sind mir die Lieder, die mir meine Oma aus dem Kirchengesangbuch vorsang. Dabei war es ihr wichtig, dass ich die Texte auch verstand. Außer meinen Großeltern gab es noch einen weiteren Verwandten.

Onkel Albert war durch einen Verkehrsunfall behindert und wurde deshalb nicht eingezogen. Ich bewunderte Onkel Albert, weil er so herrlich lustig auf seiner winzigen Mundharmonika spielen konnte und oft einfach nur Spaß machte. Seine drei Brüder waren zu dieser Zeit als Soldaten im Feld. Ebenso war auch Onkel Hans, der später für mich zu einem Vorbild wurde, im Krieg. Er war Marinefunker und hatte als Erster von seinem U-Boot aus die Amerikanische Kriegserklärung aufgenommen. Das war der Familie damals sehr wichtig. Onkel Hans machte nach seiner Kriegsgefangenenschaft sein Abitur mit Hilfe eines Fernlehrganges nach. Einige seiner Kurse habe ich dann später auch durcharbeiten dürfen. Onkel Hans war ohne Zweifel mein männliches Vorbild in der Familie.

Opa war ein begeisterter Anhänger von Arminia Bielefeld. Seine Hoffnung bestand darin, dass ihm endlich einmal zwölf Richtige im Toto gelangen. Sonntags legte Opa sein Ohr dicht an sein Radio und notierte die Toto-Ergebnisse. Dann mussten alle ganz leise sein. Dem waren oft stundenlange Berechnungen und Diskussionen vorweg gegangen.

Opa und Oma waren sehr sparsam. In der ganzen Wohnung durfte immer nur eine Glühbirne mit höchstens 25 Watt eingeschaltet werden. Das Mitreden an Gesprächen der Erwachsenen war mir als Kind strengstens untersagt. In der Familie herrschte ein liebevoller Umgangston, es war nie laut dort. Soweit ich das damals schon mitbekommen habe, fühlten sie sich der Arbeiterbewegung verbunden. Sie waren aber auch stolz darauf, dass einer ihrer Vorfahren zur Wachgarde des Kaisers gehört hatte. Alle Familienangehörige legten großen Wert darauf, ihrem Arbeitgeber immer treu geblieben zu sein. Einen Stellenwechsel hätte man als groben Verstoß empfunden. Eigentlich fühlten sich die Familienangehörigen noch als kaisertreue Untertanen und begründeten damit Wertmaßstäbe, die noch aus dieser Zeit stammten. Dazu gehörten Gehorsam und Opferbereitschaft, aber vor allen Dingen Treue.

Irgendwann habe ich mitbekommen, dass die Familie meiner Großeltern ihre Grundstücke auf dem Amthausberg in Vlotho an der Weser während der großen Weltwirtschaftskrise verloren hatte. Dies sollte in späteren Jahren für mich noch eine Rolle spielen, denn auf dem Grundstück befand sich inzwischen der Jugendhof Vlotho, in dem ich als Jugendlicher viele Kurse besuchte und später meine ersten Referate hielt.

Im Luftschutzkeller

Als die Bombenangriffe immer häufiger wurden, hielten wir uns fast jede Nacht, und später oft auch tagsüber, im Luftschutzkeller auf. Unsere Mutter legte uns Kinder auf einen Teppich, die Füße gegeneinander gerichtet und rollte uns dann in den Teppich ein, nur unsere Köpfe schauen heraus. Schließlich knickte sie den Teppich in der Mitte ein, so dass sich unsere Köpfe auf gleicher Höhe befanden. Erst viel später hat sie mir erklärt, dass sie uns so vor möglichen Splittern hatte schützen wollen. Es ging immer hektisch, meist ohne Worte, und routinemäßig zu. Doppelte Bekleidung lag immer griffbereit, dazu eine kleine Lampe, die mit Karbid gefüllt war. Diese Karbidleuchte spendete, mit Wasser aufgefüllt, eine kleine Flamme. Strom gab es meist nicht. Als wir uns auf der Treppe zum Keller befanden, hörten wir oft schon das unheimliche Brummen der Bomber. Dann wurde es Zeit, in den Keller zu gehen. Sobald das Geknatter der Flak begann, wussten wir, die feindlichen Flugzeuge waren über uns. Wer den Schutzraum bis dahin nicht erreicht hatte, musste draußen bleiben. Ich erinnere mich noch, dass ich gezwungen wurde, mit anzufassen, z. B. um Wasser für den Löscheimer zu holen: „Du bist jetzt hier der Mann“, sagte oft meine Mutter. So ein Lob fand ich damals natürlich richtig toll. Aber über meine Angst durfte ich nicht reden. „Hart wie Kruppstahl sollt ihr werden“, hat sie oft betont. Als ich einmal im Keller sagte, dass ich das aber nicht wolle, schrie die Hauswirtin meine Mutter an: „Mit dem werden Sie aber noch Ihre Schwierigkeiten bekommen.“

Ich habe einmal mitbekommen, wie sich meine Mutter mit anderen Hausbewohnern und der Hauswirtin darüber unterhielt, wie wir denn aus dem Keller heraus kommen könnten, wenn der Eingang mit Trümmern verschüttet sei. Ich sagte nichts, aber an meine aufkommende Angst kann ich mich heute noch gut erinnern. Diese Vorstellung, im Keller eingesperrt zu sein und keine Fluchtmöglichkeit zu haben, erschütterte mich. Der widerliche Mief und die schwache Beleuchtung taten ihr übriges. Hier unten im Keller wollte ich aber nicht begraben sein. Ich bekam Angst und fühlte mich ausgeliefert. So war der Luftschutzkeller für mich kein Schutzraum vor allen denkbaren Gefahren, wie es immer hieß, er war wie eine Falle.

Eines Nachts – wir Kinder waren wohl im Luftschutzkeller eingeschlafen – hörte ich meine Mutter furchtbar schreien. Sie schaute aus dem kleinen Kellerfenster und rief: „Meine Mutter, meine Mutter verbrennt.“ Ich bedrängte sie, mich hoch zu heben. So holte sie mich aus dem Teppich und hievte mich zu dem Fenster, sodass auch ich sehen konnte, was sie so sehr erregt hatte. Der ganze Himmel in Richtung Stadtzentrum war hellrot vom Feuer erleuchtet. Ich habe dieses Bild nie in meinem Leben vergessen können. Meine Mutter zitterte am ganzen Körper und ihre Angst übertrug sich auf mich und die übrigen Frauen, die noch im Keller waren. Ich nahm an, dass Oma Christine und Opa Albert nicht mehr leben würden, vielleicht auch Oma Anna mit Opa Kurt und Tante Atti. Meine Mutter weinte laut, und ich hätte sie gerne getröstet, dabei hätte ich doch selbst eine schützende Hand gebraucht.

Wahrscheinlich war es der 30. September 1944. Die Amerikaner zerstörten damals mit ihren rund 500 Thunderholts und Mustangs fast die gesamte Altstadt von Bielefeld. In dieser Nacht starben jedenfalls 649 Zivilisten in den Trümmern. Zum Glück stellte sich später heraus, dass meine Großeltern in ihrem Luftschutzkeller überlebt hatten und in einem Krankenhaus in Bethel behandelt wurden. Meine Großeltern bekamen dann als Ausgebomte eine kleine Wohnung in der Jöllenbecker Straße über einer Gaststätte namens Ellerbrock zugewiesen.

Wenige Tage später stand ich mit meiner Mutter vor den Trümmern ihres Elternhauses. In der Alleestraße war kein einziges Haus mehr bewohnbar. Ich versuchte mein Spielzeug, das mir mein Opa gebastelt hatte, unter den Trümmern wiederzufinden, aber meine Suche war vergeblich. Noch heute nehme ich bei diesen Gedanken den widerlichen Geruch von verbrannten Leichen wahr, der sich über den Trümmern verbreitet hatte. Bei diesen Erinnerungen bekomme ich auch heute noch eine Gänsehaut. Die Entscheidung meiner Mutter stand fest, ich sollte mit Oma Anna und Tante Atti in das nahe bei Bielefeld gelegene Dorf Jöllenbeck evakuieren.

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22 aralık 2023
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9783957447043
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